Bestandsaufnahme und erste Zielvision
Wissen Sie noch, warum Sie zu diesem Buch
gegriffen haben? Hat sich Ihnen eine konkrete Frage gestellt, gibt
es in Ihrem beruflichen Umfeld ein akutes »Problem«? Oder ist
vielleicht ein Headhunter mit einem interessanten Angebot auf Sie
zugekommen? Möglicherweise haben sich auch Ihre Prioritäten
verschoben, Privates ist jetzt wichtiger für Sie und Sie denken
über eine längere Auszeit nach oder wollen mehr Zeit mit Ihrer
Familie verbringen.
Ich kann mir vorstellen, dass es Ihnen anfangs
wie vielen meiner Klienten ging, die sich an mich wenden: Sie
müssen entweder wie Stefanie eine Entscheidung für einen tollen
neuen Job, aber mit einem Risiko verbunden, treffen, oder Sie
verspüren den Wunsch nach Veränderung wie Thomas. Oder Sie haben
die Nase voll von Ihrem alten Laden wie Christina. Das heißt nicht,
dass das, was Sie bislang beruflich gemacht haben, nicht das
Richtige gewesen ist. Aber die Zeit hat sich verändert. Es ist Zeit
– Kairos – für etwas anderes. Ihr alter Job mag Sie vielleicht
nicht mehr ausreichend ausfüllen, eventuell hat Ihre Tätigkeit für
Sie auch an Bedeutung verloren, weil etwas anderes Neugier in Ihnen
hervorgerufen hat. Manche von Ihnen haben durch Zufall eine neue
Seite an sich entdeckt oder gemerkt, dass Sie ein wesentliches
Bedürfnis oder Talent aus dem Blick verloren und vernachlässigt
haben. Nun gilt es, dieses Neue, ins Auge zu fassen. Dazu stelle
ich Ihnen in diesem Kapitel drei Methoden vor:
-
Das KAIROS-Gesamtchart mit der Zufriedenheitskurve der Berufsstationen
-
Die Visionsreise »Der ideale Tag, die ideale Woche, das ideale Jahr«
-
Die Formulierung eines motivierenden Zielsatzes
Es kann sein, dass eine Übung aus dem
ersten Teil bereits Ihre dringendste Frage zum Abschied vom alten
Job beantworten konnte. Gerade dann ist es wichtig, dass Sie jetzt
an einer klaren und motivierenden Zielvision feilen und dann
konkrete Schritte mit sich vereinbaren. Bei Christina
beispielsweise war nach der Wertearbeit bereits klar, dass sie ihre
alte Firma verlassen würde. Aber wohin? Das Thema Selbstständigkeit
und Firmengründung war nach der Karriereanker-Übung eine echte
Option. Daran arbeitete sie in der Zielvision und dann der
Umsetzungsphase (die Sie in den folgenden Kapiteln durchgehen
werden). Für Thomas war entscheidend, dass er in den Lebensthemen
seinen »roten Faden« von der Schauspielerei zu seinem neuen
angestrebten Beruf, der Logopädie, finden konnte. Stefanie sammelte
in allen Übungen der KAIROS-Methode wichtige Aspekte, die wie
Mosaiksteine ein neues Bild ergaben. So fand sie den Mut und die
Sicherheit, von dem neuen Beruf als Trainerin zu träumen und den
Schritt des Berufswechsels wirklich anzugehen.
Das KAIROS-Gesamtdatenchart
Zuallererst sollten Sie einen Überblick
aller Ergebnisse der KAIROS-Methode herstellen. Wenn Sie es noch
nicht während der Übungen gemacht haben, bitte ich Sie nun, die
Informationen über sich im KAIROS-Gesamtdatenchart
zusammenzutragen. Sie sehen im Anhang die Gesamtcharts unserer drei
Protagonisten als Beispiele und finden dort auch eine
Kopiervorlage. In den Feldern des Gesamtdatenchart werden die
zentralen Ergebnisse aller Übungen und Auswertungsschritte der
KAIROS-Methode abgebildet:
-
Überschriften der Lebensphasen
-
Karriereanker
-
Lebensthemen
-
Werte
-
Kompetenzen
-
Charakterstärken
-
KAIROS-Zyklusjahre
Beachten Sie in jedem Fall, dass Sie bei
den Werten auch die »hard facts« eintragen. Dazu finden Sie am
rechten Rand die Felder für »Äußerliche Werte/Lebensbedingungen«.
Dabei handelt es sich um objektive Faktoren der Arbeitssituation.
Diese Anforderungen sind Teil unserer Werte, sollten aber separat
aufgeführt werden. Hinsichtlich unserer sozialen Werte können wir
mit einer Stelle zufrieden sein, hingegen können die objektiven
Gegebenheiten unseren Vorstellungen zuwiderlaufen, sodass ein
wesentlicher Teil unserer Werte wie das Bedürfnis nach Sicherheit
beispielsweise nicht erfüllt ist. Das wäre also ein
Ausschlusskriterium für einen Berufswechsel.
In der Mitte des Gesamtcharts finden Sie Platz,
um Ihre aktuelle Lebensphase einzutragen (Überschrift) sowie die
zwei KAIROS-Jahre, das aktuelle und das kommende, wenn Sie sich
gerade in einer Umbruchsituation befinden.
In der zentralen Grafik ist Platz, um Ihre
berufliche Laufbahn, Ihren Berufsstrang einmal im Überblick
abzubilden und zu bewerten. Dazu lädt die folgende Übung ein. Sie
dient dazu, die zurückliegenden und die aktuelle Berufsstation klar
in den Blick zu bekommen. Ein Effekt kann sein, dass Sie sich mit
Ihrer Vergangenheit aussöhnen und diesen alten Zielen nicht mehr
nachlaufen müssen. Neben Frieden mit der Vergangenheit kann die
notierte Zufriedenheit beziehungsweise Unzufriedenheit auch eine
starke Motivation erzeugen, sich zu verändern.
Wenn Sie sich nach den Übungen aus dem ersten
Teil bereits ganz sicher sind, wie Sie vorangehen möchten, und Sie
auch keine »unerledigten« Themen aus alten Berufsstationen mit sich
herumtragen, können Sie auch gleich zum zweiten Teil dieses
Kapitels übergehen, der Visionsreise »Der ideale Tag, die ideale
Woche, das ideale Jahr«.
Diese Übung dreht sich um die Bestimmung
des Erfüllungsgrads Ihrer Werte, Kompetenzen, Charakterstärken usw.
an den unterschiedlichen Berufsstationen. Der Grad der
Zufriedenheit/Unzufriedenheit gibt konkreten Aufschluss über
Handlungsschritte, das heißt, Sie wissen, wo genau Sie ansetzen
müssen und ob Sie Ihre Suche möglicherweise weiter verfeinern
müssen oder ob Sie das, was Sie für sich herausgefunden haben,
umsetzen können. Ausgehend von Ihrer Anfangsfrage soll am Ende
dieses Kapitel eine erste Zielvision stehen, die Ihnen die Richtung
weist.
