17
»Wo sind bitte Ihre Beweise?«, bellte Doktor Knobel, der mich in meinem Vorzimmer erwartet und sofort überfallen hatte. »Nun verdächtigen Sie meinen Mandanten also auch noch der Vergewaltigung? Was Sie hier tun, ist, man kann es leider nicht anders ausdrücken, eine Ungeheuerlichkeit!«
Beim letzten Wort betonte er jede Silbe und sprach zu meinem Leidwesen in der höchsten Lautstärke, zu der seine Fistelstimme fähig war. Ich stellte fest, dass diese Stimme ideal war, um migräneartige Kopfschmerzen bis ins Unerträgliche zu steigern. Ich öffnete den Mund zu einer Erwiderung, aber ich kam nicht zu Wort.
»Erst diese monströse Geschichte mit dem Bankraub, und nun, als wäre dies nicht genug der Albernheiten, auch noch der Vorwurf der Vergewaltigung einer Minderjährigen! Sie führen offenbar eine Art Privatkrieg gegen meinen Mandanten. Aber damit haben Sie den Bogen überspannt, Herr Kriminalrat Gerlach!«
»Ich verstehe nicht ganz«, erwiderte ich mit aller Gelassenheit, zu der ich im Augenblick fähig war. »Sagten Sie Vergewaltigung? Wer verdächtigt Ihren Mandanten denn der Vergewaltigung?«
Doktor Knobel wurde ein wenig kleiner. »Herr Seligmann sagte mir am Telefon etwas in der Art.«
»Da muss er irgendwas völlig falsch verstanden haben. Wir sind lediglich dabei, den Fall Jule Ahrens noch einmal zu prüfen. Sie wissen, welche Fortschritte die Rechtsmedizin in den letzten Jahren gemacht hat. Von einem Verdacht in irgendeiner Richtung ist vorläufig keine Rede.«
»Ich verlange sofortige Einsicht in alle Verhörprotokolle!«
»Es gibt kein Protokoll, weil es kein Verhör gab«, erklärte ich freundlich. »Ich habe lediglich ein unverbindliches Gespräch mit Ihrem Mandanten geführt. Er war damals einer der wenigen Zeugen, und da er zufällig greifbar war, habe ich die Gelegenheit genutzt, mir die Geschichte von einem der damals am engsten Beteiligten erzählen zu lassen.«
Doktor Knobel schnaubte in hilflosem Zorn.
»Und wenn ich Sie daran erinnern darf, Ihr Mandant hat seine Beteiligung an dem Bankraub in Ihrem Beisein gestanden«, fuhr ich gemütlich fort. Eitlen Anwälten die Luft herauszulassen, war offenbar ein gutes Mittel gegen die Nachwehen von zu viel Nero d’Avola.
Als er abgezogen war, brachte Sönnchen fröhlich pfeifend und verschmitzt grinsend meinen so dringend nötigen Kaffee. Natürlich hatte sie alles mitgehört.
Und natürlich hatte dieser nervtötende Doktor Knobel vollkommen Recht. Ich hatte nicht die Spur eines Beweises, dass Seligmann mehr mit dem Fall Ahrens zu tun hatte, als in den Akten stand. Dass ein Mensch sich merkwürdig verhält, ist kein Beweis. Dass er sich weigert, den Dank der Eltern des Opfers entgegenzunehmen, konnte ich kaum gegen ihn ins Feld führen. Ich hatte nichts als dieses eklige Gefühl im Bauch. Und Gefühle sind, verdammt noch mal, etwas, was in meinem Job nichts zu suchen hat.
Aber Seligmann verschwieg mir etwas. Und dieses Etwas hatte mit Jules Tragödie zu tun, dessen war ich mir sicher.
Ich wählte Vangelis’ Nummer, um zu hören, wie weit die DNA-Analysen waren.
»Machen Sie den Leuten Druck!«, blaffte ich sie an. »Ich will die Ergebnisse so schnell wie irgend möglich!«
»Ich fürchte leider, das wird nicht viel helfen«, erwiderte sie kühl. »Aber ich werde gleich noch einmal anrufen.«
Den Zusatz, »auch wenn ich mich dadurch genauso lächerlich mache wie Sie« ersparte sie mir.
