6
Katherine hätte nicht zu sagen vermocht, wann sie
begann, ihre anfängliche Skepsis gegenüber Jason Manning zu
verlieren. In den ersten Tagen nach ihrer bizarren Blitzheirat
beäugte sie ihn misstrauisch. Sie legte jedes Wort auf die
Goldwaage, hinterfragte jede Geste.
Ob Jace spürte, wie nervös und angespannt sie war?
Jedenfalls war er ungeheuer einfühlsam, höflich und hilfsbereit. Er
drängte sich ihr nicht auf, sondern ließ ihr Freiräume, Zeit zum
Alleinsein, weil er intuitiv spürte, dass sie ihre Privatsphäre
brauchte.
Allison war ein starkes Band, das sie miteinander
verknüpfte. Es war bezaubernd, mit anzuschauen, wie Jace eine
Beziehung zu seiner kleinen Nichte aufbaute, und Katherine fiel ein
Stein vom Herzen. Sie brauchte sich gewiss keine Sorgen zu machen,
denn er würde ein guter Vater sein. Bisweilen zog Allison seine
Gesellschaft der ihren sogar vor.
»Schätze mal, wir ziehen uns besser an und gehen
heute Morgen in die Kirche«, meinte er am Morgen nach ihrer
Hochzeit, den Kopf hinter der Sonntagszeitung verborgen. Als er an
den Frühstückstisch gekommen war, hatte er seine schmerzenden
Muskeln gedehnt, weil er die Nacht auf ihrem schmalen Sofa
verbracht hatte. Katherine hatte gelacht,
als sie seine gequälte Grimasse bemerkte, während seine Gelenke
knackten und knirschten. Er linste hinter der Zeitung hervor.
»Du willst in die Kirche?« Ihr fielen vor
Verblüffung fast die Augen aus dem Kopf.
»Ja. Happy ist seit geschlagenen zwanzig Minuten
draußen im Hof. Sie hat so ziemlich jeden Unsinn gemacht, den man
in dem kleinen Innenhof machen kann. Zwischendurch starrte sie
andauernd vorwurfsvoll in Richtung Apartment. Sie hat unweigerlich
registriert, dass mein Jeep die ganze Nacht hier geparkt stand, und
jetzt denkt sie vermutlich, dass wir irgendwas miteinander
anstellen, was für ihr Empfinden verrucht, verboten und tabu
ist.«
»Herrje, Happy! Die hab ich in der Hektik total
vergessen«, japste Katherine bestürzt.
»Weißt du was, wir gehen nachher zusammen zu ihr
und erzählen ihr das mit unserer Hochzeit.«
»Und du willst wirklich in die Kirche?«
»Ja. Es sei denn, du bist Atheistin und hast damit
nichts am Hut. Also ich bin Protestant. Hast du damit
Probleme?«
»Nein, nein, es ist bloß so, dass …«
»Katherine, ist dir schon mal der Gedanke gekommen,
dass darüber geredet wird, wenn die junge Witwe Adams Hals über
Kopf ihren Schwager heiratet, der lange Zeit im Ausland war? Und
weil die junge Witwe Adams ein Baby hat, das gerade mal ein paar
Monate alt ist? Da die Mannings zumindest vorübergehend in Van
Buren wohnen werden, möchte ich schleunigst dokumentieren, dass sie
der Gemeinde mit gutem Beispiel vorangehen. Glaub
mir, ich werde dich vor falschen und infamen Spekulationen zu
schützen wissen. Bis auf die Tatsache, wer Allisons leibliche
Eltern sind, haben wir absolut nichts zu verbergen, und sobald wir
die Kleine adoptiert haben, ist das auch kein Thema mehr. Zudem ist
Angriff die beste Verteidigung.« Er spähte über den Rand der
Zeitung hinweg zu ihr und grinste. »Okay?«
»Ja, und danke«, murmelte sie und schlug die Augen
nieder. Tränen glitzerten in ihren Wimpern. Sie nahm das
vorbereitete Fläschchen und lief aus der Küche, um Allison zu
füttern. Grundgütiger, sie mochte sich Jason nicht verpflichtet
fühlen, und trotzdem musste sie ihm dankbar sein. Hatte dieser Mann
eigentlich immer alles unter Kontrolle? Übersah er nie etwas? Seine
Argumentation war jedenfalls schlüssig, seufzte sie.
