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Ob er damit seine sexuellen Avancen meinte oder seinen brutalen Frontalangriff auf sie, erfuhr Katherine nicht. Er begann hastig, ihre Sachen zusammenzuräumen und packte alles in den Jeep.
Auf ihrer schweigsamen Rückfahrt beobachtete Katherine ihn heimlich aus den Augenwinkeln heraus. Seine grimmige Miene war wie versteinert, sein Blick auf die Straße geheftet. Sobald sie bei ihr eintrafen, stolperte sie mit Allison im Arm die Stufen zu ihrem Apartment hoch. Sie überließ es Jason, Happy den Picknickkorb zurückzubringen und von ihrem missglückten Ausflug zu berichten.
Am nächsten Morgen ging sie wie gewohnt zur Arbeit, aber es war nicht mehr dasselbe. Das Wochenende hatte sie innerlich aufgewühlt. Sie war verunsichert, nervös und gereizt und ging bei der kleinsten Kleinigkeit an die Decke. Zudem belastete sie die quälende Frage: Was hatte Jace noch alles auf der Pfanne? Mit welchen Tricks durfte sie demnächst rechnen?
Dass er Allison aus Happys Haus entführen würde, während sie bei der Arbeit war, glaubte sie nicht wirklich. Trotzdem: ganz auszuschließen war es ebenfalls nicht. Er schien ihr zwar nicht der Typ, der heimtückisch taktierte, andererseits war Peter auch so ein Blender gewesen, der seine Frau nach Strich und Faden geleimt hatte.
Nein, Charme hin, gutes Aussehen her, man durfte ihm nicht über den Weg trauen. Sie wäre blöd, wenn sie anderes annehmen würde.
Es brauchte nicht lange, bis sie seine Taktik durchschaut hatte. Als sie von der Uni heimkam, stand er im Hof neben Happy und half ihr, eine Fensterblende zu reparieren. Der Kerl hatte Nerven!
»War echt supernett von Jace, dass er mir das alte Ding repariert hat, nicht? Ich hatte bloß beiläufig erwähnt, dass der Fensterladen kaputt sei, und ruckzuck war er hier, um sich den Schaden anzusehen.«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen«, mokierte Katherine sich. Indes traf ihr Sarkasmus bei der gutgläubigen Happy auf taube Ohren. Fragte ihre Vermieterin sich eigentlich nie, wieso Jace dauernd bei ihnen herumlungerte?
Jace beantwortete die Frage für sie. »Ein paar von meinen Kollegen untersuchen vorab Bodenproben aus dem besagten Gebiet, wo wir bohren wollen, deshalb hab ich ein paar Tage frei. Ist doch toll, oder?« Er grinste triumphierend.
»Spitzenmäßig«, ätzte Katherine mit einem provozierenden Lächeln in seine Richtung. Er lachte jedoch bloß. Dieser Kerl war echt das Letzte!
Die nächsten Tage verliefen nach dem gleichen Schema. Er war überall. Sobald Katherine sich umdrehte, war Jace da. Er half Happy im Garten, er brachte ihr Auto in die Werkstatt, er fuhr Allison eines Nachmittags im Kinderwagen spazieren, damit Happy ein Frauentreffen in der Kirche besuchen konnte. Er erbot sich, Katherine bei der Renovierung ihres Apartments zu unterstützen, doch die junge Frau wies rigoros die kleinste hilfsbereite Geste zurück. Soll er sich seinen Altruismus doch sonst wohin stecken - sie würde jedenfalls nicht auf sein scheinheiliges Getue hereinfallen.
Am Freitagnachmittag lagen ihre Nerven blank. Zu Beginn des Wintersemesters war in ihrem Büro immer eine Menge los. Sie kam nur noch sporadisch dazu, ihre Presseberichte zu verfassen und Werbematerialien herauszugeben, wie es eigentlich ihr Job gewesen wäre. Jace und seine Aktivitäten geisterten ihr dauernd durch den Kopf, und es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren, wann immer sie vor ihrem Computer saß.
»Katherine«, raunte Ronald Welsh neben ihrem Ohr - sie zuckte erschrocken zusammen. Er hatte die ekelhafte Angewohnheit, sie gnadenlos zu bespitzeln und sich dafür dann wortreich zu entschuldigen. Dass er ihr begütigend den Arm tätschelte, machte es eher schlimmer als besser.
Als sie sich um den Job beworben hatte, hatte sie - genau wie gegenüber Happy - geschwindelt, dass sie Witwe wäre. Sonst hätte sie den Anstellungsvertrag womöglich nicht bekommen. Welsh war nämlich tief bewegt gewesen von ihrer tragischen Geschichte. Im Nachhinein fand Katherine jedoch, dass sein spontanes Mitgefühl für eine arme, bedauernswerte Witwe verdammt schnell verflogen war.
