1. DIE GEHEIMNISVOLLE FELUKE

Es war eine herrliche Nacht, eine jener wunderbaren Nächte, wie man sie nur an den Küsten Italiens findet, wo die durchsichtige Klarheit des Himmels selbst schöner als in den tropischen Gegenden ist.

Der kaum aufgegangene Mond spiegelte sich mit tausend zitternden Silberstrahlen auf der ruhigen Fläche des Tyrrhenischen Meeres. Die dem Horizont nächsten Sterne schienen lange Streifen geschmolzenen Goldes darauf zu werfen. Eine frische Brise, voll vom Dufte der noch blühenden Orangenbäume, wehte stoßweise von der Küste Sardiniens. Die spitzen Gebirge dieser Insel hoben sich klar vom Himmel ab; ihre Riesenschatten lagen auf der Ebene zu ihrem Fuße.

Eine schnelle Schaluppe, am Rande reich vergoldet, am Vorderteil ein vergoldetes Wappen, glitt über das Meer, gerudert von zwölf starken Männern. Ihr Wappen zeigte drei eiserne Fausthandschuhe und einen aufrecht stehenden Löwen.

Sie hielt sich im Schatten der Küste, die hier ziemlich hoch ragte, wie bemüht, unbemerkt zu bleiben von etwa aus Süden kommenden Schiffen. Zwölf kräftige, wettergebräunte, mit Stahlpanzern bewehrte Männer füllten das schlanke Fahrzeug. Auf der Brust trugen sie ein schwarzes Kreuz. Den Kopf bedeckten glänzende Helme. Rings um sie waren Spieße, Hellebarden, zweihändige Schwerter, die man zu Ende des 16. Jahrhunderts brauchte.

Am Steuer saß ein stattlicher, noch sehr junger Ritter von edlem Aussehen. Er trug einen goldverzierten Panzer, um den eine blauseidene Schärpe mit gelbgesticktem Rand sich schlang. Wie Silber glänzte der kleine Helm, den drei langwehende, weiße Straußenfedern schmückten. Hohe, gelbe Stulpenstiefel mit Silberschnallen ließen kaum die rotsamtenen Beinkleider sehen. Am Gürtel hingen ein langes Schwert und zwei Pistolen.

Seine hohe, schlanke Gestalt zeigte eine kräftige Muskelbildung, die ihn zu leichter Handhabung des schweren Schwertes befähigen mußte. Trotzdem war sein Gesicht mit den leuchtenden, blauen Augen von zarter rosiger Farbe. Goldblonde Locken fielen ihm wellig unter dem Helm auf die Schultern herab.

Neben ihm auf der Bank des Ruderschiffes saß ein Mann, rund wie ein Faß, wenigstens zehn Jahre älter als der geschilderte. Von Gestalt viel kleiner, hatte er ein gutmütiges Vollmondgesicht mit langem, rötlichen Bart, stahlgrauen, kleinen Augen und einer roten Trinkernase. Wie die andern, trug er einen Stahlpanzer, durchquert von einem großen Kreuz, und eine federbauschgeschmückte Stahlkappe. Sein breiter, gelber Ledergürtel war ein wahres Arsenal. Er trug darin, neben dem Schwert, zwei Dolchen und zwei Pistolen, eine riesige eiserne Keule.

Die Schaluppe war von der Küste Sardiniens abgelenkt und einer kleinen Insel zugeeilt, die sich deutlich im Südosten zeigte.

»In einer halben Stunde werden wir San Pietro erreicht haben!« sagte der Ritter.

»Sind die Koranhunde schon dort, Herr Baron?« fragte der Dicke seufzend.

»Beunruhigt dich das, Eisenkopf?« Der Malteser lächelte mit leichtem Spott.

»Mich? Nein. Ich fresse sie alle; sie werden schon die Kraft meiner Arme spüren! Ich fürchte Barbaresken nicht!«

»Aber dein Seufzen ... «

»Alte Gewohnheit, Herr Baron. Wäre noch schöner, wenn ein Katalane sich vor Algeriern fürchtete. Mein Vater hat mindestens tausend davon getötet und mein Großvater ... «

»Mindestens zehntausend!« warf der Ritter Sant’ Elmo lachend ein.

