36 AbEndeSsen
»Wo ist es?«, kreischte Carol. Ich war gerade dabei, Waschmittel in die Waschmaschine zu geben und fuhr erschrocken zusammen.
Bestürzt sah ich zu, wie sie zur Wäschetrommel rannte und anfing, Kleidungsstücke durch die Gegend zu werfen. Ein paarmal traf sie mich, was natürlich nicht weh tat, aber die Heftigkeit, mit der sie die Wäsche umherschleuderte, ließ mich trotzdem zurückzucken.
»Was hast du damit gemacht?«, brüllte sie mich an.
»Womit denn?«, fragte ich leise.
»Mit dem verdammten Handtuch«, schrie sie. »Mit dem Handtuch, das du verdorben hast. Was hast du damit gemacht?«
»Ich weiß nicht, was du meinst«, log ich. Ich hatte das Handtuch, mit dem ich die Blutung an meinen Fingern gestillt hatte, weggeworfen. Aber wie war sie dahintergekommen?
»Du weißt genau, was ich meine, du wertloses Stück Scheiße.«
Sie warf mehr Wäschestücke in meine Richtung – in ihrem Wutanfall entfachte sie einen wahren Wirbelsturm von Klamotten im Keller. Es war lächerlich. Ich duckte mich nicht länger weg, sondern richtete mich auf und sah zum ersten Mal diese erbärmliche Frau vor mir richtig an. Vor Abscheu und Wut krampfte sich mein Magen zusammen – ich hatte die Nase voll von ihren irrationalen Ausbrüchen.
»Es ist doch bloß ein Handtuch!«, blaffte ich und übertönte ihr Geschrei. Sie erstarrte, geschockt von meiner lauten Stimme.
»Was hast du gesagt?«, zischte sie. Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt ich ihrem drohenden Blick stand. Plötzlich wurde mir bewusst, wie viel größer ich war als sie, und ich musste beinahe lachen beim Gedanken an meine eigene Feigheit.
»Es ist doch bloß ein Handtuch«, wiederholte ich ruhig, aber mit einem Selbstbewusstsein, das mir Kraft gab. Langsam drehte ich mich um und schloss mit einem Knall den Deckel der Waschmaschine.
»Es ist also bloß ein Handtuch?«, knurrte Carol, und als ich mich umdrehte, stieß sie mir die Weichspülerflasche direkt in den Magen. Mir verschlug es den Atem, ich krümmte mich und hielt mir den Bauch. Sie riss die Flasche sofort wieder hoch, und diesmal landete sie so heftig auf meiner Schulter, dass ich zu Boden ging. Ich wollte zur Treppe laufen, aber ein weiterer Hieb traf meinen linken Arm. Ich kauerte mich vor der Waschmaschine zusammen. »So redest du gefälligst nie wieder mit mir, verstanden?«
»Carol«, rief George in diesem Moment von oben. »Bist du da? Deine Mutter ist am Telefon.«
Sofort wandte Carol sich von mir ab. »Mach das sauber«, zischte sie noch, bevor sie die Treppe hinaufging.
Ich ließ mich ausgestreckt auf den Boden sinken. Noch immer fiel mir durch den Schlag in den Magen das Atmen schwer. Vor Wut hatte ich die Fäuste so fest geballt, dass die Fingernägel sich in meine Handflächen gruben. Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich, das Feuer in mir zu vertreiben, doch es wollte nicht verschwinden. Wenigstens schaffte ich es, mich aufzurappeln und das Chaos aufzuräumen, das Carol angerichtet hatte.
»Emma«, rief George und klopfte an meine Tür. »Evan ist hier.«
Mir stockte der Atem – er war hier, bei mir zu Hause? Was dachte er sich dabei?
»Okay«, brachte ich mühsam heraus, unfähig, meine Stimme zu kontrollieren. »Ich bin gleich da.« Voller Unruhe packte ich meine Jacke und eilte den Korridor entlang.
»Hi«, begrüßte ich Evan. Er ignorierte meine Nervosität.
»Freut mich, dich endlich kennenzulernen, Evan«, säuselte Carol mit einem Lächeln, bei dessen Anblick mir das Blut in den Adern gefror.
»Ganz meinerseits«, gab Evan höflich zurück.
»Also … ich glaube, wir sollten gehen«, stieß ich hastig hervor.
»Zehn Uhr, okay?«, vergewisserte Carol sich im gleichen süßlichen Ton. Ich wäre am liebsten im Boden versunken.
»Ja.« Auch ich versuchte, mir ein Lächeln abzuringen, aber es fühlte sich wie eine Grimasse an.
