8

An diesem Abend war Theresa traurig. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, was sonst ja eher meine Spezialität war. Normalerweise fand ihre Ehe einfach nicht statt, solange wir zusammen waren. Es war, als gäbe es in ihrem Kopf eine Pause-Taste wie bei einem CD-Spieler. Heute schien dieser Knopf jedoch nicht zu funktionieren. Zum ersten Mal in meiner Gegenwart plagte meine Schöne der Gedanke, es könnte nicht richtig sein, was wir zweimal die Woche trieben.

»Hat er irgendwas gesagt?«, fragte ich. »Benimmt er sich anders als sonst?«

»Aber nein«, erwiderte sie abweisend. »Das ist es nicht.«

»Was ist es dann?« Ich versuchte, sie in den Arm zu nehmen, aber sie wich mir aus. Sie fiel in eines der Sesselchen und steckte sich eine Zigarette an. »Vielleicht bin ich einfach nicht in der Stimmung.«

»Die Hormone«, seufzte ich und setzte mich aufs Bett. »Wenn Frauen komisch sind, dann sind es immer die Hormone.«

»Vielleicht«, sie schlug die Augen nieder. »Erzähl mir etwas, das mich aufheitert.«

Ich ging in die winzige Küche und holte eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank. Die Gläser von Dienstag waren noch nicht gespült. Der Mülleimer stank nach alten Zigarettenkippen. Plötzlich war ich wütend, ohne zu wissen, auf wen. Und deprimiert, ohne zu wissen, weshalb.

Als ich ins Zimmer zurückkam, sah Theresa mit mattem Blick zur Decke.

»Willst du Schluss machen?«, fragte ich mit einem unerwartet dicken Kloß im Hals. »Ist es das?«

»Unsinn«, erwiderte sie müde. »Es ist einfach nicht mein Tag.«

»Vermutlich hat dich dein Besuch völlig überfordert. Wahrscheinlich habt ihr die Nächte durchgequatscht.«

Theresa lächelte nicht einmal. Ich füllte die schlanken Gläser nur zur Hälfte. Wir stießen nicht an und tranken schweigend. Der Weingartener Riesling, den ich selbst besorgt hatte, schmeckte heute schauderhaft.

»Ich weiß nichts Lustiges«, sagte ich schließlich. Stattdessen erzählte ich ihr von Bonnie and Clyde.

»Das arme Mädchen«, meinte sie am Ende, ohne mich anzusehen.

»Sie ist volljährig. Sie weiß, was sie tut.«

»Sie liebt diesen Kerl. Und Liebe kann nun mal eine schreckliche Krankheit sein.«

Sie erhob sich, setzte sich neben mich aufs Bett, fiel mir um den Hals und begann zu weinen. Ich strich ihr über das volle, dunkelblonde Haar, das manchmal, nur in gewissem Licht, rötlich schimmerte, und wusste wie üblich nicht, was ich sagen sollte. Ich hasse es, wenn Frauen weinen.

Später saßen wir zusammen und redeten. Über Liebe und Ehe und Treue und das Gegenteil davon.

»Ich weiß nicht«, murmelte sie und griff zaghaft nach meiner Hand. »Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist. Bist du jetzt böse?«

Ich küsste sie auf die Augen. Auf einmal war mir, als könnte auch ich losweinen, und ich hätte beim besten Willen nicht sagen können, weshalb.

»Ich muss los«, sagte sie irgendwann leise. »Tut mir leid.«

Es war kurz vor zehn. Wir hatten fast drei Stunden lang nur geredet.

 

Als ich nach Neckarhausen hinausfuhr, war ich in einer seltsamen Stimmung zwischen Glück und Traurigkeit, Abschied und neuem Anfang. Was sollte aus unserem Wochenende werden? Würde sie kommen? Meine Töchter an der Nordsee, meine Geliebte an der Seite ihres Gatten und ich allein in einer viel zu großen Wohnung? Wenn das so weiterging, würde ich noch zum Marathonläufer mutieren. Nur solange man nicht allein ist, erscheint einem die Einsamkeit erstrebenswert. Ist sie einmal da, entpuppt sie sich meist als die hässliche Schwester der Langeweile.

»Seit einer halben Stunde sind sie in ihrem Zelt«, erklärte mir Vangelis nervös. »Vorher haben sie alles andere ins Auto gepackt. Vermutlich haben sie wirklich vor, morgen früh abzureisen.«

»Denken Sie immer noch, die beiden haben bemerkt, dass sie beobachtet werden? Wenn es so wäre, dann hätten sie doch längst versucht zu türmen.«

»Die sind nicht dumm. Und ich kann mir nicht helfen, ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.«

Gefühle waren normalerweise nicht Vangelis’ Spezialität.

