Sechs
Zeremonie
Mara erstarrte.
In einer einzigen Woge wallten Bestürzung, Enttäuschung und Wut in ihr auf; dann verdrängte Furcht alles andere. Auf irgendeine Weise hatte noch jemand von der neuen Königin erfahren.
Wenn die Neuigkeit sich willkürlich im ganzen Kaiserreich ausgebreitet hatte, war es gut möglich, daß mehr als nur eine Familie zu dem Schwarm in den Bergen reisen würde. Wer immer dort oben wartete, würde dann nur der erste von vielen sein. Doch selbst wenn die Kunde sich nicht so schnell verbreitet hatte, war die vor dem Eingang wartende Person ein schlechtes Zeichen, denn dann hatte der Lord der Inrodaka vermutlich einen besonders engen Freund eingeladen, damit dieser als erster der neuen Königin ein Angebot für ihren Schwarm machen konnte. Ganz sicher würde der Lord der Inrodaka nicht sehr erfreut darüber sein, daß sich Eindringlinge auf seinem Gebiet befanden und seinen Verbündeten zuvorgekommen waren. Mara war klar, daß sie, ob mit oder ohne positive Entscheidung der jungen Königin, durch das Gebiet eines feindlich gesinnten Lords zurückkehren mußten, der von ihrer Gegenwart wußte. Noch beängstigender war die Vorstellung, irgendein Spion der Minwanabi könnte von Maras Vorhaben erfahren und einen Boten mit der Nachricht zu seinem Herrn geschickt haben. Vielleicht wartete Jingu höchstpersönlich dort oben, um mit der jungen Königin zu verhandeln.
Mara bemühte sich, ihre Anspannung vor den beiden Königinnen zu verbergen, und holte tief Luft. Ihre Kehle fühlte sich so trocken an wie Sand, selbst dann, als ihr ein Spruch von einer der lehrenden Mütter im Tempel einfiel: »Furcht ist wie ein kleiner Tod, Tochter. Sie tötet in winzigen Stückchen.«
Mara wurde ruhiger und blickte die alte Königin an. »Hochverehrte Herrscherin«, sagte sie, »Ihr sollt wissen, daß ich zutiefst entschlossen bin, die Loyalität dieses neuen Schwarms zu gewinnen. Die Ländereien der Acoma sind reich und weitläufig, und ein anderer Lord im Kaiserreich wird Euch schwerlich ein besseres Angebot unterbreiten können als ich.«
Die alte Königin auf dem Erdhügel schnaufte durch ihre Nasenschlitze; es war die Cho-ja-Entsprechung eines menschlichen Lachens. »Loyalität? Herrscherin der Acoma, dieses Konzept teilt meine Rasse nicht. Arbeiter, Krieger, Rirari – sie alle tun, was ihrer Natur entspricht, weil ohne den Schwarm nichts existieren würde. Eine Königin ist die alleinige Gebieterin eines Schwarms, und Verträge schließen wir zu den bestmöglichen Bedingungen ab. Wir dienen immer nur dem mit dem höchsten Angebot.«
Mara war sprachlos über diese Offenbarung. Unbeabsichtigt hatte die Königin etwas enthüllt, was sich kein Tsurani im Kaiserreich jemals hätte vorstellen können. Die gesamte tsuramsche Gesellschaft hatte immer geglaubt, daß die Cho-ja jenseits gewisser menschlicher Gefühle wären, daß Ehre die unerschütterliche Basis ihres Lebens bildete. Doch jetzt entpuppte sich all dies als das krasseste Verhalten einer typischen Krämerseele, und die Cho-ja waren nichts weiter als eine Rasse von Kaufleuten. Ihre legendäre Loyalität stand dem höchsten Bieter zur freien Verfügung, und sollten die Cho-ja ein besseres Angebot eines konkurrierenden Lords erhalten, stand sie möglicherweise neu zur Diskussion. Eine der großen Säulen, auf die sich die Machtstrukturen des Kaiserreiches stützten, war weitaus bröckeliger, als sich irgend jemand vorstellen konnte. Niemals hatte jemand daran gedacht, Kontakt mit dem Schwarm auf dem Gebiet eines anderen Herrschers aufzunehmen und so die Loyalität der Cho-ja auf die Probe zu stellen. Trotz ihrer Bestürzung wurde Mara jedoch auch der Vorteile gewahr: So lange niemand im Kaiserreich die Wahrheit kannte, konnte sie dieses Wissen für ihre eigenen Zwecke einsetzen – vorausgesetzt, sie überlebte die nächste Stunde.
»Keyoke.« Mara winkte den Kommandeur zu sich heran. »Wir müssen die Krieger, die mit uns gekommen sind, zu absolutem Schweigen verpflichten.« Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung, als sie fortfuhr: »Und es muß unter allen Umständen verhindert werden, daß die Sklaven enthüllen könnten, was sie soeben gehört haben.« Mehr sagte sie nicht, doch der alte Krieger wußte auch so, daß sie eben das Todesurteil über acht Männer gesprochen hatte. Im Flüsterton gab er die Nachricht an Arakasi weiter, der mit ausdruckslosem Gesicht kurz nickte und mit dieser Geste zeigte, daß er die Entscheidung befürwortete.
Mara richtete sich auf. »Dann sollten wir gemeinsam verhandeln«, meinte sie zu der alten Königin.
Die Vorstellung gefiel der alten Königin, und sie trillerte vor Aufregung und Vergnügen. »Ich werde den anderen Menschen-Herrscher benachrichtigen lassen, daß jemand mitbietet.«
Die Königin gab den wartenden Cho-ja-Arbeitern einen entsprechenden Auftrag. Sie stammten aus der kleineren, intelligenteren Klasse der Handwerker. Mara wirkte nach außen hin ruhig, während sie davontrippelten. Andere Arbeiter betraten die Kammer, und bald wurde deutlich, daß sie eine Staffel von Boten aufbauten, da der neu hinzugekommene Lord lieber von der Oberfläche aus verhandeln wollte, wie es der Tradition der Tsurani entsprach. Mara bemühte sich herauszufinden, welchen Vorteil sie aus diesem Umstand ziehen konnte.
Die erste Nachricht von oben traf ein, und nach einer klickenden Unterredung mit dem Kurier wandte sich die Matriarchin des Schwarms an Mara: »Euer Rivale besitzt ebenfalls feines Weideland, das das ganze Jahr über trocken und frei von Baumwurzeln ist und nahe bei gutem Wasser liegt. Er behauptet auch, daß sein Boden sandig ist und sich gut für den Ausbau der Tunnel eignet.« Sie hielt inne und beriet sich mit ihrer Tochter. »Lady der Acoma, meine Brut möchte gerne wissen, ob Ihr Euer Angebot verbessern wollt.«
Mara widerstand dem Drang, sich die Fransen des Kissens um die Finger zu wickeln. »Bitte sagt Eurer Tochter, daß man in sandiger Muttererde zwar leicht graben kann, sie aber auch Wasser filtert und leicht einstürzt.«
Die alte Königin amüsierte sich köstlich und gab wieder ihr merkwürdiges Lachen von sich. »Wir wissen das, Lady der Acoma. Wir finden es sehr unterhaltsam, daß ein Mensch glaubt, mehr über den Bau von Tunnel zu wissen als wir Cho-ja. Doch sandiger Boden bereitet uns keine Probleme.«
Mara dachte schnell nach. »Ihr seid die besten Arbeiter der Welt, und dennoch werde ich Sklaven zur Verfügung stellen, die beim Graben helfen, damit die Wartezeit oberhalb der Erde so kurz wie möglich für Eure Tochter wird. Einhundert Krieger werden den Ort bewachen, und mein eigener Pavillon wird sie von der Sonne schützen, bis ihre Kammern tief unter der Erde fertig sind.« Mara schluckte schwer. »Zusätzlich erhält sie jeden Tag, den sie oberhalb der Erde verbringt, zwanzig Körbe mit Früchten und Thyza aus der Ernte meiner eigenen Felder, damit ihre Arbeiter sich der Herstellung der Tunnel widmen können, ohne sich um Nahrung kümmern zu müssen.«
Die alte Königin gab klickend die Übersetzung weiter, und die junge Königin antwortete. Einen Augenblick später trippelte ein Bote den Gang entlang zur Erdoberfläche. Mara schwitzte leicht in der würzigen Wärme, aber sie bemühte sich, jedes Anzeichen von Unruhe zu unterdrücken. Sie befürchtete schon, daß die Verhandlungen sehr zäh verlaufen würden, da kehrte der Bote unerwartet schnell zurück.
