30 stiMmungskAnOne
Ein strahlendes Lächeln erschien auf Evans Gesicht, als wir die Treppe herunterkamen, und ich konnte nicht anders, als zurückzulächeln.
»Das ist definitiv mein Lieblingspulli«, meinte er, als ich die letzte Stufe erreichte.
»Ich hab’s dir doch gesagt!«, rief Sara und erinnerte mich daran, wie lange ich gezögert hatte, den rosa Pulli zu kaufen, der sowohl am Dekolleté als auch am Rücken tief ausgeschnitten war. Mir wurde vor Verlegenheit ganz heiß.
Während wir unsere Jacken anzogen, wandte Evan sich an Sara und fragte: »Macht es dir was aus, wenn Emma und ich kurz eine Runde um den Block drehen, bevor wir losfahren? Ich muss sie was fragen.«
Sara sah zu mir hinüber, bevor sie antwortete: »Nein, kein Problem. Holt mich einfach ab, wenn ihr so weit seid.«
Mir blieb fast das Herz stehen. Ich konnte mir überhaupt nicht erklären, was er noch von mir wissen wollte. Als wir das Haus verlassen hatten, und er seine Frage endlich stellte, bestätigte sich meine Befürchtung.
»Diese Albträume, die du hast …«, begann er leise. »Darauf hat Sara mit ihrem Kommentar gestern angespielt, oder?«
Ich starrte zu Boden und ging wortlos neben ihm weiter.
»Tut mir leid«, sagte er und klang so traurig, dass ich den Kopf wandte und ihm in die Augen sah.
»Es ist nicht deine Schuld«, flüsterte ich.
»Aber ich werde es wiedergutmachen, versprochen«, meinte er mit einem sanften Lächeln.
Dann schlang er die Arme um meine Taille, und ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. Er drückte mich fester an sich, in meinem Inneren sprühten Funken, und mit jeder zarten Berührung unserer Lippen atmete ich ihn ein. Mir wurde schwindlig, als er den Kuss vertiefte, mit einem leisen Stöhnen schmiegte ich mich dichter an ihn. Doch im nächsten Moment hob er plötzlich den Kopf.
»Warum machst du das immer?«, fragte ich frustriert, denn ich wollte nicht, dass unser Kuss schon vorbei war.
»Wir stehen mitten auf der Straße«, meinte er grinsend, und ich ließ ihn widerstrebend los.
Auf dem Weg zurück zu Saras Haus konnte Evan überhaupt nicht aufhören zu grinsen. Ich musterte ihn neugierig.
»Das hätte ich einfach nicht von dir erwartet«, erklärte er. Als er mein erschrockenes Gesicht sah, fügte er schnell hinzu: »Oh, ich finde das alles andere als schlecht, glaub mir. Es ist nur … du bist interessant.«
Wenig später parkten wir gegenüber von Alison Bartletts Haus auf einer großen Wiese, die schon voller Autos stand. Das Haus selbst lag abgelegen und ohne direkte Nachbarn ungefähr eine Meile von der Straße entfernt – wahrscheinlich einer der Hauptgründe, warum die Party so angesagt war. Stimmengewirr und Musik schallten über die Wiese, als wir ankamen.
»Ich will nicht das fünfte Rad am Wagen sein«, sagte Sara. »Also gehe ich alleine rein und treffe euch dann drinnen.«
»Bist du sicher?«, fragte ich überrascht.
»Absolut.« Sie lachte. »Außerdem will ich sehen, wie die anderen reagieren, wenn ihr reinkommt.«
Kopfschüttelnd beobachtete ich, wie sie in Richtung des Lärms verschwand. Als Evan auf meine Seite des Autos kam, warf ich ihm einen nervösen Blick zu, aber er blieb vor mir stehen und nahm meine beiden Hände in seine.
»Bereit?«, fragte er.