»Hab ich Sie erschreckt? Tut mir leid, das wollte ich nicht.« Während sie ihren Computer herunterfuhr, umrundete er ihren Arbeitsplatz und sah sie fest an. »Sie haben es doch sicher nicht eilig heute Abend, oder? Ich dachte … ich meine, was halten Sie davon, wenn wir beide das lange Wochenende mit einem Drink einstimmen?«
Katherine erstarrte unter der fleischigen Männerhand, die sich schwer auf ihre Schulter legte und sie unnachgiebig auf ihren Bürostuhl drückte. Jetzt bloß keine Panik zeigen oder gar die falschen Schlüsse ziehen!, ermahnte sie sich. Trotzdem fühlte sie sich zunehmend unbehaglich, so allein mit ihm in ihrem Büro.
»Oh, danke, Mr. Welsh …«
»Ronald.«
»R…Ronald, aber ich muss jetzt wirklich nach Hause. Meine Güte, wie spät das schon wieder ist«, japste sie nach einem Blick auf ihre Armbanduhr, obwohl sie das nicht wirklich kümmerte. Sie wollte nur weg - bloß weg aus der Enge ihres kleinen Büros.
Es glückte ihr schließlich, sich von ihrem Stuhl hochzustemmen, doch als sie zur Tür setzte, packte er sie am Arm. »Alle anderen sind schon gegangen, Katherine. Sie hatten es eilig, nach Hause zu kommen und sich auf den Labor Day einzustimmen. Ist das nicht schön? Wir haben das ganze Gebäude für uns und können unsere eigene kleine Party feiern.« Zu ihrem wachsenden Entsetzen schritt er zur Tür und schloss ab.
»Ich bin sicher, Sie werden mir diesen kleinen Gefallen nicht abschlagen. Sie arbeiten doch gern hier, oder? Das hoffe ich jedenfalls schwer. Für Sie ist es immerhin nicht unerheblich, dass Sie einen sicheren Job haben. Ich meine, Sie sind eine Witwe mit einem kleinen Kind, da sind Sie auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen, stimmt’s?«, salbaderte er arrogant.
Katherines Kehle verengte sich vor Panik, während er sie mit lüsternem Blick anstarrte. Sie schluckte schwer und beschloss zu bluffen. Am besten, sie ging erst mal auf dieses widerwärtige Tête-à-Tête ein. Anders wusste sie sich in dieser kritischen Situation nicht zu helfen.
»Einverstanden, Ronald. Das mit dem Drink klingt gut«, heuchelte sie Begeisterung. Sie nötigte sich ein schmallippiges Lächeln ab. Ihre Züge gefroren. Sie musste unbedingt zu dieser Tür gelangen!
»Ich wusste, Sie würden mir keinen Korb geben.« Der korpulente kleine Mann trat zu ihr, streckte die Hand aus und streichelte mit seinen dicken Wurstfingern ihre Wange.
Katherine kam unwillkürlich die Galle hoch, gleichwohl glückte ihr die Karikatur eines Lächelns. Ihr Mund war so staubtrocken, dass ihre Lippen an den Zähnen festklebten.
»Was möchten Sie trinken, meine Liebe? Wussten Sie übrigens, dass ich mir für solche Gelegenheiten eine kleine Hausbar eingerichtet habe?«
Er zwinkerte ihr zu, ehe er sich umdrehte und sich über ein Schubfach beugte. Katherine machte einen unschlüssigen Schritt in Richtung Tür. Um ihn von ihrem Vorhaben abzulenken, sagte sie: »Ach, ich bin nicht wählerisch. Irgendwas, was Sie dahaben.«
»Ich mag unkomplizierte Frauen.« Er straffte sich, in einer Hand eine Flasche billigen Schnaps, in der anderen zwei angestaubte Gläser. Katherine registrierte, dass es die gleichen Gläser waren, wie sie in der Cafeteria auf dem Campus verwendet wurden. Sie musste sich einen hysterischen Lachanfall verkneifen. Geil und geizig! Und ein Abstaubertyp von der miesesten Sorte.Von wegen Champagner, und ich werde schwach. Der verschwendete sein Geld bestimmt nicht für romantische Schäferstündchen.
»Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir, Katherine. Entspannen Sie sich.« Er pflanzte seinen fetten Hintern auf das schmale Sofa und klopfte mit der flachen Hand auf das Polster.
