Lebensthemen
entdecken:
Vom roten Faden und von dem, was jetzt aktuell ist
Mit der Auswertungskategorie
»Lebensthemen« beleuchten Sie ein Element, das in keiner anderen
mir bekannten Methode des Karrierecoachings so angewendet wird. Es
ist ein spezifisches Merkmal des KAIROS-Biografie-Coachings.
Lebensthemen sind psychische Wachstumsprozesse,
die ein Mensch im Verlauf seiner Entwicklung in unserer westlichen
Gesellschaft durchlaufen wird, allgemein und auch ganz individuell.
Sie verbinden Sie ganz tief mit dem, worum es in Ihrem Leben
»wirklich« geht, und sie können Sie auch bei Ihrer momentanen
Berufsentscheidung in eine entscheidende Richtung weisen.
Woher kommt die Vorstellung, dass Menschen
bestimmte »Lebensthemen« haben und bearbeiten? Letztlich gibt es
mindestens drei Quellen und Wissenschaften, die sich damit
beschäftigen: die Entwicklungspsychologie, die Soziologie und
letztlich auch die Religionswissenschaften, die die großen
Lebensthemen des Menschen seit vielen Jahrtausenden beschreiben.
Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als wenn Lebensthemen
ausschließlich zur persönlichen Entwicklung gehören und nicht
direkt etwas mit der beruflichen Orientierung zu tun haben. In
meiner Erfahrung als Coach sind Lebensthemen jedoch gerade in
beruflichen Umbruchphasen höchst bedeutsam. Sie können hilfreich
sein, aber auch in die Irre führen, was den beruflichen Kurs
angeht. Näheres dazu erfahren Sie im Kapitel Die Berufungs- und
die Karrierefalle.
Wie oft haben wir uns schon gefragt, worum es
bei einer Sache geht, was das eigentliche Anliegen ist. In Meetings
mit Kollegen und Vorgesetzten, aber auch im privaten Bereich, wenn
es etwa zur Aussprache kommt, fällt häufig die Aussage: »Das ist
jetzt nicht das Thema.« Man redet aneinander vorbei oder der Kern,
der »Punkt« eines Sachverhalts ist noch nicht richtig erfasst.
Ähnlich ist es, wenn Sie am Thema Ihres Berufslebens vorbeileben.
Sie haben dann das Gefühl, etwas ganz Zentrales nicht zu
verwirklichen. Andererseits ist es hochbefriedigend, »sein Thema zu
finden«.
Bei Lebensthemen muss man differenzieren
zwischen universellen Themen, die für alle Menschen mehr oder
weniger relevant sind, und solchen, die ganz individuell in
einzelnen Biografien vorkommen. Beide können die Berufsbiografie
entscheidend prägen. Manche universelle Lebensthemen beziehen sich
dabei ganz explizit schon auf den Lebensstrang »Beruf«, zum
Beispiel »Eine berufliche Identität finden«, »Eine Existenz
aufbauen«, »Ein Karriereplateau erreichen«. Andere Lebensthemen
fußen eigentlich in den persönlichen Lebenssträngen, beeinflussen
aber dennoch die Berufsbiografie. In den Biografien unserer
Protagonisten Thomas und Christina sind es die Themen von
Elternschaft und Familie, die ihren beruflichen Weg entscheidend
mitprägen. Bei Stefanie ist das Thema der beruflichen
Identititätsfindung bei ihrer ersten Jobwahl nicht gelungen; sie
hat eher eine »berufliche Fassade« gewählt. Damals aus guten
Gründen, aber nun kann es Zeit sein, dies zu ändern.
Folgend stelle ich Ihnen zunächst die
Kategorien von Lebensthemen vor, die Sie in Ihrer Biografie finden
werden, und zeige Ihnen, wie Sie sie aufspüren. Eine Beispielliste
mit Lebensthemen finden Sie im Anhang. Wenn Sie gerne mit den
Lebensthemen in Ihrem Alltag arbeiten möchten, empfehle ich Ihnen
die Materialbox »Lebensthemen«, die Sie beim Coaching Center Berlin
bestellen können (siehe Anhang »Literatur und weiterführende
Adressen«).
