19 kEin LacHen

»Na, bist du jetzt bereit für Jakes Party?«, fragte Evan im Auto und legte die förmliche Art, die er den ganzen Abend über zur Schau getragen hatte, problemlos wieder ab.

»Nach diesem Erlebnis bin ich zu allem bereit.«

»Warten wir’s ab«, grinste er. »Vielleicht bin ja ich derjenige, der zuletzt lacht.«

»Was soll das denn heißen?«, fragte ich und wurde auf einmal nervös.

»Gar nichts«, antwortete er, grinste aber weiter.

Als wir in Jakes Auffahrt einbogen, standen dort bereits ungefähr ein Dutzend Autos, wir ergatterten den letzten freien Parkplatz. Evan hielt Wache, während ich Jeans und bequemere Schuhe anzog.

»Das ist viel besser«, seufzte ich erleichtert, als ich ausstieg.

»Aber du siehst immer noch gut aus«, bemerkte Evan mit einem frechen Halblächeln. Ich ignorierte ihn.

Dann stand ich Schmiere, während er seinen Anzug gegen Jeans und Pulli tauschte.

»Sobald du gehen willst, brechen wir auf«, sagte Evan, als wir uns der Haustür näherten. »Du brauchst dich deswegen nicht schlecht zu fühlen. Er hat dich eingeladen – ich bin nur deinetwegen hier.«

»Okay«, stimmte ich zu und versuchte, zwischen den Zeilen zu lesen. Seit ich die Party zum ersten Mal erwähnt hatte, gab er solche sonderbaren Kommentare ab. Aber ich konnte mir einfach nicht erklären, warum.

Ich drückte auf die Klingel, weil mir das angemessener erschien, als einfach ins Haus zu marschieren. Es war längst nicht so laut wie bei Scotts Party. Jake öffnete mit einem breiten Grinsen die Tür.

»Emma, da bist du ja! Sara meinte schon, dass du bestimmt bald kommst«, sagte er und machte die Tür noch ein Stück weiter auf. Als er Evan hinter mir entdeckte, verblasste sein Strahlen allerdings ein wenig. »Oh, du hast Evan mitgebracht.« Evan nickte ihm nur grinsend zu.

»Nett, dich zu sehen, Jake«, sagte er, klopfte Jake auf die Schulter, und wir gingen ins Haus. Jake schloss hinter uns die Tür und wandte sich dann an Evan.

»Sorry, Mann. Vielleicht kommst du heute nicht zum Zug«, meinte er abfällig lächelnd.

»Ach, darum mache ich mir keine Sorgen.«

Ich hatte keine Ahnung, worüber sie da redeten, aber zwischen ihnen war eine deutliche Spannung spürbar. Ich sah Evan prüfend an, doch er schwieg grinsend.

»Ihr könnt eure Jacken in den Wandschrank hängen«, sagte Jake und deutete auf eine Tür neben dem Eingang.

Die kleine Diele mündete in einen Korridor, von dem linker Hand eine Tür in ein Wohnzimmer mit einer Polstercouch und einem großen Flachbildfernseher führte. Rechter Hand lag ein Zimmer mit einer langen Ledercouch und einem Schreibtisch, vermutlich eine Art Büro.

In beiden Räumen sorgten Kerzen für schummriges Dämmerlicht, ein paar Leute unterhielten sich leise. Eine ruhige, gefühlvolle Jazztrompete hallte durchs ganze Haus. Am Ende des Korridors führte eine mit Teppich belegte Treppe in eine hell erleuchtete Küche.

An der Kücheninsel lehnte Sara und lachte gerade über etwas, das Jason gesagt hatte. Als wir hereinkamen, blickte sie auf.

»Getränke sind unten«, erklärte uns Jake. »Entspannt euch und macht es euch gemütlich. Ich bin gleich wieder da.« Damit ging er wieder zur Treppe, die noch weiter nach unten führte.

»Emma, Evan!«, rief Sara. »Wie war das Essen?«

»Wir sind satt geworden«, antwortete ich lachend. Evan presste die Lippen zusammen und sah mich finster an.

Sara musterte uns stirnrunzelnd und versuchte, unseren Austausch zu verstehen.

