SECHZEHNTES KAPITEL

Am vierzigsten Tag ihres anhaltend erfolglosen Bäckereibetriebes stand Wilhelmina früh auf und tapste nach unten in die Küche, wo sie Engelbert antraf. Er saß auf einem Stuhl und hielt den Kopf in den Händen. Der Backofen hinter ihm war kalt. Engelbert hatte sich nicht mehr die Mühe gemacht, ein Feuer anzuzünden.

»Was läuft falsch, Etzel?«, fragte sie und schritt vorsichtig mit ihren nackten Füßen über die Steinfliesen. Sie kniete sich vor ihm nieder.

»Was soll die Frage?«, stöhnte er, ohne die freudlose Betrachtung seiner leeren Hände zu unterbrechen und die Augen zu heben. »Keiner kommt. Keiner kauft etwas. Es ist aus ...« Er seufzte. »Wir sind am Ende.«

Wilhelmina biss sich auf die Lippe. Noch nie hatte sie ihn so niedergeschlagen gesehen, und es brach ihr das Herz. »Nein«, wisperte sie, mehr zu sich selbst als zu ihm. »Das werde ich nicht zulassen.«

Sie stand auf und ließ ihren Blick durch das aufgeräumte Geschäft schweifen. Es war ein schöner Laden - und ein guter Laden: viel zu gut, um durch die Gleichgültigkeit der Bewohner vor Ort in den Ruin getrieben zu werden. Es brauchte nur ... etwas ... eine kleine Verfeinerung vielleicht. Möglicherweise nur ein Detail, das sie beide bis jetzt übersehen hatten. Oder die Hinzufügung einer neuen Zutat. Aber was nur?

»Etzel«, sagte sie in langsamem Tonfall, »gibt es eigentlich Kaffee in Rosenheim?«

»Kaffee? Meinst du so etwas wie Mokka?«

»Ja. Mokka, Kaffee - oder wie auch immer du es nennen willst. Gibt es so etwas in deiner Heimat? Geschäfte, die Kaffee verkaufen?«

»Das ist ein Getränk, ja?«

»Richtig - ein heißes Getränk.« Wilhelmina begann vor Etzel auf und ab zu gehen. Sie dachte so angestrengt nach, dass sich ihre Stirn in Falten legte. »Gibt es dort Kaffee?«

»Bestimmt nicht«, antwortete er langsam und hob nun endlich den Kopf. »Vielleicht in München. Doch das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Ich habe gehört, dass es in Venedig diesen Kaffee gibt.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich selbst habe so etwas noch nie probiert.«

»Wie weit ist es bis Vienna?«, fragte sie ihn. Sie hatte Etzel falsch verstanden, weil ihre Überlegungen bereits in eine ganz bestimmte Richtung rasten, sodass sie nicht mehr richtig hinhörte. Als sie seinen verblüfften Gesichtsausdruck bemerkte, korrigierte sie sich. »Ich meine natürlich Wien - wie weit ist es von hier?«

Etzel klopfte sich mit einem seiner Wurstfinger gegen die Zähne und kniff die Augen zu, während er sich bemühte, die Streckenlänge im Kopf auszurechnen. »Ich glaube«, antwortete er schließlich, »dass es mindestens dreihundert Kilometer sind - vielleicht sogar dreihundertfünfzig. Ich bin noch nie dort gewesen, doch mein Vater ist einst als junger Mann nach Wien gefahren. Es ist eine sehr große Stadt.«

»Das stimmt. Doch Wien ist, wenn ich mich richtig erinnere, auch der Ort, wo der Verkauf von Kaffee in Europa begonnen hat.«

Engelbert betrachtete sie genau. »Woran denkst du, Herzerl?«

»Dass der Kaffee unsere Rettung sein wird.«

»Aber ich weiß überhaupt nichts über diesen ... Kaffee«, entgegnete der Bäcker traurig.

»Mach dir deswegen keine Sorgen«, meinte Mina. »Ich weiß alles darüber. Alles, was wir tun müssen, ist, eine Lieferung Bohnen zu bekommen.«

»Bohnen?«, fragte er verwundert.

