27 WärMe
Ich erspähte seine zerzausten goldbraunen Haare in der Menschenmenge und drängte mich zu ihm durch, so schnell ich konnte. Doch sosehr ich mich auch beeilte, ich erreichte ihn einfach nicht. Das Gedränge wurde immer dichter, und plötzlich kämpfte ich mich durch Gestrüpp, das mir die Haut aufkratzte. Ich sah ihn vor mir, aber er blickte sich nicht um, und auf einmal wollten mir meine Beine nicht mehr gehorchen. Es kostete mich alle Mühe, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich durfte ihn nicht gehen lassen! Mein Herz klopfte wild vor Angst, ihn aus den Augen zu verlieren.
Plötzlich schwankte der Boden unter mir, und ich sah ihn nicht mehr. Der felsige Untergrund rutschte unter meinen Füßen weg. Ich wollte stehenbleiben, aber es war zu spät. Als ich mich festzuhalten versuchte, bekam ich nur eine Handvoll loser Erde zu fassen, meine Beine schrammten gegen den Stein und baumelten hilflos über dem finsteren Abgrund. Verzweifelt umklammerte ich die Felskante und versuchte, mich mit aller Kraft emporzuziehen. Kalte Furcht ergriff mich. Im selben Moment, in dem der Felsvorsprung zu bröckeln begann, sah ich ihn über mir stehen, aber als ich die eine Hand nach ihm ausstreckte, verlor die andere ihren Halt. Sein Gesicht verschwand, und ich stürzte in die Tiefe. Kurz bevor ich auf dem Boden aufschlug, fuhr ich im Bett hoch.
Die üblichen Begleiterscheinungen meines unruhigen Schlafs begrüßten mich – mein Puls raste, ich atmete schwer und war schweißgebadet. Aber diesmal liefen mir auch Tränen übers Gesicht. Ich ließ mich aufs Kissen zurückfallen und gab mich meinem Kummer hin, weinte und weinte, bis ich nicht mehr weinen konnte und erschöpft einschlief.
»Du siehst müde aus«, stellte Sara fest, als sie mich am nächsten Morgen abholte.
»Ich hab nicht besonders gut geschlafen«, erklärte ich und verdrängte die Erinnerung an den verstörenden Albtraum, der mich einfach nicht loslassen wollte.
»Meinst du, du bist fit genug für die Party heute Abend?«
»Ja, ganz bestimmt«, versprach ich. Allein schon der Gedanke an die Nacht in Kelli Mulligans Strandhaus versetzte mich in Alarmbereitschaft. Ich hatte keine Angst einzuschlafen – was mir Sorgen bereitete, war die Aussicht auf meine erste Party mit Drew seit dem Lagerfeuer am Strand.
»Na, bist du bereit für die Party heute Abend?«, fragte Drew, als wir uns auf dem Parkplatz trafen.
Sein Anblick zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht – so war es schon die ganze Woche, jedes Mal, wenn er mich morgens an Saras Auto abholte. Sara war zwar nicht unfreundlich zu ihm, gab sich aber auch keinerlei Mühe, ihn einzubeziehen – was völlig untypisch für sie war. Ich ignorierte ihr Verhalten und schmiegte mich an Drew.
»O ja«, antwortete ich gezwungen fröhlich. Warum stresste diese Party mich so sehr?
»Es wird bestimmt super«, meinte Drew und zog mich an sich.
Bevor wir im Schulflur getrennte Wege gingen, küsste er mich auf die Wange und flüsterte: »Wir sehen uns beim Lunch.«
»Vielleicht ist das der Grund«, überlegte Sara, als wir zu unseren Spinden gingen. »Bestimmt hat die Gehirnerschütterung dich verwirrt und dir endgültig den Verstand geraubt.«
»Wovon redest du?«
»Na, von der Tatsache, dass du Drew immer noch anhimmelst, als wäre er der Richtige.«
»Was genau ist eigentlich dein Problem?« Ich verstand beim besten Willen nicht, warum sie so bitter war.
»Ich mag dich nicht, wenn du mit Drew zusammen bist.«
»Was? Bin ich dann anders als sonst? Was hab ich denn falsch gemacht?«, fragte ich erschrocken.
»Du hast nichts falsch gemacht, ehrlich nicht. Du bist einfach nicht wie sonst. Es kommt mir vor, als würde irgendwas fehlen.« Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll.«
»Sara, warum machst du es uns beiden so schwer? Wenn ich irgendwas tue, wovon ich nichts weiß, dann sag es mir bitte, damit ich es ändern kann. Wenn ich nichts falsch mache, verstehe ich dein Problem mit mir und Drew nicht. Ich versuche, glücklich zu sein, und Drew macht mich glücklich. Noch glücklicher wäre ich allerdings, wenn du nicht so kritisch mit mir wärst. Ich möchte Spaß haben am Wochenende. Endlich können wir was zusammen unternehmen – ohne Angst und ohne Lügen. Freust du dich denn gar nicht darüber?«
»Doch, natürlich«, antwortete sie leise und zwang sich zu einem Lächeln. Das war immerhin ein Anfang. »Tut mir leid, Em. In letzter Zeit hat sich so viel verändert. Ich glaube, es fällt mir einfach schwerer als dir, das zu akzeptieren. Aber ich werde versuchen, mich für dich zu freuen.«
Sie zögerte, als wollte sie noch etwas hinzufügen, überlegte es sich dann aber anders. Ich ließ ihr Zeit zum Nachdenken.
»Ich werde dich nicht mehr kritisieren. Ich vertraue darauf, dass du weißt, was du tust, und ich werde dich unterstützen. Spätestens wenn wir heute Abend zu der Party gehen, werde ich mich freuen, das verspreche ich dir.«
»Danke.« Wir lächelten uns zu, bevor sie sich auf den Weg zum Unterricht machte.
Als wir uns beim Lunch wiedersahen, konnte ich bei Sara tatsächlich keine Anzeichen dafür feststellen, dass sie Vorbehalte gegen Drew und mich hatte. Sie war wieder ganz ihr überschwängliches, fröhliches Selbst. Sie plauderte über Kellis Party und zählte auf, wer kommen und wer dort übernachten würde. Da das Strandhaus nur zwanzig Minuten von Weslyn entfernt lag, hatte Kelli lediglich ein paar Mädchen zu ihrer Pyjama-Party eingeladen.
Saras gute Laune hielt auch den Rest des Tages an. Zu meiner freudigen Überraschung unterhielt sie sich sogar eine ganze Weile mit Drew. Er war wie immer sehr nett, und ich war erleichtert. Sara schien sich langsam mit der Idee anzufreunden, dass er jetzt mein Freund war.
