16

Louis Shears stand mit seinem Golfschläger in der Hand da und betrachtete Macy Merchant. Sie stand böse zugerichtet an den Verandastufen ihres Hauses, voller Angst, ihre Stirn war aufgeschlitzt. Sie trug Baggy-Cargo-Shorts und ein zu großes T-Shirt, in dem sie praktisch herumschwamm. Beides war völlig verdreckt.

»Macy«, sagt er. »Macy, es ist okay, ich bin’s, Louis.«

Aber Macy kaufte ihm das nicht ab. Sie sah sich um und fragte sich offenbar, ob sie ihm entkommen könnte, bevor er mit dem Golfschläger zuschlug. »Bitte. Gehen Sie einfach weg …«

Louis nahm den Golfschläger herunter. Sie schien in Ordnung zu sein. Nach seiner Erfahrung mit dem totgeprügelten Jungen, diesen Bullen und dann Lem Karnigan … nun, war er schon etwas nervös. Er hatte an der Tür gestanden, hinausgeschielt und, während sich diese schreckliche Paranoia ihn ihm zusammenbraute, gewartet; worauf, das wusste er nicht. Als er Macy über die Straße rennen sah, wusste er, dass er zu ihr gehen musste. Sie war entweder verrückt oder hatte einfach Angst. Und um seines eigenen Geisteszustands willen musste er sich selbst davon überzeugen, was es war.

Aber: Sie sah ihn an, als ob er der Verrückte wäre.

»Macy, es ist alles in Ordnung, wirklich. Ich bin nicht durchgeknallt.«

Sie seufzte, sah jedoch nicht überzeugt aus. Sie starrte ihn nur weiter an.

Jetzt erinnerte sich Louis an das Blut an ihm, wie er aussehen musste. »Ich bin mit einem … mit einem verrückten Mann aneinandergeraten«, erklärte er. »Ich habe mein Hemd noch nicht gewechselt.«

Macy seufzte erneut und setzte sich auf die Stufen. Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und weinte.

»Macy … was ist passiert? Hat dir jemand etwas angetan?«

Macy schaute zu ihm auf, ihr Gesicht mit Tränen überströmt. Ihr T-Shirt war zerrissen, ihre Arme und Gesicht zerschlagen, auf ihrer Stirn klebte verkrustetes Blut. Sie nickte, schniefte. »Die Hack-Zwillinge … Ich bin ihr Babysitter. Sie haben Steine auf ein Auto geworfen. Ich habe zu ihnen gesagt, dass sie aufhören sollen, und sie haben mich mit Steinen beworfen …«

Sie erzählte Louis alles, einschließlich dem, was Mr. Chalmers gesagt hatte. Dass die Jungs sie nicht in seinem Revier töten sollten. Louis konnte nur erahnen, was in Macy vorging. Die Unwirklichkeit und Fassungslosigkeit ihrer Erfahrung. Er hatte sich ebenso gefühlt, als er seine Geschichte den Cops und dann am Telefon Michelle erzählt hatte.

Als sie fertig war, schüttelte er nur seinen Kopf. Er kannte Mr. Chalmers und man konnte keinen netteren Kerl als ihn treffen. Die Vorstellung, wie er sein Ding herausholt und den Kindern zeigt, wie man pisst, um sein Territorium zu markieren, war nicht nur lächerlich und verstörend – auf eine verrückte Art und Weise war es eigentlich irgendwie lustig. Hätte ihm das irgendjemand gestern oder noch heute Morgen erzählt, hätte er vermutlich gelacht.

Aber jetzt lachte er nicht.

Und gewiss nicht, als Macy ihm nun von Mr. Kenning und Libby erzählte.

Scheiße.

»In der ganzen Stadt passieren seltsame Sachen, Liebes. Ich weiß nicht, was hier vor sich geht.«

»Auch in der Schule. Einige Kinder sind durchgedreht und haben einen Lehrer umgebracht. Das habe ich zumindest gehört.«

Es breitet sich aus, dachte Louis. Was auch immer passiert, es breitet sich jetzt aus. Es verlangsamt sich nicht einmal.

Er wollte mit Michelle raus aus der Stadt … doch er hatte vorhin den Fernseher eingeschaltet und diese verrückte Scheiße passierte überall. Sollte er es wagen und Macy sagen, dass das ganze Land zusammenbrach?

