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Als Macy ihre Augen öffnete, nahm sie die wie mit Spinnenweben durchzogene Glasscheibe des eingeschlagenen Fensters über ihrem Schoß nicht als Erstes wahr. Es war der Gestank. Der Gestank derjenigen, die sie bei Sonnenuntergang im Auto umzingelt hatten. Monster. Genau daran dachte sie. Monster. Sie waren Monster … Oger, Trolle, Schreckgestalten aus einem Märchen, die aus der Dunkelheit gekrochen waren, um Kinder bei Mondschein zu fressen. Sie schien sich an sie aus einem Märchenbuch aus ihrer Kindheit zu erinnern, aber vielleicht, nur vielleicht, war die Erinnerung viel älter: eine atavistische Erinnerung. Denn die Geschichten von Ogern und Trollen und kinderfressenden Hexen waren nur Ur-Erinnerungen des UrHorrors, die in harmlose Fabeln verpackt wurden. Die Wahrheit dahinter war allerdings düster.
Sie standen einfach da und schauten sie an.
Männer, Frauen, Kinder. Ein paar Kinder kannte sie aus der Schule.
Sie hatten blasse Haut, waren verdreckt, halb nackt, ihre Gesichter waren wie Totenköpfe angemalt, ihre Haare schmierig und mit Ästen und winzigen Knochen wie die von Nagetieren hochgesteckt.
Ein Mann stand vor dem Auto und hielt ein riesiges Fleischermesser in den Händen. Es war beinahe so lang wie sein Unterarm. Er gab jemandem ein Zeichen damit – und dabei bellte er leise.
Dann fassten dreckige, räudige Hände ins Auto, packten sie. Macy hatte scheinbar einfach nicht mehr die Kraft zum Kämpfen. Oh, sie trat und schlug reflexartig nach ihnen, aber sie zerrten sie durch das Fenster und schlugen ihren Kopf gegen das Wagendach, um sie kampfunfähig zu machen. Sie schrie auf, aber es ertönte nur ein gewürgtes, jämmerliches Geräusch.
Sie warfen sie zu Boden.
Macy schaute zu ihren Todesmasken-Gesichtern auf, die wirkten wie mit Schatten eingemeißelt. Ihre Augen waren leer, glänzend und fuchsartig. Sie öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, doch sie traten so lange auf sie ein, bis sie beinahe bewusstlos dalag und sich herumwälzte. Als sie ihren Mund zum Schreien öffnete, stopften sie etwas hinein: einen faulig schmeckenden, salzigen Fetzen. Ein Stück eines T-Shirts, das von ihrem Schweiß durchtränkt war.
Louis, Louis, Louis … bitte hilf mir.
Hilf mir.
Aber er war nirgends zu sehen. Und als Macys Verstand zitternd hinter eine schwarze Mauer des Terrors zurückfiel, fühlte sie, wie Hände ihre Knöchel packten und sie über die Straße zerrten.