Stimmung: feige
Sound: Telefongespräche
Thema des Tages: Erstgeborene unter sich
Lena und mich unterscheidet vor allem eine Sache: die Reihenfolge unserer Geburt. Während ich das älteste Kind meiner Eltern bin, ist sie die kleine Schwester. Um ihre große Schwester habe ich sie häufig beneidet: Wiebke hatte coole Poster im Zimmer und hörte Musik von Bands, über die Lena auf dem Schulhof reden konnte, während ich noch glaubte, dass Peter Maffay, den meine Mutter immer hörte, ein cooler Musiker sei.
Wiebke und Lena sind sehr unterschiedlich – die beiden trennen nicht nur sechs Jahre, sie haben auch verschiedene Vorstellungen davon, was geschmackvoll ist, und so stehe ich vor meiner nächsten diplomatischen Herausforderung:
Wiebke hat sich, wie versprochen, Gedanken über die Gestaltung des Abends gemacht und mir eine Mail geschrieben. Sie will für Lena eine Hochzeitszeitung gestalten. Das Problem: Lena findet Hochzeitszeitungen schrecklich. Weder will sie auf sich und Karl gemünzte Reime lesen, noch ist sie besonders begeistert von Bildern aus ihrer Jugend. «Ich bekomme grüne Pickel beim Gedanken an eine Hochzeitszeitung», hat sie mir neulich mit auf den Weg gegeben. Wie schön, dass ich Wiebke das jetzt mitteilen darf.
Zwei Tage drücke ich mich nun schon vor einer Antwort. Grundsätzlich habe ich kein Problem damit, nein zu sagen und dies auch zu begründen. Allerdings möchte ich nicht, dass Wiebke das Gefühl bekommt, es ihrer Schwester nicht recht machen zu können. Ein Dilemma, dessen Lösung ich zwar schon entwickelt habe, |167|von der ich aber nicht weiß, was Wiebke dazu sagen wird. Helfen kann mir nur noch eine: meine Mutter, die sich mit geschwisterlichen Problemen aufgrund ihrer eigenen Kinder bestens auskennt und sicher einen Rat für mich hat.
Am Telefon erzähle ich ihr von Wiebkes Idee, Lenas Aversionen und von meiner alternativen Idee: Wiebke könnte Bilder der beiden zu einer Präsentation zusammenfügen, die wir am Abend über die Beamer an die Wand projizieren. Auch wenn Lena keine Fotos von sich sehen mag, ist das sicher nicht so schlimm für sie wie eine Hochzeitszeitung, und Wiebke hat trotzdem die Möglichkeit, ihrer Schwester ein besonderes Geschenk zu machen. Es muss zudem keine «Verkaufsaktion» geben, Wiebke muss nichts dazu sagen, und Lena kann zur Not auch wegsehen.
«Ruf sie an und erkläre ihr das genau so, wie du es mir gerade erzählt hast. Sie wird Verständnis dafür haben und sich freuen, dass du ihr etwas vorschlägst, über das Lena sich auch wirklich freuen kann», meint meine Mutter.
Also gut, dann werde ich mich jetzt gleich trauen und sie anrufen. Ich hoffe, die richtigen Worte zu finden und nichts falsch zu machen. Komisch, dass mich das so berührt. Normalerweise sage ich einfach, was ich denke, aber in puncto Familie bin ich vorsichtig, weil Missstimmungen im Vorfeld sich negativ auf die Hochzeit auswirken können, und dafür möchte ich nicht verantwortlich sein.
Im Gespräch mit Wiebke ist das plötzlich alles ganz einfach: Ich erkläre ihr, wie Lena zu Hochzeitszeitungen steht, und schlage ihr meine neue Idee vor. Wiebke ist begeistert und – wie meine Mutter vorhergesagt hat – entspannt, weil es ihr Ziel ist, ihrer Schwester eine Freude zu machen. Egal wie. Wir einigen uns darauf, dass ich nochmal unsere Freunde um alte Bilder bitte und auch meine Fotos nach passendem Material durchsehe. Sie wird alles zusammenfügen und zur Hochzeit mitbringen. Erleichtert lege ich auf und spüre, wie sich so langsam Vorfreude in meinem Bauch breitmacht. |168|Das Kribbeln beginnt und wird bis zur Hochzeit immer heftiger werden – ich bin mir plötzlich sicher, auf dem richtigen Weg zu sein.