Anthropologische und normative
Lebensthemen Dies sind Lebensthemen, wie sie die
Entwicklungspsychologie für Menschen der westlichen
Industriegesellschaft gesammelt hat. Sie finden hier typische
Themen, die Sie in Ihrem Leben bereits bewältigt haben oder die
noch vor Ihnen liegen, zum Beispiel »Eigenständig werden« oder
»Seine berufliche Identität finden«, »Eine Familie gründen, »Kinder
bekommen und versorgen«, später auch »Ein Erbe hinterlassen«, was
nicht nur materielle Güter meint, sondern unter dem Stichwort
»Generativität« alles umfasst, was ein Mensch auch geistig und in
Bindungen weitergibt.
Archetypische
Lebensthemen Sie sind von der Tiefenpsychologie Carl
Gustav Jungs abgeleitet, der Urbilder der menschlichen Kultur, eben
sogenannte Archetypen, im Unbewussten aller Menschen benannte. Hier
lassen sich Urthemen der Menschheit finden wie »Der/Die Weise« mit
dem Prinzip der Suche nach Weisheit, »Mütterlichkeit«
beziehungsweise »Väterlichkeit«, das »Männliche« oder »Weibliche
Prinzip« in jedem Menschen. Archetypische Figuren werden häufig in
Märchen und Mythen ausgeformt, beispielsweise »Die Königin«/»Der
König«, wenngleich die konkrete Art der Darstellung von Kultur zu
Kultur variieren kann. Andere archetypische Aspekte wurden in
neuerer Zeit durch die aufkommende Welle der Selbsterfahrung
populär, zum Beispiel »Das innere Kind«.
Individuelle
Lebensthemen Dies sind Themen, die ganz speziell Ihr Leben
kennzeichnen und bestimmen. Hierin unterscheiden sich oft sogar
Geschwister der gleichen Familie sehr. Individuelle Lebensthemen
sind wie das Leitmotiv in einem Musikstück, das immer wieder in
verschiedenen Tonarten anklingt, häufig über die gesamte Biografie
hinweg.
Beispiele für solche individuellen Lebensthemen
sind »Stetiger Wandel und Wechsel«, »Aufbrüche ohne Abschied«,
»Immer als Erste aus einer Beziehung gehen«, »Flüchtlingskind«,
»Verantwortung tragen müssen«, »Führung übernehmen«, »Früher Umgang
mit Krankheit«. Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Übung 14: Lebensthemen in
der Biografie aufspüren
Im Coaching mit meinen Klienten nehme ich
die Lebensthemen meistens schon beim Erzählen der Lebensgeschichte
auf. Ich notiere sie auf Haftzetteln, während ich dem Coachee
zuhöre, und hänge sie anschließend an die Pinnwand. Schauen Sie
also bitte zunächst Ihre Stichwörter oder Aussagen an, die Sie nach
dem Überblick Ihrer Biografie auf Haftzetteln notiert und neben dem
Datenchart angebracht haben. Verbergen sich hier Lebensthemen? Gern
können Sie auch noch einmal die Überschriften durchgehen, die Sie
den einzelnen Lebensphasen gegeben haben. Was könnten in jeder
Lebensphase Ihre Lebensthemen sein?
Im biografischen Coaching wird, wie
bereits erwähnt, differenziert zwischen universellen Lebensthemen
in der Entwicklungspsychologie sowie individuellen Lebensthemen. Es
ist also normal, dass Sie manche Themen bereits durchlebt haben,
etwa die erste Identitätsfindung in der Pubertät, die erste
Berufswahl und eventuell auch die Frage nach dem Eingehen einer
Lebenspartnerschaft. Für viele meiner Klienten ist es erleichternd,
festzustellen, dass sie einiges im Leben bereits »abgehakt« haben.
Folgende Fragen zum Aufspüren von Lebensthemen können Ihnen
helfen:
-
Sehe ich Themen, die sich für mich »erledigt haben«, die nicht mehr aktuell sind?
-
Wiederholen sich bestimmte Situationen in meinem Leben immer wieder?
