12. KAPITEL

Rick war über sein spontanes Angebot im Krankenhaus selbst ebenso überrascht gewesen wie die anderen, aber sobald er seine Worte ausgesprochen hatte, war ihm klar geworden, dass er das Richtige tat.

Es hatte auch nichts damit zu tun, dass er Maggie beeindrucken wollte. Er wollte tatsächlich für Matthew und Sally da sein. Der Gedanke, Sally im Pflegeheim und Matthew unglücklich allein zu Hause zu wissen, war so deprimierend, dass er alles getan hätte, um das zu verhindern. Seine Gegenwart konnte zumindest ein Mal in seinem Leben etwas bewirken. Seine Mutter war immer froh gewesen, wenn er nicht in ihrer Nähe gewesen war. „Du erinnerst mich viel zu sehr an deinen Vater, diesen Versager“, hatte sie immer gesagt, und das hatte tiefe Spuren hinterlassen.

Eine Woche später war Rick in eines der ehemaligen Kinderzimmer im Obergeschoss des Farmhauses eingezogen. In den vergangenen Tagen hatte er einige kleinere Veränderungen im Haus vorgenommen, damit es Sally im Rollstuhl und später mit den Krücken leichter hatte. Die Brücke, die den Sturz verursachte, hatte er zusammengerollt und in einer Abstellkammer verstaut. Matthew hatte den Teppich wegwerfen wollen, aber Rick hatte ihn dazu überredet, ihn aufzubewahren, bis Sally nach Hause kam. Sie sollte selbst entscheiden, was damit zu tun war.

Jetzt war alles für ihre Ankunft vorbereitet. Ein Krankenwagen würde sie und Matthew in einer Stunde nach Hause zurückbringen. Maggie bereitete in der Küche ein Willkommensessen vor, und nachdem Rick die unteren Räume ein letztes Mal inspiziert hatte, leistete er ihr beim Kochen Gesellschaft. Er legte von hinten einen Arm um ihre Taille und küsste ihren Nacken. Sie duftete wunderbar nach Jasmin.

„Ich muss dich noch mal fühlen und berühren, bevor die beiden kommen“, flüsterte er an ihrem Ohr.

Maggie lachte und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Vorsicht! Wir haben nur noch zwanzig Minuten Zeit.“

„Viel zu wenig“, murmelte er. „Ich kann nie genug von dir bekommen.“

Maggie drehte sich in seinen Armen um. „Es ist wirklich wunderbar, dass du den alten Leuten helfen willst. Das weißt du, nicht wahr?“

Ihr Lob war ihm unangenehm. „Jeder hätte an meiner Stelle das Gleiche gemacht.“

„Ihre eigenen Kinder haben es nicht getan“, erinnerte sie ihn.

„Weil ich mich schon bereit erklärt hatte hierzubleiben“, wandte Rick ein. „Sie haben Sally doch sofort im Krankenhaus besucht, und ihre Tochter wünscht sich nichts sehnlicher, als dass ihre Eltern nach Atlanta kommen, damit sie die beiden immer in der Nähe hat.“

„Glaubst du denn, sie machen es?“, fragte Maggie.

Rick zuckte mit den Achseln. Er wusste nicht, wie er dazu stehen sollte, dass Matthew und Sally ihre geliebte Farm verlassen würden. „Ich vermute, Matthew denkt ernsthaft darüber nach“, gab er zu. „Sally will erst gar nicht darüber reden.“

„Und du? Was ist mit dir?“

„Das hat doch nichts mit mir zu tun.“

„Aber du hast doch bestimmt eine eigene Meinung. Sag sie mir.“

Rick seufzte. „Eigentlich habe ich keine. Auf der einen Seite macht es mich traurig, dass sie diese Farm verlassen wollen, auf der anderen Seite wäre es natürlich besser, wenn sie in der Nähe ihrer Kinder wohnen würden. Sallys Sturz mag das erste gesundheitliche Problem gewesen sein, aber in diesem Alter können jederzeit andere Gebrechlichkeiten folgen.“

„Nun, das stimmt“, pflichtete Maggie ihm traurig bei. „Und schließlich bist du nicht immer da, um einzuspringen, wenn Not am Mann ist.“

Rick sah sie neugierig an. „Wahrscheinlich nicht“, gab er zu.