Ich zuckte die Achseln. »Na klar.«
Er beugte sich zu mir herab und streifte mit seinen Lippen leicht meinen Mund. Sein Beinahe-Kuss ließ mich atemlos zurück und machte mir Lust auf mehr.
»Ich muss mich immer wieder daran erinnern, dass ich das jetzt tun kann«, erklärte er. »Küsse waren so lange tabu – ich muss mich erst mal umgewöhnen.«
»Du hast meine Erlaubnis«, flüsterte ich und zog ihn erneut an mich. Kurz bevor unsere Lippen sich berührten, rief jemand: »Heilige Scheiße! Evan Mathews?«
Mit einem entnervten Stöhnen löste ich mich aus unserer Umarmung.
»Moment. Und Emma Thomas? Das ist ja total verrückt.«
Widerwillig wandte ich mich dem Störenfried zu. Warum musste ausgerechnet er es als Erster erfahren?
»Hi, Jay«, begrüßte Evan ihn ungezwungen. Ich biss die Zähne zusammen.
»Hi«, sagte ich nur kurz, merkte aber, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg – so viel zu meiner Hoffnung, unauffällig ins Haus zu gelangen.
»Wie lange bist du denn schon wieder da?«, fragte Jay an Evan gewandt.
»Seit gestern.«
Jay zog die Augenbrauen hoch und sah zwischen Evan und mir hin und her. »Anscheinend verschwendet ihr keine Zeit, was?«
Mir blieb der Mund offen stehen. »Jay!«
»Ich mein ja nur«, erwiderte er mit seiner allzu vertrauten falschen Unschuldsmiene.
»Wollen wir reingehen?«, fragte Evan, ohne auf Jays Bemerkung einzugehen.
»Ja.«
Er nahm meine Hand, und gemeinsam gingen wir zum Haus. Im Vorgarten und auf den Stufen, die zur Haustür hinaufführten, saßen überall Leute. Durch die geöffnete Tür schallte ohrenbetäubend laute Musik. Bevor wir hineingingen, stieß ich einen tiefen Seufzer aus. Evan drückte meine Hand und lächelte mir aufmunternd zu, während Jay sich an uns vorbei ins Haus drängte.
Drinnen war es genauso schlimm, wie ich befürchtet hatte. Die Leute um uns herum gafften schamlos, tuschelten und zeigten sogar mit den Fingern auf uns, als wir uns einen Weg in die Küche bahnten. Viele der Jungs begrüßten Evan enthusiastisch, während die Mädchen uns größtenteils nur anstarrten und hinter vorgehaltener Hand miteinander flüsterten. Wie hatte ich mir nur einbilden können, es wäre eine gute Idee hierherzukommen?
»Ihr habt es tatsächlich geschafft!«, rief Sara, als wir uns in die Küche zwängten. »Na, jetzt weiß bestimmt jeder, dass ihr hier seid. Und Jay war echt der Erste, dem ihr begegnet seid?« Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Ganz unauffälliger Auftritt, das muss man euch lassen.«
Evan lachte, ich quittierte ihre ironische Bemerkung mit einem leisen Stöhnen.
»Das ist purer Wahnsinn«, sagte ich dann und ließ den Blick über die Menschenmasse schweifen, die immer noch ins Haus strömte. Sara nickte zustimmend.
»Willst du was zu trinken?«, fragte Evan dicht an meinem Ohr.
Ich nickte.
Evan machte sich auf die Suche nach der Bar und wurde schon nach wenigen Schritten von der Menge verschluckt.
»Emma!«, hörte ich in diesem Moment Jills Stimme. Als sie sich zu uns durchgedrängt hatte, sah sie sich verwundert um. »Wo ist denn Evan? Ich hab gehört, ihr seid zusammen gekommen.« Sara lachte.
»Er holt Getränke«, schrie ich zurück. Anscheinend musste ich mich damit abfinden, dass wir den ganzen Abend Gesprächsthema Nummer eins sein würden.