Für die Übung »Die Zufriedenheitskurve«
nutzen Sie die zentrale Grafik im Gesamtdatenchart.
Die Übung »Zufriedenheitskurve« ist
leichter auszuführen, als es in der folgenden Beschreibung klingen
mag. Das werden Sie sehen, sobald Sie sich einen Aspekt vorgenommen
haben. Im Anschluss zeige ich Ihnen das Auswertungsbeispiel von
Christina.
Tragen Sie auf der horizontalen Achse
zunächst Ihre Berufsstationen in den jeweiligen Lebensphasen ein,
aus Platzgründen am besten mit Abkürzungen. Wählen Sie drei bis
vier Aspekte aus, die Sie pro Durchgang betrachten möchten (zum
Beispiel Ihre innerlichen Werte und zwei Karriereanker, mehr wäre
nicht übersichtlich), wiederholen Sie danach die Übung mit anderen
Aspekten.
-
Wählen Sie für jede Kategorie, die Sie bewerten, eine separate Farbe oder eine andere Unterscheidung (durchgezogene Linie, Punkte, Strichelung etc.), in der Sie gleich die jeweilige Zufriedenheitskurve in die Grafik einzeichnen.
-
Tragen Sie Ihre Zufriedenheit einzeln für jedes Auswertungselement pro Berufsstation anhand der vertikalen Achse ein (Prozentpunkte Zufriedenheit). Machen Sie dazu anhand der Skala am rechten Rand entsprechend einen Punkt bei jeder Berufsstation.
-
Verbinden Sie die Punkte zu einer Zufriedenheitskurve pro Element – jedes separat in seiner Farbe oder Markierungsart. Weichen etwa zwei Werte, Karriereanker oder Kompetenzen stark voneinander ab, können Sie auch jeweils eine einzelne Kurve einzeichnen.
Die einzelnen Zufriedenheitskurven
ermöglichen Ihnen, was die KAIROS-Methode für Ihre gesamte
Biografie leistet: ein differenziertes Bild. Ihre Zufriedenheit
oder Unzufriedenheit erleben Sie normalerweise als gesamten
Eindruck, wie eine aus mehreren Strängen gedrehte Kordel. In den
separaten Zufriedenheitskurven lösen Sie einzelne Fäden aus dieser
Kordel heraus und können so eine genauere Diagnose stellen: Wo
drückt der Schuh?
Methodentipps
-
Tipp 1: Kopieren Sie Ihr Gesamtdatenchart auf DIN-A3 – ein größeres Format ermöglicht eine bessere Übersicht.
-
Tipp 2: Fertigen Sie mehrere Ausfertigungen (Kopien) an, damit Sie bei Bedarf mehrere Durchgänge machen können. Eine gute Alternative ist auch Transparentpapier, das ähnlich wie Butterbrotpapier aussieht und im Schreibwaren-/Bürohandel erhältlich ist. Davon können Sie mehrere Blätter nacheinander über die zentrale Grafik legen und so mehrere Auswertungsgänge durchlaufen.
-
Tipp 3: Da Sie für jeden Auswertungsaspekt eine separate Kurve einzeichnen werden, beschränken Sie sich bitte pro Durchgang aus Ihren Ergebnissen auf jeweils drei bis vier wichtige Punkte. Mehr Kurven gleichzeitig abzubilden geht auf Kosten der Übersichtlichkeit. Durchlaufen Sie also besser mehrere Durchgänge, in denen Sie Ihre Zufriedenheit zum Beispiel mit Ihren Lebensthemen, einzelnen Kompetenzen oder den Werten für die äußerlichen Lebensbedingungen betrachten.
Das Beispiel von Christina
Christina betrachtete in einem Durchgang
der Zufriedenheitskurve ihre Karriereanker (alle drei in Summe, da
diese nicht gegenläufig sind) sowie ihre innerlichen Werte (das
heißt die Werte für die Dimension Innerlichkeit/Kommunikation im
Gegensatz zu den objektiven Lebensbedingungen, die separat zu
betrachten sind). Die beruflichen Stationen von Christina waren der
Start des Soziologiestudiums mit 20, der Start des FH-Studiums der
Sozialpädagogik mit 22, das Anerkennungsjahr als Sozialpädagogin
sowie die erste Berufsstation in der Verwaltung mit 27 und 28
Jahren, der Start in Brüssel mit 29, der Antritt der jetzigen
Stelle in Berlin mit 36 sowie die Ablehnung der Geschäftsführung
mit 42 Jahren.
Für das Soziologiestudium zeigen beide Kurven
stark nach unten. »Ein Horror«, erinnert sich Christina mit einem
Schaudern. Nach dem Wechsel zur Sozialpädagogik ging es im
FH-Studium etwas aufwärts, weil »Fairness« ein zentraler Wert
vieler Kommilitonen und damit erfüllt war, allerdings zählte
»Anerkennung für Leistung« in dem Umfeld weniger, daher gibt
Christina in Summe für die Werte 50 Prozent. Die Karriereanker
waren gemäß der Ausbildungssituation ebenfalls noch nicht voll
erfüllt. Das Anerkennungsjahr und das erste Berufsjahr in der
Verwaltung »dümpelten so vor sich hin«, beurteilt Christina diese
Zeit. »Da gab es zu wenig Gestaltungsspielraum für meine
unternehmerische Kreativität und ich hatte auch noch zu wenig
Verantwortung (Minus im Karriereanker »General Management«). »In
Brüssel ging dann die Post ab«, schmunzelt sie. Hier stimmt lange
Zeit alles: Werte, Karriereanker und auch Kompetenzen. Anlass für
den späteren Wechsel mit 36 Jahren zurück nach Berlin ist vor allem
das Privatleben. Aber auch die Aussicht, dass sie ohne weitere
formale Qualifikationen in Brüssel keinen weiteren Aufstieg
schaffen wird. Und für Christina, mit dem Karriereanker »General
Management«, ist mehr Verantwortung wichtig. Über einige Jahre ist
der Berliner Job sehr gut für sie. Dann folgt ein kompletter
Werteabsturz. »Wenn ich in einem fairen Wettbewerb die Stelle nicht
bekommen hätte, wäre das für mich zwar schmerzhaft gewesen, aber
akzeptabel. So aber geht das gar nicht. Es war einfach unbegründet
und unfair.« Noch immer kocht sie förmlich vor Wut, wenn sie davon
spricht. »Ehrlicherweise«, sagt sie mit Blick auf die fallende
Kurve bei den Karriereankern, waren die letzten zwei Jahre in dem
Berliner Job aber auch inhaltlich nicht mehr so zufriedenstellend.