Als ihrer Tochter das neue Angebot mitgeteilt worden war, übersetzte die alte Königin für Mara. »Sollten irgendwelche Tunnel einstürzen, bietet Euer Rivale der Königin und ihren ausgewählten Dienern Gemächer in seinem Herrenhaus, bis ihre eigenen Quartiere wiederhergestellt sind.«
Etwas in der Stimme der Königin ließ Mara aufhorchen. Trotz ihres fließenden Tsurani war die Königin ein fremdartiges Wesen mit fremdartigen Bedürfnissen. Nur wenige Werte glichen denen der Menschen. So, wie die Königin das Angebot des Rivalen wiederholte, gab sie nicht preis, was sie selbst bevorzugte, sondern verleitete die beiden dazu, immer mehr zu bieten und sich gegenseitig auszustechen. Mara beschloß, so kühn wie möglich zu sein. »Das ist dumm. Welchen Grund könnte Eure Tochter haben, in einem tsuranischen Haus zu leben? Mein Pavillon wäre sehr viel bequemer.«
Die alte Königin antwortete, ohne zu zögern: »Das ist wahr. Aber er bietet außerdem einen Zentner Jade und ebensoviel feines Metall, um die Handwerker meiner Tochter mit Arbeitsmaterial auszustatten.«
Mara zitterte etwas unter ihrem dünnen Gewand. Was die alte Königin gerade aufgezählt hatte, kostete ein Vermögen. Ihr Rivale dort oben war überaus entschlossen, wenn er seinen Einsatz so schnell so hoch ansetzte. Verhandlungsgeschick allein würde nicht reichen, und Mara stellte sich Jican vor, wie er sich die Hände rieb, während sie darüber nachdachte, welche Reichtümer der Acoma sie als Gegenangebot präsentieren konnte.
Maras Stimme war ein wenig unsicher, als sie schließlich sprach: »Verehrte Königin, sagt Eurer Tochter, daß die Häuser der Tsurani sich für Arbeiter und Soldaten eignen, nicht aber für Königinnen. Es wäre weit besser, wenn die Tunnel gar nicht erst einstürzen würden. Sagt ihr ebenfalls, daß Metalle und Jade ohne entsprechende Werkzeuge, um sie zu bearbeiten, nutzlos sind. Was wünschen die Cho-ja also: Edelsteine und Metalle, die sie viel leichter als jeder menschliche Bergarbeiter selbst finden können? Oder Werkzeuge, um damit kostbare und schöne Dinge herzustellen, die sie den Menschen verkaufen können – gegen die Dinge, die die Cho-ja wirklich haben möchten? Ich biete etwas, das dem Wert des Angebots des Lords entspricht, aber in Gestalt von Dingen, die die Cho-ja nicht selbst herstellen: Werkzeuge, Needra-Häute und geharztes Holz.« Sie hielt einen Augenblick inne. »Außerdem noch Waffen und Rüstungen für ihre Krieger.«
»Ein sehr großzügiges Angebot«, bemerkte die alte Königin. Ihre Augen glitzerten hell, während sie übersetzte; sie genoß den Wettbewerb zwischen den menschlichen Herrschern ganz offensichtlich. Aufgeregt trillernde Geräusche unterbrachen den Austausch.
Mitgenommen und müde schloß Mara die Augen. Sie hatte die Möglichkeiten der Acoma nahezu ausgeschöpft, und das soeben gegebene Versprechen hing stark von den Handwerkern ab, die Lujan mitbringen würde, von den Waffenmeistern, deren Arbeit noch niemand kannte. Und Arbeiten minderer Qualität würden die Cho-ja beleidigen, vielleicht sogar erzürnen.
Der Bote kehrte schnell zurück und tauschte kurz einige klackende Geräusche mit der alten Königin aus. Dann trillerte die Tochter lauthals.
Mara fürchtete sich vor der Überraschung; der Ausbruch der jungen Königin zeugte sicher von einem großherzigen Zugeständnis des mitbietenden Lords.
Die alte Königin beendete das Gespräch mit dem Boten. So reglos wie eine Statue aus Obsidian meinte sie: »Herrscherin, der Lord dort oben auf der Erde hat uns darüber informiert, daß er die Farben der Soldaten erkannt hat, die vor dem Eingang zum Stock warten. Er sagt, er kennt die Möglichkeiten und Ressourcen der Acoma und behauptet, Ihr würdet niemals die Angebote erfüllen können, die Ihr soeben gemacht habt.«
Mara kniff vor dem strahlenden Blick der Königin die Augen zusammen. »Seine Worte entsprechen nicht der Wahrheit.« Sie hielt inne, drängte die heiße, gefährliche Wut zurück und stand von ihrem Kissen auf. »Dieser Lord spricht aus Unkenntnis.«
»Ich verstehe nicht«, sagte die Königin, anscheinend ungerührt von Maras Zorn.
Mara mußte sich zusammenreißen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. »Wissen die Cho-ja über die Einzelheiten innerhalb jedes Stocks Bescheid, über die Tunnel, über alle Dinge, die dort geschehen?«
Die Königin zuckte vor Verblüffung mit den Unterarmen. »Was auch immer in einem Stock vor sich geht, ist allen Königinnen bekannt.« Sie machte eine längere Pause und unterhielt sich mit der jungen Königin. »Sicherlich unterscheidet Ihr Menschen Euch sehr von uns«, sagte sie dann zu Mara.
Mara leckte sich über die Lippen und schmeckte Schweiß. Die Belastung der Situation durfte sie nicht zu unüberlegtem Handeln treiben. Tief unter der Erde, mit nur sechs ihrer Krieger zwischen sich und den strengsten, aufmerksamsten Soldaten des Stocks konnte sich eine einzige Bewegung zur falschen Zeit als fatal herausstellen. »Ich bin die Herrscherin der Acoma«, sagte Mara vorsichtig. »Und ich erkläre, es gibt kein Haus im Kaiserreich, das es wagen darf zu behaupten, über meine Ressourcen Bescheid zu wissen. Dieser mitbietende Lord verhält sich ehrlos beim Handeln, und seine Behauptung ist ein Angriff gegen mein Haus.« Die stolze Haltung ihrer Vorfahren verbarg Maras Furcht, und sie trat einen Schritt vor; dann blickte sie die junge Königin direkt an. »Lady der Cho-ja, ich verhandele in gutem Glauben. Ihr sollt wissen, daß ich als eine Acoma mein Wort für wichtiger erachte als mein Leben.«
Es zerriß Maya beinahe innerlich, als sie warten mußte, bis ihre Worte übersetzt waren, doch mit geballten Händen hielt sie aus. Die junge Königin betrachtete die menschliche Besucherin mit offener Neugier, während die alte Königin dem Boten neue Anweisungen gab. Mara hatte den ungesehenen Rivalen über der Erde jetzt mit Fragen der Ehre herausgefordert, und ein Blutvergießen bis hinein in den Schwarm konnte die Folge sein. Sie kämpfte gegen einen Anfall von Panik und fluchte innerlich. Nicht zu wissen, wer ihr Mitstreiter war, erwies sich als deutlicher Nachteil.
Ein schwaches Scharren erklang im Gang, als der nächste Bote in Sicht kam. Die alte Königin hörte ihn an und gab dann die Nachricht an Mara weiter. »Herrscherin, der Lord dort oben gesteht zu, daß seine Worte in Wut gesprochen waren und ihr möglicherweise die Waffenschmiede besitzt, um die versprochene Verpflichtung erfüllen zu können. Doch er sagt auch, es wäre im ganzen Kaiserreich bekannt, daß sein Reichtum größer wäre als der der Acoma. Jedes Angebot der Lady Mara würde er überbieten, damit meine Tochter sich entscheidet, ihren neuen Stock auf seinem Land zu errichten.«
Die Jade-Armbänder klirrten in der Stille, als Mara sich aufrichtete. »Wer wagt es, sich damit zu brüsten, daß sein Reichtum dem meinen überlegen wäre?«
»Der Lord der Ekamchi«, antwortete die Königin.