Eine Beziehung mit Drew würde sich anders anfühlen, ich würde für ihn nicht dasselbe empfinden wie für Evan, das wusste ich. Aber so sollte es ja auch sein, oder etwa nicht? Doch als er mich vor dem Spiel ins leere Trainerzimmer zog, erlebte ich eine Überraschung. Ich war weder auf seine Verabschiedung gefasst noch auf meine Reaktion.
»Wir treffen uns dann so gegen acht bei Kelli, ja?«, vergewisserte er sich.
»Ja, das passt«, bestätigte ich.
Natürlich rechnete ich damit, dass er mich küssen würde, als er sich zu mir beugte. Er legte mir seine Hand in den Nacken, umschlang meine Taille und zog mich an sich. Ich spürte seinen warmen Atem, seine Zunge glitt in meinen Mund, und ich stöhnte schockiert auf, als ich merkte, welche Hitze die Berührung in meinem Inneren entfachte. Unsere Körper pressten sich aneinander, unsere feuchten Lippen bewegten sich leidenschaftlich. Als Drew mich schließlich losließ, musste ich erst einmal tief Luft holen.
»Wow«, hauchte er.
»Ja«, erwiderte ich leise.
Mein ganzer Körper pulsierte – dieses Gefühl war mir neu. Erst als mein Atem sich wieder beruhigt und der Schwindel sich gelegt hatte, konnte ich mich in Bewegung setzen.
»Ich muss los«, flüsterte ich und presste die Lippen zusammen. Sie kribbelten immer noch von unserem Kuss.
»Okay«, antwortete Drew. Dann beugte er sich erneut über mich, um mir einen kurzen Abschiedskuss auf den Mund zu drücken. Doch sobald wir uns berührten, ergriff uns erneut die Leidenschaft. Bevor ich mich ganz in dem Moment verlieren konnte, löste ich mich aus seiner Umarmung.
»Ich muss wirklich gehen«, beteuerte ich atemlos.
Er lächelte mir zu, und ich schlüpfte zur Tür hinaus.
»Warum bist du so rot im Gesicht?«, fragte Jill auf dem Weg zum Bus.
Ich berührte meine Wange und ich spürte, wie warm sie war. Leise grinste ich vor mich hin.
»Ich musste mich beeilen, um rechtzeitig hier zu sein«, behauptete ich. »Ms Holt wollte mit mir noch über meine Hausarbeit sprechen.«
Die Wärme und das Pulsieren hielten noch den größten Teil der Busfahrt an. Ich saß ganz hinten, lehnte meinen Kopf ans Fenster und starrte ins Nichts. Nicht einmal die Musik, die in voller Lautstärke aus meinen Kopfhörern wummerte, hörte ich wirklich. In Gedanken war ich immer noch bei unserem Kuss, und obwohl ich mich bemühte, ruhig zu atmen, erwischte ich mich mehrmals dabei, wie ich albern vor mich hin lächelte.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte Jill neugierig.
Ich zog mir einen Ohrstöpsel raus, um sie besser verstehen zu können.
»Du wirkst nicht so konzentriert wie sonst vor einem Spiel«, stellte sie fest. »Alles in Ordnung?«
Ich schüttelte meine Benommenheit so gut ich konnte ab.
»Ja«, antwortete ich in nüchternem Ton. »Alles bestens. Ich war nur in Gedanken woanders.«
»Ist nicht schwer zu erraten, bei wem«, lachte Jill. Ich ignorierte sie, steckte den Ohrstöpsel wieder rein und zwang mich nun doch zur Konzentration auf das bevorstehende Spiel.
Nach dem Spiel holte Sara mich an der Schule ab.
»Habt ihr gewonnen?«
»Natürlich«, antwortete ich grinsend.
»Mom hat für uns gekocht, also machen wir uns nach dem Essen für die Party fertig. Ich hab dir schon Klamotten rausgelegt.«
Nichts anderes hatte ich von ihr erwartet.
»Muss ich nervös sein?«
»Ich glaube, das bist du so oder so.«
Ich stöhnte.
Ich stöhnte erneut, als ich die Klamotten sah, die meine beste Freundin für mich ausgesucht hatte.
»Ein Kleid, Sara?«, fragte ich und starrte entsetzt auf das blau und grün gemusterte trägerlose Etwas, das zusammen mit einem blauen Cardigan ausgebreitet auf Saras Bett lag und schon dort extrem sexy wirkte.
»Diesmal musst du keine Absatzschuhe tragen«, betonte sie, vielleicht in der Hoffnung, dass mir das über den Mangel an Stoff hinweghelfen würde. Aber ich konnte meine Augen nicht von dem Kleid abwenden.
»Geh einfach schon mal duschen und überlass die Klamottenfrage mir«, ordnete sie an.
Ich gehorchte.
Da das schulterfreie Kleid durch rein gar nichts an Ort und Stelle festgehalten wurde, wollte ich die Strickjacke darüber zuknöpfen, aber Sara schob wortlos meine Hände weg. Ich warf ihr einen beunruhigten Blick zu, denn ich hatte beim Blick in den Spiegel außerdem festgestellt, dass das Kleid für meinen Geschmack ein ganzes Stück zu kurz war. Immerhin lenkte mich der Anblick von den riesigen Lockenwicklern in meinen Haaren ab.
»Entspann dich, du siehst super aus«, meinte Sara. »Und ich verspreche dir, dass es nicht runterrutschen wird. Es sitzt perfekt.«
»Wie ist das möglich? Du hast doch viel mehr Oberweite als ich.«
»Deswegen hab ich es nie getragen«, erklärte sie. »Sei niemals neidisch auf anderer Leute BH-Größe. Die kann nämlich ungeheuer nerven.«
Ich lachte. Irgendwie nahm ich ihr diese subtile Selbstkritik nicht ganz ab.
Sara entfernte die inzwischen abgekühlten Lockenwickler und zupfte die sanften Wellen mit den Fingern zurecht. So füllig waren meine Haare noch nie gewesen, und ich benötigte die ganze Autofahrt, um mich daran zu gewöhnen.
»Hör auf, an deinen Haaren rumzuspielen«, ermahnte mich Sara, als wir in Kellis Einfahrt einbogen.
Das Strandhaus der Mulligans war atemberaubend – ein modernes zweistöckiges Haus ganz oben auf den Klippen. Wie ein Signalfeuer wies es uns den langen, steilen Zufahrtsweg hinauf. Aus der dem Meer zugewandten Fensterreihe drang ein hell schimmerndes Licht, das sich deutlich vom dunklen Abendhimmel abhob.
Sara und ich holten unsere Taschen aus dem Kofferraum und folgten der mit Steinen gepflasterten Auffahrt zu einem schmaleren Weg, der sich zum Haus emporschlängelte. Auf dem harten Stein hallten unsere Absätze weit durch die Nacht. In meinem Bauch grummelte es nervös, als Sara auf die Klingel drückte.