»Ich freue mich so sehr für euch!«, kreischte Jill. »Endlich! Ich hab gehört, er ist sofort zurückgekommen, als er von dir und Drew gehört hat.«
»Was?!«, rief ich schockiert. »Woher hast du das denn?«
Jill zuckte nur die Achseln.
»Ihr beide seid doch zusammen, oder?«, vergewisserte sie sich vorsichtig.
»Ja«, antwortete ich, fügte dann aber mit Nachdruck hinzu: »Und Drew hat nichts damit zu tun.«
»Auf dass die Gerüchte brodeln«, rief Sara vergnügt. Ich warf ihr einen bösen Blick zu.
Als Nächste näherte sich Lauren. »Hi«, sagte sie grinsend. »Du und Evan, ja? Das ist großartig!«
»Hi, Lauren«, erwiderte ich seufzend.
»Wo ist er denn?«, wollte auch sie sofort wissen.
»Er holt Getränke«, antwortete Jill an meiner Stelle.
»Können wir irgendwohin gehen, wo wir nicht ständig schreien müssen?«, fragte ich.
Jill deutete zur Terrasse. Ich überlegte kurz, auf Evan zu warten, aber das Gedränge und der Lärm gingen mir bereits so auf die Nerven, dass ich nickte. Evan würde uns bestimmt finden. Auf dem Weg durch die Tür hielten wir uns aneinander fest, um in dem menschlichen Labyrinth nicht verlorenzugehen.
Als wir endlich im Freien waren, atmete ich erleichtert die kühle, frische Luft ein.
»Sehr gut«, sagte Jill an mich gewandt. »Jetzt können wir dich alle hören. Wann ist Evan denn zurückgekommen?«
Ich war zwar darauf gefasst gewesen, aber die Ausfragerei machte mir trotzdem zu schaffen.
»Gestern.«
»Und?«, ermunterte Lauren mich. »Was ist passiert?«
Ich sah in ihre erwartungsvollen Gesichter und wusste nicht recht, was ich sagen sollte.
»Da seid ihr ja«, erklang hinter uns Caseys Stimme. Die anderen machten Platz, damit sie sich zu uns stellen konnte.
»Emma wollte uns gerade von ihrem Wiedersehen mit Evan erzählen«, erklärte Lauren.
»Evan ist zurück?«, fragte Casey ungläubig.
Die anderen lachten über ihre Ahnungslosigkeit.
»Wo bist du denn gewesen?«, erkundigte sich Jill mit argwöhnisch zusammengekniffenen Augen.
Casey zuckte verlegen die Achseln.
»Also, schieß los«, forderte Lauren mich auf.
»Äh … er hat sich entschuldigt, ich hab mich entschuldigt. Jetzt ist die Sache vom Tisch.« Die Mädchen starrten mich an, offenbar nicht erfreut über den Mangel an Details.
»Das war alles?«, fragte Casey.
»Was meinst du damit?«, erwiderte ich in unschuldigem Ton.
Lauren stöhnte frustriert. »Ich hätte gern gehört, wie er dich stürmisch in die Arme schließt, um Verzeihung anfleht und dich stundenlang küsst.« Die anderen brachen in Gelächter aus.
»Sorry«, entgegnete ich freundlich, aber bestimmt. »Darüber werde ich Stillschweigen bewahren.«
»Weiß er von Drew?« Jill verzog das Gesicht.
»Ja«, antwortete ich leise.
»Weiß er alles?«, hakte Casey nach. Ich verdrehte nur die Augen.
»Casey!«, rief Sara ärgerlich und verpasste ihrer Freundin einen leichten Schlag auf den Arm. »Du bist echt nicht auf dem Laufenden. Da ist nie was passiert!«
»Oh«, sagte Casey entschuldigend.
