SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Rudolf, König von Böhmen und Ungarn, Erzherzog von Österreich und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, klopfte mit seinen langen Fingern ungeduldig auf die Armlehnen seines Lieblingsthrons. Er hasste es zu warten. Und doch schien es, dass die Hauptarbeit des höchst mächtigen Herrschers des Heiligen Römischen Reiches eben nicht das Herrschen war, sondern das Warten. Tagtäglich - an jedem Tag, den ganzen Tag lang - lief das Leben eines Kaisers auf wenig mehr hinaus als auf eine Reihe kurzer Unterhaltungen, die von lang andauernden Intervallen des Nichtstuns unterbrochen wurden. Er wartete darauf, dass Audienzen abgehalten wurden; er wartete auf seine Edikte, die ratifiziert und ausgeführt werden sollten; er wartete auf Minister, die entsprechend seiner Entscheidungen handeln sollten; er wartete auf Antworten auf seine vielfältigen Botschaften; er wartete, während die gewaltigen Räder der Regierung sich langsam drehten, dass diese ein Ergebnis - zumindest irgendein Ergebnis - zuwege brachten ... Und so ging es weiter und, soweit er es vorhersehen konnte, immer weiter.
Das Beste, was man erhoffen konnte, war, all dieses Warten in produktivere Mengen zu organisieren, sodass sich so viele Verzögerungen wie möglich überlappten. Rudolf liebte es zu glauben, dass die untätigen Perioden sich auf diese Weise produktiver gestalteten, als wenn sie einzeln auseinandergezogen wären. Beispielsweise wartete er gerade jetzt auf das Trocknen von Farbe, auf die erste Audienz des Tages und auf eine Nachricht aus Wien über die Geburt eines Kindes von seiner Geliebten. Sein Porträt wurde derzeit fertiggestellt, und der Künstler bestand darauf, dass er, Rudolf, wartete, bis die Farbe sich abgesetzt hatte, und zwar in unveränderter Pose, falls Verfeinerungen am Bild erforderlich sein sollten. Gleichzeitig erwartete er seinen wichtigsten Alchemisten, der ihm mit den Ergebnissen der letzten Experimente aufwarten sollte. Und zudem war die hochschwangere Katharina nach Wien geschickt worden, um sein Kind zu gebären, dessen Ankunft unmittelbar bevorstand. Später konnte er sich darauf freuen, auf seine Minister zu warten, die ihm den Status seiner Staatskasse präsentieren sollten, sowie auf seinen Freund Prinz Leopold von Schwaben, der zu seinem alljährlichen Besuch und der Jagd eintreffen würde, und auf die Kutsche, mit der er zur Oper fahren wollte, um dort einen unterhaltsamen Abend zu verbringen.
Ein voller und produktiver Tag des Wartens breitete sich vor ihm aus.
»Wie lange dauert es noch?«, erkundigte er sich - die Frage bezog sich auf die Farbe. Allerdings war dies ein so gewohnter Satz auf seinen Lippen, dass sich seine Höflinge nicht verpflichtet fühlten, darauf mit irgendeiner Form von präziser Antwort zu reagieren.
»Nicht lange, Majestät«, antwortete der Künstler Arcimboldo und strich ein Tuch sanft über die Oberfläche der Leinwand. »Es ist bald so weit. Sehr bald.«
Der heilige römische Kaiser seufzte und setzte das Trommeln mit den Fingern fort. Der Künstler beschäftigte sich damit, Farben auf einer Palette zu mischen. Eine Ewigkeit verstrich; und der Kaiser war schon an dem Punkt angelangt, noch einmal zu fragen, wie viel länger er noch warten musste, bevor er aufstehen konnte, als es laut an der Zimmertür klopfte und der Audienzmeister erschien.
»Vergebt mein Eindringen, Eure Majestät«, verkündete er. »Aber Herr Doktor Bazalgette bittet inständig um das Vergnügen Eurer Aufmerksamkeit.«
»Es sei ihm gewährt«, erwiderte Rudolf. »Gebietet ihm, sofort einzutreten.«
Der Höfling verbeugte sich und schritt rückwärts wieder hinaus. Anschließend geleitete er Balthasar Bazalgette, den Ersten Oberalchemisten des Kaisers, in den Raum. Bazalgette war ein korpulenter Mann mittleren Alters, der nicht nur die Wangen eines fetten Schweins besaß, sondern auch üppige Augenbrauen, die der Künstler sich wohl für eine Porträtarbeit gewünscht hätte. Zudem war er ein Mann von immenser Gelehrsamkeit und nicht geringer Großspurigkeit. Wenn man jedoch bereit war, das Letztere zu übersehen, fand man unter der voluminösen Samtrobe einen Mann von großem Fleiß, der mit vorbildlicher Aufrichtigkeit seiner Bestimmung nachging. Jedenfalls hätte es vielen religiösen Eiferern gut zu Gesicht gestanden, sich einer vergleichbaren Wahrheitsliebe zu befleißigen.