»Hey, Sara! Und Emma!«, begrüßte Kelli uns aufgeregt, als sie die Tür öffnete. »Kommt rein.«
Wir betraten eine kleine Diele, die von einer großen, mehrarmigen Deckenlampe beleuchtet wurde. Über eine kurze Treppe gelangten wir hinauf in einen Raum, bei dessen Anblick mir fast der Mund offen stehenblieb: eine elegante, ganz in Weiß und Chrom gehaltene Küche mit einer gigantischen Kochinsel und einer Bar, die an einen geräumigen Wohnbereich grenzte, von dem aus man einen umwerfenden Blick auf das Meer genoss. In dem großen Steinkamin prasselte ein Feuer, an der Fensterwand stand ein stilvoller Chromtisch mit Glasplatte. Eine weitere Sitzecke war um ein hochkomplexes Entertainmentsystem am anderen Ende des Zimmers arrangiert. Ich erkannte die meisten der vierzig, vielleicht auch fünfzig Leute, die sich im Raum verteilt hatten.
Wir folgten Kelli durch die Küche und einen langen Flur hinunter. Sie öffnete die letzte Tür, und wir betraten ein helles, weißes Schlafzimmer, ebenfalls mit Panoramafenstern zum Meer. In dem Raum waren zwei mit weißblauen Kissen ausstaffierte Doppelbetten, vor einem kleinen Kamin stand eine Chaiselongue. Durch eine Tür gelangte man direkt in ein eigenes kleines Badezimmer.
»Hier werdet ihr übernachten«, erklärte Kelli und reichte Sara einen Schlüssel. »Damit ihr euch nachher keine Sorgen machen müsst, dass plötzlich jemand reinplatzt«, meinte sie mit einem ironischen Grinsen. »Kommt zu uns, wenn ihr so weit seid, und fühlt euch ganz wie zu Hause.«
»Beeindruckend, was?«, meinte Sara, als Kelli gegangen war. Ich betrachtete mit großen Augen die dunklen Wellen, die weit unter uns an die Klippen schlugen. »Unglaublich.«
Wir ließen unsere Taschen im Zimmer und gesellten uns zu den anderen. Diese Party ähnelte in keiner Weise den beiden anderen, auf denen ich gewesen war. Alle hier waren gekleidet, als würden sie ein schickes Restaurant besuchen – oder vielleicht auch einen Nachtclub. Die Mädchen zeigten möglichst viel nackte Haut, die sie mit glitzernden Halsketten und Ohrringen noch betonten, während die Jungs maßgeschneiderte Anzüge trugen und ihre Haare mit mehr Styling-Produkten bearbeitet hatten, als ich besaß. Jetzt verstand ich auch Saras Kleiderwahl, obwohl ich nicht vorhatte, meinen Cardigan im Lauf des Abends abzulegen.
»Wie war dein Spiel?«, fragte Drew, schlang beide Arme um meine Taille und küsste mich kurz auf den Mund. Wärme durchströmte mich bei der Berührung seiner Lippen, und sofort musste ich wieder an unsere heiße Begegnung am Nachmittag denken.
»Wir haben gewonnen«, antwortete ich lächelnd und wurde ein bisschen rot.
Er nahm meine Hand und führte mich in die Küche. Dort stand schon Sara und begrüßte einen nach dem anderen, während wir uns einen Weg durchs Zimmer bahnten. Sie nahm sich ein Glas Sekt, und Drew holte sich ein Bier. Plötzlich hatte ich ein ungutes Gefühl.
»Was möchtest du?«, erkundigte sich Drew, wobei er mich an sich zog, um mir ins Ohr flüstern zu können.
»Erst mal nichts, danke«, antwortete ich und schaute mich nervös um. So gut wie alle um mich herum hielten Gläser in der Hand, höchstwahrscheinlich mit irgendetwas Alkoholischem gefüllt. Der Gedanke, mich mit womöglich angetrunkenen Fremden unterhalten zu müssen, machte mich noch nervöser. Das würde bestimmt interessant.
»Bist du sicher?«, hakte Drew nach. »Ich muss auch nichts trinken, wenn dir das unangenehm ist.«
Darauf wusste ich keine Antwort. Natürlich war es mir unangenehm. Ich hatte oft genug miterlebt, wie meine betrunkene Mutter die Kontrolle verlor. Zwar schien es auf allen Partys Alkohol zu geben, aber das änderte nichts an meiner Abneigung dagegen. Konnte ich ihn wirklich bitten, nichts zu trinken?
»Musst du nachher noch fahren?«, war das Erste, was aus meinem Mund kam.
»Nein. Ich übernachte mit ein paar Jungs im Gästehaus.«
Er übernachtete auch hier? Mir stockte der Atem. Er würde die ganze Nacht über in meiner Nähe sein – und das nach dem Kuss heute Nachmittag. Aber damit würde ich schon klarkommen, richtig?
»Ich trinke keinen Alkohol«, erklärte ich mit einem entschuldigenden Achselzucken.
»Das ist völlig okay«, sagte er und stellte seine Bierflasche weg. »Ich muss auch nichts trinken.« Dann küsste er mich zärtlich auf den Mund und flüsterte mir ins Ohr: »Ich brauche keinen Alkohol, um in die Gänge zu kommen.« Mir wurde heiß. Allmählich fragte ich mich, ob ich tatsächlich klarkommen würde.
Da Sara verschwunden war, folgte ich Drew zur Sitzecke, wo sich ein paar seiner Freunde übers Surfen unterhielten. Er legte wieder den Arm um meine Taille, und ich lauschte ihren Geschichten, die weit unterhaltsamer waren, als ich erwartet hätte.
Ein Weilchen später entdeckte ich Sara mit ein paar Mädchen aus der Fußballmannschaft in der Nähe der Küche und sagte Drew, dass ich gleich zurückkommen würde.
»Hi«, sagte ich, als ich auf die kleine Gruppe zuging.
»Hi, Emma«, begrüßte mich Katie. »Du siehst echt toll aus.«
»Danke«, antwortete ich verlegen. »Du auch.« Sie trug ein trägerloses weißes Top, eine enganliegende schwarze Hose und schwarze Riemchenschuhe – nie im Leben hätte ich auf diesen hohen Absätzen laufen können, aber ihr bereiteten sie offensichtlich keine Probleme.
»Wo ist Drew?«, erkundigte sich Sara.
»Er unterhält sich mit ein paar Freunden«, erklärte ich und wies mit dem Kopf zu der Gruppe lachender Jungs hinüber.
»Seid ihr zwei jetzt offiziell zusammen?«, wollte Lauren wissen.
»Was meinst du damit?«, fragte ich, unsicher, was genau sie unter »offiziell« verstand. Anscheinend gab es Regeln, die ich nicht kannte.