»Ich erklär es dir später«, sagte ich schnell. »Seit wann seid ihr denn schon hier?«

»Nicht sehr lange«, meinte Sara. »Ich wollte euch noch ein paar Minuten Zeit lassen, ehe ich anrufe.«

»Wo sind denn die anderen alle?«, fragte ich und sah mich um, wobei ich auf Evans Gesicht wieder dieses vielsagende Grinsen bemerkte, das er nicht besonders gut versteckte.

»Das weiß ich auch nicht«, gestand Sara und schaute sich ebenfalls um. »Wir sind wirklich eben erst gekommen. Wahrscheinlich sind alle unten, aber ich glaube sowieso nicht, dass sonderlich viele Leute hier sind.«

Die Türklingel unterbrach uns. Jake kam die Treppe heraufgerannt und eilte den Korridor hinunter. Sechs neue Gäste erschienen – alle sahen aus wie Zwölftklässler.

»Ich glaube, jetzt sind wir vollzählig«, hörte ich Jake zu einem der Jungs sagen, als sie sich der Küche näherten.

»Emma Thomas ist hier?«, flüsterte der Angesprochene schockiert, und ich tat so, als hätte ich ihn nicht gehört.

»Mach dir keine Hoffnungen«, flüsterte Jake zurück und führte das Grüppchen die Treppe hinunter.

Wieder presste Evan die Lippen zusammen, als müsste er ein Lachen unterdrücken. Ich sah ihn argwöhnisch an, denn ich wusste, dass irgendetwas im Busch war. Aber er zog nur die Augenbrauen hoch, zuckte mit den Schultern und wich meinem forschenden Blick aus.

»Wollt ihr auch nach unten gehen?«, fragte Sara. Abgesehen von den wenigen Gästen in den vorderen Zimmern waren wir die Einzigen hier oben.

»Warum nicht?«, stimmte ich zu.

Sara und ich gingen voraus, Jason und Evan, die sich in ein Gespräch über ein Footballspiel vertieft hatten, folgten uns gemächlich.

Zusammen betraten wir den ebenfalls schummrig beleuchteten, niedrigen Keller. Am Fuß der Treppe gab es eine lange, dunkle Bar mit großen Ledersesseln, in denen ein paar Gäste saßen und leise plauderten. In dem breiten U-förmigen Raum konnte ich insgesamt ungefähr fünfzehn Leute ausmachen.

Einige fläzten auf einer Couchgarnitur vor einem Fernseher, der Rest stand um den Pooltisch herum oder hatte es sich auf dem schwarzen Ledersofa an der Wand bequem gemacht. Überrascht stellte ich fest, dass niemand von ihnen Pool spielte oder fernsah. Auch hier unten tönte sinnlich-gefühlvolle Jazzmusik aus den Lautsprechern.

»Was zu trinken?«, fragte mich Jake, als wir uns am Ende der Bar versammelten.

»Hast du Cola oder Limo oder so was da?«

»Na klar. Steht alles im Kühlschrank auf der anderen Seite des Kellers. Da drüben ist die Tür, bedien dich.«

Ich ging an der Couchgarnitur vorbei und durch die Tür, die Jake mir gezeigt hatte, in den noch unfertigen Teil des Kellers. An der Wand stand ein alter weißer Kühlschrank, gefüllt mit Flaschen und Dosen. Ich nahm mir eine Limo heraus und kehrte zu Evan, Jason und Sara zurück, die an der Bar geblieben waren.

»Wie findest du es?«, flüsterte ich Sara zu, die an irgendeinem roten Getränk nippte. »Kommt es dir komisch vor?«

»Ich hab das Gefühl, ich weiß inzwischen, was hier abgeht«, gab sie zu. »Ich hab mich immer gefragt, was es mit Jakes Partys auf sich hat, aber ich hatte ja keine Ahnung. Vermutlich hat er die Tochter des Richters aus gutem Grund nicht eingeladen.«

Ehe ich fragen konnte, was sie damit meinte, kam Jake wieder auf uns zu.

»Evan«, sagte er und winkte ihn zu sich. »Ich wollte dich gern ein paar Leuten vorstellen, die du vermutlich noch nicht kennst.«

Evan sah Jake neugierig an, zögerte kurz, sagte dann aber: »Bin gleich wieder da«, und verschwand. Ich nickte unbesorgt. Mir war zwar schleierhaft, warum er sich so seltsam benahm, aber ansonsten schüchterte mich diese Veranstaltung nicht im mindesten so ein wie die vorherige. Hier hatte ich keine Angst davor, allein zu bleiben. Es war ja auch nicht besonders viel los.

