VIERUNDDREISSIGSTES KAPITEL
Es ist wirklich wahr!«, schrie Lady Fayth. »Wir haben es -«
Die Übelkeit holte sie ein, bevor sie den Satz beenden konnte. Schnell wandte sie sich ab, beugte sich nach vorn und übergab sich. Obgleich Kit Mitleid für sie empfand, bewunderte er sie zugleich dafür, wie sie sogar dabei die Form wahrte.
Auch Giles überkam der Brechreiz: Der stämmige Kutscher schwankte erst auf den Füßen und fiel dann auf Hände und Knie, bevor er den Inhalt seines Magens in den Staub neben der Straße leerte.
»Versucht nicht, dagegen anzukämpfen«, riet Kit, der wie ein Kriegsveteran klang. »Atmet nur tief durch die Nase. Mit der Zeit macht es Euch nicht mehr so viel aus.«
Dieser wohlgemeinte Rat wurde von Lady Fayth ausgesprochen kühl aufgenommen. »Ihr seid ein Schuft!«, murmelte sie, sobald sie wieder sprechen konnte. Sie tupfte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Ihr wusstet ganz genau, dass uns davon übel würde.«
»Nun, ja, unglücklicherweise ist dies eher der Fall -«
»Ihr hättet uns warnen sollen!«
»Ich dachte, ich hätte es«, antwortete Kit; es war eine wenig überzeugende Ausrede. »Etwa nicht?«
»Mit absoluter Sicherheit nicht!«, schäumte sie. »An solch eine hervorstechende Information hätte ich mich erinnert.«
»Dann möchte ich mich in aller Form entschuldigen, Mylady«, erwiderte Kit steif. »Ich befürchte, es gehört zum Wesen eines solchen Sprunges. Er treibt Unfug mit Eurem inneren Orientierungssystem.«
Sie funkelte ihn an. »Worüber stammelt Ihr?«
»Man fühlt sich dadurch seekrank«, erklärte er. »Doch die Empfindung geht rasch vorbei, und es scheint, dass man sich schließlich daran gewöhnt. Ich fühle mich ganz normal, seht Ihr?«
»Wie schön für Euch.« Sie schnaubte. Dann wandte sie ihre Augen von Kit ab, den sie für die Quelle ihres Unbehagens hielt, und nahm den Anblick der Sphinxen in sich auf. »Himmel!«, keuchte sie. »Wo sind wir?«
»Ich glaube, irgendwo in Ägypten«, antwortete Kit und schaute danach zu Giles, der immer noch im Staub kniete. »Wie fühlt Ihr Euch?«
Der Diener nickte und kam etwas wackelig wieder auf die Beine; seine Haut hatte einen wächsernen Farbton angenommen. »Besser«, antwortete er ohne Überzeugung.
Kit warf einen Blick auf ihre Umgebung. Eine ödere Landschaft hätte er sich nicht vorstellen können. Nicht ein einziges Blatt oder Zweiglein von irgendeinem grünen Gewächs war zu sehen, nichts als der leere Himmel über ihnen und karge, mit Felsen bedeckte, staubige Hügel um sie herum. Niemand war in der Nähe, und es gab keinerlei Anzeichen einer menschlichen Wohnstätte - mit Ausnahme des riesigen schwarzen Vierecks eines Eingangs, der am Ende der von Sphinxen gesäumten Allee in die Seite eines graubraunen Hügels gehauen worden war.
