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Etwas später kam ihm sein dramatischer Aufbruch selbst ein bißchen komisch vor. Er mußte sehr merkwürdig ausgesehen haben, fast wie ein Verrückter, als er unter aufgeregtem Geschrei entflog.

Er hatte nur ein Weilchen allein sein wollen, unbelästigt von Leuten, die ihm auf den Leib rückten und ablenkende Fragen stellten. Er hatte weder dramatisch noch unhöflich sein wollen.

Der Nebel hüllte ihn jetzt ein, erstickend, klebrig beladen mit dem Gestank der Marschenflora und -fauna. Mit einem einfachen Nasenfilter atmete es sich leichter; und er saß auf dem Floß, starrte in die weiße Wand, die ihn von allem abschloß. Dabei ließ er seine Gedanken sich ungestört auf das konzentrieren, was er gesehen hatte und woran er sich erinnerte.

Gleich beim erstenmal, als er einen Schwarzflügler fliegen sehen hatte, war ihm der Anblick vertraut vorgekommen. Es war natürlich nicht die normale Fortbewegungsart des Tieres, sondern das merkwürdige Schwirrflattern, mit dem es sich einer Gefahr entzog. Elspeth hatte es Teleportation genannt. Ashka hatte Teleportationen gesehen, aber dabei kam es nicht zu dieser sekundenbruchteillangen Unsichtbarkeit des Körpers – es war etwas Momentanes, eine Funktion des Raumes, nicht der Zeit. Hier jedoch erinnerte ihn die Bewegung an etwas anderes, an ein Experiment, dem er beigewohnt hatte –, und zwar konnte es nicht allzu lange her sein. Die Erinnerung lag in seinem Schädel verschlossen, dem normalen Prozeß der Gedächtnisverlagerung entrückt; aber sie konnte noch hervorgebracht, ans Licht geholt und nachvollzogen werden. Der Planet hatte sie ihm noch nicht für immer genommen.

Das Experiment hatte auf der Erde stattgefunden, vor etwa fünfzehn Jahren. Er hatte es bei einer Routineveranstaltung aus einiger Entfernung beobachtet; Rationalisten mußten ihr Leben lang an allen möglichen Experimenten und Tagungen teilnehmen. Er hatte zahllose solche Veranstaltungen mitgemacht, hatte zugehört, das Protokoll unterzeichnet, dann hatte er alles vergessen und ganz normal sein Leben weitergelebt.

Dieses spezielle Experiment hatten über zwanzigtausend Rationalisten mit angesehen, weil es ein Fundamentalversuch eines Zeitforschungsinstituts war. Er und andere hatten einen Mann durch eine große Arena laufen sehen; der Mann trug einen schweren Kasten auf dem Rücken, eine Brustplatte mit komplizierter Apparatur, eine kleine stählerne Schädelkappe mit in die Hirnrinde führenden Sonden. Beim Laufen verschwand der Mann und erschien eine Viertelsekunde später ein Stück weiter auf seiner Bahn; auf diese flackernde Art war er durch die Arena gelangt, hatte dann gewendet und war zurückgekommen und schließlich erschöpft zusammengesunken. Ashka hatte sein Protokoll unterzeichnet und die Veranstaltung verlassen. Es war nicht sehr sensationell gewesen, es hatte ihn nicht sonderlich erregt oder in Erstaunen versetzt. Doch bei einer ganzen Anzahl von Zuschauern war das anders. Es lag etwas wie Elektrizität in der Luft: Lachen, Diskussionen, Meinungsaustausch, Entzücken.

Sie hatten einen Mann durch die Zeit laufen sehen, in winzigen Explosionen, die Sekundenbruchteile dauerten, ihn sich mittels Geist und Maschine einem Universum annähern sehen, wo das ewig gleiche Vorwärtsströmen der Zeit nicht so unverbrüchlich war wie in dem ihren. Ashka hatte sich damals nicht weiter dabei aufgehalten, die Konsequenzen durchzudenken; und später, als er hörte, daß die Versuchsperson ihre Beziehungen zum ching neu herstellen mußte (schon damals das gleiche Problem, das Elspeth jetzt hatte), war er auch noch nicht auf die Implikationen dieses Experiments gekommen.

In der Nebelmauer, einsam und frierend, aber langsam zum Verständnis jener Welt gelangend, auf der er nach und nach seine Identität verlor, wünschte Peter Ashka, er sei damals vor fünfzehn Jahren nicht so voreilig und dumm gewesen. Er wünschte, er sei nicht nur so ein ganz gewöhnlicher Dutzend-Rationalist; er wünschte, er besäße auch nur ein bißchen Sinn für Neues, so daß er tiefer und bedeutsamer über dieses Experiment nachgedacht hätte, das er damals so langweilig fand. Jetzt würde es ihm vielleicht weiterhelfen.

