Bestandsaufnahme und erste Zielvision

Wissen Sie noch, warum Sie zu diesem Buch gegriffen haben? Hat sich Ihnen eine konkrete Frage gestellt, gibt es in Ihrem beruflichen Umfeld ein akutes »Problem«? Oder ist vielleicht ein Headhunter mit einem interessanten Angebot auf Sie zugekommen? Möglicherweise haben sich auch Ihre Prioritäten verschoben, Privates ist jetzt wichtiger für Sie und Sie denken über eine längere Auszeit nach oder wollen mehr Zeit mit Ihrer Familie verbringen.
Ich kann mir vorstellen, dass es Ihnen anfangs wie vielen meiner Klienten ging, die sich an mich wenden: Sie müssen entweder wie Stefanie eine Entscheidung für einen tollen neuen Job, aber mit einem Risiko verbunden, treffen, oder Sie verspüren den Wunsch nach Veränderung wie Thomas. Oder Sie haben die Nase voll von Ihrem alten Laden wie Christina. Das heißt nicht, dass das, was Sie bislang beruflich gemacht haben, nicht das Richtige gewesen ist. Aber die Zeit hat sich verändert. Es ist Zeit – Kairos – für etwas anderes. Ihr alter Job mag Sie vielleicht nicht mehr ausreichend ausfüllen, eventuell hat Ihre Tätigkeit für Sie auch an Bedeutung verloren, weil etwas anderes Neugier in Ihnen hervorgerufen hat. Manche von Ihnen haben durch Zufall eine neue Seite an sich entdeckt oder gemerkt, dass Sie ein wesentliches Bedürfnis oder Talent aus dem Blick verloren und vernachlässigt haben. Nun gilt es, dieses Neue, ins Auge zu fassen. Dazu stelle ich Ihnen in diesem Kapitel drei Methoden vor:
  • Das KAIROS-Gesamtchart mit der Zufriedenheitskurve der Berufsstationen
  • Die Visionsreise »Der ideale Tag, die ideale Woche, das ideale Jahr«
  • Die Formulierung eines motivierenden Zielsatzes
Es kann sein, dass eine Übung aus dem ersten Teil bereits Ihre dringendste Frage zum Abschied vom alten Job beantworten konnte. Gerade dann ist es wichtig, dass Sie jetzt an einer klaren und motivierenden Zielvision feilen und dann konkrete Schritte mit sich vereinbaren. Bei Christina beispielsweise war nach der Wertearbeit bereits klar, dass sie ihre alte Firma verlassen würde. Aber wohin? Das Thema Selbstständigkeit und Firmengründung war nach der Karriereanker-Übung eine echte Option. Daran arbeitete sie in der Zielvision und dann der Umsetzungsphase (die Sie in den folgenden Kapiteln durchgehen werden). Für Thomas war entscheidend, dass er in den Lebensthemen seinen »roten Faden« von der Schauspielerei zu seinem neuen angestrebten Beruf, der Logopädie, finden konnte. Stefanie sammelte in allen Übungen der KAIROS-Methode wichtige Aspekte, die wie Mosaiksteine ein neues Bild ergaben. So fand sie den Mut und die Sicherheit, von dem neuen Beruf als Trainerin zu träumen und den Schritt des Berufswechsels wirklich anzugehen.