»Nur so als Warnung – er ist hier«, informierte mich Lauren. »Und er ist nicht mehr mit Katie zusammen. Sie haben sich getrennt. Donnerstagabend.«
»Das ist schon okay«, meinte ich. Es machte mir nichts aus, Drew wiederzusehen – egal ob mit oder ohne Katie.
»Sie haben sich getrennt?«, fragte Sara dagegen verblüfft.
»Definitiv«, murmelte Jill. Hellhörig geworden, warteten wir darauf, dass sie weiterredete.
»Jill, halt uns jetzt bloß nicht hin«, drohte Sara.
»Ihr müsst versprechen, es keinem weiterzuerzählen«, beschwor uns Jill, ließ uns aber nicht zu Wort kommen: »Drew hat Katie geschwängert.«
»Das ist nicht dein Ernst!«, rief Lauren entsetzt.
»Na ja, sie ist nicht mehr schwanger«, erklärte Jill, die es in vollen Zügen genoss, diesen brandheißen Klatsch weiterzugeben.
»Hat sie …?«, setzte Sara an, doch Jill zuckte schon die Achseln, bevor sie ihre Frage zu Ende formulieren konnte.
»Ich weiß nicht genau, was passiert ist. Entweder hat sie das Baby verloren, oder ihre Eltern wollten, dass sie es abtreiben lässt«, erklärte Jill abschätzig. Sie schien an der Wahrheit nicht im Geringsten interessiert. »Aber ich glaube, Drew war nur mit ihr zusammen, weil sie schwanger war. Als das Thema vom Tisch war, hat er sie sofort abserviert.«
»Moment mal«, unterbrach ich sie nachdenklich. »Wann ist sie denn schwanger geworden?«
Sara und Casey sahen mich an, offensichtlich ging ihnen dieselbe Frage durch den Kopf.
»Nicht während ihr zusammen wart«, erklärte Jill. »Anscheinend hatten die beiden in den Ferien was miteinander, bevor es zwischen dir und Drew ›offiziell‹ wurde.«
»Gott, Katie war also echt schwanger.« Das letzte Wort stieß Casey tonlos hervor – anscheinend konnte sie es immer noch nicht fassen.
Katie tat mir leid, und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil wir hier auf einer Party ganz locker über ihr intimstes Geheimnis diskutierten – egal, ob es stimmte oder nicht.
Ich wollte nichts mehr darüber hören und zog mich möglichst unauffällig zurück, um Evan ausfindig zu machen. Nach einer Weile entdeckte ich ihn oben auf der Treppe. Er suchte seinerseits das Gedränge nach mir ab. Als unsere Blicke sich trafen, erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht, und ich lächelte zurück.
»Hi«, begrüßte er mich. »Ich hab mir schon gedacht, dass du nicht drinnen bleiben willst.«
»Du kennst mich eben.« Ich nahm die Limo entgegen, die er mir mitgebracht hatte. Evan legte mir schützend eine Hand auf den Rücken, und wir gingen zusammen zurück zu den Mädchen. Mit Ausnahme von Sara grinsten sie uns alle bis über beide Ohren an. Ich verdrehte die Augen.
»Hi, Evan«, zwitscherte Jill. »Willkommen, schön, dass du wieder da bist.« Lauren und Casey kicherten.
»Danke«, erwiderte er höflich und warf mir einen fragenden Blick zu. Ich seufzte nur tief.
Unsere kleine Gruppe blieb vor der Tür, und die Mädels tauschten weiter die neuesten Gerüchte aus, größtenteils über Leute, die sie gerade gesehen hatten. Evan und ich standen stumm dabei und hörten notgedrungen zu. Nur wenn jemand ihn im Vorbeigehen erkannte und sich nach seiner Rückkehr erkundigte, wurde der Tratsch für einen Moment unterbrochen.
»Ich gehe kurz zur Toilette«, verkündete ich nach einer Weile. Evan war in ein Gespräch mit einem Jungen aus seiner Fußballmannschaft vertieft.