„Ganz davon zu schweigen, dass es nicht deine Aufgabe ist, nach ihnen und der Farm zu schauen“, fügte sie hinzu. „Deswegen ist es ja so großartig, dass du diese Verantwortung trotzdem übernommen hast.“

„Fang nicht wieder damit an“, wehrte Rick ab. „Ich bin froh, dass ich ihnen helfen kann. Ich kann es nur nicht immer tun.“

„Nein.“ Maggies Stimme klang traurig. „Das ist wahr.“

Bevor Rick noch etwas sagen konnte, hörte er, wie ein Wagen in den Hof fuhr. „Sie sind da“, sagte er.

Maggie umarmte ihn kurz, aber fest.

Neugierig betrachtete er ihr Gesicht. „Wofür war das denn?“

„Ich wollte dich ein wenig dafür entschädigen, dass du jetzt doch nichts von mir gehabt hast.“

Rick lachte. „Das kannst du höchstens wiedergutmachen, indem du dich mitten in der Nacht still und leise hier ins Haus stiehlst und dich heimlich in mein Zimmer schleichst.“

„Keine Chance. Matthew hört noch verflixt gut.“

„Oh, ich bin sicher, dass er uns gewähren lassen würde.“

Maggie schüttelte den Kopf. „Männer!“, rief sie und scheuchte ihn zur Tür. „Geh hinaus, und begleite die beiden ins Haus. Sie brauchen vielleicht jemanden, der hilft, Sally in den Rollstuhl zu setzen. Ich sehe kurz nach dem Hähnchen und komme dann gleich nach.“

Rick lächelte und ging, um die Kellers zu begrüßen. Die Sanitäter hatten Sally bereits in das Schlafzimmer gebracht, das sie und Matthew ein Leben lang geteilt hatten. Sie strahlte, als sie Rick sah.

„Komm her, und gib mir einen Kuss“, verlangte sie und streckte ihm die Arme entgegen. „Wenn du nicht wärst, würde ich nicht in meinem eigenen Bett liegen.“

„Bilde dir nur nicht zu viel ein“, scherzte Rick. „Ich bin nur wegen des Apfelkuchens hier. Matthew sagt, es ist noch gut ein halbes Dutzend in der Tiefkühltruhe. Wenn sie aufgegessen sind, fahre ich.“

„Hör sofort damit auf“, befahl Sally. „Wir wissen genau, was du für uns tust. Und wir werden dir das niemals vergessen.“

Rick ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. „Ich freue mich, dass es dir gut genug geht, um wieder nach Hause zu kommen.“

„Ja, es ist wunderbar, wieder von seinen eigenen Dingen umgeben zu sein.“ Die Güte in ihren Augen verschwand jedoch plötzlich, und sie sah ihn streng an. „Was habt ihr übrigens mit der Brücke vor der Treppe gemacht? Matthew will mir nicht sagen, wo ihr sie hingetan habt.“

Rick lachte, erleichtert darüber, dass er die Brücke nicht weggeschmissen, sondern aufbewahrt hatte. Matthew allerdings schien gar nicht amüsiert zu sein.

„Ich hätte das alte Ding verbrennen sollen“, schimpfte er.

Sallys Blick ruhte immer noch auf Rick. „Aber du hast es nicht zugelassen, stimmt’s?“

Rick winkte ab. „Nein, sie liegt in der Abstellkammer hinten im Flur.“

„Danke. Ich weiß, dass es dumm ist, so an Dingen zu hängen, aber diese Brücke stammt noch aus meinem Elternhaus. Ich wäre sehr traurig, wenn ich sie nicht mehr hätte.“

„Aber wegen der Brücke liegst du jetzt hier im Bett“, warf Matthew ihr vor.