Das KAIROS-Gesamtdatenchart

Zuallererst sollten Sie einen Überblick aller Ergebnisse der KAIROS-Methode herstellen. Wenn Sie es noch nicht während der Übungen gemacht haben, bitte ich Sie nun, die Informationen über sich im KAIROS-Gesamtdatenchart zusammenzutragen. Sie sehen im Anhang die Gesamtcharts unserer drei Protagonisten als Beispiele und finden dort auch eine Kopiervorlage. In den Feldern des Gesamtdatenchart werden die zentralen Ergebnisse aller Übungen und Auswertungsschritte der KAIROS-Methode abgebildet:
  • Überschriften der Lebensphasen
  • Karriereanker
  • Lebensthemen
  • Werte
  • Kompetenzen
  • Charakterstärken
  • KAIROS-Zyklusjahre
Beachten Sie in jedem Fall, dass Sie bei den Werten auch die »hard facts« eintragen. Dazu finden Sie am rechten Rand die Felder für »Äußerliche Werte/Lebensbedingungen«. Dabei handelt es sich um objektive Faktoren der Arbeitssituation. Diese Anforderungen sind Teil unserer Werte, sollten aber separat aufgeführt werden. Hinsichtlich unserer sozialen Werte können wir mit einer Stelle zufrieden sein, hingegen können die objektiven Gegebenheiten unseren Vorstellungen zuwiderlaufen, sodass ein wesentlicher Teil unserer Werte wie das Bedürfnis nach Sicherheit beispielsweise nicht erfüllt ist. Das wäre also ein Ausschlusskriterium für einen Berufswechsel.
In der Mitte des Gesamtcharts finden Sie Platz, um Ihre aktuelle Lebensphase einzutragen (Überschrift) sowie die zwei KAIROS-Jahre, das aktuelle und das kommende, wenn Sie sich gerade in einer Umbruchsituation befinden.
In der zentralen Grafik ist Platz, um Ihre berufliche Laufbahn, Ihren Berufsstrang einmal im Überblick abzubilden und zu bewerten. Dazu lädt die folgende Übung ein. Sie dient dazu, die zurückliegenden und die aktuelle Berufsstation klar in den Blick zu bekommen. Ein Effekt kann sein, dass Sie sich mit Ihrer Vergangenheit aussöhnen und diesen alten Zielen nicht mehr nachlaufen müssen. Neben Frieden mit der Vergangenheit kann die notierte Zufriedenheit beziehungsweise Unzufriedenheit auch eine starke Motivation erzeugen, sich zu verändern.
Wenn Sie sich nach den Übungen aus dem ersten Teil bereits ganz sicher sind, wie Sie vorangehen möchten, und Sie auch keine »unerledigten« Themen aus alten Berufsstationen mit sich herumtragen, können Sie auch gleich zum zweiten Teil dieses Kapitels übergehen, der Visionsreise »Der ideale Tag, die ideale Woche, das ideale Jahr«.
Übung 24: Die Zufriedenheitskurve – Die Berufsstationen resümieren28
Diese Übung dreht sich um die Bestimmung des Erfüllungsgrads Ihrer Werte, Kompetenzen, Charakterstärken usw. an den unterschiedlichen Berufsstationen. Der Grad der Zufriedenheit/Unzufriedenheit gibt konkreten Aufschluss über Handlungsschritte, das heißt, Sie wissen, wo genau Sie ansetzen müssen und ob Sie Ihre Suche möglicherweise weiter verfeinern müssen oder ob Sie das, was Sie für sich herausgefunden haben, umsetzen können. Ausgehend von Ihrer Anfangsfrage soll am Ende dieses Kapitel eine erste Zielvision stehen, die Ihnen die Richtung weist.
Für die Übung »Die Zufriedenheitskurve« nutzen Sie die zentrale Grafik im Gesamtdatenchart.
Die Übung »Zufriedenheitskurve« ist leichter auszuführen, als es in der folgenden Beschreibung klingen mag. Das werden Sie sehen, sobald Sie sich einen Aspekt vorgenommen haben. Im Anschluss zeige ich Ihnen das Auswertungsbeispiel von Christina.
Tragen Sie auf der horizontalen Achse zunächst Ihre Berufsstationen in den jeweiligen Lebensphasen ein, aus Platzgründen am besten mit Abkürzungen. Wählen Sie drei bis vier Aspekte aus, die Sie pro Durchgang betrachten möchten (zum Beispiel Ihre innerlichen Werte und zwei Karriereanker, mehr wäre nicht übersichtlich), wiederholen Sie danach die Übung mit anderen Aspekten.
  • Wählen Sie für jede Kategorie, die Sie bewerten, eine separate Farbe oder eine andere Unterscheidung (durchgezogene Linie, Punkte, Strichelung etc.), in der Sie gleich die jeweilige Zufriedenheitskurve in die Grafik einzeichnen.
  • Tragen Sie Ihre Zufriedenheit einzeln für jedes Auswertungselement pro Berufsstation anhand der vertikalen Achse ein (Prozentpunkte Zufriedenheit). Machen Sie dazu anhand der Skala am rechten Rand entsprechend einen Punkt bei jeder Berufsstation.
  • Verbinden Sie die Punkte zu einer Zufriedenheitskurve pro Element – jedes separat in seiner Farbe oder Markierungsart. Weichen etwa zwei Werte, Karriereanker oder Kompetenzen stark voneinander ab, können Sie auch jeweils eine einzelne Kurve einzeichnen.
Die einzelnen Zufriedenheitskurven ermöglichen Ihnen, was die KAIROS-Methode für Ihre gesamte Biografie leistet: ein differenziertes Bild. Ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit erleben Sie normalerweise als gesamten Eindruck, wie eine aus mehreren Strängen gedrehte Kordel. In den separaten Zufriedenheitskurven lösen Sie einzelne Fäden aus dieser Kordel heraus und können so eine genauere Diagnose stellen: Wo drückt der Schuh?
Methodentipps
  • Tipp 1: Kopieren Sie Ihr Gesamtdatenchart auf DIN-A3 – ein größeres Format ermöglicht eine bessere Übersicht.
  • Tipp 2: Fertigen Sie mehrere Ausfertigungen (Kopien) an, damit Sie bei Bedarf mehrere Durchgänge machen können. Eine gute Alternative ist auch Transparentpapier, das ähnlich wie Butterbrotpapier aussieht und im Schreibwaren-/Bürohandel erhältlich ist. Davon können Sie mehrere Blätter nacheinander über die zentrale Grafik legen und so mehrere Auswertungsgänge durchlaufen.
  • Tipp 3: Da Sie für jeden Auswertungsaspekt eine separate Kurve einzeichnen werden, beschränken Sie sich bitte pro Durchgang aus Ihren Ergebnissen auf jeweils drei bis vier wichtige Punkte. Mehr Kurven gleichzeitig abzubilden geht auf Kosten der Übersichtlichkeit. Durchlaufen Sie also besser mehrere Durchgänge, in denen Sie Ihre Zufriedenheit zum Beispiel mit Ihren Lebensthemen, einzelnen Kompetenzen oder den Werten für die äußerlichen Lebensbedingungen betrachten.