Katherine erwog, sich fluchtartig zur Tür zu stürzen und Reißaus zu nehmen. Aber das durfte sie getrost vergessen, denn die Tür befand sich auf der Längsseite des Büros. Stattdessen würde sie auf Zeit spielen, sann sie, bis sich eine günstige Gelegenheit zur Flucht bot. Hoffentlich war es dann nicht zu spät! Mit wackligen Knien stakste sie zu der Couch und setzte sich neben ihn.
Der süßliche Gestank seiner Haarpomade, sein Körperschweiß und das stechende Aroma des billigen Fusels, den er ihr hinhielt, verursachten ihr Brechreiz. Sie lächelte jedoch tapfer und hob das Glas an ihre Lippen. Ihre Trinkgewohnheiten beschränkten sich auf Wein oder Longdrinks. Sie bekam den winzigen Schluck von dem bitter schmeckenden, scheußlich in der Kehle brennenden Korn kaum hinunter.
»Ich mag Mädchen, die Kleider tragen. Sie tragen im Büro immer Röcke oder Kleider.« Er legte seine schwitzige Handfläche auf ihr Knie und schob sie langsam höher. Ich glaub, ich bin im falschen Film!, stöhnte Katherine insgeheim.
»Viele Männer mögen keine Strumpfhosen, ich schon. Ich finde Strumpfhosen wahnsinnig sexy, Katherine.« Seine Hand, die inzwischen unter ihren Rock gewandert war, rutschte höher und streichelte intensiver. Schweißperlen glänzten auf seiner Oberlippe.
»Bitte, Mr. … Ronald …« Ihre Stimme überschlug sich fast. Sein nächster Annäherungsversuch traf sie völlig unerwartet. Die junge Frau fiel aus allen Wolken.
Er stürzte sich auf sie, zwängte sie brutal gegen das Rückenpolster des Sofas. Er fiel über sie her, dass sie unter seinem Gewicht geradezu zu ersticken drohte. Mit seiner fleischigen Hand umklammerte er das Vorderteil ihrer Seidenbluse, und als Katherine sich impulsiv von ihm losriss, ging ihre Brusttasche in Fetzen.
»Du kannst mir nichts vormachen, Katherine. Du willst es doch genauso wie ich«, ächzte er. »Meinetwegen kannst du schreien, so viel und so laut du willst. Niemand wird dich hören.«
Seine Stimme zitterte vor Erregung. Oder war es ihr eigener aufgewühlter Atem, der in ihrem Kopf echote, während sie von seinem Gewicht zerquetscht zu werden drohte? »Nein … oh Gott … Sie sind verrückt … bitte, nein.«
Er umklammerte die Knopfleiste ihrer Bluse und riss sie auseinander. Knöpfe flogen. Er versuchte hemmungslos, den Vorderverschluss ihres BHs zu öffnen, und als er das in seiner Hektik nicht schaffte, zerbrach er ungeduldig den Clip.
Sein Mund klatschte mit einem schmatzenden Geräusch auf ihren. Seine wulstigen Lippen saugten sich an ihren fest. Und als sie wütend zubiss, knallte er ihr eine. Seine fünf Finger malten sich rot auf ihrer Wange ab.
Er fiel mit brutalen Fingern über ihre wohlgeformten Brüste her. Katherine schrie schmerzvoll auf, denn er kratzte, knetete und kniff roh und gefühllos in das zarte Fleisch.
Als sich seine Lippen von ihren lösten und er seine Zähne widerwärtig schmatzend in ihre Halsbeuge grub, schrie sie aus Leibeskräften. Der spitze Schrei wurde von klirrendem Glas und splitterndem Holz begleitet.
Über Ronald Welshs massiger Hängeschulter gewahrte sie Jason, der soeben mit einem kräftigen Stiefeltritt auf die Tür losging, woraufhin diese aufschwang. Mit drei langen Schritten setzte er zu Ronald.
Er packte ihren Chef am Jackettkragen, riss ihn von Katherine los, stemmte ihn mit Wucht vor die nächstgelegene Wand.
»Sie Bastard!«, knurrte Jason. Er verpasste dem völlig verblüfften Ronald einen Faustschlag ins Gesicht. Katherine vernahm ein knirschendes Geräusch, das auf ein gebrochenes Nasenbein schließen ließ, und sah, wie das Blut über Lippen und Kinn spritzte.
Sie schluchzte hysterisch, während Jace weiter auf den Mann eindrosch. Wie in Zeitlupe sank der korpulente Mann vor der Wand zusammen, während Jace ihn am Revers packte und an seinem blutverschmierten Hemd wieder hochzog.
Nach einem letzten Fausthieb in die Magengrube ließ Jace von Ronald ab. Mit einem tiefen animalischen Stöhnen sackte Welsh auf dem Boden in sich zusammen.