»Es sieht aus wie ein Tempel oder wie eine Totenstadt oder so etwas«, bemerkte Kit. »Wenn Cosimo und Sir Henry ebenfalls hier gelandet sind, haben sie vielleicht dort Schutz gesucht. Ich meine, wir sollten dort nachforschen, also nachsehen, ob wir etwas herausfinden können.«
Nachdem sie sich die Bündel mit ihrem Proviant und den Waffen über die Schultern gelegt hatten, machten sich die drei auf den Weg zum Tempel. Sie gingen zwischen den Pranken der liegenden Sphinxe, deren steinerne Gesichter mit unnahbarer und unerschütterlicher Würde blickten. Auf den Sockeln mancher Statuen waren Hieroglyphen zu sehen, und einige Sphinxe hatten augenfällig eine starke Abnutzung durch Sandstürme oder einfach durch den Zahn der Zeit erlitten - Sprünge und Risse im Stein, beschädigte Tatzen oder Gesichter. Aber die meisten von ihnen waren in einem ziemlich guten Zustand.
Sie gingen weiter die staubige Straße entlang und achteten aufmerksam auf jedes mögliche Geräusch oder auf Bewegungen um sie herum. Die frühmorgendliche Brise war zwar immer noch kühl, doch sie enthielt bereits die Androhung der kommenden Hitze. Irgendwo von hoch oben wehte der einsame Schrei eines räuberischen Bussards herab. Als sie näher herangekommen waren, sahen sie, dass der Tempeleingang sich auf übereinanderliegenden Plattformen erhob, die niedrige Stufen bildeten. Sie führten hoch zu einer wuchtigen Tür, die von zwei gewaltigen Statuen bewacht wurde: Die eine war die eines Mannes mit einer großen, federgeschmückten Kopfbedeckung und einem Henkelkreuz in der Hand, die andere die eines Mannes mit dem gestreiften Kopftuch und dem reich verzierten Schurz eines Pharao. Eingeschüchtert durch die gähnende Leere des Eingangs und seinen gigantischen Wächtern, hielten die drei am Fuße der Stufen an.
»Sollen wir?«, fragte Kit.
»Ich glaube, es wäre nur recht, wenn Ihr zuerst hineingeht«, schlug Lady Fayth vor.
»Na klar.« Er stieg die Stufen zum Eingang hinauf und versuchte, ins dunkle Innere des Tempels zu spähen. »Hallo?«, rief er. »Ist da jemand?«
Keine Antwort.
Seine Stimme hallte durch das leere Innere wider und verklang in den düsteren Tiefen des aus dem Felsgestein gehauenen Gebäudes.
»Es ist sicher«, verkündete er und gab den anderen ein Zeichen, sich ihm anzuschließen. »Hier ist keiner. Wir haben den Ort für uns alleine.«
Kit betrat den Tempel. Die Luft war trocken und kühl, das Licht schummrig. Die Decke war stellenweise durchbohrt worden, wodurch das Sonnenlicht schachtförmig in die innere Dunkelheit eindringen konnte. Es beleuchtete einen richtigen Wald aus Steinsäulen. In einem der rechteckigen Lichthöfe war ein primitiver Tisch errichtet worden, für den man Bausteine des Tempels und ein altes Plankenstück genutzt hatte. Staubige Teppiche lagen in einem Haufen neben dem Tisch. Der Sockel der nächsten Säule war schwarz vom Ruß, offenbar hatten dort Feuer gebrannt.
»Jemand ist hier gewesen«, stellte Kit fest.
»Mehr als nur ein Jemand, würde ich sagen«, fügte Giles hinzu und zeigte auf einen Bereich mit Fußabdrücken im Bodenstaub. »Und vielleicht vor nicht einmal allzu langer Zeit.«
»Es gibt hier alle Größen.« Kit beugte sich herab, um sich die Abdrücke aus der Nähe anzuschauen.
Die meisten von ihnen zeigten Spuren von einfachen Schuhen ohne Absätze - höchstwahrscheinlich von Sandalen -; und einige waren von nackten Füßen hervorgerufen worden. Viele Abdrücke waren verwischt und zertreten, was darauf hindeutete, dass hier Leute umhergeschlendert waren.