Das Beispiel von Christina

Christina betrachtete in einem Durchgang der Zufriedenheitskurve ihre Karriereanker (alle drei in Summe, da diese nicht gegenläufig sind) sowie ihre innerlichen Werte (das heißt die Werte für die Dimension Innerlichkeit/Kommunikation im Gegensatz zu den objektiven Lebensbedingungen, die separat zu betrachten sind). Die beruflichen Stationen von Christina waren der Start des Soziologiestudiums mit 20, der Start des FH-Studiums der Sozialpädagogik mit 22, das Anerkennungsjahr als Sozialpädagogin sowie die erste Berufsstation in der Verwaltung mit 27 und 28 Jahren, der Start in Brüssel mit 29, der Antritt der jetzigen Stelle in Berlin mit 36 sowie die Ablehnung der Geschäftsführung mit 42 Jahren.
Für das Soziologiestudium zeigen beide Kurven stark nach unten. »Ein Horror«, erinnert sich Christina mit einem Schaudern. Nach dem Wechsel zur Sozialpädagogik ging es im FH-Studium etwas aufwärts, weil »Fairness« ein zentraler Wert vieler Kommilitonen und damit erfüllt war, allerdings zählte »Anerkennung für Leistung« in dem Umfeld weniger, daher gibt Christina in Summe für die Werte 50 Prozent. Die Karriereanker waren gemäß der Ausbildungssituation ebenfalls noch nicht voll erfüllt. Das Anerkennungsjahr und das erste Berufsjahr in der Verwaltung »dümpelten so vor sich hin«, beurteilt Christina diese Zeit. »Da gab es zu wenig Gestaltungsspielraum für meine unternehmerische Kreativität und ich hatte auch noch zu wenig Verantwortung (Minus im Karriereanker »General Management«). »In Brüssel ging dann die Post ab«, schmunzelt sie. Hier stimmt lange Zeit alles: Werte, Karriereanker und auch Kompetenzen. Anlass für den späteren Wechsel mit 36 Jahren zurück nach Berlin ist vor allem das Privatleben. Aber auch die Aussicht, dass sie ohne weitere formale Qualifikationen in Brüssel keinen weiteren Aufstieg schaffen wird. Und für Christina, mit dem Karriereanker »General Management«, ist mehr Verantwortung wichtig. Über einige Jahre ist der Berliner Job sehr gut für sie. Dann folgt ein kompletter Werteabsturz. »Wenn ich in einem fairen Wettbewerb die Stelle nicht bekommen hätte, wäre das für mich zwar schmerzhaft gewesen, aber akzeptabel. So aber geht das gar nicht. Es war einfach unbegründet und unfair.« Noch immer kocht sie förmlich vor Wut, wenn sie davon spricht. »Ehrlicherweise«, sagt sie mit Blick auf die fallende Kurve bei den Karriereankern, waren die letzten zwei Jahre in dem Berliner Job aber auch inhaltlich nicht mehr so zufriedenstellend. Vielleicht wollte ich mit der Geschäftsführung auch davon weg.
Christinas Zufriedenheitskurve beziehungsweise deren Absturz bringt den Handlungsbedarf klar auf den Punkt: Der nächste Job braucht auf jeden Fall Gestaltungsspielraum und muss ihre zentralen Werte bedienen. Christina ist kein Typ für Wertekompromisse. Dafür ist sie im Gegenzug auch bereit, Zeit und Energie zu investieren.
Wie entscheiden Sie sich? Finden Sie das heraus in der folgenden Fazit-Übung.
Übung 25: Ein Fazit ziehen
Was sagen die einzelnen Kurven über den Grad Ihrer Zufriedenheit mit Ihren früheren Berufsstationen oder dem jetzigen Job aus?
Zur Beantwortung dieser Frage bieten sich Ihnen verschiedene Möglichkeiten. Sie können Ihre summarische Gesamtzufriedenheit je beruflicher Station betrachten, also über alle relevanten Faktoren hinweg. Oder Sie schauen auf einzelne Faktoren, beispielsweise den Verlauf Ihrer Kompetenzen oder Werte. Spannungsreich sind oft gerade abweichende Kurven und Diskrepanzen, wenn Sie zum Beispiel Ihre Kompetenzen in einem Job einsetzen und entwickeln konnten, dies aber für Ihre Werte nicht gilt, wie es bei Christina der Fall war.
Letztlich ist es ganz allein Ihre Entscheidung, ob Sie nach der Betrachtung Ihrer Zufriedenheitskurven ein Fazit ziehen, das eine berufliche Veränderung beinhaltet.
Eine Option ist immer auch, dort zu bleiben, wo man ist. Wenn in Summe die Bilanz stimmt, können Sie sich vielleicht doch mit einigen weniger positiven Aspekten arrangieren? Auch das wäre ein gutes, nämlich stimmiges Ergebnis der Zufriedenheitskurve in der Gesamtbetrachtung.
Ein Fazit Ihrer beruflichen Gesamtzufriedenheit verleiht Ihrem Eindruck in jedem Fall Verbindlichkeit und motiviert zum Weitergehen. Oder bestärkt Sie eben darin, zu bleiben.
Folgende Fragen können Sie als Anregung nutzen, um ein Fazit aus Ihren Zufriedenheitskurven zu ziehen:
  • Schließt Ihre jetzige Tätigkeit zentral wichtige Aspekte und Entwicklung mit ein? Wird es im jetzigen Job möglich sein, diese zu durchlaufen?
  • Schließt die Summe Ihrer Kompetenzen und Werte diese Entwicklung aus?
  • Sollte Letzteres zutreffen: Welche Alternativen bieten sich?
  • Bieten Alltag, Freizeit und das private Umfeld einen Ausgleich, um in beruflicher Hinsicht zufrieden zu bleiben?
  • Können Sie sich mit einzelnen Abweichungen in der Zufriedenheit arrangieren, wenn Sie in Summe die Vorteile der anderen Aspekte betrachten?
  • Wo sind Sie bereit, Kompromisse zu schließen?
  • Werden Sie in Ihrer jetzigen Situation gesund bleiben können?
Notieren Sie nun bitte Ihr Fazit.

Kreative Alternativen für die Darstellung Berufszufriedenheit

Nicht jedem liegt die Art der Darstellung von Berufszufriedenheit in einer Kurve, für manche meiner Klienten ist dies zu technisch. Im Folgenden möchte ich Ihnen noch andere Methoden vorstellen, die häufig auch eher summarisch funktionieren, das heißt, angeben, wie zufrieden Sie sich ganz allgemein in einer Station gefühlt haben.
Sie können für eine summarische Betrachtung Ihrer Zufriedenheit pro Berufsstation auch einen Kreis zeichnen, der dem Zufriedenheitsgrad entsprechend gefüllt ist. Weitere Alternativen sind ein Bild zu malen, ein Foto oder einen Song auszuwählen, das/der Ihre Stimmung in der jeweiligen beruflichen Situation ausdrückt. Ihrer Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.
Wenn Sie nicht zum visuell veranlagten Typ zählen, können Sie eine summarische Betrachtung Ihrer beruflichen Zufriedenheit auch ausformulieren. Fragen Sie sich beispielsweise, welche Ziele Sie bei Aufnahme der Tätigkeit hatten und ob oder inwieweit diese sich im Laufe der Zeit verändert haben. Ähnliches bietet sich im Hinblick auf Ihre Werte an: Welche Werte haben Sie infolge Ihrer Berufstätigkeit ausgebildet? Auf welche möchten Sie nicht mehr verzichten? Hatten persönliche und private Veränderungen einen Einfluss auf Ihre berufliche Zufriedenheit? Bei allem handelt es sich um Optionen. Wichtig ist, dass Sie am Ende sagen können, welche der von Ihnen angestrebten beruflichen Entwicklungen für Sie am wichtigsten ist.
Wenn Sie den Eindruck gewonnen haben, dass Sie sich in einer Zwickmühle befinden, werden die Kapitel Die Berufungs- und die Karrierefalle und Innere Mentoren und Saboteure hilfreich sein.
Zunächst aber einmal lade ich Sie ein, dass Sie sich in die Zukunft begeben. Unser Geist kann das ja. Unser Gehirn ist dazu in der Lage, sich unabhängig von Zeit und Raum in Gedanken zu bewegen. Also, wie es in der Kult-Fernsehserie Raumschiff Enterprise heißt: »Beam mich hoch, Scotty.«

