Samstag, 12. April

Stimmung: kitschig

Sound: Dreivierteltakt

Thema des Tages: Darf ich bitten?

 

 

Die perfekte Trauzeugin bin ich für Bräute, die einen leichten Hang zum Kitsch haben. Das bedeutet, dass ich für Lena eigentlich ungeeignet bin, die es zwar herzlich, aber schlicht mag.

Unter dem Schlagwort «kitschig» verorte ich übrigens nicht diese gerade total modernen, öffentlich vorgetragene Liebesschwüre des Paares – die kann ich nicht leiden, da bekomme ich vor Fremdscham rote Ohren. Für die anderen großen Gesten bin ich aber immer zu haben: eine emotionale Rede. Freunde, die in der Kirche aufstehen und das Lied des Paares singen. Der Vater, der seine Tochter zum Altar führt. Die Mutter, die ihrer Tochter beim Anziehen des Brautkleides Omas Kette um den Hals legt.

Es gibt bei einer Hochzeit besonders viele Möglichkeiten, aus einem Moment einen großen, einen in Erinnerung bleibenden |183|Moment zu machen. Lena winkt immer nur ab, wenn ich ihr Vorschläge dieser Art mache: Zum Altar geht sie gemeinsam mit Karl, ihre Mutter wird bei der Umzieh-Prozedur nicht dabei sein, Reden wird keiner ihrer Verwandten halten, und das Musikprogramm in der Kirche plant sie selbst.

Einzig der Eröffnungstanz, einer meiner liebsten Momente, gibt mir noch Hoffnung auf etwas Kitsch. Sie will einen. Dass Karl sich gerade mal wieder verweigert, ignoriere ich gekonnt. Meine Ideen zur Individualisierung dieses ersten Tanzes der Party schlägt Lena allerdings immer aus. Dabei habe ich so viele You Tube-Videos von kitschigen, grotesken, absurden, wunderschönen oder einfach nur lustigen Eröffnungstänzen gesehen, dass ich einen wirklich großen Ideenpool zu bieten habe. Den besten auf einer echten Hochzeit haben bisher Andrea und Michael gezeigt: Sie haben eigens für ihre Hochzeit einen Mambo einstudiert und dabei die Choreographie aus Dirty Dancing nachgetanzt – inklusive Hebefigur. Begeistert konnte ich mich kaum zwischen Lachen und Weinen entscheiden.

«Du bist ja nicht ganz dicht», kommentiert Lena meinen Vorschlag, ebenfalls auf den Mambo zurückzugreifen, «Karl weiß nicht mal, wie man Takt schreibt, mein Brautkleid eignet sich wirklich für vieles, aber sicher nicht für eine Hebefigur, und mal ganz davon abgesehen: Nein!»

Leider muss ich einsehen, dass sie recht hat. Jemandem, der noch keinen Schritt beherrscht, gleich eine ganze Choreographie aufzuzwingen, ist aussichtslos. Lena würde dennoch gern mit ihm üben – einen klassischen Walzer. Doch Karl hat in der knappen gemeinsamen Zeit jedes Mal eine andere Ausrede parat. Mal tut ihm sein Bein weh, dann hat er Kopfschmerzen, er muss dringend eine Sendung im Fernsehen sehen, telefonieren oder noch eben die Mail beantworten.

Maja hat den beiden ihre Hilfe angeboten. Sie tanzt seit ihrer Kindheit im Verein und hat bereits Markus, den ungelenken |184|Mann von Anna, vor deren Hochzeit auf Kurs gebracht und dafür gesorgt, dass die beiden ohne größere Unfälle miteinander tanzen konnten. Absurderweise hat sie sich auf ihrer eigenen Hochzeit allerdings geweigert, mit Thorsten zu tanzen. Die beiden haben es ihren Gästen überlassen, die Party selbst in Angriff zu nehmen. Das widerlegt meine These, dass das Tanzen eigentlich zur Frauensache geworden ist.

Meine Eltern schütteln immer wieder den Kopf über diese Mentalität. Die beiden tanzen sich gemeinsam durchs Leben. Ihr «Einheitsschritt» ist berüchtigt, sie rocken auch nach über 30 gemeinsamen Jahren noch jede Feier. Gleichzeitig rennen meine Schwestern und ich um unser Leben, wenn Papa uns auffordern will: Wer mit ihm tanzt, kann danach direkt duschen gehen und wird so schnell nicht wieder zu Atem kommen. Bei meinen Eltern gehörte es zum guten Ton, gesellschaftliche Tänze zu lernen. Zwar haben auch wir einen Tanzkurs besucht, doch verloren die Jungs schnell die Lust daran und wir in der Folge unsere Tanzpartner. Nachdem der Aufbaukurs unter Mädchen oder mit pickeligen Losern absolviert wurde, schmiss auch die Motivierteste das Handtuch und eignete sich lieber die Schritte aus den MTV-Videos an, um in der Disco mithalten zu können.

Und so möchten viele Frauen zwar einen romantischen Eröffnungstanz auf ihrer Hochzeit erleben, doch die Männer weigern sich standhaft, sich das entsprechende Wissen anzueignen. Mit Andreas hatte ich bereits einen handfesten Streit zu dem Thema, nachdem ich ihm mitgeteilt habe, dass er als Freund der Trauzeugin auf der Hochzeit mit mir zu tanzen hat. Entsetzt wollte mein Tanzmuffel seine Zusage zu der Feier stornieren und sich die kommenden Monate verstecken. Meine Versuche, ihn davon zu überzeugen, dass Tanzen weder peinlich ist noch wehtut oder impotent macht, sind gescheitert. Muss halt der Trauzeuge von Karl herhalten.

Früher habe ich immer geglaubt, dass Menschen, die heiraten wollen, dringend herausfinden sollten, ob sie miteinander tanzen |185|können. Tanzen ist die Essenz einer Beziehung: Einer führt, der andere folgt. Nur wenn der eine sich blind auf den anderen verlässt und ihm vertraut, kommt es zu einer harmonischen und unfallfreien Zeit auf der Tanzfläche. Tanzen mit dem richtigen Partner verheißt das große Glück, gemeinsame Euphorie und Erfolg, Harmonie. Vielleicht werden so viele Ehen geschieden, weil die Menschen zu wenig miteinander tanzen?

Meine Theorie führt bei Lena nur zu einer hochgezogenen Augenbraue: «Ich denke auch, daran wird es liegen.» Ihre Antwort trieft vor Ironie. «Sag mir lieber, wie ich Karl dazu bekomme, mit mir die Walzerschritte zu üben, sodass ich keinen total taktlosen Typen auf meinen Füßen rumstehen habe.» Einen Hochzeits-Crash-Tanzkurs lehnt sie ab, wenn Maja schon nicht zu ihm vordringt, wird sie mit einem Kurs auch nicht zum Ziel kommen.

Liebe Lena, ich fürchte, dass du das Problem allein lösen musst, denn auch ich habe offensichtlich keine Mittel, Männer zum Tanzen zu bewegen.