Aus seiner Gürteltasche zog er den kleinen, flachen Computer-Terminator, der ihn mit dem weitläufigen mnemosensorischen Akkumulations- und Analysezentrum des Raumschiffes verband. Er wickelte die Zuleitung ab, beugte sich über Bord des Floßes und stach die Terminatornadel in den moosigen Boden, immer tiefer, bis der Bildschirm lebendig aufleuchtete – ein Zeichen, daß er über den Erdstrom Kontakt bekommen hatte. Er richtete sich wieder auf und blickte in den Schirm, dann machte er seine Anfrage: „Definiere das Wesen der Zeit auf dem Planeten Erde.“

Ein kurzes, kaum bemerkbares gelbliches Aufflimmern der Mattscheibe, dann erschien ein dichtgedrängter Schriftblock: Entsprechend dem empirischen Befund hat die Zeit auf dem Planeten Erde den Charakter eines irreversiblen Kontinuums. Sie wird außerdem definiert als linear und konstant im Ablauf vergleichbar einer Wellenfront, die sich von der Vergangenheit auf die Zukunft hin bewegt. Es gibt keinen absoluten Standard der Zeit; die Definition bleibt axiomatisch und unbeweisbar und weist die Erdzeit als effizienten, jedoch lediglich für praktische Zwecke geeigneten Standard aus. Ashka verstand die Terminologie voll und ganz, was ihn befriedigte. Er löschte die Schrift auf dem Bildschirm und stellte eine neue Frage: „Was ist die Zeit auf dem Aeran?“

Jetzt kam die Antwort erst nach längerer Pause, und sie erregte Ashka, als er sie las, nicht so sehr des Inhalts wegen als wegen der Tatsache, daß die seelenlose Maschine auf dem Schiff über die Einzigartigkeit des Aeran längst Bescheid wußte, ihr Wissen jedoch nicht ohne die präzise Aufforderung eines menschlichen Operators von sich geben konnte:

Die Zeit auf dem Aeran und in dem ihn umgebenden Raum kann sinnvoll in der Terminologie der Erdzeit definiert werden, wenn die notwendigen relativistischen Ergänzungen vollzogen werden. Nach dieser Terminologie verhält sich die Aeran-Zeit oszillatorisch. Sie fluktuiert zyklisch um den normalen Zeitablauf. Die Amplitude einer Oszillation wird auf 0,02 Sekunden berechnet, die Frequenz auf 37,5 Hz. So einfach – so einzigartig und so zerstörerisch! Zwei Hundertstel einer Sekunde stehen zwischen mir und dem Bewußtsein meines Todes, dachte er. Zwei Hundertstel einer Sekunde entscheiden über alles und jedes: das ganz Große, das ganz Kleine – wie das Aufwinden einer Spirale, ein unbedeutender Punkt im Zentrum einer komplexen, weitläufigen Struktur … das unendlich Große nicht zu unterscheiden vom unendlich Kleinen – denn die Unendlichkeit hat keine Dimensionen; sie manifestiert sich als Raum und Zeit ausschließlich zum Vorteil derer, die sich bemühen, ihre Umwelt zu definieren.

Ich schweife ab … meine Gedanken flackern vor- und rückwärts, wie schlagende Vogelschwingen … wie Atemholen … der angehaltene Atem der Zeit, hatte Iondai gesagt … man atmet ein und hält den Atem ein Weilchen an; dann erst atmet man aus und bringt den Atemzyklus normal zu Ende.

Iondai wußte es auf seine primitive, fraglose, praktische, nüchterne Weise. Er weiß es, wie wahrscheinlich alle Aerani es wissen; doch es war ihnen nie in den Sinn gekommen, es zu definieren, zu hinterfragen, zu analysieren – sie waren nicht zivilisiert genug, um so ausgeklügelte Methoden zum Verstehen ihrer eigenen Unbedeutendheit im Vergleich zum weiten All zu benötigen.

Der Nebel schloß sich dichter; er konnte sein Floß, sogar seine eigenen Hände nicht mehr sehen. Es war eine wundervolle Abgeschlossenheit, eine wundersame Stille. Es war, als dränge das Weiße direkt in seinen Schädel ein, wirble drinnen herum, Täler und Höhen hinab und hinauf, hier einen Gedanken, dort eine Erinnerung isolierend, Fakten vorschiebend, irrelevante Konklusionsketten abblockend.