»Geht ihr auch noch mit anderen aus?«, formulierte Lauren ihre Frage um.
»Ich nicht«, antwortete ich und sah zu Drew hinüber, der ganz ins Gespräch vertieft war. Ob er wohl mit anderen Mädchen ausgehen wollte? Und wenn ja, wäre das in Ordnung für mich? Unvermittelt krampfte sich mein Magen zusammen.
»Darüber haben wir noch gar nicht geredet«, gestand ich.
»Du solltest ihn unbedingt fragen, was er erwartet, Em«, riet mir Sara, und die anderen Mädchen nickten zustimmend.
»Sonst machst du dir falsche Hoffnungen und wirst später enttäuscht«, fügte Jill hinzu. »Drew spricht nicht über seine Eroberungen, aber wer weiß, mit wem er sich nebenbei noch so trifft.« Mein Blick fiel auf Katie, die bei diesen Worten den Blick senkte und rot wurde.
»Deshalb war ich auch ziemlich überrascht, als ich von eurem Kuss gehört habe«, bemerkte Lauren. »Sonst erfahre ich nie irgendetwas über Drew.«
»Wahrscheinlich war es diesmal anders, weil es um Emma ging«, meinte Sara. »Mit ihr ist es ein größeres Ding – das konnte er wohl nicht für sich behalten.«
Mir war dieses ganze Gespräch über Drew und mich unangenehm, und ich versuchte das Thema zu wechseln.
»Übernachtet ihr auch hier?«, fragte ich die anderen Mädchen, aber sie waren so damit beschäftigt, meine Beziehung mit Drew zu analysieren, dass sie meine Frage überhörten.
»Ich kenne seine Freunde«, meldete sich schließlich auch Katie zu Wort. »Glaubt mir, er ist nicht so unschuldig, wie er immer tut.« Obwohl sie sich nicht direkt an mich wandte, hörte ich die Warnung heraus. Ich musterte sie argwöhnisch, aber sie wich meinem Blick immer noch aus.
Auch Sara war Katies eindringlicher Tonfall nicht entgangen. »Weißt du irgendwas Genaueres, Katie?«
»Nein – ich war nur öfters dabei, wenn Drew und seine Jungs zum Surfen nach Jersey gefahren sind. Sie haben alle mit den Mädchen dort geflirtet. Ich war mal mit Michaela dort, sie hatte gerade was mit Jay angefangen. Er hatte sie eingeladen, aber als wir dann da waren, hat er sie kaum beachtet und sich stattdessen an ein anderes Mädchen aus der Stadt rangemacht. Er fand das ganz selbstverständlich und hat auch nicht verstanden, warum Michaela sauer war, als er noch in derselben Nacht mit ihr schlafen wollte.«
»Das heißt aber nicht unbedingt, dass sie alle so sind«, erwiderte Jill. Katie zuckte die Achseln. Sie hatte uns nicht alles gesagt, da war ich mir plötzlich ganz sicher.
»Em, komm mit«, forderte Sara mich auf. »Ich brauch noch was zu trinken.«
Ich holte eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank, während Sara ihr Glas nachfüllte, und wartete darauf, dass sie mir verriet, warum sie mich wirklich von den anderen Mädchen weggelotst hatte.
»Ich glaube, Katie hatte mal was mit Drew«, erklärte sie schließlich. »Vielleicht hat sie sogar immer noch was mit ihm.«
»Meinst du wirklich?«
Sie machte ein nachdenkliches Gesicht. »Möglich. Irgendwas stimmt an der ganzen Sache jedenfalls nicht. Ich weiß, dass er mit zwei von den Mädchen hier zusammen war.«
»Sag mir bitte nicht, mit wem«, beschwor ich sie.
Ich hätte es nicht ertragen, etwas von Drews Eroberungen zu hören, allein der Gedanke verschlimmerte den Krampf in meinem Magen. Wieder blickte ich zu ihm hinüber, aber die Gruppe von Jungs hatte sich aufgelöst, und es dauerte einen Moment, bis ich ihn in der Menge ausfindig machen konnte. Endlich sah ich, dass er sich mit Kelli und einem anderen Mädchen unterhielt, das ich nicht kannte. Mein Magenkrampf verwandelte sich in eine höchst unwillkommene Eifersucht. Schnell verdrängte ich das Gefühl – kein Grund zur Panik. Das Gerede der Mädchen hatte mich auf dumme Gedanken gebracht, ich musste die Unsicherheit abschütteln.
»Rede einfach mit ihm darüber, dann gibt es keine Missverständnisse«, beharrte Sara. »Willst du denn eine feste Beziehung mit ihm?«
Noch so eine Frage, über die ich bisher nicht nachgedacht hatte. Ich hatte Drew in einem unachtsamen Moment in mein Leben gelassen, und jetzt, da ich wieder achtsam war, wusste ich überhaupt nicht mehr, was ich denken sollte. Inzwischen war es für mich selbstverständlich, dass wir uns jeden Tag sahen. Mir war gar nicht in den Sinn gekommen, er könnte sich auch für andere Mädchen interessieren. Aber als ich mich jetzt umschaute und all die anderen Wahlmöglichkeiten sah, verstand ich die Versuchung und begann, meine Beziehung zu ihm zu hinterfragen.
»Ich weiß es nicht«, gestand ich offen. »Das habe ich mir noch nie richtig überlegt.«
»Dachte ich mir.« Ich wartete darauf, dass Sara weitersprach, aber sie schwieg.
In diesem Moment kam Jay auf uns zu. »Hey, Sara. Schön, dich zu sehen.«
»Hi, Jay«, grüßte Sara zurück.
»Kommt ihr zwei im Frühjahr mit zum Surfen nach Jersey?«
Die Vorstellung, mit Drew jetzt auch noch Pläne für die Zukunft zu machen, überforderte mich vollkommen. Ich hatte ausschließlich in der Gegenwart gelebt. Mir fiel es schon schwer, das Gerede über unseren Beziehungsstatus zu verdauen, da konnte ich nicht auch noch einen Surf-Trip mit ihm und seinen Freunden planen.
»Schauen wir mal«, antwortete ich mit einem lässigen Schulterzucken.
»Ach komm schon. Es wird euch gefallen.«
»Bis dahin kann viel passieren«, meinte Sara, die meine knappe Antwort sofort richtig interpretiert hatte.
»Wohl wahr«, stimmte Jay zu. »Aber egal – ich würde euch auf jeden Fall gerne auf einem Surfbrett sehen. Und im Bikini.« Er lachte. Fassungslos starrte ich ihn an, während Sara lediglich die Augen verdrehte.
»War nur ein Witz«, versuchte er sich zu rechtfertigen.
»Hey«, hörte ich im selben Moment Drews Stimme hinter mir, und schon lagen seine Arme wieder um meiner Taille.