Schwer atmend stand Jace über dem zusammengesunkenen Mann, der keinen Muckser von sich gab. Er wischte sich mit einem Ärmel die Stirn und drehte sich langsam zu Katherine um.
Sie saß kerzengerade, ihr Blick angstgeweitet, kämpfte mit den Tränen. Doch wenn sie jetzt anfing zu weinen, würde sie vermutlich nie mehr aufhören.
Jace kniete sich neben sie und strich ihr die zerzausten Haare aus dem kalkweißen Gesicht. »Katherine?«, fragte er weich. »Katherine, bist du okay?« Als sie sah, dass sich auf seinem Gesicht ernste Sorge spiegelte, konnte sie die Tränen nicht mehr aufhalten. Wahre Sturzfluten strömten über ihre Wangen.
»J…ja«, schniefte sie. Er wischte die Tränen mit seinen Fingern weg und legte seine Handfläche sanft auf das feuerrote Mal, das sich auf ihrer Wange malte.
Seine Lippen bildeten eine harte, grimmige Linie in seinem Gesicht.
»Ich bin gleich zurück. Ich will nur kurz …« Er machte Anstalten aufzustehen, woraufhin sie verzweifelt seine Schultern umklammerte.
»Nein, bloß nicht! Jace, lass mich bitte nicht allein mit ihm. Das ertrage ich nicht. Bitte nicht«, platzte sie heraus, weil sie abermals hysterisch wurde.
Jace zog sie an sich und bettete ihren Kopf an seine Schulter. Strich ihr begütigend über den Hinterkopf.
»Schscht. Ist schon okay. Ich lass dich nicht allein, Katherine. Versprochen. Komm, beruhig dich. Ich wollte bloß etwas zu schreiben holen. Der Präsident dieser ehrwürdigen Institution soll umgehend von dem Vorfall heute Abend erfahren. Aber das lässt sich auch telefonisch erledigen. Ein Anruf ist vielleicht sogar noch effektiver.«
Jace umschlang ihre Schultern und zog Katherine vom Sofa hoch. Ihren zitternden Körper an seinen geschmiegt, nahm er ihre Handtasche von ihrem Schreibtisch. Dann hob er sie in seine Arme und trug sie aus dem Gebäude. Es war ein ruhiger Abend. Draußen war es bereits dunkel und der Campus des Van Buren College menschenleer.
Nachdem er ihr in den Jeep geholfen hatte, wühlte er sich im Fond durch einen Haufen Krimskrams, der dort herumlag. Schließlich fand er, was er suchte.
»Hier, zieh das an.« Sie zuckte unwillkürlich zusammen, weil er nach ihrer zerrissenen Bluse griff, die sie, um ihre Blöße zu bedecken, mit beiden Händen vorn krampfhaft zusammengerafft hatte.
»So kannst du jedenfalls nicht nach Hause«, erklärte er, und weiter: »Katherine, wenn Happy dich so sieht, erwartet sie mit Sicherheit eine Erklärung. Das leuchtet dir ein, oder? Und du willst diese widerwärtige Geschichte mit deinem Chef bestimmt nicht noch einmal hochkochen lassen, oder? Komm, zieh dieses T-Shirt an. Wenn wir Glück haben, merkt sie nichts und stellt keine Fragen. Falls sie dich auf das T-Shirt ansprechen sollte, sage ich, dass du dir die schöne Bluse mit Tinte oder Toner oder sonst was ruiniert hast. Okay?«
Sie nickte und sträubte sich auch nicht, als er ihr behutsam aus der zerrissenen Bluse half. Er warf das gute Stück auf den Rücksitz. Halb entrückt, halb apathisch ließ sie es geschehen. Gleichwohl errötete sie heftig, als er ihr die BH-Träger von den Armen streifte.
»Dieses verdammte Schwein!«, murmelte er, als er die Striemen und Schrammen auf ihren weichen Brüsten gewahrte. Äußerst behutsam berührte er mit seiner Fingerspitze einen der tieferen Kratzer.
Katherine, die ihn beobachtete, wunderte sich, wie viel Emotion sich mit einem Mal in seinen Zügen zeigte. Es war unbegreiflich. Die tröstliche Wärme seiner Hand durchflutete sie, als könnte seine Zuwendung den physischen Schmerz und das erlittene emotionale Trauma auslöschen.
»Ich sollte nochmal zurückgehen und dieses perverse Scheusal umbringen!«, knirschte Jace zwischen zusammengebissenen Kiefern. Um ihr nicht unnötig wehzutun, zog er ihr behutsam das T-Shirt über den Kopf. Es war ihr zwar viel zu groß, aber das weiche Baumwollgewebe fühlte sich himmlisch gut an auf ihrer Haut.