Sally runzelte die Stirn. „Nein, das tue ich nicht. Ich liege hier, weil ich es zu eilig hatte und nicht darauf geachtet habe, wohin ich trat.“ Erneut sah sie Rick an. „Wo ist eigentlich Maggie? Ich kann den Duft von gutem Essen riechen. Ist sie in der Küche?“

Rick nickte. „Sie kommt in einer Minute“, versprach er. „Und es gibt auch bald Mittagessen. Da Maggie gekocht hat, wird es wunderbar schmecken, obwohl ich auch kein schlechter Koch bin. Ihr werdet es sehen, wenn ich morgen das Frühstück mache.“ Er sah die Müdigkeit in Sallys Augen. „Warum schläfst du nicht ein bisschen? Es ist noch etwas Zeit bis zum Mittagessen.“

Sally warf ihm einen dankbaren Blick zu. „Ich glaube, das werde ich tun“, sagte sie und sah fragend ihren Mann an. „Matthew, bleibst du bei mir?“

Matthew zog sofort einen Stuhl näher, setzte sich und ergriff ihre Hand. „Wo sollte ich sonst hin.“

Rick bemerkte ihre Blicke und wusste, dass die beiden jetzt gerne unter sich sein wollten. Er verließ das Zimmer, machte leise die Tür hinter sich zu und lehnte sich dann dagegen. Eine tiefe Sehnsucht erfüllte plötzlich sein Herz. Er wollte das, was die beiden bereits besaßen. Ja, er wünschte es sich von ganzem Herzen.

Und er wusste, dass er es auch haben konnte. Drüben in der Küche war eine Frau, die ihm das alles geben konnte und noch viel mehr. Er musste nur den Mut aufbringen, zu ihr zu gehen und sie zu bitten, seine Frau zu werden.

Rick seufzte und ging langsam den Flur hinab. Er wusste, dass er noch eine Weile brauchen würde, um dazu bereit zu sein. Zu viele Jahre war er darauf trainiert gewesen, vor Gefühlen davonzulaufen. Einige Wochen Liebe reichten nicht, um die Erinnerungen an seine Mutter auszulöschen, die ihren Kummer über ihre vielen gescheiterten Beziehungen in Alkohol ertränkt und ihn als lästige Beigabe betrachtet hatte.

Aber eines Tages würde er es können. Mit jedem Tag, der verging, ließ er seine Vergangenheit ein Stück weiter hinter sich und öffnete sich der Liebe. Er hoffte nur, dass Maggie ausreichend Geduld haben würde, um auf ihn zu warten.

„Komm, setz dich zu mir“, ermutigte Sally Rick einige Tage später. „Es gibt etwas, worüber ich mit dir reden möchte.“

Rick sah sie misstrauisch an. „Du willst doch nicht schon wieder die Kupplerin spielen, oder?“

Sie lachte. „Nein, zumindest dieses Mal nicht. Ich möchte wissen, was du von der Idee hältst, dass ich mit Matthew nach Atlanta ziehe.“

Ricks Herz wurde augenblicklich schwer. Er hatte gewusst, dass das kommen würde. Die Tochter der Kellers rief fast jeden Tag an, um sie zu einer Entscheidung zu bewegen, aber er hatte bislang nicht darüber nachdenken wollen. Hier auf der Farm zu leben hatte ihm das Gefühl gegeben, eine Familie zu haben. Etwas, wonach er sich offensichtlich weitaus mehr gesehnt hatte, als ihm selbst je klar gewesen war.

„Ich denke, das ist allein deine und Matthews Sache“, erklärte er ernst. „Möchtest du denn fortziehen?“

„Matthew will es“, gab sie zu. „Er vergöttert seine Tochter, und er meint, dass es Zeit für ein neues Abenteuer sei.“

Rick forschte in Sallys Gesicht. Sie schien nicht sonderlich begeistert von dieser Idee zu sein. „Du willst aber nicht weggehen, stimmt’s?“

„Zumindest nicht ganz“, erklärte sie vorsichtig. „Es wäre ein gewaltiger Schritt. Keiner von uns hat jemals in der Großstadt gelebt. Um ehrlich zu sein, ich habe meiner Tochter in Atlanta noch nie besucht. Doch selbst wenn wir es getan hätten, wüssten wir nicht, was auf uns zukommt. Ich habe Angst, dass wir uns dort nicht wohlfühlen könnten. Aber dann wäre es zu spät.“

Er begriff, worauf sie hinauswollte. Wenn die Farm erst mal verkauft war, gäbe es kein Zurück mehr, selbst wenn sie sich in Atlanta nicht einleben würden.

