Vier
Schachzüge
Ein Gongschlag ertönte.
Der Ton hallte durch den großen Saal im Haus der Anasati. Kriegsflaggen längst vergangener Zeiten schmückten die Wände des Raumes, und der Geruch alten, gewachsten Holzes und generationenlanger Intrigen hing in der Luft. Das gewölbte Ziegeldach warf so tiefe Schatten, daß trotz zahlloser brennender Kerzen eine düstere Atmosphäre herrschte. Die Halle selbst schluckte einen Großteil der Geräusche, so daß die dort versammelten und wartenden Höflinge und Bediensteten aussahen wie Statuen, die sich kaum bewegten und so gut wie keine Laute von sich gaben.
Am Kopfende des langen, mit Teppichen ausgelegten Mittelgangs saß auf einem beeindruckenden Podest der Lord der Anasati in seiner offiziellen Amtsrobe. Schweiß glänzte wegen dem Gewicht seiner zeremoniellen Kopfbedeckung auf seiner Stirn, doch seine mageren, scharfgeschnittenen Gesichtszüge zeigten keine Spur von Unbehagen, obwohl er in der Mittagshitze in seiner Kleidung beinahe erstickte. Ein Dutzend Schärpen in Scharlachrot und Gelb verhinderte das freie Atmen, denn die Schleifen blähten sich auf wie starke Flügel und hielten seine Schultern zurück; jedesmal, wenn er sich bewegte, mußten Diener herbeieilen und sie wieder zurechtrücken. In der einen Hand hielt er einen geschnitzten Stab, Zeichen seiner Stellung als Herrscher. Der Ursprung dieses Amtszeichens war im Lauf der Zeit verlorengegangen. Auf seinen Knien ruhte das uralte Stahlschwert der Anasati, ein wichtiges Relikt, das gleich an zweiter Stelle nach dem Famihen-Natami kam. Seit den Tagen der Goldenen Brücke und der Flucht, als die Völker zum ersten Mal nach Kelewan gekommen waren, wurde es vom Vater auf den Sohn vererbt. Jetzt lag es mit grausamer Schwere auf den alten Knien, eine Unannehmlichkeit, die der Lord der Anasati genau wie all die anderen Amtsinsignien erdulden mußte, während er auf die Ankunft des Emporkömmlings – dieses Acoma-Mädchens – wartete. Der Raum war wie ein Backofen, denn entsprechend der Tradition mußten sämtliche Läden bis zum offiziellen Auftritt des oder der Werbenden geschlossen bleiben.
Tecuma, Lord der Anasati, nickte leicht mit dem Kopf, und sein Erster Berater Chumaka eilte zu ihm. »Wie lange noch?« flüsterte der Lord ungeduldig.
»Nicht mehr lange, Herr.« Der loyale Berater hüpfte wie ein nervöses Nagetier auf und ab und setzte zu einer Erklärung an: »Der Gong hat dreimal geläutet – als Maras Sänfte das äußere Tor erreichte, als sie am Haupthaus ankam und jetzt gerade, als sie durch das Tor hindurch den Innenhof betrat. Der vierte Schlag wird erklingen, wenn sie Eurer erhabenen Gegenwart teilhaftig werden wird, Mylord.«
Der Lord der Anasati spürte den lastenden Druck der Stille und empfand tiefes Verlangen nach Musik. »Habt Ihr an das gedacht, was ich Euch aufgetragen hatte?« fragte er.
»Natürlich, Mylord. Euer Wunsch ist mir Befehl. Ich habe mehrere geeignete Beleidigungen zusammengestellt, mit denen Ihr auf die Anmaßung der Acoma-Hexe antworten könnt.« Der Berater leckte sich die Lippen. »Falls sie Euren Sohn Jiro als Gemahl erbittet… nun, das wäre brillant…« Der Lord der Anasati warf seinem Berater einen neugierigen Blick zu, was die linke Seite seiner Festtagsrobe nach unten rutschen ließ. Bedienstete stürzten zu ihm und rückten die Unordnung mit eifrigen Händen wieder zurecht. Chumaka fuhr mit seinen Bemerkungen fort: »Brillant, wenn auch nur die geringste Hoffnung auf Erfolg bestünde. Eine Heirat Maras mit einem Eurer Söhne würde Euch als Verbündeten an die Acoma binden. Ihr müßtet nicht nur die Schatzkammern leeren, um sie schützen zu können; die Hexe wäre dann auch in der Lage, ihre gesamte Aufmerksamkeit auf den Lord der Minwanabi zu richten.«
Der Lord der Anasati kräuselte die Lippen, ein Zeichen seiner nur mühsam verborgenen Abneigung gegenüber dem soeben erwähnten Mann. »Ich werde sie selbst heiraten, wenn ich auch nur im entferntesten daran glauben würde, daß es ihr gelingen könnte, diesen Jaguna im Spiel des Rates zu vernichten.« Er runzelte die Stirn. Als er den nächsten Gedanken aussprach, wurden seine Knöchel weiß, so fest hielt er den Stab umfaßt. »Aber was will sie erreichen? Sie muß sich darüber im klaren sein, daß wir ihr niemals gestatten werden, Jiro als Gatten zu sich zu nehmen. Außer den Fünf Großen Familien ist die Familie der Acoma die einzige, die noch älter ist als meine. Wenn sie fällt, und wenn mit etwas Glück auch eine der Fünf fällt …«
»… dann würden die Anasati eine der Fünf Großen«, beendete Chumaka den schon so oft ausgesprochenen Wunsch seines Herrn.
Tecuma nickte. »Und eines Tages würde einer meiner Nachfolger vielleicht Kriegsherr.« Er warf einen Blick nach links, wo seine drei Söhne auf einem etwas niedrigeren Podest warteten.
Seinem Vater am nächsten saß Halesko, Erbe des Anasati-Mantels. Neben ihm war Jiro, der klügste und fähigste der drei. Es war bereits abgemacht, daß er einmal eine Tochter aus einer der zwölf großen Familien heiraten würde, möglicherweise sogar das Kind des Kaisers selbst, um den Anasati weitere einflußreiche politische Verbindungen zu bescheren. Neben ihm lümmelte Buntokapi; ganz offensichtlich war er damit beschäftigt, Dreck unter seinen Fingernägeln wegzukratzen.
Der Lord der Anasati betrachtete das träge Gesicht seines jüngsten Sohnes. »Ihr glaubt doch nicht, daß sie aufgrund irgendeiner seltsamen Vorsehung Bunto nehmen wird, oder?«
Die dünnen Augenbrauen des Beraters wölbten sich. »Unsere Spione bestätigen zwar, daß sie ein kluges, wenn auch noch unerfahrenes Mädchen ist, doch die Wahl Buntos … würde ein bißchen mehr Gerissenheit voraussetzen, als ich bei ihr erwarten würde, Lord.«
»Gerissenheit? Wenn sie Bunto wählt?« Tecuma drehte sich ungläubig um und brachte die Schärpen wieder durcheinander, was wiederum eine neue Welle von eifrig herumfuchtelnden Dienern in Gang setzte. »Seid Ihr von Sinnen?«
Der Berater betrachtete den stumpfsinnig vor sich hin starrenden dritten Sohn. »Ihr könntet versucht sein, ja zu sagen.«
Mit einem Blick, der an offenes Bedauern grenzte, seufzte der Lord der Anasati: »Ich fürchte, ich würde ablehnen müssen, nicht wahr?«
Der Erste Berater schnalzte mit der Zunge. »Selbst Bunto würde ihr zuviel politische Macht bescheren. Und denkt nur daran, daß der Hund der Minwanabi versehentlich auch Bunto töten könnte, wenn er die Acoma auslöscht… Vergeßt nicht das Durcheinander, das er anrichtete, als er den Hamoi-Attentäter sandte.«
Der Lord der Anasati nickte. »Ja. Ich wäre gezwungen, an seiner Familie Vergeltung zu üben. Es ist eine Schande, daß der Lord der Minwanabi das Attentat auf Mara verpfuscht hat, doch ich fürchte, damit hätten wir rechnen müssen: Der Mann ist schlimmer als ein Jaguna und besitzt die feinsinnigen Instinkte eines Needra-Bullen im Zuchtstall.« Tecuma verlagerte sein Gewicht in dem Versuch, eine bequemere Position zu finden, und die Schärpen bewegten sich gefährlich. Als die Bediensteten Anstalten machten, zu ihm zu eilen, hielt er inne und achtete darauf, daß sein Kostüm nicht verrutschte. »Die Demütigung ihres Vaters störte mich nicht – ganz sicher hatte Sezu so oft es ging versucht, etwas aus mir herauszuholen. Und ganz sicher sind die Regeln des Spiels eingehalten worden. Die Sache mit den Blutfehden jedoch …« Er schüttelte den Kopf, und die schwere Kopfbedeckung wackelte so stark, daß er beinahe nicht mehr in der Lage war, sie vor dem Herabfallen zu bewahren. Chumaka streckte seine Hand aus und rückte sie sanft zurecht, während Tecuma fortfuhr: »Und diese ganze Mühe nur deshalb durchzustehen, um seine Blage zu demütigen, ist reine Zeitverschwendung.« Er sah sich in dem heißen Raum um. »Götter, all diese vielen Musiker, und nicht ein einziger unterhaltsamer Ton kommt von ihnen.«
Wenn es um die Einhaltung des formellen Rituals ging, konnte Chumaka überaus kleinlich sein – bis an die Grenze zur Pedanterie. »Sie müssen sich bereit halten, um die offizielle Eröffnungsmusik zu spielen, Mylord.«
Der Lord der Anasati seufzte verzweifelt auf, seine Niedergeschlagenheit lag nur zum Teil an der eintönigen Stimme seines Beraters. »Ich hatte gerade angefangen, mich an den neuen Kompositionen zu ergötzen, die die Musiker diesen Monat vorbereitet hatten. Jetzt ist der ganze Tag verschwendet. Vielleicht könnten sie etwas spielen, bis Mara eintrifft?«
Chumaka schüttelte den Kopf, während Schweiß über seine Knollennase rann. »Lord, irgendein Bruch mit der Etikette, und die Lady der Acoma wird durch die Beleidigung nur gewinnen.« Chumaka war von Natur aus geduldiger als sein Herr, doch auch er fragte sich inzwischen, warum die Gefolgschaft des Mädchens so lange benötigte, um den Innenhof zu überqueren. »Finde heraus, was die Verzögerung verursacht«, flüsterte er dem nächststehenden Diener zu.