Als er sicher war, dass sie es bequem hatte, glitt Jace auf den Fahrersitz und startete den Jeep. Er hielt sich an die vorgeschriebene Geschwindigkeit. In Happys Hof angekommen, schaltete er den Motor aus und sprang wortlos aus dem Jeep. Gott sei Dank, Happys Auto stand nicht auf seinem üblichen Platz, stellte Katherine erleichtert fest. Also war sie nicht da.
Er kümmerte sich nicht um ihren Protest, sondern trug sie die Stufen hoch. Im Flur musterte er sie fragend, und sie deutete mit einem Kopfnicken auf Allisons Zimmer.
Dort setzte er sie auf dem Bett ab, in dem sie schlief.
»Kann ich sonst noch was für dich tun?«, erkundigte er sich. »Und hör auf mit dem Gesülze, dass du meine Hilfe nicht brauchst, ja?«
Sie blickte zu ihm hoch und schniefte: »D…danke, Jace. Er war so … Ich weiß nicht, wie lange ich ihn mir noch vom Leib hätte halten können. Es war widerlich.« Sie schauderte und verschränkte die Arme vor der Brust, umklammerte ihren Rippenbogen, während sie völlig aufgelöst hin und zurück schaukelte.
»Grundgütiger, Katherine, ich kann mir lebhaft vorstellen, dass es horrormäßig für dich war. Als ich durch die Tür kam und sah …«
»Wieso warst du überhaupt da?«, fragte sie unvermittelt.
Er wich ihrem Blick aus und antwortete mehr zu sich selbst: »Ich … ähm … nachdem ich ihn auf der Collegefete kennen gelernt hatte, hatte ich immer so ein komisches Gefühl, dass er nicht ganz kussecht ist. Reine Intuition. Es ärgerte mich, wie er dich ansah.Von da an war er mir nicht mehr geheuer und ich beschloss, ein Auge auf ihn zu haben. Als es im Gebäude dunkel wurde und alle gegangen waren bis auf ihn und dich, wurde ich misstrauisch. Ich rüttelte an der Tür - sie war verschlossen. In diesem Augenblick hörte ich deine gellenden Schreie.«
»Danke«, wisperte sie und tastete verlegen nach seiner Hand. Er nahm ihre schmale Hand in seine und sah ihr tief in die Augen, während sein Daumen in erotisierenden Kreisen ihren Handteller streichelte. Angesichts seiner Zärtlichkeit und der Intensität seines Blicks wurde Katherine mulmig zumute, und sie zerrte an ihrer Hand. Er ließ sie sogleich los.
»Puh, ich würde unheimlich gern ein Bad nehmen«, räumte Katherine ein.
»Okay. Mach das. Ich erledige in der Zwischenzeit ein paar Telefonate.« Er ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
Das warme Wasser schmerzte auf den frischen Kratzern. Als sie ihr Bad jedoch verließ, fühlte sie sich relaxed und erfrischt, als hätte sie sich Ronalds penetranten Geruch und sein zudringliches Gegrapsche in der Wanne abgewaschen. Sie zog ein Baumwollnachthemd an und schlüpfte auf die Bettseite, neben der die Wiege stand.
»Zimmerservice«, rief Jace, bevor er sich seitwärts in den Raum schob und mit seiner Kehrseite die Tür öffnete. Er balancierte ein Tablett in den Händen. »Stets zu Ihren Diensten«, meinte er aufgeräumt. Katherine lachte, als sie feststellte, dass er sich, quasi als Schürzenersatz, ein Küchentuch in den Bund seiner Jeans gestopft hatte. Er stellte das Tablett vorsichtig auf ihren Schoß und betrachtete stolz sein Werk.
»Ich finde, mit Tee und Toast kann man eigentlich nichts verkehrt machen. Wenn du irgendwas anderes möchtest, ein Omelett oder so, mach ich dir das natürlich auch. Bei einem Dreigängemenü komm ich allerdings in Schwulitäten. Da muss ich passen.«
»Nöö, das hier ist perfekt. Danke«, sagte sie und nippte an dem dampfend heißen Tee.
Wie selbstverständlich setzte er sich ans Fußende des Bettes, stützte sich auf den Ellbogen auf und betrachtete ihre Füße.
»Zu deiner Information: Mr. Ronald Welsh kann sich die Papiere abholen. Ihm wurde am Van Buren College fristlos gekündigt. Ich hab den Dekan zu Hause angerufen, ihn bei einem Barbecue mit Freunden gestört und ihm die ganze Geschichte erzählt. Ich wollte ihm damit drohen, dass ich die Presse einschalten und es’ne Menge Schlagzeilen geben würde, von wegen sexueller Nötigung am Arbeitsplatz und so. Das war aber gar nicht nötig, er zeigte sich durchaus kooperativ.« Er grinste Katherine an, doch seine blauen Tiefen blieben ernst.