-
Gibt es bei dem, was ich mache, oder bei den Menschen, mit denen ich mich umgebe, so etwas wie einen gemeinsamen Nenner?
-
Was hat mich schon immer interessiert?
-
Welche Frage ist seit jeher zentral?
Als Anregung können Sie jetzt einen
Blick auf die Liste mit den Lebensthemen aus dem Anhang werfen.
Viele meiner Klienten finden das in der Eigenarbeit hilfreich, um
auf Themen zu kommen beziehungsweise diese in ihrem Datenchart zu
entdecken.
Die Liste ist zweifach gegliedert,
sowohl thematisch als auch zum Teil nach Lebensphasen, je nachdem,
welcher Aspekt Sie gerade besonders anspricht. Daher sind manche
Begriffe auch zweifach zugeordnet. Es gibt zum Beispiel typische
Themen der Lebensphase ungefähr zwischen 30 bis 40, die sogenannte
»Rush-Hour des Lebens«. In der Logik der Siebenjahresphasen sind
dies die fünfte und die sechste Lebensphase von 28 bis 35 Jahre und
von 35 bis 42 Jahre. Und es gibt eine Reihe von Lebensthemen, die
alle mit dem Lebensstrang der Berufsbiografie zu tun haben.
Notieren Sie die »erledigten« und vor
allem die aktuellen Lebensthemen auf Haftnotizzetteln und ordnen
Sie diese jeweils einer Lebensphase in Ihrem KAIROS-Datenchart
zu.
Lebensthemen in der Berufsbiografie: Auswertungsbeispiele
Unsere Lebensthemen prägen unsere
Berufsbiografie häufig wie eine Signatur. Und manchmal möchten wir
diese Signatur verändern. Im Kapitel Innere Mentoren und
Saboteure wird es darum gehen, dass unerwünschte Lebensthemen
in Ihrer Biografie entweder keinen Raum mehr einnehmen oder
erheblich verändert werden.
Ebenso wichtig bei der Betrachtung der
berufsbiografischen Lebensthemen ist die Vermischung von
Lebensthema und Lebensstrang. Dazu kommt es, wenn ein Lebensthema
der persönlichen Entwicklung, wie zum Beispiel »Seine Innerlichkeit
entdecken«, »Bindungen eingehen« oder »Eigenständig werden«, sich
unbemerkt in die Berufsbiografie einschleicht. Das kann gutgehen
und eine neue Perspektive eröffnen, etwa als Heilpraktikerin,
Ladenbesitzerin oder auch als Coach. Aber es kann auch ein Irrtum
sein, sein Hobby oder ein aktuelles Bedürfnis zum Beruf zu machen.
Geht das schief, sind Sie in die »Berufungsfalle« geraten. Näheres
dazu finden Sie im gleichnamigen Kapitel. Auf den folgenden Seiten
schildere ich Ihnen einige Beispiele, wie ich in Coachingfällen in
der Auswertung mit Lebensthemen gearbeitet habe.
Auswertung universeller Lebensthemen der Berufsbiografie
Dass ein weiteres Lebensthema für sie
hinzugekommen war, erkannte Christina, als sie vor ihrem
biografischen KAIROS-Chart stand. Mit Anfang vierzig hatte sie die
aussichtsreiche Bewerbung um den nächsthöheren Posten der
Geschäftsführung zugunsten einer jüngeren Bewerberin verloren. »Ich
bin eben kein ›Talent‹ mehr«, brachte sie es nicht ohne Bitterkeit
auf den Punkt. Bis dahin war Christina oft die Jüngste oder eine
Überfliegerin gewesen, egal auf welcher Position. Erstmals in ihrer
beruflichen Laufbahn war sie jetzt übertroffen worden, noch dazu
von einer jüngeren Mitbewerberin. Eine ganz neue Erfahrung für die
ambitionierte und erfolgreiche Sozialmanagerin Christina, mit der
sie lernen musste umzugehen. Berufliche Lebensthemen sind hier
»Erstes Scheitern«, »Jüngere vorlassen« oder »Stagnation der
Karriere«. Diese beruflichen Lebensthemen treffen typischerweise
Berufstätige mit Anfang vierzig. Manchmal tritt dies auch schon
früher ein, zum Beispiel in Branchen wie der Werbung, die extrem
durch Jugendlichkeit dominiert werden. Für Christina stand fest,
dass sie gehen wollte. Aber nicht im Zorn. »Man sieht sich immer
zweimal«, sagte Christina, die außerdem einen ausgeprägten Wert von
Fairness besitzt.