Der Mann verbeugte sich und schlüpfte unauffällig durch eine Seitentür. Wenige Augenblicke später kehrte er zurück und erstattete Bericht. »Die Lady der Acoma sitzt draußen vor der Tür, Herr.«
Inzwischen war auch Chumaka an den Grenzen seiner Geduld angelangt. »Und warum schlägt dann niemand den Gong, um sie anzukündigen?« flüsterte er.
Der Diener blickte unglücklich zur Haupttür, die noch immer von den offiziell gekleideten Türstehern bewacht wurde. »Sie klagte über die Hitze und ließ parfümierte, feuchte Tücher und kalte Getränke für sich und ihre Gefolgschaft bringen, um sich vor ihrem Erscheinen in der Halle etwas zu erfrischen, Herr.«
Chumaka sah von einem Mitglied des Hofes der Anasati zum anderen. Sie alle harrten in der schwülen Mittagshitze seit mehr als einer Stunde aus. Er überdachte noch einmal den Eindruck, den er von Mara hatte. Ihre Verspätung mochte ein gerissener Schachzug sein, eine kühl berechnete Handlung, mit der sie den Gegner bis an den Rand kleinlicher Wut zu reizen versucht, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
»Nun, wie lange mag es wohl dauern, eine Tasse Wasser zu trinken?« fragte Tecuma.
»Mylord, die Forderung der Lady traf uns völlig unvorbereitet. Es dauerte eine Zeit, bis wir eine so große Gefolgschaft mit Getränken versorgt hatten.«
Der Lord der Anasati wechselte einen Blick mit seinem Ersten Berater. »Und wie groß ist ihr Gefolge?« fragte Chumaka.
Der Diener errötete; ungebildet wie er war, konnte er nur bis zwanzig wirklich zählen. Doch er tat sein Bestes. »Sie hat fünf Dienerinnen bei sich und eine alte Frau, die eine etwas gehobenere Stellung innehat. Außerdem sah ich zwei Offiziere mit Federbüschen auf ihren Helmen.«
»Was bedeutet, daß es nicht weniger als fünfzig Krieger sind.« Tecuma neigte sich zu seinem Ersten Berater hinüber und sprach so leise und schnell, daß es beinahe zischend klang. »Ihr hattet mir doch erklärt, daß ihre gesamte Garnison bis auf weniger als fünfzig Krieger vernichtet wäre.«
Chumaka blinzelte. »Mylord, unsere Spionin im Haushalt der Minwanabi teilte uns mit, daß nicht nur Sezu und sein Sohn in dem Kampf gefallen seien, sondern auch die Hauptmacht der Acoma.«
Dem Diener, der in Hörweite der Unterhaltung stand, war sichtlich unbehaglich zumute, aber Chumaka achtete nicht weiter darauf. »Würde die Lady der Acoma dann wagen, ihre gesamte restliche Streitkraft mitzubringen?« fragte er etwas lauter.
Der Diener, der sich ganz offensichtlich weit, weit weg wünschte, ergriff jetzt das Wort: »Sir, der Hadonra sagte, sie hätte noch mehr mitgebracht. Zu unserer Schande –« Er sah, wie der Lord der Anasati sich anspannte bei der Vermutung, der Mangel an Vorbereitung könnte sein Haus mit Unehre beflecken, und er änderte seinen Bericht etwas. »– das heißt natürlich, zu der Schande Eurer bescheidenen Diener, Mylord – war sie gezwungen, weitere hundert Krieger in einem Lager außerhalb des Guts meines Herrn zu lassen, da wir keine Unterkünfte für sie bereit hatten.«
Erleichtert folgte der Diener Chumakas Aufforderung zu gehen, während Tecumas Stimmung sich deutlich veränderte. Zunächst war er über den möglichen Affront des Dieners gegenüber der Ehre des Hauses verärgert gewesen, doch jetzt wurde er mißtrauisch angesichts der Bedeutung dessen, was ihm gerade erklärt worden war. »Der Kommandeur der Acoma« – seine Hand vollführte eine kleine kreisförmige Geste, als er in seinem Gedächtnis nach dem richtigen Namen suchte –, »Keyoke, ist ein erfahrener Kämpfer und kein Narr. Wenn Mara einhundertfünfzig Krieger mit hierher nimmt, müssen wir davon ausgehen, daß doppelt so viele zurückgeblieben sind, um ihre Güter zu bewachen. Sezus Reservegarnison muß sehr viel größer gewesen sein, als wir vermutet haben.« Sein Blick offenbarte zunehmende Gereiztheit, dann kniff er die Augen argwöhnisch zusammen. »Unsere Spionin steht entweder im Dienst der Minwanabi, oder sie ist unfähig. Ich erteile Euch die Verantwortung, es herauszufinden; schließlich habt Ihr mir dazu geraten, eine so hohe, vertrauenswürdige Stellung mit einer Person zu besetzen, die nicht in diesem Haus geboren wurde. Wenn wir betrogen worden sind, müssen wir es sofort wissen.« Die Hitze und Unbequemlichkeit waren für sich genommen schon schlimm genug, um diese Spionin im Herrenhaus der Minwanabi unterzubringen. Er richtete seinen Blick unverwandt auf seinen Ersten Berater. »Ich habe das deutliche Gefühl, daß Ihr uns auf einen falschen Weg gebracht habt.«
Chumaka räusperte sich. Er fächelte sich mit einem dekorativen Fächer Luft zu, damit niemand seine Lippen lesen konnte. »Mylord, urteilt nicht vorschnell. Diese Agentin diente uns bisher sehr zuverlässig und ist außerordentlich gut plaziert.« Unterwürfig hielt er inne und leckte sich über die Lippen. »Viel wahrscheinlicher hat unsere Lady Mara einen Weg gefunden, den Lord der Minwanabi in die Irre zu führen, was erklären würde, weshalb unsere Agentin falsche Angaben gemacht hat. Ich werde jemand anderen hinschicken. Entweder kehrt er mit der Bestätigung meiner Ausführungen zurück oder mit der Nachricht vom Tode einer Verräterin.«
Tecumas aufgebrachte Stimmung ließ etwas nach – wie bei einem gereizten Mördervogel, der seinen zerzausten Federn langsam gestattete, sich zu glätten. In diesem Augenblick erklang endlich der vierte Gongschlag. Diener, die im Innern der Halle gewartet hatten, öffneten die Türen zum Hof, während Chumaka das alte Ritual zur Begrüßung von Werbenden begann: »Wir heißen Euch willkommen in unserem Haus, wie Licht und Wind, Wärme und Regen tragt Ihr das Leben in diesen Raum.« Die Worte waren ein alter Brauch und spiegelten nichts von den wahren Gefühlen der Anasati gegenüber den Acoma wider. Doch im Spiel des Rates mußten die Formen immer gewahrt bleiben. Eine leichte Brise brachte die Wandbehänge und Vorhänge in Bewegung. Der Lord der Anasati seufzte beinahe hörbar vor Erleichterung auf. Chumaka sprach lauter, um den kleinen Fehltritt seines Herrn zu verschleiern: »Tretet ein, Werbende, und erklärt Euren Wunsch. Wir bieten Euch Getränke und Essen, Wärme und Entspannung.« Chumaka lächelte innerlich bei den letzten Worten. Niemand benötigte oder wünschte an einem Tag wie diesem zusätzliche Wärme, und Mara würde sicherlich wenig Entspannung vor dem Lord der Anasati finden. Er wandte seine Aufmerksamkeit denen zu, die jetzt die Halle betraten.
Im Takt einzelner Trommelschläge traten Träger in grauen Roben durch diejenige Tür, die vom Podest des Lords am weitesten entfernt war. Die flache, offene Sänfte war voller hochaufgetürmter Kissen, auf denen Mara reglos thronte. Jetzt setzten die Musiker zu der Melodie an, die für ihren Einmarsch vorgesehen war. Während die ärgerlich einfache Tonlage sich unaufhörlich wiederholte, betrachtete der Hofstaat der Anasati das zierliche Mädchen, das von einer beeindruckend gekleideten Gefolgschaft hereingetragen wurde; ein Mädchen, das den Mantel eines der stolzesten Namen im Kaiserreich trug. Wie die Kleidung ihres Gastgebers richtete sich auch Maras Erscheinung strikt nach den Vorschriften der Tradition; das dunkle Haar war hochgebunden und mit Muscheln und edelsteinbesetzten Nadeln festgesteckt, und ihr Kopf schien auf einem steifen, mit Perlen versehenen Kragen zu sitzen. Das offizielle Gewand war gestärkt und in weite Falten gelegt, mit langen Schleifen in Acoma-Grün und Ärmeln, die bis auf den Boden reichten. Doch trotz ihrer Aufmachung und der reichlich bestickten Kleidung schien das Mädchen unberührt von all dem Prunk und der Hitze.
Links von Mara, aber einen Schritt hinter ihr, ging Nacoya, die jetzt die Robe der Ersten Beraterin der Acoma trug. Auf Maras rechter Seite marschierten drei Offiziere, deren frisch bemalte und polierte Rüstungen hell erstrahlten. Neue, beeindruckende Federbüsche schmückten ihre Helme. Fünfzig Krieger folgten ihnen. Auch ihre frisch polierten Rüstungen glänzten, als sie zu beiden Seiten von Maras Sänfte in die Halle marschierten.
Die Soldaten stellten sich in tadellosen Reihen vor dem Podest auf; sie wirkten wie einige Spritzer Grün zwischen dem Scharlachrot und Gelb der Anastasi. Einer der Offiziere blieb bei den Soldaten, während die beiden anderen hinter Maras Sänfte die drei Stufen auf das Podest hinaufstiegen. Dort setzten die Sklaven ihre Bürde ab. Die Regierender zweier großer Häuser standen sich gegenüber, der eine ein dürrer, gereizter Mann, die andere ein zierliches Mädchen, die um ihr Überleben kämpfte.
Chumaka fuhr mit der formellen Begrüßung fort: »Die Anasati heißen unsere gepriesenen Gäste willkommen, Lady der Acoma.«
Dem Brauch entsprechend antwortete Nacoya: »Die Acoma sprechen ihrem exzellenten Gastgeber ihren Dank aus, Lord der Anasati.« Trotz ihres Alters kam die alte Frau mit dem Gewicht des offiziellen Kostüms und der Hitze gut klar. Ihre Stimme war so deutlich, als wäre sie eher in die Rolle einer Ersten Ratgeberin als in die einer Amme hineingeboren worden.