»Ich komme mit«, verkündete Sara, nahm meinen Arm und zog mich weg.
»Diese Party ist nicht schlecht«, meinte sie, als wir die Verandatreppe hinaufgingen. Ich nickte, obwohl ich ihre Meinung nicht wirklich teilte.
Wir bahnten uns einen Weg durch die Küche und weiter zur Toilette.
»Ich hoffe, du musst nicht allzu dringend«, meinte Sara mit einem Blick auf die Warteschlange.
»Nein, es geht schon«, versicherte ich ihr und lehnte mich an die Wand.
»Tony Sharpa hat mich gefragt, ob ich mit ihm ausgehen will«, gestand Sara mir aus heiterem Himmel.
»Was? Wann?«, fragte ich erstaunt und versuchte mich zu erinnern, wie lange sie allein hier gewesen war, bevor Evan und ich sie wiedergetroffen hatten.
»Gestern, in der Lernstunde.«
»Warum hast du mir nichts davon gesagt?«, fragte ich verwundert.
»Es ist nicht so wichtig«, sagte sie lachend. »Nicht jetzt, da Evan zurück ist. Außerdem hab ich nein gesagt. Auf ihn habe ich mich bezogen, als ich gemeint hab, ich hätte die Spielchen langsam satt.«
»Ach ja? Warst du nicht in ihn verknallt, als er mit Niki zusammen war? Und er in dich, als du mit Jason zusammen warst?«
Sara nickte, und ihr Gesicht verfinsterte sich. Wahrscheinlich dachte sie daran, was für ein schlechtes Timing sie und Tony gehabt hatten.
»Und was ist jetzt das Problem? Ihr seid doch endlich beide Single.«
»Ich weiß auch nicht«, antwortete sie seufzend. »Irgendwie fühlt es sich so gezwungen an.«
»Das ergibt absolut keinen Sinn«, meinte ich verwirrt.
»Du bist also wirklich hier«, hörte ich in diesem Moment eine vertraute Stimme hinter mir. Mir blieb fast das Herz stehen, und mein Magen zog sich zusammen. Wie gelähmt stand ich da, unfähig, mich umzudrehen.
Noch bevor ich mich gesammelt hatte, erschien Drew und lehnte sich neben mir an die Wand. Ich rümpfte die Nase, als mir seine Alkoholfahne ins Gesicht schlug. Vermutlich brauchte er die Wand, um sich aufrecht zu halten.
»Na Drew, du hast wohl ein bisschen was getrunken«, begrüßte Sara ihn ironisch.
»Hi, Sara«, lallte Drew. »Du konntest mich noch nie leiden, oder?«
Seine betrunkene Offenheit amüsierte Sara sichtlich.
»Stimmt, und daran hat sich auch nichts geändert«, antwortete sie mit einem hämischen Grinsen. »Vielleicht solltest du uns lieber in Ruhe lassen.«
Nervös stellte ich fest, dass wir Aufmerksamkeit erregten. Nach und nach verstummten alle und hörten uns zu. Ich blickte mich um und überlegte fieberhaft, wie ich der Situation entfliehen konnte, ohne eine Szene zu provozieren.
»Wir müssen reden … aber unter vier Augen«, meinte Drew. Ehe ich wusste, wie mir geschah, hatte er mich am Handgelenk gepackt und zerrte mich durch die Toilettentür, die gerade geöffnet worden war. Sara wollte mich festhalten, doch im selben Moment schnitt das Gedränge ihr den Weg ab.
Drew stieß mich ins Zimmer, zog die Tür hinter uns zu und schloss ab.
»Drew!«, rief Sara und hämmerte von der anderen Seite gegen die Tür. »Lass sie raus!«
»Gib verdammt noch mal Ruhe, Sara!«, schrie Drew wütend zurück.