Im Coaching begaben wir uns mit Christina auf
die Suche nach einer vergleichbaren Erfahrung, die sie in anderen
Lebensbereichen erfolgreich gemeistert hatte und auf die sie in der
jetzigen Situation zurückgreifen konnte. Und tatsächlich fand sich
ein gelungener »Abschied« im Bereich ihres Privatlebens. Als
ehemalige Leistungssportlerin im Hockey hatte Christina wegen ihrer
Karriere schon mit 28 Jahren den Status als Semi-Profi aufgegeben.
Ein Abschied, der ihr nicht leichtgefallen war, doch inzwischen
konnte sie gut damit leben, dass sie danach nur noch an zwei
Abenden der Woche in der Halle beim Training war. Und seit die
Pflegekinder da sind, sagt sie, »bin ich nur noch
Zuschauerin«.
Der Übergang zur Hobby-Hockeyspielerin war
Christina gelungen; sie konnte ohne Bitterkeit zurückschauen.
Gemeinsam erarbeiteten wir, welche Strategien sie dafür angewendet
und auf welche Ressourcen sie dabei zurückgegriffen hatte sowie
welche konkreten Schritte sie gegangen war. Wichtig war Christina
zum Beispiel, dass sie ein sehr bedeutsames letztes Spiel mit ihrer
Mannschaft gewonnen hatte: ein Highlight am Ende der Sportkarriere,
das sie in ihrem KAIROS-Datenchart explizit als »Das letzte Spiel«
erwähnte. Christina definierte für sich, was dieses »letzte
erfolgreiche Spiel« in ihrer aktuellen Berufssituation sein könnte.
»Ich will mich jetzt in dem aktuellen Projekt noch einmal richtig
reinhängen. Ich will das als Erfolg übergeben. Und dann gehen«,
beschloss Christina energisch. Vorher war sie eher demotiviert und
lustlos mit diesem Projekt gewesen, nachdem Ihre Bewerbung
abgelehnt worden war.
Kurz und bündig war die Auswertung der
universellen Lebensthemen in der Berufsbiografie für Stefanie.
Bereits in der Übung »Karriereanker« hatte sie ja erkannt, dass sie
sich niemals bewusst und willentlich für ihre fachliche Ausrichtung
im Controlling und Buchhaltungsbereich entschieden hatte. Das
Lebensthema »Berufliche Identität aufbauen«, das meist zwischen 21
und 28 Jahren absolviert wird, war bei Stefanie in einer
»beruflichen Notlösung« oder auch »Fassade« geendet. Mit dieser
hatte sie sich zwar einige Jahre einigermaßen arrangiert. Aber
durch den Kontakt mit ihrer wirklichen Begabung, dem
Kommunikationstraining mit Gruppen, konnte sie diesem Thema nun
direkt ins Auge sehen. Deutlich zeigte sich die Wahl zwischen
»Fassade« oder »Authentizität«.