»Sie sollten mal ein bisschen Urlaub machen, Herr Kriminalrat«, meinte meine Sekretärin mit besorgtem Blick. »Fahren Sie doch mal ein paar Tage an den Bodensee. Meine Schwester vermietet auch Fremdenzimmer. Sogar mit Vollpension, wenn Sie möchten. Die würde Sie so verhätscheln, dass man Sie hinterher gar nicht wiedererkennt.«
»Sie würden auch nicht besser aussehen, wenn Sie gestern Abend fast einen Liter ziemlich schlechten Rotwein getrunken hätten«, knurrte ich. »Und ich hungere doch nicht ständig, bloß um mich dann von Ihrer Schwester mästen zu lassen und in drei Tagen so viel zuzunehmen, wie ich vorher in acht Wochen abgenommen habe!«
»Ich bring Ihnen eine Tablette.« Mit plötzlich sehr förmlicher Miene erhob sie sich und verschwand. »Vielleicht werden Sie ja davon wieder normal.«
Seufzend legte ich das Gesicht in die Hände. Meine morgendliche Rasur war fühlbar nachlässig gewesen. Sollte ich den Fall besser Vangelis übertragen? Es wäre das einzig Vernünftige. Morgen, beschloss ich, morgen würde ich wieder vernünftig sein. Diesen einen Tag gab ich mir noch. Ich wollte wissen, was in dieser Nacht vor zehn Jahren losgewesen war. Und ich wollte wissen, was Seligmann mir verschwieg.
Sönnchen brachte mir tatsächlich eine Tablette und ein großes Glas köstlich kaltes Wasser.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte ich. »Ich weiß auch nicht, was mit mir ist.«
»Ich schon«, erwiderte sie schon wieder friedfertiger. »Die Sache mit diesem Mädchen tut Ihnen nicht gut.«
»Wem tut so etwas schon gut?«, seufzte ich, als ich das geleerte Glas abstellte.
»Das ist eine völlig idiotische Frage, Herr Kriminalrat«, erwiderte sie ernsthaft. »Und das wissen Sie so gut wie ich.«
»Sagen Sie für heute alles ab, was sich absagen lässt.«
»Was haben Sie vor?«, fragte sie bestürzt.
»Akten lesen.« Stöhnend zog ich die beiden schweren Ordner heran.
»Dann muss es Ihnen ja noch viel schlechter gehen, als ich dachte.«
Augenblicke später hörte ich sie draußen telefonieren und meinen Terminkalender leeren.
Schon nach wenigen Seiten verfestigte sich mein Gefühl, dass vor zehn Jahren etwas mehr als üblich schiefgelaufen war. Die damaligen Kollegen, von denen heute keiner mehr bei uns war, waren mit bemerkenswert wenig Engagement an den Fall herangegangen. Selbstverständlich hatten sie die Fakten zusammengetragen. Natürlich hatten sie alle Menschen vernommen, die in den umliegenden Häusern wohnten, es hatte die üblichen Aufrufe an die Bevölkerung auf der Suche nach Augen- und Ohrenzeugen gegeben. Auch damals kannte man schon den genetischen Fingerabdruck, immerhin war die Technik ja am Landeskriminalamt des Landes Baden-Württemberg entwickelt worden, und, da gab es keinen Zweifel, die Kollegen hatten getan, was nach der Lage der Dinge zu tun war. Aber mehr auch nicht.
Das war es, was ich hier vermisste: kreative Ideen, Verbissenheit, diesen unbedingten Willen, den Schuldigen zu überführen. Was ich vermisste, war das, was ein Kriminalist hervorbringt, wenn er sich in einen Fall hineinwühlt, so wie ich im Begriff war, es zu tun. Man kommt dann früher oder später in einen Zustand, wo es nichts anderes mehr gibt. Wo man an nichts anderes mehr denken kann. Alles, was nicht mit dem Fall zu tun hat, wird zur Nebensache. Ehefrauen hassen in solchen Zeiten den Beruf ihrer Männer oder ihre Männer selbst. Freundschaften gehen in die Brüche. Liebschaften und Leidenschaften erkalten, bis die Lösung gefunden ist. Und, man muss es leider sagen, manch einer ist schon daran zugrunde gegangen, dass er es nicht geschafft hat. Dass ein Fall, sein Fall, ungelöst blieb.