»Ich würde gerne ein bisschen Pool spielen oder so«, sagte ich zu Jason und Sara. »Ich finde es komisch, einfach nur rumzustehen.«

»So eine Party ist das aber nicht«, flüsterte Sara und sah mich vielsagend an.

»Wie meinst du das?« Ich war völlig verwirrt – und langweilte mich ehrlich gesagt auch ein bisschen.

»Hey!«, rief uns eine kleine Brünette zu, die gerade die Treppe herunterkam. Sara drehte sich zu ihr um.

»Hallo, Bridgette!«, begrüßte sie das Mädchen freundlich.

Dicht hinter Bridgette erschien einer der Jungs vom Fußballteam, Bridgette umarmte Sara zur Begrüßung.

»Ich wusste gar nicht, dass du auch hier bist«, sagte sie etwas überrascht zu ihr.

»Wir sind mit Emma da«, erklärte Sara. »Emma, das ist Bridgette.«

»Hi«, sagte ich. Bridgette musterte mich freundlich, während der Junge seinen Arm um ihre Taille legte und die Hand auf ihrem Hintern ruhen ließ. Schnell sah ich wieder in ihr Gesicht und tat, als hätte ich nichts davon bemerkt.

Jason begann sich mit dem Jungen zu unterhalten – anscheinend kannten die beiden sich ebenfalls. Die ganze Zeit über behielt er seine Hand auf Bridgettes Hinterteil. Es sah fast so aus, als erhebe er einen Besitzanspruch auf sie.

»Seid ihr gerade erst gekommen?«, fragte Bridgette.

»Ja, vor kurzem«, antwortete Sara.

»Ich wusste gar nicht, dass du dich für Rich interessierst«, flüsterte sie dann und nickte in Richtung des Jungen.

»Ich dachte mir, warum nicht?«, meinte Bridgette achselzuckend.

Sara kniff die Augen zusammen, fragte aber nicht weiter nach. Stattdessen begannen sie und Bridgette ein Gespräch über ihre Mütter, die offenbar befreundet waren, und nach und nach landeten sie bei Themen, zu denen ich absolut nichts beizutragen hatte. Also zog ich mir einen der schwarzen Ledersessel von der Bar heran und hörte ihnen nur noch mit halbem Ohr zu, während ich mit meiner Flasche herumspielte.

»Wir gehen nach oben«, sagte Sara nach einer Weile. »Kommst du zurecht? Ich bleib nicht lange weg, versprochen.«

»Klar.« Ich nickte ihr zu und lächelte beruhigend.

»Rühr dich nicht von der Stelle«, warnte sie mich, was mich noch mehr verwirrte.

Erneut sah ich mich um, konnte aber im Halbdunkel nicht erkennen, bei welcher Gruppe Evan gelandet war.

»Na, ganz allein?«, fragte eine Stimme hinter mir, und als ich mich umdrehte, sah ich einen dunkelhaarigen Jungen mit strahlenden blaugrünen Augen, der an dem Sessel neben mir lehnte. Er war einer der Jungs, die kurz nach uns eingetroffen waren.

»Momentan bin ich allein, ja«, antwortete ich und zuckte die Achseln.

»Das ist aber nicht gut.«

»Woher kennst du Jake?«, erkundigte ich mich.

»Wir sind befreundet – wir gehen beide in die Zwölf«, erklärte er. »Du bist Emma Thomas, richtig?«

»Ja«, antwortete ich bedächtig und versuchte zu ergründen, ob ich ebenfalls wissen musste, wer er war.

»Ich bin Drew Carson. Wahrscheinlich kennst du mich nicht.« Aus irgendeinem Grund klang sein Name vertraut, aber mir fiel einfach nicht ein, woher.

»Aber du weißt, wer ich bin?«

»Na selbstverständlich«, lachte er. »Das war ein tolles Spiel gestern Abend. Ich hab gehört, dass die Scouts schon nach dir Ausschau halten.«

Ich wurde rot. »Ja. Dann warst du also beim Spiel?«

»Wer nicht?« Seine Offenheit gefiel mir.