Nachdem nun das offizielle Begrüßungszeremoniell beendet war, kam Tecuma gleich zur Sache: »Wir haben das Schreiben mit Eurem Ersuchen vor uns, Lady der Acoma.« Stille breitete sich unter den Höflingen aus, denn in Tecumas Worten war eine leichte Beleidigung versteckt. Er hatte Maras Heiratsangebot als Ersuchen bezeichnet und damit so getan, als wäre ihre soziale Stellung geringer als seine, was bedeutet hätte, daß sie seiner Macht zu belohnen oder zu bestrafen unterstand.
Doch das Mädchen auf der Sänfte reagierte, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. Sie antwortete auf eine Weise, in der gewöhnlich geschäftliche Aufträge mit Händlern besprochen wurden. »Ich bin erfreut, daß Ihr keine Schwierigkeiten hattet, unseren Wünschen nachzukommen, Lord Tecuma.«
Der Lord der Anasati richtete sich leicht auf. Dieses Mädchen besaß einen scharfen Verstand und ließ sich von seiner Begrüßung nicht aus der Ruhe bringen. Doch es war ein langer und heißer Tag, und je eher diese lächerliche Angelegenheit hinter ihm lag, desto früher konnte er zu einem der kühlen Teiche aufbrechen und dort baden, vielleicht mit etwas Musik im Hintergrund. Aber auch gegenüber einem erklärten Feind mußte er die Formen der Höflichkeit wahren. Ungeduldig gestikulierte er mit seinem Amtsstab.
Chumaka antwortete mit einem salbungsvollen Lächeln und einer kaum wahrnehmbaren Verbeugung. »Was also bietet die Lady der Acoma?« Wäre Maras Vater noch am Leben, hätte Lord Sezu die Verhandlungen über die Vermählung seines Sohnes oder seiner Tochter geführt. Als Herrscherin war sie es jetzt, die sämtliche Eheschließungen innerhalb ihres Hauses in die Wege leiten mußte, eingeschlossen ihrer eigenen – von der Anstellung eines Heiratsmaklers, der für den ersten Kontakt gesorgt hatte, bis zum offiziellen Treffen mit dem Lord der Anasati.
Nacoya verneigte sich, doch so oberflächlich, daß niemand die Beleidigung darin übersehen konnte. »Die Lady der Acoma sucht –«
»Einen Ehemann«, unterbrach Mara.
Eine Welle der Unruhe lief durch den Raum, wich aber rasch einem Zustand höchster Aufmerksamkeit. Niemand hatte daran gezweifelt, daß diese unverschämte Herrscherin der Acoma einen Gatten verlangen würde, einen, der laut Gesetz nicht an ihrer Herrschaft beteiligt sein würde.
»Einen Ehemann?« Chumaka wölbte die Brauen; er war sichtlich neugierig geworden angesichts dieser unerwarteten Entwicklung. Augenscheinlich war auch die Erste Beraterin der Acoma von diesem Angebot überrascht worden, denn die alte Frau warf einen verblüfften Blick auf das Mädchen, bevor sie ihre Fassung wiedererlangte. Chumaka meinte erkennen zu können, wohin die unerwartete Wendung führen würde, doch er war sich nicht ganz sicher, und das verursachte ihm ein Unbehagen ähnlich einer unerreichbaren juckenden Stelle.
Mara antwortete jetzt selbst; ihre Stimme klang dünn in der gewaltigen Halle der Anasati: »Ich bin zu jung für die gewichtige Verantwortung des Herrschens, Mylord. Ich stand kurz davor, als Schwester dem Orden Lashimas beizutreten, als ich von dieser furchtbaren Ehre überrascht wurde. Mein Unwissen darf nicht zu einer Gefahr für die Acoma werden. Im vollen Bewußtsein dessen, was ich tue, suche ich einen Sohn der Anasati, der mit mir zurückkehrt. Wenn wir verheiratet sind, wird er Herrscher der Acoma sein.«
Der Lord der Anasati war sprachlos. Von allen möglichen Forderungen hatten sie diese nicht in Betracht gezogen. Dieses Mädchen hatte nicht nur in einem Atemzug den Platz der Macht geräumt, sondern auch nocht wirkungsvoll die Kontrolle über ihr Haus in die Hände der Anasati gegeben – der Familie, die zu den ältesten politischen Feinden ihres Vaters gehörte. Dieses Anliegen kam so unerwartet, daß viele der in der Halle Versammelten aufgeregt zu flüstern begannen. Der Lord der Anasati erlangte jedoch schnell seine Fassung wieder und bedeutete seinen Höflingen mit scharfem Blick und einer nur angedeuteten Bewegung seines Stabs zu schweigen.
Er starrte angestrengt auf das Gesicht dieses Mädchens, das um die Hand eines seiner Söhne gebeten hatte. »Ihr seid bestrebt, Eure Ehre meinem Haus anzutragen, Lady Darf ich fragen, warum?« fragte er freiheraus.
Die Höflinge warteten reglos auf ihre Antwort; die einzigen Bewegungen rührten von den jäh aufblitzenden Spiegelungen des Sonnenlichts, das durch die Tür hindurch auf die edelsteinbesetzten Gewänder fiel. Mara beachtete das blendende Licht nicht und senkte ihre Augen, als wäre sie beschämt. »Meine Position ist schwach, Lord Tecuma. Die Güter der Acoma sind noch immer fruchtbar und reich, aber ich bin nur ein Mädchen mit wenig Möglichkeiten. Wenn mein Haus schon an Macht verlieren muß, dann möchte ich wenigstens Verbündete suchen. Der größte Feind meines Vaters war der Lord der Minwanabi. Dies ist kein Geheimnis. Daß zwischen ihm und Euch gegenwärtig Frieden herrscht, ist nur eine Sache des Augenblicks. Früher oder später werdet auch Ihr aufeinanderprallen.« Ihre kleinen Hände verkrampften sich in ihrem Schoß, und ihre Stimme wurde lauter vor Entschlossenheit: »Ich würde mich mit jedem verbinden, der eines Tages den Mann vernichten kann, der für den Tod meines Vaters verantwortlich ist.«
Der Erste Berater des Lords der Anasati wandte sich ab, damit niemand sein Gesicht sehen konnte – es war davon auszugehen, daß sich mindestens einer der Soldaten der Acoma als Spion erweisen würde, der von den Lippen ablesen konnte. »Ich glaube kein Wort von all dem, Mylord«, flüsterte er Lord Tecuma ins Ohr.
Der Lord der Anasati neigte seinen Kopf ganz leicht und antwortete mit nahezu geschlossenem Mund: »Ich auch nicht. Doch wenn dieses Mädchen Jiro zum Lord der Acoma macht, kann ich einen lebenslangen Verbündeten für mein Haus gewinnen. Und mein Sohn erhält einen Rang, der weit über dem liegt, was ich jemals für ihn zu erhoffen wagte. Außerdem hat sie recht: Früher oder später wird es zu einer endgültigen Abrechnung zwischen mir und Jingu von den Minwanabi kommen. Wenn wir die Minwanabi vernichten, wird einer meiner Söhne der Lord einer der Fünf Großen Familien sein.«
Chumaka schüttelte in einer schwachen Geste der Resignation den Kopf. Sein Lord glaubte also, daß eines Tages seine Nachkommen von zwei verschiedenen Häusern aus um das Amt des Kriegsherrn konkurrieren würden. Tecuma führte seinen Gedanken fort: »Abgesehen davon wird sie nichts anderes als die Frau des Herrschers sein. Ihr Ehemann diktiert die Politik der Acoma. Nein, Chumaka, welchen Plan auch immer Mara verfolgt, diese Gelegenheit ist zu gut, um sie vorbeiziehen zu lassen. Ich glaube nicht, daß dieses Mädchen gerissen genug ist, um uns hereinzulegen, wenn Jiro erst einmal über die Acoma herrscht.«
Tecuma betrachtete seine drei Söhne und sah, wie Jiro einen prüfenden Blick auf Mara warf. Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen fand der zweite Sohn sowohl die zu erwartende Position als auch das Mädchen selbst beeindruckend; als vernünftiger junger Mann mußte er eine solche Heirat einfach begrüßen. In diesem Augenblick suchte der Junge den Blick des Vaters und nickte zustimmend. Nach Tecumas Empfinden strahlte Jiros Gesicht ein bißchen zu viel Begierde aus, und das Nicken war etwas zu begeistert. Der Junge wußte, daß die Macht nur um Haaresbreite von ihm entfernt lag, und er begehrte sie ganz offen. Tecuma seufzte beinahe; Jiro war jung und würde noch lernen müssen. Ein unangenehmes Gefühl beschlich den alten Mann; etwas gefiel ihm nicht. Einen Moment lang erwog er, das Mädchen einfach wieder wegzuschicken, sie der nicht so zartbesaiteten Gnade der Minwanabi zu überlassen. Seine Zielstrebigkeit hielt ihn davon ab. Sein Sohn würde einen bis dahin nicht für möglich gehaltenen Rang bekleiden, und er selbst könnte das Vergnügen auskosten, daß die Tochter eines alten Feindes endlich und endgültig ihm Untertan war – all das beseitigte seine letzten Zweifel. Der Lord der Anasati winkte seinen Berater zur Seite und wandte sich an Mara: »Ihr habt weise entschieden, Tochter.« Indem er sie Tochter nannte, hatte er vor Zeugen unwiderruflich das Angebot zu einer Heirat angenommen. »Wen möchtet Ihr heiraten?«
Nacoya konnte ihren Zorn kaum verbergen und bewegte ihren Fächer heftig hin und her – weniger um ihr Gesicht zu kühlen, als vielmehr um ihre vor Wut zitternde Hand angesichts dieses Verrats zu verbergen. Mara lächelte. Sie sah wie ein Kind aus, dessen Eltern gerade die Dämonen der Nacht vertrieben hatten. Sie ließ sich von den zwei Offizieren aus der Sänfte helfen. Der Brauch sah vor, daß sie jetzt den Bräutigam auswählte. Tecuma von den Anasati war vollkommen arglos, als seine zukünftige Schwiegertochter die Sänfte verließ; die hektische Bewegung seines ersten Beraters, als das Mädchen auf Jiro zuging, beachtete er nicht. Sie trippelte in kleinen Schritten nach vorn, da ihr riesiges zeremonielles Gewand einen anderen Gang nicht zuließ. Licht fing sich in ihrer mit Juwelen besetzten Kopfbedeckung, als sie vor die Kissen trat, auf denen die drei Söhne in vollem Hofgewand saßen. Halesko und Buntokapi sahen ihren Bruder mit unterschiedlichem Gesichtsausdruck an; Halesko zeigte so etwas wie Stolz, während der Jüngste völlige Gleichgültigkeit zur Schau stellte.