Mara sah entsetzt zu Arakasi, denn der Name war ihr so gut wie unbekannt. Der Supai trat zu ihr. »Er ist der engste Freund der Inrodaka und einigermaßen wohlhabend, vermutlich besitzt er etwas mehr als Ihr. Sein Kriegsheer ist klein, auch wenn er möglicherweise eine Eskorte bei sich hat, die unsere an Stärke übertrifft. Ich habe ihn als einen fetten Mann in Erinnerung, der sich in keinerlei kriegerischen Auseinandersetzungen in irgendeiner Weise hervorgetan hat und ganz sicher nicht besonders viel Mut besitzt.«
Mara nickte. Die Geschwindigkeit, mit der der Lord von den Ekamchi die Behauptung, er kenne die Ressourcen der Acoma, zurückgezogen hatte, zeugte von der Zaghaftigkeit eines Mannes, der sich seiner selbst nicht sicher war. Mara setzte jetzt alles auf Arakasis unausgesprochenen Rat. »Je länger wir warten, desto eher verlieren wir unseren Vorteil. Ich denke, ein kühner Schritt ist jetzt angebracht.«
Der Supai warf ihr ein flüchtiges Lächeln zu, während er sich verbeugte und zu seinem Platz zurückkehrte. Sie bemühte sich, ihrer Stimme eine Zuversicht zu geben, die sie nicht empfand, und wandte sich an die junge Königin. »Königin der Cho-ja, ich behaupte hiermit, die Acoma werden jedes Angebot überbieten, das dieser arrogante Prahler dort oben aussprechen wird. Alle materiellen Güter, die er anbietet, werde ich Eurem Schwarm in ähnlicher Form zukommen lassen. Zudem verspreche ich Euch jeden Tag im Frühling lieblich duftende Blüten, damit Ihr die Freuden des Lebens oberhalb der Erde nicht vergeßt, während Ihr für Eure Untertanen sorgt. Ich werde Wandbehänge aus hübschen Farben von unseren geschicktesten Webern herstellen lassen, damit Ihr Euch in Eurer Unterkunft immer wohlfühlt, und diese Wandbehänge werden zu jeder neuen Jahreszeit erneuert werden, damit Ihr Eurer Umgebung nicht überdrüssig werdet. Und ich werde zu Euch kommen und bei Euch sitzen und mit Euch über die Geschehnisse im Kaiserreich diskutieren, damit Euer Verständnis für die Belange der Menschen wächst. Ich bitte Euch nun, wählt das Land, in dem Ihr Euch mit Eurem neuen Schwarm ansiedeln wollt.«
Stille trat ein. Die um sie herumwuselnden Arbeiter wirkten etwas angespannt, als die Königinmutter mit der Übersetzung begann; jedes Klicken, jedes Pfeifen war überdeutlich betont. Mara hörte mit angehaltenem Atem zu, während Keyoke und Arakasi sich mit einem grimmigen Blick gegenseitig ihrer Kampfbereitschaft versicherten. Ihre Herrin hatte eine kühne Forderung gestellt, und niemand konnte vorhersagen, wie die fremdartigen Cho-ja reagieren würden.
Die zwei Königinnen berieten sich. Maras Nerven waren so angespannt, daß die verstrichenen Minuten sie an die von einem besorgten Musiker zu stramm gespannten Saiten eines Gikoto erinnerten. Um diese grausame Spannung aushalten zu können, griff sie auch auf das letzte Stückchen Selbstkontrolle zurück, das sie im Tempel gelernt hatte. Sie nahm die Gesichter ihrer Eskorte um sich herum wahr, angefangen von dem vertrauten, faltigen Antlitz Keyokes über jeden einzelnen ihrer Krieger bis zu dem rätselhaften Angesicht Arakasis. Sie fröstelte bei dem Gedanken, welches Schicksal sie ereilen würde, sollte sich die Königin der Cho-ja gegen die Acoma entscheiden; wenn der Handel zugunsten des Lords der Ekamchi ausfallen würde, würden Feinde dort oben auf sie warten. Jeder Vorteil, den sie gewonnen hatte, indem sie den Stock betreten hatte, wäre dann verloren; ihre Kühnheit würde ihr schließlich den Tod bringen. Zudem wußte niemand, wie diese fremdartige Rasse mit Gästen verfuhr.
Dann wandte die alte Königin ihre Facettenaugen wieder den Menschen zu. Mara stand reglos da, als die Entscheidung verkündet wurde. »Die Königintochter hat sich entschieden. Sie sagt, sie wird ihren Schwarm in das Land von Mara von den Acoma bringen.«
Lax’l machte eine Handbewegung, und der Bote lief zum letzten Mal den Gang entlang, um dem Lord der Ekamchi von der vernichtenden Niederlage zu berichten. Keyoke und Arakasi grinsten sich erleichtert zu, während Mara ihr Gesicht kurz mit beiden Händen bedeckte, um einen Freudenschrei zu unterdrücken. Ihr Instinkt hatte sich als richtig erwiesen. Jetzt würden die Acoma auf Jahre hinaus einen seltenen und überaus wertvollen Vorteil erlangen.
Aufregung und Neugier schwemmten Maras Müdigkeit vollkommen hinweg. »Darf ich mir erlauben zu fragen, warum sich Eure Tochter schließlich für das Land der Acoma entschieden hat, obwohl die beiden Angebote so dicht beieinander lagen?«
Die Königinnen tauschten Bemerkungen aus, dann wandte sich die ältere wieder an Mara: »Meine Tochter mag Euch. Ihr habt gesagt, sie wäre wunderschön.«
»Das hätten die meisten Männer niemals für möglich gehalten«, überlegte Arakasi, »daß selbst die Königinnen der Cho-ja Schmeicheleien gegenüber nicht immun sind.«
»In der Tat«, bemerkte Keyoke.
Die alte Königin neigte die glänzende Kuppel ihres Kopfes in Maras Richtung. »Und wir beide schätzen es als außerordentliche Höflichkeit, daß Ihr zum Verhandeln lieber selbst heruntergekommen seid, statt Boten zu benutzen, denn das hat vor Euch noch kein anderer Mensch getan.«
Arakasi kicherte beinahe. »Natürlich nicht, weil die meisten Lords keinen Fuß in das Haus eines anderen setzen würden, ohne nicht vorher zum Eintreten aufgefordert worden zu sein. Es scheint, daß die zivilisierten Gewohnheiten der Tsurani hier als Unhöflichkeit gelten«, meinte er zu Keyoke.
Der Kommandeur schien weniger amüsiert zu sein. »Das Schwert mag noch immer den Ausgang dieses Wettstreits entscheiden«, erinnerte er den Supai mit einem nach oben gerichteten Daumen an die draußen wartenden, gewiß nicht freundlich gesinnten Streitkräfte.