»Bazalgette!«, rief Rudolf, der glücklich war, endlich die Warteschleife unterbrochen zu haben. »Kommt her zu Uns!«
Der Erste Oberalchemist fegte in einem Sturm wallender Gewänder durch den Raum; in der Eile geriet sein hoher, mit Pelz verbrämter Hut in eine Schieflage. »Gute Neuigkeiten, Eure Majestät! Ich bringe Euch eine sehr ermutigende Nachricht. Wir haben bei der Herstellung des Elixiers der Weisen Erfolge zu vermelden. Unsere Experimente können nun ohne Verzögerung weitergeführt werden.«
»Das ist wirklich eine gute Neuigkeit«, pflichtete Rudolf ihm bei. Er mochte alles, was versprach, die gefürchtete Verzögerung zu verringern - egal, um welche ihrer heimtückischen Formen es dabei ging. »Setzt Euch.« Er wies auf den in seiner Nähe stehenden Hocker des Malers. »Berichtet Uns alles darüber.«
»Mit Freude, Majestät«, sagte der Alchemist und zog den Hocker noch näher an den Thron. »Wie Ihr Euch von unserer letzten Unterredung her entsinnen werdet, liegt die Hauptschwierigkeit bei der Herstellung von rotem Schwefel in der innewohnenden Instabilität der einzelnen Ingredienzien.«
»Ja«, bestätigte Rudolf, »Wir entsinnen Uns recht gut dieser Unterredung.«
»Allerdings liegt ein anderer Teil der Schwierigkeit in der Sicherstellung einer ausreichenden Quantität von verkoteter Erde, die benötigt wird, um das rechte Öl zu produzieren.«
»Natürlich.« Rudolf nickte. Alchemie war eine komplizierte Angelegenheit. Er wunderte sich, dass überhaupt irgendjemand bei Verstand bleiben konnte angesichts solch einer gewaltigen, unerbittlichen und verzwickten Komplexität.
»Durch eine glückliche Fügung des Zufalls«, berichtete Bazalgette mit zunehmender Erregung, »war mein Assistent - erinnert Ihr Euch an den jungen Rosenkreuz? - in diesem neuen Kaffeehaus am großen Platz. Und dort verschaffte er sich mit Geschick eine beträchtliche Menge von einer neuen und bis dato unbekannten Substanz - einer bitteren Erde, die Kaffeesatz genannt wird.«
»In der Tat?« Die kaiserlichen Augenbrauen hoben sich leicht überrascht. »Wie äußerst unternehmenslustig von ihm.«
»Er ist ein höchst tüchtiger Assistent«, lobte der Oberalchemist wohlwollend, wohl wissend, dass ein Großteil des Lobs auf ihn zurückfallen würde. »Wir haben bereits angefangen, mit der Substanz zu experimentieren, Majestät. Und obgleich eine vollständige Untersuchung einige Zeit in Anspruch nehmen wird, bin ich erfreut, berichten zu können, dass die vorläufigen Ergebnisse äußerst vielversprechend zu sein scheinen.«
»Wir haben von diesem Kaffee gehört«, sinnierte der Kaiser. Dann wandte er das Gesicht zur Tür hin und rief: »Ruprecht!«
Die Tür öffnete sich augenblicklich, und der Audienzmeister erschien. »Majestät? Ihr habt gerufen?«
»Wir haben von diesem Kaffee gehört, nicht wahr?«
»Ich glaube schon, Majestät.«
»Aber Wir haben nicht davon getrunken?«
»Nein, Majestät. Bisher noch nicht.«
»Bringt uns etwas davon!«, befahl Rudolf und fügte sogleich hastig hinzu: »Noch heute! Ohne Verzögerung.«
»Es wird geschehen, Eure Majestät«, beteuerte der Audienzmeister mit beinahe singender Stimme.