Nein, er musste sich vor dem Mädchen beherrschen. Das brauchte sie nicht. Er war ein Erwachsener und so musste er sich auch verhalten. Versichere ihr irgendwie, dass die ganze Welt nicht gerade aus den Fugen gegangen ist. Genau das musste er tun.

»Was ist nur los?«, fragte sie. »Heute Morgen war es noch nicht so.«

»Es ergibt gar keinen Sinn. Viele Leute in dieser Stadt sind einfach übergeschnappt.«

»Ich habe auf dem ganzen Heimweg von der Schule Sirenen gehört.«

»Ja, ich glaube, die werden wir eine Zeit lang hören. Bis es aufhört.«

Macy nickte nur und starrte auf ihre Füße.

Louis wollte etwas zu ihr sagen, damit es ihr besser ging, damit sie sich keine Sorgen machte und keine Angst hatte. Er nahm an, dass Erwachsene genau so mit Kindern umgehen sollten, aber das Problem war, dass ihm nichts einfiel. Er suchte nach etwas, wodurch auch er sich besser fühlen würde, aber er fand nichts. Vielleicht hätte er es gekonnt, wenn er selbst Vater gewesen wäre. Vielleicht wäre er so in der Kunst des cleveren, trostspendenden Blödsinns geübt gewesen. Aber er hatte keine Kinder. Michelle konnte keine bekommen und er hatte es akzeptiert, so wie auch sie. Deshalb war er einfach nicht gut in so was.

Macy schaute ihn an. »Was, wenn das nicht aufhört?«

»Na ja, es wird ...«

»Warum?«

Hm, das war eine gute Frage. Deren einfache Logik verblüffte ihn. »Weil … weil es muss, darum. Ich meine, nicht die ganze Stadt ist verrückt geworden, nur einige Leute. Ich bin nicht durchgeknallt, obwohl ich wahrscheinlich so aussehe, und du auch nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jeder in der Schule verrückt geworden ist, sonst wärst du nicht hier. Hab ich recht?«

Sie nickte. »Wahrscheinlich. Aber was ist mit dem Rest der Welt?«

»Lass uns jetzt fürs Erste um Greenlawn Gedanken machen!«

Louis setzte sich neben sie.

Er mochte Macy. Jeder in der Nachbarschaft mochte Macy. Vielleicht lag es zum Teil an Jillian, ihrer Mutter – White Trash, ganz klar.

Doch hauptsächlich lag es einfach daran, weil Macy, na ja, liebenswert war. Sie war keine hochnäsige, mit den Augen rollende, strohdumme, selbstsüchtige Prinzessin wie viele Mädchen in ihrem Alter. Sie war ein gutes Kind. Sie war klug und ehrlich, erwachsen und sehr witzig, wenn sie sich bei einem wohlfühlte.

Louis sah sie einfach an und lächelte.

Wenn er selbst ein Mädchen hätte, sollte es wie Macy sein. Sie war klein und schlank, ihr Mund und ihre Augen waren ungeniert sexy, sahen fast hungrig aus. Obwohl sich ihre Kurven bereits eindeutig selbst bemerkbar machten, hatte sie noch nicht wirklich ihre volle Blüte erreicht, aber Jillian nach zu urteilen, die ziemlich alles am rechten Platz hatte, würde Macy die Jungs mit einem Schläger abwehren müssen, sobald das mit ihr passierte. Sie hatte riesengroße, wässrige, braun schimmernde Augen. Sie hellten ihr Gesicht auf. Warum die Jungs nicht hinter ihr her waren, verstand Louis nicht. Vielleicht musste man älter sein, um eine stille, dezente Schönheit, wie Macy sie besaß, zu schätzen oder sich an ihrem nahezu sinnlichen Schulmädchen-Charme zu laben … Eigenschaften, von denen sie wahrscheinlich nicht einmal wusste, dass sie sie besaß.

Er bemerkte, dass er sie anstarrte und sie ihn dabei beobachtete, während ihre Wangen leicht erröteten.

Oh Gott, dachte er, weiß sie, was ich gedacht habe?

Sie wandte sich zur Seite und er fragte sich, was ihn auf diesen Gedankengang gebracht hatte.