Mara antwortete nicht auf die Worte ihres Kommandeurs, sondern sah die alte Königin an. »Wenn ich es richtig verstanden habe, wird die Gefolgschaft der jungen Königin klein sein.«
Die alte Königin bewegte eines ihrer unteren Glieder. »Das ist wahr, Schutzherrin des Schwarms meiner Tochter. Ich habe dreihundert Krieger geboren, zweihundert davon haben sich in aller Eile entwickelt, um sie begleiten zu können, die anderen hundert werden ihr folgen, wenn sie aufgewachsen sind. Ich werde ihr zwei Rirari geben, zwei Zuchtmännchen und siebenhundert Arbeiter.«
Mara dachte nach. Die Gegenwart der Cho-ja auf dem Gebiet der Acoma würde selbst den kühnsten Feind abschrecken, denn niemand sonst wußte, daß die Krieger der Cho-ja jung und schwer zu kontrollieren waren. »Wie lange dauert es normalerweise, bis der Schwarm in der Lage ist, mit dem Handel zu beginnen?«
Die alte Königin zuckte mit dem Kiefer, als würde sie Maras Absicht erahnen. »Wenn alles normal läuft, etwa zwei bis drei Jahre.«
In Wellen kehrte jetzt die Müdigkeit zu Mara zurück. Ihre Gedanken schweiften ab, und sie zwang sich, etwas anzusprechen, was die alte Königin bereits früher gesagt hatte. »Ich möchte darum bitten, daß zusätzliche Arbeiter und Krieger mit Eurer Tochter kommen.« Mara achtete darauf, ihre Erschöpfung zu verbergen, und ging mit festen Schritten zu ihrer Sänfte zurück. Sie setzte sich und forderte einen der Sklaven auf, die Vorhänge zurückzuhalten, damit ihre Sicht auf die zwei Königinnen nicht behindert wurde. Mara hoffte, daß sie nicht zu ermattet wirkte, wie sie da oben auf den Kissen saß, und sprach weiter: »Ich möchte über den Preis verhandeln.«
»Das ist weise«, antwortete die Königin. »Die jungen Krieger sind aufsässig; ältere, erfahrene Soldaten werden nötig sein, um sie in dem neuen Stock schnell zu Ordnung zu rufen.«
Maras Herz hüpfte vor Vergnügen; sie hatte die Kommentare der alten Königin über die Cho-ja also richtig verstanden. Hinter ihr brachte Keyoke murmelnd sein Erstaunen zum Ausdruck: »Sie verschachern ihre eigenen Leute!«
Die alte Königin bewies ein schärferes Gehör, als sie alle erwartet hatten. »Nur der Schwarm zählt, Kommandeur. Und ich bin der Schwarm. Jene, die ich Euch verkaufen werde, dienen Eurer Lady, als wäre ich es selbst. Sie wird ihre neue Königin sein.«
Mara schaltete sich ein: »Ich möchte nur, daß Eure Tochter so bald wie möglich einen starken Schwarm besitzt. Ich werde die Arbeiter und Krieger als Geschenk für sie kaufen.«
Die alte Königin nickte. »Das ist großzügig. Ich werde es berücksichtigen, wenn ich den Preis festsetze.«
Mara nahm sich einen Augenblick Zeit, um sich mit ihren Beratern auszutauschen. Dann, während sie darauf achtete, daß ihre Schultern nicht zu sehr nach unten hingen, sprach sie wieder zu der Königin: »Ich brauche zwanzig Eurer Krieger, Majestät. Ich bitte außerdem um Handwerker.«
Keyoke richtete sich überrascht auf. »Ich dachte, wir kamen wegen der Krieger, Mylady?«
Mara schien in die weite Ferne zu schauen, wie so oft in letzter Zeit. Während sich die Lage der Acoma langsam stabilisierte, ersann sie einen Plan für die Zukunft, und mehr und mehr vertraute sie nur auf sich. Aber ein alter, geschätzter Berater wie Keyoke verdiente eine Erklärung. »Seit der Verlobung mit dem Sohn der Anasati ist unsere Position erst einmal gesichert, und diese junge Königin kann im Laufe der Zeit mehr Krieger ausbrüten. Doch die hervorragendste Fähigkeit der Cho-ja ist keineswegs angeboren. Was ich will, sind Seidenmacher.«
Die Königinmutter bäumte sich so weit auf, wie es ihr unbewegliches Rückensegment erlaubte. »Seidenmacher werden Euch eine ganze Menge kosten.«
Mara entgegnete mit einer halben Verbeugung, damit die Herrscherin der Cho-ja ihre Kühnheit nicht als Anmaßung empfand. »Wieviel?«
Die Königin fuchtelte einen langen Augenblick mit ihren Vorderbeinen herum. »Einhundert Säcke Thyza für jeden Arbeiter.«
»Einverstanden«, sagte Mara ohne zu zögern. »Ich möchte fünf dieser Arbeiter.«
Doch die alte Königin antwortete auf Maras schnelle Zusage mit einem tadelnden Klicken. »Ihr müßt außerdem eintausend Schwerter liefern, eintausend Helme und eintausend Schilde. Ihr müßt sie absenden, sobald Ihr zu Hause angekommen seid.«
Mara runzelte die Stirn. Da Jican ein fähiger Verwalter war, hatte sie das Geld, um kaufen zu können, was nicht vorhanden war. »Einverstanden.« Der Handel war hart, aber gerecht; nach einer gewissen Zeit würde ein blühender Seidenhandel die Ausgaben mehrfach ausgleichen. Jetzt war Mara bestrebt, so schnell wie möglich Jican und Nacoya die Neuigkeiten zukommen zu lassen. »Wann wird die Königin aufbrechen?«
Die Matriarchin beriet sich mit ihrer Tochter. »Nicht vor dem Herbst.«
Mara verneigte ihren Kopf in einer respektvollen Geste. »Dann werde ich im Morgengrauen aufbrechen und damit beginnen, meine Verpflichtung Euch gegenüber zu erfüllen. Meine Arbeiter werden dafür sorgen, daß die Needras fortgeschafft werden und die Wiese gemäht und vorbereitet ist, damit die Königin, Eure Tochter, bei Ihrer Ankunft eine angenehme Umgebung vorfindet.«
Die Königinmutter bedeutete ihnen aufzubrechen. »Geht nun, Mara von den Acoma. Mögen Eure Götter Euch Wohlstand und Ehre bescheren, denn Ihr seid gütig mit unserer Rasse umgegangen.«
Mara sprach mit einem tiefen Gefühl der Erleichterung: »Und möge Euer Schwarm weiterhin an Wohlstand und Ehre gewinnen.«
Lax’l trat nach vorn, um die Menschen wieder an die Oberfläche zu geleiten. Die Königin wandte nun ihren Blick ab; sie war wieder mit den Angelegenheiten ihres Schwarms und den komplizierten Entscheidungen des Brütens beschäftigt. Mara sank in die Kissen ihrer Sänfte zurück; sie zitterte leicht von den Stunden unaufhörlicher Anspannung, aber endlich konnte sie der Erschöpfung nachgeben. Sie gab ihrer Eskorte ein Zeichen, und alle setzten sich in Bewegung. Während sie zurück zum Ausgang gingen, hatte sie nacheinander das Gefühl, erst laut lachen und dann laut weinen zu müssen. Die jetzt ausgestreute Saat würde eines Tages reiche Früchte tragen, denn sie hatte geeignete Mittel gewonnen, um weit über Jicans bereits beeindruckende finanzielle Grundlagen hinaus den Wohlstand der Acoma zu mehren. Der Seidenhandel im Süden war noch nicht richtig etabliert; Seide aus dem Norden tauchte in unterschiedlicher Qualität und Verfügbarkeit auf. Mara wußte nicht, wie sie diese junge Königin davon überzeugen sollte, die Seidenproduk-tion zur Hauptbeschäftigung ihres Schwarms zu machen, aber sie würde eine Lösung finden. Die Acoma-Seide, die ganz in der Nähe der wichtigen Marktplätze des Südlandes hergestellt werden würde, könnte eines Tages den Handel beherrschen.
Dann legte sich ihre überschwengliche Freude etwas, als ihre Träger sie durch die dunklen, intensiv riechenden Tunnel des Cho-ja-Stocks trugen. Es blieben kaum zwei Wochen für die umfangreichen Vorbereitungen, die eine Hochzeit zwischen zwei großen Häusern gewöhnlich mit sich brachte. Auch wenn die Bemühungen der vergangenen Nacht dem Reichtum der Acoma zugute kamen – er würde bald einem anderen übergeben werden, dem Sohn eines ihrer erbittertsten Feinde. Grübelnd saß Mara im Schutz der Vorhänge in ihrer Sänfte; von all ihren Handlungen seit dem Tode ihres Vaters und ihres Bruders barg die Hochzeit mit Buntokapi die größten Risiken.
Sie ließen die letzte Kreuzung hinter sich: langsam wurde es im Tunnel heller. Durch die dünnen Vorhänge der Sänfte konnte Mara die Sonne durch die Bögen am Eingang zum Stock hindurchschimmern sehen. Die Verhandlungen mit den Königinnen der Cho-ja hatten sich die ganze Nacht hingezogen. Die Augen des Mädchens schmerzten, als sie sich an das greller werdende Licht anpaßten, und sie war ganz benommen vor Müdigkeit. Zufrieden lehnte sie sich zurück und begann zu schlummern, während Keyoke seine Eskorte antreten ließ und die Sklaven und Krieger auf den langen Marsch nach Hause vorbereitete. So bemerkte sie die Unruhen erst, als ihre Sänfte ruckartig stehenblieb und das Zischen aus der Scheide gezogener Schwerter erklang.
