Lebensthemen entdecken:
Vom roten Faden und von dem, was jetzt aktuell ist

Mit der Auswertungskategorie »Lebensthemen« beleuchten Sie ein Element, das in keiner anderen mir bekannten Methode des Karrierecoachings so angewendet wird. Es ist ein spezifisches Merkmal des KAIROS-Biografie-Coachings.
Lebensthemen sind psychische Wachstumsprozesse, die ein Mensch im Verlauf seiner Entwicklung in unserer westlichen Gesellschaft durchlaufen wird, allgemein und auch ganz individuell. Sie verbinden Sie ganz tief mit dem, worum es in Ihrem Leben »wirklich« geht, und sie können Sie auch bei Ihrer momentanen Berufsentscheidung in eine entscheidende Richtung weisen.
Woher kommt die Vorstellung, dass Menschen bestimmte »Lebensthemen« haben und bearbeiten? Letztlich gibt es mindestens drei Quellen und Wissenschaften, die sich damit beschäftigen: die Entwicklungspsychologie, die Soziologie und letztlich auch die Religionswissenschaften, die die großen Lebensthemen des Menschen seit vielen Jahrtausenden beschreiben. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als wenn Lebensthemen ausschließlich zur persönlichen Entwicklung gehören und nicht direkt etwas mit der beruflichen Orientierung zu tun haben. In meiner Erfahrung als Coach sind Lebensthemen jedoch gerade in beruflichen Umbruchphasen höchst bedeutsam. Sie können hilfreich sein, aber auch in die Irre führen, was den beruflichen Kurs angeht. Näheres dazu erfahren Sie im Kapitel Die Berufungs- und die Karrierefalle.
Wie oft haben wir uns schon gefragt, worum es bei einer Sache geht, was das eigentliche Anliegen ist. In Meetings mit Kollegen und Vorgesetzten, aber auch im privaten Bereich, wenn es etwa zur Aussprache kommt, fällt häufig die Aussage: »Das ist jetzt nicht das Thema.« Man redet aneinander vorbei oder der Kern, der »Punkt« eines Sachverhalts ist noch nicht richtig erfasst. Ähnlich ist es, wenn Sie am Thema Ihres Berufslebens vorbeileben. Sie haben dann das Gefühl, etwas ganz Zentrales nicht zu verwirklichen. Andererseits ist es hochbefriedigend, »sein Thema zu finden«.
Bei Lebensthemen muss man differenzieren zwischen universellen Themen, die für alle Menschen mehr oder weniger relevant sind, und solchen, die ganz individuell in einzelnen Biografien vorkommen. Beide können die Berufsbiografie entscheidend prägen. Manche universelle Lebensthemen beziehen sich dabei ganz explizit schon auf den Lebensstrang »Beruf«, zum Beispiel »Eine berufliche Identität finden«, »Eine Existenz aufbauen«, »Ein Karriereplateau erreichen«. Andere Lebensthemen fußen eigentlich in den persönlichen Lebenssträngen, beeinflussen aber dennoch die Berufsbiografie. In den Biografien unserer Protagonisten Thomas und Christina sind es die Themen von Elternschaft und Familie, die ihren beruflichen Weg entscheidend mitprägen. Bei Stefanie ist das Thema der beruflichen Identititätsfindung bei ihrer ersten Jobwahl nicht gelungen; sie hat eher eine »berufliche Fassade« gewählt. Damals aus guten Gründen, aber nun kann es Zeit sein, dies zu ändern.
Folgend stelle ich Ihnen zunächst die Kategorien von Lebensthemen vor, die Sie in Ihrer Biografie finden werden, und zeige Ihnen, wie Sie sie aufspüren. Eine Beispielliste mit Lebensthemen finden Sie im Anhang. Wenn Sie gerne mit den Lebensthemen in Ihrem Alltag arbeiten möchten, empfehle ich Ihnen die Materialbox »Lebensthemen«, die Sie beim Coaching Center Berlin bestellen können (siehe Anhang »Literatur und weiterführende Adressen«).