»Kaffeebohnen, Etzel. Die Körner, die man braucht, um das Getränk herzustellen.« Sie wandte sich zu ihm um, bückte sich, nahm seine Hände und zog ihn auf die Füße. »Also los! Du ziehst dir jetzt Mantel und Hut an. Danach gehen wir zum Stall und bereiten den Muli-Karren für die Reise vor.«

»Wohin fahren wir?«

»Ich bleibe hier, um den Laden für den Kaffeeverkauf vorzubereiten«, erwiderte Mina. »Du fährst nach Vienna ... äh, nach Wien. Und beeil dich. Nach Lage der Dinge haben wir schon genug Zeit verschwendet.«

Kurze Zeit später stand Wilhelmina vor dem Laden und sah zu, wie der Muli-Karren durch die leeren Straßen des alten Prag klappernd wegfuhr. Sie hatte ihren willigen Gefährten mit einer detaillierten Beschreibung der gesuchten Ware ausgesandt, einschließlich einer kleinen, selbst gezeichneten Skizze. Außerdem hatte sie ihn angewiesen, so viele Kaffeebohnen zu erstehen, wie er nur finden konnte - aus welcher Quelle auch immer. »Besorg die schwarzen, gerösteten Bohnen, wenn du kannst«, hatte sie Etzel instruiert, als er auf den Wagen geklettert war. »Wenn du so etwas nicht bekommen kannst, dann kauf die rohen grünen; wir werden sie dann selbst rösten. Das kriegen wir auch noch hin. Hauptsache, du kriegst welche, in welcher Form auch immer.«

Der Plan war einfach: Etzel sollte nacheinander die Wiener Handelszentren für Kaffee aufsuchen und anbieten, ihnen Bohnen in großen Mengen abzukaufen. Doch als er nach fünf Tagen auf der Straße endlich in der beeindruckenden Stadt ankam und die Suche aufnahm, konnte er zu seiner großen Enttäuschung nirgends auch nur ein einziges Kaffeehaus finden.

Anderthalb Tage lang marschierte er durch die Straßen und fragte Ladenbesitzer, Geschäftsleute und sogar müßig umherwandelnde Passanten, wo er ein Kaffeehaus in Wien finden könnte. Aber niemand, den er traf, hatte jemals von so etwas in dieser Stadt gehört. Erschöpft vom vielen Marschieren und auf das Jämmerlichste entmutigt von der Erkenntnis, dass er für nichts eine lange Reise auf sich genommen hatte, begann er schließlich ziellos umherzuwandern. Es kümmerte ihn nicht mehr länger, wohin ihn seine Füße trugen. Am Ufer der breiten, langsam dahinfließenden Donau kam er schließlich wieder zu sich.

Als er sich umschaute, sah er, dass er ungewollt auf einem der zahlreichen Kais entlang des geschäftigen Hafenviertels angelangt war. Es gab Reihen von Lagerhäusern und kleinen Geschäften, in denen Seeleute, Hafenarbeiter und Tagelöhner bedient wurden. Als Etzel den Kai entlangspazierte, fiel ihm ein Mann auf, der vor einem großen Haufen Getreidesäcken auf und ab ging. Er trug teure dunkle Wollkleidung, ein blütenweißes Hemd und einen extravaganten Spitzenkragen. Während zwei Hafenarbeiter die Säcke auf ein Fuhrwerk luden, winkte jener Herr den Passanten zu und rief etwas aus, das Etzel nicht ganz verstehen konnte. Außerdem hielt der Mann ein kleines Schild in seinen Händen, mit dem er scheinbar die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu lenken versuchte.

Als Etzel sich ihm näherte, hörte er das Wort »Bohnen«. Das ließ ihn aufhorchen. Er blieb stehen, um den Mann zu beobachten, der mit seinem Schild winkte und »Bohnen!« rief.

Fasziniert trat Engelbert näher heran und bot sein letztes Quäntchen Freundlichkeit auf, die er einst in einem so gewaltigen Umfang besessen hatte. »Hallo, mein Herr«, sagte er. »Ich entbiete Euch meinen Gruß und wünsche Euch einen schönen Tag.«

»Ich wollte, ich könnte Euch im Gegenzug das Gleiche wünschen«, erwiderte der Mann. »Doch ich fürchte, dass dann die Not, die ich derzeit zu erdulden habe, sich auch Eurer bemächtigt - gerade so, wie sie mich überwältigt hat.«

»Es tut mir leid, das zu hören«, erklärte Etzel. »Ich bin ebenfalls durch Schwierigkeiten ruiniert worden. Darf ich fragen, welche spezielle Art von Not Euch getroffen hat?«

»Wisst Ihr, ich bin ein Getreidekaufmann«, antwortete der Mann. Ich handle mit Gerste, Roggen und Reis. Es sind Waren aus der ganzen Welt, die ich erwerbe und weiterverkaufe.«