Alarmiert schoß Mara hoch. Sie griff gerade nach dem Vorhang, als die wütende Stimme eines Fremden erscholl.
»Ihr Diebe! Nehmt die Strafe für Eure Verbrechen entgegen!«
Mara fröstelte vor Furcht und Wut, und sie schob den Gazevorhang beiseite. Keyoke und die Krieger der Acoma warteten mit gezogenen Schwertern, bereit zum Kampf. Ein Stück vor ihnen stand der weißhaarige Lord der Inrodaka, rotgesichtig, zerzaust und wütend wegen der Nacht, die er hatte im Freien verbringen müssen. Schnell versuchte Mara die Größe seines Gefolges einzuschätzen. Es war eine ganze Kompanie, mindestens zweihundert Soldaten, die aber nicht alle das Rot der Inrodaka trugen. Etwa die Hälfte war im Purpur und Gelb der Ekamchi gerüstet. Der alte Lord schob sein Kinn vor und richtete das schmuckvolle Schwert, ein Erbstück seiner Familie, auf sie. »Lady der Acoma! Wie könnt Ihr es wagen, ohne Erlaubnis das Land der Inrodaka zu betreten! Eure Kühnheit übersteigt Eure Macht, zum Kummer und zur Schande Eures Namens. Ihr werdet bitter dafür bezahlen, daß Ihr den Schwarm der Königintochter gestohlen habt.«
Mara begegnete der Anschuldigung mit einem Ausdruck kühler Gelassenheit: »Eure Worte zeugen von wenig Nachdenken und noch weniger Ehre.« Sie blickte den fetten Mann an der Seite des Herrschers der Inrodaka an und vermutete, daß es sich bei ihm um den Lord der Ekamchi handelte. »Das Gebiet um diesen Stock gehört niemandem – laßt Euren Hadonra ruhig die Archive in Ketosani durchwühlen, wenn Ihr es bezweifelt. Und die Cho-ja sind niemandes Sklaven. Sie wählen selbst, mit wem sie verhandeln wollen. Und mich, die in gutem Glauben verhandelt hat, als Diebin zu bezeichnen, ist eine Beleidigung und verlangt nach einer Entschuldigung.«
Beide Lords sahen die Herrscherin der Acoma an. Sie mochte ein junges Mädchen sein, das sich beleidigt gab, aber angesichts der bewaffneten und anscheinend gut ausgebildeten Kompanie, die nur auf ein Wort von ihr wartete, um eine solche Entschuldigung zu erzwingen, legte sich ein Teil ihrer Wut. Dennoch ließen sie sich von Maras unerwarteter Kühnheit nicht einschüchtern. Der Lord der Inrodaka zischte etwas vor Entrüstung, und sein Verbündeter schüttelte die Faust mit den wurstigen Fingern. Ihr ungehöriges Verhalten hätte komisch wirken können, wären nicht die finsteren Reihen bewaffneter Krieger hinter ihnen gewesen.
»Ihr habt mich gekränkt, mich gezwungen, mein Wort gegenüber einem treuen Verbündeten zu brechen«, wütete der Lord der Inrodaka. Er schien jedoch immer noch eher diskutieren als kämpfen zu wollen. »Ich hatte den Ekamchi die alleinigen Rechte über die Verhandlungen mit der Königintochter zugesichert. Verrat gab Euch mein Geheimnis preis!«
Jetzt begriff Mara. Der Mann verdächtigte die Acoma, einen Spion in seinem Haushalt untergebracht zu haben. Arakasi hatte einige Wochen als Gast der Inrodaka verbracht; wenn ihn jetzt jemand erkannte, mochte leicht ein Kampf daraus erwachsen. Mara sah sich verstohlen um und blinzelte schließlich verwirrt. Der Supai war verschwunden. Nach einem weiteren vorsichtigen Blick machte sie ihn schließlich zwischen den Soldaten aus, aber selbst dort hatte sie Schwierigkeiten, ihn zu entdecken. Er war eins geworden mit den Reihen der Acoma-Krieger und stand bereit zum Kampf, den Helm etwas tiefer über den Nasenhöcker gezogen und das Kinn nach vorn geschoben, damit es eckiger wirkte als sonst. Es war unwahrscheinlich, daß man ihn erkannte. Erleichtert versuchte Mara den offenen Konflikt zu vermeiden. »Mylord, ich übernehme keine Verantwortung für den Bruch eines Eurer Versprechen, das zu geben Ihr keinerlei Recht hattet. Die Cho-ja entscheiden selbst darüber. Und was die Einweihung in Eure Geheimnisse angeht: ›… die Cho-ja sind die ersten mit Neuigkeiten und frühem Obst.‹ Wenn Ihr sie fragt, werden sie Euch erklären, daß ein jeder Schwarm genauestens über die Angelegenheiten der anderen informiert ist. Ob Eure Arbeiter, Diener oder Sklaven Euer Land verlassen haben oder nicht, die Nachricht war ohnehin im ganzen Kaiserreich verfügbar. Ich war einfach zuerst da. Ihr hättet mich nicht davon abhalten können, Mylord. Und schließlich – seit wann spielen die Acoma das Kindermädchen für die Ehre der Inrodaka?«
Der Lord der Inrodaka schäumte vor Wut. Sein Verbündeter, der Lord der Ekamchi, machte den Eindruck, als hätte er das Ganze satt und würde sich an einen anderen Ort wünschen. Doch die Ehre verhinderte seinen Aufbruch, als der Lord der Inrodaka sagte: »Für diese Überheblichkeit werdet Ihr mein Land nicht lebend verlassen!«
Mara begegnete seiner Drohung mit Stolz und steinerner Ruhe. Sie durfte nicht nachgeben, denn eine solche Feigheit würde den Gebeinen ihrer Ahnen Schande bereiten. Ihr Herz pochte wild vor Furcht, aber sie sah ihre Männer kampfbereit in Position; sie ließen keinerlei Unsicherheit darüber erkennen, daß die Chancen nicht sehr gut für sie standen. Sie nickte kurz in Keyokes Richtung.
Der Kommandeur gab den Kriegern der Acoma das Zeichen, die Waffen zu heben. Gleichzeitig, wie ein unvollkommenes Spiegelbild, befahlen auch die Kommandeure der Inrodaka und Ekamchi ihren Männern, sich bereitzuhalten.
Das Klirren der Klingen und das Quietschen der Rüstungen ließen Maras Herz schneller schlagen. Sie versuchte ein letztes Mal zu verhandeln: »Wir haben nicht den Wunsch nach einer Auseinandersetzung, vor allem, da wir nichts getan haben, wofür wir uns verteidigen müßten.«
Die Antwort des Lord der Inrodaka erklang klar in der Morgenluft: »Ihr werdet nicht ohne Kampf von hier abziehen.«
Nur noch einen Herzschlag von übereiltem Blutvergießen entfernt, hielt Mara dem Zorn des alten Mannes stand, während sie sich stürmisch flüsternd mit Keyoke beriet. »Können wir auf die Allianz mit der jungen Königin zählen?«
Keyoke blickte unverwandt auf die feindlichen Streitkräfte. »Lady, die alte Königin regiert diesen Schwarm hier, und sie ist mit den Inrodaka verbündet. Wer kann sagen, wie ihre Krieger reagieren werden, wenn die Verbündeten der jungen Königin bedroht werden?« Er umfaßte sein Schwert mit festem Griff. »Ich bezweifle, daß es in der langen Geschichte des Kaiserreiches bereits einmal einen solchen Konflikt gegeben hat.«
Noch während er sprach, traten einhundert alte, erfahrene Krieger der Cho-ja aus dem Eingang und marschierten zu ihnen. Schwarze Rückenpanzer und rasiermesserscharfe Unterarme glänzten im Sonnenlicht, als sie sich zwischen die beiden Fronten der Menschen stellten. Noch mehr eilten aus der Tiefe der Erde herbei, selbst als Lax’l bereits zu den beiden vor Wut kochenden Lords trat. »Die Acoma und ihre Herrscherin sind die Gäste unserer Königin, und der Lord der Inrodaka ist ihr Verbündeter. Niemand wird Unfrieden in ihren Schwarm bringen. Wenn beide Armeen jetzt das Feld verlassen, wird kein Blut vergossen werden müssen.«
Wütend reckte der Lord der Inrodaka sein Kinn in die Höhe. »Aber Euer Schwarm ist seit drei Generationen im Dienst meines Hauses!«
»Verbündet mit Eurem Haus«, betonte Lax’l. Es war ein Glanz in seinen Augen, der nach Wut aussah, doch seine Stimme blieb ruhig. »Wie die Lady der Acoma sagte: Die Cho-ja sind niemandes Sklaven. Brecht also sofort auf.« Als wollte er diese Aussage unterstützen, tauchte ein weiteres Kommando von Cho-ja aus dem Stock auf und bezog hinter den Streitkräften der Inrodaka und Ekamchi Stellung. Eine ähnliche Gruppe erschien hinter Maras Soldaten.