Jace war bester Laune, weil ein paar Geschäfte am
Labor Day geöffnet hatten und er folglich das in Aussicht gestellte
breitere Bett kaufen konnte. Er vereinbarte mit dem Möbelhaus, dass
das Bett tags darauf geliefert und aufgestellt werden sollte.
»Aber Jace, ein Doppelbett passt gar nicht in das
kleine Zimmer!«, protestierte Katherine, als sie die
Riesenspielwiese sah.
»Dann räumen wir eben ein paar von den Schränken
raus. Ein kleineres Bett bringt doch nichts.« Lachend drückte er
ihren Arm. »Ich verspreche dir auch, dass ich das hübsche Ambiente,
das du dir geschaffen hast, nicht zerstören werde.«
Er kaufte einen neuen Kombi und zückte dafür mal
eben locker seine Goldcard. Katherine war baff. Schließlich musste
sie jeden Cent dreimal umdrehen, bevor sie
ihn ausgab, und für jede größere Anschaffung lange sparen. Dass
jemand auf einen Schlag so viel Geld ausgeben konnte, war ihr
unbegreiflich.
Dieser Lebensstil behagte ihr nicht. Sie hatte ihre
Aversion gegen die Mannings nie ganz ausgeblendet, obwohl sie mit
einem verheiratet war und inzwischen selbst den Namen Manning trug.
Die Vorstellung, dass sie von dem Geld eines Manning lebte, war ihr
unerträglich. Auf der Rückfahrt von ihrer Shoppingtour sprach sie
das Thema an.
»Jace …«, begann sie unschlüssig.
»Hmm?« Er knabberte an einem Hershey-Riegel.
Inzwischen wusste sie, dass er zu jeder Tages- und Nachtzeit
Schokolade essen konnte. Wieso wurde er eigentlich nicht
dick?
»Du hast die Krankenhausrechnung für Ronald Welsh
bezahlt, stimmt’s?«
Er hörte auf zu kauen und spähte zu ihr. »Ja«,
antwortete er. Er bremste und hielt mit dem neuen Wagen vor einer
roten Ampel.
»Und du hast seiner Frau Geld geschickt?«
Statt einer Antwort nickte er.
Sie zupfte nervös mit den Fingern an ihrem
Sommerkleid und fuhr zögernd fort: »Du musst eine Menge Geld haben.
Ich meine, du bezahlst ein Auto mal eben locker mit deiner
Kreditkarte und so. Ist … das von deinem Gehalt? Ich frag bloß,
weil …«
»Du willst wissen, ob es mein Geld ist oder das
meiner Eltern.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Er
parkte eben den Wagen in Happys Einfahrt und drehte sich zu
ihr.
»Es ist mein Geld, Katherine.« Ein Lächeln huschte
über seine Lippen. »Und ich hab mir jeden Cent sauer verdient, denn
ich hab geschuftet wie ein Pferd. Als ich Afrika verließ, war eine
anständige Bonuszahlung fällig. Willoughby Newton, der Chef von
Sunglow, ist überaus fair. Ich hab einen Anteil an sämtlichen
Ölquellen, die ich für den Laden erschließe. Seit meinem
Collegeabschluss hab ich von meinen Eltern keinen Cent mehr
genommen.«
»Bitte versteh mich nicht falsch. Es ist deine
Privatsache, ob du von ihnen Geld nimmst oder nicht. Ich persönlich
möchte auf gar keinen Fall …«
»Du möchtest Eleanor und Peter Manning sen. nicht
auf der Tasche liegen, weil du dafür zu stolz bist.« Er senkte die
Stimme und sagte weich: »Ich bin stolz auf dich.« Er neigte sich
über den Sitz zu ihr und hob mit seinem angewinkelten Zeigefinger
ihr Kinn an, zwang sie, ihn anzuschauen. »Und meine privaten
Angelegenheiten sind jetzt auch deine Angelegenheiten. Darf ich
dich kurz daran erinnern, dass du meine Frau bist?«
Seine Lippen kosten die ihren sanft und sinnlich.
Es war ein schneller, flüchtiger Kuss, gleichwohl schmeckte
Katherine mühsam gezügelte Lust. Ihr Herz hämmerte wie wild, als er
sich zurücklehnte und sie mit seinen strahlend blauen Augen
fixierte. Sie meinte in seinen unergründlichen Tiefen zu versinken,
ehe er schlagartig die Tür aufstieß und sich aus dem Wagen
schwang.