Anthropologische und normative Lebensthemen Dies sind Lebensthemen, wie sie die Entwicklungspsychologie für Menschen der westlichen Industriegesellschaft gesammelt hat. Sie finden hier typische Themen, die Sie in Ihrem Leben bereits bewältigt haben oder die noch vor Ihnen liegen, zum Beispiel »Eigenständig werden« oder »Seine berufliche Identität finden«, »Eine Familie gründen, »Kinder bekommen und versorgen«, später auch »Ein Erbe hinterlassen«, was nicht nur materielle Güter meint, sondern unter dem Stichwort »Generativität« alles umfasst, was ein Mensch auch geistig und in Bindungen weitergibt.
Archetypische Lebensthemen Sie sind von der Tiefenpsychologie Carl Gustav Jungs abgeleitet, der Urbilder der menschlichen Kultur, eben sogenannte Archetypen, im Unbewussten aller Menschen benannte. Hier lassen sich Urthemen der Menschheit finden wie »Der/Die Weise« mit dem Prinzip der Suche nach Weisheit, »Mütterlichkeit« beziehungsweise »Väterlichkeit«, das »Männliche« oder »Weibliche Prinzip« in jedem Menschen. Archetypische Figuren werden häufig in Märchen und Mythen ausgeformt, beispielsweise »Die Königin«/»Der König«, wenngleich die konkrete Art der Darstellung von Kultur zu Kultur variieren kann. Andere archetypische Aspekte wurden in neuerer Zeit durch die aufkommende Welle der Selbsterfahrung populär, zum Beispiel »Das innere Kind«.
Individuelle Lebensthemen Dies sind Themen, die ganz speziell Ihr Leben kennzeichnen und bestimmen. Hierin unterscheiden sich oft sogar Geschwister der gleichen Familie sehr. Individuelle Lebensthemen sind wie das Leitmotiv in einem Musikstück, das immer wieder in verschiedenen Tonarten anklingt, häufig über die gesamte Biografie hinweg.
Beispiele für solche individuellen Lebensthemen sind »Stetiger Wandel und Wechsel«, »Aufbrüche ohne Abschied«, »Immer als Erste aus einer Beziehung gehen«, »Flüchtlingskind«, »Verantwortung tragen müssen«, »Führung übernehmen«, »Früher Umgang mit Krankheit«. Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Übung 14: Lebensthemen in der Biografie aufspüren
Im Coaching mit meinen Klienten nehme ich die Lebensthemen meistens schon beim Erzählen der Lebensgeschichte auf. Ich notiere sie auf Haftzetteln, während ich dem Coachee zuhöre, und hänge sie anschließend an die Pinnwand. Schauen Sie also bitte zunächst Ihre Stichwörter oder Aussagen an, die Sie nach dem Überblick Ihrer Biografie auf Haftzetteln notiert und neben dem Datenchart angebracht haben. Verbergen sich hier Lebensthemen? Gern können Sie auch noch einmal die Überschriften durchgehen, die Sie den einzelnen Lebensphasen gegeben haben. Was könnten in jeder Lebensphase Ihre Lebensthemen sein?
Im biografischen Coaching wird, wie bereits erwähnt, differenziert zwischen universellen Lebensthemen in der Entwicklungspsychologie sowie individuellen Lebensthemen. Es ist also normal, dass Sie manche Themen bereits durchlebt haben, etwa die erste Identitätsfindung in der Pubertät, die erste Berufswahl und eventuell auch die Frage nach dem Eingehen einer Lebenspartnerschaft. Für viele meiner Klienten ist es erleichternd, festzustellen, dass sie einiges im Leben bereits »abgehakt« haben. Folgende Fragen zum Aufspüren von Lebensthemen können Ihnen helfen:
  • Sehe ich Themen, die sich für mich »erledigt haben«, die nicht mehr aktuell sind?
  • Wiederholen sich bestimmte Situationen in meinem Leben immer wieder?
