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»Können Sie sagen, wann Ihr Nachbar verschwunden ist?«, fragte ich die Nachbarin, als wir später im Garten auf einer wurmstichigen und etwas wackeligen Bank Platz nahmen. Wir waren beide froh, an die frische Luft zu kommen. »Ungefähr wenigstens?«

»Ich habe natürlich schon darüber nachgedacht. Vergangenen Mittwoch, da habe ich ihn zum letzten Mal gesehen. Später nicht mehr.«

»Haben Sie in den Tagen davor etwas Auffälliges bemerkt? Unbekannte Besucher? Oder ein Auto, das sonst nie hier parkte?«

Sie schüttelte den Kopf. »Alles war wie immer. Auch Herr Seligmann war eigentlich wie immer.«

»Was genau war an diesem Mittwoch?«

Wenn ich sprach, hing ihr Blick an meinen Lippen, als würde sie ständig fürchten, etwas zu überhören.

»Er hat morgens seine Mülltonne herausgestellt. Wir haben uns über den Zaun gegrüßt. Zum letzten Mal gesprochen habe ich ihn am Montag. Da ging er wie üblich einkaufen, ich hatte im Garten zu tun, wir haben ja so schrecklich viele Schildläuse dieses Jahr, und er hat mir einen Trick verraten dagegen: Spiritus. Es scheint tatsächlich zu helfen.«

»Hat Herr Seligmann Verwandtschaft?«

Sie wandte die Augen ab und betrachtete einen Rosenbusch in der Nähe.

»Über solche Dinge haben wir nie gesprochen. Nur, dass er früher einmal verheiratet war, weiß ich. Aber er ist schon lange geschieden. Die Ehe hat wohl auch nicht lange gehalten.«

Ich machte mir eine Notiz. »Nur zur Sicherheit: 1st er auf Medikamente angewiesen?«

»Er hat es am Herzen. Dagegen nimmt er Tabletten, das hat er mir einmal gesagt. Wenn er die nicht regelmäßig nimmt, dann kann es wohl problematisch werden.«

»Ihr Sohn sagte mir, Ihr Nachbar sei auch früher hin und wieder verreist. Wohin fährt er dann für gewöhnlich?«

»Zweimal die Woche macht er einen Ausflug. Montags und donnerstags, immer nachmittags gegen zwei fährt er los. Ich habe ihn nie gefragt, wohin. Das geht mich ja auch nichts an. Außerdem hatte ich das Gefühl, er mochte nicht darüber sprechen.«

»Wie lange bleibt er für gewöhnlich fort?«

»Abends um sieben, spätestens halb acht, ist er immer zurück.«

Der Platz in Seligmanns Garten war hübsch und angenehm. Wir saßen im Schatten, die Rosen dufteten, eine Amsel sang über uns in einer alten Tanne. Plötzlich verstand ich den Besitzer dieses Dschungels. Auch mir gefiel die Wildnis hier tausendmal besser als die gepflegte grüne Wüste nebenan.

»Den Rasen mäht mein Mann.« Meine Gesprächspartnerin konnte offenbar Gedanken lesen. »Mein Reich ist der hintere Teil. Dort, wo die Rhododendren stehen.«

»Wissen Sie, ob Herr Seligmann auch vergangene Woche seine Ausflüge gemacht hat?«

»Am Montag ja. Ob er am Donnerstag gefahren ist, kann ich nicht sagen. Ich war am Nachmittag in der Stadt. Ich …« Sie spielte eine Weile mit ihren zerbrechlichen Mädchenfingern. »Ich muss manchmal ganz plötzlich fort. Aus diesem Haus. Ich bekomme manchmal regelrechte Erstickungsanfälle seit dieser Geschichte …«

»Als Sie als Geisel gehalten wurden?«, fragte ich vorsichtig.

Sie schloss die Augen und nickte. »Manchmal, vor allem, wenn ich allein bin, muss ich auf einmal an die Luft«, flüsterte sie. »Unter Menschen. Ich kann das Alleinsein so schlecht ertragen, seither. An manchen Tagen geht es schon wieder recht gut. An anderen … Mein Mann arbeitet natürlich tagsüber. Und David ist ja auch nur selten da.«

»Ein sympathischer Junge, übrigens. Was macht er?«

»Er studiert Psychologie, hier an der Universität. Anfangs war er einige Semester in Marburg. Im kommenden Winter macht er Examen.«

Ein kleiner Schwarm Spatzen landete zeternd vor unseren Füßen, ohne uns zu beachten. Die Vögel stritten einen Augenblick herum und stoben wieder davon. Auf der Straße fuhr langsam ein dunkler Mercedes vorbei.