»Ich habe die beiden gerade gefragt, ob sie im Frühjahr mit uns surfen gehen«, erklärte ihm Jay.
»Ach ja? Willst du, dass ich dir das Surfen beibringe?« Drew trat neben mich, um mir ins Gesicht zu sehen.
»Vielleicht«, antwortete ich achselzuckend, denn ich wollte ihm hinsichtlich unserer gemeinsamen Zukunft auf keinen Fall etwas vormachen.
»Sie glaubt anscheinend nicht, dass ihr dann noch zusammen seid«, sagte Jay lachend.
»Jay!«, rief Sara entsetzt und schlug ihm auf den Arm.
»Autsch!« Er rieb sich die Stelle, die sie erwischt hatte. »Was ist denn los?«
»Das hat Em nicht gesagt«, fuhr sie ihn an. Dann wandte sie sich Drew zu und verdrehte erneut die Augen. »Er ist ein Idiot.«
Drew musterte mich prüfend.
»Willst du mich etwa schon abservieren?«
»Aber nein!«, erwiderte ich fest. »Ich hab wirklich nichts dergleichen gesagt. Vielen Dank auch, Jay!« Jay hob verteidigend die Hände – eine Geste, die anscheinend ziemlich typisch für ihn war.
Drew nahm mich bei der Hand und zog mich ein Stück den Flur hinunter. Hier war es deutlich ruhiger. Mein Magen rebellierte, so nervös machte mich die Aussicht, diese Unterhaltung gerade jetzt führen zu müssen.
»Was ist los?«, fragte Drew.
»Gar nichts«, versicherte ich ihm, aber offensichtlich beruhigte ihn mein Tonfall nicht.
»Ich möchte lieber nicht hier darüber reden.« Ich warf einen Blick in das Zimmer mit all den neugierig gespitzten Ohren und verstohlenen Blicken, die uns zugeworfen wurden.
Drews Augen wurden schmal. Anscheinend hatte ich etwas Falsches gesagt. Dieses Gespräch verlief nicht sonderlich gut. Aber ich kam auch nicht dahinter, womit ich ihn so verärgert hatte.
Wortlos nahm er wieder meine Hand, führte mich die Treppe hinunter und durch die Haustür nach draußen. Vom Meer her kam ein kalter Wind. Ich fröstelte und schlang die Strickjacke enger um mich.
»Wo gehen wir hin?«, fragte ich, während wir die Auffahrt überquerten.
»An einen Ort, an dem wir reden können.«
Durch eine Lücke zwischen den Bäumen sah ich eine kleine Hütte. Drew zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloss die Tür auf. Im Inneren gab es nur ein Zimmer mit einer Wohnküche, einer Sitzecke, zwei schmalen Doppelbetten an der hinteren Wand und einer Leiter, die zu einem Hochbett hinaufführte. Alles war im maritimen Stil von New England gehalten, überall Muscheln und Bilder von Segelbooten – das absolute Gegenprogramm zum eleganten, modernen Design des Haupthauses.
Drew schloss die Tür hinter uns und wandte sich mir zu. Sein besorgter Gesichtsausdruck überraschte mich – anscheinend hatte das Missverständnis mit Jay ihm tatsächlich etwas ausgemacht. Jetzt wusste ich erst recht nicht mehr, was ich sagen sollte.
»Kannst du mir bitte erklären, worum es da gerade ging?«
»Es tut mir leid«, antwortete ich, sah aber plötzlich Panik in seinen Augen aufflackern. Schon wieder die falsche Wortwahl! Was zur Hölle machte ich bloß verkehrt? »Die Mädels haben mir nur Ratschläge gegeben, die mich verunsichert haben. Es war bescheuert, echt.« Ich hoffte, mein abschätziger Ton würde ihn beruhigen, aber er blieb angespannt.
»Weswegen wolltest du ihren Rat?«
»Ich wollte ihn gar nicht«, erklärte ich schnell. Diese Unterhaltung gestaltete sich noch schwieriger, als ich gedacht hatte. »Sie haben mich gefragt, ob wir beide offiziell zusammen sind, und ich hab ihnen gesagt, dass wir darüber noch nicht wirklich geredet haben. Sie waren der Meinung, dass ich dich darauf ansprechen sollte. Auf die Art und Weise würde ich herausfinden, ob du noch mit jemand anderem ausgehst. Es war lächerlich, und ich hätte nicht auf sie hören sollen.«
»Hm«, machte Drew nur, und ich gab ihm etwas Zeit, meine Worte zu verdauen. Seine Schultern entspannten sich ein wenig, aber er sah immer noch beunruhigt aus.
»Und, sind wir zusammen?«, wollte er dann schließlich wissen.
Mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet.
»Was heißt das genau?«, antwortete ich mit einer Gegenfrage.
Schon wieder ein Fehlgriff. Er blinzelte erschrocken.
»Wärst du lieber mit jemand anderem zusammen?«, erkundigte er sich vorsichtig.
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Natürlich wollte er hören, dass es für mich keinen anderen gab als ihn, aber ich brachte die Worte einfach nicht über die Lippen und schüttelte nur stumm den Kopf. Eine glatte Lüge.
»Und du, möchtest du eine andere?«, antwortete ich erneut mit einer Gegenfrage, völlig verunsichert, weil mir gerade einige Gründe durch den Kopf gingen, warum er womöglich keine feste Beziehung wollte.
»Nein«, antwortete er, ohne zu zögern. »Aber warum glaubst du dann nicht, dass wir im Frühjahr noch ein Paar sind?«
Jetzt waren wir also wieder bei dieser Frage angelangt. Ich holte tief Luft, um Zeit zu schinden.
»Das habe ich nie gesagt.«
»Dann glaubst du es also?«
Wie sollte ich darauf ehrlich antworten, ohne dass er mich wieder missverstand? Ich schaute in seine verstört dreinblickenden hellgrünen Augen, und plötzlich musste ich grinsen. Es war Zeit für ein Ablenkungsmanöver. Wortlos trat ich einen Schritt näher, schlang meine Arme um seinen Hals und zog ihn an mich. Er leistete keinen Widerstand, als ich ihn küsste.
Lächelnd sah er mich an, und seine Grübchen kamen zum Vorschein. Im Handumdrehen lagen seine weichen Lippen wieder auf meinen, und eine vertraute Wärme breitete sich in mir aus. Wieder und wieder küsste er mich, immer dichter zog er mich zu sich heran. Die pulsierende Hitze, die seine Berührungen in mir auslösten, raubte mir fast den Atem.