»Ich bete, dass Euer Geschäft floriert.«

»Ich habe ein gutes Leben«, gab der Kaufmann zu. »Das heißt, bis heute.« Er wies mit einer weit ausholenden Geste zu dem Haufen Säcke auf dem Kai. »Was soll ich nur mit all diesen Bohnen anfangen?« Er wedelte noch einmal mit dem Schild, da gerade ein weiterer Passant vorbeiging. »Bohnen! Kauft Bohnen!«

Der Fußgänger eilte vorbei, und der Kaufmann wandte sich wieder seinem Gespräch mit Etzel zu. »Seht Ihr? Niemand will sie haben.«

»Das verstehe ich nicht, Herr. Was stimmt mit ihnen nicht?«

»Ich habe gerade heute Morgen eine lang erwartete Schiffsladung in Empfang genommen - und nun wird es mein Ruin sein.« Er drehte sich zum Sack um, der ihm am nächsten stand, öffnete ihn und tauchte seine Hand hinein. »Hier! Seht Ihr!« Er brachte eine Handvoll verschrumpelter grüner Beeren zum Vorschein.

»Was ist das?«, erkundigte sich Engelbert.

»Ha! Genau das ist der Punkt, mein Freund. Was ist das? Wer kann das sagen? Ich jedenfalls habe keine Ahnung. Beeren, Samen oder Körner - was auch immer das ist, für mich ist es wertlos. Die Kaufleute von Venedig sind Piraten! Ich habe Reis bestellt, und sie schicken mir wertlosen Samen.«

»Wenn Euch meine Fragen nichts ausmachen, werter Herr«, wagte Etzel zu sagen, in dessen Brust ein winziger Hoffnungsschimmer wieder aufleuchtete. »Haben diese Bohnen einen Namen?«

Der Kaufmann hob seinen Kopf und rief einem der Hafenarbeiter zu: »Wie hat der Kapitän diese Dinger noch mal genannt?«

»Kava«, antwortete der Mann, während er einen weiteren Sack zu seinem Kollegen auf dem Fuhrwerk hochhievte.

»Kava«, wiederholte der Kaufmann verächtlich. »Habt Ihr jemals davon gehört? Nein! Niemand hat das! Alles, was ich weiß, ist, dass ich auf eine Schiffsladung Reis und Gerste gewartet habe. Drei Monate lang habe ich darauf gewartet - und was habe ich bekommen? Ein paar Beutel Gerste, zwei Beutel Weizen und eine ganze Ladung von wertlosen Kava-Bohnen.«

Engelbert, der kaum zu atmen wagte, leckte sich die Lippen und fragte: »Könnte es sein, dass diese Kava-Samen vielleicht einen anderen Namen haben?« Er starrte den Mann mit ernstem Blick an und verschränkte die Finger ineinander, als ob er ein Bittgesuch vorbringen wollte. »Kaffee ... vielleicht?«

»Ich nehme es an«, erwiderte der erschöpft wirkende Getreidekaufmann resigniert. »Wer weiß das schon? Und wen kümmert's? Reis ist das, was ich brauche. Was soll ich nur mit diesen vermaledeiten Samenkörnern anfangen?«

Engelbert betrachtete den Haufen Säcke; es waren mindestens zwanzig. »Glaubt Ihr, es würde Euch zu viele Unannehmlichkeiten bereiten, wenn Ihr mir erlaubtet, diesen Samen genauer zu untersuchen?«

»Nur zu«, meinte der Kaufmann.

Engelbert bückte sich über den offenen Sack, spähte hinein und besah sich die Masse aus blassgrünen Kügelchen. Er zog das Bild aus seiner Tasche, das Mina für ihn gezeichnet hatte, und verglich es mit den Körnern im Sack. Sie ähnelten mehr oder weniger den gemalten Kaffeebohnen. Mit zitternden Händen hob er ein paar Bohnen hoch und hielt sie ins Sonnenlicht. Es gab keinen Zweifel: Das waren Kaffeebohnen.