Mara verbeugte sich in der vorgeschriebenen Weise vor ihrem Verlobten und trat vor. Ohne zu zögern, legte sie ihre Hand auf die Schulter von Tecumas drittem Sohn. »Buntokapi von den Anasati, wollt Ihr mit mir kommen und Lord der Acoma sein?«
Chumaka stöhnte auf. »Ich wußte es! Als sie aus der Sänfte stieg, wußte ich, daß es Bunto sein würde!« Er wandte seine Aufmerksamkeit Nacoya zu, die ihr Gesicht immer noch hinter dem Fächer versteckte. Ihre Augen jedoch, eben noch voller Wut, schienen jetzt leer zu sein. Chumaka fühlte sich plötzlich unbehaglich. Konnten sie alle das Mädchen so schrecklich unterschätzt haben? Er riß sich zusammen und wandte sich an seinen Herrn.
Der Lord thronte, allein und verloren, inmitten der Stille über den verwirrten Reihen seines Hofes. Sein stiernackiger dritter Sohn erhob sich und schritt unbeholfen an Maras Seite; ein selbstgefälliges Lächeln lag auf seinem Gesicht. Der Lord der Anasati forderte Chumaka mit einer dringenden Geste auf, zu ihm zu eilen, und der Erste Berater kam der Aufforderung nach. »Was soll das? Warum gerade Bunto?« flüsterte Tecuma ihm ins Ohr.
Chumaka antwortete mit leiser Stimme: »Sie sucht einen Ehemann, den sie kontrollieren kann.«
Tecuma runzelte die Stirn in einem stürmischen Anfall von Mißfallen. »Das muß ich verhindern.«
»Lord, das könnt Ihr nicht. Das Ritual ist schon zu weit fortgeschritten. Wenn Ihr Eure frühere Zusage wieder zurücknehmt, müßt Ihr die Lady und all ihre Krieger jetzt und hier töten.« Es schien ganz so, als wäre ihm plötzlich sein Kragen zu eng geworden, als er die fünfzig Krieger der Acoma nur ein halbes Dutzend Schritte entfernt stehen sah. »Ich muß Euch daran erinnern«, fügte er hinzu, »daß Eure eigenen Soldaten außerhalb dieses Gebäudes stehen. Selbst, wenn Ihr ein solches Blutbad überleben würdet – was ziemlich unwahrscheinlich ist –, würdet Ihr jede Ehre verlieren.«
Diese letzte Bemerkung traf Tecuma, denn er erkannte die Wahrheit darin. Selbst wenn er Mara auf der Stelle töten lassen würde, würde er seine moralische Position verlieren; sein Wort innerhalb des Rates wäre bedeutungslos, und seine beachtliche Macht würde sich in nichts auflösen. Er errötete vor Zorn. »Wenn dieser Idiot von Minwanabi diese Hexe letzten Monat nur getötet hätte!« flüsterte er giftig. Als Mara dann mit offensichtlicher Unschuld in seine Richtung blickte, zwang er sich zur Ruhe. »Wir müssen ihre Gerissenheit gegen sie verwenden und versuchen Vorteile daraus zu ziehen, Chumaka. Jiro kann immer noch eine starke Verbindung eingehen, und Bunto …« Seine Stimme wurde leiser. »Ich habe niemals daran geglaubt, daß er es zu etwas bringen würde. Jetzt wird er der Lord eines großen Hauses. Dieses Mädchen mag einen weichen, formbaren Ehemann gewonnen haben, aber sie ist eine unerfahrene Jungfrau aus dem Orden Lashimas. Buntokapi wird ihr Herr werden, der Herrscher der Acoma, und er ist mein Sohn. Um die Ehre der Anasati willen wird er tun, was ich von ihm verlange!«
Chumaka betrachtete das ungleiche Paar, das jetzt zur Sänfte zurückkehrte. Er gab sich große Mühe, sein Mißfallen zu verbergen, als Buntokapi seine krummen Beine beugte und sich unbeholfen neben Mara in die Sänfte der Acoma setzte. Sein stumpfsinniges und gelangweiltes Gesicht hatte bereits einen Ausdruck angenommen, den kein einziger der im Saal versammelten Gäste jemals zuvor bei ihm erlebt hatte: Die Lippen des Jungen kräuselten sich vor Stolz, ja beinahe Hochmut. Etwas, das lange in Buntokapi geschlummert hatte, war jetzt erwacht – dieselbe Gier nach Macht, die noch einen Augenblick zuvor Jiro gezeigt hatte. Nun war es für Buntokapi kein Traum mehr, sondern etwas, das er bereits fest in den Händen hielt. Der Blick in seinen Augen und das plötzlich so selbstbewußte Lächeln verrieten deutlich, daß er lieber sterben würde, als sich diese Macht wieder entreißen zu lassen. »Ich hoffe, Ihr habt recht, Mylord«, flüsterte der Erste Berater.
Der Herrscher der Anasati, der in dem aus sorgfältig übereinander gelegten Schichten bestehenden Gewand ziemlich zerknittert aussah, beachtete die Bemerkung nicht. Doch Chumaka konnte die Schleifen am Rücken der kostbaren Kleider seines Herrn vor Wut zittern sehen, während Maras Bedienstete das Verlobungsritual zu Ende führten und dann die Halle verließen. Dem Ersten Berater der Anasati war nur zu klar, daß der Mördervogel nicht weniger tödlich war, wenn er von drückenden Kleidern eingeengt wurde.
Nacoya kämpfte gegen die Müdigkeit an. Das Alter und die Anspannung hatten den Tag unerträglich in die Länge gezogen. Erst die lange, anstrengende Reise, dann die Hitze in der großen Halle und schließlich der Schock über Maras unerwartetes Verhalten hatten die alte Amme an den Rand der Erschöpfung gebracht. Dennoch war sie eine Tsurani und eine Acoma, genauso wie Erste Beraterin, und sie hätte sich lieber bewußtlos aus der Halle tragen lassen, als daß sie ihr Haus beschämte, indem sie um die Erlaubnis bat, sich zurückziehen zu dürfen.
Das traditionelle Verlobungsfest war so aufwendig, wie es der Feier für einen Sohn der Anasati entsprach. Dennoch lastete ein merkwürdiger Druck auf der Veranstaltung, denn niemand war so ganz sicher, was denn eigentlich wirklich gefeiert wurde. Mara war während des ersten Teil des Festes ruhig gewesen, sie hatte zu niemandem etwas von Bedeutung gesagt. Ihre Offiziere Keyoke, Papewaio und Tasido behielten ihre formelle Haltung bei, tranken nur wenig oder gar keinen San-Wein. Zumindest kommt jetzt etwas Wind auf, dachte Nacoya. Zwar war es noch immer warm in der großen Halle, aber nicht mehr so drückend wie den ganzen Tag hindurch.
Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf den Tisch, an dem die Tochter der Acoma saß. Die Gäste waren entweder Mitglieder des Haushalts der Anasati oder Verbündete, und sie alle versuchten die möglichen Folgen zu erkennen, die mit Maras Entscheidung verbunden waren. Nach außen hin schien das Mädchen die Kontrolle über ihr Haus aufgegeben zu haben, zugunsten der Garantie von Sicherheit. Es war ein Schritt, den zwar niemand freudig begrüßen würde, dem es aber nicht völlig an Ehre mangelte. Wenn auch die Acoma für viele Jahre Mandanten der Anasati sein würden, könnte in der Zukunft ein junger Lord der Acoma sich erheben, einen eigenen Platz im Spiel des Rates einnehmen und neue Bündnisse schmieden. Und in der Zwischenzeit würde der Name der Acoma den Schutz erhalten, den er benötigte. Aber für die Mitglieder des gegenwärtigen Haushaltes war Maras Verlobung ein bitteres Eingeständnis der Schwäche. Nacoya fröstelte trotz der Sommerhitze, und sie zog einen Fransenschal um ihre Schultern.
Sie blickte auf das Kopfende des Tisches und betrachtete Tecuma. Auch der Lord der Anasati gab sich das ganze Fest hindurch zurückhaltend; für einen Mann, der gerade einen in dieser Form niemals erhofften Sieg über einen alten Rivalen errungen hatte, waren seine Gespräche ziemlich nüchtern und ernst. Sicher mochte es für Buntokapi im Spiel des Rates von Vorteil sein, daß er die Herrschaft über die Acoma erlangt hatte, doch sein Vater schien über diese Heirat so besorgt wie Nacoya, wenn auch aus anderen Gründen. Er konnte seinen Sohn nicht einschätzen.
Nacoya wandte ihre Aufmerksamkeit von Tecuma ab. Der einzige, der sich wirklich auf dieser Feier amüsierte, schien Buntokapi zu sein. Eine ganze Stunde lang hatte er seinen Brüdern immer wieder betrunken erklärt, daß sie um nichts besser wären als er; dann hatte er über den Tisch hingweg Jiro zugerufen, daß nun der zweitgeborene Sohn sich vor dem drittgeborenen würde verbeugen müssen, wann immer sie sich träfen. Dem gequälten, eisigen Lächeln des älteren Bruders nach zu urteilen würde das höchst selten geschehen. Als der Abend sich in die Länge zog, war Buntokapi dazu übergegangen, nur noch seinen Teller anzustieren und vor sich hin zu murmeln; anscheinend hatten reichlich San-Wein zum Essen und Acamel-Brandy danach dafür gesorgt, daß er sich kaum noch bewegen konnte.