Auf dem träge dahinströmenden Neckar spiegelten sich die Lichter der am anderen Ufer liegenden Häuser. Am Ufer vertäute Boote schaukelten leise, als würden sie sich selbst in den Schlaf wiegen. Irgendwo im Dunkeln schlug eine Kirchturmuhr. Wir standen auf einem spärlich beleuchteten kleinen Parkplatz am Eingang des Campingplatzes, von wo aus Bonnie and Clyde uns unmöglich sehen konnten. Auf den nahen Eisenbahngleisen, einige Meter über uns und jenseits der ebenfalls erhöht liegenden Bundesstraße, rumpelte ein Güterzug in Richtung Heidelberg. Dann war es wieder so still, dass man das Rauschen des Flusses hörte. Vielleicht war es auch der Nachtwind in den Bäumen.

»Die Kollegen mit dem Zelt?«

»Habe ich vorsichtshalber zurückgezogen. Wir sehen im Augenblick nichts und wir hören nichts von den beiden. Ich habe nur noch einen Mann mit Nachtsichtgerät dort drüben.« Sie wies ans andere Ufer. »Aber jetzt kommt zu allem Unglück auch noch Nebel auf.«

Inzwischen war es kühl geworden, und jetzt sah auch ich die weißen Schwaden vom Fluss her auf uns zukriechen.

»Ich denke, wir verschieben den Zugriff auf morgen.«

»Ich denke, ich peile noch mal die Lage.« Vangelis warf sich die langen Riemen ihrer Handtasche über die Schulter.

»Haben Sie keine Angst, dass die beiden Sie entdecken?«

»Sie kennen mich nicht. Ich war die ganze Zeit außer Sicht. Außerdem erwarten sie Männer, falls sie wirklich mit einer Aktion von uns rechnen.«

Ein mit allerlei Zierrat und Kunststoff-Teilen geschmückter älterer Mercedes schlingerte mit viel zu hoher Geschwindigkeit auf den Parkplatz. Der Fahrer schien nicht mehr ganz nüchtern zu sein und stellte den Wagen so ab, dass er gleich zwei Parklücken blockierte. Zwei blendend gelaunte junge Burschen kletterten aus dem tiefergelegten Wagen, bestaunten hemmungslos meine Kollegin, wankten lachend an dem dunklen Häuschen vorbei, in dem normalerweise der Platzwart saß, und drehten sich noch dreimal nach Klara Vangelis um.

»Sie kommen aus Sindelfingen«, sagte sie halblaut, als würde das irgendetwas erklären, »und sind zum Angeln hier. Weiter hinten haben sie einen Wohnwagen stehen, und sogar ein kleines Ruderboot haben sie dabei.«

Sie reckte sich. »Ich geh dann mal.«

Augenblicke später hatten die Dunkelheit und der leider minütlich dichter werdende Nebel sie verschluckt.

Zur Sicherheit trug sie ein Mikrofon am Körper sowie einen Ohrstöpsel, so dass wir uns im Krisenfall verständigen konnten. Zunächst hörte ich nur ihren ruhigen Atem und gleichmäßigen Schritt. Dazu in der Ferne den seligen Singsang der zwei betrunkenen Schwaben, deren Stimmen jedoch bald lauter wurden.

»Mist!«, zischte Vangelis. »Die haben mir jetzt gerade noch gefehlt.«

Der Gesang brach ab. »Hallo, schöne Frau«, sagte eine Männerstimme mit leichtem schwäbischem Akzent. »Gar keine Angst so allein im Dunkeln?«

»Ach, es geht«, meinte Vangelis kühl. »Hier ist ja zum Glück nichts, wovor man sich fürchten müsste.«

»Stimmt. Vor uns musst du keine Angst haben. Und sonst ist ja keiner da.«

Nun mischte sich der zweite ein: »Im Gegenteil, wir könnten dir eine Menge schöne Sachen zeigen!«

»Danke, ich habe heute schon genug schöne Sachen gesehen. Und jetzt lassen Sie mich bitte vorbei.«

»He, wieso gleich so pampig?«

»Wir wollen doch bloß nett sein. Findst uns denn nicht nett, Süße?«

»Doch, ich finde Sie beide äußerst nett.« Vangelis wurde nun hörbar ungnädig. »Und es wäre hübsch, wenn Sie ein wenig leiser sein könnten und mich jetzt bitte vorbeilassen würden.«

Ich stellte mir vor, wie die beiden Schwaben sich angrinsten.

Vangelis seufzte. »Sie wollen doch keinen Ärger?«

»Ärger?« fragte der erste mit schlecht gespieltem Erstaunen. »Wollen wir Ärger?«

»Aber hallo«, freute sich der andere. »Ich steh nämlich total auf Weiber, wo sich wehren!«

»Lassen Sie mich augenblicklich los«, fauchte Vangelis nun deutlich lauter als zuvor.