  • Gibt es bei dem, was ich mache, oder bei den Menschen, mit denen ich mich umgebe, so etwas wie einen gemeinsamen Nenner?
  • Was hat mich schon immer interessiert?
  • Welche Frage ist seit jeher zentral?
Als Anregung können Sie jetzt einen Blick auf die Liste mit den Lebensthemen aus dem Anhang werfen. Viele meiner Klienten finden das in der Eigenarbeit hilfreich, um auf Themen zu kommen beziehungsweise diese in ihrem Datenchart zu entdecken.
Die Liste ist zweifach gegliedert, sowohl thematisch als auch zum Teil nach Lebensphasen, je nachdem, welcher Aspekt Sie gerade besonders anspricht. Daher sind manche Begriffe auch zweifach zugeordnet. Es gibt zum Beispiel typische Themen der Lebensphase ungefähr zwischen 30 bis 40, die sogenannte »Rush-Hour des Lebens«. In der Logik der Siebenjahresphasen sind dies die fünfte und die sechste Lebensphase von 28 bis 35 Jahre und von 35 bis 42 Jahre. Und es gibt eine Reihe von Lebensthemen, die alle mit dem Lebensstrang der Berufsbiografie zu tun haben.
Notieren Sie die »erledigten« und vor allem die aktuellen Lebensthemen auf Haftnotizzetteln und ordnen Sie diese jeweils einer Lebensphase in Ihrem KAIROS-Datenchart zu.

Lebensthemen in der Berufsbiografie: Auswertungsbeispiele

Unsere Lebensthemen prägen unsere Berufsbiografie häufig wie eine Signatur. Und manchmal möchten wir diese Signatur verändern. Im Kapitel Innere Mentoren und Saboteure wird es darum gehen, dass unerwünschte Lebensthemen in Ihrer Biografie entweder keinen Raum mehr einnehmen oder erheblich verändert werden.
Ebenso wichtig bei der Betrachtung der berufsbiografischen Lebensthemen ist die Vermischung von Lebensthema und Lebensstrang. Dazu kommt es, wenn ein Lebensthema der persönlichen Entwicklung, wie zum Beispiel »Seine Innerlichkeit entdecken«, »Bindungen eingehen« oder »Eigenständig werden«, sich unbemerkt in die Berufsbiografie einschleicht. Das kann gutgehen und eine neue Perspektive eröffnen, etwa als Heilpraktikerin, Ladenbesitzerin oder auch als Coach. Aber es kann auch ein Irrtum sein, sein Hobby oder ein aktuelles Bedürfnis zum Beruf zu machen. Geht das schief, sind Sie in die »Berufungsfalle« geraten. Näheres dazu finden Sie im gleichnamigen Kapitel. Auf den folgenden Seiten schildere ich Ihnen einige Beispiele, wie ich in Coachingfällen in der Auswertung mit Lebensthemen gearbeitet habe.

Auswertung universeller Lebensthemen der Berufsbiografie

Dass ein weiteres Lebensthema für sie hinzugekommen war, erkannte Christina, als sie vor ihrem biografischen KAIROS-Chart stand. Mit Anfang vierzig hatte sie die aussichtsreiche Bewerbung um den nächsthöheren Posten der Geschäftsführung zugunsten einer jüngeren Bewerberin verloren. »Ich bin eben kein ›Talent‹ mehr«, brachte sie es nicht ohne Bitterkeit auf den Punkt. Bis dahin war Christina oft die Jüngste oder eine Überfliegerin gewesen, egal auf welcher Position. Erstmals in ihrer beruflichen Laufbahn war sie jetzt übertroffen worden, noch dazu von einer jüngeren Mitbewerberin. Eine ganz neue Erfahrung für die ambitionierte und erfolgreiche Sozialmanagerin Christina, mit der sie lernen musste umzugehen. Berufliche Lebensthemen sind hier »Erstes Scheitern«, »Jüngere vorlassen« oder »Stagnation der Karriere«. Diese beruflichen Lebensthemen treffen typischerweise Berufstätige mit Anfang vierzig. Manchmal tritt dies auch schon früher ein, zum Beispiel in Branchen wie der Werbung, die extrem durch Jugendlichkeit dominiert werden. Für Christina stand fest, dass sie gehen wollte. Aber nicht im Zorn. »Man sieht sich immer zweimal«, sagte Christina, die außerdem einen ausgeprägten Wert von Fairness besitzt.
