Donnerstag, 13. März

Stimmung: kritisch

Sound: «My Way» von Frank Sinatra

Thema des Tages: Einfach mal die Klappe halten

 

 

Für Lena ist das Leben derzeit nicht ganz einfach. Da Karl nach wie vor die ganze Woche in Frankfurt arbeitet, muss sie viele Dinge allein machen und entscheiden. Insgesamt wirkt es von außen so, als ob nicht mehr viel zu tun sei. Der Schein trügt. Es kommt nicht darauf an, wie viel konkrete Arbeit eine Hochzeit macht, anstrengend und kräftezehrend sind die Gedanken, Zweifel und Sorgen, die sich die Beteiligten machen. Das Problem dabei: Sobald es um Hochzeiten geht, fühlt sich jeder Mensch im Umkreis von zehn Kilometern berufen, etwas zum Thema beizutragen.

Leider bilde ich selbst da keine Ausnahme. Immer wieder höre ich mich in Gesprächen Sätze sagen wie «Also damals bei Kati und Lars war das so» oder «Den besten Brautmodenladen findest du in XY». Ich hasse mich dafür. So wollte ich nie werden, und so |160|will ich auch nicht sein. Es ist wie ein Virus, der alle Anwesenden befällt, wenn die Sprache auf dieses Thema kommt. Sobald ich den Erreger dieser Pest isoliert habe, werde ich ein Gegengift in Auftrag geben und es jeder infizierten Person verabreichen. Das würde so manche Braut ruhiger schlafen lassen.

Auch Lena. Sie ist gerade in einer neuen Phase angekommen. Ideen sind ihr willkommen, doch eigentlich möchte sie niemandem mehr von Entscheidungen und Plänen bezüglich der Hochzeit erzählen, weil sie so viele Rückmeldungen von Müttern, Schwestern und Freundinnen dazu erhält. Die dauernde Kritik, neue Idee, und die Erzählungen darüber, wie andere es gemacht haben, lassen sie alle Punkte fünffach überdenken. Den DJ kennt eine Freundin von uns und unterhält uns mit Schauergeschichten darüber, wie er die Silberhochzeit ihrer Eltern verpatzt hat, das Catering ist Karls Schwester ein Anliegen, da diese Vegetarierin ist. Lenas Mutter würde gern mehr machen können, fragt immer wieder, was es noch zu tun gibt, und wünscht sich konkrete Aufgaben. Bekommt sie eine, ist diese in einem Tag erledigt, und sie muss sich etwas Neues einfallen lassen. Ihre Kollegin warnt vor dem Veranstalter, der habe auf ihrer Hochzeit zu wenig Essen bereitgehalten, außerdem sei die Zapfanlage ausgefallen und das Bier warm gewesen. Karls Vater hat beschlossen, ein Gastgeschenk für jeden zu machen und gibt sich wahnsinnig viel Mühe damit, 120 Teelichthalter aus Holz zu basteln, die sie ins Dekorationskonzept integrieren muss. Außerdem melden sich die ersten Gäste zurück, wollen Tipps für Übernachtungsmöglichkeiten haben und wissen, wie das Wetter in Hamburg werden könnte.

Kurz: Lenas Gedankenkarussell dreht sich unaufhörlich, und unsere gemeinsamen Gesprächsthemen beschränken sich zunehmend auf die kommende Hochzeit. So gut ich kann, beruhige ich die angehende Braut, ermutige sie, nicht alles so ernst zu nehmen, gebe Tipps und versuche, keine allzu hintergründigen Fragen zu |161|stellen, um sie nicht weiter zu verunsichern. Wenn eine Person wie Lena, die immer locker und offen durchs Leben geht, schon ins Zweifeln gerät, weiß ich nicht, wie eine etwas labilere Braut mit dem wachsenden Druck fertig werden soll.

Einzig Karl, der Mensch, dessen Rat und Meinung Lena wirklich gut gebrauchen könnte, ist in die Verweigerung getreten. Er sitzt in Frankfurt, arbeitet quasi rund um die Uhr und verweigert jedes Gespräch über die anstehenden Feierlichkeiten. Sein Statement: «Wird schon werden.»

Gestern ist ihr in einem dieser Nicht-Gespräche der Kragen geplatzt, und sie hat Karl die Meinung gesagt: wie das für sie ist, mit ihm nicht darüber reden zu können (nämlich scheiße), dass sie mehr Engagement von ihm möchte und auch mal gefragt werden will, wie es an der Hochzeitsfront aktuell stehe. Offenbar ist sie dabei aber auf mehr oder weniger taube Ohren gestoßen. Der Gute versteckt sich weiterhin hinter seiner Arbeit und täuscht Desinteresse vor. Er hat ihr mitgeteilt, dass ihn die dauernden Gespräche darüber nerven und er es nicht einsieht, dass das Leben nicht normal weitergehen kann.

«Weißt du was? Dann heirate ich eben Katarina, die weiß sowieso mehr von der Hochzeit als du!», hat sie ihm mitgeteilt und dann den Hörer aufgelegt, erzählt mir Lena heute beim gemeinsamen Mittagessen.

«War das gerade ein Heiratsantrag?», versuche ich zu scherzen. Klappt nicht ganz, Lena grinst nur schief.

«Ist doch wahr», schimpft sie weiter. Der interessiert sich für nichts und lässt mich alles allein machen. Wenn er wenigstens zuhören würde, aber er wechselt das Thema, sobald ich nur davon anfange.»

Ich sage jetzt nicht, dass das normal ist und ich es selten anders erlebt habe, ich verkneife mir auch einen dummen Spruch dazu, dass er vermutlich kalte Füße bekommt und Männer sich nur auf eine Sache konzentrieren können. Ich tue es wirklich, kein Wort |162|dringt über meine Lippen, und ich bin sehr stolz darauf, zumindest dieses Mal zu schweigen.

Lena schimpft weiter, dann sieht sie mich an und fragt grinsend: «Willst du mich heiraten?»

«Ja, auf alle Fälle, aber ich möchte keinen wütenden Karl an der Backe haben», lache ich, «außerdem müsste ich dann einen Anzug tragen, und auf meiner eigenen Hochzeit würde ich gern im Kleid erscheinen.»

Langsam beruhigt sich Lena. Locker bleiben, es wird alles gut werden, würde ich ihr gern sagen, aber ich habe mir ja vorgenommen, mich mehr zurückzuhalten, und so schweige ich. Zurück an meinem Arbeitsplatz, schreibe ich ihr eine Mail: «Braut, alles wird gut. Zeugin.» Die Klappe habe ich gehalten, von meinen tippenden Fingern war nie die Rede.