Der Lord der Inrodaka blickte nach links und nach rechts, von wo weitere zweihundert Cho-ja-Krieger näher kamen, die vorderen Gliedmaßen kampfbereit erhoben. Er beruhigte sich schon, bevor er sich umdrehte, und erkannte, daß der Lord der Ekamchi seinen Streitkräften bereits das Zeichen zum Rückzug gegeben hatte. Mara glaubte in der Haltung des Lords der Inrodaka so etwas wie Erleichterung darüber zu erkennen, daß er zum Rückzug gezwungen war. Er hatte lange Zeit den Ruf eines Mannes besessen, der Konflikte vermied, und sein Auftritt war wahrscheinlich mehr mit Rücksicht auf seinen Verbündeten erfolgt als aus wirklicher Wut.
Die schlaflosen Nächte und die Anspannung forderten allmählich ihren Tribut, und eine tiefe Schwäche überfiel die Herrin der Acoma. Sie ließ sich in die Kissen zurücksinken, als Lax’l sich umdrehte und Keyoke ansah. »Kommandeur, meine Kompanie wird Euch mit hundert Kriegern begleiten, bis Ihr das Gebiet der Inrodaka verlassen habt.«
Keyoke gab ein Zeichen, und mit zischenden Geräuschen glitten die Schwerter seiner Männer wieder in ihre Scheiden.
»Gehört Ihr zu den zwanzig, die dem neuen Schwarm beitreten?«
»Ja.« Lax’l verzog merkwürdig das Gesicht, vielleicht war es so etwas wie das Lächeln bei einem Menschen. »Da Ihr große Ausgaben auf Euch genommen habt, um die Sicherheit ihrer Tochter sicherzustellen, hat die Königin Euch die besten ihrer Soldaten gegeben. Ein anderer wird meinen Posten hier übernehmen, und ich werde der Kommandeur des neuen Schwarms sein.«
Dann fügte er noch etwas hinzu, als wäre es ihm gerade erst eingefallen: »Ich glaube, die Lady der Acoma hat das gewonnen, was die Tsurani die Sympathie der alten Königin nennen würden.«
Mara, die bis ins Mark erschöpft war, brachte eine leichte Verbeugung als Zeichen ihrer Würdigung der Königin zustande. »Ihr werdet nicht von der jungen Königin gebraucht?«
Der Kommandeur der Cho-ja machte eine verneinende Geste mit seinen vorderen Gliedmaßen. »Die junge Königin ist sehr verletzlich, solange sie noch wächst, und so würde selbst unsere Gegenwart die Aggressivität der jungen Krieger nicht verringern – und das sollte sie auch nicht. Wenn wir erst einmal in unserem neuen Stock sind, werden wir sie alles Notwendige lehren, um aus ihnen gute Krieger zu machen.«
Nachdem die Streitkräfte der Inrodaka und der Ekamchi sich über einen Hügel zurückgezogen hatten und nicht mehr zu sehen waren, ließ Keyoke die Männer Aufstellung für den langen Weg nach Hause nehmen. Kaum stand der letzte Soldat an seinem Platz, sah er seine Herrin an. »Mylady?«
Mara gab das Zeichen zum Abmarsch, doch sie bestand darauf, daß Arakasi neben der Sänfte herging. Staubig und erschöpft wie die übrigen Männer lief er neben ihr, doch seine Augen funkelten voller Freude über den Sieg. Mara wurde warm angesichts seines Stolzes auf ihre Leistung, und sie sprach leise mit ihm, als die Kolonne sich in Bewegung setzte. »Ihr habt Euch sogar als noch besser erwiesen als Euer Wort, Arakasi. Ihr habt nicht nur den vollen Wert Eurer Ratschläge gezeigt, sondern auch mit Eurer Weisheit den Acoma geholfen. Wie lange werdet Ihr brauchen, um Euer Netzwerk wieder richtig in Gang zu bringen?«
Ein Ausdruck der Zufriedenheit huschte über das Gesicht des Supai und wurde schließlich zu einem echten Lächeln. Er verbeugte sich leicht vor seiner neuen Herrin. »Ein Jahr, Lady, wenn es keine Schwierigkeiten gibt.«
»Und wenn es welche gibt?«
»Ein Jahr, anderthalb Jahre.« Der Supai machte eine deutliche Pause. »Länger, wenn Ihr es wünscht.«
Mara schaute sich nach beiden Seiten um; sie vergewisserte sich, daß keiner der Männer so nah bei ihnen war, daß er zuhören konnte. »Wenn wir heute nacht das Lager aufschlagen, möchte ich, daß Ihr aufbrecht und Eure Spione besucht. Kehrt in einem Jahr zu uns zurück. Solltet Ihr Kontakt mit mir aufnehmen müssen, wird unser Zeichen der Begriff ›Die Seidenmacher der jungen Königin‹ sein. Habt Ihr mich verstanden?«
Arakasi nickte vage als Bestätigung; da er gleichzeitig an den Riemen seines Helms herumfingerte, blieb die Geste anderen verborgen. »Solange ich nicht zurückkehre und den Eid auf den Natami der Acoma ablege, bin ich nicht an die Gebote der Lady der Acoma gebunden.« Dann kam er auf den Punkt: »Oder an die Gebote des Lords der Acoma.«
»Ihr habt mich verstanden.« Mara schloß die Augen und hielt ihre starken Gefühle zurück. Die Götter waren ihr gnädig gesonnen, daß dieser Mann einfühlsam und scharfsinnig genug war, um ihre Absichten in bezug auf ihren künftigen Ehemann zu erspüren.
Arakasi schränkte seine Bemerkung sogleich mit leiser Stimme ein: »Buntokapi wird die Begeisterung für unsere Abmachung nicht teilen, Lady«
Mara nickte; ein Schauer der Erleichterung durchlief sie bei dem Gedanken, daß dieser Mann ein Verbündeter und kein Feind war. Wenn Jingu von den Minwanabi jemals eines Mannes mit den Fähigkeiten Arakasis habhaft werden sollte … aber sie durfte ihrer Müdigkeit nicht gestatten, die Glut unbegründeter Ängste zu entfachen. Sie riß sich zusammen und konzentrierte sich auf die Gegenwart. »Wir werden sehen, wie die Dinge stehen, wenn Ihr zurückkehrt. Wenn sich alles so entwickelt, wie ich es hoffe, können wir dann an unseren Plänen für Jingu von den Minwanabi weiterarbeiten.«
Arakasi verneigte sich leicht vor Maras Sänfte. »In meinem Herzen habe ich Euch bereits die Treue geschworen, Mylady Ich bete zu den Göttern, daß sie mir die Gelegenheit geben, eines Tages auch einen formellen Eid vor dem Heiligen Hain abzulegen.« Er blickte zurück auf das dichte Grün des Waldes. »Dieser Ort ist zum Verschwinden genausogut geeignet wie jeder andere. Mögen die Götter Euch beschützen, Lady der Acoma.«
Mara dankte ihm und schwieg, als Arakasi sich umdrehte und zwischen den Bäumen verschwand. Keyoke blickte sich um und sah ihn gehen. Falls der Kommandeur sich über seinen plötzlichen Aufbruch gewundert haben sollte, so sagte er nichts, denn er wandte seine Aufmerksamkeit sofort wieder den Kriegern und den möglichen Gefahren des Rückwegs zu. Mara lehnte sich zurück; Arakasis letzte Worte kreisten immer und immer wieder in ihrem Kopf. Sie betete, daß sich sein Wunsch erfüllen möge; denn wenn er lebte und nicht seinen Eid auf den Natami ablegte, wäre sie entweder tot, oder Buntokapi hätte sich als Lord der Acoma einen festen Platz erobert und sich ihrer Macht, ihn zu kontrollieren, weit entzogen.