Kit richtete sich wieder auf und schaute sich um. »Sir Henry und Cosimo waren vielleicht auch hier, doch es gibt keine Möglichkeit, dies mit Sicherheit festzustellen.«
»Ob sie hier waren oder nicht, das ist irrelevant«, betonte Lady Fayth. »Jetzt sind sie nicht hier.« Sie drehte sich bedächtig im Kreis und ließ ihren Blick durch das schummrige, höhlenartige Innere schweifen. »Und hier gibt es sonst nichts von Interesse.«
»Dann führen wir die Suche fort.« Kit wandte sich um, spazierte zum Eingang zurück und trat hinaus auf die Stufen; die beiden anderen kamen hinter ihm her. »Vielleicht sollten wir die Beutel hierlassen, während wir uns umschauen.« Er schaute zu Giles, der mit dem Kopf schüttelte. »Nein?«
Kit folgte dem Blick des Kutschers und sah, dass entlang der Sphinx-Allee eine Reisegesellschaft auf sie zukam, zu der mindestens acht Kamele gehörten. Die großen Tiere waren von einer kleinen Armee von Menschen umgeben, die auf Eseln ritten oder zu Fuß gingen.
»Oh«, entfuhr es Kit. »Es sieht so aus, als bekämen wir Gesellschaft.«
»Eine echte ägyptische Karawane«, sprudelte es aus Lady Fayth hervor. »Wie aufregend!«
Sie standen wartend da und sahen zu, wie die Parade näher kam. Dabei wurde klar, dass die Gruppe auf den Tempel zuhielt und dass sie, zu Lady Fayths Enttäuschung, gar keine exotische Wüstenkarawane war, sondern eine Touristenschar; bei den Ägyptern unter ihnen handelte es sich um Führer und Bettler. Das Leitkamel hielt ein paar Dutzend Yards vor dem Tempeleingang. Anschließend brachten die Kamelreiter ihre Tiere dazu, sich hinzuknien, sodass die Besucher absteigen konnten.
Die Aufmachung der Neuankömmlinge passte zu einem kleinen Tagesabenteuer: Sie waren in aufwändige khakifarbene Wüstenmonturen gekleidet, zu der Jacken mit vielen Taschen und locker sitzende Hosen gehörten, die man in große Stiefel gestopft hatte. Die Männer trugen Tropenhelme und Reitgerten, die Frauen breitkrempige Hüte, die von hauchdünnen Tüchern festgehalten wurden, und Fliegenklatschen. Die Ägypter hatten einfache weiße Gewänder und doppelt festgeschnallte Sandalen an; ein paar trugen karierte Turbane zur Schau.
»Beim Jupiter!«, schrie einer der Männer, schwang sein Bein über den Sattelknauf und glitt zu Boden. »Er ist umwerfend! Jemand sollte eine Fotografie von mir am Eingang machen, was!«
»Richtige Touristen«, meinte Kit. Als er den verständnislosen Blick von Lady Fayth bemerkte, fügte er hinzu: »Es sind Reisende. Sie sind gekommen, um den Tempel zu sehen.«
»Wer auch immer sie sind«, bemerkte sie, »sie reden eine Sprache, die dem Englischen sehr ähnlich ist.«
»Das ist wahr«, erwiderte Kit. »Bleibt hier - alle beide. Ich werde mit ihnen sprechen.« Er begann, auf den Mann zuzugehen, der die Gruppe anzuführen schien. »Hallo!«, rief er und winkte dem Burschen zu. »Hallo! Darf ich fragen, woher Sie kommen?«
Der Mann drehte sich um und sah die drei Reisenden zum ersten Mal. »Auf mein Wort!«, rief er aus. »Sie sind schrecklich früh hier. Hören Sie mal! Die haben uns gesagt, wir hätten den Platz hier für uns alleine.«
»Nun ja, wir wollten hier sein, bevor ... bevor es zu heiß wird, verstehen Sie.«
»Ja, durchaus«, erwiderte der Mann und blinzelte zur Sonne hoch. »Wir kommen von der Königin Hatschepsut.« Er bemerkte, dass Kit verwirrt die Stirn runzelte, und fügte hinzu: »Das ist ein Boot. Auf dem Nil - direkt hinter diesen Hügeln da.« Der Mann wedelte wenig präzise mit dem Arm nach hinten. »Und Sie? Gestern Abend habe ich kein anderes Boot am Liegeplatz gesehen.«
»Nein, wir sind zu Fuß unterwegs.« Kit beobachtete, wie Gestalten in Lumpen damit begannen, um ihn herumzuschwärmen.