Vielleicht wollte ich mit der Geschäftsführung auch davon
weg.
Christinas Zufriedenheitskurve beziehungsweise
deren Absturz bringt den Handlungsbedarf klar auf den Punkt: Der
nächste Job braucht auf jeden Fall Gestaltungsspielraum und muss
ihre zentralen Werte bedienen. Christina ist kein Typ für
Wertekompromisse. Dafür ist sie im Gegenzug auch bereit, Zeit und
Energie zu investieren.
Wie entscheiden Sie sich? Finden Sie das heraus
in der folgenden Fazit-Übung.
Übung 25: Ein Fazit
ziehen
Was sagen die einzelnen Kurven über den
Grad Ihrer Zufriedenheit mit Ihren früheren Berufsstationen oder
dem jetzigen Job aus?
Zur Beantwortung dieser Frage bieten
sich Ihnen verschiedene Möglichkeiten. Sie können Ihre summarische
Gesamtzufriedenheit je beruflicher Station betrachten, also über
alle relevanten Faktoren hinweg. Oder Sie schauen auf einzelne
Faktoren, beispielsweise den Verlauf Ihrer Kompetenzen oder Werte.
Spannungsreich sind oft gerade abweichende Kurven und Diskrepanzen,
wenn Sie zum Beispiel Ihre Kompetenzen in einem Job einsetzen und
entwickeln konnten, dies aber für Ihre Werte nicht gilt, wie es bei
Christina der Fall war.
Letztlich ist es ganz allein Ihre
Entscheidung, ob Sie nach der Betrachtung Ihrer
Zufriedenheitskurven ein Fazit ziehen, das eine berufliche
Veränderung beinhaltet.
Eine Option ist immer auch, dort zu
bleiben, wo man ist. Wenn in Summe die Bilanz stimmt, können Sie
sich vielleicht doch mit einigen weniger positiven Aspekten
arrangieren? Auch das wäre ein gutes, nämlich stimmiges Ergebnis
der Zufriedenheitskurve in der Gesamtbetrachtung.
Ein Fazit Ihrer beruflichen
Gesamtzufriedenheit verleiht Ihrem Eindruck in jedem Fall
Verbindlichkeit und motiviert zum Weitergehen. Oder bestärkt Sie
eben darin, zu bleiben.
Folgende Fragen können Sie als Anregung nutzen, um ein Fazit aus Ihren Zufriedenheitskurven zu ziehen:
Folgende Fragen können Sie als Anregung nutzen, um ein Fazit aus Ihren Zufriedenheitskurven zu ziehen:
-
Schließt Ihre jetzige Tätigkeit zentral wichtige Aspekte und Entwicklung mit ein? Wird es im jetzigen Job möglich sein, diese zu durchlaufen?
-
Schließt die Summe Ihrer Kompetenzen und Werte diese Entwicklung aus?
-
Sollte Letzteres zutreffen: Welche Alternativen bieten sich?
-
Bieten Alltag, Freizeit und das private Umfeld einen Ausgleich, um in beruflicher Hinsicht zufrieden zu bleiben?
-
Können Sie sich mit einzelnen Abweichungen in der Zufriedenheit arrangieren, wenn Sie in Summe die Vorteile der anderen Aspekte betrachten?
-
Wo sind Sie bereit, Kompromisse zu schließen?
-
Werden Sie in Ihrer jetzigen Situation gesund bleiben können?
Notieren Sie nun bitte Ihr
Fazit.
Kreative Alternativen für die Darstellung Berufszufriedenheit
Nicht jedem liegt die Art der Darstellung
von Berufszufriedenheit in einer Kurve, für manche meiner Klienten
ist dies zu technisch. Im Folgenden möchte ich Ihnen noch andere
Methoden vorstellen, die häufig auch eher summarisch funktionieren,
das heißt, angeben, wie zufrieden Sie sich ganz allgemein in einer
Station gefühlt haben.
Sie können für eine summarische Betrachtung
Ihrer Zufriedenheit pro Berufsstation auch einen Kreis zeichnen,
der dem Zufriedenheitsgrad entsprechend gefüllt ist. Weitere
Alternativen sind ein Bild zu malen, ein Foto oder einen Song
auszuwählen, das/der Ihre Stimmung in der jeweiligen beruflichen
Situation ausdrückt. Ihrer Fantasie sind hier keine Grenzen
gesetzt.
Wenn Sie nicht zum visuell veranlagten Typ
zählen, können Sie eine summarische Betrachtung Ihrer beruflichen
Zufriedenheit auch ausformulieren. Fragen Sie sich beispielsweise,
welche Ziele Sie bei Aufnahme der Tätigkeit hatten und ob oder
inwieweit diese sich im Laufe der Zeit verändert haben. Ähnliches
bietet sich im Hinblick auf Ihre Werte an: Welche Werte haben Sie
infolge Ihrer Berufstätigkeit ausgebildet? Auf welche möchten Sie
nicht mehr verzichten? Hatten persönliche und private Veränderungen
einen Einfluss auf Ihre berufliche Zufriedenheit? Bei allem handelt
es sich um Optionen. Wichtig ist, dass Sie am Ende sagen können,
welche der von Ihnen angestrebten beruflichen Entwicklungen für Sie
am wichtigsten ist.
Wenn Sie den Eindruck gewonnen haben, dass Sie
sich in einer Zwickmühle befinden, werden die Kapitel Die
Berufungs- und die Karrierefalle und Innere Mentoren und
Saboteure hilfreich sein.
Zunächst aber einmal lade ich Sie ein, dass Sie
sich in die Zukunft begeben. Unser Geist kann das ja. Unser Gehirn
ist dazu in der Lage, sich unabhängig von Zeit und Raum in Gedanken
zu bewegen. Also, wie es in der Kult-Fernsehserie Raumschiff
Enterprise heißt: »Beam mich hoch, Scotty.«
Erlauben Sie sich zu träumen: Mein idealer Job
Eine Vision, aus der am Ende Ihrer Reise
ein klares Ziel – also der Job, der jetzt zu Ihnen passt – steht,
setzt eine innere Zielvorstellung voraus. Damit man das Richtige
zum richtigen Zeitpunkt erkennen kann, muss der innere Kompass
stimmen. Kairos erkennt nur jemand, der intuitiv weiß, wonach er
oder sie sucht. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber nach meiner
Erfahrung sind Träume, Wünsche und Sehnsüchte verbunden mit einer
klaren Vorstellung sehr wichtig für Veränderung, die uns
weiterbringt. In diesem Zusammenhang fällt mir eine ganze Reihe von
Sätzen ein: »Träume nicht dein Leben, sondern lebe deine Träume«,
Martin Luther Kings »I have a dream«, aber auch das nüchterne »Wer
Visionen hat, sollte zum Arzt gehen« des Altkanzlers Helmut
Schmidt. Wo aber wären wir heute beispielsweise ohne Menschen wie
Steve Jobs, der davon geträumt hat, dass wir eines Tages von jedem
Ort in der Welt Zugriff auf unsere Daten haben? Die Welt braucht
Ideen und Visionen – daher muss es erlaubt sein, zu träumen! Mit
den weiteren Schritten in diesem und den nächsten Kapiteln werden
Ihre Träume einen Boden bekommen, dafür ist gesorgt. Und auch die
folgende Übung »Visionsreise« beinhaltet bereits alle Aspekte der
Lebensrealität.