»Warum kommst du mir so bekannt vor? Ich weiß genau, dass ich dich schon mal irgendwo gesehen habe«, sagte ich. »Aber ich komme einfach nicht drauf, wo das gewesen sein könnte.«

»Wahrscheinlich beim Basketball«, antwortete er. Natürlich – Drew Carson, der Kapitän der Jungen-Basketballmannschaft! Daher sein schlanker Körper. Wieso war er mir in der Schule nie aufgefallen? Aber ich bemerkte ja immer nur diejenigen, die sich direkt vor mir aufbauten.

»Stimmt. Sorry.«

»Macht nichts. Ich hätte schon früher versuchen sollen, dich anzusprechen«, meinte er. »Umso mehr freue ich mich, dass du hier bist. Es überrascht mich zwar, aber das tut ja nichts zur Sache.« Er lächelte strahlend, und in seinen Wangen erschienen zwei tiefe Grübchen. Ehrlich – warum hatte ich ihn bisher nie wahrgenommen? Er sah gut aus!

»Dein Pulli gefällt mir«, sagte er nach einem kurzen Schweigen.

»Danke.« Ich wurde wieder rot und suchte krampfhaft nach einem Gesprächsthema. »Fährst du Ski?« Ich hatte keine Ahnung, warum mir gerade diese Frage in den Sinn kam. Erbärmlicher konnte ich mich kaum aufführen.

»Ja, ich fahre nächstes Wochenende mit meiner Familie nach Vermont. Und du?«

»Nein, Ski fahren ist nicht so mein Ding.« Wir sahen uns an und begannen beide zu lachen. Unser Gelächter hob sich deutlich von dem Gemurmel der anderen ab, und wir zogen einige genervte Blicke auf uns.

»Uups«, grinste ich und hielt mir die Hand vor den Mund. »Mir war nicht klar, dass wir leise sein müssen.«

»Keine Sorge«, entgegnete er und erwiderte mein Grinsen. »Die nehmen das alles viel zu ernst.« Ich wusste zwar nicht, was er damit meinte, aber so erging es mir ja schon den ganzen Abend. Hoffentlich würde ich es irgendwann herausfinden.

»Machst du außer Basketball und Skifahren sonst noch was?«, fragte ich, darum bemüht, das Gespräch in Gang zu halten. Zum Glück fühlte ich mich nicht mehr ganz so gestresst wie vor unserem Heiterkeitsausbruch.

»Ich surfe, und wenn ich die Gelegenheit habe, fahre ich Wildwasser-Kajak.« Dann erzählte er mir von den besten Wellen, die er gesurft war – in Australien. Ich lauschte und ließ mich von seiner Geschichte in Bann ziehen.

Wir redeten über dies und das, bis mir irgendwann auffiel, dass Evan, Sara und Jason schon ziemlich lange verschwunden waren. Ohne die Unterhaltung abzubrechen, sah ich mich verstohlen um, konnte aber in den dunklen Ecken keinen der drei entdecken.

»Ich bin gleich wieder da«, sagte ich schließlich. »Ich hol mir nur schnell noch was zu trinken.«

»Ich gehe kurz hoch zur Toilette«, meinte Drew und deutete zur Treppe. »Treffen wir uns hier wieder?« Wollte er sich tatsächlich weiter mit mir unterhalten?

»Gern«, stimmte ich zu.

Ich drängte mich ein weiteres Mal an der Couchgarnitur vorbei, wobei ich unauffällig Ausschau nach Sara oder Evan hielt. Schockiert stellte ich fest, dass hier hauptsächlich Pärchen saßen und sich die meisten von ihnen küssten – und zwar ziemlich innig. Es schien sie weder zu stören, dass ich direkt an ihnen vorbeiging, noch, dass andere Pärchen neben ihnen genauso heftig rumknutschten. Ich schlug die Augen nieder. Dann hörte ich schweres Atmen und ging schneller.

Als ich mir meine Limo aus dem Kühlschrank genommen hatte, überlegte ich, wie ich wieder zurückgelangen sollte. Ich spähte zur anderen Seite des Kellers, in der Hoffnung, dort führte eine Tür zu der Ecke mit dem Pooltisch, aber ich wurde enttäuscht. Durch die einzige andere Tür gelangte man hinaus auf den Hinterhof. War ich dafür verzweifelt genug?