Erlauben Sie sich zu träumen: Mein idealer Job

Eine Vision, aus der am Ende Ihrer Reise ein klares Ziel – also der Job, der jetzt zu Ihnen passt – steht, setzt eine innere Zielvorstellung voraus. Damit man das Richtige zum richtigen Zeitpunkt erkennen kann, muss der innere Kompass stimmen. Kairos erkennt nur jemand, der intuitiv weiß, wonach er oder sie sucht. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber nach meiner Erfahrung sind Träume, Wünsche und Sehnsüchte verbunden mit einer klaren Vorstellung sehr wichtig für Veränderung, die uns weiterbringt. In diesem Zusammenhang fällt mir eine ganze Reihe von Sätzen ein: »Träume nicht dein Leben, sondern lebe deine Träume«, Martin Luther Kings »I have a dream«, aber auch das nüchterne »Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen« des Altkanzlers Helmut Schmidt. Wo aber wären wir heute beispielsweise ohne Menschen wie Steve Jobs, der davon geträumt hat, dass wir eines Tages von jedem Ort in der Welt Zugriff auf unsere Daten haben? Die Welt braucht Ideen und Visionen – daher muss es erlaubt sein, zu träumen! Mit den weiteren Schritten in diesem und den nächsten Kapiteln werden Ihre Träume einen Boden bekommen, dafür ist gesorgt. Und auch die folgende Übung »Visionsreise« beinhaltet bereits alle Aspekte der Lebensrealität.
Übung 26: Visionsreise: Der ideale Tag, die ideale Woche, das ideale Jahr
Was Sie für die Übung brauchen:
  • Ihr KAIROS-Gesamtchart mit Ihren Topkompetenzen, -karriereankern, -werten sowie Anforderungen an das Arbeitsumfeld und Angaben zu Ihrer persönlichen Situation
  • Ihr Datenchart, gern auch nur ein einzelnes Blatt, um die wichtigsten Lebensstränge im Blick zu haben
Und jetzt versetzen Sie sich bitte einmal drei oder vier Jahre in die Zukunft. Es sollte ein Zeitraum sein, der noch nah genug dran ist, damit Sie sich verbunden fühlen, aber er sollte sich für Sie auch so anfühlen, dass Sie bis dahin Veränderungen erfolgreich umgesetzt haben können.
  • Diese Zukunft ist jetzt. Schließen Sie die Augen, und erlauben Sie sich zu träumen.
  • Stellen Sie sich vor, wie der ideale Arbeitstag in Zukunft verläuft.
  • Beschreiben Sie, wie genau Ihr Arbeitsalltag an einem normalen Tag aussieht.
Beginnen Sie gleich mit dem Aufstehen. Wann sollte der Wecker klingeln, wie viel Zeit möchten Sie haben, um sich in Ruhe auf den Weg zur Arbeit zu machen? Wenn Sie eher langsam in die Gänge kommen, ist der Gedanke an eine gute Tasse heißen, starken Kaffee am Küchentisch mit der Tageszeitung sicher verlockend. Überlegen Sie dann, wie lange Sie bis zu Ihrer Arbeitsstelle maximal unterwegs sein möchten. Und ziehen Sie es vor, mit dem Rad zu fahren oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, weil Sie gern noch mal die Augen zumachen oder lesen wollen? Analog dazu malen Sie sich die Situation an Ihrem Arbeitsplatz aus. Folgende Stichpunkte können Ihnen als Anhalt dienen:
  • Lage des Arbeitsorts (zentral und gut angebunden oder schön gelegen, Provinz oder Metropole – oder ist dies egal?)
  • Konzern oder Mittelstand?
  • Inhabergeführt oder mit neutralen Managern?
  • Ansehen der Firma – weltweit bekannt oder geheimer Marktführer?
  • Phase des Unternehmens: Start-up erste Phase, etabliertes Start-up, fest etabliert im Markt, Traditionsunternehmen?
  • Hierarchische, klare Struktur oder informelle Berichtswege und Kultur?
  • Größe des Teams, enge Zusammenarbeit mit Kollegen?
  • Freie und flexible Zeiteinteilung oder geregelte Arbeitszeiten?
  • Kontakt zu Kunden?
  • Geschäftsreisen?
  • Angemessenes oder überdurchschnittliches Gehalt?
  • Regelmäßiger Austausch im Kollegenkreis möglich?
  • Home-Office beziehungsweise allein arbeiten möglich?
  • Ausgewogenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit?
  • Feierabendritual, abschalten und zu Hause ankommen?
Sie können das gern schriftlich machen. Entscheidend ist der nächste Schritt, wobei Sie folgende Fragen für sich beantworten:
  • Wo liegt der Unterschied zu heute?
  • Wo machen Sie Defizite aus? Sind in Ihrer jetzigen Situation Ihre Werte nicht erfüllt, entspricht Ihre aktuelle Tätigkeit nicht Ihren Kompetenzen oder liegt es vielmehr an den »hard facts«, die Sie unzufrieden machen?
  • Welche persönlichen Bedürfnisse stehen hinter den Werten, die augenscheinlich nicht erfüllt sind?
  • Sind diese eher im beruflichen oder privaten Bereich, sprich Lebensstrang, angesiedelt?
Wenden Sie das Ganze auf zwei weitere Zeitebenen an, die Woche und das Jahr. Das Verfahren und die Fragen sind dieselben. Auch hier liegt der Fokus auf den obigen Aspekten. Die Woche ist dabei das Maß, das unseren Arbeitsrhythmus strukturiert. Hier kommen Faktoren der Lebensbalance zum Tragen.
Folgende Faktoren sollten Sie bei dieser zweiten Visionsreise (die ideale Woche) mit betrachten:
  • Bedürfnis nach Ruhe
  • Wie ausgewogen ist das Verhältnis von Job und Privatleben?
  • Gibt es Schicht- oder Wochenenddienste?
  • Ist unregelmäßige oder konstante Arbeitsbelastung tolerierbar oder gar gewünscht?
  • Freizeit, Partnerschaft und Familie?
Für die dritte Visionsreise betrachten Sie als Zeitspanne das Jahr. Hier sollten Sie auch Urlaube und Auszeiten berücksichtigen, denn der Jahresrhythmus beeinflusst maßgeblich unsere Regeneration und das Balancegefühl insgesamt.
  • Gleichmäßige Arbeitsbelastung?
  • Hohe Arbeitsbelastung – Ausgleich in Ferienzeiten und Sabbaticals?
  • Urlaubszeiten?
  • Erreichbarkeit während Urlaub notwendig?
  • Jahresgehalt – ermöglicht es ebenfalls »Regeneration«?
Die Jahresbetrachtung bringt die typologischen Unterschiede zwischen Menschen richtig zum Vorschein. Viele Menschen können Spitzenzeiten über mehrere Monate gut wegstecken, brauchen das sogar, um richtig gefordert zu sein und dabei Spaß zu haben. Dem sollten Phasen der Ruhe folgen, um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben. Der eher klassische Typ hingegen benötigt einen regelmäßigen Rhythmus, etwa Menschen, die forschen und lehren. Die Anforderungen insbesondere an Schulen sind heutzutage enorm, da wundert es nicht, dass sich Lehrer wie ihre Schüler auf die Ferien freuen. Denken Sie also darüber nach, welche Rolle Ihre Familie spielt, wenn Sie sich Ihr ideales Jahr erträumen. Wie verhält es sich mit Fortbildungen, welche Anregung brauchen Sie? Auch das sollte in Ihre Vision mit einfließen.