Übung 26: Visionsreise:
Der ideale Tag, die ideale Woche, das ideale Jahr
Was Sie für die Übung brauchen:
-
Ihr KAIROS-Gesamtchart mit Ihren Topkompetenzen, -karriereankern, -werten sowie Anforderungen an das Arbeitsumfeld und Angaben zu Ihrer persönlichen Situation
-
Ihr Datenchart, gern auch nur ein einzelnes Blatt, um die wichtigsten Lebensstränge im Blick zu haben
Und jetzt versetzen Sie sich bitte
einmal drei oder vier Jahre in die Zukunft. Es sollte ein Zeitraum
sein, der noch nah genug dran ist, damit Sie sich verbunden fühlen,
aber er sollte sich für Sie auch so anfühlen, dass Sie bis dahin
Veränderungen erfolgreich umgesetzt haben können.
-
Diese Zukunft ist jetzt. Schließen Sie die Augen, und erlauben Sie sich zu träumen.
-
Stellen Sie sich vor, wie der ideale Arbeitstag in Zukunft verläuft.
-
Beschreiben Sie, wie genau Ihr Arbeitsalltag an einem normalen Tag aussieht.
Beginnen Sie gleich mit dem Aufstehen.
Wann sollte der Wecker klingeln, wie viel Zeit möchten Sie haben,
um sich in Ruhe auf den Weg zur Arbeit zu machen? Wenn Sie eher
langsam in die Gänge kommen, ist der Gedanke an eine gute Tasse
heißen, starken Kaffee am Küchentisch mit der Tageszeitung sicher
verlockend. Überlegen Sie dann, wie lange Sie bis zu Ihrer
Arbeitsstelle maximal unterwegs sein möchten. Und ziehen Sie es
vor, mit dem Rad zu fahren oder öffentliche Verkehrsmittel zu
nutzen, weil Sie gern noch mal die Augen zumachen oder lesen
wollen? Analog dazu malen Sie sich die Situation an Ihrem
Arbeitsplatz aus. Folgende Stichpunkte können Ihnen als Anhalt
dienen:
-
Lage des Arbeitsorts (zentral und gut angebunden oder schön gelegen, Provinz oder Metropole – oder ist dies egal?)
-
Konzern oder Mittelstand?
-
Inhabergeführt oder mit neutralen Managern?
-
Ansehen der Firma – weltweit bekannt oder geheimer Marktführer?
-
Phase des Unternehmens: Start-up erste Phase, etabliertes Start-up, fest etabliert im Markt, Traditionsunternehmen?
-
Hierarchische, klare Struktur oder informelle Berichtswege und Kultur?
-
Größe des Teams, enge Zusammenarbeit mit Kollegen?
-
Freie und flexible Zeiteinteilung oder geregelte Arbeitszeiten?
-
Kontakt zu Kunden?
-
Geschäftsreisen?
-
Angemessenes oder überdurchschnittliches Gehalt?
-
Regelmäßiger Austausch im Kollegenkreis möglich?
-
Home-Office beziehungsweise allein arbeiten möglich?
-
Ausgewogenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit?
-
Feierabendritual, abschalten und zu Hause ankommen?
Sie können das gern schriftlich
machen. Entscheidend ist der nächste Schritt, wobei Sie folgende
Fragen für sich beantworten:
-
Wo liegt der Unterschied zu heute?
-
Wo machen Sie Defizite aus? Sind in Ihrer jetzigen Situation Ihre Werte nicht erfüllt, entspricht Ihre aktuelle Tätigkeit nicht Ihren Kompetenzen oder liegt es vielmehr an den »hard facts«, die Sie unzufrieden machen?
-
Welche persönlichen Bedürfnisse stehen hinter den Werten, die augenscheinlich nicht erfüllt sind?
-
Sind diese eher im beruflichen oder privaten Bereich, sprich Lebensstrang, angesiedelt?
Wenden Sie das Ganze auf zwei weitere
Zeitebenen an, die Woche und das Jahr. Das Verfahren und die Fragen
sind dieselben. Auch hier liegt der Fokus auf den obigen Aspekten.
Die Woche ist dabei das Maß, das unseren Arbeitsrhythmus
strukturiert. Hier kommen Faktoren der Lebensbalance zum
Tragen.
Folgende Faktoren sollten Sie bei
dieser zweiten Visionsreise (die ideale Woche) mit
betrachten:
-
Bedürfnis nach Ruhe
-
Wie ausgewogen ist das Verhältnis von Job und Privatleben?
-
Gibt es Schicht- oder Wochenenddienste?
-
Ist unregelmäßige oder konstante Arbeitsbelastung tolerierbar oder gar gewünscht?
-
Freizeit, Partnerschaft und Familie?
Für die dritte Visionsreise betrachten
Sie als Zeitspanne das Jahr. Hier sollten Sie auch Urlaube und
Auszeiten berücksichtigen, denn der Jahresrhythmus beeinflusst
maßgeblich unsere Regeneration und das Balancegefühl
insgesamt.
-
Gleichmäßige Arbeitsbelastung?
-
Hohe Arbeitsbelastung – Ausgleich in Ferienzeiten und Sabbaticals?
-
Urlaubszeiten?
-
Erreichbarkeit während Urlaub notwendig?
-
Jahresgehalt – ermöglicht es ebenfalls »Regeneration«?
Die Jahresbetrachtung bringt die
typologischen Unterschiede zwischen Menschen richtig zum Vorschein.
Viele Menschen können Spitzenzeiten über mehrere Monate gut
wegstecken, brauchen das sogar, um richtig gefordert zu sein und
dabei Spaß zu haben. Dem sollten Phasen der Ruhe folgen, um
dauerhaft leistungsfähig zu bleiben. Der eher klassische Typ
hingegen benötigt einen regelmäßigen Rhythmus, etwa Menschen, die
forschen und lehren. Die Anforderungen insbesondere an Schulen sind
heutzutage enorm, da wundert es nicht, dass sich Lehrer wie ihre
Schüler auf die Ferien freuen. Denken Sie also darüber nach, welche
Rolle Ihre Familie spielt, wenn Sie sich Ihr ideales Jahr
erträumen. Wie verhält es sich mit Fortbildungen, welche Anregung
brauchen Sie? Auch das sollte in Ihre Vision mit einfließen.