»Ah! Eine Trekkingtour, was?«
»Etwas in der Art«, gestand Kit ein. »Wir haben gehofft -«
Bevor Kit den Satz beenden konnte, wurde er von einer Bande kleiner Schmutzfinken bedrängt - barfüßige, halbnackte Bettlerkinder, von denen jedes laut zeterte, damit es trotz der anderen gehört wurde. Sie packten seine Hemdsärmel und schrien: »Mister! Mister! Du Englisch, Mister? Du Englisch? Du haben Schillinge, Mister? Schillinge!«
»Tut mir leid, nein«, erklärte Kit. »Keine ... keine Schillinge. Tut mir leid.«
»Schillinge, Mister! Du haben Schillinge! Geben, Mister. Geben.«
»Ich habe keine Schillinge«, sagte Kit, diesmal mit größerem Nachdruck. »Keine Schillinge.«
Ein Dutzend kleiner Hände schnappte nach seinen Ärmeln und der Hose; schmale Finger schlängelten sich in seine Taschen hinein.
Er hob seine Arme, sodass sie außerhalb der Reichweite dieser Schmuddelkinder waren, und trat zurück. »Schaut, ich habe kein Geld, versteht ihr? Kein Geld. Keine Schillinge.«
»Geben, bitte. Mister, geben!«
»Sieht so aus, als ob Sie doch etwas haben, alter Freund!«, rief der Anführer der Tour. Kichernd ging er zurück, um sich seiner Gruppe wieder anzuschließen; die Touristen waren inzwischen abgestiegen und gingen nun auf den Tempel zu. »Sie werden ihnen etwas geben müssen, um sie loszuwerden.«
»Danke für Ihre Hilfe!«, schrie Kit, der immer noch versuchte, sich aus den Klauen der beharrlichen jungen Landstreicher zu befreien.
Seine Anstrengungen erregten die Aufmerksamkeit einiger älterer Jungs mit Eseln. Sie ritten ihre kleinen Tiere in die belagernde Menge, schnalzten mit den Zungen und schlugen mit Gerten, die aus Palmwedeln gemacht waren, hart auf ihre Rivalen ein. »Mister! Du reiten Esel! Wir dich nehmen! Reiten, Mister!«
»Nein, ich will auf keinem Esel reiten«, erwiderte Kit, der weiter zurückwich.
»Was macht Ihr da?«, fragte Lady Fayth und stellte sich an seine Seite.
»Ich habe mich hier ein wenig verstrickt«, antwortete er. »Aber ich arbeite daran.«
»Bitte, reißt jetzt keine Possen«, herrschte sie ihn an und schlug dann vor: »Fragt diese Menschen, ob sie Cosimo und Onkel Henry gesehen haben.«
»Ich war gerade dabei, das zu tun«, entgegnete Kit. »Ihnen entgeht wahrscheinlich nicht viel von dem, was hier in der Gegend passiert.«
»Also?«, forderte sie ihn auf und schlug recht hart die Hände fort, die den Weg in ihre Taschen suchten.
»Entschuldigung!«, rief Kit. »Entschuldigung! Wir suchen zwei Engländer ... Zwei Englisch - große Männer. Hat irgendjemand Englisch-Männer gesehen?«
Seine wiederholten Fragen schienen keinerlei Wirkung auf die grölende Horde zu haben. Doch einer der Jungs mit den Eseln verließ die Meute und kehrte einen Augenblick später mit einem der Kameltreiber zurück.