»Wenn nicht ganz zehntausend, so doch jedenfalls sehr viele!«

»Und sein Enkel Eisenkopf?«

»Wird ebensoviele umbringen!«

»Aber warum warst du neulich, als wir mit dem tunesischen Korsaren zusammenstießen, mit deiner furchtbaren Keule im Schiffsraum verschwunden?«

»Das ist wirklich nicht meine Schuld gewesen!«

»Wessen denn?«

»Die eines Bechers Zypernwein, der mir infolge irgendeiner Teufelei den Gebrauch der Beine unmöglich gemacht hatte. Irgendein Trick Mohammeds!«

»Ein Becher? Oder ein halbes Faß ›Angst‹?«

»Ein Abkomme der berühmten Familie Barbosa, die so viel Blut im Heiligen Lande und in Peru vergossen hat, Angst? Ihr wißt wohl nicht, Herr Baron, daß einer meiner Ahnherren den Kaiser der Inkas, Abatalisca, gefangennahm, und daß ein anderer beinahe Saladin getötet hätte? Aus so mutigem Blute kann kein Feigling hervorgehen. Laßt die Algerier in San Pietro landen und die Burg der Gräfin angreifen, da werdet ihr sehen, wessen Eisenkopf fähig ist!«

Diesmal hatte der Ritter geseufzt, und seine Züge zeigten eine gewisse Unruhe.

»In diesem Augenblick käme mir das sehr ungelegen«, erwiderte er. »Wäre meine Galeere zur Stelle, dann würde auch ich gern den Mauren zeigen, wie die Ritter von Malta kämpfen. Aber sie kann vor vierundzwanzig Stunden nicht hier sein!«

»Haltet ihr die Kunde, die man uns brachte, für wahr?«

»Ein gestern angelangter Fischer hat sie mir bestätigt!«

»Wird man es auf der Burg Donna Idas schon wissen? Und was beabsichtigen denn die Algerier mit der Landung?«

»Die Gräfin Santafiora zu rauben und das Schloß zu zerstören! Der Fischer hat eine Feluke bemerkt, die verdächtig um San Pietro herumstrich. Sie wird wohl der Kundschafter eines Geschwaders sein!«

»Aber was könnte dann eure Galeere gegen ein ganzes Geschwader ausrichten?« fragte nun zähneklappernd der Katalane.

»Unsere Leute sind nicht gewöhnt, die Feinde zu zählen!« erwiderte ihm mit fester Stimme der Baron. »Wir greifen diese Seeräuber an, und Gottes Wille geschehe!«

»Möge uns Sankt Isidorus schützen!« fügte Eisenkopf fromm hinzu.

»Das werden besser unsere Schwerter tun ... Still! Da erscheint wieder der Spion!«

Sant’ Elmo war aufgesprungen. Unwillkürlich griff er mit einer Hand zum Schwert, mit der anderen zur Pistole. Sein Antlitz zeigte äußerste Besorgnis.

Am Horizont, südlich der Insel San Pietro, flog ein langer, schwarzer Streifen, überragt von zwei lateinischen Segeln, mit großer Schnelligkeit übers Meer. Eine lange Silberspur bezeichnete seine Bahn.

Vorn leuchtete von Zeit zu Zeit ein glänzender Punkt auf dem Fahrzeug auf.

»Das muß die vom Fischer beobachtete Feluke sein«, meinte der Baron. »Mit wem kann sie nur Signale wechseln?«

»Ihr meint den leuchtenden Punkt? Ist es ein Feuer?«

»Es ist ein Metallspiegel, der die Mondstrahlen auffängt!«

»Vielleicht verständigt sich die Feluke mit einem Schiff im Meere?« fragte Eisenkopf.

»Nein. Sie gibt Signale zur Küste. Ah, unglaublich! Man antwortet von San Pietro her!«

Dort flammte plötzlich am Ufer ein Feuer auf und erlosch nach wenigen Minuten wieder, während die Feluke, die Segel wechselnd, rasch nach Südosten, in der Richtung der undeutlich sichtbaren Insel Sant’ Antioco, sich entfernte.

»Es ist mir unverständlich, wer ein Interesse haben kann, die Korsaren nach San Pietro zu locken, diese Räuber, die alles vernichten, wo sie landen! Es leben lauter zuverlässige Leute dort. Weißt du, daß der Fischer auf der Feluke die Flagge des Culkelubi gesehen haben will?«

»Was? Des Befehlshabers der algerischen Galeeren?« stammelte der Katalane. »Ach, Herr, auch der letzte der Barbosa fühlt, trotz des edlen Blutes in seinen Adern, einen Schauer bei diesem Namen!«

Der Baron schien die Bemerkung zu überhören. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf die Feluke gerichtet, die jetzt wie ein schwarzer Punkt auf dem Silberspiegel des Meeres erschien.