Visionsreisen der Protagonisten und mein eigenes Beispiel
Zum Abschluss sollen Sie noch erfahren,
was unsere Protagonisten und auch ich selbst in den Visionsreisen
erlebt haben.
Christina sah sich in ihrem Alltag vor allem
andere Menschen anleiten – sie war der Chef, ganz klar. Thomas
machte eine starke visuelle und kinästhetische Erfahrung des Raums,
in dem er arbeiten würde. Dieser ähnelte stark der Logopädiepraxis,
in der er bei seinem Bekannten ein Praktikum gemacht hatte, und er
spürte, wie sehr ihn solch ein Ort berührte. Stefanie hatte immer
wieder die Szene im Kopf, wie sie vor einer Gruppe steht und gerade
mit Humor und Enthusiasmus die Teilnehmer des Trainings mitreißt,
um etwas auszuprobieren. Stefanie war ebenfalls sehr berührt von
diesem Bild. »Das ist ja gar keine Vision«, sagte sie leise, mit
Tränen der Berührung in den Augen. »Das habe ich ja schon erlebt!
Ich weiß, wie sich das anfühlt!«
Auch mein eigenes Beispiel ist rückblickend
betrachtet erstaunlich. Denn heute ist diese Vision zu 100 Prozent
verwirklicht!
Als ich nach sechs Jahren in der Festanstellung
meine Selbstständigkeit plante, habe ich mit einer Kollegin mit der
Methode der Visionsreise gearbeitet. Folgende Bilder konnte ich
sehen: Ich bin an einem Ort mit einem Wald in der Nähe. Das tiefe
dunkle Grün der Bäume hat eine starke, beruhigende Ausstrahlung. Es
ist auch Wasser in der Nähe. Der Arbeitsraum, in dem ich arbeite,
ist ein Ort der Ruhe und der Inspiration. Menschen kommen aus
vielen Himmelsrichtungen hierher, nehmen Wege in Kauf, um dort mit
mir zu arbeiten (ich hatte immer das Bild, dass Menschen zu mir
kommen und nicht, dass ich, wie bei Beratern, Trainern, Coachs
häufig üblich, selber viel zu Kunden reise). Die Menschen erzählen
mir von Ihren Problemen und Wünschen, und ich unterstütze sie
dabei, für diese Probleme neue Lösungen zu finden. Die Verbindung
nach innen, zu tragenden Werten und Sinn ist dabei zentral. Ich
erlebe, dass Menschen bereit sind, für das, was sie bei mir finden,
auch Geld zu bezahlen, gutes Geld. Ich habe Kunden, die dies
aufbringen.
Für mich ergab sich kein Mottosatz aus dieser
Visionsreise, aber ganz zentral dieser Blick auf die Bäume mit
ihrem tiefen Grün. Er symbolisierte für mich alles, was ich im
Beruflichen machen wollte.
Wenn ich heute, im Jahr 2013 auf diese Vision
zurückschaue, ist es ehrlich gesagt beeindruckend, wie präzise
manche Details eintrafen. Man könnte wirklich von der »sich selbst
erfüllenden Prophezeiung« sprechen, im positiven Sinne. Zum
Zeitpunkt der Visionsreise wohnte ich noch allein ohne meinen Mann
in einem zentralen Bezirk von Berlin, also keineswegs so wie in
meinem Visionsbild. Heute lebe und arbeite ich in Berlin-Tegel, mit
dem Tegeler See und dem Tegeler Forst gleich um die Ecke – das
tiefe Grün der Bäume beruhigt und inspiriert mich beinahe jeden
Tag. Mein Arbeitsraum und meine Arbeitsweise sind genauso
eingetroffen wie in der Vision. Ich sah in dieser inneren
Bilderreise tatsächlich auch eine Wohnung, die der, in der wir
heute leben, einfach frappierend ähnlich war.
Und natürlich hat meine Vision auch
Konsequenzen. Wer einen schönen Arbeitsraum hat und nicht viel zu
Kunden reist, muss diesen Raum finanzieren. Auch in den
Sommermonaten, wenn Klienten Ferien machen. Bin ich gern bereit,
diesen Teil der Vision in Kauf zu nehmen? Ja!
Vision und Ziele – auf die richtige Formulierung kommt es an
Nun haben Sie per »Zukunftsvideo« einen
Eindruck davon bekommen, wie der Job, der zu Ihnen passt, sich
anfühlen kann. Am Ende dieses Buches soll ein Plan für Sie
entstehen, wie Sie konkret weiter vorgehen. Dazu nutzen Sie dann
wieder die einzelnen Elemente der KAIROS-Methode.
Wie ich in der Einleitung bereits geschildert
habe, wollen manche Klienten sehr schnell zu konkreten Schritten
übergehen, schreiben überhastet an ihrem Lebenslauf und posten
diesen in diversen Foren. Nach einigen Sitzungen kommen solche
Aktivitäten dann meistens erst einmal zur Ruhe. »Ich weiß
eigentlich gar nicht recht, was ich will und ob ich dann eine
Stelle nach einem Einstellungsgespräch auch annehmen würde«,
gestand sich eine meiner Klientinnen ein. Aus dem Ziel »Bloß weg
hier« wurde das mittelfristige Ziel »Ich orientiere mich in Ruhe
neu, gemäß meinen Kompetenzen und Werten«. Für die kurzfristige
Perspektive konnte sie die Herausforderung der derzeitigen
Situation annehmen und für sich formulieren: »In der jetzigen
Situation lerne ich, was für mich zu lernen ist, und finde einen
guten Ausstieg.«
Was Sie als nächsten Schritt brauchen, um vom
Status quo in konkrete Handlungen zu kommen, ist etwas, das ich
Zielvision nenne. In dieser Zielvision bündeln Sie in einem
energievollen Satz oder einem Bild, worum es im Kern Ihrer
beruflichen Vision geht. Sie knüpfen also direkt an Ihrer
Visionsreise des idealen Tages, der idealen Woche und des idealen
Jahres an und formulieren dafür einen oder zwei Sätze. Häufig
fallen diese Formulierungen sehr bildhaft aus. Christina zum
Beispiel fand für sich den Satz: »Ich steuere das Schiff und gebe
Orientierung für Projekte im Sozialmanagement.«
Eine solche Zielvision zeigt Ihnen, in welche
Richtung es gehen soll, und sie leitet Ihren persönlichen
KAIROS-Prozess. Sie werden jetzt vielleicht einwenden: Ist ein Bild
denn ausreichend als Ziel? Meine Antwort: Zu Beginn einer
Veränderungsphase sind ein Bild und ein prägnanter Satz sogar
besser als ein konkretes Ziel. Denn in Bezug auf Ziele und deren
Formulierung gilt es, einen wichtigen Punkt zu beachten, den die
neuere Forschung herausgearbeitet hat und den ich Ihnen natürlich
nicht vorenthalten möchte.