Louis und Michelle lebten erst seit vier Jahren an der Upper Rush Street, aber sie kannten den ganzen lokalen Tratsch. Macys Vater war gestorben, als sie noch sehr jung war, und Jillian war einfach zerbrochen und ausgebrannt und zu einer Säuferin geworden, die es ungeniert mit Männern jeglichen Alters trieb – falls man alles glauben konnte, was erzählt wurde. Was jedoch stimmte, war die Tatsache, dass Jillian niemals über den Tod ihres Ehemanns hinweggekommen war und sie sich auf den Stand ihres 18. Lebensjahres zurückgezogen hatte. Und darin befand sie sich immer noch: eine erwachsene Frau mit einem Kind, die sich wie ein wildes College-Mädchen aufführte, das sich zum ersten Mal die Hörner abstieß. Es war zu schade. Macy brauchte wahrscheinlich ihre Mom wie eine Mom, aber das war einfach nicht der Fall. In der Nachbarschaft erzählte man sich, dass Macy sich selbst großgezogen habe. Dass sie sich um das Haus und um einfach alles andere kümmere, einschließlich ihrer Mutter.

Daran zweifelte Louis nicht.

Jeden Sommer veranstalteten Michelle und er eine Nachbarschaftsfeier. Es gab Bier und Limonade, Hamburger und Hotdogs. Einfach ein geselliges Ereignis, bei dem alle Nachbarn und ihre Kinder etwas Zeit miteinander verbringen und sich besser kennenlernen konnten. Und Jillian erschien natürlich immer. Manchmal betrank sie sich nur und manchmal schoss sie sich wirklich ab und fiel auf die Nase. Manchmal brach sie einen Streit mit anderen Frauen vom Zaun, aber meistens verfolgte sie nur deren Ehemänner auf eine Art und Weise, die eigentlich unbeschreiblich war.

Im ersten Sommer, als Louis und Michelle zu sich eingeladen hatten, hatte Dick Starling, ein Baggerfahrer, der für die zentrale Eisenbahn von Indiana arbeitete und auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnte, Louis beiseitegenommen und ihm nach einigen Gläsern Bier alles ausführlich erklärt.

»Das hier ist eine ziemlich gute Gegend, aber wir haben einige komische Vögel hier«, hatte Starling gesagt. »Ich glaube, alle werden zu eurer Party kommen. Der alte Onsala nicht. Er ist ein verrückter alter Finne. Man kann die Finnen immer an dem Haufen Feuerholz in ihren Vorgärten erkennen. Wenn Saison ist, hängen sie gerne ausgeweidetes Wild in den Vorgarten. Onsala mag niemanden, spricht kaum etwas außer Finnisch. Les Maub und seine Frau werden kommen, aber nicht, wenn du die Soderbergs einlädst. Bonnie Maub und Leslie Soderberg streiten sich seit 1963 über irgendetwas und sie reden immer noch nicht miteinander. Sie werden nicht auftauchen. Jillian Merchant dagegen wird kommen und das heißt nicht unbedingt etwas Gutes. Aber wenn es Schnaps gibt, ist sie da. Oh ja, Lou, verlass dich drauf! Sie sieht nicht schlecht aus, weißt du? Lange Beine und schöne Titten hat sie. Du wirst sie dir anschauen und denken, was jeder Mann in dieser Nachbarschaft bereits gedacht hat: dass du nichts dagegen hättest, mit ihr anzubändeln, ein bisschen Spaß zu haben. Aber dann willst du es doch nicht, Kumpel, du wagst es nicht, weil sie nämlich einen an der Klatsche hat.«

Das war Louis’ erste Bekanntmachung mit Jillian Merchant.