Wohin eilte sie? fragte er sich. Sind dort im Süden vielleicht die Galeeren Culkelubis versteckt? Warum sind keine Malteser Schiffe in der Nähe? Wo sind Venedigs und Genuas Flotten, die unser Mittelmeer bewachen sollen? Ich bin allein gegen alle. Siegen oder sterben! Sei es! Verteidigen wir die Mauern der Burg, die meine Braut schützen!

Das Gesicht des jungen Ritters hatte sich verändert. Seine Augen schossen Blitze. Er, der eben fast noch einem Knaben geglichen, zeigte, daß er imstande sei, ein Held zu werden.

Mit lauter Stimme rief er jetzt: »Steuert geradeaus nach San Pietro! Verflucht der Verräter, der die Korsaren dorthin gelockt!«

Eisenkopf war zähneklappernd in sich zusammengesunken: »Hätte ich nur ein einziges Becherchen Zypernwein im Leib«, murmelte er, »dann wehe den Feinden! Herr Baron, werden wir viel dort unten zu tun bekommen?«

»Wir müssen um unser Leben kämpfen!«

»Ist das Schloß der Gräfin wenigstens fest?« »Nun, wenn die Mauern nicht stark genug sind, müssen es unsere Schwerter sein!« rief ihm Sant’ Elmo zu.

»Aber der Stahl, selbst wenn er aus Toledo ist, widersteht nicht den Geschützen!«

»Ich denke, dein Schwert ist im Guadalquivir gekühlt, eine Toledoklinge, wie du sagst!«

Nach einigem Schweigen setzte der Katalane hinzu: »Schöne Überraschung für Donna Ida! Ist sie von eurer Ankunft unterrichtet?«

»Ich hatte mein Kommen angezeigt, und wenn der Sturm nicht das Steuer meiner Galeere beschädigt hätte, wäre ich ja schon gestern hier angelangt. Achtung! Die Feluke erscheint wieder. Sie scheint jetzt nach Sant’ Antico zu lenken, aber vielleicht sucht sie nur den Wind ... Auf, Leute, rudert aus allen Kräften, wenn ihr nicht vorzeitig mit den Hunden Bekanntschaft machen wollt. Vergeßt nicht, es sind die algerischen Panther!«

Die zwölf Matrosen brauchten nicht angespornt zu werden. Sie kannten nur zu gut die Verwegenheit der Korsaren und wußten, daß dieselben ziemlich weittragende Geschütze mit sich führten, die sie sehr geschickt zu handhaben verstanden.

Die Insel war jetzt nahe, während die Gegner noch vier Meilen zu durchlaufen hatten. Es blieb also Zeit genug zum Landen.

Der Baron, der das Steuer führte, lenkte nach einer von einem felsigen Vorgebirge gebildeten Bucht. Dort erhob sich an einer Seite ein hoher, majestätischer Turm mit Zinnen, an den sich ein massiver Bau anschloß, den der Schatten einiger Bäume noch verhüllte.

Am Ufer dieser Bucht hatte das von Sant’ Elmo und den Katalanen beobachtete Feuer gebrannt.

»Siehst du nichts, Eisenkopf?« fragte der Malteserritter.

»Nur ein erleuchtetes Fenster! Gräfin Ida scheint noch zu wachen.«

»Es ist ja noch nicht zehn Uhr!«

»Hoffen wir«, meinte der Dicke, »daß das Gesinde noch auf den Beinen ist! Diese Nachtbrise hat mich so hungrig gemacht, daß ich drei Mauren in fünf Minuten verspeisen könnte!«

Der Baron hatte sich erhoben. Seine Augen hafteten auf dem hellen Fenster, das sich deutlich von der dunklen Masse des Schlosses abhob.

Sollte man ihn erwarten? Eine rasche Röte flammte über sein Gesicht, aber machte einer plötzlichen Blässe Platz, als sein Blick das Meer überflog. Er suchte umsonst die Feluke. Ob das Unheil noch heute nacht über die Burg hereinbricht, oder ob seine Furcht übertrieben ist?

Sein Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, daß ihm die Geliebte entführt werden könnte, daß diese kühnen, als Frauenräuber bekannten Piraten sie ihrem Herrn bringen oder dem Bey von Algier verkaufen könnten.