»Komm, jetzt stell dich halt nicht so an, Süße. Wir haben da hinten einen Wohnwagen mit allem Pipapo. Sogar Sekt haben wir im Kühlschrank.«

Vangelis seufzte. Ich hörte Rascheln und dann ein leises Klimpern, das mir sehr bekannt vorkam.

»He! Guck mal, sie hat Handschellen dabei! Krass! Stehst du auf so Sado-Maso-Zeug?«

»Nein, ich stehe nicht auf solches Zeug. Das sind ganz offizielle Handschellen aus dem Besitz des Landes Baden-Württemberg. Das hier ist mein Dienstausweis, und das hier …«, ich hörte ein nicht weniger bekanntes Klicken, »… habt ihr bestimmt schon mal im Fernsehen gesehen. Das ist meine Pistole.«

Die beiden Möchtegern-Casanovas waren plötzlich sehr still.

»Mit den Handschellen bindet ihr euch bitte am Handgelenk aneinander, genau, und jetzt du, so ist es prima. Und dann geht ihr ganz brav und schön langsam in Richtung Ausgang. Ihr werdet euch nicht umdrehen und nicht versuchen abzuhauen. Wenn ich sehe, dass einer von euch den Kopf dreht oder dass ihr anfangt zu rennen, dann schieße ich euch in den Rücken. Draußen auf dem Parkplatz seht ihr einen weißen Lieferwagen. Da klopft ihr an. Meine Kollegen haben zwar keinen Sekt im Kühlschrank, dafür haben sie Schlüssel für die Handschellen, und vielleicht steht ja einer von denen auf Sado-Maso.«

Sie zählte noch lustlos ein paar Paragraphen auf, gegen die die beiden ihrer Meinung nach verstoßen hatten, wobei sie hemmungslos übertrieb, und eine halbe Minute später standen mir zwei beängstigend blasse junge Männer gegenüber, denen der Schrecken über den unromantischen Ausgang ihres amourösen Abenteuers noch im Gesicht stand.

Mit stummem Vorwurf hielten sie mir die zusammengeketteten Handgelenke hin.

»Ware wohlbehalten eingetroffen«, sagte ich ins Funkgerät. Runkel schloss mürrisch die Handschellen auf und drückte die beiden auf eine schmale Bank am hinteren Ende unseres getarnten Einsatzwagens.

»Sitzen bleiben, Schnauze halten«, knurrte er und klopfte auf die schwere Heckler & Koch in seinem Schulterhalfter. »Sonst gibt’s sado-maso-mäßig was hinter die Ohren.«

Vangelis war inzwischen ein Stück weitergegangen.

»Nichts zu sehen hier«, flüsterte sie. Wieder hörte ich eine Weile nur ihre Schritte und ihren Atem. Dann klang ihre Stimme plötzlich verändert. »Hoffentlich sind sie nicht in der Zwischenzeit über den Neckar!«

»Über den Fluss?«, fragte ich alarmiert. »Wie kommen Sie darauf?«

»Ich meine, hier hat vorhin noch das Ruderboot meiner zwei Verehrer gelegen. Und das ist jetzt nicht mehr da. Es ist aber so verflixt dunkel hier, ich bin mir nicht sicher, ob ich schon an der richtigen Stelle bin. Wenn wenigstens der Mond scheinen würde, aber so …« Ihr Atem ging jetzt stoßweise. »Nein«, zischte sie dann. »Das Boot ist weg.«

»Okay«, sagte ich. »Wir kommen.«

Augenblicke später huschten ein paar dunkle Gestalten an mir vorbei, die einige hundert Meter weiter in ihren Fahrzeugen auf meinen Einsatzbefehl gewartet hatten.

Bonnie and Clyde waren wieder einmal entkommen. Einige wenige Dinge, darunter vermutlich ihre Waffen, mussten sie irgendwann im Lauf der letzten Stunde auf das Boot geladen haben. Wagen, Zelt und den Rest ihres Gepäcks hatten sie zurückgelassen, und nun waren sie weg.

Auf der Fahrt in die Polizeidirektion löste ich eine Großfahndung aus, und bereits wenige Minuten nachdem ich mein Büro betreten hatte, wurde das Ruderboot einige Kilometer flussabwärts verlassen am südlichen Neckarufer gefunden. Gegen halb eins meldete ein Kegelbruder aus Neckargemünd mit schwerer Zunge seinen fast neuen S-Klasse-Mercedes als gestohlen, mit dem er bei seinem Alkoholpegel ohnehin nicht mehr hätte nach Hause fahren dürfen. Vangelis gab das Kennzeichen in die Fahndung, und dann geschah nichts mehr.

Um drei war ich so müde, dass ich nicht mehr geradeaus gucken konnte. Ich ging nach Hause, um mich ein wenig hinzulegen. Vangelis blieb zurück. Sie war hellwach.