Eine Welt, deren Zeit sich so fundamental von der normalen Zeit unterscheidet, daß das ching nicht mehr funktioniert, daß der menschliche Geist versinkt, verschwindet, sich aus seiner natürlichen Heimat in den Zellen und Bahnen des Gehirns zurückzieht. Eine oszillierende Zeitmauer, eine Welt also, wo in jedem Augenblick Vergangenheit und Gegenwart ein und dasselbe sind und in diesem Nach- und Vorhall des Augenblicks zusammengefaßt werden. Wer handelte, hatte bereits gehandelt und würde erst im nächsten Sekundenbruchteil handeln – einer relativen Zeitspanne, die zu kurz war, um im Materiellen wahrgenommen zu werden, in der Materie des Gehirns – sie sprang unkontrolliert in den Rhythmus der Bewegung ein; ein Zeit-Quant, zu kurz, um anders wahrgenommen zu werden als in jenem Schwirrflattern, mit dem ein Tier aktiv darum kämpfte, diese Welle abzureiten, durch eine einmalige Kombination von Zeit und Geist zu entfliehen, was wie ein Schwirren aussah, weil der Beobachter und sein Objekt sich während dieser kurzen Sekunden des Fluges in verschiedenen Zeitstrukturen bewegten.

Der Schiffscomputer hatte es gewußt. Das ching hatte es gewußt, doch ohne präzise Frage konnten sie es ihm nicht sagen. Selbst Gorstein, dieser seltsame Mann, hatte bei der Landung gemerkt, daß etwas nicht stimmte; vielleicht war seine Psyche gerade wegen seiner geringeren Sensitivität empfänglicher für die andersartige Zeit als eine sensitivere und daher von Nebengeräuschen überlagerte Psyche. Er hatte sich unbehaglich gefühlt, eben als ob etwas nicht stimmte. Das ching hatte ‚von außen’ gesagt, und er, Ashka, hatte das im Sinne von etwas Feindlichem interpretiert, das von der Kolonie herkommen würde. Und es hatte auch Feindseligkeiten gegeben, und er hatte seine Interpretation für richtig gehalten. Aber sie war nicht richtig. Gorstein hatte gespürt, daß etwas mit der Zeit nicht stimmte; das ching hatte es gewußt, hatte es zu erklären versucht. Selbst der Computer hatte es zu erklären versucht, doch woher sollte der Computer wissen, daß das, was er als fremdartiges Phänomen entdeckt hatte, mit dem identisch war, was Gorstein ebenfalls entdeckt hatte? Maschinen – sich auf Maschinen zu verlassen, hieß, sich auf Narren zu verlassen.

Es lag so viel Ironie in der Situation, daß Ashka endlich dem Lächeln nachgab. Sogar Iondai hatte ja gewußt, daß nicht das ching sich irrte, sondern Ashkas Denken, was natürlich logisch war. Konnte Ashkas Leib sich leicht in den unregelmäßigen Zeitablauf einfügen – sein Denken konnte es nicht. Der Geist war etwas Eigenes, Abgetrenntes; er existierte in seinem eigenen Universum, und das glatte Ineinanderfließen von Körper und Geist war eben das, worum es beim tao ging, wenn man es vom menschlichen Standpunkt aus sah. Doch zweifellos konnte sich auch das Denken anpassen – selbst der Geist konnte seine Verlagerung spüren und sich angleichen; und im Verlauf dieser Angleichung glitt er langsam, unerbittlich in das andere Zeit-Raum-System, und dieses begann mit dem Leib, der es beherbergte, zu oszillieren, und so entglitt es dem ching, so riß die Beziehung ab, so wurde das ching sinnlos, weil es nicht mehr richtig arbeiten konnte. Er hatte gedacht, es sei krank, als er es für Iondai befragen wollte – war das Eifersucht, war es wegen der Nähe des großen Orakels irritiert gewesen? Oder war da nur der negative Beitrag eines Geistes, der zwar immer noch nah, aber jetzt so weit verlagert war, daß er sich an der rauhen Kante des Nichtfunktionierens rieb?