Ein Mensch kann nicht spurlos verschwinden, auch nicht für wenige Stunden. Schon gar nicht ein hübsches Mädchen, das sich schön gemacht hat und nach dem sich jeder zweite Mann auf der Straße umdreht. Jule hatte ihre Schüler-Monatskarte für Busse und Straßenbahnen bei sich gehabt. Bedeutete das, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen war? Aber warum hatte niemand sie dabei gesehen? Warum, zur Hölle, hatte sich kein einziger Zeuge gemeldet, obwohl ihr Bild doch an den Tagen nach der Tat in jeder Zeitung war?
Ich faltete meinen Stadtplan auseinander. Der Zeigefinger meiner rechten Hand markierte ihr Elternhaus in der Südstadt, der andere die Stelle, wo sie spät nachts gefunden wurde. Dazwischen war Stadt. Vier, fünf Kilometer, am frühen Abend voller Menschen. Wie hatte sie nach Eppelheim gelangen können, die Autobahn überqueren, ohne von irgendjemandem beobachtet zu werden?
Hinter meiner Stirn hämmerten die Kopfschmerzen. In meinem Magen rumorte diese Übelkeit, die einfach nicht verschwinden wollte. Ich verfluchte den Nero d’Avola. Ich verfluchte den Ladeninhaber, der mir das Zeug verkauft hatte. Ich verfluchte den Wahnsinnigen, der vor Jahrtausenden auf die hirnrissige Idee gekommen war, den Wein zu erfinden. Ich verfluchte mich, weil ich dabei war, mich vor aller Welt zum Narren zu machen. Vor meiner Sekretärin, vor meinen Mitarbeitern, vor meinen Töchtern.
Und, was das Schlimmste war, vor mir selbst.
Ich hörte Sönnchen telefonieren. Auf dem Display meines Laptops leerte sich nach und nach der Terminkalender. Die Tablette half nicht.
Zu allem Elend rief auch noch Theresa an.
»Man hört ja überhaupt nichts mehr von dir«, lautete die fröhliche Begrüßung. »Hast du mich etwa vergessen?«
»Ja«, antwortete ich Narr.
Mit Mühe gelang es mir, sie wieder zu besänftigen. Schließlich versprach ich, sie heute Abend zu treffen, falls mein Terminkalender es erlaubte. Ich schilderte ihr den Fall, und sie heuchelte ein wenig Verständnis.
Ich musste raus. Ich brauchte frische Luft in den Lungen, auf denen ein Felsklotz zu liegen schien.
Ohne mich anzumelden, fuhr ich nach Ladenburg, um Seligmanns geschiedene Frau noch einmal aufzusuchen. Den Dienstwagen, einen neuen Audi, mit dessen Elektronik ich nicht zurechtkam, ließ ich weit außerhalb der Altstadt stehen. Während der Fahrt hatte eine nette Frauenstimme mir ständig einzureden versucht, ich hätte mich verfahren, weil ich nicht herausfand, wie man das Navigationssystem ausschaltete. Den letzten halben Kilometer ging ich zu Fuß. An jeder zweiten Ecke blühten Rosen, ein Haus war schöner als das andere. Aber heute hatte ich keinen Blick für den Charme dieses Städtchens. Wenigstens hatte sich die Sonne hinter hohen Wolken verzogen. Doch die frische Luft half nicht, meine Kopfschmerzen wurden nicht schwächer.
»Da haben Sie aber Glück, dass Sie mich antreffen«, sagte Monika Eichner, als wir uns die Hand reichten. »Normalerweise müsste ich heute arbeiten. Aber jetzt hat unseren Chef die Grippe niedergestreckt. Deshalb ist die Praxis bis morgen zu.«
Wir gingen in die Küche. Sie machte sich sofort am Herd zu schaffen.