Die Zofen warteten auf ihre Herrin. Mara saß auf einem Kissen in den Gemächern, die sie noch immer als die ihres Vaters betrachtete, und öffnete die Augen. »Ich bin soweit«, sagte sie.
Aber tief in ihrem Herzen wußte sie, daß sie nicht wirklich auf die Hochzeit mit dem dritten Sohn der Anasati vorbereitet war – und es auch niemals sein würde. Sie verschränkte die Hände unruhig ineinander und harrte aus, als die Dienerinnen mit der lästigen und teilweise schmerzhaften Aufgabe begannen, ihre Haare zu kämmen und dann mit Bändern und Schleifen in der traditionellen Weise zu binden. Jedesmal, wenn eine neue Locke befestigt wurde, zog und ziepte es so sehr, daß sie kurz davor war, sich wie ein kleines Kind zu winden.
Wie immer schien Nacoya ihre Gedanken lesen zu können. »Mistress, an diesem Tag ruhen die Augen jedes einzelnen Gastes nur auf Euch, und Ihr müßt alles tun, um den Stolz des Acoma-Erbes zu verkörpern.«
Mara schloß die Augen, als wollte sie sich verstecken. Verwirrung stahl sich wie ein dunkler Schmerz in ihre Magengrube. Der Stolz des Acoma-Erbes hatte sie in ein Netz aus Verwicklungen verstrickt, das sie tiefer und tiefer in einen Alptraum hinabzog; jedesmal, wenn sie eine Bedrohung erfolgreich abgewendet hatte, nahm eine andere Gestalt an. Erneut fragte sie sich, ob es wirklich klug gewesen war, Buntokapi als Ehemann zu wählen. Er mochte beeinflußbarer sein als sein gutangesehener Bruder Jiro, doch nur zu leicht könnte er sich als wesentlich dickköpfiger erweisen. Wenn es ihr nicht gelang, ihn zu kontrollieren, würden sämtliche Pläne, mit deren Hilfe sie die Acoma wieder zu der ihnen zustehenden Macht und Bedeutung führen wollte, hinfällig werden. Nicht zum ersten Mal schob Mara solch müßige Spekulationen ärgerlich beiseite: Die Entscheidung war gefallen. Buntokapi würde Lord der Acoma werden. Im stillen fügte sie hinzu: zumindest eine Zeitlang.
»Würde die Lady bitte ihren Kopf etwas zur Seite drehen?« Mara gehorchte; sie war verwirrt von der Wärme, die die Hand der Dienerin auf ihrer Wange ausstrahlte. Ihre eigenen Finger waren eiskalt, als sie an Buntokapi dachte und daran, wie sie mit ihm fertig werden sollte. Der Mann, der als Lord der Acoma den Platz ihres Vaters einnehmen würde, hatte nichts von der Weisheit oder Intelligenz Lord Sezus, und er hatte auch nichts von Lanos Anmut, seinem Charme und seinem unwiderstehlichen
Humor. Während der wenigen offiziellen Gelegenheiten seit seiner Ankunft zur Hochzeitszeremonie hatte Mara Buntokapi beobachtet, und er kam ihr brutal vor, schwerfällig im Verstehen von Feinheiten und nur zu offensichtlich in seinen Leidenschaften. Ihr stockte der Atem, und sie unterdrückte ein Schaudern. Er war nur ein Mann, erinnerte sie sich, und wenn auch ihre Vorbereitung für den Tempeldienst dazu geführt hatte, daß sie weniger über Männer wußte als die meisten anderen Mädchen ihres Alters, so würde sie doch ihren Verstand und Körper einsetzen müssen, um ihn zu kontrollieren. Für das große Spiel des Rates würde sie die Rolle der Ehefrau ohne Liebe eine Zeitlang auf sich nehmen, wie bereits zahllose andere Frauen großer Häuser vor ihr.
Angespannt von ihrer eigenen Entschlossenheit erduldete Mara die Fürsorge der Zofe, während das Treiben und die Rufe jenseits der dünnen Papierwand darauf hindeuteten, daß die Bediensteten die große Halle für die Zeremonie vorbereiteten. Draußen brüllten einige Needras, und Wagen rollten heran, geschmückt mit bunten Fähnchen und Bändern. Die Truppen der Garnison standen in ihren glänzend polierten Rüstungen in Reih und Glied. An ihren Waffen waren Streifen aus weißem Stoff befestigt, um die Freude über die anstehende Vermählung ihrer Herrin auszudrücken. Die Gäste und ihr Gefolge bevölkerten den Weg, ihre Sänften und livrierten Diener bildeten ein Meer aus Farben vor dem verdorrten Gras auf den Feldern. Sklaven und Arbeiter mußten am Tag der Festlichkeiten nicht arbeiten, und ihr heiteres Lachen und fröhlicher Gesang drangen bis zu Mara, die fröstelnd und allein mit ihrer Angst in ihrem Zimmer saß.
Die Dienerinnen strichen die letzte Schleife glatt und drückten die letzte glänzende Strähne an die richtige Stelle. Mit den gelockten Kringeln ihres schwarzen Haares erinnerte Mara an eine Figur aus Porzellan; ihre Wimpern und Brauen waren so fein wie in dem Meisterwerk eines Tempelmalers. »Tochter meines Herzens, Ihr habt niemals hübscher ausgesehen«, bekannte Nacoya.
Mara lächelte mechanisch und stand auf, während die Ankleidefrauen das einfache weiße Gewand von ihrem Körper streiften und sie leicht mit Puder bestäubten, damit ihre Haut während der langen Zeremonie trocken blieb. Andere bereiteten das reichbestickte Seidengewand vor, daß nur für die Bräute der Acoma vorgesehen war. Als die faltigen alten Hände der Frauen das Unterkleid über ihren Hüften und dem flachen Bauch glattstrichen, biß Mara sich auf die Lippen; schon bald würden die Hände Buntokapis ihren Körper berühren, wo immer es ihm gefiel. Gegen ihren Willen brach ihr der Schweiß aus.
»Es wird heute warm werden«, murmelte Nacoya. Ein wissender Schimmer flackerte in ihren Augen, als sie noch etwas mehr Puder dort verstreute, wo Mara ihn benötigen würde. »Kasra, bring deiner Herrin ein Glas kühlen San-Wein. Sie sieht blaß aus, und dabei haben die Aufregungen der Hochzeit noch nicht einmal richtig begonnen.«
Mara holte ärgerlich Luft. »Nacoya, ich bin durchaus in der Lage, den Tag auch ohne Wein zu überstehen.« Sie hielt leicht wütend inne, als die Zofen die Kordeln an ihrer Taille und unterhalb der Brust zubanden und ihr einen Augenblick den Atem nahmen. »Abgesehen davon bin ich sicher, daß Buntokapi für uns beide trinken wird.«
Nacoya verneigte sich mit einer Förmlichkeit, die Mara reizte. »Eine leichte Rötung im Gesicht würde Euch gut stehen, Lady. Aus Schweiß machen sich Ehemänner jedoch gewöhnlich nichts.« Mara entschied sich, die schroffen Worte Nacoyas zu ignorieren. Sie wußte, die alte Amme sorgte sich um das Kind, das sie über alles liebte.
Geschäftige Geräusche von draußen verkündeten, daß ihr Haushalt eifrig damit beschäftigt war, die letzten Vorbereitungen auszuführen. Der Kriegsherr des Kaiserreiches und eine nahezu überwältigende Anzahl geladener Gäste würden sich in einer ihrer Bedeutung entsprechenden Sitzordnung in der großen Halle versammeln. Da die Wichtigsten und Bedeutendsten von ihnen als letzte zu ihren Kissen geführt werden müssen, war allein die Anordnung der Gäste eine komplexe und langwierige Angelegenheit, die weit vor Sonnenaufgang begann. Tsuranische Hochzeiten fanden morgens statt, denn man glaubte, es würde Unglück für das Paar bedeuten, wenn man eine solch wichtige Verbindung vollzog, während der Tag bereits verblaßte. Dies bedeutete jedoch, daß die geladenen Gäste von eher bescheidenem Rang sich bereits vor Tagesanbruch auf den Gütern der Acoma einfanden, einige sogar schon vier Stunden vor Sonnenaufgang. Musiker und Diener unterhielten diejenigen, die als erste Platz nahmen, während die Priester Chochocans das Haus der Acoma segneten. In diesem Augenblick würden sie ihre erlesenen Amtsroben anlegen, und ein roter Priester Turakamus würde außer Sichtweite ein Needra-Kalb schlachten.