Ich ließ meinen Blick über das große, weiß geflieste Badezimmer schweifen – hier musste es doch irgendwo eine Fluchtmöglichkeit geben! Drew drehte sich zu mir um und lehnte sich gegen die Tür, ohne auf Saras lautes Klopfen zu achten.
»Was willst du von mir, Drew?«, fragte ich ruhig, obwohl ich von Sekunde zu Sekunde panischer wurde.
»Ich will nur mit dir reden«, nuschelte er und trat einen Schritt auf mich zu. Ich wich zurück.
»Na, dann raus mit der Sprache.«
»Sei doch nicht so.« Er griff nach meiner Hand, aber ich zog sie schnell weg. Draußen verstummte abrupt die Musik. »Aufmachen!«, riefen jetzt auch andere Leute, das Klopfen an der Tür wurde lauter. Leider ließ Drew sich davon nicht beirren, sondern kam immer näher. Mein Rücken stieß gegen die Wand.
»Ich wollte dir nur sagen, dass ich dir vergebe.« Er strich mir über die Wange, wobei sich ein paar Haarsträhnen zwischen seinen Fingern verhedderten. Als er den Mund aufmachte, strömte mir der widerwärtige Alkoholgestank entgegen. »Du musst dich nicht mit ihm abgeben, um mir eins auszuwischen.«
Irritiert versuchte ich ihm in die Augen zu sehen, aber sein Blick tanzte hin und her.
»Du kannst zu mir zurückkommen«, nuschelte er und beugte sich über mich. Da ich schnell den Kopf abwandte, landeten seine feuchten Lippen auf meiner Wange.
Immer stärker drängte er mich gegen die kalten Fliesen, seine Zunge glitt über meinen Hals. Ich schaffte es nicht, ihn wegzuschubsen, sosehr ich mich auch anstrengte – jetzt war ich für ihn die Wand, die ihn aufrecht hielt. Er presste sich an mich, wahrscheinlich merkte er nicht einmal richtig, wie verzweifelt ich mich wehrte. Seine Hand umfasste grob meine Brust, und er begann sich an mir zu reiben.
»Drew, hör auf!«, schrie ich und stieß ihn mit aller Kraft von mir. Aber er war fast sofort wieder da und befummelte mich weiter, als wären wir ein leidenschaftliches Liebespaar.
Auf einmal ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen, und die Tür flog auf. Jemand zerrte Drew von mir weg. Plötzlich waren überall Gesichter, die mich anstarrten. Eine Gruppe von Jungs versuchte, sich durch die Tür zu zwängen. Einen Moment meinte ich, Evan in dem Getümmel zu erkennen, aber dann ergriff Sara meine Hand und zog mich eilig durch die gaffende Menge.
Ich hörte, wie hinter uns ein Handgemenge entstand, Mädchen schrien, Jungs fluchten laut. Kurz vor der Haustür gelang es mir, einen Blick über die Schulter zu werfen, aber ich sah nichts als eine wogende Menschenmenge. Manche flüchteten wie wir nach draußen, andere drängten näher an den Ort des Geschehens.
Nicht lange nachdem wir das Auto erreicht hatten, stieß Evan zu uns. Er atmete schwer, sein Hemd war zerknittert. Wortlos zog er mich an sich und hielt mich fest. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich zitterte.
Schließlich löste ich mich von ihm und sah ihn an. Sein Gesicht war noch immer gerötet. Sara stand ein Stück abseits und betrachtete uns stumm. »Mir geht’s gut«, versicherte ich Evan. »Er war nur betrunken. Er hat es nicht so gemeint.«
»Hör auf, ihn zu verteidigen!«, erwiderte er heftig. »Ich kann nicht …«
Er unterbrach sich und atmete tief durch. »Gehen wir einfach.«
Als wir einstiegen, folgten uns noch immer neugierige Blicke. Drinnen ging die Party weiter, die Musik lief wieder, das Stimmengewirr stieg stetig an. Wir fuhren los, und Evan nahm meine Hand.