»Wenn wir nur bis zur Ankunft meiner Galeere aushalten! Wir sind zwar wenige, aber ausgezeichnete Kämpfer. Auch die Schloßbediensteten sind tapfer!«

»Herr Baron«, rief da der Katalane: »Die Feluke kommt wieder!«

»Noch allein?«

»Ich erblicke keinen anderen Segler.«

»Nehmt noch einmal alle Kraft zusammen, meine Braven!« Des Ritters Schaluppe war nun bei der Bucht angelangt. »Zieht sie ans Land, nehmt die Waffen und folgt mir! Die Piraten können uns jetzt nicht mehr auf offener See erreichen!«

2. ZULEIK

Das heute nur in unbedeutenden Ruinen noch vorhandene Schloß des Grafen von Santafiora war im Jahre 1630 eine noch starke Festung, wenn auch nur bescheidenen Umfangs.

Angelegt, um die häufigen Überfalle der Barbaresken, die schon mehrfach die Insel San Pietro verwüstet und viele ihrer Bewohner als Sklaven fortgeschleppt hatten, zu hindern, war das Schloß den Malteserrittern Grafen von Santafiora zu Lehen gegeben worden. Diese hatten sich oftmals in Kämpfen gegen die Sarazenen in Sizilien und in den tunesischen und algerischen Gewässern ausgezeichnet.

Graf Albert, der erste Schloßherr, hatte bei solchen Treffen wichtige Dienste geleistet. Sein Sohn Wilhelm, genannt Stahlarm, war nicht weniger tapfer. Er hatte verschiedene Belagerungen überstanden, mit seinen Galeeren die berüchtigten tunesischen Korsaren besiegt und sogar gewagt, die Stadt Algier zu bombardieren. Dieser verwegne Streich sollte ihm das Leben kosten. Die Schiffe Culkelubis, des berühmtesten algerischen Admirals seiner Zeit, hatten ihn mit allen seinen Begleitern vernichtend geschlagen.

Als einzige Erbin war ein kleines Mädchen zurückgeblieben. Sie wuchs auf unter den Augen eines entfernten Verwandten, da ihre Mutter bei einem Angriff des Schlosses das Leben eingebüßt hatte. Die junge Gräfin Ida war unter dem Donner der Geschütze groß geworden.

Die Korsaren, mit der Absicht, ihren Fuß auf Sardinien zu setzen, versuchten mehrfach, das Schloß zu erobern. Aber die Heldenhaftigkeit der Malteser, die auf den Ruf des Mädchens zur Rettung kamen, hatte sie stets mit blutigen Köpfen heimgeschickt.

Unter den mit ihren Galeeren zu Hilfe eilenden Rittern stand Baron Carlo von Sant’ Elmo an der Spitze, der, ein Sizilianer, noch sehr jung Malteserritter geworden. Seine Tapferkeit, seine Schönheit, seine hohe Abkunft hatten nicht verfehlt, tiefen Eindruck auf die jugendliche Gräfin zu machen. Beide jung, beide Kinder von Verteidigern des Mittelmeers, beide allein in der Welt stehend, war es begreiflich, daß ihre Herzen sich fanden. Eine zarte Liebe verband beide, die ihre Erfüllung finden sollte in der bevorstehenden Vermählung.

Das Glück schien ihnen zu lächeln. Da kam Carlo die Kunde von seiten eines Schiffers, daß die Korsaren einen gewaltsamen Angriff auf das Schloß planten ...

In dem Augenblicke, als man von der Schaluppe des Barons das Korsarenschiff zuerst entdeckte, saß Donna Ida auf der Schloßterrasse. Sie war schön und anmutig, mit zartem, rosigem Teint und tiefschwarzen Augen, zierlich und biegsam wie eine Gerte.

Wenige Schritte von ihr entfernt, hockte auf einem Teppich ein junger Maure von dunkler Hautfarbe, schwarzem Haar und kühnem, äußerst regelmäßigem Gesichtsschnitt. Das Kinn war von einem spärlichen Bärtchen beschattet. Er hielt auf den Knien eine Laute mit langem Griff, eine algerische Tiorba.

Der Afrikaner, der Barbareske, der Sohn jenes Eroberervolkes, das seine Waffen nach Spanien, ja bis ins Herz Frankreichs getragen hatte, war in ihm unverkennbar. Er trug auch dessen Gewandung: seidenen Turban, grüne, silberverzierte Jacke, weite, rote Pluderhosen und gelbe Pantoffeln.