Beim Hinausgehen legte Evan mir die Hand auf den Rücken, aber ich versteifte mich sofort, weil ich wusste, dass Carol und George uns beobachteten. Ich konnte nur hoffen, dass ihnen die ungezwungene Berührung entgangen war.
»Was hast du dir dabei gedacht?«, zischte ich, als wir die Auffahrt hinuntergingen.
»Em, sie wissen, dass du heute Abend bei mir bist«, erklärte er. »Ich hab es nicht über mich gebracht, einfach vorzufahren und zu hupen. Es spielt keine Rolle, wer die beiden sind, so kann ich mich nicht benehmen.«
Ich hatte es kaum ausgehalten, ihn in dieser Küche zu sehen – dem Ort, an dem ich so viel Schmerz erlebt hatte. Die beiden Bilder kämpften in meinem Hirn gegeneinander an und machten es mir noch schwerer, das Unbehagen zu verdrängen.
»Aber du begleitest mich nachher bitte nicht zur Tür, okay?«, flehte ich.
»Okay«, meinte er widerwillig. »Kann ich dir wenigstens einen Gutenachtkuss geben?« Er lächelte mich an, und meine Angst legte sich etwas.
»Schauen wir mal«, antwortete ich unverbindlich.
Doch als wir uns seinem Haus näherten, übermannte mich eine neue Sorge. Meine Brust zog sich zusammen und machte mir das Atmen schwer.
»Bist du bereit?«, fragte Evan, als er in die Auffahrt bog.
Ich atmete aus und versuchte ein gelassenes, entspanntes Gesicht aufzusetzen. »Na klar.« Es gelang mir anscheinend nicht besonders gut, denn Evan lachte.
Als wir die Verandatreppe hinaufgingen, nahm er meine Hand. Vermutlich war es ihm vollkommen egal, ob seine Eltern es sahen oder nicht. Dieser Abend würde extrem seltsam werden.
»Willkommen, Emily«, rief Vivian, als wir ins Haus traten, und schwebte heran, um mich zu umarmen. Inzwischen rechnete ich schon mit dieser Begrüßung und erwiderte ihre Umarmung, wenn auch etwas linkisch.
Ein verführerischer Duft erfüllte die Küche. Wir setzten uns an die große Theke, und ich beobachtete ehrfürchtig, wie anmutig Vivian im Kochbereich umherschwirrte, hier etwas rührte, dort etwas kleinschnitt und nebenbei noch etwas mixte. Sonst hatte ich von diesem Platz aus immer Evan beim Kochen zugesehen, aber heute Abend gehörte auch er zum Publikum. Seine Hand lag zärtlich auf meinen Rücken.
»Kann ich irgendwas helfen?«, fragte er nach einer Weile.
»Nein, wir sind gleich fertig«, verkündete sie. »Dein Vater holt die Steaks vom Grill, und ich mache den Salat. Aber du könntest Emily etwas zu trinken anbieten.«
»O ja, sorry«, stammelte er und wandte seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. »Was möchtest du trinken?«
»Du weißt, was ich mag«, antwortete ich, und seine Mutter lachte leise.
»Ich freue mich, dass es dir bessergeht«, sagte sie. »Wie ich gehört habe, warst du letztes Wochenende ziemlich krank.«
»Ja, aber jetzt ist zum Glück alles wieder in Ordnung.«
»Ich hoffe, der Tee hat auch ein bisschen geholfen.«
»Das hat er, danke«, erwiderte ich höflich, obwohl ich mich nicht erinnern konnte, ob ich die Tasse leer getrunken hatte. Evan sah aus, als müsste er sich das Lachen verkneifen, also hatte ich es wahrscheinlich bei den zwei Schlückchen belassen.
»Die Steaks sind fertig!« Stuart kam mit einer Platte voller kleiner Steaks vom Grill zurück, der draußen auf der Terrasse stand.
»Perfektes Timing«, meinte Vivian. »Evan, mein Schatz, hilfst du uns bitte, das Essen auf den Tisch zu stellen?«
»Na klar.« Evan suchte Schüsseln und das passende Servierbesteck zusammen und trug alles zum Tisch. Erst als ich ihm folgte, bemerkte ich die mit dekorativem Porzellan und glänzendem Besteck gedeckte Tafel. In der Mitte verbreitete ein kunstvoller Leuchter schimmerndes Licht. Auf dieses elegante Ambiente war ich nicht gefasst gewesen.
»Sollen wir?«, fragte Vivian und trat mit einer Flasche Wein an den Tisch.