Im Coaching begaben wir uns mit Christina auf die Suche nach einer vergleichbaren Erfahrung, die sie in anderen Lebensbereichen erfolgreich gemeistert hatte und auf die sie in der jetzigen Situation zurückgreifen konnte. Und tatsächlich fand sich ein gelungener »Abschied« im Bereich ihres Privatlebens. Als ehemalige Leistungssportlerin im Hockey hatte Christina wegen ihrer Karriere schon mit 28 Jahren den Status als Semi-Profi aufgegeben. Ein Abschied, der ihr nicht leichtgefallen war, doch inzwischen konnte sie gut damit leben, dass sie danach nur noch an zwei Abenden der Woche in der Halle beim Training war. Und seit die Pflegekinder da sind, sagt sie, »bin ich nur noch Zuschauerin«.
Der Übergang zur Hobby-Hockeyspielerin war Christina gelungen; sie konnte ohne Bitterkeit zurückschauen. Gemeinsam erarbeiteten wir, welche Strategien sie dafür angewendet und auf welche Ressourcen sie dabei zurückgegriffen hatte sowie welche konkreten Schritte sie gegangen war. Wichtig war Christina zum Beispiel, dass sie ein sehr bedeutsames letztes Spiel mit ihrer Mannschaft gewonnen hatte: ein Highlight am Ende der Sportkarriere, das sie in ihrem KAIROS-Datenchart explizit als »Das letzte Spiel« erwähnte. Christina definierte für sich, was dieses »letzte erfolgreiche Spiel« in ihrer aktuellen Berufssituation sein könnte. »Ich will mich jetzt in dem aktuellen Projekt noch einmal richtig reinhängen. Ich will das als Erfolg übergeben. Und dann gehen«, beschloss Christina energisch. Vorher war sie eher demotiviert und lustlos mit diesem Projekt gewesen, nachdem Ihre Bewerbung abgelehnt worden war.
Kurz und bündig war die Auswertung der universellen Lebensthemen in der Berufsbiografie für Stefanie. Bereits in der Übung »Karriereanker« hatte sie ja erkannt, dass sie sich niemals bewusst und willentlich für ihre fachliche Ausrichtung im Controlling und Buchhaltungsbereich entschieden hatte. Das Lebensthema »Berufliche Identität aufbauen«, das meist zwischen 21 und 28 Jahren absolviert wird, war bei Stefanie in einer »beruflichen Notlösung« oder auch »Fassade« geendet. Mit dieser hatte sie sich zwar einige Jahre einigermaßen arrangiert. Aber durch den Kontakt mit ihrer wirklichen Begabung, dem Kommunikationstraining mit Gruppen, konnte sie diesem Thema nun direkt ins Auge sehen. Deutlich zeigte sich die Wahl zwischen »Fassade« oder »Authentizität«.