In der Zielarbeit nutze ich die neuesten
Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der Psychologie zur
Ziel- und Motivationsforschung.29 Dort unterscheidet
man zwischen zwei Typen oder auch Arten von Zielen, nämlich,
erstens, spezifische Ergebnis- oder Verhaltensziele und, zweitens,
übergeordnete Haltungen, auch Haltungsziele. Letztere sind einer
Vision näher, was ja der Phase entspricht, in der Sie sich gerade
befinden. Eine Zielvision ist weniger konkret als ein
Verhaltensziel, aber umso kraftvoller. Sie werden feststellen, dass
ein gutes Visionsziel sich von unrealistischen und utopischen
Zielen klar unterscheidet. Kein Visionsziel ist zum Beispiel eine
Aussage wie: »Meine Chefin zahlt mir eine Million Euro im Monat für
vier Stunden Arbeit in der Woche.« Zumindest müssten Sie dann
definieren, worin denn Ihre wertvolle Leistung besteht, die
jemandem eine Million Euro wert ist. Sie sehen, auch Visionsziele
haben ganz konkret etwas mit Ihnen zu tun, mit dem, was Sie
umsetzen können. Generell gibt es für die Formulierung von Zielen
und der Zielvision sinnvolle Regeln. Ziele sollen
-
frei von Verneinungen formuliert werden,
-
realistisch und angemessen herausfordernd sein,
-
eigenverantwortlich zu erreichen sein,
-
respektvoll/achtsam gegenüber anderen und sich selbst sein,
-
attraktiv/körperlich positiv verankert sein.
Warum sind Visionsziele für das KAIROS-Karrierecoaching überhaupt so wichtig?
Das KAIROS-Prinzip meint ja, das Richtige
zum richtigen Zeitpunkt zu tun. Und damit auch, das Falsche zu
lassen. Wer weiß, dass er einen roten Wagen sucht, wird die blauen
Modelle im Katalog gelassen überblättern. Wer nicht weiß, welche
Farbe gerade jetzt die passende ist, sucht stundenlang und gibt
schließlich erschöpft auf oder greift zum nächstbesten Automodell –
und ist dann unzufrieden.
Ein klares, sinnvolles Ziel motiviert und
bietet Orientierung. Es ist verbunden mit den bestehenden Werten
und Grundsätzen eines Menschen. Ihr eigenes Handeln bekommt durch
Ihr Visionsziel eine Richtung, und Entscheidungsprozesse werden
dadurch vereinfacht. Dadurch, dass Sie Ihr Visionsziel vor allem
bildlich und metaphorisch formulieren, erhalten diese eine
besondere Kraft.30
Ihr Unterbewusstes mit seinem ganzen Reservoire an Gefühlen,
Erfahrungen und Kompetenzen ist mit an Bord. Sie können nämlich gar
nicht für jede einzelne Situation mit dem Kopf entscheiden, was
jetzt gerade wichtig für Ihr Berufsziel ist und was Sie konkret tun
sollten. Indem Sie also Ihre Vision ausrichten, entwickeln Sie ein
besseres Gefühl für Situationen, in denen Sie entscheiden müssen.
Sie können Ihre Energie besser bündeln und Optionen aussortieren.
Sie erkennen den Kairos, indem Sie das Richtige zum richtigen
Zeitpunkt auswählen und dann umsetzen. Ebenso können Sie bestehende
Probleme oder potenzielle Schwierigkeiten leichter ausmachen, wenn
Sie klar erkennen, dass diese Ihrer Zielvision im Wege stehen. Und
nicht zuletzt werden so Lösungen schneller gefunden und
erkannt.
»Ich will irgendwie wieder zufriedener im Job
werden« ist häufig ein sehr allgemeines vages Ziel, mit dem meine
Klienten in ein Coaching zur Berufsorientierung kommen. Manche
pflegen auch eher den »Weg-von«-Ansatz: »Ich will raus aus diesem
Unternehmen!« »Bloß weg von diesem Chef!« »Ich will nicht mehr so
wenig Geld verdienen!«
Bei der Arbeit an Zielen ist es wichtig, neben
der Motivation seine Werte sowie bereits vorhandenen Ziele zu
beachten, damit diese nicht in Widerspruch mit- und untereinander
stehen. Wichtig ist eine Stimmigkeit im gesamten Wertesystem, wobei
mögliche Auswirkungen auf die unterschiedlichen Lebensbereiche
berücksichtigt werden sollten. So haben Sie es bereits in Ihrer
Visionsreise gemacht. Das Ziel »Ich verdiene ganz viel Geld im Job«
lässt sich im Allgemeinen durchaus umsetzen, aber nicht jeder
möchte die möglichen Konsequenzen einer solchen Lebensweise auch
tragen.
Der Bezug zu den Ergebnissen aus dem ersten
Teil dieses Buchs ist also ganz zentral, wenn Sie jetzt Ihre
Zielvision erstellen. Der Fokus liegt hier auf Ihren Werten und
damit der Sinnhaftigkeit Ihrer Ziele sowie der Stärke Ihrer
Motivation hinsichtlich Ihrer Zielerreichung. Aber natürlich
beachten Sie auch Ihre tatsächlichen Kompetenzen und die objektiven
Fakten der Arbeitsbedingungen.
Vor allem müssen Sie Ihre Zielvision daraufhin
überprüfen, ob es Ihre eigene ist (und nicht die Ihrer Freundin,
Mutter, Ehefrau, Ihres Vaters oder Partners) und ob sie zu Ihrer
Lebensphase passt. »Ich starte voll durch in der Karriere« ist
vielleicht ein passendes Ziel für jemanden, der gerade aus der
Ausbildung oder von der Uni kommt und loslegen möchte. Aber zehn
Jahre später kommen andere Parameter hinzu, vor allem natürlich die
Frage nach Familie und nach mehr Lebensbalance.
Ihre beruflichen Ziele müssen generell zu Ihrer
Persönlichkeit, Ihren Fähigkeiten und zu Ihrer Lebensphase passen
und sollten dementsprechend formuliert werden. Mit vielen
Klientinnen habe ich beispielsweise an einer passenden
Zielformulierung für einen nächsten Schritt in eine
Führungsposition gearbeitet, sodass die Frauen nicht das Gefühl
haben, sich zu verbiegen. Auch die Zielvision »Führen wie mein
Chef« ist häufig eher abschreckend, denn es fehlt ihr an positiven
Vorbildern. Auch in diesem Zusammenhang sind eigene Bilder
hilfreich und wertvoll. Eine Klientin fand für sich das Bild des
Yin/Yang-Symbols sehr treffend, denn es verkörperte für sie die
Balance von traditionell »männlichen« und »weiblichen«
Eigenschaften, die beide positiv sind. »Mein Führungsstil folgt dem
Yin/Yang-Symbol« war für sie ein passender Satz, der als berufliche
Zielvision sie selbst als Führungskraft tragen konnte.