Nacoya schüttelte leicht den Kopf. Als Buntokapi zum ersten Mal von seiner Überlegenheit gegenüber seinen Brüdern gesprochen hatte, hatte Jiro einen langen, durchdringenden Blick auf Mara geworfen. Während des Essens hatte sich dann deutlich herausgestellt, daß das Mädchen einen neuen Feind gewonnen hatte. Es mochte nur ein kurzer Augenblick gewesen sein, den Jiro geglaubt hatte, Lord der Acuma zu werden, doch diese kurze Hoffnung genügte ihm, sich betrogen zu fühlen und zu glauben, daß Buntokapi einen Mantel trug, der rechtmäßig ihm zustand. Es spielte dabei keine Rolle, daß der Grund für Jiros wütende Enttäuschung die Zerstörung von Erwartungen war, die er selbst aufgebaut hatte. Statt dessen machte er Mara dafür verantwortlich. Als Tecumas Bedienstete den Gästen den zeremoniellen San-Wein brachten, hatte Jiro kaum daran genippt, sondern sich zum frühestmöglichen Zeitpunkt zurückgezogen, da es nicht mehr als Beleidigung gewertet werden würde. Müde zwang Nacoya sich, ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Kopfende der Tafel zu richten.
Tecuma betrachtete Buntokapi lange und aufmerksam, dann sprach er ein paar ruhige Worte mit Mara, die einen Blick auf ihren zukünftigen Ehemann warf und zustimmend nickte. Buntokapi blinzelte und versuchte der Unterhaltung zu folgen, aber er war offensichtlich zu betrunken, um noch etwas begreifen zu können. Tecuma erklärte Chumaka etwas, der daraufhin zwei Diener herbeibefahl. Als die kühle Abendluft Nacoya etwas frische Luft verschaffte, trugen zwei kräftige Diener den zukünftigen Lord der Acoma in sein Bett. Mara wartete einen geeigneten Moment ab und bat dann um die Erlaubnis, gehen zu dürfen. Tecuma nickte schroff, und die gesamte Gesellschaft erhob sich zum Gruß für die zukünftige Braut.
Die Musiker, die den ganzen Abend hindurch gespielt hatten, begannen eine angemessene Melodie, während Mara den Gästen gute Nacht wünschte. Als Nacoya sich mit den restlichen Mitgliedern der Acoma ebenfalls zurückziehen wollte, sah sie Chumaka auf sich zukommen.
»Ihr verlaßt uns schon bald?« wollte er wissen.
Nacoya nickte. »Morgen. Meine Herrin möchte sofort auf ihre Güter zurückkehren, um mit den Vorbereitungen für die Hochzeit und die Ankunft des neuen Lords beginnen zu können.«
Chumaka breitete seine Hände aus, als wollte er damit sagen, daß dies kein Problem wäre. »Ich werde einen Schreiber beauftragen, die Verlobungsdokumente noch heute nacht vorzubereiten, damit Lady Mara sie morgen vor ihrer Abreise unterschreiben kann.« Er wollte sich gerade umdrehen, doch dann hielt er inne und sagte in ungewöhnlicher Offenheit: »Ich hoffe für unser aller Wohlergehen, daß Eure junge Lady keinen Fehler gemacht hat.«
Nacoya, völlig überrascht, enthielt sich einer klaren Antwort. »Und ich kann nur hoffen, daß die Götter diese Verbindung segnen werden«, meinte sie statt dessen.
Chumaka lächelte. »Natürlich, das tun wir alle. Bis morgen also.«
Nacoya nickte und ging hinaus, nachdem sie die beiden verbliebenen Bediensteten der Acoma aufgefordert hatte, sie zu begleiten. Während ein Diener der Anasati sie in ihre Gemächer führte, dachte sie über Chumakas unerwartete Worte nach und überlegte, ob er möglicherweise recht hatte.
Die Soldaten der Acoma-Gefolgschaft wirbelten kleine Staubwolken auf, als sie langsam auf die Hauptmacht der Krieger zumarschierten. Die Krieger hatten an der Brücke nahe der Grenze der Ländereien der Anasati ein Lager aufgeschlagen und dort gewartet. Nacoya hatte geschwiegen, seit sie neben Mara auf den Kissen des großen Palankin Platz genommen hatte. Was immer die Herrscherin plante, sie behielt es für sich, und Nacoya beschloß, keine Fragen zu stellen. Selbst in der Rolle einer Ersten Beraterin durfte sie ihre Herrin nicht belehren, ohne um Rat gebeten worden zu sein. Aber eine alte Amme konnte ihre Zweifel kundtun. Nacoya beschwor die Bilder von Buntokapis merkwürdigem Verhalten während des Festes wieder herauf. »Ich hoffe, Ihr könnt ihn wirklich kontrollieren, Mistress«, meinte sie etwas säuerlich zu ihrem Schützling.
Mara war tief in Gedanken versunken gewesen und richtete ihre Aufmerksamkeit jetzt wieder auf ihre nähere Umgebung. »Was? Oh, Bunto. Er ist wie ein Needra-Bulle, der brünstige Kühe wittert, Nacoya. Sein gesamtes Hirn liegt zwischen seinen Beinen. Ich glaube, er ist der Mann, der uns genau das bescheren wird, was wir brauchen.«
Nacoya murmelte etwas Unverständliches. Nachdem sie den Schock über Maras Entscheidung verarbeitet hatte, hatte die alte Amme begonnen, den größeren Plan dahinter zu erspüren. Mara gab den Anasati die Kontrolle über ihre Familie nicht einfach dafür, um den Namen der Acoma zu erhalten. Seit ihrem Schachzug, durch den sie die Banditen in den Bergen gewonnen hatte, vertraute sie Nacoya allerdings nur noch solche Dinge an, von denen sie glaubte, daß die alte Amme sie wissen sollte. Beinahe über Nacht, so schien es, hatte die unschuldige Tempeldienerin bewiesen, daß sie nicht länger ein Kind war. Nacoya hegte Zweifel, sogar Ängste angesichts der störrischen Naivität des Mädchens gegenüber Männern, doch Mara hatte sich eindrucksvoll als kämpferische Spielerin des Großen Spieles präsentiert.
Im Licht der neuen Verpflichtung, die ihre Herrin eingegangen war, studierte Nacoya die Stärken und Schwächen, die Muster und Kräfte der anderen Spieler. Und was sie in Buntokapi entdeckt hatte, brachte sie zu der Überzeugung, daß ihre geliebte Mara ihn möglicherweise unterschätzt hatte. Den dritten Sohn des Lords der Anasati umgab etwas Gefährliches, etwas, für das Nacoya keinen Namen fand. Sie überlegte, wie es ihrem wohlgeordneten Haus unter einem solchen Herrscher wohl ergehen würde. Maras Stimme riß sie aus ihren Gedanken. »Was ist hier los?«
Nacoya schob die Vorhänge zur Seite und blinzelte, als das grelle Sonnenlicht des Nachmittags ihre Augen traf. Soldaten der Acoma standen an der Straße, an der sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, doch keiner von ihnen war bereit zum Abmarsch. Statt dessen hatten sie sich in zwei Gruppen gespalten, die sich in einiger Entfernung gegenüberstanden. »Es gibt Ärger, schätze ich«, sagte Nacoya leise.
Mara befahl ihrer Eskorte anzuhalten. Sie schob die herabfallende Gaze etwas hoch und gab Keyoke auf seine Bitte hin die Erlaubnis, der Sache auf den Grund zu gehen.
Mit einer Geschwindigkeit, die sein Alter Lügen strafte, verließ der Kommandeur die Spitze der Eskorte und eilte zu den ungeordnet herumstehenden Soldaten. Die beiden Gruppen umringten ihn, einige Männer versuchten gleichzeitig auf ihn einzureden. Keyoke befahl Ruhe, und sofort verstummten alle. Er stellte zwei gezielte Fragen, dann rief er Mara zu: »Es sind Schwierigkeiten aufgetreten, während wir fort waren, Mistress. Ich werde Euch gleich davon in Kenntnis setzen.«
Die Luft über der Straße flimmerte vor Hitze. Keyoke befragte die Soldaten, erhielt schnelle Antworten und hatte bald darauf drei Männer herausgesucht. Mit diesen marschierte er zum Palankin seiner Herrin zurück. Ihre schmutzigen, schweißbedeckten Gesichter trugen die Spuren eines Kampfes.
»Dies ist Selmon, Mylady« Keyoke deutete auf einen Mann mit einer zerrissenen Tunika und immer noch blutenden Knöcheln.
»Ich weiß.« Maras Gesichtsausdruck war im dunklen Schatten der Vorhänge nicht zu erkennen. »Einer der Neuen.« Sie benutzte das Wort »Neue« für alle, die bis vor kurzem noch Graue Krieger gewesen waren. »Da wir nur drei Offiziere haben, ließt ihr ihn als Patrouillenführer zurück.«
Keyoke schien erfreut darüber zu sein, daß Mara mit seiner Organisation der Soldaten vertraut war, aber seine Aufmerksamkeit galt weiterhin den drei Soldaten. »Selmon schien die entsprechenden Fähigkeiten zu besitzen, aber vielleicht habe ich mich geirrt.«
Mara blickte die anderen beiden Männer eingehend an. Den einen, Zataki, kannte sie schon seit Jahren; als Junge hatte er mit Lanokota und ihr gespielt. Mara erinnerte sich daran, daß er zu Wutanfällen neigte, und versuchte das Problem zu erraten. »Ich vermute, es war so, Zataki: Selmon gab Euch einen Befehl, und Ihr habt ihn verweigert.«
Zataki reckte sein Kinn in die Höhe. »Mylady, dieser Selmon befahl uns, die erste Wache zu übernehmen, während er und seine Kameraden sich nach dem langen Tagesmarsch ausruhten und aßen.«
Mara betrachtete den dritten Mann. »Ihr seid … Kartachaltaka, auch einer der Neuen. Ihr habt an Zatakis Weigerung zu gehorchen Anstoß genommen.«
Jetzt richtete Kartachaltaka sich gerade auf. »Mylady, er und die anderen behandeln uns von oben herab und geben uns die niedrigsten Aufgaben, wann immer sie wollen.«
Mara blickte jetzt wieder zu Selmon. »Du hast seine Seite ergriffen?«
Keyoke beeilte sich zu antworten. »Nein, Mylady. Er versuchte nur einzuschreiten und die Rauferei zu beenden. Er handelte angemessen.«
Mara erhob sich aus den Kissen. Ohne Keyokes Hilfe abzuwarten stieg sie vom Palankin und stand den beiden Männern gegenüber, die miteinander gestritten hatten. »Auf die Knie!« befahl sie. Obwohl sie einen ganzen Kopf kleiner als jeder der beiden war, ließ das zierliche Mädchen im blaßgelben Gewand keinen Zweifel daran, daß sie die höchste Befehlsgewalt der Acoma innehatte.