»Und was ist mit Mr. Welsh?«, meinte sie gedehnt, da sie sich spontan auf die zusammengesackte Gestalt am Boden besann.
»Ich hab einen Krankenwagen für ihn gerufen«, knurrte Jace.
Katherine nickte abwesend. »Welsh hat Familie. Ist bestimmt ein Schock für sie, wenn sie erfahren, dass er seinen Job verloren hat«, sinnierte sie. »Wer kümmert sich um diese Menschen?«
»Um ihn kümmern sich erst mal die Leute im Krankenhaus. Und dann sehen wir weiter.«
Katherine schaute ihn mit großen Augen an. »Was meinst du damit?«
Er nahm eines von Allisons Stofftieren und inspizierte die flauschigen Ohren. »Ach, nichts«, antwortete er ausweichend und setzte hastig hinzu: »Jemand vom College bringt morgen deinen Wagen vorbei.«
Bevor Katherine ihn weiter löchern konnte, hörten sie Happys fröhliches »Hallo allerseits«. Ihre Vermieterin schob sich durch die Eingangstür in den Wohnraum. »Katherine, Jace, seid ihr da? Allison und ich mussten noch was besorgen und ich …« Kaum quetschte sie ihre Leibesfülle in den Türrahmen des Schlafzimmers, versagte ihr gurgelnd die Stimme.
Jace machte keinerlei Anstalten aufzustehen, und Happys Augen weiteten sich entsetzt, als sie sah, dass die beiden einträchtig auf dem Bett saßen. Zu allem Überfluss war Katherine bereits im Nachthemd!
»Was …«
Jace ließ sie gar nicht erst ausreden. Er sprang auf und nahm ihr das Kind ab.
»Katherine ist im Büro schlecht geworden. Eine kleine Magenverstimmung. Sie rief mich an und bat mich, dass ich sie nach Hause fahre. Ich bestand darauf, dass sie sofort ins Bett geht und sich schont.«
Er flunkerte wie gedruckt und ohne rot zu werden, dachte Katherine nicht ohne Bewunderung.
»Oh, Liebes, fühlst du dich nicht gut? Soll ich nicht besser einen Arzt kommen lassen?«, schlug Happy vor, aber Katherine wiegelte heftig ab.
»Nein. Nein, ich bin okay. Ich hab zum Lunch etwas gegessen, was mir anscheinend nicht bekommen ist.«
»Jace hat Recht. Du bleibst im Bett und schonst dich. Ich nehme Allison die Nacht mit zu mir rüber.«
»Nein, Happy. Ich möchte sie bei mir haben«, sagte Katherine. Irgendwie übte die kleine Allison einen besänftigenden und stabilisierenden Einfluss auf ihr schwer malträtiertes Nervenkostüm aus.
»Und was ist, wenn du dir einen ansteckenden Virus eingefangen hast? Das Baby …«
»Nein, nein, ich bin sicher, Ihre Sorge ist völlig unbegründet«, unterbrach Jace Happys Mutmaßungen. »Ich hab mich entschlossen, heute Nacht hierzubleiben. Sollte Katherine wider Erwarten Hilfe brauchen, weil sich ihr Zustand verschlechtert, ruf ich Sie.«
Katherine und Happy fixierten ihn in sprachloser Verblüffung. Happy erholte sich als Erste. »Aber Jace, sind Sie sicher, dass sich das gehört? Ich meine …«
»Von wegen Sitte, Moral und Anstand? Aber selbstverständlich. Mann weiß doch, wie er sich zu benehmen hat. Ich zieh mich ins Wohnzimmer zurück. Wollte sowieso die ganze Nacht aufbleiben, weil ich noch ein paar Zeichnungen und Analysen fertig bekommen muss - aber die kann ich auch hier machen.«
Happy schien zwar immer noch nicht überzeugt, gleichwohl hatte Jason ihr mit seiner Argumentation den Wind aus den Segeln genommen und sie versagte sich weiteren Protest.
»Ich denke, wir lassen Katherine jetzt schlafen«, meinte er, und Happy reagierte prompt. Nach einem hastigen »Gute Nacht« strich sie Allison zärtlich über den Rücken und verschwand.
Jace legte Allison in ihre Wiege und sagte: »Warte, kleine Prinzessin, ich bin gleich zurück.« Er drehte sich in dem engen Raum zwischen Wiege und Bett zu Katherine. »Hast du alles, was du brauchst?« Sie nickte bekräftigend. Daraufhin nahm er das Tablett und glitt aus dem Zimmer.