»Ah, da bist du ja.« Beim Klang der Stimme wirbelte ich herum und sah Jake die Tür hinter sich schließen.

»Hi, Jake«, erwiderte ich möglichst locker und bemühte mich, meine Nervosität zu verbergen.

»Ich wollte schon den ganzen Abend mit dir plaudern«, sagte er und kam langsam auf mich zu. »Aber eigentlich nicht hier«, fuhr er mit einer Geste auf die reichlich ungemütliche Umgebung fort. Seine Stimme klang übermäßig forsch. »Komm, ich zeige dir das Haus, und dann suchen wir uns ein stilles Eckchen, um uns ein bisschen zu …« Er machte eine Pause, ehe er hinzufügte: »… unterhalten.« Dabei feixte er, als handelte es sich um einen Insiderwitz, in den mich niemand eingeweiht hatte. Aber da fiel bei mir endlich der Groschen, und auf einmal passte alles zusammen. Einen Moment war ich wie erstarrt, dann blieb mir vor Empörung fast der Mund offen stehen.

»Äh, hm …«, stotterte ich und spähte an ihm vorbei zu der verschlossenen Tür. »Danke, aber ich brauche keine Besichtigungstour. Können wir uns nicht an der Bar unterhalten?«

»Ich hatte an einen Ort mit etwas weniger Publikum gedacht«, entgegnete er und zwinkerte. Nein! Nicht schon wieder! Und dann kamen die Worte von ganz allein aus meinem Mund, ich konnte sie nicht aufhalten.

»Für wen hältst du dich eigentlich?«, stieß ich hervor, fassungslos über seine Dreistigkeit.

»Was ist denn plötzlich los mit dir?«, entgegnete er verwundert.

»Das ist eine Sex-Party, stimmt’s?« Selbst in meinen Ohren klang das nicht wie eine Frage, sondern wie ein Vorwurf. Ich konnte nicht glauben, wie lange ich gebraucht hatte, um es endlich zu kapieren.

»Wenn etwas passiert, dann passiert es eben«, verteidigte er sich mit einem unangenehmen Grinsen, und ich war erneut wie vor den Kopf geschlagen von der Arroganz dieses Typen.

»Und da hast du beschlossen, mich einzuladen?«, fragte ich, denn ich konnte mir immer noch nicht erklären, zu welchem Zweck er das getan hatte.

»Warum denn nicht?«, fragte er zurück, nun wieder mit seiner üblichen Großspurigkeit. Anscheinend begriff er immer noch nicht.

»Offensichtlich kennst du mich überhaupt nicht.« Ich sah ihn finster an und machte keinen Hehl daraus, dass er mich anekelte. »Wie kommst du bloß auf die Idee, ich könnte etwas mit dir zu tun haben wollen?«

»Autsch«, antwortete er. Und jetzt sah er endlich nicht mehr ganz so selbstzufrieden aus.

Ehe ich noch etwas sagen konnte, weswegen ich mich womöglich nicht mehr in der Schule blicken lassen konnte, rannte ich an ihm vorbei und stellte fest, dass die Tür unverschlossen war. Evan stand im Türrahmen, die Hand noch auf der Klinke. Ich wusste nicht, wie lange er schon dort stand und zuhörte, aber er musste wohl das meiste mitbekommen haben, denn er begrüßte mich mit seinem typischen amüsierten Grinsen.

»Du bist so was von tot«, fuhr ich ihn an, als ich mich an ihm vorbeidrängte. Das belustigte ihn nur noch mehr, und er lachte leise.

»Hey, Emma«, rief Drew, als er mich entdeckte. Doch als er mein Gesicht sah, das wahrscheinlich Bände sprach, fragte er sofort: »Was ist denn passiert?«

»Gehörst du auch dazu?«, fragte ich ihn anklagend.

Ich wartete seine Antwort nicht ab, sondern rannte die Treppe hinauf, wo ich Sara und Jason fand, die in der Küche standen und sich unterhielten. Beide trugen schon ihre Jacken.

»Können wir bitte gehen?«, drängte ich. »Das hier ist mir alles zu schräg.«

»Wir wollten dich gerade holen«, sagte Sara. »Ich hab mich schon gefragt, wie lange es dauern würde, bis du hier wegwillst. Lass uns zu mir fahren.«

»Gern«, meinte Evan hinter mir.