Die Dienerinnen hielten das Übergewand hoch, in dessen Ärmel Shatra-Vögel aus seltenem Gold eingearbeitet waren. Mara wandte ihnen dankbar den Rücken zu. Während die Zofen die Schleifen an Ort und Stelle brachten, blieb es Mara erspart, Nacoya dabei zuzusehen, wie sie jede kleine Einzelheit des Kostüms überprüfte. Die alte Amme war merkwürdig und gereizt, seit Mara sich entschieden hatte, Buntokapi die Macht über die Acoma zu überlassen. Daß Mara langfristige Hoffnungen mit diesem Plan verband, konnte Nacoya auch nicht beruhigen, zumindest nicht zu einem Zeitpunkt, da Krieger der Anasati in den Baracken der Acoma untergebracht wurden und einer der größten Feinde großspurig das schönste Gästezimmer des Hauses belegte. Zudem bot Buntokapi mit seiner blechernen Stimme und seinem ungehobelten Benehmen den Bediensteten, die bald alle seinen Launen ausgeliefert sein würden, keinerlei Beruhigung. Sogar sie selbst würde ihm ausgeliefert sein, dachte Mara unbehaglich. Sie versuchte sich ohne Schaudern vorzustellen, wie es mit dem stiernackigen Jungen im Bett sein würde, doch es gelang ihr nicht.
Die Berührung einer Dienerin brachte sie in die Gegenwart zurück, und sie setzte sich hin, während ihre Füße in juwelenbesetzten Schuhen verschwanden. Andere Zofen schoben smaragdbesetzte Muschelkämme in ihr Haar. Sie war störrisch wie das Needra-Kalb, das zur Opferung in Düfte eingehüllt wurde, damit Turakamu seine Aufmerksamkeit von der Hochzeit abwenden würde, und rief nach einem Musiker, der ihr etwas vorspielen sollte. Wenn sie die endlosen Strapazen des Ankleidens schon erdulden mußte, würde Musik zumindest dabei helfen, allzu trübe Gedanken zu vertreiben. Falls das Schicksal ihr durch die Heirat mit Buntokapi Probleme zugedacht hatte, würde sie das ohnehin früh genug herausfinden. Der Musiker wurde mit verbundenen Augen hereingeführt; kein Mann durfte die Braut sehen, bevor sie ihre Prozession zur Hochzeitszeremonie begonnen hatte. Er setzte sich und spielte eine beruhigende Melodie auf seinem Gikoto, jenem fünfsaitigen Instrument, für das die meisten Musikstücke der Tsurani komponiert wurden.
Als die letzten Schleifen und Knöpfe festgemacht und die letzten Perlenketten an die Manschetten gebunden waren, erhob Mara sich von ihren Kissen. Sklaven mit verbundenen Augen trugen die Festtagssänfte in das Zimmer, und Mara kletterte auf den offenen Palankin, der einzig für die Hochzeiten der Acoma gefertigt worden war. Blumen und Koi-Reben wanden sich um das Gestell, und die Träger hatten Kränze in den Haaren. Als sie die Sänfte auf die Schultern hoben, trat Nacoya zwischen sie und küßte Mara sanft auf die Stirn. »Ihr seht wunderhübsch aus, Mylady – so hübsch wie Eure Mutter an dem Morgen, als sie Lord Sezu heiratete. Ich weiß, es hätte sie stolz gemacht, Euch so sehen zu können, würde sie heute noch leben. Mögt Ihr die gleiche Freude in der Ehe finden wie sie und mit vielen Kindern gesegnet sein, die den Namen der Acoma weitertragen.«
Mara nickte geistesabwesend. Als eine Dienerin vortrat, um die Träger hinauszuführen, hielt der Sänger mitten in seinem Lied inne und wurde unangenehm still. Mit einem Stirnrunzeln tadelte das Mädchen sich für ihre Nachlässigkeit. Sie hatte den Musiker unhöflich behandelt, indem sie den Raum verließ, ohne ihn vorher zu loben. Während die Träger die Sänfte hinaus auf den leeren Gang trugen, beauftragte Mara schnell ihre alte Amme, dem Mann mit einem kleinen Geschenk seinen Stolz zurückzugeben. Dann verschränkte sie die Finger fest ineinander, um das Zittern zu verbergen, und zwang sich, ab sofort wachsamer zu sein. Ein großes Haus konnte nicht erblühen, wenn sich die Herrin nur mit den gewichtigen Angelegenheiten beschäftigte. In den Fähigkeiten im Umgang mit den belanglosen Alltäglichkeiten des Lebens drückte sich meist jene Haltung aus, der es vergönnt war, den Weg zu wahrer Größe zu finden. So hatte Lord Sezu zumindest immer gemahnt, wenn Lano die Handwerker zugunsten zusätzlicher Übungen mit den Kriegern vernachlässigt hatte.
Mara fühlte sich auf merkwürdige Weise ganz weit weg. Die entfernte Geräuschkulisse von den Vorbereitungen für das Fest und der Ankunft der Gäste verlieh den Korridoren, die völlig menschenleer waren, etwas Gespenstisches. Wo immer sie hinschaute, sie sah niemanden, und dennoch erfüllte die Gegenwart der Leute die Luft. Ohne irgend jemanden gesehen zu haben, erreichte sie den Hauptkorridor, verließ das Haus und kam schließlich in den kleinen Garten. Hier sollte Mara eine Stunde in meditativem Schweigen verharren und sich auf den Abschied aus dem Mädchendasein und die neue Rolle als Frau und Gattin vorbereiten. Wächter in schmuckvoller zeremonieller Rüstung standen rings um den Garten Wache, um sie zu schützen und zu garantieren, daß sie nicht gestört werden würde. Im Gegensatz zu den Trägern hatten sie keine Augenbinden, sondern standen mit den Gesichtern zur Wand. Sie spitzten ihre Ohren bis aufs äußerste und waren extrem wachsam, ohne der Versuchung zu erliegen, durch einen Blick auf die Braut Unglück heraufzubeschwören.
Mara wandte ihre Gedanken von der bevorstehenden Zeremonie ab und versuchte statt dessen, einen Moment der Ruhe zu finden, einen Hauch jener Gelassenheit zu spüren, die sie im Tempel kennengelernt hatte. Anmutig ließ sie sich auf dem Kissen nieder, das auf dem Boden lag, und rückte ihre Gewänder zurecht. Das blasse Gold des frühen Morgens umschmeichelte sie, als sie dem Wasserspiel des Springbrunnens zuschaute. Tropfen formten sich und fielen hinab, jeder einzigartig in seiner Schönheit, bis er mit einem Platschen ins Wasser tauchte. Ich bin wie diese Tropfen, dachte das Mädchen. Die Anstrengungen im Laufe ihres gesamten Lebens würden sich am Ende mit der ewigwährenden Ehre der Acoma verbinden; und ob ihr als Ehefrau Buntokapis nun Glück oder Unglück widerfahren würde, spielte am Ende ihres Lebens keine Rolle – solange der geheiligte Natami im Hain blieb und den Acoma der rechtmäßige Platz unter der Sonne gewährt wurde – der nicht vom Schatten eines anderen Hauses bedroht war.
Sie neigte ihren Kopf und betete in der frischen Morgenstille in aller Aufrichtigkeit zu Lashima, weder wegen der verlorenen Tage ihrer Mädchenzeit noch wegen des Friedens, den sie einst durch den Tempeldienst zu erreichen gehofft hatte. Sie bat vielmehr um die Kraft, den Feind ihres Vaters als Ehemann annehmen zu können, damit der Name der Acoma sich im Spiel des Rates wieder laut erheben könnte.