Ich nahm mein Glas mit hinüber. Vivian und Stuart saßen sich an den Schmalseiten des Tisches gegenüber, Evan und ich nahmen an den Längsseiten Platz. Ich warf Evan einen panischen Blick zu, der ihn zum Lachen brachte. Als seine Mutter ihn fragend ansah, versuchte er, seinen Heiterkeitsausbruch hinter einem lauten Räuspern zu verstecken.
Vor lauter Nervosität hatte sich mein Magen so verkrampft, dass ich befürchtete, überhaupt nichts hinunterzubekommen. Aber nach den ersten gezwungenen Bissen stellte ich fest, dass es das Beste war, was ich gegessen hatte seit … nun ja, seit Evan das letzte Mal für mich gekocht hatte.
»Wie war dein Besuch in Kalifornien?«, fragte Vivian im selben Moment, in dem ich mir ein Stück Steak in den Mund schob. Ich kaute mit rotem Gesicht, während sie geduldig darauf wartete, dass ich schluckte und antworten konnte.
»Wunderbar«, brachte ich schließlich heraus.
»Steht Stanford bei den Colleges immer noch ganz oben auf deiner Liste?«
»Ja, die Gespräche mit dem Coach und dem Studienberater haben mir richtig gut gefallen«, erklärte ich. »Jetzt kommt es auf meine Testergebnisse an und natürlich auch auf meine Leistungen in der kommenden Fußballsaison. Bisher scheint das College jedenfalls sehr an mir interessiert zu sein.«
»Hast du dich auch schon für ein Hauptfach entschieden?«
»Ja, das kam auch zur Sprache, und weil ich im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich gute Noten habe, hat der Studienberater mir Medizin vorgeschlagen.«
Evan machte große Augen, anscheinend überraschte ihn das. Ich hatte bisher noch niemandem davon erzählt.
»Das wäre ja wundervoll«, meinte Vivian lächelnd. »Evan, hast du deine Wahl inzwischen auch etwas eingegrenzt?«
»Mom, lass uns über was anderes reden«, entgegnete er abwehrend. »Du weißt doch, wohin ich will. Meine Mutter möchte, dass ich zu meinem Bruder nach Cornell gehe«, fuhr er dann, an mich gewandt, fort, »und mein Vater möchte mich in Yale sehen, wo er selbst studiert hat.«
»Oh.« Ich nickte. Plötzlich wurde mir klar, dass beide Colleges an der verkehrten Küste lagen.
»Na ja, ich denke, Kalifornien wäre naheliegend, wenn Emily dort studieren würde«, räumte Vivian mit einem kleinen Achselzucken ein. Stuart räusperte sich demonstrativ. »Ach Stuart, Kalifornien hat auch ganz hervorragende Unis.«
Ich fand es etwas befremdlich, wie sie über unsere Studienpläne sprach. Natürlich schloss ich eine Zukunft mit Evan nicht aus, aber ich hatte bis zu diesem Augenblick kaum einen Gedanken daran verschwendet. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, dass seine Mutter sich auf diese Weise einmischte.
»Mom«, sagte Evan noch einmal, offenbar ebenso unangenehm berührt, »wir haben noch jede Menge Zeit, uns darüber den Kopf zu zerbrechen. Aber jetzt möchte ich wirklich gern das Thema wechseln.«
»Wenn du darauf bestehst«, meinte sie freundlich. »Freut ihr euch denn schon auf den Abschlussball nächsten Monat?«
Evan verschluckte sich an seinem Wasser. Ich hielt die Luft an.
»Was denn?«, fragte Vivian, verwundert über Evans Reaktion.
»Darüber haben wir noch gar nicht geredet«, gestand er und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. Ich blickte auf meinen Teller hinunter und schob mit der Gabel den Spargel herum.
»Evan«, meinte seine Mutter mahnend, »Emily braucht Zeit, um sich ein Kleid auszusuchen. Du hättest schon längst mit ihr darüber sprechen müssen.«
Ich biss mir auf die Lippen, um nicht zu kichern.
»Also, wenn du Hilfe brauchst beim Aussuchen«, wandte Vivian sich nun direkt an mich, »dann bin ich mehr als gern bereit, mit dir nach New York in eine Boutique zu fahren, die über eine wirklich sensationelle Auswahl verfügt.«
»Äh … okay … danke«, stotterte ich. Evan war sichtlich angespannt, und auch mir wurde bei dem Gedanken angst und bange. Ich überlebte ja kaum das Einkaufen mit Sara in der Mall.
»Da ich anscheinend ein Händchen dafür habe, die falschen Gesprächsthemen anzuschneiden«, meinte Vivian, jetzt an Evan gewandt, »frage ich lieber direkt – worüber magst du dich denn unterhalten?«
Evan blickte auf, als er merkte, dass sie ihn meinte.
