25. Kapitel

Das Chaos-Schwert

Nate stand hinter Calamitous. Er zog das Schwert aus einer Öffnung in dem röhrenförmigen Leib des Ungeheuers; zähes grünes Blut quoll aus dem aufgebrochenen Außenskelett. Calamitous stand gekrümmt am Fenster, aufgebläht, verwundet und rasend vor Wut.

»Ich weiß nicht, wer du einmal warst«, sagte Nate, »aber ich glaube, du warst früher so wie ich und Richie. Vielleicht warst du verzweifelt, vielleicht warst du am Verhungern.«

Der Dämonenfresser war zu einem Riesen angewachsen. Er sah nicht hungrig aus, sondern gefräßig. Er musste sie nicht mehr fressen, wurde Nate klar, sondern er wollte sie fressen. Es war ihm in Fleisch und Blut übergegangen, die Geschöpfe zu verschlingen, die Nate und seine Vorgänger beschützten, und wenn er einmal dabei war, konnte nichts und niemand die Fressorgie stoppen.

Brüllend versuchte Calamitous sich umzudrehen. Offenbar fürchtete sich selbst das aus ihm heraussickernde Blut vor ihm, denn es floh, während das Ungeheuer sich herumwarf und die Wände demolierte.

»Du bist kein Dämon«, sagte Nate. »Ich bin also nicht verpflichtet, dich am Leben zu lassen, es sei denn, du verwandelst dich in einen Menschen zurück, was du am besten auf der Stelle tun solltest.« Er hob erneut das Schwert.

Voller Eifer begann die Waffe in seiner Hand zu tanzen. Sie zuckte und fuhr durch die Luft, so dass Nates Arm den Bewegungen wie von selbst folgte. Als Calamitous es schließlich schaffte, sich zu ihm umzuwenden, sah er die wirbelnde Klinge vor sich und duckte sich. Nate konnte die entfesselte Waffe jetzt kaum noch im Zaum halten.

»Lange kann ich es nicht mehr zurückhalten«, sagte er, während er mit dem Schwert um die Vorherrschaft rang. »Bezwing deine Fressgier, und verwandle dich wieder in den nervtötenden Reporter.«

In einer Wolke aus Staub und splitternden Holzbalken durchbrach das Ungeheuer die Wand zum angrenzenden Zimmer. Nate ließ das Schwert los, und es schoss dem Flüchtenden hinterher, verfehlte jedoch haarscharf dessen glitschigen Schwanzfortsatz.

KLIRR!

Die Klinge flog durchs Fenster und verlor sich irgendwo im Garten. Nate zuckte zusammen, machte kehrt und hastete auf den Dachboden.

 

Die Brombeersträucher fielen wütend über Richie her, fesselten ihn und bohrten ihm ihre Dornen ins Fleisch.

»Hilfe!«, brüllte er. Er konnte nicht aufstehen, sich kaum rühren, deshalb versuchte er, mit der Pflanze zu verhandeln. »Ich versprech dir, ich schnippel nie wieder an dir rum.« Als Antwort schlang sich einer der dornigen Zweige um seinen Hals und drückte ihm die Luft ab.

Plötzlich landete Nates herabsausendes Schwert in den Sträuchern und begann, wie wild um sich zu hacken. Achtlos schlug es eine Schneise in das Buschwerk, und Richie musste aufpassen, um nicht selbst getroffen zu werden.

»Sandy ...«, keuchte er und versuchte, die Dornenschlinge um seinen Hals zu lockern. »Nimm das Schwert!«

Sandy kämpfte sich durch das dichte Gebüsch, um ihm zu helfen, ohne selbst von den Zweigen attackiert zu werden. Genau genommen sah sie auch gar nicht, wie sie sich bewegten. Als sie Richie erreichte, der sich hoffnungslos in den Sträuchern verfangen hatte, fragte sie sich, wie es überhaupt dazu hatte kommen können. Argwöhnisch betrachtete sie das Schwert. Es sah viel gefährlicher aus als die Dornen. Sie fragte sich kurz, ob sie auch als Einarmige in der Bibliothek würde arbeiten können.

»Aber ich bin kein Hüter!«, sagte sie.

»Du hast doch zwei Hände, oder?«, entgegnete Richie. Er warf sich zur Seite, als sich die Klingenspitze genau an der Stelle in den Boden bohrte, wo eben noch sein Kopf gelegen hatte. Sein Hals blutete an dutzenden Stellen, und er fragte sich, ob ihm die Dornen gleich die Halsschlagader aufreißen würden.

Sandy nickte. Sie besaß wirklich zwei Hände, im Moment jedenfalls noch.

«Dann nimm das verdammte Ding weg«, keuchte Richie. »Ich bin hier am Abnippeln!«

Sandy packte das Schwert und spürte den Knauf in ihrer Handfläche. Die Waffe kam augenblicklich zur Ruhe. Sandy richtete sich auf und stand mit hocherhobenem Schwert über den Brombeersträuchern wie eine bebrillte Amazone.

»Hiiiii-jaaahh!«, brüllte sie, wirbelte herum und kappte mehrere Zweige auf einmal. Mit jedem neuerlichen Schwertstreich fiel ein weiterer Trieb, und bald war der ganze Strauch niedergemäht.

»Gib mir die Hand, Richie!«

Er streckte den Arm aus, und sie zerrte so heftig daran, dass Richie schmerzerfüllt aufschrie. Dann zog sie ihn langsam aus dem Dornengestrüpp heraus.

»Tut mir leid! Tut mir leid!«, sagte sie »Alles in Ordnung?«

Blutend schaute er zu ihr auf. »Hiii-jah?«, grinste er.

»Was hätte ich denn sonst sagen sollen?«

»Keine Ahnung. En garde? Touché? Koste meine Klinge, du ausgeflippter Dämonenstrauch? Alles außer ›hiii-jah‹.«

Sandy half ihm auf. »Ich habe von dem Schwert gelesen«, sagte sie. »Es ist die Inkarnation des Chaos mittelalterlicher Kriege, bei denen es oft keine Ordnung und Logik gab, wenn es darum ging, wer getroffen wurde oder wer starb. In der Hitze des Gefechts schlägt diese Waffe willkürlich zu.«

»Bei dir scheint sie aber Ruhe zu geben.«

»Weil ich ein durch und durch friedfertiger Mensch bin.«

Nun traten Nik und Pernikus zu ihnen, und Richie beobachtete, wie sich die gelben Tupfer an den Leibern der kleinen Dämonen auflösten, bis die beiden wieder in ihren angestammten Farben dastanden. Von der Veranda her ertönte ein Pfiff, und alle wandten sich um.

Zoot stand auf der obersten Stufe. Sein Dreizack war auf Nik und Pernikus gerichtet, und er spitzte den Mund, um so laut wie möglich pfeifen zu können. Als der Ton verklang, sah er erschöpft und verzweifelt aus und winkte die anderen eilig zum Haus.