»Wo war Ihr Sohn eigentlich an dem Morgen, als Sie überfallen wurden? Es war noch vor acht. Da finden ja wohl keine Vorlesungen statt.«

Jetzt glänzte ein wenig Stolz in ihren Augen. »David ist sozial sehr engagiert. Er hilft in einem Heim für mehrfach behinderte Kinder, wenn Not am Mann ist. In Mannheim drüben. Seit Wochen ist er jeden Morgen zwei Stunden dort, um beim Frühstück zu helfen, von sechs bis acht. Anschließend fährt er meist direkt in die Uni.«

»Kommen wir noch einmal zum vergangenen Montag. Das war heute vor einer Woche. Nachdem Herr Seligmann vormittags einkaufen war, haben Sie ihn also nur noch einmal gesehen?«

Sie nickte ernst. »Am Mittwochmorgen.«

»Aber gehört vielleicht? Man kennt doch die Geräusche, die ein Garagentor macht, den Klang eines Wagens.«

»Nein, auch nicht gehört. Aber das bedeutet nicht viel. Vor allem nachts höre ich nichts. Ich nehme Schlaftabletten. Ich muss. Ich …«

Ihr Blick irrte ab, als hätten ihre Gedanken plötzlich die Richtung verloren.

»Herr Seligmann war früher Lehrer, sagte mir Ihr Sohn.«

»Am Hölderlin-Gymnasium, drüben in Heidelberg.« Sie machte eine nervöse Handbewegung irgendwohin. »Jetzt ist er in Pension. Seit acht oder neun Jahren schon.«

»Er ist doch noch nicht einmal sechzig. Und da ist er schon so lange pensioniert? Ist es wegen seiner Herzkrankheit?«

Sie hob die Schultern. »Er konnte seinen Beruf nicht mehr ausüben. Mehr weiß ich nicht darüber.«

»Mit Menschen hat er wohl nicht viel Kontakt?« Ich lächelte sie an. Aber ihr Blick blieb traurig.

»Er liebt die Ruhe«, sagte sie leise. »Sie haben sich ja vorhin seine Platten angesehen.«

Ihre letzte Bemerkung verstand ich nicht. Immerhin hatten sich auch Bruckners Neunte und diverse Wagner-Opern in der Sammlung befunden.

Vangelis kam hinaus in den Garten, um mir Bericht zu erstatten. Die durch den Verband erzwungene Kopfhaltung ließ sie noch unnahbarer wirken, als sie war. Und ihre Miene verriet, dass sie durch und durch wütend war.

Ich musste später unbedingt Balke interviewen.

»Das Messer haben wir nicht gefunden. Und auch sonst nichts Konkretes. Immerhin eine schwache Spur von der Küche durch den Flur bis zur Tür, die direkt zur Garage führt. Jemand scheint in Blut getreten und dann in die Garage gegangen zu sein.«

»Seligmann?«

Sie zuckte die Achseln und verzog das Gesicht vor Schmerzen. Sie musste am Wochenende einen Unfall gehabt haben. Etwa mit dem Auto? Das wäre kein Wunder, schließlich fuhr sie immer wie eine Verrückte.

»Die Spusi kann nicht mal die Schuhgröße ermitteln.« Vangelis hielt das Gesicht kurz in die Sonne und sah dann auf die Uhr, wozu sie den Arm ziemlich hoch halten musste. »Sven ist inzwischen auch hier. Wir fangen dann mal mit den Nachbarn an.«

»Der Vermisste ist übrigens geschieden«, sagte ich, als sie sich zum Gehen wandte. »Versuchen Sie, seine ehemalige Frau aufzutreiben.«

Vangelis verschwand wieder im Haus, aus dem leise, heimelige Geräusche drangen. Ich lehnte mich zurück und atmete tief ein. Eigentlich hätte ich längst wieder an meinem Schreibtisch sitzen und Verwaltungsarbeiten erledigen sollen. Aber soweit ich wusste, standen in meinem Kalender für den Vormittag keine wichtigen Termine, und Papierkram läuft ja zum Glück nicht weg. Hier, in dieser milden Luft, die nach Frühsommer und Frieden duftete, im Schatten dieses verwunschenen Gartens, war es allemal schöner als in meinem tristen Büro. Und außerdem konnte es ja nicht schaden, wenn ich meinen Leuten ein wenig Arbeit abnahm. Die Erfolge der ersten Stunden sind so oft entscheidend für die Aufklärung eines Falls. Wobei die ersten Stunden hier schon einige Tage zurücklagen.