Visionsreisen der Protagonisten und mein eigenes Beispiel

Zum Abschluss sollen Sie noch erfahren, was unsere Protagonisten und auch ich selbst in den Visionsreisen erlebt haben.
Christina sah sich in ihrem Alltag vor allem andere Menschen anleiten – sie war der Chef, ganz klar. Thomas machte eine starke visuelle und kinästhetische Erfahrung des Raums, in dem er arbeiten würde. Dieser ähnelte stark der Logopädiepraxis, in der er bei seinem Bekannten ein Praktikum gemacht hatte, und er spürte, wie sehr ihn solch ein Ort berührte. Stefanie hatte immer wieder die Szene im Kopf, wie sie vor einer Gruppe steht und gerade mit Humor und Enthusiasmus die Teilnehmer des Trainings mitreißt, um etwas auszuprobieren. Stefanie war ebenfalls sehr berührt von diesem Bild. »Das ist ja gar keine Vision«, sagte sie leise, mit Tränen der Berührung in den Augen. »Das habe ich ja schon erlebt! Ich weiß, wie sich das anfühlt!«
Auch mein eigenes Beispiel ist rückblickend betrachtet erstaunlich. Denn heute ist diese Vision zu 100 Prozent verwirklicht!
Als ich nach sechs Jahren in der Festanstellung meine Selbstständigkeit plante, habe ich mit einer Kollegin mit der Methode der Visionsreise gearbeitet. Folgende Bilder konnte ich sehen: Ich bin an einem Ort mit einem Wald in der Nähe. Das tiefe dunkle Grün der Bäume hat eine starke, beruhigende Ausstrahlung. Es ist auch Wasser in der Nähe. Der Arbeitsraum, in dem ich arbeite, ist ein Ort der Ruhe und der Inspiration. Menschen kommen aus vielen Himmelsrichtungen hierher, nehmen Wege in Kauf, um dort mit mir zu arbeiten (ich hatte immer das Bild, dass Menschen zu mir kommen und nicht, dass ich, wie bei Beratern, Trainern, Coachs häufig üblich, selber viel zu Kunden reise). Die Menschen erzählen mir von Ihren Problemen und Wünschen, und ich unterstütze sie dabei, für diese Probleme neue Lösungen zu finden. Die Verbindung nach innen, zu tragenden Werten und Sinn ist dabei zentral. Ich erlebe, dass Menschen bereit sind, für das, was sie bei mir finden, auch Geld zu bezahlen, gutes Geld. Ich habe Kunden, die dies aufbringen.
Für mich ergab sich kein Mottosatz aus dieser Visionsreise, aber ganz zentral dieser Blick auf die Bäume mit ihrem tiefen Grün. Er symbolisierte für mich alles, was ich im Beruflichen machen wollte.
Wenn ich heute, im Jahr 2013 auf diese Vision zurückschaue, ist es ehrlich gesagt beeindruckend, wie präzise manche Details eintrafen. Man könnte wirklich von der »sich selbst erfüllenden Prophezeiung« sprechen, im positiven Sinne. Zum Zeitpunkt der Visionsreise wohnte ich noch allein ohne meinen Mann in einem zentralen Bezirk von Berlin, also keineswegs so wie in meinem Visionsbild. Heute lebe und arbeite ich in Berlin-Tegel, mit dem Tegeler See und dem Tegeler Forst gleich um die Ecke – das tiefe Grün der Bäume beruhigt und inspiriert mich beinahe jeden Tag. Mein Arbeitsraum und meine Arbeitsweise sind genauso eingetroffen wie in der Vision. Ich sah in dieser inneren Bilderreise tatsächlich auch eine Wohnung, die der, in der wir heute leben, einfach frappierend ähnlich war.
Und natürlich hat meine Vision auch Konsequenzen. Wer einen schönen Arbeitsraum hat und nicht viel zu Kunden reist, muss diesen Raum finanzieren. Auch in den Sommermonaten, wenn Klienten Ferien machen. Bin ich gern bereit, diesen Teil der Vision in Kauf zu nehmen? Ja!

Vision und Ziele – auf die richtige Formulierung kommt es an

Nun haben Sie per »Zukunftsvideo« einen Eindruck davon bekommen, wie der Job, der zu Ihnen passt, sich anfühlen kann. Am Ende dieses Buches soll ein Plan für Sie entstehen, wie Sie konkret weiter vorgehen. Dazu nutzen Sie dann wieder die einzelnen Elemente der KAIROS-Methode.
Wie ich in der Einleitung bereits geschildert habe, wollen manche Klienten sehr schnell zu konkreten Schritten übergehen, schreiben überhastet an ihrem Lebenslauf und posten diesen in diversen Foren. Nach einigen Sitzungen kommen solche Aktivitäten dann meistens erst einmal zur Ruhe. »Ich weiß eigentlich gar nicht recht, was ich will und ob ich dann eine Stelle nach einem Einstellungsgespräch auch annehmen würde«, gestand sich eine meiner Klientinnen ein. Aus dem Ziel »Bloß weg hier« wurde das mittelfristige Ziel »Ich orientiere mich in Ruhe neu, gemäß meinen Kompetenzen und Werten«. Für die kurzfristige Perspektive konnte sie die Herausforderung der derzeitigen Situation annehmen und für sich formulieren: »In der jetzigen Situation lerne ich, was für mich zu lernen ist, und finde einen guten Ausstieg.«
Was Sie als nächsten Schritt brauchen, um vom Status quo in konkrete Handlungen zu kommen, ist etwas, das ich Zielvision nenne. In dieser Zielvision bündeln Sie in einem energievollen Satz oder einem Bild, worum es im Kern Ihrer beruflichen Vision geht. Sie knüpfen also direkt an Ihrer Visionsreise des idealen Tages, der idealen Woche und des idealen Jahres an und formulieren dafür einen oder zwei Sätze. Häufig fallen diese Formulierungen sehr bildhaft aus. Christina zum Beispiel fand für sich den Satz: »Ich steuere das Schiff und gebe Orientierung für Projekte im Sozialmanagement.«
Eine solche Zielvision zeigt Ihnen, in welche Richtung es gehen soll, und sie leitet Ihren persönlichen KAIROS-Prozess. Sie werden jetzt vielleicht einwenden: Ist ein Bild denn ausreichend als Ziel? Meine Antwort: Zu Beginn einer Veränderungsphase sind ein Bild und ein prägnanter Satz sogar besser als ein konkretes Ziel. Denn in Bezug auf Ziele und deren Formulierung gilt es, einen wichtigen Punkt zu beachten, den die neuere Forschung herausgearbeitet hat und den ich Ihnen natürlich nicht vorenthalten möchte.
In der Zielarbeit nutze ich die neuesten Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der Psychologie zur Ziel- und Motivationsforschung.29 Dort unterscheidet man zwischen zwei Typen oder auch Arten von Zielen, nämlich, erstens, spezifische Ergebnis- oder Verhaltensziele und, zweitens, übergeordnete Haltungen, auch Haltungsziele. Letztere sind einer Vision näher, was ja der Phase entspricht, in der Sie sich gerade befinden. Eine Zielvision ist weniger konkret als ein Verhaltensziel, aber umso kraftvoller. Sie werden feststellen, dass ein gutes Visionsziel sich von unrealistischen und utopischen Zielen klar unterscheidet. Kein Visionsziel ist zum Beispiel eine Aussage wie: »Meine Chefin zahlt mir eine Million Euro im Monat für vier Stunden Arbeit in der Woche.« Zumindest müssten Sie dann definieren, worin denn Ihre wertvolle Leistung besteht, die jemandem eine Million Euro wert ist. Sie sehen, auch Visionsziele haben ganz konkret etwas mit Ihnen zu tun, mit dem, was Sie umsetzen können. Generell gibt es für die Formulierung von Zielen und der Zielvision sinnvolle Regeln. Ziele sollen
  • frei von Verneinungen formuliert werden,
  • realistisch und angemessen herausfordernd sein,
  • eigenverantwortlich zu erreichen sein,
  • respektvoll/achtsam gegenüber anderen und sich selbst sein,
  • attraktiv/körperlich positiv verankert sein.