Nach seiner Rückkehr beugte er sich über die Wiege und rieb sich unschlüssig die Hände. »Ich hab das noch nie gemacht, Allison, demnach darfst du dich ruhig beschweren, wenn ich was falsch mache, okay?«
Katherine lachte, als sie registrierte, wie seine großen Hände mit den winzigen Knöpfen von Allisons Strampler kämpften. Schließlich hatte er es geschafft. Er zog die Kleine aus und wechselte ihre Windel. Als sie eingecremt, gepudert, gewickelt und in ihren Schlafsack eingeknöpft war, hob er sie von der Wickelkommode und trug sie in die Küche, um ihr Fläschchen zu holen. Katherine hörte, wie er leise mit dem Baby scherzte.
Jason kehrte zurück, in einer Hand das Milchfläschchen, in dem anderen Arm das Kind. Er setzte sich in den Rattanschaukelstuhl und stöhnte, als der unter seinem Gewicht bedenklich ächzte.
»Glaubst du, dieses verdammte Ding hält mich aus?«, wollte er wissen.
»Das hoffe ich doch sehr«, muffelte sie unter der Bettdecke und kicherte.
»Es liegt bestimmt an Allison. Wenn sie nicht so wohlgenährt wäre, wären wir um einiges leichter. Weißt du was, Prinzessin? Ich glaube, wir setzen dich auf Diät.« Er schob ihr behutsam die Flasche in den Mund, und sie saugte hungrig daran.
Vom Bett aus beobachtete Katherine, wie Jace das Baby fütterte. Er plauderte leise mit ihr, und sie spähte mit gebannter Faszination zu ihm hoch. Streckte die winzigen Händchen nach seinem Gesicht aus, als er sich über sie neigte.
Der heiße Tee und der leise begütigende Klang von Jasons tiefer Stimme machten Katherine schläfrig, sie kuschelte sich wohlig in die Decken und seufzte zufrieden.
Als Allison ihr Fläschchen geleert hatte, legte Jace sie über seine Schulter, damit sie ihr Bäuerchen machen konnte. Er lachte, als sie einen lauten Rülpser von sich gab.
Er legte Allison in die Wiege, drehte sie auf den Bauch und tätschelte ihr den runden Windelpo. Nachdem er sie mit einem leichten Federbett zugedeckt hatte, knipste er die Lampe auf dem Nachttischchen aus, das neben Katherines Bett stand. Lediglich das Licht aus dem Wohnzimmer fiel durch den Türspalt in den dämmrigen Raum.
Jace sank auf den Rand des Doppelbetts und stützte sich mit den Händen rechts und links von Katherine ab. »Wie geht es dir?«, flüsterte er.
Sie fühlte sich beschützt und jung, genauso klein und hilflos wie Allison. »Mir geht es blendend«, flüsterte sie zurück.
Er senkte den Kopf, strich mit seinen warmen Lippen über ihre Schläfen. Katherine fühlte, wie sein Atem sanft ihr Haar zauste. Sie schloss die Augen, woraufhin er fedrige Küsse auf ihre Lider hauchte. Seine Lippen glitten zu ihrem Ohr, sie drehte den Kopf zur Seite, damit er es einfacher hatte.
»Ich kann mir denken, dass dir nach den Erfahrungen des heutigen Abends nicht nach Romantik ist, Katherine, aber ich möchte dich so gern küssen.« Er hauchte die Worte in ihr Ohr, während er mit seiner feuchten Zungenspitze lasziv ihr Ohrläppchen leckte.
Leise seufzend hob sie ihr Gesicht vom Kissen, fand in der Dunkelheit seinen Mund, und ihre Lippen verschmolzen miteinander.
Ihr Kuss schmeckte nach Sehnsucht und Verheißung. Es machte sie halb verrückt, dass seine Zunge freimütig jeden Winkel ihres Mundes erkundete. Bevor sie sich zwischen ihre Lippen schob. Katherine grub stöhnend ihre Finger in sein Haar und presste sein Gesicht auf ihres, während sie seine Zunge in ihren Mund saugte.
»Katherine«, keuchte er an ihrer Wange, »ich halt das nicht mehr lange aus.«
»Nein?«, fragte sie enttäuscht.
»Nein«, erwiderte er stockend.
Sie ließ ihn widerstrebend los, woraufhin er sich vom Bett erhob. »Jace«, flüsterte sie.