»Du Englisch?«, rief der Treiber. »Du suchen Männer?«
»Ja«, antwortete Kit und eilte dem Mann entgegen. Sein lärmendes Gefolge bewegte sich mit ihm. »Zwei Engländer. Sie sind vor ein paar Tagen hierher gekommen. Haben Sie sie gesehen?«
Der Kameltreiber nahm den Pulk in Angriff: Mit einem Wort und einem Schnalzen seiner Kamelpeitsche hier und da stoben die bettelnden Kinder unverzüglich auseinander. Anschließend rannten sie los, um die Reisegruppe einzuholen, die gerade den Tempel betrat.
»Alte Männer«, sagte der Ägypter.
»Richtig«, bestätigte Kit. »Alte Männer, und zwar zwei. Einer war ein großer Mann mit welligen weißen Haaren.« Er bewegte die Finger über seinem Kopf, um seine Beschreibung zu veranschaulichen. »Der andere hatte rötliches Haar und einen spitzen Bart.« Seine Finger strichen über einen imaginären Ziegenbart an seinem Kinn. »Sie trugen dunkle Kleidung - schwarze Mäntel.« Er klopfte leicht auf sein eigenes Hemd und seine Kniehose. »Haben Sie sie gesehen?«
»Ja. Sie ich sehen.«
»Wissen Sie, wohin sie gegangen sind? Können Sie uns zeigen, wohin sie gegangen sind?«
»Warum du wollen dies wissen?«
»Sie sind unsere Freunde. Wir sollten sie hier treffen.«
»Sie sind schlechte Männer«, behauptete der Kameltreiber und spuckte aus.
»Nein«, widersprach Kit ihm rasch. »Nein, bitte ... Sie sind gute Menschen. Aber sie sind vielleicht in Schwierigkeiten. Böse Männer verfolgen sie. Wir sind gekommen, um ihnen zu helfen.«
Der Ägypter dachte darüber nach; seine Augen, um die herum sich viele Fältchen gebildet hatten, betrachteten prüfend Kit und seine Begleiter. »Ich nehme euch.«
Kit wandte sich zu Lady Fayth und Giles um und rief: »Er hat sie gesehen. Er sagt, er wird uns zu ihnen bringen.«
»Fünfzig ägyptische Pfund.«
»Ach ja«, sagte Kit. »Warten Sie hier.« Er kehrte zu seinen Gefährten zurück und erklärte: »Ich brauche Münzen. Ein paar Crowns sollten reichen.«
»Sir Henry und Cosimo - der Kerl weiß tatsächlich, wo sie sind?«, hakte Giles nach, als er sich bückte, um einen Beutel aus dem Bündel zu nehmen, das er trug.
»Und er wird uns wirklich zu ihnen bringen?«, fragte Lady Fayth skeptisch.
»Jedenfalls hat er das gesagt«, erwiderte Kit, nahm den Geldbeutel aus Giles' Hand und öffnete ihn. Er schüttete eine Hand voll Geldstücke heraus, ergriff zwei von den größeren Silbermünzen und reichte den Rest zurück. »Das sollte genügen.«
Dann ging er zum Kameltreiber hinüber und hielt die beiden Münzen hoch. »Diese hier erhalten Sie dafür, dass Sie uns mitnehmen, um unsere Freunde zu finden«, erklärte Kit und gab dem Treiber eine Münze. »Und die andere bekommen Sie, wenn wir sie gefunden haben.« Er steckte das zweite Silberstück in seine Tasche. »Einverstanden?«
Blitzschnell ließ der Ägypter seine Münze verschwinden und vollführte eine kleine Verbeugung. »Ich bin Yusuf«, sagte er. »Wir gehen jetzt.« Er drehte sich um und ging auf die Reihe der knienden Kamele zu.