Auch für Ihre Vision von dem Job, der jetzt zu
Ihnen passt, schlage ich Ihnen daher eine bildliche Art der
Zielformulierung vor. Diese Zielart nennt man in der Psychologie
wie oben erläutert »Haltungsziele«, ich nenne sie
Visionsziele31. Solche
übergreifenden Zielbilder sind dann sinnvoll, wenn eine spezifische
Zieldefinition (noch) nicht möglich oder auch generell nicht
sinnvoll wäre. Also zum Beispiel, wenn Sie noch gar nicht genau
wissen, in welches Unternehmen Sie wollen oder ob Sie sich
vielleicht selbstständig machen sollten. Berufliche Orientierung
ist ein komplexes Szenario. Einfache Verhaltensziele wie »Ich
schreibe 25 Bewerbungen in den nächsten zwei Wochen« treffen hier
einfach nicht den Kern der Dinge, gerade weil sie viel zu konkret
formuliert sind. Gut sind solche Ziele dann für die nächsten
Handlungsschritte.
Anders als Ergebnis- oder Verhaltensziele
werden Haltungs- oder Visionsziele allgemeiner formuliert, weil sie
situationsübergreifend wirksam werden sollen. »Ich segle im
frischen Wind hin zu neuen Ufern und ankere, wo es verlockend ist«
könnte so ein übergreifend formuliertes Visionsziel für den
Aufbruch zu einem Praktikum sein. Es ist stark motivierend – für
die Person, die es so formuliert hat – und löst in ganz
unterschiedlichen Situationen automatische Handlungsimpulse aus,
ohne dass man konkret darüber nachdenken müsste. Der »verlockende
Ankerplatz« kann die Fahrt im Zug sein, auf der sie ein
interessantes Gespräch über Ihre Berufswünsche mit einem
Mitreisenden führen. Oder auch eine Jobmesse mit interessanten
Angeboten. In ihrer Wirkung sind Haltungsziele mit einem inneren
Kompass oder einer Art Leitstern vergleichbar, der hinsichtlich
eines Ziels Orientierung bietet. Als Leitsatz eröffnet Ihnen ein
Haltungsziel automatisch und intuitiv Handlungsoptionen, sodass Sie
sich auf ein Ziel hinbewegen können. Die Psychologin Maja Storch
hat in diesem Zusammenhang auch den Begriff »Motto-Ziel« geprägt,
ein meiner Ansicht nach sehr passender Ausdruck
für diese Art Zielformulierung.32 Sie gestalten für sich ein Motto, das Ihre Zielvision auf unwiderstehliche Weise anziehend formuliert!
für diese Art Zielformulierung.32 Sie gestalten für sich ein Motto, das Ihre Zielvision auf unwiderstehliche Weise anziehend formuliert!
Im Coaching kommen Klienten und ich oft zu
einer prägnanten Aussage. Sie geht einher mit Bildern oder einer
Metapher, die das Ziel auf den Punkt bringen. Dieser Zielsatz kann
auch aus einer Aussage bestehen oder eine Affirmation (Bejahung)
des Zielzustands sein. Kriterium für die Wirksamkeit eines
Haltungsziels sind immer die absolut positive Resonanz im ganzen
Körper und die Motivation, die die Formulierung bei Ihnen im
Selbstcoaching hervorruft.
Die erste Zielvision
Und jetzt formulieren Sie Ihre Zielvision.
Breiten Sie dazu die über sich gewonnenen Erkenntnisse vor sich aus
oder werfen Sie einen erneuten Blick darauf. Lassen Sie die Bilder
Ihrer Visionsreise wieder vor sich aufsteigen.
Formulieren Sie jetzt Ihr Visionsziel.
Versuchen Sie, Ihre damit verbundenen Emotionen und die Energie,
die Sie bei der Zielerreichung höchstwahrscheinlich verspüren,
darin abzubilden. Konkret können Sie folgende Optionen dafür
nutzen:
-
markieren Sie die am meisten energiegeladenen Wörter Ihrer Visionsreise
-
formulieren Sie einen Satz daraus
-
oder nutzen Sie ein Bild, das Ihnen zu Ihrer Visionsreise einfällt und bauen Sie dieses in Ihre Formulierung ein
Statt eines Bildes können Sie auch ein
ganz bestimmtes Gefühl mithilfe einer prägnanten Formulierung
ausdrücken. Folgen Sie dabei Ihrer Intuition und einem zu 100
Prozent positiven Körpergefühl!
Die Visionszielsätze unserer Protagonisten
lauten:
-
Stefanie: Ich lebe meine wahren Stärken in meinem Beruf voll und ganz.
-
Thomas: Ich öffne den Raum für wahrhaftiges Sprechen.
-
Christina: Ich steuere das Schiff und gebe Orientierung für Projekte im Sozialmanagement.
Ihr eigener Satz zu Ihrer beruflichen
Vision kann gar nicht energie- und emotionsgeladen genug sein. Denn
er muss Sie später sicher auch durch manches Tal und über manche
Durststrecke tragen. Manchmal ist es auch eher ein stilles,
ruhiges, aber sehr starkes Gefühl, das mit dem Bild oder dem Motto
verbunden ist.
Horchen Sie in sich hinein und folgen Sie
allein Ihrem Bauchgefühl. Es geht hier um Sie und nicht um das, was
andere möglicherweise meinen oder denken.
An dieser Stelle kommt mir eine Klientin in den
Sinn, die das, was sie mit dem für sie idealen Job verband, so auf
den Punkt brachte: »Ich will einen Job, der wie Berlin ist.« Die
Stadt symbolisierte für sie das, was sie sich wünschte und worin
ihre Werte und Kompetenzen zum Tragen kamen: Unkonventionalität,
Internationalität, Kreativität und ähnliche Dinge mehr. Ebenso
drückte sie damit aus, was ihr nicht so wichtig war und was sie
bereit war, in Kauf zu nehmen, Stichwort »arm, aber sexy«. Dieses
»Berlin-Gefühl« war ortsunabhängig. Solange die neue Tätigkeit ihr
das bieten würde, was sie darunter versteht, war auch eine
räumliche Veränderung in eine Stadt wie Hamburg, Leipzig, Essen
oder München eine Option. Ihr erschloss sich intuitiv, ob das
»Berlin-Feeling« an der Arbeitsstelle zu finden war. Ich empfehle
Ihnen, ebenso vorzugehen!