Sein Körper presste sich an meinen, und ich stöhnte leise vor Erregung, als seine Hände sich noch fester um meine Taille legten. Ohne auch nur eine Sekunde voneinander abzulassen, bewegten wir uns langsam durch den Raum, bis mein Bein gegen etwas Hartes stieß. Sanft drängte Drew mich auf eins der Betten. Mir war schwindlig, ich war benebelt, berauscht und unfähig, darüber nachzudenken, wo all das hinführen mochte. Drews Hand glitt über meinen Oberschenkel, und er zog mein Bein um seine Taille. Irgendwo in meinem Kopf schrillte eine Alarmglocke.
Aber Drew küsste meinen Hals, ein neuerlicher Schauer der Erregung durchlief meinen Körper, und die Alarmglocke war vergessen, ehe sie laut genug geworden war. Warm glitt seine Zunge über meinen Hals, während er mit geübten Fingern meine Strickjacke aufknöpfte und mein Dekolleté entblößte. Ich stöhnte vor Erregung und ließ mich von seiner Leidenschaft mitreißen. Sein Mund fand zurück zu meinem, seine Hand wanderte an der Außenseite meiner Schenkel entlang, höher und immer höher, bis sie sich schließlich zwischen meine Beine schob.
In diesem Moment drang ein lautes Klopfen an mein Ohr, und ein kalter Luftzug erfasste mich.
»Hoppla«, erklang eine männliche Stimme.
»Jay, verpiss dich!«, rief Drew, der immer noch auf mir lag, und wandte den Kopf zur Tür.
Blitzschnell machte ich mich von ihm los, zog mein Kleid über die Schenkel und zupfte meinen Cardigan zurecht. Drew blieb nichts anderes übrig, als sich ebenfalls aufzusetzen.
»Sorry, Mann«, sagte Jay mit einem ätzenden Grinsen. »Ich hatte ja keine Ahnung.«
»Verschwinde einfach.«
»Wir sehen uns dann drinnen.« Jay lachte im Hinausgehen und schloss die Tür hinter sich.
»Scheiße«, stöhnte Drew und ließ sich auf den Rücken fallen. »Tut mir echt leid.«
Von draußen hörte ich Saras Stimme: »Jay, hast du Emma gesehen?«
Hastig sprang ich vom Bett und strich mein Kleid glatt.
»Sie ist da drin.« Jay lachte wieder.
»Was ist los?«, fragte Drew beunruhigt und stützte die Ellbogen aufs Bett.
»Sara sucht nach mir.« Ich stellte mich vor den Spiegel, um meine Haare in Ordnung zu bringen.
»Willst du wieder nach drüben?« Ihm war die Enttäuschung deutlich anzuhören. Langsam stand er auf. Im selben Moment klopfte Sara an die Tür.
»Emma, bist du da drin?«, rief sie.
»Komm rein!«, antwortete Drew in leicht genervtem Ton.
Vorsichtig drückte Sara die Tür auf und spähte zu uns herein. Ich verdrehte die Augen – wie misstrauisch sie sich benahm! Skeptisch sah sie von mir zu Drew und wieder zurück, dann fiel ihr Blick auf das zerknitterte Bettzeug. Hundertprozentig würde sie mich deswegen später mit Fragen löchern.
»Ähm, wir wollten …« Sie stockte. »Ich hab dich gesucht.«
»Ich komme gleich«, versprach ich, denn ich war noch nicht bereit zu gehen. Ich spürte, wie die Hitze sich von meinen Wangen über mein ganzes Dekolleté ausbreitete.
»Okay, dann sehen wir uns gleich drüben«, antwortete Sara nach kurzem Zögern und zog die Tür hinter sich ins Schloss.
»Sorry, aber ich glaube, wir sollten lieber rübergehen, bevor alle nach uns suchen«, sagte ich.
»Ich könnte die Tür abschließen«, schlug er vor, zog meinen Cardigan ein Stück herunter und küsste mich auf die Schulter. Bevor ich mich erneut in dem Gefühlsstrudel verlieren konnte, wich ich einen Schritt zurück und zog die Jacke mit einem nervösen Lachen wieder zurecht. »Also gut, gehen wir«, gab Drew widerwillig nach.
Im Haupthaus wurden wir mit misstrauischen Blicken und vielsagendem Schmunzeln empfangen. Mir wurde eng um die Brust. Vielleicht glühte mein Gesicht immer noch so, dass mir alle sofort ansahen, was Drew und ich getrieben hatten. Ich hielt nach Sara Ausschau, entdeckte aber stattdessen Jay, der mich mit einem dämlichen Grinsen anglotzte. Am liebsten hätte ich es ihm aus dem Gesicht gewischt.
»Ich hole mir nur schnell was zu trinken«, rief ich Drew zu und bahnte mir einen Weg in Richtung Küche.
Noch bevor ich sie erreichte, hatte Drew in einer Ecke des Raums Jay in ein Gespräch verwickelt.
»Jetzt ist es wohl offiziell«, meinte Jill lachend.
»Was?!« Sie grinste mich vielsagend an und bestätigte damit meine schlimmsten Befürchtungen. Ich lief knallrot an.
»Komm, du weißt doch, dass Jay eine große Klappe hat«, meinte sie.
»Na super.« Beschämt schüttelte ich den Kopf. »Aus seinem Mund klang es bestimmt wesentlich schlimmer, als es war.«
»Ich kann mir kaum was Schlimmeres vorstellen.«
»Was soll das nun wieder heißen?«, fragte ich verwirrt.
Sie zögerte einen Moment, dann gab sie mir mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass ich ihr in eine stille Ecke neben den Küchenschränken folgen sollte. Mir wurde angst und bange.
»Er behauptet, er hätte Drew und dich beim Sex erwischt.«
»Wie bitte?!«, rief ich viel zu laut. Es war, als würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegziehen, und ich musste mich an der Arbeitsplatte festhalten. Die Leute in unserer Nähe unterbrachen ihre Gespräche und spitzten neugierig die Ohren.
»Wir haben uns nur geküsst«, erklärte ich in aufgebrachtem Flüsterton. »Das ist alles! Dieser verdammte Idiot!« Plötzlich wurde mir klar, warum uns bei unserer Rückkehr alle so angestarrt hatten. Mir drehte sich fast der Magen um.
»Sorry«, sagte Jill achselzuckend. »Jay erzählt gern Geschichten.« Ich konnte nur fassungslos den Kopf schütteln.
Während ich noch dabei war, ihr zu erklären, was Jay wirklich gesehen hatte, gesellte sich Sara zu uns.
»Ich wusste, dass du so etwas nicht tun würdest.« Sie klang erleichtert.
»Natürlich nicht!«, beteuerte ich. Allem Anschein nach führte Drew auf der anderen Seite des Zimmers gerade ein ähnliches Gespräch mit ein paar von den Jungs. Jay schüttelte nur dauernd den Kopf und hielt in seiner berüchtigten Unschuldspose die Hände in die Luft.