Und das Gedächtnis … das Gedächtnis: nicht mehr (und nicht weniger) als eine Vibration im Kern der Nervenzelle, eine ständige bioelektrische Wellenbewegung, durch eine spezielle kristallinische Eiweißverbindung unter der Kernmembrane determiniert … eine Wellenform, die bis in die äußere Zellmembran hineinreichte, wenn ein bestimmtes Gedächtnisfragment gefordert und abgerufen wurde … ein zartes Gewebe, die Vergangenheit des Menschen, seine Identität, sein Schicksal – eingefangen in Milliarden winziger Schwingungen – so leicht zu zerstören. Und der Aeran zerstörte sie! Diese komplexen Strukturen waren Funktionen sowohl der Zeit als auch des Raumes! Kein Wunder, daß sie unter den andersartigen Parametern der Aeran-Relativität degenerierten. Langsame Zerstörung, Teilchen um Teilchen, Fall um Fall … wenn der Geist den Übergang vollzog, die Grenze überschritt, wurde die angesammelte Erfahrung des Lebens von der Oberfläche, von der Matrize wegradiert, so daß diese leer und frei war für die neuen Chiffren von Leben und Tod. Doch natürlich verschwand nicht alles. Die Sprache schien zu bleiben, die Wörter, die Begriffe, verzerrt zwar durch den Übergang von einem Universum ins andere, doch grundsätzlich die gleichen. Wörter … Rede … in die eine Hirnhälfte eingegraben, dort wo das Gehirn über den Augen hervortritt – und die andere Hemisphäre? … Symbole, ja … wenn er sich recht erinnerte, war die andere Hemisphäre für geometrische Assoziationen und Symbole zuständig. Doch diese Dinge hatten, anders als das Gedächtnis, ihre Analogie im Cerebellum – sogar die Sprache! Und obwohl die Cerebralrinde ständig aktiv war, gab es wenig – genaugenommen nichts außer dem Gedächtnis –, das nicht aufgeteilt wurde zwischen dem höheren Hirn mit seiner komplexen Zellstruktur und dem niederen Hirn mit seinen fundamentaleren Methoden des Aufnehmens und Assoziierens von Informationen.

So vieles war im Dunkeln – so vieles war leer, blind wie die Nebelwand, undefinierbar und doch mit einer feinen Andeutung von Formen und Gesichtern, als sei das verloren geglaubte Gedächtnis noch da, jedoch tief unten, weit außer Reichweite, jenseits des Zugriffs sogar der siebenten Ebene seines Geistes, des tiefen Unbewußten. So vieles in dem Gefängnis der chemischen Codes in seinem Hirn – alle diese Gesichter, Zeiten, Städte, Ereignisse waren nun hinausgestoßen in eine unbekannte, ewige, höllische Finsternis, waren gelöscht, so daß die Bänder leer und bereit zu neuem Empfang waren, in einer neuen Welt, in einer neuen Zeit, in einem neuen Schicksal.

Er war unerklärlich erregt, sein Geist hinkte hinter seinem Körper her, einer großen spontanen Realisation entgegen. Und dann sah er deutlich, was es war.

Prädestination.

Natürlich! Deswegen konnte das ching nicht richtig arbeiten, deshalb fand es auf dem Aeran keine Handhabe. Vielleicht war es also nicht nur der Benutzer, der etwas falsch machte – vielleicht hatte er recht gehabt, als er spürte, daß das ching durcheinander war, und hatte sich nur darin geirrt, daß er die Störung für Eifersucht gehalten hatte. Das ching, das Tarot, die anderen obskuren Orakel, die er gelegentlich benutzte – alle waren sie für ein Universum gedacht, in dem das Schicksal nicht prädestiniert ist, sondern wandelbar, machbar, wo Mensch und Schicksal ein System ständiger Wechselwirkungen, eine bewegliche Wellenfront bilden, die mit jeder getroffenen Entscheidung ihre Position ändert. Dort gab es so etwas wie Voraussage nicht, nur Wahrscheinlichkeit. Niemand konnte die Zukunft sehen, nur eine künftige Möglichkeit, weil es auf der Erde, in dem weiten Universum der normalen Zeit die Zukunft erst dann gab, wenn sie da war … das ching konnte in diese Leere schauen und die Trends erkennen. Es sah keine Tatsächlichkeiten. Der wahrscheinliche Trend konnte erfaßt werden, indem man sich dem tao beugte; aber nichts war sicher, ehe es nicht sicher in der Vergangenheit beschlossen lag.