„Müsst ihr die Farm denn unbedingt verkaufen, bevor ihr nach Atlanta zieht? Vielleicht könntet ihr erst mal ein paar Monate zur Probe bei Ellen wohnen. Wie wäre das?“

„Das kommt nicht infrage. Ihr Haus ist dafür zu klein. Wir wären ihr nur eine Last, und das will ich auf keinen Fall.“ Sie warf ihm einen forschenden Blick zu. „Aber es gibt eine andere Möglichkeit. Eine, die alle Probleme lösen könnte.“

Rick war nicht sicher, ob ihm ihr Blick gefiel. Irgendetwas führte Sally im Schilde. „So?“

Dann ließ sie die Bombe platzen. „Warum kaufst du nicht die Farm?“

Rick starrte sie entgeistert an. „Ich? Was soll ich denn mit einer Farm? Ich bin Fotograf. Ich reise viel. Wer soll sich denn während meiner Abwesenheit um die Farm kümmern?“

„Du könntest jemanden einstellen“, schlug Sally vor und fügte dann hinzu: „Oder jemanden heiraten, der hier wohnt, während du deine Aufträge erledigst.“

Langsam erhob Rick sich und rückte vom Bett ab, als ob er einer Gefahr ausweichen wollte. „Ich wusste, dass du etwas ausbrütest“, warf er ihr vor.

„Komm, setz dich wieder hin“, befahl Sally ungeduldig. „Du weißt doch, dass du Maggie liebst. Hör auf, dir etwas vorzumachen.“

Er betrachtete sie ernst. „Ich sehe nicht, wie das die Probleme lösen soll.“

„Wenn du die Farm hättest, wäre es so, als ob sie immer noch in der Hand der Familie wäre“, erklärte sie. „Vielleicht könnten Matthew und ich euch hin und wieder besuchen kommen. Dann hätte der Umzug nicht etwas so Endgültiges. Vielleicht könnte Matthew dir sogar helfen, die Farm einige Monate im Jahr zu leiten. Ich bin sicher, es wäre das Beste für beide Parteien, zumindest solange wir noch in der Lage sind zu reisen.“

Er überlegte, wie Sally auf eine solche Idee kam, aber sie traf ihn damit mitten ins Herz. „Ich weiß nicht, Sally“, protestierte er, selbst als ihm langsam klar wurde, dass diese Idee auch für ihn die Lösung all seiner Probleme wäre. Sie würde ihn an diese Menschen binden und würde ihm eine neue Familie schenken.

Aber konnte er sich vorstellen, hier mit Maggie alt zu werden und seine Kinder aufzuziehen? Genauso wie Matthew und Sally es getan hatten?

„Was hält denn Matthew von deinem Plan?“, fragte er schließlich.

„Er meint, ich solle dich nicht unter Druck setzen.“ Sie schaute ihn an. „Aber ich glaube, hier geht es nicht nur um den Wunsch einer alten selbstsüchtigen Frau, Rick. Meine Idee gibt dir eine Chance, das zu tun, was du im Grunde tun willst – ob du schon bereit bist, dir das einzugestehen, oder nicht.“

„Lass mich darüber nachdenken“, erwiderte er.

Ihr Gesicht hellte sich auf. „Du ziehst die Möglichkeit, die Farm zu kaufen, also tatsächlich in Betracht?“

„Ich ziehe sie in Betracht“, bestätigte er nachdenklich. „Aber bitte, verlass dich noch nicht darauf. Es würde mein Leben sehr verändern, und ich weiß nicht, ob ich dazu bereit bin.“

„Ja, natürlich“, erklärte Sally sanft. „Hör nur auf dein Herz. Es wird dich zu der richtigen Entscheidung führen.“

„Wann kommst du wieder nach Hause?“, fragte Ashley ihre Schwester Maggie Wochen später während eines Telefonats in einer Pause bei Gericht.

„Wann ist denn dein Fall abgeschlossen?“, stellte Maggie die Gegenfrage.

„Die Anhörung sollte in ein oder zwei Wochen beendet sein“, erklärte Ashley. „Der Fall ist komplizierter, als ich gedacht habe. Aber ich habe wirklich nicht angerufen, um mit dir darüber zu reden. Ich möchte etwas von dir hören.“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen“, wich Maggie aus. Sie hatte immer noch Schwierigkeiten, sich einzugestehen, dass sie jetzt gut zwei Monate im Rose Cottage lebte und Rick fast ebenso lange in ihrer Nähe war.