Ich lächelte meine Gesprächspartnerin an, um meine Frage ein wenig harmloser scheinen zu lassen. »Wie ist denn Herrn Seligmanns Verhältnis zu den Nachbarn?«

»Er lebt mit niemandem im Streit, wenn Sie das meinen«, erwiderte sie eine Spur irritiert. »Aber wenn jemand so für sich bleibt, natürlich wird da geredet. Es ist ihm gleichgültig, wie die Leute über ihn denken.«

Außerhalb des Schattens, in dem wir saßen, wurde es jetzt von Minute zu Minute heller. Sonne und Wärme setzten sich durch. Die Bank knarrte leise, als ich die Hände im Genick verschränkte.

»Abgesehen von diesen Ausflügen, muss er auch sonst manchmal verreist sein. Schließlich haben Sie hin und wieder seine Tiere gefüttert.«

Rebecca Braun biss sich auf die schmale Unterlippe. »Im Frühjahr fährt er meist für zwei Wochen in den Süden. Er kennt da einen kleinen Ort in der Provence, hat er mir einmal erzählt. Der ist so etwas wie seine zweite Heimat geworden. Und im Herbst manchmal für einige Tage in die Alpen. Wandern. Er liebt die Natur.«

Nun fiel mir auch beim besten Willen nichts mehr ein, was ich noch fragen konnte. Seufzend erhob ich mich. Es half nichts, ich musste an meinen Schreibtisch zurück. Wenn wenigstens Sönnchen da gewesen wäre.

Rebecca Braun reichte mir die Hand, lächelte zum ersten Mal ein wenig und drückte überraschend fest zu.

»Wenn Sie mit meinem Mann sprechen – das werden Sie doch tun?«

»Vermutlich.«

»Würden Sie ihm … Er muss vielleicht nicht erfahren, dass ich diesen Schlüssel habe, weil …«

»Hätte er denn was dagegen?«

»Natürlich nicht.« Sie sah einer Maus nach, die durchs Gebüsch huschte. »Es ist nur … er kann Herrn Seligmann nicht besonders gut leiden. Und er ist manchmal ein wenig impulsiv.«

»Ihr Mann ist also kein Freund Ihres Nachbarn?«

»Nein«, erwiderte sie, nachdem sie ernsthaft über meine Frage nachgedacht hatte, »aber auch kein Feind.«

 

Der Inhaber des Edeka-Lädchens an der Eppelheimer Hauptstraße bestätigte mir, dass der Vermisste am vergangenen Montagvormittag zur üblichen Zeit sein Geschäft betreten hatte.

»Der Herr Seligmann kauft ja immer das Gleiche«, brummte er. »Nudeln, ungeschälten Reis, mal auch ein paar Eier, bisschen Gemüse, hin und wieder ein Stückchen Fleisch. Und seinen Trollinger natürlich, trocken. Er sagt, Trollinger tut seinem Magen gut. Von anderen Weinen kriegt er leicht Sodbrennen, sagt er.«

In dem Geschäft duftete es nach dem üblichen Durcheinander von Gewürzen, Käse, Obst, frischem Brot, Schinken und Wurst. Der weiße Kittel des Inhabers, Herrn Widmer, wie ich seinem schief hängenden Namensschildchen entnahm, war nicht übertrieben sauber. Sein verbindliches Lächeln wirkte ein wenig krampfhaft. Ich bekam Hunger, obwohl es noch nicht einmal elf war.

»Ist Ihnen irgendwas aufgefallen an ihm?«

»Aufgefallen?«, fragte er unwillig. Offenbar ging ich ihm auf die Nerven. »Was sollt mir an dem auffallen? Der war genau wie immer.«

Die Schlange an der Kasse wurde langsam länger. Zwei ältere Damen mit Mini-Umsätzen in den Körben spitzten schamlos die Ohren. Ein kurzsichtiger Student mit Ziegenbart, einem Baguette unterm Arm und einer Wurst-Tüte in der Hand langweilte sich.

»Wie ist er denn immer?«, fragte ich unbarmherzig.