»Sie mögen doch einen Tee?«
Ihre Stimme klang ganz anders, als ich sie in Erinnerung hatte. Heller, jünger, frischer. Ihr Blick war heute freundlich und offen. Wie eine einfache Erkältung einen Menschen verändern kann.
»Haben Sie Xaver gefunden? War er wirklich in der Provence, wie ich gesagt habe?«
»Er hat sich selbst gestellt. Er ist zurückgekommen.«
»Das sieht ihm ähnlich.« Das Wasser begann zu summen. Sie wandte sich wieder ihren Gerätschaften zu. »Er macht immer solche Sachen, die sich kein Mensch erklären kann.«
Mit konzentrierten Bewegungen füllte sie Tee aus einer großen, goldfarbenen Dose in einen Filterbeutel. Es tat mir gut, diese Frau bei ihrer einfachen Tätigkeit zu beobachten. Das langsam lauter werdende Summen des Wasserkessels, das leise Klappern des Löffels empfand ich als Wohltat. Ich lehnte mich zurück. Zum ersten Mal im Leben freute ich mich auf einen Tee.
»Wir haben ihn verhaftet, weil er im Verdacht steht, den Überfall auf die Sparkassenfiliale seines Nachbarn organisiert zu haben.«
»Xaver?« Vor Schreck setzte sie den Wasserkessel wieder ab, dessen Inhalt sie eben in die Kanne hatte füllen wollen. »Er soll …? Nein, das hätte ich ihm nun wirklich nicht zugetraut!«
Kopfschüttelnd goss sie den Tee auf.
»Was hätten Sie ihm denn stattdessen zugetraut?«
Sie lachte. »Er kann manchmal ganz schön grob werden, das ja. Es hat Situationen gegeben, da hatte ich Angst vor ihm. Er kann sich so in etwas hineinsteigern, dass man erwartet, er hat gleich Schaum vor dem Mund.«
»Verzeihen Sie die Frage: Würden Sie sagen, er ist sexuell normal? Oder ist er eher … nun ja, Sie verstehen schon.«
»Normal?« Sie zuckte die Schultern. »Xaver ist so normal und so unnormal wie jeder andere Mann, den ich kennen gelernt habe. Irgendwelche Macken haben sie doch alle, oder nicht?«
»Warum haben Sie sich dann von ihm getrennt?«
»Weil er ein Idiot ist.« Gelassen sah sie mich an.
Diesmal wurde der Tee in der Küche serviert. Sie stellte die schon bekannten Tassen aus chinesischen Porzellan auf den Tisch, brachte Zucker und Sahne.
Dann setzte sie sich mir gegenüber und sah mir offen ins Gesicht.
»Worauf wollen Sie hinaus? Ich denke, es geht um einen Bankraub?«
Ich nippte an meinem Tee, der mir heute wieder überhaupt nicht schmeckte, stellte dann vorsichtig die Tasse ab.
»Es geht noch um etwas anderes.«
Nun wusste ich nicht, wie ich fortfahren sollte. Ich hatte vergessen, mir eine Strategie zurechtzulegen. Auch in diesem Punkt hatte Sönnchen Recht – ich sollte wirklich ein paar Tage ausspannen. Hatte ich erwartet, dass Frau Eichner sagte, ihr geschiedener Mann sei der geborene Kinderschänder?
Unverwandt sah sie mir in die Augen. Und ich fühlte mich mit jeder Sekunde unbehaglicher und dämlicher.
»Okay«, sagte ich schließlich und wich ihrem Blick aus. Meine Kopfschmerzen schienen durch den Tee plötzlich schwächer geworden zu sein. »Hat er …« Ich räusperte mich. »… hat er spezielle sexuelle Vorlieben? Zum Beispiel junge Frauen? Sehr junge Frauen?«
Sie zog eine Grimasse und hätte fast gelacht. »Welcher Mann hätte die nicht?«
»Ich, zum Beispiel«, entgegnete ich ungewollt scharf und hätte mich in der nächsten Sekunde am liebsten geohrfeigt. Ich benahm mich wie ein Anfänger. Noch zwei solche Sätze, und sie würde mich hinauswerfen.
