23
Wie erwartet, stritt Heribert Braun alles ab. Obwohl wir uns beeilt hatten, nach Eppelheim zu kommen, war er natürlich bereits gewarnt.
»Es stimmt, dass ich den Fiat bar bezahlt habe. Aber ich wüsste nicht, was daran falsch sein sollte.«
»Ein bisschen ungewöhnlich ist es schon, finden Sie nicht auch? Vor allem für einen Bankmenschen wie Sie.«
Obwohl sein Büro klimatisiert war, schwitzte er.
»Wie war das eigentlich mit Ihrem Porsche? Haben Sie den auch bar bezahlt?«, fragte Balke ganz entspannt.
»Der läuft natürlich über Kredit.« Braun wand sich. »Aber ich habe eine beträchtliche Anzahlung geleistet. Und in Gottes Namen, ja, in bar. Ich habe meiner Frau nicht gestanden, was die Karre wirklich gekostet hat. Sie interessiert sich zwar nicht groß für Gelddinge, aber die Kontoauszüge guckt sie sich schon hin und wieder an. Zumindest hätte die Gefahr bestanden, dass sie …«
Angestrengt beobachtete er seine kräftigen Finger bei der Mittagsgymnastik. Der Mann hatte ein schlechtes Gewissen, das hätte ein Kind gesehen. Und gewiss nicht nur deshalb, weil er seine Frau betrog.
»Herr Braun«, sagte ich verbindlich, »wenn Sie mir keine schlüssige Erklärung dafür liefern können, woher dieses ganze Bargeld stammt, dann nehme ich Sie hiermit vorläufig fest wegen des dringenden Tatverdachts der Beteiligung an einem Bankraub, dessen Opfer Sie selbst wurden.«
Er schwitzte immer stärker und verlegte sich aufs Schweigen.
Fünf Minuten später telefonierte er mit seinem Anwalt. Wir nahmen ihn in unsere Mitte und bugsierten ihn durch den Hinterausgang in unseren Dienstwagen. Durch die Fenster beobachteten uns aus dem Schalterraum drei weiße Gesichter mit großen Augen.
Im Lauf des Nachmittags bezog sich der Himmel, es regnete ein paar Tropfen, aber dann brach die Sonne wieder durch, das bisschen Regen verdunstete rasch, und nun schwitzte auch ich. Braun sprach kein Wort mehr mit uns, solange sein Anwalt nicht neben ihm saß, und der hatte momentan keine Zeit. So konnten wir im Augenblick nicht viel tun. Vor Dienstschluss beriet ich mich noch einmal mit Vangelis und Balke. Vangelis summte eine griechisch anmutende Melodie, als sie mein Büro betrat, und lächelte in sich hinein. Aber nicht nur sie war guter Dinge.
Der Leimener Fiat-Händler hatte Brauns Geld natürlich längst auf sein Geschäftskonto eingezahlt, sodass wir die Scheine nicht mehr auf Fingerabdrücke untersuchen konnten. Auch Céline Piaget half uns nicht weiter, und mein bescheidener Versuch, die Luxemburger Kollegen um Unterstützung zu bitten, zerschellte am dortigen Bankgeheimnis. Falls Braun weiterhin schweigen sollte, würde ich ihn vermutlich bald wieder auf freien Fuß setzen müssen. Aber ich war sicher, dass er ein richtiges Verhör nicht lange durchstehen würde.
»Wir brauchen irgendwas Handfestes«, eröffnete ich das Gespräch. »Etwas, womit wir ihn überrumpeln können.«
»Eine direkte Verbindung zwischen ihm und Bonnie and Clyde«, meinte Balke, »das würde vermutlich sogar die Staatsanwaltschaft als hinreichenden Verdacht akzeptieren.«
»Vielleicht hat er sie über seinen Sohn kennen gelernt?«, überlegte ich. »Hat Kräuter nicht in Marburg studiert? Ich meine mich zu erinnern, dass David Braun auch ein paar Semester dort war.«
Vangelis hörte auf zu summen und machte sich eine ihrer winzigen Notizen.