Die Waffen klirrten, als die Männer ohne einen Augenblick zu zögern die übliche Haltung der Unterwerfung einnahmen. »Hört mir zu, ihr alle!« forderte Mara die anderen Soldaten mit lauter Stimme auf.
»Nehmt Haltung an«, rief Keyoke. Innerhalb weniger Sekunden stellte sich die gesamte Gefolgschaft vor Mara auf. Die zwei knienden Soldaten kehrten ihren Kameraden den Rücken zu.
»Was ist die gerechte Strafe für diese beiden?« wollte Mara von Keyoke wissen.
Keyoke sprach ohne jedes Bedauern in seiner Stimme: »Mistress, diese Männer verdienen den Tod durch den Strang.« Mara zuckte zusammen, als sie Keyokes Augen begegnete. Sie hatte nicht erwartet, daß die Strafe so hart sein würde. Der Kommandeur kratzte sich deutlich mit dem Daumen am Kinn.
Keyokes Geste warnte Mara, daß ihre Entscheidung ernste Konsequenzen haben würde. Mara blickte Papewaio an, doch dessen Gesicht war eine unlesbare Maske. Dann, kaum wahrnehmbar, nickte er einmal kurz und bekräftigte damit seine volle Zustimmung zu Keyokes Urteil.
Mara spürte Kälte in sich aufsteigen. Sie wußte, wenn sie jetzt nicht schnell und ohne Ausflüchte handelte, würde möglicherweise ein Bruch entstehen zwischen jenen, die den Acoma bereits seit Jahren dienten, und den anderen, die neu in den Dienst des Hauses getreten waren. Mara wappnete sich und wandte sich an die Soldaten. Ihre Stimme enthielt kaum beherrschte Wut. »Es gibt keine bevorzugten Männer in dieser Garnison! Es gibt nicht länger ›Neue‹ und ›Alte Wachen‹. Nur Soldaten der Acoma tragen das Grün der Acoma. Jeder von euch schwor zu gehorchen und sein Leben in den Dienst des Hauses der Acoma zu stellen.«
Sie schritt entschlossen die Reihen ab und blickte einem nach dem anderen ins abgehärtete Gesicht. »Einige von Euch kenne ich seit meiner Kindheit. Andere sind erst ein paar Wochen bei uns, aber jedem von Euch gebührt die gleiche Verantwortung dafür, das Grün der Acoma ehrenvoll zu tragen. Ich habe gerade versprochen, diesen Namen an einen anderen zu übergeben, um auf diese Weise dafür zu sorgen, daß die Acoma weiterleben werden!« Jetzt erhob sich ihre Stimme, und all die Soldaten, die zugegen waren, konnten ihre Wut erkennen. »Wer immer sich entehrt, während er das Grün der Acoma trägt, entehrt auch die Acoma und« – ihre Stimme nahm einen leisen, tödlichen Ton an – »entehrt mich.« Während die Männer ihre Aufstellung beibehielten, wanderten ihre Blicke unsicher umher, als sie sahen, daß Mara sich plötzlich den beiden Streitern zuwandte. Sie blickte hinab und sprach zu Zataki. »Ihr habt einen rechtmäßigen Befehl von einem Vorgesetzten erhalten, der von Eurem Kommandeur dazu bestimmt worden war. Ihr hattet keine andere Wahl, als zu gehorchen!«
Der Mann fiel nach vorn und drückte seine Stirn in den beißenden Staub der Straße, doch er unterließ es, Worte zu seiner Verteidigung zu stammeln, während seine Herrin sich an Kartachaltaka wandte. »Und Ihr habt die Hand gegen Euren Kameraden erhoben, während Ihr im Dienst wart!« Wie Zataki sank auch er unterwürfig zu Boden. Armreifen aus kostbarem Metall klirrten an Maras Handgelenk; es war das Verlobungsgeschenk des Lords der Anasati, und die Tatsache, daß sie als Zeichen persönlicher Bewunderung getragen werden sollten, erinnerte die knienden Männer an ihre eigene Position. In der Sonne schwitzend preßten sie sich gegen die Erde. Ihre Herrin wandte sich an ihren Kommandeur. »Diese beiden Männer haben sich der Verletzung der Ehre der Acoma schuldig gemacht. Hängt sie.«
Keyoke beauftragte sofort einige Soldaten mit der Durchführung der Exekution. Für den Bruchteil eines Augenblicks sah Mara in den Augen der beiden Verurteilten Furcht aufblitzen. Es war nicht die Furcht vor dem Tode, denn beide Krieger hätten den Tod ohne zu zögern entgegengenommen; es war die Furcht davor, zum schamvollen Tod eines Sklaven verurteilt worden zu sein: dem Tod durch den Strang. Sie hatten die Ehre eines Kriegers verloren und wußten, daß sie bei der nächsten Runde auf dem Rad des Lebens eine Stellung innehaben würden, die tiefer als ihre bisherige war – als Diener vielleicht, möglicherweise sogar als Sklave. Dann zeigten sie wieder die angemessene Maske der Tsurani. Nur indem sie diesem elendigsten aller Tode angemessen ins Auge sahen, konnten sie Gnade für die Zeit erhoffen, wenn ihr Geist und ihre Seele das nächste Mal an das Rad gebunden würden.
Mara stand reglos neben ihrer Sänfte, eine Statue aus stählerner Selbstkontrolle, während die Soldaten die Verurteilten zu einem großen Baum mit gewaltigen Ästen führten. Schnell wurden die beiden Männer ihrer Rüstungen entledigt, dann band man die Hände auf dem Rücken zusammen. Ohne Zeremonie oder ein letztes Gebet verknoteten andere Soldaten die Seile zu Schlingen, warfen sie über die Äste und legten die Schlingen um die Hälse der Männer. Das Signal erklang. Ein halbes Dutzend Soldaten zog kräftig an den Seilen; sie versuchten den Männern rasch das Genick zu brechen und ihnen einen gnädigen, schnellen Tod zu bescheren. Zatakis Genick brach mit einem hörbaren Knacken, und er starb sofort, zappelte einen kurzen Moment und hing dann reglos am Seil. Kartachaltakas Tod war schmerzhafter, er erstickte langsam, trat um sich und schwang hin und her, aber am Ende hing auch er still wie eine bittere Frucht vom Baum.
»Keyoke, gehen wir nach Hause«, sagte Mara mit schwacher Stimme.
Plötzlich schien die Sonne viel zu grell zu sein. Überwältigt von der Tatsache, daß gerade ein von ihr über zwei Männer verhängtes Todesurteil vollstreckt worden war, hielt Mara sich am Rand des Palankins fest, ohne ihre Schwäche vor den Soldaten preiszugeben. Sie gab einem der Sklavenjungen ein Zeichen, und er brachte mit Früchten gesüßtes Wasser. Sie trank langsam und bemühte sich, ihre Fassung wiederzugewinnen, während Keyoke die Männer für den Weg zurück zum Herrenhaus aufstellte.
Nacoya hatte sich schweigend im Schutz der Sänfte aufgehalten, aber als Mara jetzt noch immer reglos dastand, forderte sie sie auf, sich zu setzen. »Mistress?«
Mara übergab dem Sklaven den leeren Becher. »Ich komme, Nacoya. Wir müssen weiter. Bis zur Hochzeit in einem Monat gibt es noch viel zu tun.« Ohne ein weiteres Wort kletterte sie in die Sänfte. Als die Träger sich hinunterbeugten, um die schwere Last wieder aufzunehmen, rückte sie sich neben Nacoya in den Kissen zurecht und verfiel in ein schwermütiges Schweigen. Keyoke gab den Befehl zum Abmarsch, und die Soldaten formierten sich vor, hinter und neben dem Palankin, zumindest nach außen wieder eine einheitliche Gruppe.
Mara begann zu zittern, ihre Augen wurden weit und blickten ins Leere. Ohne etwas zu sagen, legte Nacoya ihren Arm um die Schultern des Mädchens. Das Zittern hörte auch nicht auf, als die Gruppe ihren Marsch begann, und jetzt zitterte Mara sogar so stark, daß Nacoya das bebende Mädchen in ihre Arme nehmen mußte. Still barg die noch sehr junge Herrin der Acoma ihr Gesicht an der Schulter ihrer Amme und erstickte ihre Schluchzer.
Während sie sich der Grenze ihres Landes näherten, sann Mara über die Schwierigkeiten nach, denen sie gegenüberstand. Sie hatte nur kurz mit Keyoke und Nacoya gesprochen, seit sie die Exekution der beiden Soldaten angeordnet hatte. Mara wußte, daß sie den Konflikt zwischen den früheren Grauen Kriegern und den Überlebenden der Garnison ihres Vaters hätte voraussehen müssen.
Sie machte sich Vorwürfe, daß sie in dieser Sache versagt hatte, und zog die Vorhänge der Sänfte zurück, um ihren Kommandeur zu sich zu rufen. Kurz darauf erschien er an ihrer Seite. »Keyoke, warum forderte Selmon nur die altgedienten Soldaten zu der ersten Wache auf anstelle einer Mischung aus altgedienten und neuen Kriegern?« wollte sie von ihm wissen.
