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Sie beobachtete den Mann am Feuer.

Er war groß, gut durchtrainiert, schlank. Mit einem blutigen Hammer in der einen Hand und einem bluttriefenden Messer in der anderen sah er im Mondschein haargenau so wie ein Urzeitmann aus, den man zugleich fürchten, verstehen und begehren konnte.

Kylie Sinclair zitterte.

In der Dunkelheit der Büsche wurde sie nur vom Mondschein berührt. Sie trug eine Krone aus Stöcken und Blättern, die nicht zum Schmuck da war, sondern ihre Silhouette in der Nacht auflösen sollte. Es war eine uralte Jagdtechnik. Ihre Schwester und ihre Mutter warteten in der Nähe.

Der Mann stand ruhig da.

Sie roch das im Feuer geröstete Schwein, die blubbernde Fettschicht und die gut durchwachsenen Scheiben Fleisch, von denen ein verlockender, heißer Saft in die Flammen tropfte. Sie wartete darauf, dass der Mann den Kadaver abnahm und zu essen begann. Vielleicht würde er das Fleisch bis auf die Knochen abschneiden und sich damit davonmachen.

Nein.

Er tat keines von beidem.

Der Mann kniete sich in das Gras und zitterte. Kylie war verwirrt. Sicher war das seine Beute, aufgeschlitzt und aufgespießt … aber er beanspruchte sie offenbar nicht für sich.

Kylie wartete.

Sie konnte die beißenden Gerüche riechen, die ihr Körper absonderte … Laub und Lehm und dunkle Erde, ein verräterischer Gestank nach Moschus und tierischen Fetten, die mit Mühe und Not ihren eigenen reifen Körpergeruch überdeckten. Die guten, urigen Gerüche. Gerüche, die einen nicht verwirrten, sondern stärkten und Selbstvertrauen gaben. Sie fuhr mit ihren Fingern über die zeremoniellen Striemen und erhobenen Narben, die ihr Fleisch sprenkelten. Wie die aus Blut und Speisefett hergestellte Bemalung, mit der sie ihren Körper verzierte, waren dies Symbole, die ihre Stammeszugehörigkeit zeigten und wer und was sie war.

Sie schnüffelte an ihren Fingern, kostete daran und war von ihren eigenen Gerüchen und Aromen fasziniert.

Sie fasste in ihre Achselhöhlen, in ihre Vagina und an ihren After. Jeder Geruch und jedes Aroma war aufregender und ursprünglicher und von jedem wurde ihr schwindelig.

Der Mann bewegte sich.

Er hatte etwas gehört. Kylie war sich sicher, weil sich der Geruch, den er quer durch den Garten absonderte, geändert hatte. Er war schärfer geworden: Angst. Ja, er hörte etwas. Eine Stimme. Mit den Waffen in der Hand schaute er sich aufgeregt um.

Während sie in dem fleckigen Mondschein mit ihren Augen, die wie schwarze Steine funkelten, durch die Büsche spähte, verkrampfte sich Kylie. Ihre Muskeln waren angespannt. Sie konnte die Gewalttätigkeit riechen, die von dem Mann ausging. Es ließ ihre Lenden erzittern.

Tief in der dunklen Schatulle ihres Verstandes waren biochemische Signale aktiviert worden und Kylie wusste instinktiv, dass der Höhepunkt des Zyklus schnell nahe kam. Sie konnte es an sich selbst riechen, es an ihrer Haut schmecken.

Vermutlich morgen würde sie heiß sein – läufig – und sie sehnte sich bereits nach der Füllung und der Erleichterung. Sie hoffte, dass das Muttertier ihr den Mann überließ. Sie würde ihn mit dem Duft ihrer Weiblichkeit anlocken, ihn hineinziehen und ihn seine Milch in sie verschütten lassen. Dann würde der Zyklus vollendet sein.

Eine Stimme hatte zu dem Mann gesprochen.

Kylie mochte diese Stimme nicht. Sie hörte anhand ihres Tons, dass ihr Sprecher nicht wie sie war, kein Jäger, sondern Beute. Etwas, um es mit dem Rest zu ernten. Die Brise wehte ihr seinen Geruch zu und es roch nach Parfüm und Seife und Kunstfasern, nur ein Hauch von Schweiß und animalischer Reinheit.

Es war an der Zeit.

Kylie ging zu ihrer Schwester und zum Muttertier zurück. Sie hatten einen Eimer gefunden, der mit weißer Asche von der Feuerstelle gefüllt war. Sie hatten Wasser hineingeschüttet und es zu einer glatten, weißen Farbe vermischt. Sie sah zu, wie sie sich damit bedeckten. Sie tat dasselbe. Die drei sahen wie marmorweiße Gespenster aus. Als die Farbe getrocknet war, nahm das Muttertier einen roten Lippenstift und bemalte ihre Töchter. Sie färbte beide Ohren rot und zog dann einen breiten, roten Streifen von einem Ohr zum anderen und malte ihn aus, sodass es aussah, als schauten ihre Augen aus einem hellen, scharlachroten Gürtel heraus. Sie malte ähnliche Streifen über ihre Münder, dehnte sie bis zu beiden Kieferpartien aus.

Als sie fertig waren, war es an der Zeit.

Kylie packte ihren Speer und führte sie auf die Jagd.

Zerfleischt - Der ultimative Thriller
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