»Dad, wie ist die Arbeit?«, erkundigte er sich schnell. Doch nun stieß Vivian einen entnervten Seufzer aus.
»Emily muss sich doch nicht Stuarts langweilige Fälle anhören«, fuhr sie dazwischen, ehe ihr Mann antworten konnte – ich war nicht einmal sicher, ob er überhaupt jemals die Absicht gehabt hatte, den Mund aufzumachen. »Wir wollen sie doch ein bisschen näher kennenlernen.« Nein, das war auch kein besseres Gesprächsthema.
Vivian musterte mich mit einem warmen Lächeln, das ich zu erwidern versuchte. Doch mein Magen grummelte vor Angst, was sie als Nächstes fragen würde.
»Was macht denn dein Onkel?«, erkundigte sie sich.
Ich schluckte. Jetzt fingen wir also tatsächlich an, über meine Familie zu reden.
»Er ist Landvermesser.«
»Das ist ja wundervoll«, antwortete Vivian. »Soweit ich weiß, ist dein Vater gestorben, als du noch ziemlich klein warst. Was hat er beruflich gemacht?«
Evan warf mir einen besorgten Blick zu. Ich holte tief Luft und antwortete: »Er war Ingenieur in einem Architekturbüro in Boston.«
»Mom, arbeitest du nicht gerade an einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Boston?«, warf Evan ein, ehe seine Mutter mich weiter löchern konnte.
Tatsächlich biss Vivian an. Zum Glück beschrieb sie die Details ihres Projekts so ausführlich, dass wir das gesamte Abendessen über bei diesem Thema blieben.
»Du und Evan, ihr solltet uns begleiten«, schloss sie, als sie den Nachtisch brachte. Evan gab ein leises Stöhnen von sich, das seine Abneigung gegen diese Events deutlich erkennen ließ. »Ach lass das doch, Evan«, tadelte ihn seine Mutter. »Es ist für einen wirklich guten Zweck, und Emily könnte bestimmt eine Menge Leute aus der Medizinbranche kennenlernen, schließlich geht es um ein Krankenhaus.«
»Wann ist die Veranstaltung noch mal?«, hakte ich nach.
»Mitte Juni.«
»Oh, das tut mir leid«, erwiderte ich und bemühte mich, enttäuscht zu klingen, »aber da arbeite ich im Fußballcamp.«
»Hast du dich dafür nicht auch beworben, Evan?«
Ich sah überrascht zu ihm hinüber, davon hatte er mir gar nichts erzählt.
»Oh, ja«, antwortete er und erwiderte meinen Blick. »Sara hat mir vor ein paar Wochen das Bewerbungsformular gegeben. Aber ich bin nicht sicher, ob es noch freie Plätze gibt.«
Was für ein wunderbarer Gedanke, den Sommer mit Sara und Evan zu verbringen! Ich strahlte Evan an, und er strahlte zurück. Während wir unseren Nachtisch verzehrten, bat Vivian mich, ihr etwas über das Camp zu erzählen. Das war nun endlich ein einfaches Thema, schließlich hatte ich schon die letzten beiden Sommer dort als Assistenztrainerin gearbeitet.
Nach dem Dessert nahm Vivian mich mit ins Wohnzimmer. Evan sah uns misstrauisch nach, während er mit seinem Vater den Tisch abräumte. Als er schließlich wieder zu uns stieß, wusste ich auch, warum.
»Du zeigst ihr doch wohl nicht meine Babybilder!« Er klang ehrlich entsetzt, und ich musste lachen.
»Ach komm, Evan«, neckte ich ihn. »Du warst ein bezauberndes Baby.«
»Genau«, bestätigte Vivian, als wäre sie froh, endlich von jemandem Schützenhilfe zu bekommen.
Aber Evan klappte das Album zu, legte es zurück auf den Tisch und streckte mir die Hand hin. »Okay«, verkündete er, »ich glaube, ich hab euch Emma jetzt lange genug ausgeliehen. Wir gehen noch ein bisschen in die Scheune, bevor ich sie heimfahren muss.«
»Na gut«, meinte Vivian seufzend. »Es war so schön, endlich mal ein wenig mit dir zu plaudern.« Sie umarmte mich und küsste mich auf die Wange. »Ich freue mich schon auf deinen nächsten Besuch.«
»Gute Nacht«, rief ich Stuart zu, als wir durch die Küche gingen.
»Gute Nacht, Emily«, erwiderte er mit seiner dröhnenden Stimme.
»War es wirklich so schrecklich für dich, Evan?«, fragte ich lachend, während wir die Treppe hochstiegen.