»Mein lieber Herr«, sagte Etzel und räusperte sich. »Es besteht die Möglichkeit, dass wir uns gegenseitig helfen können. Ich wäre bereit, Euch diese Bohnen abzukaufen.«

»Ihr wollt sie kaufen?«, fragte der Kaufmann verwundert. »Wirklich?«

»Zufällig bin ich ein Bäcker und habe eine Verwendung für so etwas wie diese Bohnen. Ich kann Euch nicht viel anbieten - wohlgemerkt -, aber ich werde Euch zahlen, was ich kann.«

Der Handel wurde nicht auf der Stelle abgeschlossen. Trotz seiner Klagen wusste der Kaufmann nur allzu gut, wenn er eine Handelsware besaß, die irgendjemand gerne haben wollte und für die der Betreffende bereit war, gutes Geld zu zahlen. Die Verhandlungen nahmen ein wenig Zeit in Anspruch und waren erst dann abgeschlossen, nachdem man in einer nahe gelegenen Hafenschenke ein reichliches Mahl mit Würsten und Sauerkraut zu sich genommen hatte. Doch zum Schluss wurde eine Vereinbarung getroffen und der Verkauf mit etlichen Krügen Weizenbier feierlich begossen. Der Nachmittag war bereits weit fortgeschritten, als Engelbert den letzten von dreiundzwanzig Säcken auf seinen Wagen lud, den Getreidekaufmann auszahlte und anschließend auf den Fahrersitz hochkletterte. Er brach unverzüglich nach Prag auf - er hatte nicht die Absicht, auf irgendetwas zu warten, das sein Glück beeinträchtigen könnte.

Während Engelberts Abwesenheit beschäftigte sich Wilhelmina damit, die Läden in den Hinterhöfen und kleinen Gassen nach Tischen und Stühlen zu durchkämmen. Gelegentlich wurde sie von der Fremdartigkeit der Welt, in der sie sich vorfand, aufs Neue überwältigt. Dann musste sie jedes Mal innehalten, um wieder zu Atem zu kommen. Sie weigerte sich, darüber nachzudenken, wie es nur geschehen konnte, dass sie jetzt an diesem Ort und in dieser Zeit war. Es war in der Tat so: Sie konnte nicht über ihre besondere missliche Lage nachsinnen - es sei denn, sie tat es in ganz kleinen Stücken. Die bloße Vorstellung war so ungeheuerlich und unfassbar, dass Mina von ihr einfach überfordert wurde. Daher zog sie es vor, sich ihrer haarsträubenden Situation nur in ganz kleinen Dosen zu stellen.

Nichtsdestotrotz trat, während die Tage vergingen, ein einzigartiger Gedanke in ihr Bewusstsein, der ihr ein gewisses Maß an Trost zu geben schien: Wie auch immer sie letzten Endes in diese außergewöhnliche Lage gebracht worden war - und obgleich sie es nicht ertragen konnte, darüber nachzudenken -, es fühlte sich in irgendeiner Weise für sie richtig an. Genauer ausgedrückt: Sie fühlte sich nun auf eine Weise als sie selbst, wie sie es schon seit sehr langer Zeit nicht mehr gekannt hatte. Obwohl es anfänglich äußerst seltsam war, in einer völlig anderen Zeit und an einem völlig anderen Ort zu leben - und trotz der totalen Fremdartigkeit, die sie empfand, wohin auch immer ihr Blick fiel -, fühlte sie sich gut: körperlich stark, geistig rege, emotional stabil und unheimlich zufrieden. Im Innersten ihrer Seele spürte sie einen tiefen Frieden, den sie sich nicht zu erklären vermochte. Weil dies der Fall war, entschied sie sich, nicht den Fragen nach dem Warum und Wozu nachzuhängen, sondern das Beste aus ihrer Situation zu machen - egal, wie diese sich ihr präsentierte.

Und so nahm Mina ihr Unternehmen mit außerordentlich guter Laune in Angriff. Sie bedrängte ihren Hausbesitzer Arnostovi, eine bestimmte Anzahl kleiner Tassen aufzutreiben, und zwar von der Art, die in Gaststätten eingesetzt wurden, um im Winter Glühwein und heißes Bier zu servieren. Desgleichen sollte er ein ganzes Sortiment von Schüsseln und Tellern erwerben. Ihre Beharrlichkeit und ihre sachlichen Forderungen beeindruckten Arnostovi. Wenn auch widerwillig, erwies er Mina den Gefallen und überbrachte höchstpersönlich drei Kisten mit den angeforderten Gütern. Dabei musste er feststellen, dass die Bäckerei sich in etwas verwandelt hatte, das eher dem Hauptraum einer Gaststätte entsprach - allerdings einer viel helleren, saubereren und gemütlicheren Schenke, als er jemals gesehen hatte. Zudem gab es einen großen Ofen, eine breite Theke sowie viel Licht im Raum.

»Was ist los?«, fragte er. »Wo ist die Bäckerei?«

»Keine Angst!«, erwiderte Mina und begann atemlos mit einem Vortrag über ihr neues ehrgeiziges Projekt, das erste Kaffeehaus in Prag zu gründen. Die Worte sprudelten nur so aus ihr hervor.