Happy fasste die Neuigkeit ihrer Hochzeit äußerst
positiv auf. Sie strahlte übers ganze Gesicht und gratulierte den
beiden von Herzen. Ob sie eine frühere Beziehung der beiden
vermutete oder insgeheim die Hände über dem Kopf zusammenschlug,
weil die beiden sich erst so kurz
kannten - sie behielt ihre Mutmaßungen für sich. So viel
Feingefühl wusste Katherine zu schätzen.
Happy erbot sich, Allison für den Rest des
Nachmittags zu sich zu nehmen, weil die beiden noch eine Wand in
Jasons Schlafzimmer streichen mussten. Zumal das Bett tags darauf
geliefert wurde.
»Wenn wir gemeinsam anstreichen, geht es ganz fix«,
versprach sie, als er ihren Vorschlag mit einem missmutigen
Grummeln quittierte.
»Schon mal was davon gehört, dass man am Labor Day
frei hat?«, maulte Jace, dennoch war er mit Begeisterung bei der
Sache, als Katherine in ihrem Maler-Outfit auftauchte, das sie auch
bei ihrer ersten Begegnung getragen hatte.
»Du siehst scharf aus in diesem Outfit, weißt du
das?«, sagte Jace, als sie zwischendurch eine Pause machten. Sie
saß im Schneidersitz auf dem Boden und nippte an einem Softdrink.
»Lass dich bloß nicht von mir erwischen, dass du in diesem Fummel
nochmal jemandem die Tür öffnest«, warnte er leise grummelnd.
Er betrachtete sie unter lasziv gesenkten Lidern
und meinte weich: »Als ich deine Beine zum ersten Mal sah, brauchte
ich meine geballte Selbstbeherrschung, sonst hätte ich dich vom
Fleck weg vernascht.«
»Was?« Seine freimütige Enthüllung verblüffte
Katherine. »Wann?«
»Hmmm, lass mal überlegen.« Er schloss in
gespielter Konzentration seine von dichten schwarzen Wimpern
umrahmten Augen. »Ich glaube, das war am zweiten Tag, nachdem ich
hergekommen war. Ich war auf dem Campus und drückte mich auf dem
Flur des Verwaltungsgebäudes rum, in dem du dein Büro hast. Es war
rein persönliche
Neugier. Ich wollte heimlich einen Blick auf die
berühmtberüchtigte Miss Katherine Adams riskieren, die skrupellos
ein Neugeborenes aus der Klinik entführte und mit ihm quer durch
das ganze Land gefahren war.«
Er trank einen Schluck von seinem Softdrink und
lehnte sich lässig an die Wand zurück. »Du kamst aus deinem Büro
und bist zu dem Wasserspender gelaufen. Ich glaube, du hast zwei
Aspirin eingeworfen. Wie auch immer, als du dich vornüberbeugtest,
um einen Schluck Wasser zu trinken, bekam ich einen verdammt
reizvollen Blick auf deine Beine geboten … unter anderem.« In seine
Augen trat ein teuflisches Glitzern.
Katherine stockte vor Entrüstung sekundenlang der
Atem, bevor sie spitz konterte: »Aber das kann gar nicht sein! Dann
hätte ich dich bestimmt im Flur gesehen. Ich bin sicher, du wärst
mir spontan aufgefallen.«
Er hob gespannt eine Braue. Mit gesenkter Stimme
sagte er: »Ach ja?« Er stieß sich mit seinen kräftigen Armen von
der Wand ab. »Willst du damit andeuten, Mrs. Manning, dass du
deinen Mann zumindest ein bisschen attraktiv findest?«
»Ich … ich will damit andeuten … dass …«
»Ja?«, fragte er weich, dabei legte er seine Hände
auf ihre Schultern. Sanft, aber bestimmt drückte er sie zu Boden
und ließ sich neben sie sinken. »Was wolltest du sagen?« Sein
Gesicht schwebte über ihrem. Er streckte sich neben ihr aus, und
sie spürte, wie sein Körper an ihren drängte.
»Ich wollte gerade sagen …«
»Das kann warten«, flüsterte er gepresst, ehe sein
Mund sich auf ihren senkte.
Katherine sträubte sich nicht. Sie sehnte sich nach
dem
berauschenden Prickeln, das ihren Körper bei seinen Küssen
durchströmte. Sie öffnete ihm bereitwillig die Lippen. Streifte mit
ihrer Zungenspitze zaghaft seine. Ein leises Stöhnen entfuhr seiner
Kehle, sein Kuss wurde fordernder. Mit seiner Hand streichelte er
den nackten Streifen Haut über dem Bund ihrer Shorts.