»Hören Sie, Frau Eichner, ich …« Ja, was? Was wollte ich hier? Das Beste wäre, mich zu verabschieden und mich länger nicht mehr blicken zu lassen.
»Ich höre Ihnen die ganze Zeit zu, Herr Gerlach. Und ich würde nun wirklich gerne erfahren, was Sie von mir hören wollen. Warum interessieren Sie sich jetzt auf einmal dafür, wie Xaver es im Bett am liebsten hatte?«
»Verstehen Sie mich bitte richtig.« Ich rieb meine müden Augen. Setzte die Brille wieder auf. »Es ist kaum mehr als ein vager Verdacht. Nein, nicht einmal das.« Endlich gab ich mir einen Ruck. Ich hatte mir das hier eingebrockt, jetzt musste ich es auch durchziehen. »Sie erinnern sich doch bestimmt an diese schreckliche Geschichte vor zehn Jahren? An Jule Ahrens?«
Bildete ich es mir nur ein, oder wurde sie blass? Sie blickte in ihren Tee und rührte ruhig um.
»Natürlich.«
»Halten Sie es für möglich, dass er etwas damit zu tun hat?«
»Er hat dem Mädchen das Leben gerettet.«
Warum fiel es mir so schwer, den Satz auszusprechen? Aber nun brachte ich es endlich heraus: »Halten Sie es für denkbar, dass er es war? Dass er sie vergewaltigt hat?«
»Nein!«, lautete die ebenso klare wie erschrockene Antwort.
»Und Sie wollen mir noch immer nicht verraten, warum Sie sich von ihm getrennt haben?«
»Ich habe es Ihnen schon gesagt: Weil er ein Idiot ist.«
Ich leerte meine Tasse und beschloss, dass es genug war. Hoffentlich erfuhren nicht allzu viele Leute von diesem Gespräch.
»Was für eine Praxis ist das eigentlich, in der Sie arbeiten?«, fragte ich beim Aufstehen.
»Doktor Novotny ist Zahnarzt. Wieso fragen Sie?«
»Kann er mit Kindern umgehen? Mit Jugendlichen, die Angst haben vor Zahnärzten?«
»Aber ja«, lachte sie. »Das ist sogar seine Spezialität. Für die ganz Kleinen hat er so eine Kasperle-Puppe, die an seiner Stelle die Spritze gibt.«
Es war unverkennbar, diese Frau verehrte ihren Chef. Ich bat sie, mir die Nummer der Praxis aufzuschreiben.
Auf dem Heimweg kaufte ich in Wieblingen einen großen Strauß gelber Rosen. Als ich den geschwätzigen Audi später auf dem Parkplatz hinter der Polizeidirektion abstellte, waren die Kopfschmerzen verschwunden.
»Das wäre doch nicht nötig gewesen!« Hingerissen schnupperte Sönnchen an den Blumen.
»Doch«, widersprach ich. »Das war sogar sehr nötig. Ich fürchte, ich habe mich da in irgendwas verrannt.«
»Das passiert doch jedem mal, gell?«, meinte sie großmütig. »Jetzt gehen Sie in die Kantine und essen was Ordentliches und gönnen sich mal eine Stunde Pause. Und dann sind Sie bestimmt wieder der Alte. Und heute Abend trinken Sie vielleicht mal lieber nichts.«
Es gab Cordon bleu mit Kartoffeln und Mischgemüse. Das Essen hatte vermutlich so viele Kalorien, wie ein Waldarbeiter braucht, und schmeckte göttlich. Ich aß alles auf und erlaubte mir als Nachtisch sogar einen Früchtequark, obwohl er nicht einmal fettarm war.
Anschließend zwang ich mich, noch zehn Minuten sitzen zu bleiben und nichts zu tun, als hinauszusehen auf die sonnenbeschienenen Bäume.
Dann fühlte ich mich wieder halbwegs als Mensch.