Doch auf dem Aeran – war die Zukunft allgegenwärtig. Auf einer Welt, in einem Universum, wo die Zeit auch nur mit einer Milliardstelsekunde oszillierte, war die Zukunft bereits prädestiniert, da sie vorhanden war, bevor die Geschehnisse eintraten. Auf dem Aeran war das Schicksal absolut definiert, klar umrissen. Selbstverständlich konnte dort das Orakel absolute Voraussagen machen! Wie es das machte, spielte keine Rolle – sie benutzen ein Erd-Orakel, und der Geist des Fragenden fühlt den Puls der Zukunft – es hätte Iondai selbst sein können, der ganz wörtlich genommen die Zukunft sah; oder es hätte auch etwas anderes sein können, etwas viel Größeres als der Mensch – vielleicht das, was hinter dem Erdwind-Symbol lauerte … der Sänger des ‚Liedes der Erde’ persönlich? Ashka konnte es nicht wissen. Doch die Zukunft auf dem Aeran war prädestiniert. Niemand konnte der Zukunft entrinnen, denn auf dem Aeran war der Mensch Diener der Zeit; er trieb nicht nur hilflos auf ihrem Strom. Das ching konnte sehen, wie es immer gesehen hatte, doch es war bedeutungslos ohne die Veränderbarkeit. Was es vorher, ehe sie auf dem Aeran landeten, gesagt hatte, war vielleicht noch brauchbar; doch je länger sie hierblieben, um so weniger konnten sie effektiv im Einklang mit den Prophezeiungen des ching handeln, das ihr Leben und Handeln diktierte.

Er hatte Elspeths frühere Warnung in den Wind geschlagen, doch jetzt wußte er, daß sie absolut recht gehabt hatte.

Sie mußten herunter von dieser Welt. Und zwar schnell.

Er tauchte aus seinem reflektierenden Geisteszustand auf, sah sich um.

Hinter dem Nebel bewegte sich etwas. Sekundenlang war ihm das gedämpfte Geräusch rätselhaft – er starrte ins Weiße, das sich nun ein wenig lichtete, und versuchte zu begreifen, was er da eigentlich hörte. Als ihm klar wurde, daß sich ihm irgendein Tier näherte, dreht sich ihm der Magen um. In einen hungrigen Menschenfresser hineinzurennen – das war das letzte, was er sich wünschte; ob er nun durch die Zeit oszillierte oder nicht –, Fleisch blieb Fleisch, und Ashka war immer noch ein schmackhafter Bissen.

Er griff nach dem Motorschlüssel, doch er konnte ihn nicht finden. Er war auch nicht in seinem Beutel, und unbewußt tastete er auf dem feuchten Metallboden des Floßes herum.

Das Wesen kam nicht näher heran. Es war in der Richtung auf ihn zugelaufen, und jetzt, völlig vor seinen Blicken verborgen, war es stehengeblieben, versuchte, ihn auszumachen. Trotz aller Bemühungen gelang es ihm nicht, einen ruhigen Zyklus des Ein- und Ausatmens zu erreichen. Er schnappte nach Luft, um den ständigen Sauerstoffmangel auszugleichen. Das Geschöpf kam wieder näher – er konnte seinen Schritt hören; er konnte sich vorstellen, wie es im Weißen nach einer Form oder einem Schatten suchte, die es zu seiner Beute führen sollten.

Elspeth würde ihm nie verzeihen, dachte er, wenn er sich auffressen ließe, bevor er auch nur einen Bruchteil dessen weitergab, was ihm nun klargeworden war.

Wo war dieser verdammte Schlüssel?

Schließlich fand er ihn, eine kleine Metallscheibe, kalt und feucht vom Nebel. Er arbeitete am Startschloß herum, jetzt laut keuchend, denn der Gedanke an die mögliche Grausamkeit des Schicksals, das ihn vielleicht samt seinen Beobachtungen von der Bildfläche wischen würde, versetzte ihn in panische Angst.

Er hätte daran denken können, daß ihm das ching einen friedlichen Tod vorausgesagt hatte, was auch auf dem Aeran noch gültig war; doch in seiner Panik, allein im kalten Nebel dieser fremden Welt, verlor er jede Kontrolle über seinen Verstand. Er tastete am Starter herum und fluchte lauthals, als ihm der glatte Schlüssel wieder aus der Hand rutschte.

Das Wesen kam aus dem Nebel heraus. Zuerst nur ein undeutliches, schwankendes Gebilde, dann etwas Graues, das mit jedem Schritt deutlicher hervortrat.

Fasziniert sah Ashka ihm entgegen, denn jetzt hatte er keine Angst mehr.

Sie tauchte aus dem Nebel hervor und lächelte ebenfalls erleichtert. „Ich konnte Sie hören, aber in diesem Nebel täuscht es.“

„Elspeth“, keuchte er beruhigt und versuchte, seinen rasenden Herzschlag zu regeln. „Ich dachte …“

Sie ignorierte den unbeendeten Satz, kam heran, setzte sich auf den Floßrand und sah ihn entschlossen an.

„Na?“

„Was heißt ‚na’?“

„Sie haben es also herausbekommen.“

Er lachte. „Zum Teil. Nur zum Teil.“

„Diesmal“, entgegnete Elspeth, „kommen Sie mir nicht so leicht davon.“