Dann fand die Party statt und Jillian tauchte auf. Sie war wirklich ziemlich attraktiv, wie Dick Starling gesagt hatte, aber ihre Augen sahen wild und hungrig aus. Je mehr Alkohol sie in sich hineinschüttete, desto hungriger wurden diese Augen, bis sie jeden Mann auf der Party wie ein Hund musterte, der das rohe Fleisch begutachtet und sich fragt, an welcher Stelle er zuerst hineinbeißt. Sie trug einen schwarzen Lederminirock, der ihre langen, schlanken Beine bis hin zu den Oberschenkeln gut zur Schau stellte. Vervollständigt hatte sie den Look mit einem engen Bustier, in das ihr Dekolleté kaum reinpasste. Sie trank immer weiter und machte die Runde und jedes Mal, wenn sie einen Mann fand, hüpfte sie direkt auf seinen Schoß und verpasste ihm gratis einen Ständer, ob seine Frau anwesend war oder nicht. Louis hatte es geschafft sich von ihr fernzuhalten, als sie herumlief, flirtete und den Männern wie eine rollige Katze hinterherjagte. Aber schließlich trieb sie ihn in die Enge. Direkt bei der Zapfanlage mit den Bierfässchen schnappte sie ihn und fragte, ob er ihr eine private Tour ins Schlafzimmer gab.

Louis konnte es nicht glauben.

Auch weil Michelle da war.

Jillian war einfach außer Kontrolle und genoss es offensichtlich. Als er später mit den Männern am Picknicktisch Karten spielte, hatte sie es weiterhin auf ihn abgesehen. Sie lungerte herum und streckte ihm ihre Titten ins Gesicht, während die anderen Typen darüber schmunzelten. Louis wehrte sie immer wieder ab, aber er war sich des Standes ihrer Entschlossenheit nicht bewusst, bis sie direkt zu Michelle ging und fragte, »Macht’s dir was aus, wenn ich deinem Ehemann einen persönlichen Striptease gebe?«

Michelle behauptete nachher, dass sie dachte, es sei ein Witz, obwohl sie es in diesem Augenblick hätte besser wissen sollen.

»Ähm … nein … ja … nein, mir egal«, hatte Michelle erwidert.

Der Startschuss war gefallen. Jillian hüpfte unmittelbar auf Louis’ Schoß, wandte sich ihm direkt zu, presste ihre Titten an seine Brust und ihren Schoß direkt gegen seinen. Ihr Minirock rutschte praktisch bis zu ihren Hüften hoch. Sie legte richtig los, bewegte ihren Arsch und ihre Beine mit fast professionellem Eifer, rieb sich an ihm und brachte ihn erst zum Erröten, dann ins Schwitzen. Er konnte die Hitze zwischen ihren Beinen ganz gut fühlen. Er machte der Sache auf der Stelle ein Ende, weil er annahm, dass er es besser jetzt tat, bevor etwas Peinliches in seiner Hose passierte. Er zog Jillian von sich herunter, aber sie kam prompt zurück, schlang ihre Arme und eins ihrer Beine um ihn, fing ihn ein, kesselte ihn ein. Während ihn die Kerle alle auslachten, hob er Jillian hoch, um sie auf ihren Platz zurückzutragen und das war ein Fehler. Er war selbst betrunken und als er sie über seine Schulter warf, sah er die Blicke in jedem Gesicht. Als Jillian über seiner Schulter lag, konnte jeder sehen, dass sie keine Unterwäsche trug. Ihr Rock war nun wirklich bis zu ihren Hüften hochgewandert und so stellte sich ihr feiner, runder Arsch zusammen mit ihrer Muschi zur Schau.

Die Frauen lachten entweder oder waren sauer; die Männer lachten ebenfalls oder starrten nur voller Freude auf alles, was Jillian anzubieten hatte. Und das war ansehnlich. Die meisten von ihnen hatten ein derartiges Angebot seit ihrer High-School-Zeit nicht mehr gesehen … zumindest nicht in solch einem wunderschönen Ausmaß. Dick Starling, ganz der Klugscheißer, hielt diesen peinlichen Moment mit einem Schnappschuss seiner Digitalkamera fest: Während Louis dastand, überrascht dreinschaute und Jillian über seiner Schulter hängen hatte, plumpste eine Titte aus ihrem Bustier, ihre Beine traten umher und ihr Arsch und ihr Weichteile waren völlig entblößt. Dick holte dieses Bild gerne hervor und zeigte es Louis, wann immer er herüberkam.

Und natürlich ließ Michelle es ihn niemals vergessen.

Das war Louis’ erste Kostprobe von Macys Mutter und seitdem zog sie jeden Sommer bei den Gartenpartys eine ähnliche Show ab. Das Traurige daran war, dass Jillian direkt vor ihrer Tochter so weitermachte und deswegen absolut keine Skrupel hatte. Louis war kein Elternteil, aber selbst er wusste, dass es Dinge gab, die man vor den Augen seiner Kinder tat und solche, die man nicht tat.