Seine feinen, nervösen Finger entlockten von Zeit zu Zeit, wie in Zerstreutheit, den Saiten süße Töne. Zuweilen schaute er in stiller Bewunderung auf das reizende Mädchen, deren Blicke auf das Meer gerichtet waren.

Hin und wieder leuchteten die Augen des Mauren blitzartig auf, und der Mund ließ ein Gebiß sehen, das einem Panther ähnlich war. In jenen Momenten hafteten seine Blicke auf der Feluke. Das braune Gesicht nahm den Ausdruck eines Raubtiers an, das auf Beute lauert und schon das Blut des Opfers wittert.

Die junge Gräfin schien sich nicht um den Lautenspieler zu kümmern. Auch sie schaute in ängstlicher Spannung auf die Silberfläche des Meers und auf die geheimnisvollen Manöver des Fahrzeugs.

Plötzlich wandte sie sich zu dem Mauren um: »Zuleik, wem gehört wohl der kleine Segler, der seit drei Abenden sich hier zeigt und des Morgens verschwindet? Er beunruhigt mich!«

»Ach, eine erbärmliche Feluke. Wie kann das die Herrin erschrecken! Es werden Fischer aus Cagliari oder aus Antioco sein!«

»Wenn es aber barbareskische Korsaren wären?« »Im Schloß stehen ja vier Kanonen auf den Wällen und eine auf dem Turme. Wie könnte ein so kleines Schiff wagen, sich ihren Schüssen auszusetzen!«

»Ich würde ruhiger sein, wenn der Baron Sant’ Elmo mit seiner Galeere hier wäre!«

Ein wilder Blitz leuchtete aus den Augen des Afrikaners. »Erwartet ihr ihn, Herrin?«

Mit Mühe unterdrückte er seine Unruhe.

»Ja, seine Galeere muß Malta schon verlassen haben. Siehst du nicht tapfere Männer immer gern?«

Ein leises Erröten überzog ihre Wangen.

»Aber sie wollen meine Rasse ausrotten, diese Tapferen!« zischte Zuleik.

»Deine Leute greifen uns ja fortgesetzt an!«

»Das ist Mohammeds Gebot!«

»Und Gott waffnet den Arm unserer christlichen Krieger zur Verteidigung!«

Der Algerier zuckte die Achseln und zupfte wieder die Saiten der Tiorba.

»Was ist das mit der Feluke!« rief Donna Ida, die sich jetzt lebhaft erhoben hatte. »Sie wendet und macht Miene, nach Sant Pietro zu segeln!«

»Es werden sicher Fischer sein!«

»Vor einer halben Stunde habe ich aber dreimal vom Verdeck des Schiffes blitzartig helle Lichter aufflammen sehen!«

»Ich habe nichts bemerkt.«

»Du warst ja unten am Strande!«

»Wenn unsere algerischen Fischer bei Nacht auf See sind, zünden sie Feuer an, um die Fische anzulocken!« erwiderte der Maure. »Ihr werdet solches Feuer wahrgenommen haben!«

»Nein, sicher, ich täuschte mich nicht!«

Zuleik lächelte und zupfte von neuem die Saiten. Aber seine mageren Finger entlockten ihnen jetzt rauhe, wilde Töne, als wenn er das Geschrei der Araber bei Kampfspielen oder im Angriff nachahmen wollte.

Die Töne schienen auch auf den Spieler selbst nicht ohne Einfluß zu bleiben. Sein Gesicht nahm einen wilden Ausdruck an. Die Augen glühten, der ganze Körper zitterte, und seine Lippen öffneten sich, als wollte er in das Kriegsgeheul der Mauren miteinstimmen.

»Was spielst du denn da?« fragte die Gräfin.

»Eine Wüstenphantasie!«

Die wilden Töne erschollen noch einige Minuten lang, dann wichen sie wieder süßesten Lauten. Der Maure schien das ferne Murmeln der Wellen, das Säuseln des Windes in den Palmen der Oasen, das Plätschern der Brunnen nachahmen zu wollen.

Plötzlich verstummte die Tiorba. Der Algerier hatte das Haupt auf die Brust gesenkt. Seine Züge waren wieder ruhig geworden. Er schien zu schlafen.