Warum sind Visionsziele für das KAIROS-Karrierecoaching überhaupt so wichtig?

Das KAIROS-Prinzip meint ja, das Richtige zum richtigen Zeitpunkt zu tun. Und damit auch, das Falsche zu lassen. Wer weiß, dass er einen roten Wagen sucht, wird die blauen Modelle im Katalog gelassen überblättern. Wer nicht weiß, welche Farbe gerade jetzt die passende ist, sucht stundenlang und gibt schließlich erschöpft auf oder greift zum nächstbesten Automodell – und ist dann unzufrieden.
Ein klares, sinnvolles Ziel motiviert und bietet Orientierung. Es ist verbunden mit den bestehenden Werten und Grundsätzen eines Menschen. Ihr eigenes Handeln bekommt durch Ihr Visionsziel eine Richtung, und Entscheidungsprozesse werden dadurch vereinfacht. Dadurch, dass Sie Ihr Visionsziel vor allem bildlich und metaphorisch formulieren, erhalten diese eine besondere Kraft.30 Ihr Unterbewusstes mit seinem ganzen Reservoire an Gefühlen, Erfahrungen und Kompetenzen ist mit an Bord. Sie können nämlich gar nicht für jede einzelne Situation mit dem Kopf entscheiden, was jetzt gerade wichtig für Ihr Berufsziel ist und was Sie konkret tun sollten. Indem Sie also Ihre Vision ausrichten, entwickeln Sie ein besseres Gefühl für Situationen, in denen Sie entscheiden müssen. Sie können Ihre Energie besser bündeln und Optionen aussortieren. Sie erkennen den Kairos, indem Sie das Richtige zum richtigen Zeitpunkt auswählen und dann umsetzen. Ebenso können Sie bestehende Probleme oder potenzielle Schwierigkeiten leichter ausmachen, wenn Sie klar erkennen, dass diese Ihrer Zielvision im Wege stehen. Und nicht zuletzt werden so Lösungen schneller gefunden und erkannt.
»Ich will irgendwie wieder zufriedener im Job werden« ist häufig ein sehr allgemeines vages Ziel, mit dem meine Klienten in ein Coaching zur Berufsorientierung kommen. Manche pflegen auch eher den »Weg-von«-Ansatz: »Ich will raus aus diesem Unternehmen!« »Bloß weg von diesem Chef!« »Ich will nicht mehr so wenig Geld verdienen!«
Bei der Arbeit an Zielen ist es wichtig, neben der Motivation seine Werte sowie bereits vorhandenen Ziele zu beachten, damit diese nicht in Widerspruch mit- und untereinander stehen. Wichtig ist eine Stimmigkeit im gesamten Wertesystem, wobei mögliche Auswirkungen auf die unterschiedlichen Lebensbereiche berücksichtigt werden sollten. So haben Sie es bereits in Ihrer Visionsreise gemacht. Das Ziel »Ich verdiene ganz viel Geld im Job« lässt sich im Allgemeinen durchaus umsetzen, aber nicht jeder möchte die möglichen Konsequenzen einer solchen Lebensweise auch tragen.
Der Bezug zu den Ergebnissen aus dem ersten Teil dieses Buchs ist also ganz zentral, wenn Sie jetzt Ihre Zielvision erstellen. Der Fokus liegt hier auf Ihren Werten und damit der Sinnhaftigkeit Ihrer Ziele sowie der Stärke Ihrer Motivation hinsichtlich Ihrer Zielerreichung. Aber natürlich beachten Sie auch Ihre tatsächlichen Kompetenzen und die objektiven Fakten der Arbeitsbedingungen.
Vor allem müssen Sie Ihre Zielvision daraufhin überprüfen, ob es Ihre eigene ist (und nicht die Ihrer Freundin, Mutter, Ehefrau, Ihres Vaters oder Partners) und ob sie zu Ihrer Lebensphase passt. »Ich starte voll durch in der Karriere« ist vielleicht ein passendes Ziel für jemanden, der gerade aus der Ausbildung oder von der Uni kommt und loslegen möchte. Aber zehn Jahre später kommen andere Parameter hinzu, vor allem natürlich die Frage nach Familie und nach mehr Lebensbalance.
Ihre beruflichen Ziele müssen generell zu Ihrer Persönlichkeit, Ihren Fähigkeiten und zu Ihrer Lebensphase passen und sollten dementsprechend formuliert werden. Mit vielen Klientinnen habe ich beispielsweise an einer passenden Zielformulierung für einen nächsten Schritt in eine Führungsposition gearbeitet, sodass die Frauen nicht das Gefühl haben, sich zu verbiegen. Auch die Zielvision »Führen wie mein Chef« ist häufig eher abschreckend, denn es fehlt ihr an positiven Vorbildern. Auch in diesem Zusammenhang sind eigene Bilder hilfreich und wertvoll. Eine Klientin fand für sich das Bild des Yin/Yang-Symbols sehr treffend, denn es verkörperte für sie die Balance von traditionell »männlichen« und »weiblichen« Eigenschaften, die beide positiv sind. »Mein Führungsstil folgt dem Yin/Yang-Symbol« war für sie ein passender Satz, der als berufliche Zielvision sie selbst als Führungskraft tragen konnte.
Auch für Ihre Vision von dem Job, der jetzt zu Ihnen passt, schlage ich Ihnen daher eine bildliche Art der Zielformulierung vor. Diese Zielart nennt man in der Psychologie wie oben erläutert »Haltungsziele«, ich nenne sie Visionsziele31. Solche übergreifenden Zielbilder sind dann sinnvoll, wenn eine spezifische Zieldefinition (noch) nicht möglich oder auch generell nicht sinnvoll wäre. Also zum Beispiel, wenn Sie noch gar nicht genau wissen, in welches Unternehmen Sie wollen oder ob Sie sich vielleicht selbstständig machen sollten. Berufliche Orientierung ist ein komplexes Szenario. Einfache Verhaltensziele wie »Ich schreibe 25 Bewerbungen in den nächsten zwei Wochen« treffen hier einfach nicht den Kern der Dinge, gerade weil sie viel zu konkret formuliert sind. Gut sind solche Ziele dann für die nächsten Handlungsschritte.
Anders als Ergebnis- oder Verhaltensziele werden Haltungs- oder Visionsziele allgemeiner formuliert, weil sie situationsübergreifend wirksam werden sollen. »Ich segle im frischen Wind hin zu neuen Ufern und ankere, wo es verlockend ist« könnte so ein übergreifend formuliertes Visionsziel für den Aufbruch zu einem Praktikum sein. Es ist stark motivierend – für die Person, die es so formuliert hat – und löst in ganz unterschiedlichen Situationen automatische Handlungsimpulse aus, ohne dass man konkret darüber nachdenken müsste. Der »verlockende Ankerplatz« kann die Fahrt im Zug sein, auf der sie ein interessantes Gespräch über Ihre Berufswünsche mit einem Mitreisenden führen. Oder auch eine Jobmesse mit interessanten Angeboten. In ihrer Wirkung sind Haltungsziele mit einem inneren Kompass oder einer Art Leitstern vergleichbar, der hinsichtlich eines Ziels Orientierung bietet. Als Leitsatz eröffnet Ihnen ein Haltungsziel automatisch und intuitiv Handlungsoptionen, sodass Sie sich auf ein Ziel hinbewegen können. Die Psychologin Maja Storch hat in diesem Zusammenhang auch den Begriff »Motto-Ziel« geprägt, ein meiner Ansicht nach sehr passender Ausdruck
für diese Art Zielformulierung.32 Sie gestalten für sich ein Motto, das Ihre Zielvision auf unwiderstehliche Weise anziehend formuliert!
Im Coaching kommen Klienten und ich oft zu einer prägnanten Aussage. Sie geht einher mit Bildern oder einer Metapher, die das Ziel auf den Punkt bringen. Dieser Zielsatz kann auch aus einer Aussage bestehen oder eine Affirmation (Bejahung) des Zielzustands sein. Kriterium für die Wirksamkeit eines Haltungsziels sind immer die absolut positive Resonanz im ganzen Körper und die Motivation, die die Formulierung bei Ihnen im Selbstcoaching hervorruft.