Mit einem Ruck drehte ich mich um und fauchte: »Ich glaube nicht, dass sie dich eingeladen hat.« Sara riss die Augen auf, aber ich marschierte unbeirrt den Korridor hinunter, um meine Jacke aus dem Wandschrank zu holen.

Ich kam kurz vor Evan bei seinem Auto an, während Sara und Jason zu ihrem gingen.

Nachdem wir eingestiegen waren, sagte er etwas betreten: »Ich hätte dich warnen sollen. Tut mir leid.«

»Evan, du hast Bescheid gewusst und mich trotzdem hierherkommen lassen!«, schrie ich ihn an.

»Ich wusste, dass nichts passieren würde. Ich hatte keine Angst, dass du dich in irgendwas reinziehen lässt, und ich hab gehofft, du würdest Jake deutlich machen, dass du nichts für ihn übrighast – was du definitiv getan hast. Ich hab die Nase so voll davon, ihn damit prahlen zu hören, dass er …« Er stockte. »Tut mir echt leid«, fügte er nur noch hinzu. Sein Gesicht war ernst und seine Augen so sanft, dass meine Wut sich in nichts auflöste.

»Na gut, meinetwegen kannst du mitkommen zu Sara.« Ich fand es immer noch schwer, längere Zeit sauer auf ihn zu sein.

Aber als wir auf die Straße bogen, fiel mir plötzlich etwas ein, und ich wurde unruhig. »Wo bist du eigentlich so lange gewesen, Evan? Und du hast erzählt, dass du schon mal auf einer seiner Partys warst. Ist das dein Ernst? Hast du …? Wer …? Das kann doch nicht sein, oder …?« Mit jeder unvollendeten Frage wurde meine Stimme lauter.

Evan lachte.

»Ach, vergiss es, es geht mich ja nichts an«, murmelte ich schließlich und starrte aus dem Fenster. Aber die Möglichkeiten, die mir durch den Kopf gingen, gefielen mir ganz und gar nicht.

»Entspann dich. Jake wollte in Ruhe mit dir reden, deshalb hat er versucht, mich abzulenken, indem er mir irgendwelche Mädchen vorgestellt hat. Er war total sauer, weil ich auch da war. Er dachte, du bringst Sara mit und sie hat vielleicht Jason im Schlepptau, aber mit mir hat er nicht gerechnet. Ich hab mich nur unterhalten – so wie du dich mit Drew Carson unterhalten hast, stimmt’s?« Mein Herz setzte einen Schlag aus.

»Außerdem war ich nur auf einer einzigen anderen Party bei Jake, und als ich damals die Einladung angenommen habe, wusste ich überhaupt nicht, was mich dort erwartet. Ich hab nicht …« Er suchte nach den richtigen Worten, ich sah ihn an, und mir wurde bewusst, dass er mir nicht sagen konnte, was er getan hatte.

»Ehrlich?«, fragte ich vorwurfsvoll und schockiert.

»Es ist nicht so, wie du denkst.« Dann fügte er ausweichend hinzu: »Ach, ich möchte lieber nicht ins Detail gehen.« Einen Augenblick schwiegen wir beide. Ich starrte aus dem Fenster auf die Silhouetten der Bäume und die gelegentlich vorbeihuschenden erleuchteten Häuser.

»Macht dir das wirklich was aus?«, fragte Evan schließlich.

»Was?«

»Dass ich bei einer von Jakes Partys womöglich ein Mädchen geküsst habe.«

Ich zögerte. »Ich hab einfach nicht gedacht, dass du der Typ bist, der so was macht«, antwortete ich dann leise.

»Bin ich auch nicht«, versicherte er mit Nachdruck. »Deshalb war ich ja auch nur ein einziges Mal dort, und ich hab auch nicht das getan, was du dir wahrscheinlich vorstellst. Das interessiert mich nicht. Die Entscheidung, mit jemandem zusammen sein zu wollen, ist viel zu wichtig, als dass man sie aufs Geratewohl bei einer Party treffen könnte.«

Ich lachte verlegen, riss mich aber gleich wieder zusammen.