Auswertung archetypischer Lebensthemen

Archetypische Lebensthemen umfassen Aspekte wie: »Weisheit finden«, »Mütterlichkeit«/»Väterlichkeit«, »Das männliche und/oder weibliche Prinzip in sich leben«. Auf den ersten Blick mag es sich dabei um eher abstrakte Kategorien handeln; das heißt jedoch nicht, dass diese Themen eine untergeordnete Rolle spielen. Häufig lassen sie sich in Mythen, Dramen und heute in Filmen finden und diese auch in uns lebendig erfahrbar werden. Schon vor Jahren haben Figuren aus Dramen von Shakespeare Einzug in Führungstrainings gehalten. Zurückzuführen ist dieses Interesse darauf, dass in solchen Figuren typische und wichtige Krisensituationen sowie Ressourcen beispielhaft gebündelt zu sehen sind. Wenn man die Geschichten erzählt bekommt, kann man gut mit ihnen arbeiten, da sie einerseits nicht trivial sind und andererseits in der Bildlichkeit der Geschichte nachvollziehbare Lösungen abgebildet werden.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich nicht alle Coachingklienten dieser mythologisch-bildlichen Dimension öffnen können. Einen Versuch ist es jedoch in jedem Fall wert, denn durch sie werden diese Themen oft besser vermittelt als durch trockene Kompetenzlisten und Fragebögen. Lassen Sie sich also ruhig einmal inspirieren von Filmen und Erzählungen. Welche Lebensthemen entdecken Sie dabei auch für sich?
Tatsächlich ist es möglich, über bildhafte Geschichten auf die Charakterstärken einer Figur gezielt zuzugreifen und einzelne unterentwickelte Lebensthemen zu stärken. Biografisches Coaching bietet einen hervorragenden Boden, um solche Stärken und andere Kompetenzen im eigenen Lebensweg aufzuspüren und als Ressource neu zu aktivieren, wie das folgende Beispiel zeigt:
Robert arbeitete als Stationsarzt in einer orthopädischen Klinik. Durch den Wechsel der Pflegeleitung war es zu Spannungen auf der Station gekommen, für die er sich gegenüber dem ihm vorgesetzten Oberarzt verantworten musste. Allerdings hatte Robert das Thema »Konflikte führen« in seiner bisherigen Biografie nie besonders gut leben können. Zufällig las er kurz vor dem Gespräch einen Zeitungsartikel, in dem ein mythologischer Held erwähnt wurde, der ihm in seiner Jahrzehnte zurückliegenden Schulzeit schon einmal begegnet war. Diese Erinnerung förderte in dem Arzt neue Kräfte zutage, die er in der Auseinandersetzung für sich nutzte. Robert nahm nicht nur die aufrechte Körperhaltung des Helden ein, sondern auch dessen innere Haltung kam in ihm zum Vorschein. Dazu musste er nicht den Umweg über Verstand und Ratio nehmen. Durch sein verändertes Auftreten konnte er seinem Vorgesetzten überzeugend vermitteln, worauf die Dissonanzen im Team eigentlich zurückzuführen waren und was er brauche, um ein Thema effektiv zu lösen. Sein Umfeld war – das sagte er mit sichtbarer Genugtuung – vor allem völlig konsterniert, wie der bisher so zurückhaltend wirkende Robert mit einem Mal so durchsetzungsstark auftreten konnte.

Auswertung individueller und intergenerationaler Lebensthemen

Darunter zu verstehen sind in der Regel Varianten allgemeiner Lebensthemen, die eine sehr persönliche Prägung aufweisen und in der Biografie des Einzelnen von großer Bedeutung sind. Von Erfahrungen, die damit einhergehen, ist eigentlich niemand ausgenommen; ich denke hier insbesondere an Themen wie »Abschied«, »Wandel und Wechsel«, »Früh Verantwortung tragen«, »Lernen aus Krankheit«. Immer wieder spielen solche Lebensthemen dann auch in der Berufsbiografie eine Rolle.