»Schweigsam.« Herr Widmer spielte an seiner Kasse herum. »Bisschen arg schweigsam ist er halt, der Herr Seligmann.«

Mein Gesprächspartner hatte das Pensionsalter sicherlich längst überschritten. Seinen kantigen Kopf zierte eisgraues, militärisch kurz geschnittenes Haar, und seine Miene wurde von Satz zu Satz mürrischer. »Um was geht’s denn eigentlich?«

»Er wird gesucht. Seit vergangenen Mittwoch hat ihn niemand mehr gesehen.«

»Gesucht?« Er musterte mich, als würde er in meinem Gesicht nach einem versteckten Grinsen suchen. »Bisschen blass ist er mir vorgekommen, jetzt fällt’s mir ein. Hab ihn noch gefragt, ob er jetzt auch krank wird. Bei dem komischen Wetter diesen Sommer, nicht wahr. Erst wochenlang Regen und Kälte, jetzt auf einmal diese verrückte Schwüle. Kein Wunder, dass alle Welt krank ist. Ich fang wahrhaftig noch an, auf meine alten Tage an den ganzen Klimaquatsch zu glauben!«

»Meine Sekretärin hat es auch erwischt. Was hat er geantwortet?«

»Nichts.« Mit energischen Bewegungen begann der alte Mann, den Einkauf der ersten Dame in die Kasse zu tippen. Ein Fläschchen Kirsch, einmal Marlboro, Salami abgepackt, zwei Brötchen, ein Katzenmenü Gourmet Kaninchen/Wildschwein, ein Joghurt, Birne, vollfett. »Den Kopf hat er geschüttelt«, fuhr Herr Widmer fort, ohne aufzusehen. »Geschwätzig ist er ja nicht gerade.«

Das »im Gegensatz zu anderen Leuten« verkniff er sich.

Die aufgeregte Kundin fand es sichtlich schade, dass sie nun nicht mehr länger zuhören durfte. Herr Widmer half ihr beim Einpacken.

»Muss an seinen Viechern liegen, denk ich immer«, murmelte er nebenbei. »Wenn einer Tag und Nacht mit solchem Gekreuch zusammenlebt, Schlangen, Spinnen, ich bitte Sie, da muss der Mensch doch komisch werden. Wiedersehn, Frau Knobloch. Bis morgen dann.« Er fixierte mich über seine schmale Brille hinweg. »Darf’s sonst noch irgendwas sein?«

Sein Blick stellte klar, dass mir als Nicht-Kunde mehr Gesprächszeit nicht zustand. Inzwischen baute die nächste Kundin ihre Sächelchen auf dem Band auf. Sie ließ sich reichlich Zeit dafür.

Ich bedankte mich übertrieben freundlich für die Auskünfte und ging. Als ich schon in der Tür war, fiel mir mein Kühlschrank ein. Heute musste ich ohnehin noch einkaufen, warum sollte ich das nicht gleich hier erledigen? Das Lächeln des Ladenbesitzers wurde deutlich wärmer, als ich mir einen Korb nahm.

Natürlich hatte auch die kräftige junge Frau hinter der Fleisch- und Wursttheke unser Gespräch mitgehört.

»Also, ich find ihn ganz nett, den Seligmann«, sagte sie leise, als sie mir meine Tüte reichte. Offenbar wollte sie vermeiden, dass ihr Chef mitbekam, was sie mir anvertraute. »Okay, er quatscht nicht viel. Aber seine Augen – der ist schon in Ordnung. Und mir ist er allemal lieber als die Omas, die einen eine Viertelstunde lang volltexten, bis sie ihr Achtel Lyoner und bisschen Hackfleisch gekauft haben.«

Sie strahlte mich an und ließ mich ihr Zungen-Piercing bestaunen. Ich wunderte mich, wie problemlos sie damit sprechen konnte. Am Ende meines Spontaneinkaufs enthielt mein Korb ungefähr dasselbe, was auch Xaver Seligmann vor ziemlich genau sieben Tagen erstanden hatte. Nur die Mengen waren größer, und hinzu kamen einige Fertiggerichte, die meine Töchter in die Mikrowelle werfen konnten, wenn sie sich nach der Schule mal wieder selbst verköstigen mussten. Und an Stelle des Trollingers hatte ich drei Flaschen sizilianischen Nero d’Avola gewählt.