Kit rief den beiden anderen zu: »Kommt schon! Er nimmt uns jetzt mit.«
Sie legten ihre Bündel über die Schultern und beeilten sich, um sich zu ihrem Führer zu gesellen. Bald schon kletterten sie recht unbeholfen auf die schrägen Rücken dreier Kamele hoch, während Yusuf noch bei einem der Burschen einen Esel anforderte. Ohne auch nur einen Blick nach hinten zu werfen, ließen sie sich kurz darauf mit rüttelnden Bewegungen die Sphinx-Allee entlang und in die Wüste hinaustragen.
Von den drei Reisenden meisterte Giles am schnellsten die merkwürdig schwingende, taumelnde Gangart ihrer langbeinigen Reittiere, und wenig später hatte auch Lady Fayth den Dreh heraus. Kit konnte sich nicht ganz dem ruckartigen, wogenden Schwanken anpassen; doch er schickte sich in den ungemütlichen Ritt - und den sehr üblen Geruch, der von seinem Tier ausging.
Die Kamele, die sich beinahe lautlos auf ihren flachen, gepolsterten Hufen bewegten, passierten eine niedrige Anhöhe von staubfarbenen Hügeln; weiter im Westen wellten sich gelbbraune Sanddünen wie die Wogen eines feststehenden Meers. Die Sonne stieg höher und brannte kontinuierlich heißer von einem wolkenlosen Himmel herab. Die Hügelreihe erstreckte sich in die Ferne und verschwand im Silberschimmer des expandierenden Hitzeschleiers.
Schon bald begann Kit sich zu wünschen, dass er daran gedacht hätte, einen Hut mitzubringen - und eine Feldflasche, gefüllt mit etwas Kühlem und Erfrischendem. Es war ein misslicher Gedanke, denn sobald er sich in seinen Kopf eingeschlichen hatte, verwandelte er sich rasch von einer müßigen Fantasie zu einer fixen Idee. Je mehr er an sie dachte, desto stärker beschäftigte sie seinen Geist, füllte ihn aus und trieb alle anderen Gedanken aus ihm heraus. Er hatte das Gefühl, als wäre seine Kehle aus Baumrinde und sein Mund mit Baumwolle vollgestopft. Das, was er sah, erhielt auf einmal einen Rand und verzerrte sich, als würde er durch ein billiges Fernglas sehen.
»Sir?« Kit wurde gewahr, dass ihn jemand rief. »Kit, Sir?«
Er wandte den Kopf und sah, dass Giles nun neben ihm ritt. »Hmm?«
»Alles in Ordnung?«
»Mir geht es gut.« Kit schluckte. »Ich bin ein wenig durstig; das ist alles.«
»Ich fürchte, Sir, dass wir vergessen haben, Wasser mitzunehmen.«
»Ich weiß. Wir werden einfach warten müssen.« Kit drängte sein Reittier nach vorne und kam auf gleiche Höhe mit ihrem Führer. »Ist es noch sehr weit?«, fragte er.
Der dunkelhäutige Ägypter wies auf die von Felsen umrandeten Hügel. »Dort. Nicht weit.«
Kit drehte sich auf seinem Sattel herum und rief zu Giles und Lady Fayth zurück: »Er sagt, wir sind fast da.«
Lady Fayth, die ihr Gesicht mit der Hand vor der Sonne schirmte, nickte mit grimmiger Miene.
Sie ritten noch ein wenig weiter, bis der Führer völlig unerwartet die Richtung änderte und auf die Hügel mit dem zerschmetterten Felsgestein zuhielt, auf die er gezeigt hatte. Als sie sich dem Fuß des nächsten Hügels näherten, sahen sie etwas, das kaum mehr als eine sich öffnende Furche in der Wüste zu sein schien. Yusuf bog in die Spalte ein, und anschließend ritten sie im Gänsemarsch weiter durch eine Rinne zwischen zwei blanken Felswänden - ein Wadi, das durch die ergiebigen Regenfälle einer sehr viel jüngeren Welt in den weichen Stein geschnitten worden war. Innerhalb des Wadis wehte kein Lüftchen, doch zumindest spendeten die hohen Wände sehr viel Schatten. Am Boden der Schlucht war es daher kühler, und Kit fühlte sich, als wäre er zu neuem Leben erweckt. Sie kamen zu einer Stelle, wo der Abstand zwischen den Wänden breiter wurde, und hier hielt ihr Führer an.