»Wenn ich unterbrechen darf, Majestät«, erlaubte sich der Alchemist zu sagen. »Ich habe mir bereits die Freiheit genommen, die Inhaber dieses Kaffeehauses einzuladen, mich bei Hofe zu besuchen und darüber zu sprechen, dass sie uns mit der bitteren Erde für unsere Experimente versorgen. Da ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit von unschätzbarem Wert für unsere Untersuchungen ist, dachte ich, wir sollten ihnen eine Ehre erweisen, um uns auf diese Weise besser ihre zukünftige Gewogenheit zu sichern - für die Unterstützung und den Fortschritt des großen Werks.
Rudolf lächelte. »Gut mitgedacht, Bazalgette.« Dem wartenden Ruprecht befahl dann der Kaiser: »Schickt zur vereinbarten Zeit eine Kutsche zu ihnen und stellt sicher, dass sie etwas von diesem Kaffee mitbringen. Wir würden ihn gerne probieren.«
»Es wird geschehen, Majestät.«
Rudolf wandte sich noch einmal zum Alchemisten und sagte: »Es ist ein bedeutsames Zeitalter, in dem Wir leben, nicht wahr?«
»In der Tat, Majestät«, pflichtete der Alchemist ihm bei. »Erst recht, wenn ich Euch erzähle, dass ich genau an diesem Morgen Nachricht von einem meiner Bekannten erhalten habe, der bald in Prag sein wird. Er wünscht, dass sich bestimmte Mitglieder unserer erleuchteten Bruderschaft an der Konstruktion einer Vorrichtung beteiligen, die seine astralen Untersuchungen voranbringen wird.«
Rudolf blinzelte den Alchemisten an. »Was für Untersuchungen?«
»Astrale, Majestät«, antwortete Bazalgette. »Die ätherischen Reiche, wie Ihr auch sagen mögt. Es scheint, dass er gerade jetzt die Mittel vervollkommnet, um astrale Ebenen zu bereisen. Und er wünscht unsere Hilfe, um seine Bemühungen voranzubringen.«
»Geistreisen?«, fragte Rudolf. Dies erschien ihm an sich schon wenig Erfolg versprechend und von geringem Interesse zu sein.
»Oh nein, Majestät«, entgegnete der Alchemist rasch. »Es geht darum, sich körperlich durch verschiedene Ebenen und Dimensionen der Existenz zu bewegen. Ich glaube, er kann diese Fähigkeit demonstrieren.«
»Das würden Wir gerne zu sehen bekommen«, erklärte Rudolf, dessen Interesse geweckt war.
»Zweifellos wird sich dies arrangieren lassen«, bot Bazalgette an.
»Zitiert ihn zu Uns herbei«, befahl der Kaiser. »Wir werden ihm einen Platz hier im Palast gewähren, wenn er dies wünschen sollte. Wir möchten sehen, was er zu tun vermag, dieser Astralforscher. Es mag sein, dass sich diese Art zu reisen als wahrer Segen für die Menschheit erweisen könnte, falls man imstande ist, sie endgültig zu vervollkommnen.«
»Ich hätte es nicht besser selbst sagen können, Majestät«, pflichtete der Alchemist ihm bei. »Ich werde mich seiner unverzüglich annehmen, sobald er in der Stadt ankommt.«
»Gut. Sprecht mit Ruprecht. Wir würden ihn gerne treffen.«
»Natürlich, Majestät.«
»Entschuldigt, Eure Majestät«, sagte der Hofmaler Arcimboldo. »Niemals würde ich es wagen, Euch zu unterbrechen - aber Ihr habt mich aufgefordert, Euch mitzuteilen, wenn das Porträt so weit fertig ist, dass es betrachtet werden kann. Für den heutigen Tag habe ich die Arbeit beendet. Wenn Ihr es also zu sehen wünscht, biete ich es Euch in aller Demut zu Eurer Prüfung an.«
»Kommt, Balthazar, lasst uns sehen, wie sich dieses Porträt entwickelt.« Der Kaiser stand auf und ging zur Staffelei des Künstlers hinüber. »Erzählt uns, was Ihr denkt«, forderte er den Alchemisten auf und warf ein kritisches Auge auf die große Leinwand. »Und zwar die Wahrheit, bitte. Wir wollen keine leeren Schmeicheleien hören.«
»Es ist vorzüglich, Majestät«, merkte der Oberalchemist in ehrfurchtsvollem Tonfall an. »Unzweifelhaft das Werk eines Genies. Schaut nur auf diese Melone - und diese Pfirsiche! Wie wundersam zu erblicken. Die Weintrauben sind eine Offenbarung, wenn ich das so sagen darf. Und der Spargel ist verblüffend.«
Giuseppe Arcimboldo hatte sich einen Namen gemacht, indem er Früchte und Gemüse in einer äußerst bemerkenswerten, naturgetreuen Art und Weise malte. Zuletzt war er auf die Idee gekommen, Porträtgemälde wie Stillleben zu gestalten: Er stellte seine Mäzene und Kunden so dar, als wären sie Anhäufungen von Waren auf einem Marktstand mit Obst und Gemüse. Obwohl dieses Unterfangen immer noch in seinen Kinderschuhen steckte, hoffte man, dass der Stil sich durchsetzen würde.