»Der Kurier«, brummelte Herr Widmer, als er meine EC-Karte mit Schwung durchs Lesegerät zog. »Meistens hat er montags den Kurier gekauft. Und am Donnerstag die Zeit.«

»Am Donnerstag?«, fragte ich. »War er da noch mal hier?«

»Nein, war er nicht«, versetzte mein Gesprächspartner, als wäre meine Frage eine Zumutung. »Und ich hab mir gedacht, hat ihn am Ende doch die Grippe erwischt.«

 

Als ich kurz vor Mittag in die Direktion zurückkehrte, saß zu meiner Überraschung meine Sekretärin an ihrem Schreibtisch im Vorzimmer. Sonja Walldorf, die auf der Anrede »Sönnchen« bestand, seit ich sie kannte, sah bemitleidenswert aus. Die Nase lief, die Augen tränten, aber sie wollte nichts hören von Bettruhe, Aspirin und Kamillentee.

»Ich bin noch nie krank gewesen und hab nicht vor, ausgerechnet jetzt damit anzufangen«, erklärte sie kategorisch.

»Sie sehen wirklich schlimm aus, Sönnchen. Und Sie werden mir außerdem die halbe Truppe anstecken. Und drittens waren Sie erst Ende April drei Tage krank, als Sie sich beim Tennis den Knöchel verrenkt hatten.«

»Knöchel verrenkt ist ja keine Krankheit, sondern ein Unfall.«

Die Logik der Frauen ist für einen Mann nicht immer leicht verständlich.

Ich stellte meine Tüten auf einen Stuhl und bat meine tapfere Sekretärin, die verderblichen Sachen bis zum Abend in einem Kühlschrank zu verstauen.

»Auf Ihrem Schreibtisch liegt übrigens ein Fax«, schniefte sie und nieste zweimal herzhaft. »Ich glaub, es ist ziemlich wichtig.«

Hoffentlich steckte sie mich nicht auch noch an. Ein Schnupfen war das Letzte, was ich jetzt brauchen konnte.

Das Fax war sogar äußerst wichtig, wie ich auf den ersten Blick sah, obwohl der Spanier, der es geschrieben hatte, ein wirklich originelles Englisch gebrauchte. Bonnie and Clyde waren entwischt. Offenbar hatten die beiden bemerkt, dass sie beschattet wurden. Irgendwann war es den Beamten der Guardia Civil, die das Hotel observierten, merkwürdig vorgekommen, dass man die beiden überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekam. Stunden, einen halben Tag, einen ganzen schließlich. Aber erst, als ein in der Nähe geparkter Mercedes vermisst wurde und ein Augenzeuge eine recht gute Beschreibung des Pärchens gab, das mit dem Wagen davongebraust war, wurde den südspanischen Kollegen klar, dass ihnen einen böser Fehler unterlaufen war.

Das Hotelzimmer hatten sie heute Vormittag verlassen gefunden, die Rechnung war unbezahlt, der Saab stand einsam auf dem Parkplatz wie seit Tagen schon, und Bonnie and Clyde waren samt ihrer Beute spurlos verschwunden. Und hatten mindestens vierundzwanzig Stunden Vorsprung.

 

»Bockmist, verfluchter!« Balke schlug sich mit beiden Händen auf die Knie. »Und wir waren so nah dran!«

Vangelis’ Reaktion beschränkte sich auf ein kurzes Schnauben und das Hochziehen der rechten Augenbraue.

»Immerhin haben die Spanier unter dem Beifahrersitz des Saab ein Handy gefunden«, sagte ich. »Das könnte uns ein Stück weiter bringen, wenn wir Glück haben.« Ich wandte mich an Balke. »Sie lassen sich bitte die Nummer durchgeben, sobald die Spanier die Karte geknackt haben.«

Er nickte. »Würde mich auch mächtig interessieren, mit wem die zwei in letzter Zeit so telefoniert haben.«

»Sie denken an die Theorie mit dem unbekannten Dritten?«

»Woher wussten die zwei, dass ausgerechnet am Tag des Überfalls so viel Geld im Tresor war?«, fragte Balke zurück. »Es muss einen Informanten gegeben haben.«

Im Vorzimmer nieste Sönnchen wie zur Bestätigung drei Mal hintereinander.

»Sven hat Recht«, meinte Vangelis. »Und eines geht mir in diesem Zusammenhang seit heute Vormittag nicht mehr aus dem Kopf: Als Nachbar hört man doch bestimmt dies und das …«

»Sie meinen, Seligmann …?«

»Wir sollten zumindest einmal darüber nachdenken, ob dieser so plötzlich verschwundene Nachbar nicht irgendwas mit dem Bankraub zu tun haben könnte.«

Sönnchen nieste ein viertes Mal.