»Wir lassen zurück die Tiere«, erklärte er. »Wir spazieren von hier.«
Kit verschwendete keinen Augenblick und kletterte von seinem unangenehmen Hochsitz herab. Er eilte zu ihrem Führer und sagte: »Wir brauchen etwas Wasser.«
»Dort ist eine Quelle«, erwiderte Yusuf. »Ich bringe euch.«
Nachdem sie die Tiere festgebunden hatten, nahmen sie ihre Bündel auf und gingen weiter zu Fuß durch das Wadi. Bald erreichten sie eine Stelle, wo sich die Felswände ein wenig abflachten. Genau hier, in einer Spalte am Fuß einer Wand, hatte man eine tiefe Grube in den massiven Fels geschlagen, die von einem Stein verdeckt wurde. Als sie ihn zur Seite hievten, wurde ein Seil aus geflochtenem Hanf sichtbar. Yusuf zog an der Leine, und ein wassertriefender Ledereimer kam nach oben. Die Flüssigkeit war zwar lauwarm, aber frisch genug. Sie alle löschten ihren Durst, wobei Kit als Letzter trank.
»Ist jeder in Ordnung?«, erkundigte er sich, während er den Eimer ihrem Reiseführer reichte. Als alle nickten, dankte er Yusuf und fragte: »Wie viel weiter ist es noch?«
»Wir gehen ein wenig«, antwortete Yusuf. Dann nahm er einen mitgenommenen Wasserschlauch, füllte ihn mit Wasser und gab ihn Kit. »Hier entlang.«
Sie folgten dem sich sanft schlängelnden Verlauf der uralten Schlucht, die sich immer tiefer in die öden Hügel schnitt. Die blanken Wände aus gestreiftem Felsgestein ragten zu beiden Seiten empor, und manchmal waren ihre oberen Enden so hoch, dass sie vom Boden aus nicht zu sehen waren. Sie schritten unter niedrigen Überhängen hindurch und passierten lange Biegungen; es waren so viele, dass Kit sie nicht mehr zählen konnte.
Schließlich hielt Yusuf an und sagte mit gesenkter Stimme: »Wir müssen klettern.«
Die drei Zeitwanderer schauten sich um. Sie standen an einer Form von Kreuzung, bei der sich ein kleinerer Arm mit einem größeren verband. Die Wände waren hier niedriger und stark erodiert. Während die drei an ihnen hochblickten, sahen sie eine Ansammlung enger Stufen, die an einer Seite in die Felswand geschlagen worden waren. Yusuf machte sich auf den Weg nach oben und forderte die anderen mit einer Geste auf, ihm zu folgen.
Sie erreichten das obere Ende der Wand und gingen weiter auf einem zerbröckelnden, ausgewaschenen Ziegenpfad, der am Rand des Wadis entlangführte. Yusuf führte sie zu einem spindeldürren Akazienbaum und hielt an.
»Sie sind da unten«, erklärte er und wies zum Boden des Wadis. »Ich halten hier.« Er streckte die Hand aus, um die zweite Münze zu erhalten.