»An was denkst du, Zuleik?« fragte jetzt Donna Ida. »Du bist ja heute abend so sonderbar!«

»Ich dachte an die verlorene Freiheit, an die Moscheen im Schatten der Palmen, an die feurigen Rosse, an die lachenden Gestade meiner Heimat ... Wie oft sah ich im Traum den Marmorpalast meiner Ahnen, wo ich meine Kindheit verlebte; ich sah das Minarett, von dem der alte Muezzin morgens und abends zum Gebete rief, die marmorne Fontäne, an der abends die Frauen meines Vaters zusammenkamen, um ihre Lieder zu singen ... Ich sah die entzückende Gestalt meiner Schwester vor mir, dann wieder die Galeeren mit dem grünen Banner des Propheten, unsere feurigen Reiter im blitzenden Harnisch und wehenden weißen Mantel ...

Die Gräfin folgte lächelnd den Phantasien ihres schwärmenden Lautenspielers.

»Oh, was wäre noch aus mir geworden, wenn nicht eines Tages ein Christ mich gefangen hätte! Wo sind nun alle meine Träume von Ruhm und Eroberungen! Ein Sklave bin ich ... ! Diese Hände, geschaffen, um Keule und Säbel zu schwingen, Schild und Lanze zu führen, die Ungläubigen auszurotten, müssen nun die Tiorba spielen, als ob ich ein Weib wäre!«

Mit einem Ruck hatte der Maure die Laute von der Balustrade in den Wallgraben geschleudert.

»Zuleik!« rief da die Gräfin zornig, »du scheinst zu vergessen, daß du mein Sklave bist!«

»Darf denn der arme Sklave nicht einmal der Heimat gedenken und die verlorene Freiheit beweinen?« erwiderte der Algerier bitter.

»Ich habe dir versprochen, dich eines Tages gegen einen Christen auszutauschen. Du leidest, aber leiden die Unsrigen in den Händen des grausamen Culkelubi etwa weniger? Worüber beklagst du dich? Ich habe dich wie einen Freien behandelt, während die Christen von deinen Landsleuten gequält, gemartert und getötet werden!«

»Mich peinigt auch der Verlust meiner Freiheit wie eine Folter! Ich bin nicht zum Sklaven geboren, ich habe in den Adern das Blut der Eroberer Granadas!«

»Und trotzdem hast du während der zwei Jahre deiner Gefangenschaft keinen Fluchtversuch gemacht? Zuerst auf Malta und dann bei mir? Die Schaluppen des Schlosses liegen unbewacht, und ich habe dich frei auf der Insel umherschweifen lassen ... «

»Glaubt ihr, daß ich nie an Flucht gedacht habe?« Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er mit ruhigerer Stimme fort: »Wenn nicht das Mädchen, das meine Träume erfüllt, mich krank gemacht hätte, wäre ich längst über das Meer zum Hause meines Vaters geflüchtet!«

»Du liebst ein Mädchen?« rief Donna Ida überrascht.

»Ja, ein Mädchen, schön wie eine Jungfer im Paradiese des Propheten! Ihrethalben habe ich alle Erinnerungen an meine Familie zurückgedrängt, ihrethalben das Dasein als Sklave der Freiheit in Algerien vorgezogen. Sie hat meine Seele getrunken, sie die Mohammed nicht kennt!«

»Ist sie denn eine Christin?«

»Zu meinem Unglück!«

»Wo lebt sie?«

»Hier auf der Insel. Ich atme mit ihr dieselbe Luft, und dieselbe Sonne strahlt uns!«

»Eine Fischerstochter?«

Der Maure machte eine Gebärde höchster Verachtung. »Ich bin als Fürstensohn geboren. Wie könnte ich eine ärmliche Fischerstochter lieben. Weil ich gefangen bin? Schon morgen dürften meine Ketten fallen, und ich könnte wieder mächtig werden!«

»Hier gibt es nur Fischer auf der Insel. Ich fürchte, mein armer Zuleik, daß dein Verstand gelitten hat. Rufe meine Dienerinnen und geh jetzt zur Ruhe!«

In diesem Augenblicke ertönte am Ufer ein Hornsignal und darauf vom Turme des Schlosses der Ruf: »Zu den Waffen!«

Die junge Gräfin erschrak. »Wer kann zu dieser Stunde landen? Zuleik, rufe meine Waffenträger.« Sie war auf die Balustrade hinausgeeilt.

»Schau nur, da ist wieder die Feluke. Sollten uns deine Landsleute überraschen?«

»Es sind Christen«, antwortete der Maure mit finsterer Miene.