Er schob ein Knie zwischen ihre Oberschenkel und
massierte ihren Venushügel mit sanftem Druck. Auch er trug Shorts,
und die Wärme seiner nackten Haut auf ihrer war elektrisierend.
Sein Bein rieb sich aufreizend an ihrem. Der Flaum auf seinem
langen Schenkel kitzelte ihre weiche Haut. Der Duft, das Gefühl und
die Textur seiner Haut waren völlig anders als bei ihr, wirbelte es
Katherine durch den Kopf. Und dieser Unterschied befeuerte ihre
Sinne mit einem unbändigen Verlangen.
Er vergrub sein Gesicht in ihrem Nacken, hauchte
leise gestammelte Zärtlichkeiten, presste glutvolle Küsse auf ihre
pulsierende Halsbeuge, während er an den Knöpfen ihres Shirts
nestelte. »Katherine, Katherine, ich will …«
»Hey, ihr zwei, ich hab ein paar Sandwiches für
euch gemacht. Ihr habt bestimmt Hunger. Macht mir mal einer die Tür
auf? Ich hab beide Hände voll«, drang Happys Stimme von der
Eingangstür her zu ihnen.
»Ich kann es nicht fassen!« Jace schlug sich mit
der flachen Hand vor die Stirn. Er stand auf und stapfte durch das
Wohnzimmer, um der überengagierten Vermieterin die Tür zu öffnen.
Manchmal meinte Happy es wirklich zu gut mit ihren
Mitmenschen.
»Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass Happy
uns in einem intimen Moment stört. Soll ich womöglich jedes
Mal eine Krawatte um die Türklinke binden, wie Ryan O’Neal
seinerzeit in Love Story, wenn Ali McGraw in seinem Zimmer
war?«
»Jace, bitte!«, versetzte Katherine in gespielter
Entrüstung und giggelte.
Happy hatte nur schnell den Teller hereingereicht
und war gleich wieder verschwunden. Sie mochte Allison nicht länger
als nötig unbeaufsichtigt lassen. Katherine und Jace verdrückten
die Sandwiches und machten sich wieder an die Arbeit. Nachdem die
Wand gestrichen war, machten sie sich daran, das Chaos
aufzuräumen.
»Ich muss sagen, das Zimmer sieht klasse aus«,
räumte Jace ein. »Anfangs dachte ich, die braune Wand macht den
Raum zu dunkel.«
»Nicht mit der breiten Fensterfront auf der
Südseite.« Katherine hatte die Gestaltung des Zimmers sorgfältig
und mit sicherem Geschmacksempfinden geplant. Dabei hatte sie
natürlich nicht bedacht, dass dort irgendwann ein Mann einziehen
würde, folglich musste sie von ihrem ursprünglichen Plan ein wenig
abweichen.
Das Bett sollte an der mattbraun gestrichenen Wand
stehen. Heute, auf ihrer Shoppingtour, hatte sie Leinenstoff
gekauft, mit einem Muschelmuster in Braun- und Beigetönen. Das
einzig Feminine, das sie dem Raum zubilligte, waren Akzente in
einem weichen Aprikosenfarbton.
»Wenn alles fertig ist, möchte ich an der dunklen
Wand eins von diesen modernen Stahlregalen anbringen. Das sieht
bestimmt super aus. Und dazu passende Accessoires, Lampen und so.«
Während sie laut nachdachte, stellte sie sich im Geiste bereits das
fertige Ergebnis vor. »Natürlich
darf das Zimmer nicht zu beengt wirken. Ich muss erst mal schauen,
wie viel Platz das Bett braucht.«
»Ich hoffe, dass es hier ein bisschen beengter wird
- und zwar bald.«
Jasons Stimme riss sie aus ihren Gedanken, sie
beäugte ihn argwöhnisch. Er musterte sie unter halb gesenkten
Lidern, und ihr schwante spontan, worauf er hinauswollte.
Eine heiße Röte schoss in ihre Wangen. Damit er
nichts merkte, schüttelte sie die Haare ins Gesicht. Er
registrierte ihre Verlegenheit und grinste breit. »Ich bin dann mal
kurz weg und hol Allison. Ich denke, die Farbe ist so gut wie
trocken.«
Er ging zur Tür, drehte sich dort noch einmal zu
ihr um. »Katherine.«
»Hmm?«
»Ich war an dem besagten Tag wirklich in eurem
Verwaltungsgebäude und hab dich durch den Flur laufen sehen.« Er
zwinkerte ihr zu. »Alles andere ist jedoch frei erfunden.«
Sie errötete bis zu den Haarwurzeln. Das bekam er
gottlob nicht mehr mit, denn er stürmte bereits durch die Tür ins
Freie.