»Was ist so lustig?«

»Darüber kann ich nicht mit dir sprechen«, antwortete ich mit dem gleichen unbehaglichen Kichern. »Das ist zu schräg. Sorry.«

»Findest du es schräg, über Sex zu sprechen?«

»Nein, aber mit dir darüber zu sprechen, das finde ich schräg«, erklärte ich. »Können wir bitte das Thema wechseln?«

»Du hast also noch nie …«, setzte er erneut an.

»Evan!«, fiel ich ihm ins Wort.

»Natürlich nicht«, folgerte er.

»Aber du schon?«, fragte ich, bevor ich mir auf die Zunge beißen konnte.

»Ich dachte, wir reden nicht darüber.«

»Tun wir auch nicht«, sagte ich und drehte mich wieder zum Fenster. Bis wir vor Saras Haus hielten, sagte keiner von uns ein Wort.

»Möchtest du immer noch, dass ich mit reinkomme?«, fragte er.

»Möchtest du immer noch mit reinkommen?«, fragte ich zurück.

»Natürlich.«

»Dann komm.«

Wir folgten Sara und Jason ins Haus. Ehe wir alle die Treppe hinaufgingen, sagte Sara ihren Eltern Bescheid, dass wir wieder da waren.

»Würde es dir was ausmachen, wenn Jason und ich in meinem Zimmer einen Film anschauen?«, flüsterte Sara mir zu, als wir ein paar Schritte hinter den Jungs in den zweiten Stock hinaufstiegen.

»Ist das dein Ernst?«, fragte ich zurück. Sie sah mich aus großen Augen flehend an. »Na gut«, gab ich nach, und sie lächelte dankbar.

Sara beugte sich zu Jason hinunter, der sich bereits auf der Couch niedergelassen hatte, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er grinste, stand auf und folgte ihr in ihr Zimmer. Evan sah mich fragend an, offensichtlich versuchte er, sich einen Reim auf das Verhalten der beiden zu machen.

»Sie wollen nur ein bisschen allein sein«, erklärte ich, und er nickte wissend.

Ich setzte mich ans andere Ende der Couch. »Welchen Film wollen wir uns anschauen?«, fragte ich.

»Bleibst du diesmal wach?«

»Ja«, beteuerte ich und tat, als wäre ich beleidigt.

Evan suchte einen Film über eine Kleinstadt aus, in der Menschen auf unerklärliche Weise verschwanden.

Nach einer Weile spürte ich jedoch, wie erschöpft ich war. Ich nahm mir ein Kissen und rollte mich neben Evan auf der Couch zusammen – noch immer fest entschlossen, wach zu bleiben. Aber schon bald musste ich gegen meine schweren Augenlider ankämpfen, und schließlich kapitulierte ich.

 

»Emma«, flüsterte Sara und schüttelte mich sanft an der Schulter. Ihre Stimme hörte sich sehr weit weg an, und ich hatte nicht die geringste Lust aufzuwachen – es war viel zu gemütlich. »Em, es ist zwei Uhr früh.«

Jetzt war ihr Flüstern auf einmal wesentlich lauter und deutlicher. Ich ächzte leise, um zu signalisieren, dass ich sie gehört und auch verstanden hatte. Dann nahm ich plötzlich das Gewicht auf meinem Bauch und die Wärme an meinem Rücken wahr. Angestrengt blinzelte ich den Schlaf weg. Direkt hinter meinem Ohr wurde regelmäßig geatmet, und ich spürte einen warmen Hauch an meinem Hals. Langsam begann ich zu begreifen.

»Was machst du denn da?«, fragte Sara. Überrascht schaute ich hinter mich.

»Sara«, flüsterte ich, »wie konntest du das zulassen?« Behutsam entfernte ich den Arm von meiner Taille und ließ mich von der Couch gleiten. Vorwurfsvoll starrte ich Sara an.

»Ich? Ich hab überhaupt nichts getan«, flüsterte sie nachdrücklich. Ich schlich zur Treppe hinüber, Sara folgte mir.

»Ich bin eingeschlafen«, erklärte ich leise. »Aber ich hatte keine Ahnung, dass er noch da ist – schon gar nicht so!« Ich deutete auf seine entspannte Haltung im Schlaf.

Sara musste sich das Lachen verkneifen. »Em, ihr zwei saht so süß zusammen aus.« Ich schlug nach ihrem Arm.

»Hör auf damit, Sara!«, knurrte ich. »Was soll ich denn jetzt tun?«

»Ihn wecken und rausschmeißen.«

»Warum machst du das nicht?«

»Weil er dir gehört.« Lachend verschwand sie in ihrem Zimmer.