»Woher weißt du das?«

Jetzt ertönte eine helle Stimme durch die ruhige Luft: »Senkt die Brücke für den Baron von Sant’ Elmo!«

»Er! Carlo!« rief jubelnd die Gräfin, während sie mit der Hand zum Herzen fuhr, wie um seine Schläge zu hemmen. »Er!«

Das Gesicht des Algeriers nahm einen wilden Ausdruck an. Er ballte die Faust. Da sah er plötzlich jene von der Gräfin an den Vorabenden bemerkte Feluke rasch auf die Insel zuschießen. Im Mondschein leuchteten auch weiße Punkte am Horizont auf. Wilde Freude glänzte jetzt aus seinen Augen. »Die Panther sind da«, murmelte er. »Sie dürsten nach Christenblut!«

Die Zugbrücke wurde mit dumpfem Krachen heruntergelassen. Der Wachthauptmann, gefolgt von vier mit Fackeln versehenen Schildträgern, begrüßte den Ritter und seine Leute, indem er ihm im Namen der Schloßherrin den Willkommen bot.

»Welcher Wind führt euch zu so ungewöhnlicher Stunde her, Herr? Niemand hat euch schon erwartet!«

»Ein böser Wind, mein alter Antiochus! Ein Wind, der aus Algerien weht. Hebt sofort die Brücke, ladet die Kanonen und weckt alle Leute! Die Barbaresken sind in Sicht. Wo ist eure Herrin?«

»Sie harrt eurer im Saal.«

»Herr Antiochus« wandte sich jetzt der Katalane an den Hauptmann, »vergeßt nur nicht, daß wir hungrig und vor allem durstig sind! Und mit leerem Magen läßt sich schlecht fechten!«

»Das Gewünschte soll gleich zu Stelle sein!«

Der junge Ritter stieg die Freitreppe zu den Gemächern empor, wo Donna Ida in größter Unruhe seiner harrte.

Zuleik stand im dunkleren Teil des Saales. Er glich einem lauernden Raubtier.

Als Sant’ Elmo eintrat, den federgeschmückten Helm in der Hand und die Rechte am Degen, konnte die Gräfin einen freudigen Aufschrei nicht unterdrücken.

»Welch frohe Überraschung! Mein Herz hat mich nicht getäuscht!«

»Hast du mich denn erwartet?« fragte der Baron, indem er die ihm entgegengestreckte, kleine Hand aufs zärtlichste küßte.

»Nicht gerade heute abend, aber seit einigen Tagen schon spähte ich nach deiner Galeere aus. Wir Frauen fühlen von ferne die Nähe derer, die wir lieben!«

»Leider bin ich ohne meine Galeere gekommen. Der Sturm hatte ihr Steuer beschädigt, und darum mußte sie in einem Nothafen landen. Ohne diesen Unfall wäre ich schon gestern angelangt, und die Mauren hätte sich nicht in deine Nähe gewagt!«

»Die Mauren?« rief Donna Ida entsetzt.

»Dürften bald hier erscheinen!«

»Dann war also die Feluke, die ich seit drei Tagen sah ... «

»Der Vorläufer einer Flotte.«

»Woher stammt dir diese Kunde, Carlo?«

»Von einem Fischer, der sie mir selber brachte.«

»Und ihr seid sofort hierher geeilt?«

»Um meine Braut zu verteidigen oder mit ihr zu sterben.«

»Also steht wieder ein Sturm auf das Schloß bevor! O Himmel!«

»Sicher. Doch fürchte nichts, Ida! Ich habe zwar nicht viel Leute bei mir, aber es sind die tapfersten meiner Schiffe. Wieviel Mann sind hier zur Stelle?«

»Etwa 20, darunter 12 Krieger.«

»Dann sind wir zusammen nur 34 Mann? Allerdings recht wenig gegen die zahlreichen Feinde, die mit starker Artillerie kommen!«

»Erlaubt ihr mir einen Rat?« fragte der in diesem Augenblick hervortretende Maure.

»Ach, du bist es, Zuleik«, rief Sant’ Elmo. »Ich hatte dich nicht bemerkt!«

»Auf der Insel leben mehr als 200 Fischer, starke Männer, alle kampfgewöhnt, welche die Besatzung verstärken könnten!«

Der Ritter sah ihn erstaunt an. »Du gibst diesen Rat, der du dich freuen müßtest, deine Landsleute wiederzusehn?«

»Ich ersehne die Freiheit nicht!«

»Aber vor kurzem hast du dich erst über deine Gefangenschaft beklagt«, warf die Gräfin ein.