Individuelle Lebensthemen stellen auch sehr stark einen »roten Faden« in der Berufsbiografie her. So war es bei Thomas, als er das verbindende Thema fand zwischen seinem ersten Beruf, der Schauspielerei, und seinem neu gewählten Beruf, der Logopädie und der Sprecherziehung für Kindersynchronsprecher und Erwachsene. Sein individuelles Lebensthema, das er »Wahrheit zum Ausdruck bringen« nannte, ergänzt sich mit »Wahrhaftigkeit« als zentralem Wert von Thomas. Das findet sich in seinen beruflichen Entscheidungen wieder. Aufgewachsen in der DDR hatte der sensible Thomas schon in seiner Jugend bemerkt, dass es bestimmte Themen gab, die »nicht ausgesprochen werden durften«. Die Bühne bot gewisse Freiräume, solche Themen über Kunstfiguren zu transportieren. Diesen Figuren »wahrhaftigen Ausdruck zu verleihen« stellte für Thomas eine frühe Motivation dar, als er den Beruf des Schauspielers in Betracht zog. Zwei Jahrzehnte später erkannte er, dass nun wiederum dieses Lebensthema wunderbar in seinem neuen beruflichen Betätigungsfeld zum Ausdruck kam. »Heute unterstütze ich Menschen darin, dass Sie sich wahrhaftig und authentisch zum Ausdruck bringen können.« Der gemeinsame Bezugspunkt zu seinem zentralen Lebensthema befriedigte Thomas sehr. Er konnte die Kontinuität im Wechsel erkennen und sehen, dass er seinen zentralen Lebensthemen treu blieb.

Intergenerationale Lebensthemen

Eine Sonderform der individuellen Lebensthemen hat gerade in der letzten Zeit wieder mehr Aufmerksamkeit erhalten. Es sind sogenannte intergenerationale Lebensthemen, also Themen, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Dies ist einerseits besonders relevant bei Familienunternehmen, denn manche Familienmitglieder fühlen sich gefesselt und geknebelt von solchen Vermächtnissen. Ebenso weitreichend sind die Lebensthemen der Generation, die noch Krieg und Vertreibung miterlebt hat. Mehrere Forschungsrichtungen haben sich in jüngerer Zeit mit der Frage befasst, wie solche traumatischen Erfahrungen als Lebensthemen auch an die Kinder- und Enkelgeneration weitergegebenen werden. Im Anhang finden Sie spezielle Literaturhinweise zu diesem Thema. Falls Sie, wie ich selbst, noch Eltern oder Großeltern haben, die von Krieg und Vertreibung betroffen waren, dann empfehle ich Ihnen, einmal zu untersuchen, ob manche Ihrer Lebensthemen eigentlich solche der vorigen Generation sind – und ob Sie dieses Päckchen nicht endlich ablegen können. Sollte sich ein wirkliches Trauma in Ihrer Familie ereignet haben, rate ich Ihnen, sich an darauf spezialisierte Therapeuten zu wenden.
Doch intergenerationale Lebensthemen können auch positiv wirken oder positiv verarbeitet werden. Ich selbst erlebe das so in meiner eigenen Berufsbiografie und sehe es auch in meiner Coachingpraxis des Öfteren. Manche Klienten nehmen ein Ehrenamt auf, um Themen der Eltern- und Großelterngeneration zu verarbeiten, zum Beispiel im interkulturellen Dialog mit Ländern aus dem Zweiten Weltkrieg.