Die erste Zielvision

Und jetzt formulieren Sie Ihre Zielvision. Breiten Sie dazu die über sich gewonnenen Erkenntnisse vor sich aus oder werfen Sie einen erneuten Blick darauf. Lassen Sie die Bilder Ihrer Visionsreise wieder vor sich aufsteigen.
Formulieren Sie jetzt Ihr Visionsziel. Versuchen Sie, Ihre damit verbundenen Emotionen und die Energie, die Sie bei der Zielerreichung höchstwahrscheinlich verspüren, darin abzubilden. Konkret können Sie folgende Optionen dafür nutzen:
  • markieren Sie die am meisten energiegeladenen Wörter Ihrer Visionsreise
  • formulieren Sie einen Satz daraus
  • oder nutzen Sie ein Bild, das Ihnen zu Ihrer Visionsreise einfällt und bauen Sie dieses in Ihre Formulierung ein
Statt eines Bildes können Sie auch ein ganz bestimmtes Gefühl mithilfe einer prägnanten Formulierung ausdrücken. Folgen Sie dabei Ihrer Intuition und einem zu 100 Prozent positiven Körpergefühl!
Die Visionszielsätze unserer Protagonisten lauten:
  • Stefanie: Ich lebe meine wahren Stärken in meinem Beruf voll und ganz.
  • Thomas: Ich öffne den Raum für wahrhaftiges Sprechen.
  • Christina: Ich steuere das Schiff und gebe Orientierung für Projekte im Sozialmanagement.
Ihr eigener Satz zu Ihrer beruflichen Vision kann gar nicht energie- und emotionsgeladen genug sein. Denn er muss Sie später sicher auch durch manches Tal und über manche Durststrecke tragen. Manchmal ist es auch eher ein stilles, ruhiges, aber sehr starkes Gefühl, das mit dem Bild oder dem Motto verbunden ist.
Horchen Sie in sich hinein und folgen Sie allein Ihrem Bauchgefühl. Es geht hier um Sie und nicht um das, was andere möglicherweise meinen oder denken.
An dieser Stelle kommt mir eine Klientin in den Sinn, die das, was sie mit dem für sie idealen Job verband, so auf den Punkt brachte: »Ich will einen Job, der wie Berlin ist.« Die Stadt symbolisierte für sie das, was sie sich wünschte und worin ihre Werte und Kompetenzen zum Tragen kamen: Unkonventionalität, Internationalität, Kreativität und ähnliche Dinge mehr. Ebenso drückte sie damit aus, was ihr nicht so wichtig war und was sie bereit war, in Kauf zu nehmen, Stichwort »arm, aber sexy«. Dieses »Berlin-Gefühl« war ortsunabhängig. Solange die neue Tätigkeit ihr das bieten würde, was sie darunter versteht, war auch eine räumliche Veränderung in eine Stadt wie Hamburg, Leipzig, Essen oder München eine Option. Ihr erschloss sich intuitiv, ob das »Berlin-Feeling« an der Arbeitsstelle zu finden war. Ich empfehle Ihnen, ebenso vorzugehen!
Notieren Sie nun Ihre motivierende Zielvision in einem Satz.