»Kaffeehaus?« Arnostovi war verblüfft. »Was ist das - ein Kaffeehaus?«

Anstatt es ihm zu erklären, zwitscherte sie: »Kommt in einer Woche zurück, und ich werde Euch freudig eine der ersten Kostproben unserer neuen Kreation servieren.«

Er war ebenso fasziniert wie beeindruckt und versprach, genau das zu tun.

Als Engelbert mit den kostbaren Bohnen zurückkehrte, hatte Wilhelmina die kleine Seitenstraßen-Bäckerei in ein gemütliches Zimmer mit Tischen und Stühlen, Lampen und Kerzen verwandelt. Es strahlte eine intime Atmosphäre aus - nicht zuletzt auch dank des warmen Dufts von Backwerk.

»Das ist wunderbar!«, rief Etzel aus. »Aber was ist das?«

»Das ist ein Kaffeehaus«, erklärte sie ihm.

Er blickte anerkennend in die Runde. »So sieht also ein Kaffeehaus aus?«

»Nun, ich nehme an, dass so ein Kaffeehaus in Prag aussieht.« Sie begutachtete ihre Arbeit mit einem kritischen Stirnrunzeln. »Warum fragst du? Wie sehen sie denn in Wien aus?«

»Aber Wilhelmina, in Wien gibt es so etwas überhaupt nicht«, antwortete er. Anschließend erzählte er ihr, wie er erfolglos die ganze Stadt durchsucht und dann - als er schon an dem Punkt angelangt war, alles aufzugeben - einen Getreidekaufmann mit den unerwünschten Bohnen getroffen hatte. »Die Vorsehung«, verkündete er in feierlichem Ton, »ist auf unserer Seite. Daran glaube ich fest.«

»Und ich auch«, pflichtete Mina bei. »Wir werden das erste Kaffeehaus in ganz Europa haben! Zumindest das erste in Prag. So oder so - wir schreiben Geschichte!« Sie schritt zu den zwei großen Säcken, die Etzel zur Türschwelle getragen hatte. »Also, was haben wir hier - schwarze oder grüne Bohnen?«

»Ich habe grüne gekauft«, erwiderte er und fuhr fort, zu erklären, wie selig er sich fühlte, den richtigen Mann mit der richtigen Ware getroffen zu haben. »Grün ist gut, nicht wahr?«

»Grün ist sehr gut. Sogar besser als schwarz, wie ich nun bei genauerem Nachdenken zugeben muss. Die Bohnen müssen natürlich geröstet werden. Dafür können wir den Backofen nehmen. Alles, was wir jetzt noch brauchen, ist etwas, womit man sie mahlen kann. Was glaubst du - können wir irgendwo eine robuste Handmühle bekommen? Vielleicht eine von der Art, die man für harte Körner benutzt?«

»Ja, ich kenne diese Art von Mühlen, die du meinst«, antwortete er, was Minas Laune erheblich steigerte, denn sie war sich überhaupt nicht sicher gewesen, was sie selbst eigentlich genau meinte. »Wenn wir keine finden können, werde ich selbst eine anfertigen«, erklärte Etzel. »Das ist überhaupt nicht schwer.«

»Dann überlasse ich diese Aufgabe dir.« Sie streckte die Hand nach einem der beiden Säcke aus und legte die Finger um die Kordel, mit der man ihn zugebunden hatte. »Ich werde gleich mit dem Rösten anfangen.« Sie versuchte, den Sack anzuheben, und zerrte mit größter Anstrengung an der schweren Last.

»Nein, nein, ich mach das«, sagte Etzel und trat rasch an ihre Seite. Er lächelte.

Es war schön, zu sehen, wie das Leuchten in seinen Augen zurückkehrte - nach so vielen Tagen der Trübsal und Verzweiflung.

»Das ist keine Arbeit für eine Frau«, betonte er.

Sie dankte ihm und schritt hinter ihm her, als er sich die Last mit Leichtigkeit auf die Schulter hievte und in die Küche beförderte. Dort schnürte er den Sack auf, breitete das Leinen oben auseinander und rollte es vorsichtig ein wenig nach unten.

Mina starrte auf die gewaltige Menge blassgrüner Bohnen. »Guck dir all die kleinen Lieblinge an«, murmelte sie. »Jetzt werden wir sie in schwarzes Gold verwandeln.«

Die Zeitwanderer
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