Nur wenn sie an ihre Arbeit dachte, konnte sie die Zeit nicht verleugnen. Sie arbeitete bereits an der November-Ausgabe und hatte sich sogar schon Notizen für die Dezemberseiten gemacht. Es war schwer, mitten im August an Thanksgiving und Weihnachten zu denken. Das heiße, schwüle Wetter nahm sie mit. Sie sehnte sich nach den seltenen Tagen, wenn es morgens nach einem Gewitter frisch und kühl war, leider wurde es gegen Mittag immer wieder drückend heiß.

„Hast du keine Schwierigkeiten mit deiner Arbeit, wenn du derart lange wegbleibst?“, fragte Ashley.

„Nein, solange ich gute Ideen habe und meine Termine einhalte, ist alles in Ordnung. Um ehrlich zu sein, ich habe noch nicht mal daran gedacht, nach Hause zu kommen“, fügte Maggie hinzu.

Es gab hier viel zu viel zu tun. Sie half jetzt regelmäßig auf der Farm aus und freute sich jeden Tag auf die Zeit, die sie mit Rick allein verbringen konnte. Natürlich war das Tempo hier im Süden ein wenig gemächlicher, aber es war nie langweilig. Selbst Rick schien zufrieden zu sein.

„Und Rick ist immer noch da?“, forschte Ashley neugierig.

„Ja.“

„Wohnt er noch immer in der Pension?“

„Nein, er lebt draußen bei Sally und Matthew.“

„Ah.“

„Ah!“, äffte Maggie sie nach. „Was soll das bedeuten?“

Ashley lachte. „Es bedeutet, dass Melanie und Mike mir verraten haben, ihr beide wäret unzertrennlich. Sie sagen, Liebe liegt in der Luft, aber sie haben mir nichts von Sally und Matthew erzählt. Was ist das denn für eine Geschichte?“

„Sally ist gestürzt und hat sich die Hüfte gebrochen, übrigens genau an dem Tag, an dem du abgefahren bist. Sie war bis vor Kurzem im Krankenhaus. Und da sie bis zu ihrer völligen Genesung nicht in ein Pflegeheim gehen wollte, ist Rick bei ihnen eingezogen, um auszuhelfen.“

„Oh, das erklärt natürlich alles“, rief Ashley aus.

„Das erklärt was?“

„Warum du dich total in diesen Mann verliebt hast. Sexy, intelligent, dazu auch noch warmherzig und hilfsbereit. Das ist eine Mischung, der man nicht widerstehen kann, ganz egal, wie gut dein gesunder Menschenverstand arbeitet.“

Ashley hatte wie gewöhnlich den Nagel auf den Kopf getroffen, aber Maggie wollte ihre wahren Gefühle nicht preisgeben. Sie war nicht sicher, ob sie das Mitleid der anderen ertragen könnte, wenn Rick sie am Ende doch verließ. Und sie wusste, dass das immer noch möglich war. Er schien hier glücklich zu sein, aber sie begann, die Hoffnung zu verlieren, dass er sich für eine Zukunft mit ihr entscheiden würde. Warum sonst sprach er dieses Thema niemals an?

„Mach dich nicht lächerlich“, wehrte Maggie barsch ab, obwohl sie wusste, dass sie ihrer Schwester kaum etwas vormachen konnte. Wenn einer sie durchschaute, dann war es Ashley. „Wir beide verstehen uns wirklich gut, das ist aber auch schon alles. Ich werde irgendwann nach Boston zurückkehren, und dann werden wir uns langsam wieder aus den Augen verlieren. Ich akzeptiere das.“

„Ich kann an deiner Stimme hören, dass du wirklich an das glaubst, was du sagst“, spottete Ashley. „Komm schon, Maggie. Warum kannst du nicht dem vertrauen, was zwischen dir und Rick ist? Wie soll diese Beziehung denn eine Chance haben, wenn du nicht mal die Hoffnung auf ein Happy End hast. Dass du so gar kein Vertrauen empfindest, sagt doch schon alles. Findest du nicht?“

„Okay, okay. Ich weiß, dass du recht hast. Ich habe solche immensen Schwierigkeiten, an eine Zukunft zu glauben, weil es sich bei diesem Mann um Rick Flannery handelt, ein Weltenbummler, der gewohnt ist, ständig auf Reisen zu sein.“

Tränen traten Maggie in die Augen, und das sagte alles. Rick würde sein Leben wegen einer Beziehung nicht ändern. Er war nicht für eine Ehe geeignet, und sie hatte es von Anfang an gewusst. Sie musste einfach akzeptieren, dass sich daran nie auch nur ein wenig ändern würde. Sonst hätte er schon längst etwas gesagt.