Macy saß für fünf oder zehn Minuten schweigend neben ihm, bevor sie wieder sprach: »Aber ist das alles nicht lustig? Lustig und gruselig? Ich meine, ich kann verstehen, dass ein paar Leute am gleichen Tag durchdrehen … aber so? Wie unwahrscheinlich ist es, dass Dutzende Leute am gleichen Tag, am gleichen Nachmittag verrückt werden? Oder Tausende im ganzen Land?«

»Ja, ziemlich unwahrscheinlich, schätze ich.«

»Geisteskrankheit – falls es das ist, Mr. Shears – ist nicht ansteckend. Es ist keine Krankheit, kein Bazillus, kein Mikroorganismus oder sonst was. Es wird nicht von Mensch zu Mensch weitergegeben.«

Na ja, dem konnte er nicht widersprechen.

Er musste an die ganzen Weltuntergangsfilme denken, die er im Spätprogramm gesehen hatte. Irgendetwas war letztendlich immer Schuld. Eine Atombombe oder ein mutierter Bazillus oder chemische Kriegsführung … irgendetwas, das Menschen dazu brachte sich in Monster oder Verrückte zu verwandeln. Es gab immer etwas. Man konnte radioaktive Strahlung ausschließen, vermutete er, aber biologische oder chemische Waffen waren noch im Rennen. Aber wenn es so was in der Art war, etwas im Boden, im Wasser oder in der Luft, warum war er nicht infiziert worden? Was immer es war, der sterbende Junge hatte es sicherlich gehabt und Louis war ihm verdammt noch mal ziemlich nahe gekommen.

Hätte er sich nicht anstecken müssen?

Aber was, wenn es nichts so Einfaches, nichts so Quantifizierbares ist, Louis. Kein Bazillus und keine Chemikalie. Das würde es dann sogar schlimmer machen, oder? Stell dir vor, dass das, was hier und überall sonst gerade passiert, weiterhin passiert, bis die Straßen mit Körpern gepflastert sind, so lange, bis es keine Körper mehr gibt …

Ja, das war irgendwie schlimmer.

Dass es eine Macht oder Beeinflussung gab, die Menschen in grausame, brutale Kreaturen verwandeln konnte. Ja, das war furchteinflößend. Dagegen würde es keine Schutzmaßnahmen geben. Was immer es war, es war verflucht gefährlich. Genauso tödlich, soweit es die Menschheit betraf, wie thermonukleare Waffen oder eine unaufhaltsame Seuche. Hatte Einstein nicht etwas in dem Sinne gesagt, dass, wenn der Dritte Weltkrieg mit Atombomben geführt wird, der vierte mit Pfeil und Bogen geführt werden würde? Ja, die Zivilisation wäre völlig zerstört. Vom Raketenzeitalter ins Steinzeitalter in fünf Minuten, wie es so schön hieß. Und war es nicht so? Etwas, das Männer und Frauen veränderte, ihr Menschentum fortriss und sie in gewalttätige Steinzeit-Monster verwandelte?

Louis stoppte seine Gedanken.

Kein Grund es zu übertreiben. Noch nicht. Das alles könnte vorübergehen oder vielleicht war es das bereits und danach würde nichts übrig bleiben, außer vielen Fragen. Er glaubte nicht wirklich, dass es damit getan sein würde, konnte es nicht glauben, aber alles, woran er jetzt denken wollte, war, dass Michelle nach Hause kam und er Macy in Sicherheit brachte. Das war jetzt das Wichtigste.

»Macy«, sagte er schließlich. »Ich weiß nicht, was gerade passiert. Aber es ist nicht das Ende der Welt.«

»Was, wenn es das Ende von Greenlawn ist?«

»Dann finden wir eine andere Stadt.«

»Was, wenn sie alle so wie Greenlawn geworden sind?«

»Dann bauen wir eine neue auf, die nicht so ist.«

Louis mochte sein neues, pragmatisches Ich. Vor diesem Moment war er noch nie so gewesen. Er hatte wenig Ärger in seinem Leben gehabt, ein Minimum an Unglück … doch würde er nun wohl wie die meisten Leute draufgehen, falls es ans Eingemachte ging. Aber so weit wird es nicht kommen. Die Sache wird eingerenkt werden, sie wird von Leuten wie mir Schritt für Schritt eingerenkt werden.