Notieren Sie nun Ihre motivierende Zielvision
in einem Satz.
Überprüfung und Fazit zur Zielvision
Ich selbst habe schon die Erfahrung
gemacht, dass man sich mit einem Zielsatz vor Augen etwa in
beruflichen Situationen automatisch ganz anders verhält als vorher.
Mit einem Satz wie »Ich will einen Job, der wie Berlin ist«
beispielsweise müssen Sie sich nicht im Einzelnen vornehmen, was
genau sie beim Vorstellungsgespräch anders machen werden, vielmehr
geschieht es in der Situation angemessen und wie von allein, ohne
Ihr bewusstes Zutun.
Voraussetzung ist, dass Sie den Visionszielsatz
vorher oft genug wiederholen und ihn mithilfe mehrerer Anker
(beispielsweise Bilder, die Sie aussuchen, Notizen oder ein
bestimmter Duft) und in verschiedenen Situationen verinnerlicht
haben.
Damit Ihre Ziele wirksam sind, überprüfen Sie
Ihre Zielvision in jedem Fall noch einmal an den allgemeinen
Formulierungskriterien von Zielen:
-
frei von Verneinungen
-
realistisch und angemessen herausfordernd
-
eigenverantwortlich zu erreichen
-
respektvoll/achtsam gegenüber anderen
-
attraktiv/körperlich positiv verankert
Es mag unfair klingen, aber die
unterbewussten Anteile eines Menschen ignorieren die in einer
Zielformulierung enthaltene Verneinung. Aus dem Ziel »Ich will
nicht mehr rauchen« wird das Gegenteil: »Ich will – mehr rauchen«.
Wenn Negatives oder Destruktives auf inhaltlicher oder sprachlicher
Ebene darin vorkommt wie etwa »Krankheit«, schließt nicht nur die
Zielformulierung, sondern jegliche Art der Beschäftigung mit dem
gewünschten Ziel auch den Anteil ein, der eigentlich überwunden
oder vermieden werden soll.
In der Zusammenarbeit mit Klienten bilden
häufig Negativformulierungen den Ausgangspunkt. Das liegt daran,
dass Menschen das, was sie nicht mehr wollen, oft klarer ist als
das, was sie anstreben. Ich unterstütze sie dann darin, ein
positives Zielbild zu finden. Anstatt also zu sagen: »Ich will
nicht mehr krank sein«, arbeiten wir gemeinsam auf Aussagen hin
wie: »Ich will mich lebendig und voller Energie fühlen«, wobei es
noch besser ist, die Gegenwarts- statt der Zukunftsform zu
verwenden, also: »Ich fühle mich lebendig und voller Energie.«
Solche Formulierungen sind kraftvoller. Man sollte jedoch
achtgeben, dass man nicht zu schnell zu viel erwartet. Nicht selten
besteht anfangs eine Ist-Soll-Diskrepanz, die mitunter zu Ablehnung
des Ziels führen kann. Damit eine Zielerreichung so realistisch wie
nur irgend möglich bleibt, kann ein konkreter Zeithorizont mit
einfließen. »Ich werde mich bis Ende des Jahres lebendig und voller
Energie fühlen« wäre eine Option.
Ein wesentlicher Punkt ist auch die bereits
angesprochene realistische Zielsetzung. Im Coaching achte ich
darauf, dass das Verhältnis von Herausforderungen und Fähigkeiten
stimmt. »Ich möchte meine wahren Stärken ein bisschen mehr in
meinen Beruf einfließen lassen« würde Stefanie sicher nicht hinter
dem Ofen vorlocken. Bei »zu kleinen« Zielen fühlt man sich leicht
unterfordert, Langeweile ist irgendwann die Folge. Zu große Ziele
können hingegen unerreichbar erscheinen und damit destruktiven
Stress oder Frustration auslösen. »Ich bin im kommenden Jahr der
erfolgreichste Kommunikationstrainer Deutschlands« wäre für
Stefanie ebenfalls nicht motivierend – dabei handelt es sich nicht
mehr um ein Ziel, sondern um eine Utopie. Das Maß von
Herausforderung und Fähigkeiten ist bei jedem Menschen und jedem
neuen Ziel unterschiedlich und muss individuell erarbeitet werden:
Ein Ziel, das angemessen herausfordert, löst den Wunsch aus
»loszulegen«.
Ziele sollen eigenverantwortlich erreichbar und
von anderen Personen unabhängig formuliert sein, sodass die
Unterstützung von außen für den Erfolg nicht notwendig
beziehungsweise minimal ist. »Ich will, dass mir mein Chef mehr
Anerkennung gibt« ist eine weniger gute Formulierung als »Ich werde
mir mehr Anerkennung von meinem Chef einfordern«. Alternativ könnte
die Zielformulierung auch lauten: »Ich sorge dafür, dass mein Chef
meine Leistungen zur Kenntnis nimmt und angemessene Rückmeldung
gibt.« Je nach Kontext könnte auch folgende Zielsetzung
herauskommen: »Ich freue mich an meinen Erfolgen – unabhängig von
der Anerkennung meines Chefs.«
Bei der Zielsetzung ist weiterhin wichtig,
darauf zu achten, welche Auswirkungen das Erreichen des Ziels auf
Ihr Umfeld haben wird. »In einem Jahr werde ich ein erfolgreicher
Coach sein, mit mindestens 30 Klienten jährlich. Dabei habe ich
ausreichend Zeit für meine Familie« wäre eine Zielformulierung, in
der diese Berücksichtigung zum Ausdruck kommt.
Das wichtigste Kriterium jedoch ist die
hundertprozentige Zustimmung und Motivation, die eine
Zielformulierung bei Ihnen auslöst. Von daher müssen Ziele
attraktiv und körperlich positiv verankert sein – es muss bei Ihnen
eindeutig »klick« machen. Beispielsweise durch lautes Vorlesen der
eigenen Ziele sollten Sie in einen guten Zustand gelangen, der
körperlich sichtbar und spürbar ist. Vielleicht haben Sie ja schon
einmal erlebt, wie aufrecht Ihr Gang auf einmal war, nachdem Sie in
einer Situation etwas ausgesprochen haben, das Ihnen schon lange
auf dem Herzen gelegen hatte. Oder wie gut und erleichtert Sie sich
gefühlt haben, nachdem einer Ihrer Mandanten wider Erwarten seine
Wertschätzung zum Ausdruck gebracht hat. Ich kann Ihnen nur
empfehlen, auf Ihr Bauchgefühl zu hören, wenn Sie Ihr Visionsziel
formulieren. Gibt Ihr Bauch Ihnen sein Einverständnis, ist das ein
Zeichen dafür, dass ein Ziel widerspruchsfrei und wirklich
motivierend formuliert ist.