»Bitte lasst euch doch ein interessanteres Gesprächsthema einfallen als das, was Drew und ich nicht getan haben«, bettelte ich und versuchte, meinen rebellierenden Magen wieder zu beruhigen.
»Äh, na ja, Katie ist mit Tim irgendwohin verschwunden«, erzählte Jill.
»Echt?«, fragte Sara interessiert.
Ich verspürte nicht das geringste Interesse, mich darüber zu unterhalten, was zwei Leute miteinander machten, wenn sie alleine waren – zumal ich gerade selbst Opfer dieser Spekulationen geworden war. Deshalb zog ich mich unauffällig zurück, während Sara und Jill gnadenlos eine haarsträubende These nach der anderen in den Raum stellten. Ich setzte mich aufs Sofa vor dem Kamin und wollte nur noch unbehelligt ins Feuer starren. Doch stattdessen suchte mich ein verstörendes Déjà-vu heim.
»Ich hatte ihn auch mal«, riss Kelli mich aus meiner Trance, und mir stieg der süßlich-scharfe Geruch von Alkohol in die Nase. Seufzend versuchte ich mich innerlich zu wappnen.
»Du hast sooo ein Glück«, lallte Kelli weiter. »Drew ist echt ein toller Kerl.«
»Mhmm«, stimmte ich zu.
»Ich war nur einmal mit ihm im Bett«, gestand sie. Mein Rücken wurde starr. »Wir sind nie miteinander ausgegangen oder so.« Das sagte sie in einem Ton, als müsste es mich beruhigen. »Aber er ist umwerfend, oder?« Inzwischen war ich wie gelähmt.
»Ich bin so froh, dass ihr hier seid, du und Sara«, nuschelte Kelli und legte ihren Kopf auf meine Schulter. »Ihr seid die nettesten Mädels, die mir je begegnet sind.« Ich sah hinunter auf ihre kurzen braunen Haare, die genau an den richtigen Stellen stachlig abstanden, und auf ihr figurbetontes, tief ausgeschnittenes Cocktailkleid.
Na toll, Drew hatte also mit ihr und wahrscheinlich auch mit Katie geschlafen. Wie viele Mädchen in diesem Raum hatten sonst noch das Privileg einer Nacht mit Drew genossen? Ich wusste, dass er – anders als ich – vorher schon Beziehungen gehabt hatte. Aber anscheinend war eine feste Beziehung gar nicht nötig, um ihn kennenzulernen. Bei der Vorstellung, dass Drew mit diesem Mädchen intim gewesen war, wurde mir wieder übel. Ich durfte mich davon nicht verrückt machen lassen, aber ich konnte einfach nichts dagegen tun.
In dem Versuch, mich abzulenken und nicht ständig über Drews Vergangenheit nachzugrübeln, verlor ich irgendwann das Zeitgefühl. Wahllos unterhielt ich mich mit fremden Leuten über dieses und jenes und schaute sogar ein paar Jungs beim Armdrücken zu – was erstaunlich unterhaltsam war, vor allem, weil einer der Kontrahenten immer wieder zu schummeln versuchte, indem er von seinem Stuhl aufstand. Als Drew schließlich wieder zu mir stieß, waren die meisten unterwegs zu ihren Autos oder ihren Zimmern.
»Sorry, dass ich so lange weg war«, sagte Drew, setzte sich neben mich auf die Couch und legte den Arm um meine Schultern. Ich war längst bettreif und hatte gehofft, mich unbemerkt in mein Zimmer verdrücken zu können. Mir war nicht danach, mich an ihn zu kuscheln, ich hatte mich immer noch nicht von den Gedanken erholt, die mich den größten Teil des Abends beschäftigt hatten. Ich blieb kerzengerade sitzen. »Alles okay?«, fragte er sofort.
»Ja, ich bin nur müde«, wiegelte ich ab. Ich streckte mich, als hätte ich einen steifen Rücken, befürchtete aber, dass er meine Scharade durchschaute.
»Zu müde, um mit mir allein zu sein?«, flüsterte er dicht an meinem Ohr. Ich grinste; sein warmer Atem vertrieb die Fragen, die mich in den letzten Stunden gequält hatten. Auf einmal konnte ich mich ihm wieder zuwenden, und er begegnete mir mit einem sanften Kuss auf die Lippen.
»Und, wie sieht’s aus?«, drängte er. Ich grinste weiter und genoss die Wärme, die sich in mir ausbreitete. Anscheinend hatte er meine wortlose Antwort verstanden, denn er küsste mich erneut, länger diesmal, und zog mich näher an sich.
In diesem Moment hörte ich ein lautes Räuspern. Rasch löste ich mich von Drew, und als ich mich umblickte, sah ich Katie direkt hinter uns stehen. Überrascht setzte ich mich auf.
»Drew, kann ich kurz mit dir reden?«, fragte sie unschuldig. Sie schien ein bisschen unsicher auf den Beinen, stützte die Hände in die Hüften und lächelte kokett. Drew seufzte und sah mich fragend an. Ich zuckte die Achseln.
»Klar«, antwortete er, stand auf und folgte Katie zu einem ruhigen Plätzchen am Fenster vor dem Esstisch.
Ich ließ mich in die Couchpolster sinken – mein flauer Magen hinderte mich daran, den beiden zuzuschauen. Nach ein paar Minuten kam Drew zurück, offensichtlich tief in Gedanken versunken.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort eigentlich gar nicht wissen wollte.
»Darauf war ich jedenfalls nicht vorbereitet«, erklärte Drew etwas distanziert.
Ich konnte ihn nicht bitten, ins Detail zu gehen, aber seine Antwort beunruhigte mich. Auf einmal wollte ich unbedingt wissen, was Katie gesagt hatte. Drew bemerkte meine Anspannung wie immer sofort und ergriff meine Hand.
»Das ist eine lange Geschichte«, meinte er abwehrend und keineswegs hilfreich. »Ich glaube, ein paar Leute wollen den Whirlpool unten austesten. Hast du Lust?«
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete ich. Ich wollte nur dieses schreckliche Unbehagen loswerden und mich in mein Zimmer zurückziehen.
»Du willst echt schlafen gehen, stimmt’s?«
»Ja«, gestand ich. »Tut mir leid.«
»Schon in Ordnung, es ist ja auch ziemlich spät.« Er zögerte kurz, bevor er fragte: »Kann ich mich zu dir legen?«
Mir verschlug es den Atem. Das hatte ich definitiv nicht erwartet.