»Sara!«, rief ich ihr in drohendem Flüsterton nach.

Seufzend blickte ich zur Couch. Evan wirkte tatsächlich sehr friedlich, wie er da so zusammengekuschelt auf der Seite lag. Ich kniete mich vorsichtig neben seine Füße, sah ihm ein paar Minuten beim Schlafen zu und nahm dann all meinen Mut zusammen.

Vorsichtig stupste ich ihn mit dem Fuß gegen den Oberschenkel.

»Evan«, rief ich leise. Als er nicht darauf reagierte, stupste ich ihn ein bisschen fester. »Evan, du musst aufwachen.«

»Hmmmm«, ächzte er und spähte schlaftrunken unter seinen langen Wimpern hervor. Dann sah er zu mir empor und lächelte. »Hi.« Wohlig streckte er die Arme über den Kopf und drehte sich auf den Rücken, um mich richtig anschauen zu können.

»Hi«, antwortete ich flüsternd.

»Wie spät ist es?«, fragte er mit verschlafener Stimme.

»Zwei Uhr früh.«

»Nein!«, erwiderte er ungläubig und richtete sich auf. »Warum hast du mich schlafen lassen?«

»Ich? Ich glaube, ich bin vor dir eingeschlafen.«

»Ja, stimmt.« Jetzt erinnerte er sich wieder.

»Bist du fit genug, um nach Hause zu fahren?«

»Warum? Würdest du mich hier übernachten lassen?«

»Nein«, gab ich zu. »Ich wollte nur fürsorglich klingen.« Er grinste amüsiert – offensichtlich war er inzwischen hellwach.

»Hab ich dich von der Couch geschubst?«, fragte er in dem Versuch, sich zu orientieren.

»Ich hab tief und fest geschlafen«, antwortete ich, ohne wirklich auf seine Frage einzugehen.

Evan stand auf, streckte sich wieder, suchte seine Schuhe und zog sie an.

»Sehen wir uns … heute?«, fragte er, während er seine Jacke von der Stuhllehne nahm.

»Ich muss um vier nach Hause, also spätestens um drei wieder hier sein. Möchtest du vielleicht lieber schlafen?«

»Nein, es ist Sonntag. Das ist mein Tag – ist es okay, wenn ich dich um zehn abhole?«

»Ich glaube, elf wäre besser«, entgegnete ich, denn Sara und ich wollten bestimmt ausschlafen. Außerdem mussten wir noch unsere Neuigkeiten austauschen.

»Erst um elf? Wie wäre es mit halb elf?«, bettelte er.

»Na gut.«

Ich stand auf, um ihn zur Tür zu begleiten, und wir schlichen auf Zehenspitzen die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, um Saras Eltern nicht zu wecken. Ich blieb stehen, während er zur Tür ging. Dort drehte er sich noch einmal um und sah mich schweigend an. Ich stand mit verschränkten Armen da und wartete auf die kalte Luft, die mir gleich durch die offene Tür entgegenwehen würde. Sein Zögern machte mich nervös und rief ein seltsames Prickeln in meinem Bauch hervor.

»Gute Nacht«, flüsterte ich schließlich, in der Hoffnung, dass er sich damit in Bewegung setzte.

»Gute Nacht«, antwortete er und ging hinaus.

Ich schloss die Tür hinter ihm ab und eilte die Treppe hinauf in Saras Zimmer. Sie lag im Bett und wartete schon auf mich.

»Hat er dich geküsst?«, fragte sie aufgeregt.

»Nein! Sara, du kannst mir nicht solche Fragen stellen – zumindest nicht so, als würdest du hoffen, er hätte es getan – und mir hinterher erklären, wir dürften nicht zusammen sein.«

»Du hast recht«, räumte sie seufzend ein. »Ich verspreche dir, dass ich konsequenter sein werde. Aber ich möchte so gern, dass du ihn küsst.«

»Dann behalte diesen Wunsch für dich. Gute Nacht, Sara.«

Nachdem ich mich bettfertig gemacht hatte, schlüpfte ich unter die Decke und versuchte, den Schlaf herbeizuzwingen, damit ich nicht darüber nachdenken konnte, ob ich von Evan geküsst werden wollte.