»Ist deine Mom zu Hause?«

Macy zuckte nur mit den Achseln. »Sie haben sie aus der Schule angerufen, aber keiner hat abgenommen. Sie schläft vermutlich noch ...«

»Warum hat denn die Schule angerufen?«, fragte er und realisierte, dass es ihn wahrscheinlich einen feuchten Dreck anging.

Macy schaute auf einmal ihre Tennisschuhe sehr genau an. »Ähm … tja, ich nehme an, ich sollte es Ihnen erzählen. Sie werden früher oder später sowieso davon hören.«

Sie erzählte ihm kurz von dem Vorfall mit Chelsea Paris. Er nickte, als sie sprach, aber er schien nicht voreingenommen.

»Und du glaubst, dass was auch immer die Leute hier erwischt hat, auch dich erwischt hatte?«

Macy hob die Schultern. »Es muss, Mr. Shears. Gott, ich würde so etwas nicht machen. Ich schlage nicht einmal Fliegen tot. Ich fange sie und lasse sie draußen frei. Ich verletzte nie etwas oder irgendjemand. So … so bin ich einfach nicht.«

Louis dachte das auch nicht. Aber es brachte eine interessante Idee hervor und zwar, dass es vielleicht einfach verschwinden würde. Dieser Wahnsinn. Vielleicht war er temporär. Das machte ihm auf jeden Fall etwas Hoffnung.

Er tätschelte Macys Hand: »Komm, wir schauen, ob deine Mom da ist!«

Als sie aufstanden, fuhr ein Pick-up auf der Straße vorbei. Er rollte langsamer, als er näher kam. Ein paar cool aussehende Jugendliche mit Kapuzen saßen drinnen. Sie starrten Louis und Macy an und er starrte direkt zurück. Wie du mir, so ich dir. So einer war er eigentlich nicht. Er gab sich nie dem blöden Glotz-Wettbewerb mit anderen Männern hin oder spielte das Mein-Schwanz-ist-länger-als-deiner-Spiel. Das war grundsätzlich etwas für Idioten mit einem völligen Mangel an Selbstachtung und Selbstwertgefühl. Dennoch tat er es gerade. Diese Kids schauten brutal aus, fies – Louis war sich ziemlich sicher, dass sie infiziert waren. Sie suchten nach Beute. Was ihn am meisten störte, war, wie sie Macy anschauten, als checkten sie sie für ihren Stall ab.

Das machte ihn stinksauer, deshalb warf er ihnen den bösen Blick zu.

Sie fuhren weiter.

Er fragte sich, ob der Blick auf sie ähnlich gewirkt hatte, wie das, was Mr. Chalmers gemacht hatte: sein Territorium markieren. Vielleicht hatten sie gespürt, dass er für das, wovon sie dachten, dass es ihm gehöre, bereit war zu kämpfen. Also machten sie sich davon, um leichtere Beute zu finden. Man sagte ja, dass Hunde Angst an einem riechen können und vielleicht konnten diese Leute es auch. Wie das alte Sprichwort: Wenn du kein Opfer sein willst, verhalte dich nicht wie eins.

»Kommen Sie«, sagte Macy.

Sie gingen zur Tür und hielten an, Macy streckte die Hand aus und ergriff seine. Er hielt sie fest und ihm gefiel das Gefühl, eine andere geistig gesunde Person bei sich zu haben.

»Was, wenn sie … was, wenn sie auch verrückt ist?«, sagte Macy.

»Dann werden wir damit fertig.«

Er ging zur Tür und öffnete sie. Es war still im Haus. Kein Fernseher oder Radio lief, keine Klospülung. Nur diese ungeheure Totenstille, die ihm auf ihre eigene Weise sagte, dass niemand da war, jedenfalls kein Lebender.

»Komm«, sagte Louis und zog Macy über die Türschwelle.

Sobald er drinnen auf dem abgenutzten Flauschteppich stand, sackte etwas in ihm sehr langsam ab und er wartete auf das, was auch immer geschehen sollte. Weil es passieren wird und es schlimm sein wird. Richtig schlimm.

Zerfleischt - Der ultimative Thriller
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