„Ich muss jetzt auflegen“, sagte sie zu ihrer Schwester, da sie Angst hatte, in Tränen auszubrechen.

Nachdem sie das Telefonat beendet hatte, drehte sie sich um und sah Rick mit schockiertem Gesichtsausdruck im Türrahmen stehen.

„Was suchst du hier?“, fuhr sie ihn an. Ihr Herz klopfte wild. Wie viel hatte er gehört? Seinem Ausdruck nach zu urteilen auf jeden Fall zu viel.

„Ich bin hierher gekommen, um dich etwas Wichtiges zu fragen“, erklärte er mit seltsam rauer Stimme. „Aber offensichtlich habe ich den falschen Zeitpunkt gewählt.“

„Was hast du von dem Telefonat mit angehört?“

„Genug, um zu wissen, dass du nicht allzu viel von mir hältst.“ Er schüttelte traurig den Kopf. „Wie habe ich dich nur so falsch einschätzen können?“

Maggie verstand nicht, warum er so gekränkt war, und sah ihn ärgerlich an. „Nun, es stimmt doch, oder? Irgendwann wirst du dich hier langweilen und zurück nach Boston gehen. Du wirst wieder Fototermine mit den schönsten Frauen der Welt machen, und bevor du dich’s versiehst, hast du schon wieder ein Verhältnis mit einem von den hübschen Models. Die Kellers und ich werden dann nur noch eine ferne Erinnerung sein.“

„Hältst du mich wirklich für so oberflächlich?“, fragte er beleidigt. Verletzter Stolz lag in seinem Blick. Oder war es echter Schmerz? „Glaubst du tatsächlich, dass die letzten Wochen nur ein Spiel für mich waren?“

Maggie spürte, dass sie ihn ernsthaft verletzt hatte, aber sie konnte sich nicht erklären, warum. „War es für dich nicht immer so?“

Er wirkte, als ob sie ihn geschlagen hätte, doch dann kehrte die Wut in seine Augen zurück. „Ja, aber nur, bis ich dich kennengelernt habe. Verrückt, wie ich bin, glaubte ich, dass es etwas Besonderes mit uns ist. Ich begann, an unsere Beziehung zu glauben, doch offensichtlich siehst du sie nur als eine Art Zwischenspiel, bis du wieder mit deinem normalen Leben weitermachst. Es ist doch so, oder nicht?“

Bei seinen Worten zuckte Maggie zusammen und sah entsetzt, wie er sich abwandte und zur Tür ging.

„Du gehst“, stieß sie verzweifelt hervor, unfähig etwas zu tun. War es nicht das, was sie immer befürchtet hatte? Es spielte keine Rolle, dass sie sein Weggehen entschuldigen konnte.

Zu ihrer Bestürzung kam er noch ein letztes Mal zurück, zog sie heftig in die Arme und küsste sie. Der Kuss war erfüllt von unverhohlener Wut, doch er berührte sie trotzdem tief. Gleichzeitig hasste sie sich dafür, dass er trotz seines Verhaltens noch eine solche Reaktion in ihr hervorrufen konnte. Obwohl so viel Schmerz in der Luft lag, obwohl zwischen ihnen alles aus war.

„Ja, ich gehe“, erklärte er. „Weil ich in diesem Moment viel zu wütend bin, um zu bleiben. Aber ich werde zurückkommen, Maggie. Und wir werden über das Geschehene reden. Nichts ist zu Ende. Nichts.“

Lange, nachdem er gegangen war, hörte sie noch immer seine Worte –sein Versprechen – wie ein Echo in ihrem Herzen widerhallen. Maggie berührte ihre Lippen mit den Fingerspitzen, und die ersten Tränen rollten ihr über die Wangen.

Es waren jedoch keine bitteren Tränen, sondern es waren Tränen der Erleichterung. Denn vielleicht – ganz vielleicht – würde Rick ihr beweisen, dass sie sich geirrt hatte.