Auswertung archetypischer Lebensthemen
Archetypische Lebensthemen umfassen
Aspekte wie: »Weisheit finden«, »Mütterlichkeit«/»Väterlichkeit«,
»Das männliche und/oder weibliche Prinzip in sich leben«. Auf den
ersten Blick mag es sich dabei um eher abstrakte Kategorien
handeln; das heißt jedoch nicht, dass diese Themen eine
untergeordnete Rolle spielen. Häufig lassen sie sich in Mythen,
Dramen und heute in Filmen finden und diese auch in uns lebendig
erfahrbar werden. Schon vor Jahren haben Figuren aus Dramen von
Shakespeare Einzug in Führungstrainings gehalten. Zurückzuführen
ist dieses Interesse darauf, dass in solchen Figuren typische und
wichtige Krisensituationen sowie Ressourcen beispielhaft gebündelt
zu sehen sind. Wenn man die Geschichten erzählt bekommt, kann man
gut mit ihnen arbeiten, da sie einerseits nicht trivial sind und
andererseits in der Bildlichkeit der Geschichte nachvollziehbare
Lösungen abgebildet werden.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich nicht
alle Coachingklienten dieser mythologisch-bildlichen Dimension
öffnen können. Einen Versuch ist es jedoch in jedem Fall wert, denn
durch sie werden diese Themen oft besser vermittelt als durch
trockene Kompetenzlisten und Fragebögen. Lassen Sie sich also ruhig
einmal inspirieren von Filmen und Erzählungen. Welche Lebensthemen
entdecken Sie dabei auch für sich?
Tatsächlich ist es möglich, über bildhafte
Geschichten auf die Charakterstärken einer Figur gezielt
zuzugreifen und einzelne unterentwickelte Lebensthemen zu stärken.
Biografisches Coaching bietet einen hervorragenden Boden, um solche
Stärken und andere Kompetenzen im eigenen Lebensweg aufzuspüren und
als Ressource neu zu aktivieren, wie das folgende Beispiel
zeigt:
Robert arbeitete als Stationsarzt in einer
orthopädischen Klinik. Durch den Wechsel der Pflegeleitung war es
zu Spannungen auf der Station gekommen, für die er sich gegenüber
dem ihm vorgesetzten Oberarzt verantworten musste. Allerdings hatte
Robert das Thema »Konflikte führen« in seiner bisherigen Biografie
nie besonders gut leben können. Zufällig las er kurz vor dem
Gespräch einen Zeitungsartikel, in dem ein mythologischer Held
erwähnt wurde, der ihm in seiner Jahrzehnte zurückliegenden
Schulzeit schon einmal begegnet war. Diese Erinnerung förderte in
dem Arzt neue Kräfte zutage, die er in der Auseinandersetzung für
sich nutzte. Robert nahm nicht nur die aufrechte Körperhaltung des
Helden ein, sondern auch dessen innere Haltung kam in ihm zum
Vorschein. Dazu musste er nicht den Umweg über Verstand und Ratio
nehmen. Durch sein verändertes Auftreten konnte er seinem
Vorgesetzten überzeugend vermitteln, worauf die Dissonanzen im Team
eigentlich zurückzuführen waren und was er brauche, um ein Thema
effektiv zu lösen. Sein Umfeld war – das sagte er mit sichtbarer
Genugtuung – vor allem völlig konsterniert, wie der bisher so
zurückhaltend wirkende Robert mit einem Mal so durchsetzungsstark
auftreten konnte.
Auswertung individueller und intergenerationaler Lebensthemen
Darunter zu verstehen sind in der Regel
Varianten allgemeiner Lebensthemen, die eine sehr persönliche
Prägung aufweisen und in der Biografie des Einzelnen von großer
Bedeutung sind. Von Erfahrungen, die damit einhergehen, ist
eigentlich niemand ausgenommen; ich denke hier insbesondere an
Themen wie »Abschied«, »Wandel und Wechsel«, »Früh Verantwortung
tragen«, »Lernen aus Krankheit«. Immer wieder spielen solche
Lebensthemen dann auch in der Berufsbiografie eine Rolle.