Falls ihn die Frage seiner Herrin überraschte, so zeigte er es jedenfalls nicht. »Lady, Selmon schlug fehl in dem Versuch, die älteren Soldaten nicht gegen sich aufzubringen. Indem er ihnen die erste Wache zuteilte, wollte er ihnen vom Mahl bis zum nächsten Morgen eine ungestörte Ruhe sichern, und er dachte, sie würden es anerkennen. Zataki war ein junger Hitzkopf, und wenn irgend jemand von uns dabeigewesen wäre« – er zeigte auf sich, Papewaio und Tasido, die drei Offiziere, die Mara in das Herrenhaus der Anasati begleitet hatten –, »wäre es nicht so weit gekommen.« Er hielt inne, während er über seine nächsten Worte nachdachte. »Aber Selmon hat sich dennoch bewährt. Der Konflikt zwischen den beiden Parteien stand bereits kurz davor, zu einem offenen Kampf auszuarten, und trotzdem ist es ihm gelungen, alle anderen zurückzuhalten, bis auf die beiden, die bestraft worden sind.«
Mara nickte. »Wenn wir zu Hause sind, ernennt Selmon offiziell zum Patrouillenführer. Unsere Streitkräfte sind jetzt so sehr gewachsen, daß wir mehr Offiziere benötigen.«
Dann traf Mara ohne Zögern eine ihrer schnellen Entscheidungen, die ihr den Respekt derer eintrugen, die ihr dienten. »Befördert auch zwei unserer besten Männer der alten Truppe. Wählt den besten von den Soldaten, die unserer Familie am längsten dienen, vielleicht Miaka, und macht ihn zum Befehlshaber. Und ernennt auch einen der neuen Männer. Dieser Gauner Lujan war bereits bei den Kotai Befehlshaber. Wenn Euch kein fähigerer Mann einfällt, gebt ihm den neuen Rang.«
Keyoke zuckte mit den Achseln, er konnte von den Neuen keinen besseren Kandidaten anbieten. Mara verbarg ihre Zufriedenheit darüber. »Ich werde diese Gruppierungen und Verbindungen schnell zerschlagen, und es wird keine Begünstigten geben.« Keyoke nickte leicht. Sein ledriges Gesicht zeigte den Hauch eines Lächelns – das äußerste, was er öffentlich an Anerkennung zeigen konnte. Mara sprach jetzt mehr zu sich selbst. »Ich werde bald Männer an meiner Seite brauchen, die mir ohne zu zögern gehorchen. Ich kann es mir nicht leisten, daß irgend etwas meine Pläne zerstört.«
Sie war jetzt eindeutig mit der Verantwortung des Herrschens beschäftigt. Keyoke eilte wieder an die Spitze der Truppe und dachte darüber nach, wie sehr das Mädchen bereits jetzt ihrem Vater ähnelte.
Als Maras Sänfte sich durch die Needra-Weiden der Acoma bewegte, fühlte sie sich zum ersten Mal, seit sie den Tempel Lashimas verlassen hatte, zufrieden. Ihre Gedanken rotierten. Sie würde ihre Überlegungen mit niemandem teilen, auch nicht mit Nacoya oder Keyoke. Denn diese Ideen verwandelten sich allmählich in konkrete Pläne, in den Beginn eines Schachzuges, der über den Versuch zu überleben weit hinausreichte und in ein Ziel mündete, das ihren jungen Geist schwindeln ließ.
Im Laufe der Zeit würde ihr Plan ergänzt und abgewandelt werden müssen, um sich unerwarteten Veränderungen in den Kräfteverhältnissen und Bündnissen im Spiel des Rates anzupassen. In vielerlei Hinsicht würde Entschlossenheit noch wichtiger sein als Ziele und Methoden, und sie hatte noch viele Jahre des Lernens vor sich, bevor das, was sie insgeheim den Großen Plan nannte, Früchte tragen konnte. Aber die Heirat mit Buntokapi war der erste kleine Schritt. Seit sie das Gebiet der Anasati verlassen hatte, war Hoffnung in ihr aufgekommen – und die mächtige Verlockung neuer Träume.
Als der Palankin in den Weg einschwenkte, der direkt auf das große Haus zuführte, nahmen eher praktische Überlegungen ihre Gedanken in Anspruch. Lichter glommen im düsteren Dämmerlicht, mehr, als bei gewöhnlichen Anlässen gerechtfertigt waren. In ihrem Schimmer sah Mara etwa achtzig Männer vor der Küche sitzen, viele von ihnen nahmen aus Schüsseln eine Mahlzeit zu sich. Lujahn lief zwischen ihnen hin und her, er sprach mit ihnen und gestikulierte wild mit den Händen. Als ihre Truppe sich näherte, stellten einige der Fremden die Schüsseln beiseite und standen auf. Die übrigen aßen weiter, aber sie alle wirkten äußerst nervös.
Mara warf einen Blick auf Nacoya, doch die alte Frau schlief, eingelullt von der Hitze und dem Schwanken der Sänfte während des langen Nachmittags. Als der Palankin auf den Boden gelassen wurde, eilte Lujan herbei, verbeugte sich höflich, während Keyoke Mara beim Aussteigen half. Bevor sie eine Frage stellen konnte, setzte der frühere Banditenführer zu einer Erklärung an: »Mistress, dies sind alles ehrbare Männer, zumindest so ehrbar, wie ich in der Lage bin, es zu beurteilen. Sie alle würden gerne in Euren Dienst treten.«
»Soldaten?« Keyoke war sofort interessiert und ließ Maras Hand los.
Lujan nahm seinen Helm ab, und die Lichter spiegelten sich wie kleine Blitze in seinen tiefliegenden Augen. »Unglücklicherweise nur wenige von ihnen, Kommandeur. Aber die anderen sind Waffenmeister, Schuhmacher, Wagenbauer oder andere Handwerker, und zwei sind Bauern.«
»Gut«, sagte Mara. »Ich habe bald kein Land mehr, das ich neuen Bauern geben könnte. Nun, wie viele Soldaten sind es?«
»Dreiunddreißig.« Lujan schritt mit einer Geschmeidigkeit zur Seite, die besser zu einem Tänzer als zu einem Krieger gepaßt hätte. Er half der gerade erwachten Nacoya aus der Sänfte, doch seine Aufmerksamkeit blieb auf seine Herrin gerichtet.
Mara rechnete. »Das erhöht unsere Hauptgarnison auf über dreihundert. Unsere Situation ist nicht mehr hoffnungslos, sondern nur noch verzweifelt.«
»Wir brauchen mehr Soldaten«, äußerte Nacoya in scharfem Ton. Sie schlurfte hinter ihnen vorbei auf das große Haus zu. Die Schläfrigkeit machte sie jetzt noch mürrischer als gewöhnlich.
Lujan warf den Helm von der rechten in die linke Hand. »Mistress, es wird schwierig werden, noch mehr Männer zu bekommen. Wir haben jeden Grauen Krieger herbeigerufen, der sich innerhalb einer vernünftigen Entfernung zu Euren Grenzen aufgehalten hat. Um weitere zu suchen, müssen wir dieses Land verlassen und reisen.«
»Aber Ihr wißt anscheinend, wo Ihr nach ihnen suchen müßt«, stellte Mara fest. Ihr Blick war auf die Hände gerichtet, die immer noch mit dem Helm spielten.
Lujan antwortete mit einem spitzbübischen Lächeln: »Mistress, ich leide vielleicht unter einem Mangel an Bescheidenheit, ich weiß, aber seit dem Fall des Hauses der Kotai habe ich von hier bis Ambolina an jedem Ort gelebt, wo Banditen hausen. Ich weiß, wo ich suchen muß.«
»Wieviel Zeit benötigt Ihr?«
Ein frecher Glanz trat in seine Augen. »Wie viele Männer möchtet Ihr denn rekrutieren, Lady?«
»Eintausend, besser wären zweitausend.«
»In Ordnung, Mistress. Eintausend würden drei, vier Monate dauern.« Der Helm bewegte sich nicht mehr, als Lujan jetzt nachdachte. »Wenn ich einige vertrauenswürdige Männer mitnehmen könnte, wären es vielleicht nur sechs Wochen. Zweitausend …?«
Maras Armreifen klimperten, als sie mit den Händen eine ungeduldige Bewegung ausführte. »Ihr habt drei Wochen. Die Rekruten müssen hier angekommen sein, ihren Eid geschworen haben und innerhalb eines Monats in unsere Streitkräfte eingegliedert sein.«
Lujans Lächeln verzog sich zu einer Grimasse. »Mylady, ich würde mich für Euch unbewaffnet einer Horde Thun-Banditen entgegenstellen, aber was Ihr da verlangt, ist ein Wunder.«
Die Schatten des frühen Abends verbargen Maras Erröten, aber sie zeigte eine untypische Lebhaftigkeit, als sie Papewaio ein Zeichen gab. Ihr Truppenführer hatte kaum seine Verbeugung beendet, als sie sagte: »Findet ein paar gute Männer für Lujan.« Dann sah sie den früheren Gesetzlosen prüfend an. »Nehmt jeweils ein paar von den alten und den neuen Soldaten. Vielleicht wird sie die Zeit da draußen zu der Einsicht bringen, daß sie mehr gemeinsam haben, als sie denken.« Sie dachte einen Augenblick nach. »Besonders jene, die Ihr für Unruhestifter haltet«, fügte sie dann hinzu.
Lujan schien diese Aussicht nicht zu beeindrucken. »Unruhestifter sind nichts Neues für mich, Lady« Sein Grinsen wurde noch breiter. »Ich darf wohl sagen, daß ich selbst eine Art Unruhestifter war, bevor ich Offizier wurde.«
»Und ich darf bestätigen, das wart Ihr«, schaltete Kcyoke sich ein. Er hatte reglos in der Dunkelheit gestanden und war von allen anderen vergessen worden. Der frühere Banditenführer war ein wenig verwirrt, nahm sich aber sofort wieder zusammen.
»Ihr müßt zwölf Tage lang so schnell und so weit reisen wie möglich, Lujan«, erklärte Mara. »Sucht so viele vertrauenswürdige Männer zusammen, wie Ihr könnt. Dann kehrt zurück. Wenn Ihr keine zweitausend findet, dann findet zweihundert, und wenn Ihr keine zweihundert findet, dann findet zwanzig, aber macht gute Krieger aus ihnen.« Lujan nickte, dann verbeugte er sich mit einer tadellosen Korrektheit, die ihm ein Lächeln von Mara einbrachte. »Und jetzt zeigt mir diejenigen, die Ihr heute nacht gefunden habt.«
Lujan führte Mara und Keyoke dorthin, wo die armselig gekleideten Männer saßen. Sie standen sofort auf, als die Lady der Acoma sich näherte; einige knieten sogar nieder. Sie erschien denen, die die Entbehrungen eines Daseins als Gesetzlose kennengelernt hatten, mit ihren Juwelen und ihrer vornehmen Kleidung wie eine kaiserliche Prinzessin. Auch die Abgehärtetsten unter ihnen lauschten respektvoll, als Mara das Angebot wiederholte, das sie Lujan und seinen Anhängern in den Bergen gemacht hatte. Wie bereits drei andere Banden vorher erhoben sich die sechzig Arbeiter, um von Jican Unterkunft und Arbeit zu erhalten. Mara lächelte, als sie das Leuchten in den Augen ihres Hadonra sah; er dachte bereits darüber nach, wie die Fähigkeiten der Männer wirkungsvoll und nutzbringend eingesetzt werden konnten, und Waffenschmiede würden nötig sein, wenn Lujan bei seinem Auftrag, neue Krieger zu rekrutieren, Erfolg haben sollte. Die Menge ging auseinander, und ein großer Teil des Durcheinanders legte sich, als die Arbeiter Jican folgten.