Überprüfung und Fazit zur Zielvision

Ich selbst habe schon die Erfahrung gemacht, dass man sich mit einem Zielsatz vor Augen etwa in beruflichen Situationen automatisch ganz anders verhält als vorher. Mit einem Satz wie »Ich will einen Job, der wie Berlin ist« beispielsweise müssen Sie sich nicht im Einzelnen vornehmen, was genau sie beim Vorstellungsgespräch anders machen werden, vielmehr geschieht es in der Situation angemessen und wie von allein, ohne Ihr bewusstes Zutun.
Voraussetzung ist, dass Sie den Visionszielsatz vorher oft genug wiederholen und ihn mithilfe mehrerer Anker (beispielsweise Bilder, die Sie aussuchen, Notizen oder ein bestimmter Duft) und in verschiedenen Situationen verinnerlicht haben.
Damit Ihre Ziele wirksam sind, überprüfen Sie Ihre Zielvision in jedem Fall noch einmal an den allgemeinen Formulierungskriterien von Zielen:
  • frei von Verneinungen
  • realistisch und angemessen herausfordernd
  • eigenverantwortlich zu erreichen
  • respektvoll/achtsam gegenüber anderen
  • attraktiv/körperlich positiv verankert
Es mag unfair klingen, aber die unterbewussten Anteile eines Menschen ignorieren die in einer Zielformulierung enthaltene Verneinung. Aus dem Ziel »Ich will nicht mehr rauchen« wird das Gegenteil: »Ich will – mehr rauchen«. Wenn Negatives oder Destruktives auf inhaltlicher oder sprachlicher Ebene darin vorkommt wie etwa »Krankheit«, schließt nicht nur die Zielformulierung, sondern jegliche Art der Beschäftigung mit dem gewünschten Ziel auch den Anteil ein, der eigentlich überwunden oder vermieden werden soll.
In der Zusammenarbeit mit Klienten bilden häufig Negativformulierungen den Ausgangspunkt. Das liegt daran, dass Menschen das, was sie nicht mehr wollen, oft klarer ist als das, was sie anstreben. Ich unterstütze sie dann darin, ein positives Zielbild zu finden. Anstatt also zu sagen: »Ich will nicht mehr krank sein«, arbeiten wir gemeinsam auf Aussagen hin wie: »Ich will mich lebendig und voller Energie fühlen«, wobei es noch besser ist, die Gegenwarts- statt der Zukunftsform zu verwenden, also: »Ich fühle mich lebendig und voller Energie.« Solche Formulierungen sind kraftvoller. Man sollte jedoch achtgeben, dass man nicht zu schnell zu viel erwartet. Nicht selten besteht anfangs eine Ist-Soll-Diskrepanz, die mitunter zu Ablehnung des Ziels führen kann. Damit eine Zielerreichung so realistisch wie nur irgend möglich bleibt, kann ein konkreter Zeithorizont mit einfließen. »Ich werde mich bis Ende des Jahres lebendig und voller Energie fühlen« wäre eine Option.
Ein wesentlicher Punkt ist auch die bereits angesprochene realistische Zielsetzung. Im Coaching achte ich darauf, dass das Verhältnis von Herausforderungen und Fähigkeiten stimmt. »Ich möchte meine wahren Stärken ein bisschen mehr in meinen Beruf einfließen lassen« würde Stefanie sicher nicht hinter dem Ofen vorlocken. Bei »zu kleinen« Zielen fühlt man sich leicht unterfordert, Langeweile ist irgendwann die Folge. Zu große Ziele können hingegen unerreichbar erscheinen und damit destruktiven Stress oder Frustration auslösen. »Ich bin im kommenden Jahr der erfolgreichste Kommunikationstrainer Deutschlands« wäre für Stefanie ebenfalls nicht motivierend – dabei handelt es sich nicht mehr um ein Ziel, sondern um eine Utopie. Das Maß von Herausforderung und Fähigkeiten ist bei jedem Menschen und jedem neuen Ziel unterschiedlich und muss individuell erarbeitet werden: Ein Ziel, das angemessen herausfordert, löst den Wunsch aus »loszulegen«.
Ziele sollen eigenverantwortlich erreichbar und von anderen Personen unabhängig formuliert sein, sodass die Unterstützung von außen für den Erfolg nicht notwendig beziehungsweise minimal ist. »Ich will, dass mir mein Chef mehr Anerkennung gibt« ist eine weniger gute Formulierung als »Ich werde mir mehr Anerkennung von meinem Chef einfordern«. Alternativ könnte die Zielformulierung auch lauten: »Ich sorge dafür, dass mein Chef meine Leistungen zur Kenntnis nimmt und angemessene Rückmeldung gibt.« Je nach Kontext könnte auch folgende Zielsetzung herauskommen: »Ich freue mich an meinen Erfolgen – unabhängig von der Anerkennung meines Chefs.«
Bei der Zielsetzung ist weiterhin wichtig, darauf zu achten, welche Auswirkungen das Erreichen des Ziels auf Ihr Umfeld haben wird. »In einem Jahr werde ich ein erfolgreicher Coach sein, mit mindestens 30 Klienten jährlich. Dabei habe ich ausreichend Zeit für meine Familie« wäre eine Zielformulierung, in der diese Berücksichtigung zum Ausdruck kommt.
Das wichtigste Kriterium jedoch ist die hundertprozentige Zustimmung und Motivation, die eine Zielformulierung bei Ihnen auslöst. Von daher müssen Ziele attraktiv und körperlich positiv verankert sein – es muss bei Ihnen eindeutig »klick« machen. Beispielsweise durch lautes Vorlesen der eigenen Ziele sollten Sie in einen guten Zustand gelangen, der körperlich sichtbar und spürbar ist. Vielleicht haben Sie ja schon einmal erlebt, wie aufrecht Ihr Gang auf einmal war, nachdem Sie in einer Situation etwas ausgesprochen haben, das Ihnen schon lange auf dem Herzen gelegen hatte. Oder wie gut und erleichtert Sie sich gefühlt haben, nachdem einer Ihrer Mandanten wider Erwarten seine Wertschätzung zum Ausdruck gebracht hat. Ich kann Ihnen nur empfehlen, auf Ihr Bauchgefühl zu hören, wenn Sie Ihr Visionsziel formulieren. Gibt Ihr Bauch Ihnen sein Einverständnis, ist das ein Zeichen dafür, dass ein Ziel widerspruchsfrei und wirklich motivierend formuliert ist.