»Diese Birne da«, sagte Rudolf und zeigte auf eine lange Frucht im Zentrum der Leinwand. »Was für eine Art ist das?«
»Es ist eine Florentiner Birne, Majestät. Eine italienische Sorte.«
»Glaubt Ihr, dass eine italienische Birne eine angemessene Wahl für Unsere Nase war?«, fragte Rudolf. »Lässt die Form dieser Birne Unsere Nase nicht knollig erscheinen?«
»Ganz und gar nicht, Majestät«, antwortete der Alchemist. »Mit Pfirsichen als Wangen ist eine Birne anstelle der Nase vollkommen sinnvoll.«
»Aha. Aber würde eine Feige nicht besser sein?«
»Vielleicht eine türkische Feige -«
»Sprecht zu Uns nicht von den Türken!«, blaffte der Kaiser. »Wir haben alle türkischen Dinge gründlich satt.«
»Es tut mir leid, Eure Majestät«, entschuldigte sich Bazalgette rasch. »Bitte vergebt mir.«
»Und dann gibt es da noch das Problem mit der Farbe«, deutete der Künstler taktvoll an. »Reife Feigen sind violett, versteht Ihr.«
»Lasst es so stehen, wie es da ist«, gebot Rudolf.
»Eine weise Entscheidung, Majestät«, erklärte der Alchemist. »Das Gemälde nähert sich der Perfektion. Ich habe das Gefühl, als könnte ich meine Hand ausstrecken und diese Artischocke da ergreifen ... oder die Rosen dort riechen.« Er war glücklich über die Chance, die Erwähnung der verhassten Türken in den Hintergrund zu rücken. »Und die Aubergine ... Oh, die Aubergine ist ein herrliches Beispiel ihrer Art.«
»Ja«, stimmte der Kaiser zu. »Es ist wirklich meisterhaft.« Er drehte sich halb zum Maler um und verkündete: »Gut gemacht, Meister Arcimboldo. Ihr übertrefft Eure eigene Kunst.«
»Habt Dank, Eure Erhabene Majestät«, erwiderte der Künstler, der weiterhin sein Werk betrachtete. »Euer Lob ist Speis und Trank für mich.«
»Wir werden Euch morgen wiedersehen«, beschied ihm Rudolf und schritt weiter über den breiten Boden aus poliertem Nussbaumholz zur Zimmertür. Sie wurde von einem der beiden Pagen geöffnet, die in Habachtstellung neben ihr standen. Der Kaiser marschierte hindurch und betrat den mit Spiegeln geschmückten Korridor. Unvermittelt wandte er sich zu seinem Oberalchemisten um, der ihm in einem Abstand von zwei Schritten gefolgt war, und sagte: »Wir erwarten, dass Ihr Uns unterrichtet, wenn dieser Reisegesell ankommt. Wir wünschen auf das Leidenschaftlichste, mit ihm zu sprechen.«
»Selbstredend, Majestät«, versicherte Bazalgette mit einer ehrerbietigen Verbeugung. »Es wird eine höchst interessante intellektuelle Begegnung sein, und ich heiße sie mit größter gespannter Erwartung willkommen.«
Der Kaiser schnipste leicht mit der Hand zum Zeichen, dass sein Höfling entlassen war. Anschließend schritt er, nun geleitet von der majestätischen Gestalt seines Audienzmeisters und den zwei jungen Pagen, weiter den Korridor entlang.
»Ach, Bazalgette!«, rief er über die Schulter nach hinten. »Vergesst nicht den Kaffee. Uns verlangt es sehr, diesen Kaffee zu trinken.«
»Sorgt Euch um nichts, Majestät«, erwiderte der Erste Oberalchemist. »Es wird geschehen.«