»Hi, Miz Manning, ich bin Jim Cooper.«
Katherine lächelte dem freundlichen jungen Mann zu,
der vor ihrer Haustür stand. Jim Cooper?, überlegte sie, nein, der
Name sagte ihr nichts. Musste sie den kennen? Offenbar erwartete
er, dass sie ihn wiedererkannte.
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf und sagte:
»Bedaure, aber …«
»Ich bin der Sohn von Happy Cooper.«
»Oh.« Katherine lachte. »Kommen Sie rein. Tut mir
echt leid, dass ich dermaßen auf der Leitung stand, aber der Name
sagte mir erst mal nichts.« Sie hielt ihm ihre Hand hin, und Jim
Cooper schüttelte diese herzlich.
»Schätze, Mom hat es verschwitzt, Ihnen zu
erzählen, dass ich für eine Weile wieder herziehe. Nicht in Ihr
Apartment«, versetzte er hastig. »Ich hab gemeinsam mit einem
Freund ein Apartment gemietet. In der Stadt. Ich wollte mich bloß
kurz erkundigen, ob Mr. Manning zufällig zu Hause ist?«
»Nein, bedaure. Er wollte noch ein paar Sachen für
sich besorgen. Er ist erst vor ein paar Tagen eingezogen … ich
meine … wir haben nicht …«
»Ja. Mom erzählte, dass Sie geheiratet haben.« Sein
Grinsen war ansteckend. »Herzlichen Glückwunsch, Mrs.
Manning.«
»Danke«, murmelte Katherine. Sie hatte noch immer
daran zu knabbern, dass sie mittlerweile verheiratet war und mit
»Mrs. Manning« angesprochen wurde. Ob sie sich überhaupt jemals
daran gewöhnen würde, dass sie diesen Namen trug? Zudem fand sie es
schwer gewöhnungsbedürftig, einen Mann an ihrer Seite zu wissen.
Noch vor einer Woche hatte es nur sie und Allison gegeben. Dann war
Jace Manning bei ihr aufgetaucht und hatte mit seiner dynamischen
Persönlichkeit ihr beschauliches Leben durcheinandergewirbelt. Sie
empfand sein Denken, Fühlen und Handeln zunehmend mit ihrem
verknüpft.
»Mom meinte, wenn ich herkomme, soll ich mir mal
den Speicher vorknöpfen. Da oben liegt noch alter Krempel von der
Highschool und vom College. Und Sie sind
bestimmt froh um jeden Zentimeter mehr Platz.« Jim Cooper grinste
erneut. Er sah gut aus, stellte Katherine fest. War er schon mit
dem College fertig? Sie hätte ihn jünger eingeschätzt.
Seine aschblonden Haare waren zwar länger, als
aktuell angesagt, aber trotzdem sauber und gepflegt. Seine Augen,
die in einem warmen Braunton schimmerten, machten ihn vom Fleck weg
sympathisch. Er war ein zugänglicher, freundlicher junger Mann. Die
Sommersprossen auf Nase und Kinnbacken gaben ihm etwas
Lausbubenhaft-Übermütiges.
»Ich war noch gar nicht auf dem Speicher«, räumte
Katherine freimütig ein. »Nur wegen uns müssen Sie da oben bestimmt
nicht entrümpeln.«
»Kein Problem, damit bin ich im Rutsch fertig. Es
war Moms Idee. Ich werfe den verstaubten alten Kram komplett auf
den Müll. Selbst wenn Erinnerungsstücke aus meiner Schulzeit
darunter sein sollten, kann ich bestimmt ohne den Mist leben.« Er
legte abwartend eine Hand auf sein Herz, und Katherine prustete
los.
Er war kleiner als Jace, dachte sie abwesend und
kritisierte sich spontan für den Vergleich. Wieso war Jace
plötzlich die Messlatte, die sie bei jedem anderen Mann
anlegte?
Objektiv betrachtet, war Jim zwar nicht groß, aber
- im Gegensatz zu seiner Mutter - schlank. Die Beine in der
ausgefransten, abgeschnittenen Jeans waren durchtrainiert, das
weiße T-Shirt spannte über dem muskelbepackten Torso.