»Das wäre keine gute Idee.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, räumte er ein. »Kann ich dich wenigstens zudecken?«
Das Angebot war so süß, dass ich lachen musste. »Ich denke, das wäre okay.«
Ich suchte Sara wegen des Zimmerschlüssels, Drew folgte mir. Als Sara ihn hinter mir stehen sah, zog sie vielsagend die Augenbrauen hoch, aber ich warf ihr einen genervten Blick zu und wies ihre unausgesprochene Unterstellung mit einem energischen Kopfschütteln zurück. Jeder, der mich mit Drew in mein Zimmer verschwinden sah, würde mit Sicherheit dieselben Schlüsse ziehen, doch nach allem, was heute schon passiert und fehlinterpretiert worden war, kümmerte mich das nicht mehr.
Drew setzte sich im Gästezimmer auf einen weißen Stuhl, während ich mich im Bad bettfertig machte. Als ich in einem enganliegenden Top und gestreiften Boxershorts, die Zähne geputzt, das Gesicht gewaschen, wieder herauskam, grinste Drew mich an – wahrscheinlich weil er in diesem Augenblick mehr von mir zu sehen bekam als bisher.
Dann schlüpfte ich unter die Bettdecke, und er schloss die Tür ab.
»Damit niemand reinplatzt und auf falsche Ideen kommt«, erklärte er, als er meinen fragenden Blick sah.
»Du wolltest mich nur zudecken, weißt du noch?«
Drews einzige Antwort war ein Schmunzeln.
»Gute Nacht«, flüsterte er und beugte sich über mich. Bevor unsere Lippen sich berührten, zögerte er kurz, sein warmer Atem prickelte auf meiner Haut. Zärtlich drückte sich sein Mund auf meinen. Er küsste mich so lange, bis sich in meinem Kopf alles drehte. Dann zog er sich zurück, aber ich hielt die Augen geschlossen, genoss den sanften Schwindel und stieß, ohne mir dessen richtig bewusst zu sein, einen leisen Seufzer aus.
Ehe ich die Augen öffnen konnte, hatte er meine Lippen zurückerobert, energischer und fordernder diesmal. Ich erwiderte seine Leidenschaft, schlang die Arme um seinen Hals und zog ihn zu mir. Nur die Decke trennte uns, sein Körper lag auf meinem, während er fortfuhr, mich zu küssen. Als sein Mund meinen Hals hinabglitt, wölbte ich mich ihm entgegen. Seine Wärme und sein Verlangen waren so berauschend, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Ich reagierte nur noch auf das Pulsieren, das mich unweigerlich zu Drew hinzog.
Als er zu mir unter die Decke schlüpfte und ich ihn so dicht bei mir spürte, verschlug es mir den Atem. Ich begann leise zu keuchen. Meine Lippen schmeckten die salzige Haut an seinem Hals und entdeckten die empfindliche Stelle unter seinem Ohr. Auch sein Atem ging schnell und stoßweise, er drückte sich an mich, und seine Hand schob sich unter mein Tanktop. Doch als sein angespannter Körper sich immer energischer an meinen presste, riss mich ein ernüchternder Schock aus meiner Benommenheit – es war Zeit, auf die Bremse zu treten.
Unterdessen glitt Drews Hand meinen Oberschenkel hinab bis zu meinem Knie und brachte mich mit sanftem Druck dazu, mein Bein um seine Taille zu schlingen. Erneut löste Erregung die Alarmglocken in meinem Kopf ab. Ich rückte ein Stück von ihm weg, holte tief Luft und versuchte, in mich zu horchen. Drew blieb auf mir liegen, sah mir aber ins Gesicht, als suchte er nach einem Grund für mein plötzliches Innehalten. Als er sich über mich beugte und mich erneut küssen wollte, drehte ich den Kopf zur Seite.
»Warte, ich brauch mal eine Minute«, erklärte ich.
»Okay.« Er seufzte, ließ jedoch ohne Widerspruch von mir ab und setzte sich auf die Bettkante.
Nach einer Weile drehte er sich wieder zu mir und fragte: »Willst du, dass ich gehe?«
Seine grünen Augen musterten mich durchdringend. Ich schüttelte den Kopf.
»Aber du solltest trotzdem gehen«, fuhr ich fort, als er Anstalten machte, wieder zu mir unter die Decke zu schlüpfen. Zögernd nickte er, ließ jedoch enttäuscht den Kopf sinken.
»Na, dann gute Nacht«, sagte er leise und beugte sich zu mir, um mich noch einmal zu küssen.
»Ich glaube, das hast du schon erledigt«, erklärte ich mit einem Grinsen, ehe er zu nahe kam. »Gute Nacht.«
Langsam stand Drew auf und ging zur Tür. Bevor er das Zimmer verließ, gab er mir einen Moment Zeit, es mir anders zu überlegen. Dann schloss er die Tür hinter sich.
Kurz bevor ich einschlief, wurde ich von einem dumpfen Schlag geweckt. Wahrscheinlich sagte Sara dem Jungen, den sie gerade erst kennengelernt hatte, vor der Tür gute Nacht. Wieder hörte ich das dumpfe Stoßen gegen die Tür, und als sich auch noch schweres Atmen und Stöhnen dazu gesellte, hätte ich mich am liebsten unter der Bettdecke verkrochen. Noch ein paarmal polterte es, dann versprach Sara dem unbekannten Jungen mit leiser Stimme, ihn anzurufen, und kam endlich herein. Ich wandte ihr den Rücken zu und tat, als würde ich schlafen. Von ihren Erlebnissen an diesem Abend hatte ich bereits genug gehört, und ich verspürte nicht das geringste Interesse, ihr von meinen zu erzählen. Nach einer Weile schlief ich ein.
In den frühen Morgenstunden hatte ich wieder den Albtraum von Evan auf der Klippe. Diesmal sah ich sein Gesicht, bevor ich fiel, es war wutverzerrt. Ich flehte ihn an, mir zu verzeihen, mir Verständnis entgegenzubringen, aber er verschwand.
»Em?«, flüsterte Sara mit schläfriger Stimme. »Weinst du?«
Der Raum lag im Dunkeln, die Fensterläden ließen nur wenig Licht herein. Mit weit geöffneten Augen lag ich im Bett und blickte mich fieberhaft in der fremden Umgebung um. Tränen liefen mir über die Schläfen, ich war schweißgebadet. Schließlich setzte ich mich auf, und mein Herz fand endlich zu seinem normalen Rhythmus zurück.
»Du hast seinen Namen gerufen«, sagte Sara und rollte sich auf die Seite, um mich anzusehen.
»Wessen Namen?«
»Evans.«
Die Traurigkeit, die ich im Traum empfunden hatte, kehrte mit aller Macht zurück. Schnell wischte ich mir die Tränen vom Gesicht.
»Du vermisst ihn, stimmt’s?«
Ich schwieg.
»Du könntest ihn jederzeit anrufen, das weißt du, oder?«
»Nein, das kann ich nicht«, flüsterte ich kopfschüttelnd. Dann stand ich auf, ging ins Bad und schloss die Tür hinter mir.