Individuelle Lebensthemen stellen auch sehr
stark einen »roten Faden« in der Berufsbiografie her. So war es bei
Thomas, als er das verbindende Thema fand zwischen seinem ersten
Beruf, der Schauspielerei, und seinem neu gewählten Beruf, der
Logopädie und der Sprecherziehung für Kindersynchronsprecher und
Erwachsene. Sein individuelles Lebensthema, das er »Wahrheit zum
Ausdruck bringen« nannte, ergänzt sich mit »Wahrhaftigkeit« als
zentralem Wert von Thomas. Das findet sich in seinen beruflichen
Entscheidungen wieder. Aufgewachsen in der DDR hatte der sensible
Thomas schon in seiner Jugend bemerkt, dass es bestimmte Themen
gab, die »nicht ausgesprochen werden durften«. Die Bühne bot
gewisse Freiräume, solche Themen über Kunstfiguren zu
transportieren. Diesen Figuren »wahrhaftigen Ausdruck zu verleihen«
stellte für Thomas eine frühe Motivation dar, als er den Beruf des
Schauspielers in Betracht zog. Zwei Jahrzehnte später erkannte er,
dass nun wiederum dieses Lebensthema wunderbar in seinem neuen
beruflichen Betätigungsfeld zum Ausdruck kam. »Heute unterstütze
ich Menschen darin, dass Sie sich wahrhaftig und authentisch zum
Ausdruck bringen können.« Der gemeinsame Bezugspunkt zu seinem
zentralen Lebensthema befriedigte Thomas sehr. Er konnte die
Kontinuität im Wechsel erkennen und sehen, dass er seinen zentralen
Lebensthemen treu blieb.
Intergenerationale Lebensthemen
Eine Sonderform der individuellen
Lebensthemen hat gerade in der letzten Zeit wieder mehr
Aufmerksamkeit erhalten. Es sind sogenannte intergenerationale
Lebensthemen, also Themen, die von einer Generation zur nächsten
weitergegeben werden. Dies ist einerseits besonders relevant bei
Familienunternehmen, denn manche Familienmitglieder fühlen sich
gefesselt und geknebelt von solchen Vermächtnissen. Ebenso
weitreichend sind die Lebensthemen der Generation, die noch Krieg
und Vertreibung miterlebt hat. Mehrere Forschungsrichtungen haben
sich in jüngerer Zeit mit der Frage befasst, wie solche
traumatischen Erfahrungen als Lebensthemen auch an die Kinder- und
Enkelgeneration weitergegebenen werden. Im Anhang finden Sie
spezielle Literaturhinweise zu diesem Thema. Falls Sie, wie ich
selbst, noch Eltern oder Großeltern haben, die von Krieg und
Vertreibung betroffen waren, dann empfehle ich Ihnen, einmal zu
untersuchen, ob manche Ihrer Lebensthemen eigentlich solche der
vorigen Generation sind – und ob Sie dieses Päckchen nicht endlich
ablegen können. Sollte sich ein wirkliches Trauma in Ihrer Familie
ereignet haben, rate ich Ihnen, sich an darauf spezialisierte
Therapeuten zu wenden.
Doch intergenerationale Lebensthemen können
auch positiv wirken oder positiv verarbeitet werden. Ich selbst
erlebe das so in meiner eigenen Berufsbiografie und sehe es auch in
meiner Coachingpraxis des Öfteren. Manche Klienten nehmen ein
Ehrenamt auf, um Themen der Eltern- und Großelterngeneration zu
verarbeiten, zum Beispiel im interkulturellen Dialog mit Ländern
aus dem Zweiten Weltkrieg.