Im Coaching wirkt die Benennung von Lebensthemen oft befreiend. Viele meiner Klienten sprechen von einem Gefühl der Klarheit, das für sie damit einhergeht, zu wissen, »worum es geht«. Vor allem wird oft deutlich, dass sich bestimmte Lebensthemen aus dem privaten Bereich auch auf den beruflichen Lebensweg übertragen. Oder dass gerade ein neues Lebensthema hinzukommt und ein Wechsel der Lebensthemen eintritt, wenn sich die Lebensphase ändert. »Erfolg zu haben, ist jetzt nicht mehr mein Thema«, sagte mir einmal eine sehr erfolgreiche Klientin. »Jetzt frage ich mich eher, was Erfolg eigentlich für mich bedeutet.«
Lebensthemen sind Weggefährten, Aufgaben und manchmal auch Ballast im Lebensrucksack. Unerledigte Lebensthemen fühlen sich an wie eine unerledigte Hausaufgabe des Lebens. Manche Karrierefrauen in meiner Praxis merken mit Ende dreißig, dass sie das Lebensthema »Partnerschaft/Bindung eingehen« unbewältigt mit sich herumschleppen. So ähnlich wie Stefanie, bei der sich dieses Thema zusammen mit der Kinderfrage langsam in den Vordergrund drängt. Mancher gestandene Manager trauerte in meiner Praxis schon einem verpassten offiziellen Abschluss eines Studiums nach oder der nicht gelebten »Zeit der Experimente«. Was immer es ist, das Sie bewegt, für Lebensthemen gilt: »Love it, leave it or change it.« Haken Sie Themen endlich ab oder starten Sie durch! Als ich mit Anfang vierzig merkte, dass eine Dissertation zu schreiben ein Lebenstraum und ein Lebensthema für mich war (auch eines meiner Familie, meines Vaters), das mich nicht losließ, legte ich einfach los. Manche hielten mich für verrückt. Andere, die mich kannten, meinten: Du musst das machen. Tatsächlich fühle ich mich heute »komplett«. Natürlich geht das Leben auch weiter, wenn man ein Lebensthema nicht bewältigt. Aber wenn Sie die Gelegenheit haben, etwas Aufgeschobenes nachzuholen, rate ich Ihnen dies zu tun. Sie werden an Energie gewinnen und an Selbstachtung.
Übung 15: Fazit der Lebensthemen
Schauen Sie sich nun noch einmal an, was Sie bisher an Informationen zu Ihren Lebensthemen zusammengetragen haben. Legen Sie besonderes Augenmerk auf die Lebensphasenwechsel, denn diese sind oft aufschlussreich. Haben Sie ein Lebensthema mitgeschleppt, unerledigt gelassen? Spukt Ihnen ein Traum noch durch den Kopf? Lassen Sie sich die unterschiedlichen Arten und Beispiele für Lebensthemen durch den Kopf gehen.
Fragen Sie sich:
  • Welches Lebensthema oder welche Themen sind derzeit bei mir zentral?
  • Finden sich Themen der persönlichen Lebensstränge im Berufsstrang wieder?
  • Gibt es Themen, die ich nicht bewältigt habe, aber noch mit mir »rumschleppe« (zum Beispiel das Thema »Partnerschaft oder wirtschaftliche Unabhängigkeit«)?
  • Gibt es energievolle Lebensthemen und solche, die meine beruflichen Pläne unterstützen?
Tragen Sie abschließend Ihre beiden zentralen Lebensthemen in Ihre KAIROS-Gesamtauswertung in die dafür vorgesehenen Felder ein.
Unsere Protagonisten beschäftigten zum Teil sogar mehr als nur zwei Themen. Sehr verwandte Themen sind daher zusammen aufgelistet:
Christina: Laufbahn-Plateau; Macht/Einfluss gewinnen wollen
Stefanie: Berufliche Identität (vs. Fassade)/Neustart; Ungewolltes Single-Leben/Partnerschaft eingehen
Thomas: Integration der Lebensstränge Familie und Beruf; Meisterschaft in Serie erwerben/Roten Faden finden in der Berufsbiografie
Zum Abschluss dieses Kapitels noch ein Tipp: Wenn Sie Interesse gefunden haben an der Beschäftigung mit Lebensthemen, möchte ich Ihnen empfehlen, sich diesen auch intuitiv und bildlich zu nähern:
  • Lassen Sie sich von Bildern inspirieren, die Ihr Lebensthema darstellen: Postkarten, Werbefotos, Fotografien …
  • Sprechen Sie mit Gleichgesinnten: »Wie bist du mit XY umgegangen?«
  • Lesen Sie Geschichten, Märchen, Mythen, aber auch Biografien von realen Persönlichkeiten, die Ihr Lebensthema durchlebt haben.
Solche Geschichten beinhalten einen Schatz an Haltungen, Werten und Handlungsstrategien für den Umgang mit zentralen Lebensthemen. Und viele davon sind eben universell, also betreffen uns alle früher oder später einmal. In der Literaturliste am Ende des Buches gebe ich einige Anregungen dafür.