Lujan war unter denen, die noch geblieben waren. »Mylady, dies sind die dreiunddreißig erfahrenen Krieger, die den Eid auf den Natami der Acoma schwören möchten.«
»Ihr habt ihnen alles erklärt?«
»Ich möchte behaupten, so gut wie jeder andere – außer Euch natürlich.« Als Keyoke mißbilligend schnaubte, sah sie Lujan an; sie wollte wissen, ob er spottete, doch er hatte nichts Spöttisches an sich, zumindest nicht offensichtlich. Sie war sich plötzlich der Anziehungskraft bewußt, die dieser Mann auf sie ausübte, und sie erkannte, daß er den gleichen verschlagenen und verschmitzten Geist besaß, den sie so an ihrem Bruder Lanokota geliebt hatte. Seine Neckerei ließ sie leicht erröten. Sie wischte schnell mit der Hand über die Stirn, als würde ihr die Hitze zu schaffen machen. Dieser Mann stammte nicht aus ihrer Familie, er war nicht einmal ein Lord gleichen Ranges; unsicher, wie sie nach Monaten der Isolation im Tempel reagieren sollte, wandte sie sich forsch der vor ihr liegenden Aufgabe zu. All diese Männer waren kräftig, wenn auch unterernährt, und bis auf zwei, die etwas abseits saßen, schienen sie eifrig bestrebt, in den Dienst der Acoma treten zu können. Einer der beiden abseits Sitzenden tauschte einen Blick mit Lujan aus.
»Ihr kennt diesen Mann?« fragte Mara.
Lujan lachte. »Allerdings, Mistress. Dies ist Saric, mein Cousin, der beim Lord der Tuscai gedient hat. Bevor er den Besitz der Kotai verließ, war er mein engster Kamerad.«
»Ist er denn ein fähiger Soldat?« fragte Mara. Sie wollte Lujan wegen der Peinlichkeit einige Minuten zuvor ärgern.
Lujan grinste, und sein Cousin antwortete mit beinahe dem gleichen breiten Lächeln. »Mylady, er ist ein ebenso fähiger Soldat, wie ich es bin.«
»Nun, dann hätten wir ja ein Problem gelöst.« Mara tippte kurz an den Helm, der immer noch an Lujans Handgelenk baumelte. Wegen seiner vollkommenen Schmucklosigkeit wurde er auch Soldatentopf genannt. »Eigentlich hatte ich Euch bitten wollen, ihm den Helm zu geben, im Austausch gegen einen Offiziershelm mit Federbusch. Keyoke hatte den Befehl, Euch zum Befehlshaber zu ernennen. Da Ihr nun aber für drei Wochen fort sein werdet, kann er genausogut Euren Cousin befördern.«
Immer noch grinsend meinte Lujan: »Nun, beinahe so fähig wie ich, Lady.« Dann wurde er ernster. »Mit Eurer Zustimmung würde ich ihn gerne mitnehmen. Es soll keine Geringschätzung gegenüber den anderen Soldaten sein, doch es gibt keinen Mann, den ich lieber mit einem Schwert an meiner Seite sähe.« Sein Ton wurde wieder leichter. »Abgesehen davon könnten wir die Gruppe ja auch nur aus Unruhestiftern zusammenstellen.«
Mara konnte nicht widerstehen. Zum ersten Mal seit Lanos Tod glättete sich ihre meist sorgenvoll gerunzelte Stirn völlig, und in dem Licht der Lampen schien ihr Lächeln von überraschender Lieblichkeit: »Dann solltet Ihr jetzt am besten zu Keyoke gehen und Euren Federbusch abholen, Befehlshaber.« Sie wandte sich an den Neuankömmling. »Willkommen, Saric.«
Der Mann verneigte sich. »Mistress, Eure Ehre ist auch meine Ehre. Mit dem Wohlwollen der Götter werde ich als Krieger sterben – nicht zu bald, hoffe ich – und, im Dienste einer Schönheit wie Ihr es seid, noch dazu als glücklicher Mann.«
Mara starrte die beiden Männer an und wölbte leicht die Brauen. »Schmeichelei scheint ein gängiger Zug in Eurer Familie zu sein, ebenso wie eine manchmal etwas gleichgültige Haltung gegenüber gesellschaftlichen Rängen.« Dann winkte sie den anderen Mann herbei, der neben Saric gesessen hatte. Er trug zivile Kleidung und Fellsandalen. Seine Haare waren merkwürdig geschnitten; sie waren nicht so kurz wie bei einem Krieger, sondern erinnerten eher an die modischen Locken eines Händlers oder das zottelige Haar eines Arbeiters. »Wer ist das?«
Der Mann erhob sich. »Dies ist Arakasi, Lady«, sagte Saric. »Er stand ebenfalls im Dienste meines Herrn, wenn er auch kein Soldat war.«
Der Mann war von mittlerem Körperbau und hatte ebenmäßige Gesichtszüge. Aber seine Haltung barg weder den Stolz eines Kriegers noch die Unterwürfigkeit eines Arbeiters. Mara wurde plötzlich unsicher. »Warum steht Ihr dann nicht bei den Handwerkern und Arbeitern?«
Arakasis dunkle Augen zuckten leicht, möglicherweise aus Belustigung, doch sein Gesicht blieb ausdruckslos. Dann veränderte sich plötzlich etwas. Er bewegte sich kaum, doch sein Auftreten wurde ein anderes; plötzlich schien er ganz der unnahbare, selbstbewußte Gelehrte. Jetzt sah Mara, was sie sofort hätte bemerken müssen: Seine Haut war überhaupt nicht wettergegerbt, wie es die eines Feldarbeiters hätte sein müssen. Seine Hände waren kräftig, aber es fehlte ihnen die dicke Hornhaut von dem ständigen Umgang mit Werkzeugen oder Waffen. »Lady, ich bin kein Bauer.«
Irgend etwas schien Keyokes Argwohn zu wecken, denn ohne lange nachzudenken stellte er sich zwischen seine Herrin und den Fremden. »Wenn Ihr kein Bauer oder Soldat seid, was seid Ihr dann? Ein Seemann, ein Händler, ein Priester?«
Arakasi tat, als würde er Keyokes Eingreifen kaum wahrnehmen. »Lady, im Laufe meines Lebens war ich all das. Einmal war ich in der Verkleidung eines Priesters von Hantukama Gast Eures Vaters. Ich habe im Laufe der Zeit die Identität eines Soldaten, eines Händlers, eines Sklavenmeisters, eines Hurenhändlers, eines Fluß-Schiffers, selbst die eines Seemanns und eines Bettlers angenommen.«
Was einiges erklärte, dachte Mara, aber nicht alles. »Wem gegenüber wart Ihr loyal?«
Arakasi verbeugte sich mit der überraschenden Grazie und Gewandtheit eines Edlen. »Ich war im Dienst des Lord der Tuscai, bevor die Hunde der Minwanabi ihn im Kampf töteten. Ich war sein Supai, der Herr über seine Spione.«
Maras Augen weiteten sich trotz ihrer Versuche, sich nichts anmerken zu lassen. »Sein Supai?«
Der Mann richtete sich auf, sein Lächeln war ohne jeden Humor. »Ja, Mistress. Und vor allem aus einem Grunde solltet Ihr mich in Eurem Dienst wünschen: Mein ehemaliger Herr, der verstorbene Lord der Tuscai, investierte den größten Teil seines Vermögens in den Ausbau eines Informationsnetzwerkes, das ich leitete und dem Spione in jeder Stadt im Kaiserreich und in vielen großen Häusern angehörten.« Seine Stimme wurde leiser, eine befremdliche Mischung aus Widerwillen und Stolz. »Dieses Netzwerk existiert noch.«
Plötzlich kratzte Keyoke sich vernehmlich mit seinem Daumen am Kinn.
Mara räusperte sich. Sie warf einen scharfen Blick auf Arakasi, dessen Angesicht sich von einem Augenblick zum nächsten zu verändern schien. »Doch solche Dinge sollten nicht unbedingt in der Öffentlichkeit besprochen werden.« Sie schaute sich um. »Ich habe noch immer den Staub von der Reise auf meinen Kleidern und vermisse seit heute mittag eine kleine Erfrischung. Kommt in einer Stunde in meine Gemächer. Bis dahin wird Papewaio sich um Euch kümmern.«
Arakasi verneigte sich und ging zu Papewaio, der dem Supai bedeutete, ihm zum Badehaus bei den Baracken zu folgen.
Mara blieb mit Keyoke und den dreiunddreißig herrenlosen Kriegern zurück und grübelte. »Der Supai der Tuscai«, sagte sie nach einer kleinen Pause leise. »Vater sagte immer, daß der Lord der Tuscai mehr wußte, als in den Augen der Götter recht war. Unter den Männern kursierten Scherze, daß er in einem Gewölbe unter seinem Arbeitszimmer einen Zauberer mit einem Kristall eingesperrt hatte. Glaubt Ihr, daß Arakasi der Grund war?« wollte sie dann von Keyoke wissen.
Keyoke enthielt sich einer direkten Antwort. »Seid auf der Hut vor ihm, Mistress. Ein Mann, der spioniert, ist als allerletztes ehrlich. Ihr tatet recht, ihn mit Pape wegzuschicken.«
»Treuer Keyoke«, sagte Mara voller Zuneigung in ihrer Stimme. Das Licht der Fackeln schimmerte um ihren Kopf, als sie mit einem kleinen Nicken auf die zerlumpten Männer deutete, die auf ihren Befehl warteten. »Was meint Ihr, werdet Ihr es schaffen, ihnen allen den Eid vor dem Natami abzunehmen, und dann noch Zeit für ein Bad und Essen finden?«
»Ich muß es schaffen.« Der Kommandeur zuckte in einer seiner seltenen ironischen Gesten leicht mit den Schultern. »Wenn auch die Götter allein wissen, wie ich bei so viel Arbeit so alt werden konnte.« Bevor Mara etwas entgegnen konnte, rief er den abgerissenen Männern im Hof etwas zu, und die allesamt erfahrenen Soldaten gehorchten dem Befehl des Höherstehenden und traten zum Appell an.