»Dasselbe wollte ich dich auch gerade fragen«, gab er zurück. Als wir in sein Zimmer traten, wandte er sich zu mir um und sah auf einmal sehr ernst aus. »Es tut mir leid, ich hab versucht, meiner Mom Grenzen zu setzen, aber sie hört mir einfach nicht zu.«
»Es war vollkommen in Ordnung«, beruhigte ich ihn. Er nahm mich in die Arme und küsste mich zärtlich.
»In zwei Wochen hast du Geburtstag«, sagte ich und blickte zu ihm auf, ohne mich aus seinen Armen zu lösen. »Was möchtest du machen?«
»Kannst du an dem Freitag weg von zu Hause?«
Ich seufzte und schüttelte bedauernd den Kopf. »Wie wär’s mit Samstag?«, bot ich an.
»Okay«, stimmte er zu. »Dann unternehme ich am Freitag eben was mit den Jungs. Vielleicht fahren wir nach New York oder so. Und am Samstag machen wir dann was zu zweit.«
»Essengehen vielleicht?«, schlug ich vor. Evan dachte nach, dann fing er plötzlich an zu grinsen.
»Ja«, sagte er. »Ich hab da eine Idee.«
»Was für eine Idee?«, fragte ich nach. Aber mir wurde schnell klar, dass er mir nichts verraten würde.
»Ach, schon gut«, erwiderte er. »Essen ist perfekt. Aber ich darf aussuchen, wo – in Ordnung?«
»Na klar«, stimmte ich zögernd zu, denn ich traute ihm nicht ganz.
Carol und George warteten bereits auf mich, als ich heimkam. Nun, genaugenommen saßen sie an der Kücheninsel und taten so, als würden sie sich unterhalten. Aber ich war ziemlich sicher, dass sie nur überprüfen wollten, ob Evan mich bis zur Tür begleitete. Zum Glück hatte ich es ihm ausgeredet, als er auf der Heimfahrt noch einmal versucht hatte, mich umzustimmen.
»Wie war dein Abend?«, fragte Carol mit schneidender Stimme.
»Nett«, antwortete ich leise und wollte schnell in mein Zimmer verschwinden.
Aber George hielt mich auf. »Wir müssen ein paar Grundregeln klarstellen«, sagte er. Ich blieb stehen und schloss die Augen. Dann drehte ich mich um und hörte mir an, mit welchen Plänen sie meine Welt noch mehr zerstören wollten.
»Du kannst nicht zu Evan nach Hause, wenn sonst niemand dort ist«, erklärte Carol. »Wenn wir hören, dass du es trotzdem tust, darfst du ihn nicht mehr sehen. Auch nicht, wenn du bei Sara bist.«
»Er darf dich nicht nach der Schule heimfahren«, fügte George hinzu. »Ob er dich hinfährt, ist uns egal, aber nachmittags fährst du nur noch mit Sara oder einer anderen Freundin.«
»Und nun der letzte Punkt«, verkündete Carol mit einem fiesen Grinsen. »Wenn wir rausfinden, dass du Sex hast, lassen wir dich bis zu deinem Schulabschluss nicht mehr aus dem Haus – außer, um zur Schule zu gehen.«
Reglos stand ich da, während ihre Drohung in meinem Kopf widerhallte.
»Warum schaust du uns so an?«, beschwerte sie sich sofort. »Haben wir uns vielleicht nicht klar ausgedrückt?«
»Ich verstehe nicht, warum ihr davon ausgeht, ich hätte Sex mit ihm«, antwortete ich, eher anklagend als verteidigend. »Ihr kennt mich überhaupt nicht, oder?«
»Wir kennen dich gut genug«, fauchte Carol. »Wir wissen, dass du naiv bist und dass man dich leicht ausnutzen kann. Glaub ja nicht, dass du diesem Jungen am Herzen liegst. Er ist genau wie alle anderen Kerle. Er hat nur das eine im Sinn.«
»Ihn kennt ihr auch nicht«, konterte ich, und meine Stimme wurde stärker.
Carol zog die Augenbrauen hoch, Georges Gesicht spannte sich an.
»Vielleicht sollten wir uns noch einmal überlegen, ob du dich überhaupt mit einem Jungen verabreden darfst«, drohte Carol. Mir blieb fast das Herz stehen. »Gibt es etwas, das wir wissen sollten? Hast du etwa schon Sex mit ihm?«
»Nein«, antwortete ich rasch, und die Panik kroch mir heiß den Nacken empor.
»Dann ist das Gespräch hiermit beendet«, ging George endlich dazwischen. »Du kennst unsere Meinung, und damit basta.«