Im Coaching wirkt die Benennung von
Lebensthemen oft befreiend. Viele meiner Klienten sprechen von
einem Gefühl der Klarheit, das für sie damit einhergeht, zu wissen,
»worum es geht«. Vor allem wird oft deutlich, dass sich bestimmte
Lebensthemen aus dem privaten Bereich auch auf den beruflichen
Lebensweg übertragen. Oder dass gerade ein neues Lebensthema
hinzukommt und ein Wechsel der Lebensthemen eintritt, wenn sich die
Lebensphase ändert. »Erfolg zu haben, ist jetzt nicht mehr mein
Thema«, sagte mir einmal eine sehr erfolgreiche Klientin. »Jetzt
frage ich mich eher, was Erfolg eigentlich für mich
bedeutet.«
Lebensthemen sind Weggefährten, Aufgaben und
manchmal auch Ballast im Lebensrucksack. Unerledigte Lebensthemen
fühlen sich an wie eine unerledigte Hausaufgabe des Lebens. Manche
Karrierefrauen in meiner Praxis merken mit Ende dreißig, dass sie
das Lebensthema »Partnerschaft/Bindung eingehen« unbewältigt mit
sich herumschleppen. So ähnlich wie Stefanie, bei der sich dieses
Thema zusammen mit der Kinderfrage langsam in den Vordergrund
drängt. Mancher gestandene Manager trauerte in meiner Praxis schon
einem verpassten offiziellen Abschluss eines Studiums nach oder der
nicht gelebten »Zeit der Experimente«. Was immer es ist, das Sie
bewegt, für Lebensthemen gilt: »Love it, leave it or change it.«
Haken Sie Themen endlich ab oder starten Sie durch! Als ich mit
Anfang vierzig merkte, dass eine Dissertation zu schreiben ein
Lebenstraum und ein Lebensthema für mich war (auch eines meiner
Familie, meines Vaters), das mich nicht losließ, legte ich einfach
los. Manche hielten mich für verrückt. Andere, die mich kannten,
meinten: Du musst das machen. Tatsächlich fühle ich mich heute
»komplett«. Natürlich geht das Leben auch weiter, wenn man ein
Lebensthema nicht bewältigt. Aber wenn Sie die Gelegenheit haben,
etwas Aufgeschobenes nachzuholen, rate ich Ihnen dies zu tun. Sie
werden an Energie gewinnen und an Selbstachtung.
Übung 15: Fazit der
Lebensthemen
Schauen Sie sich nun noch einmal an, was
Sie bisher an Informationen zu Ihren Lebensthemen zusammengetragen
haben. Legen Sie besonderes Augenmerk auf die Lebensphasenwechsel,
denn diese sind oft aufschlussreich. Haben Sie ein Lebensthema
mitgeschleppt, unerledigt gelassen? Spukt Ihnen ein Traum noch
durch den Kopf? Lassen Sie sich die unterschiedlichen Arten und
Beispiele für Lebensthemen durch den Kopf gehen.
Fragen Sie sich:
-
Welches Lebensthema oder welche Themen sind derzeit bei mir zentral?
-
Finden sich Themen der persönlichen Lebensstränge im Berufsstrang wieder?
-
Gibt es Themen, die ich nicht bewältigt habe, aber noch mit mir »rumschleppe« (zum Beispiel das Thema »Partnerschaft oder wirtschaftliche Unabhängigkeit«)?
-
Gibt es energievolle Lebensthemen und solche, die meine beruflichen Pläne unterstützen?
Tragen Sie abschließend Ihre beiden
zentralen Lebensthemen in Ihre KAIROS-Gesamtauswertung in die dafür
vorgesehenen Felder ein.
Unsere Protagonisten beschäftigten zum
Teil sogar mehr als nur zwei Themen. Sehr verwandte Themen sind
daher zusammen aufgelistet:
Christina: Laufbahn-Plateau; Macht/Einfluss
gewinnen wollen
Stefanie: Berufliche Identität (vs.
Fassade)/Neustart; Ungewolltes Single-Leben/Partnerschaft
eingehen
Thomas: Integration der Lebensstränge Familie
und Beruf; Meisterschaft in Serie erwerben/Roten Faden finden in
der Berufsbiografie
Zum Abschluss dieses Kapitels noch ein
Tipp: Wenn Sie Interesse gefunden haben an der Beschäftigung mit
Lebensthemen, möchte ich Ihnen empfehlen, sich diesen auch intuitiv
und bildlich zu nähern:
-
Lassen Sie sich von Bildern inspirieren, die Ihr Lebensthema darstellen: Postkarten, Werbefotos, Fotografien …
-
Sprechen Sie mit Gleichgesinnten: »Wie bist du mit XY umgegangen?«
-
Lesen Sie Geschichten, Märchen, Mythen, aber auch Biografien von realen Persönlichkeiten, die Ihr Lebensthema durchlebt haben.
Solche Geschichten beinhalten einen Schatz
an Haltungen, Werten und Handlungsstrategien für den Umgang mit
zentralen Lebensthemen. Und viele davon sind eben universell, also
betreffen uns alle früher oder später einmal. In der Literaturliste
am Ende des Buches gebe ich einige Anregungen dafür.