»Die Tür zum Speicher ist da hinten, nicht, Miz
Manning?«, wollte er wissen, während er zu Jasons Schlafzimmer
steuerte.
»Ja«, antwortete Katherine, die ihm gefolgt war.
»Neben dem Kleiderschrank. Und ich bin Katherine.«
Als sie den Raum betrat, stand er bereits auf der
Leiter, die zum Speicher führte. Er kletterte elanvoll die Stufen
hoch und machte auf dem kleinen Spitzboden Licht.
Katherine hörte, wie er Kisten herumrückte und in
Begeisterungsstürme ausbrach, wann immer er irgendein verstaubtes
Altertümchen entdeckte. Sie stand am Fuß der Leiter und blickte
nach oben in das helle Rechteck.
»Und, finden Sie doch noch das eine oder andere
Schätzchen?«, fragte sie scherzhaft.
»Oh, ja, jede Wette! Hätte nicht gedacht, wie viel
Schei… ähm … Schrott hier oben rumgammelt. Vielleicht nehm ich doch
die eine oder andere Kiste mit.«
Er schleppte die Kisten nacheinander nach unten und
stapelte sie mitten im Schlafzimmer. Irgendwann meinte er: »Noch
eine Kiste, und dann bin ich auch schon wieder weg.«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit«, versicherte ihm
Katherine. »Allison schläft, und ich hab frei, bis sie
aufwacht.«
»Ja. Ich hab gehört, Sie haben ein richtiges
kleines Püppchen. Bin echt gespannt auf die Kleine«, rief er über
seine Schulter, als er die Stufen hochkletterte, um die letzte
Kiste zu holen.
Um sie leichter greifen zu können, schob er die
Kiste dicht an die Luke. Katherine, die nach oben blickte, bekam
eine ordentliche Staubdusche verpasst. Ein Partikel fiel ihr ins
Auge, und sie schrie vor Schmerz.
»Aua, tut das weh!«, stöhnte sie, eine Hand auf ihr
Auge gepresst.
»Was ist denn?«, rief Jim von oben. Alarmiert
setzte er
die Leiter hinunter. »Ach du Scheiße, wie ist denn das passiert?«
Er beugte sich bestürzt über sie. »Mom verpasst mir garantiert
einen Satz heiße Ohren, wenn sie erfährt, dass Sie sich verletzt
haben, weil ich zu nachlässig war.«
Hätte es nicht so wehgetan, hätte Katherine
schallend gelacht. »Ich hab wohl was ins Auge bekommen, irgendeinen
Fremdkörper. Jedenfalls tut es mordsmäßig weh.« Sie stöhnte gequält
und presste ihre Hand noch fester auf das Auge.
»Oh, Shit, das tut mir leid. Kommen Sie, Katherine,
setzen Sie sich. Ich guck mal nach.« Jim fasste sie behutsam am Arm
und zog sie zu dem Bett. Sie setzte sich umständlich hin, und Jim
kniete sich vor sie. »Lassen Sie mal sehen, Katherine.«
Er versuchte, ihre Hand von dem brennenden Auge zu
ziehen. Sie gab nach, spürte einen erneuten stechenden Schmerz und
entriss ihm ihre Hand.
»Autsch! Es tut entschieden mehr weh, wenn ich die
Hand wegnehme.«
»Ich weiß, aber wenn ich den Fremdkörper nicht
entferne, tut es noch viel mehr weh. Kommen Sie, beißen Sie die
Zähne zusammen«, drängte er, während er ihre Hand wegschob.
»Und jetzt machen Sie das Auge mal schön weit auf«,
wies er sie an.
Er umschloss mit einer Hand ihren Hinterkopf, mit
der anderen untersuchte er behutsam ihr Auge. Es bedurfte einer
Menge Überzeugungsarbeit, ehe sie das Lid öffnete.
Ein triumphierendes Strahlen glitt über seine Züge,
als er das winzige Staubkorn entdeckte, das ihr so viel Kummer
machte. »Das haben wir gleich«, meinte Cooper zuversichtlich.
»Schauen Sie mal kurz nach oben. Nein, nein, nicht nach unten
gucken. Nach oben. Nur noch eine Sekunde. Da. Ich hab ihn!«
Mithilfe seines kleinen Fingers hatte er es geschafft, das winzige
Partikel aus ihrem Auge zu fischen.
»Ich hoffe, ich störe nicht«, warf Jace in den
Raum.