Er sank abermals neben sie und antwortete kehlig: »Ja?«
Sie zögerte. Dann streckte sie ihre Hand aus und schob sie in seinen geöffneten Hemdkragen. Ihre Finger strichen über den rau gelockten Flaum, spürten die warm pulsierenden Muskelstränge. »Danke nochmal für deine Hilfe. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn du nicht da gewesen wärst.«
Er zuckte vage mit den Schultern, bevor er sich abermals über sie beugte. Und dieses Mal eroberte sein Mund den ihren mit ungezügelter Leidenschaft. Seine Hand glitt unter die Bettdecke und zu ihrer Taille. Sie spürte jede seiner Bewegungen durch den dünnen Baumwollstoff ihres Sleepshirts hindurch. Seine Hand malte den Schwung ihrer Hüften nach und schob sich zu ihrem Nabel. Er spreizte seine Finger, kreiste lockend über ihrem flachen Bauch.
Lust vermischt mit Skepsis durchwogte sie, als seine Hand auf dem Dreieck ihrer Scham verharrte. Die Sekunden verstrichen, Katherines Herzschlag beschleunigte sich. Jace rührte sich nicht, lediglich sein Kuss wurde feuriger. Langsam und leicht wie das Flattern eines Schmetterlingsflügels begannen seine Finger, ihren Venushügel zu kitzeln. Seine kosenden Finger glitten tiefer und tiefer, bis …
»Jace!«, rief sie bestürzt, und er zog spontan seine Hand weg. Umschloss mit beiden Händen zärtlich ihr Gesicht.
»Ich werde dich heute Nacht nicht anrühren. Ich hab mir fest vorgenommen, nichts zu überstürzen. Und ich will dir nicht wehtun. Niemals.« Er küsste sie zärtlich, mit geschlossenen Lippen, bevor er das Zimmer verließ. Leise klickte die Tür hinter ihm ins Schloss.
 
Am nächsten Morgen schlüpfte Katherine in ihren Morgenmantel und kümmerte sich um das quengelnde Kind, das dringend eine neue Windel brauchte. Das frisch gewickelte Baby auf dem Arm, lief sie in die Küche.
Dort traf sie auf Jace, der fröhlich summend Orangen mit einem Entsafter presste. Der Duft frisch aufgebrühten Kaffees erfüllte den Raum. »Guten Morgen, meine Damen«, rief er nach einem Blick über seine Schulter.
»Guten Morgen. Hast du überhaupt geschlafen?« Katherines Blick fiel auf diverse Tabellen und Grafiken, die auf dem Boden ihres Wohnzimmers ausgebreitet lagen.
»Ich hab ein bisschen gedöst.« Er wischte sich die Hände an einem Handtuch ab und musterte sie von oben bis unten. Er wurde ernst. »Wie fühlst du dich?«, wollte er wissen.
Sie lächelte etwas verkrampft und sagte bestimmt: »Ich fühle mich fantastisch, Jace. Wirklich. Bei Tageslicht besehen, kommt mir das alles wie ein schlechter Traum vor.«
»Gut. Da bin ich aber froh.« Er streichelte ihr kurz über die Wange und sagte: »Du fütterst die kleine Prinzessin, in der Zwischenzeit mach ich uns ein paar Eier.«
»Okay«, bekräftigte Katherine. In diesem Augenblick klingelte das Telefon und sie nahm den Hörer ab. »Hallo.«
Mit verdutztem Blick reichte sie den Hörer an Jace weiter. Eigenartig, woher wussten die Leute, dass er hier bei ihr war? »Ferngespräch, für dich«, bemerkte sie.
Er mied den Augenkontakt mit ihr, während er schroff in den Hörer blaffte: »Jace Manning. Ah ja, Mark. Oh … verdammt! Also, ich dachte, die könnten … was weiß ich, keine Ahnung. Sonst alles klar? Wie heißt der Typ noch gleich? Okay, um wie viel Uhr? Nein, aber das erfahr ich schon noch. Himmel, ich hab vergessen, dass da ein Feiertag ist! Nein. Nein. Ich dachte mir schon, dass sie es mit einem Trick versuchen würden. Ich werde … Ja, ist gebongt. Wenn die Sache in trockenen Tüchern ist, ruf ich dich an. Das kannst du ihnen vorab schon mal verklickern. Mann, wird der Bringer … Ja, das kannst du laut sagen. Tschüss und danke, Mark.«
Er legte den Hörer auf die Gabel und starrte für eine lange Weile auf das Telefon, das an der Wand angebracht war. Ehe er herumschwenkte und sich in Katherines fragend geweiteten grünen Tiefen verlor.
»Wie lange brauchst du zum Anziehen und Packen? Wir fahren nach Dallas.«
»Nach Dallas?«, wiederholte sie verdattert. »Was soll ich denn in Dallas?«
»Mich heiraten. Noch mal ganz langsam zum Mitschreiben: Wir beide fahren heute nach Dallas, um dort zu heiraten.«