»Meiner Meinung nach ist das Handy der Schlüssel.« Sie klappte ihr Büchlein zu. »Morgen sollen nun endlich alle Laborergebnisse da sein. Und dann werden wir wissen, ob Braun es in der Hand hatte oder nicht. So lange können wir ihn in jedem Fall festhalten.«
Mein Telefon läutete.
»Der Herr Seligmann schon wieder«, sagte Sönnchen verdrießlich. »Es sei furchtbar dringend, und deshalb hab ich …«
»Schon okay«, seufzte ich. »Stellen Sie durch.«
»Das Volk will einfach nicht verschwinden!«, bellte er atemlos. »Wenn Sie mir diese Leute nicht vom Hals schaffen, dann werde ich mir selbst helfen. Ich lasse mich doch nicht in meinem eigenen Haus einsperren!«
»Ich kann meinen Rat von heute Morgen nur wiederholen. Lassen Sie sich nicht provozieren. Darauf warten die nur. Ignorieren Sie die Leute. Gehen Sie nicht ans Telefon, treten Sie nicht ans Fenster, machen Sie kein Licht, wenn es dunkel wird. Die halten nicht lange durch. Irgendwann wird es denen zu langweilig.«
»Aber das ist doch ein inakzeptabler Zustand!«, herrschte er mich an. »Wir leben in einem freien Land! Ich bin doch kein Verbrecher!«
»Herr Seligmann, auch die Journalisten vor Ihrem Haus leben in einem freien Land. Solange niemand unerlaubt Ihr Grundstück betritt, kann ich nichts für Sie tun. Ich könnte höchstens eine Streife vorbeischicken und die TÜV-Plaketten der Autos überprüfen lassen. Aber ich glaube kaum, dass das die Herrschaften beeindrucken würde.«
Ich legte auf, faltete die Hände im Genick und lehnte mich so weit zurück, wie es mein Chefsessel erlaubte.
»Ich lasse heute noch die Lebensläufe der Brauns mit denen von Bonnie and Clyde abgleichen.« Vangelis strahlte mich an, als fände sie mich auf einmal sympathisch. »Vielleicht finden wir dadurch irgendeine Verbindung.«
Um halb sechs klopfte es.
»Der Anwalt von Herrn Braun wäre jetzt da«, erklärte Sönnchen, als wäre dies die gute Nachricht des Tages.
Ein hochgewachsener und teuer gekleideter Mann etwa meines Alters trat ein. Miene und Haltung drückten Erfahrung und Selbstvertrauen aus.
»Mein Mandant wäre unter gewissen Umständen bereit, ein Geständnis abzulegen.« Bevor ich ihn dazu auffordern konnte, nahm er Platz. »Aber zuvor hätte ich gerne einige Dinge mit Ihnen geklärt.«
Ich stellte mich begriffsstutzig. »Was gibt’s denn da zu klären?«
»Inwieweit Sie uns gegebenenfalls entgegenkommen würden.«
»Entgegenkommen?«, fragte ich mit gespieltem Erstaunen. »Ich habe hier nichts zu entscheiden, wie Sie sicherlich wissen. Das ist allein Sache der Staatsanwaltschaft und später des Gerichts. Wir sammeln nur die Fakten zusammen. Unsere Aufgabe ist es, die Tatsachen zu klären. Wie sollte ich Ihnen da entgegenkommen können?«
»Herr Gerlach, Tatsachen! Ich bitte Sie, was für ein Wort!«
Mit säuerlicher Miene legte er ein Visitenkärtchen vor mich hin. Professor war er sogar.
»Herr Professor Breitenbach, bei mir gibt es keine Deals. Mein Job ist es, die Wahrheit herauszufinden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.«
»Die Wahrheit!« Er schüttelte den Kopf wie über einen köstlichen Witz.
Ich wartete und lächelte.
Er hüstelte.
