Dienstag, 18. März

Stimmung: irritiert

Sound: «Too much» von Elvis Presley

Thema des Tages: Kommunikation

 

 

Neun Wochen bis zur Hochzeit. Karl und Lena haben sich beruhigt und reden wieder miteinander. Gott sei Dank, es hätte auch gerade noch gefehlt, dass ich als Bräutigam einspringen muss. In der Zwischenzeit sind die ersten Antworten auf mein Gäste-Mailing eingetrudelt. Das ist immer ein besonders spannender Moment, in dem sich bei mir ein Gefühl für die Gäste entwickelt. Relativ schnell wird klar, wer sich engagieren wird, wie die einzelnen |163|Personen in Bezug auf die Hochzeit gestimmt sind und wie die Zusammenarbeit laufen wird.

Die erste Mail hätte ich fast gelöscht, in der Annahme bei dem Betreff «wedding quetsions» (sic!) von einem unbekannten Absender handele es sich um Hochzeits- oder Porno-Spam. Glücklicherweise erinnerte ich mich, kurz bevor ich die Mail in den Papierkorb verschieben konnte, daran, dass durchaus auch englischsprachige Gäste eingeladen sind und eine englische Betreffzeile entsprechend vorkommen kann. Nach dem Öffnen blinkten, blinzelten und zwinkerten mich etwa zwanzig Smileys an – überall wuselten Emoticons durchs Bild, zusätzlich erschwerte ein Sonnenaufgang im Hintergrund die Suche nach zusammenhängenden Buchstaben. Schließlich dechiffrierte ich die Botschaft zwischen dem ganzen Gewusel:

 

«zur info. ich bin karls cousine … und habe 2 kleine fragen: ist der dresscode ‹normal› hochzeitig oder irgendwie superstylish oder leger oder wie?

gibt es was bei den beiden was sie sich wünschen, ausser geld?? ein geheimtipp oder weisst du was sie sich von dem geld kaufen wollen???

wie sind so die hauptfarben/​stil vom apartment??

das wars auch schon, waer spitze wenn du kurz bescheid geben könnest!!

merci und noch einen schönen abend von

mir»

 

Verdutzt las ich mir die Mail ein zweites Mal durch. Ursprünglich hatte ich angenommen, dass mich keine Frage mehr überraschen könnte, diese Mail aber bewies das Gegenteil. Die Farben und der Stil vom «Apartment»? Was glaubte Karls Cousine, wo wir lebten? In New York? Karl und Lena wohnen in einem Hamburger Altbau, wir bezeichnen diese Form hinlänglich als Wohnung, |164|weniger als Apartment. Schade, dass ich Lena davon nicht erzählen konnte, sie hätte sich bestimmt mit mir zusammen kringelig gelacht.

Gleichzeitig stellte mich die Frage nach den Wünschen der beiden vor die erste echte Hürde dieser Vorbereitungen. Nach dem Gespräch mit Lenas Schwester Wiebke hatte ich meine Fühler ausgestreckt und erfahren, dass das Paar sich wirklich Geld wünscht. Sie haben viele Wünsche und würden gern auch eine Hochzeitsreise machen, aber die Hochzeit muss bezahlt werden.

Auch wenn jedes Paar seine Feier gern ausrichtet und finanziert, habe ich immer eine gewisse Erleichterung erlebt, wenn sich die Gäste an den Wunsch nach Geld gehalten haben. Geldgeschenke stellen für die Gäste zugleich die größte Herausforderung dar. Familie und Freunde möchten nicht einfach nur einen Umschlag mit Scheinen darin überreichen, sondern gern noch etwas Persönliches, das mehr als eine Karte sein darf, ergänzen.

Ganz nebenbei hatte ich Lena und Karl in den letzten Monaten ausspioniert – immer wenn einer der beiden einen Wunsch äußerte, notierte ich diesen heimlich. So liegt mir jetzt eine Liste vor, die ich, getrennt sortiert nach Braut-, Bräutigam- und gemeinsamen Wünschen, an die Gäste weitergeben kann. Dabei ist Koordination und das Wissen darüber wichtig, welcher Gast zu Lena und welcher zu Karl gehört. Nichts ist ungeschickter, als keinen Überblick über die Familien, Freunde und Arbeitskollegen zu haben. Und somit unwissend entweder die gleichen Geschenke doppelt zu verteilen oder einer Gruppe gleich mehrere zur Auswahl zu geben und am Ende keine Ideen mehr zu haben.

Um derartige Missgeschicke zu vermeiden, muss ich erst einmal herausfinden, welche von Karls fünf Cousinen die Autorin der erheiternden Nachricht ist. Die Gästeliste gab zwar Aufschluss über Zugehörigkeit der Menschen zu Braut oder Bräutigam, ich konnte aber nicht ersehen, um welche von Karls Cousinen es sich handeln könnte.

|165|«Vielleicht suchst du mal nach der Mailadresse in der Liste?», regt Andreas an, der mich die Liste zum hundertsten Mal durchsuchen sah. Gute Idee, aber auch ohne Ergebnis. Mist. Mir blieb nichts anderes übrig, als sie in meiner Antwort zu fragen. Peinlich, aber immer noch weniger peinlich, als hinterher doppelte und dreifache Geschenke vorzufinden.

Ich antworte ihr also, dass sie sich keine Sorgen um ihr Outfit machen solle, es würde schick, aber nicht opulent werden, und sie sei so willkommen, wie sie sich wohlfühlen würde. Beschrieb, dass die Wohnung der beiden keinem besonderen Farbkonzept entspräche und sie eigentlich auch voll ausgestattet seien, und ja, sie wünschen sich Geld, und falls sie noch eine Kleinigkeit dazu haben wolle, ich wüsste, dass sie sich über ein Kochbuch freuen würden. «Leider konnte ich aus deiner Mail nicht ersehen, wie du heißt, und muss dir daher die peinliche Frage stellen, welche von Karls Cousinen sich dahinter verbirgt. Solltest du also nicht zufällig im Zeugenschutzprogramm sein, würde ich mich über die Angabe deines Namens sehr freuen.» Senden. Keine zehn Minuten später blinken und laufen weitere Smileys über den Bildschirm: Die Cousine stellt sich als Sonja aus Castrop-Rauxel vor und freut sich, dass sie bei Stella McCartney nach einem passenden Outfit suchen kann. Verrücktes Huhn, ich bin sehr gespannt, diese Frau persönlich kennenzulernen.