»Wir danken Ihnen«, erwiderte Kit und gab ihm das Geldstück. »Wenn wir wieder Ihre Kamele brauchen, werde ich mich nach Ihnen umsehen.«
»A'salaamu 'alaykum«, sagte Yusuf, wandte sich um und wollte fortgehen. Doch er hielt kurz inne, schaute über seine Schulter zurück und fügte hinzu: »Vorsichtig sein, meine Freunde. Sie sind schlechte Männer.«
»Wissen Sie, wie viele da unten sind?«
Der Ägypter dachte einen Augenblick lang nach und hielt dann vier Finger hoch. »Möge Allah der Barmherzige mit euch sein«, erklärte er, während er davoneilte.
Giles blickte sich auf der kargen Felskuppe um und wandte sich anschließend zu Kit. »Was sollen wir jetzt machen, Sir?«, fragte er und nahm sein Bündel ab.
»Lasst uns vorsichtig einen Blick nach unten werfen«, schlug Kit vor. »Aber bleibt außer Sicht und seid still.«
»Wenn es Euch recht ist - wir sind keine Kinder«, merkte Lady Fayth an. »Würdet Ihr es freundlicherweise unterlassen, uns so zu behandeln.«
»Tut mir leid.« Kit wandte sich der klaffenden Spalte zu. »Lasst uns einen Blick hinunterwerfen.«
Sie gingen zum Rand des Felsvorsprungs, krochen die letzten ein oder zwei Yards auf Händen und Knien und wanden sich dann auf ihren Bäuchen, um auf den fünfzig oder sechzig Fuß unter ihnen liegenden Boden des Wadis herabzuspähen. Mit staunenden Augen entdeckten sie die gemeißelten Statuen, die jeweils auf einer Seite eines Eingangs standen, der in das massive Felsgestein der gegenüberliegenden Canyon-Wand gehauen worden war. Zwei weitere Arme des Wadis zweigten nach links und rechts ab: Die drei Reisenden blickten auf einen Kreuzungspunkt von Schluchten, der ein recht breites Dreieck bildete. Die sichtbaren Wände waren durchzogen von Nischen - man sah Hunderte von kleinen, in den Sandstein geschlagenen Vertiefungen.
»Es gibt einen Tempel oder etwas Ähnliches da unten«, merkte Kit leise an.
Gerade als er sprach, kam ein Mann in einem langen weißen Kaftan in Sicht. Er hielt auf dem offenen Areal vor dem Tempel plötzlich inne und schaute sich um. Der Reihe nach warf er einen Blick in die drei einzelnen Gänge des Canyons; fast war es so, als ob er wüsste, dass jemand ihn beobachtete. Doch als er nichts Ungewöhnliches entdeckte, rief er nach einem Gefährten, der nicht in Sicht war, und ging anschließend weiter.
Die drei Abenteurer blieben auf ihrem Beobachtungsposten, doch es passierte nichts mehr. Die Sonne brannte immer unbarmherziger auf ihre ungeschützten Köpfe, sodass sie sich schließlich rückwärts von ihrem Aussichtspunkt fortbewegten und zu ihren Bündeln mit Proviant und Waffen zurückkehrten.
»Nun, ich nehme an, wenn das Kräfteverhältnis vier gegen zwei ist ...«, begann Kit, hielt inne und verbesserte sich dann jedoch hastig: »Vier gegen drei, meine ich natürlich ... dann schlage ich vor, dass wir uns heute Nacht auf den Weg machen.«
»Wenn alle schlafen«, ergänzte Lady Fayth anerkennend. »Sehr raffiniert.«
»Ich habe eine Menge Filme gesehen«, murmelte Kit.
»Sir?«, fragte Giles verwundert. Er und Lady Fayth tauschten verwirrte Blicke.
»Egal«, meinte Kit und schaute sich um. Die tapfere kleine Akazie spendete den einzigen Schatten, der oberhalb ihres Beobachtungspostens zu entdecken war; sie würden also eng zusammenrücken müssen. Aber besser das als nichts. »Es wird ganz schön heiß hier draußen. Ich schlage vor, wir gehen aus der Sonne.«
»Und dann?«, fragte Lady Fayth.
»Warten wir.«