»Wir wissen doch beide, dass es immer höchst unterschiedliche Versionen der Wahrheit gibt. Das ist doch das Erste, was Sie im Jurastudium lernen: Es gibt sie nicht, die Wahrheit. Sie ist ein Phantom, ein Hirngespinst. Haben Sie fünf Zeugen, so haben Sie fünf verschiedene Wahrheiten. Die Frage ist doch nur, welche ist die, die Sie zu den Akten nehmen?«
»Leider bin ich kein Jurist.« Ich lächelte immer noch. »Ich bin nur ein einfacher Polizist, und die Rechtsphilosophie gehört nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Wenn Ihr Mandant mit uns zusammenarbeitet und ein vollständiges Geständnis ablegt, dann wird das Gericht das sicherlich würdigen. Mehr kann ich Ihnen nicht anbieten.«
Professor Breitenbachs gepflegte Finger spielten am Griff seines edlen Aktenköfferchens. Ich wartete auf den Moment, an dem Balke gesagt hätte: Jetzt lässt er die Hosen runter.
Mein Gegenüber hüstelte unglücklich. Und dann kam er endlich zur Sache.
»Wir erwarten schon ein gewisses Entgegenkommen dafür, dass mein Mandant sich kooperativ zeigt. Natürlich sind Sie hier …«, das »nur« verschluckte er, »… die Ermittlungsbehörde. Aber von Ihren Protokollen wird im weiteren Verlauf des Verfahrens vieles abhängen. Und was einmal in den Akten steht, das wird durch nichts mehr aus der Welt zu schaffen sein.«
Wen hatte der Kerl hier erwartet? Waren solche »Deals« unter meinem Vorgänger üblich gewesen? Sollten sie bei anderen Dienststellen üblich sein? Ich lehnte mich zurück und faltete die Hände auf meinem Bauch.
»Vor einem halben Jahr hatte ich hier einen Mann zum Verhör«, erzählte ich im Plauderton. »Auf dem Stuhl, auf dem Sie jetzt sitzen. Er war seit vier Jahren arbeitslos. Nicht, weil er nichts gelernt hatte. Nicht, weil er faul war, sondern weil er das Pech hatte, krank zu werden, und sein Arbeitgeber nicht warten wollte, bis er wieder gesund wurde. Der Mann ist fünfundvierzig und Witwer. Er hat drei Kinder, von denen er nicht mehr weiß, wie er sie ernähren soll. Er musste sein Haus verkaufen, das er mit eigenen Händen gebaut hat.«
»Ist es angezeigt, dass ich weine?«, fragte Breitenbach liebenswürdig. »Oder genügt es, wenn ich Betroffenheit zeige?«
»Es ist angezeigt, dass wir aufhören mit den Spielchen.« Ich beugte mich vor und fixierte ihn. »Ihr Mandant hat alles, was man zum Leben braucht, und zwar ziemlich reichlich davon. Der andere, der hat in seiner Not einen Kiosk überfallen und achtundsiebzig Euro erbeutet. Mitte Dezember. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, was er gemacht hat mit dem vielen Geld.«
»Ist ja nicht schwer zu erraten«, seufzte der Anwalt mit einem Blick zur Decke, »so kurz vor Weihnachten.«
»Und auch da hat es hier kein Entgegenkommen gegeben und keinen Deal.« Sekundenlang sahen wir uns in die Augen. »Und deshalb wird in unseren Protokollen exakt das stehen, was unsere Ermittlungen ans Licht bringen. Und Herr Braun wird hier exakt die Behandlung erfahren, die jeder Kriminelle erfährt. Er hat eine Bank überfallen. Zudem hat er sein Wissen als Angestellter dieser Bank genutzt, was wir als besondere Heimtücke darstellen werden. Er befand sich weder in einer Notlage noch in einem Zustand verminderter Schuldfähigkeit. Es hat ihn nichts weiter angetrieben als die Raffgier. Er wollte nichts, als mit seiner kleinen, hübschen Freundin in Braus und Saus zu leben.«
»In Braus und Saus?«
»Eine ziemliche Menge ziemlich mieser Motive, finden Sie nicht?«
Professor Breitenbach erhob sich wortlos, nickte mir knapp zu und wandte sich zum Gehen. In der Tür blieb er stehen. Sah mich an.
»Ich musste es versuchen. Es ist mein Job.«
»Ich weiß«, sagte ich.
Wir grinsten uns an.