»Ja, brächte mir die Freiheit zugleich den Besitz der Auserwählten! ... Wenn der Ritter mit mir ins Dorf ginge, während die anderen sich zur Verteidigung rüsten, könnten wir in einer halben Stunde die Kämpfer zusammenbekommen!«

»Erst wollen wir nachsehen, ob die Korsaren wirklich schon in Sicht sind!« antwortete der Malteser.

Alle drei traten auf die Terrasse hinaus. Unter ihnen wurden zwei langrohrige Geschütze fertiggemacht.

Auch auf dem Turme war man in gleicher Weise beschäftigt.

Der Baron überschaute rasch das Meer. Er sah die Feluke etwa 300 Meter von der Küste dem Südende der Insel zueilen. Plötzlich erbleichte er, denn er hatte die Segel bemerkt, die von der Ferne sich näherten. »Die Barbaresken!« rief er.

»Sind es viele?« fragte die Gräfin, ängstlich sich an ihn klammernd.

»Noch kann ich sie nicht zählen! Sie segeln dicht zusammen und sind zu fern!«

Es entging aber Donna Ida nicht, daß seine Augen tiefe Besorgnis widerspiegelten. »Ich glaubte, an deiner Seite Tage süßen Glückes zu verleben, Geliebter, und jetzt ... Werden uns die Feinde überwältigen, mein Carlo?«

»Die Türme und Mauern dieser Burg sind fest und unsere Panzer nicht minder. Wir haben die Piraten schon früher zurückgeschlagen, wir werden es auch diesmal tun!«

»Aber damals waren die Malteserritter dabei!«

»Unser Mut wird die Zahl ersetzen. Überdies ist meine Galeere nah’, und der Kanonendonner wird den Eifer meiner Leute auf der Galeere beflügeln ... Komm, Zuleik, wir wollen die Fischer rufen. Ihre Familien sollen sich sofort nach Sardinien einschiffen. Noch ist es Zeit zur Rettung!«

»Wenn aber die Besatzung der Feluke inzwischen landet?« fragte die Gräfin.

»Sie werden vor Ankunft ihrer Galeeren nicht an Land gehen«, bemerkte Zuleik, während ein boshaftes Lächeln seinen Mund umspielte.

»Ist das Arsenal gut gefüllt, Ida?«

»Es dürften für 200 Mann Waffen da sein!«

»Dann eilen wir, Zuleik! Ehe die Schiffe der Feinde hier sind, kann noch eine Stunde vergehen!«

3. DER VERRAT DES MAUREN

Einige Minuten später verließ der Baron mit dem Mauren zu Pferd die Burg. Die Gräfin auf der Terrasse folgte ihnen mit den Blicken, nicht ohne die Besorgnis, daß doch eine Korsarenschar unbemerkt landen und sich in der Nähe versteckt halten könnte.

Doch der Ritter war ruhig, solange er die Feluke noch ihren Kurs nach dem Süden der Insel richten sah. Er lockerte nur das Schwert in der Scheide und rückte den Dolch zurück.

Auch der Maure hatte, ehe er die Burg verließ, einen Stahlpanzer angelegt und sich mit Schwert und Dolch gewappnet.

Vom Ufer aus sahen sie, wie die Galeeren den Signalen der Feluke folgten, die mit Hilfe des Mondlichts durch einen Metallspiegel gegeben wurden. Aber sie waren noch fern, da die Brise sehr schwach wehte.

»Wir haben Zeit«, sagte der Baron.

»Ja, Herr, mehr als nötig«, antwortete der Maure. Sie ritten nebeneinander den Weg zum Dorf entlang.

Es waren nur ein paar Kilometer, die sich zu Pferd in zehn Minuten zurücklegen ließen.

»Galopp«, rief der Baron, sein Pferd anspornend.

Das Schloß verschwand hinter einem dichten Eichenwäldchen. Die beiden Pferde flogen nur so über den Sand.

Sie hatten den halben Weg zurückgelegt, als das Roß des Algeriers einen unerwarteten Sprung machte.

»Was tust du?« fragte der Ritter.

»Ich versperre euch den Weg«, antwortete der Maure, während Sant’ Elmo sein Pferd parierte.

»Bist du wahnsinnig geworden? Was heißt das?«

»Daß einer von uns weichen muß!« rief der Afrikaner düster. »Die Dame, die ihr liebt und die mir die Ruhe meiner Nächte raubt, kann nur einem Manne gehören. Die Gräfin Santafiora!«

»Elender Sklave, du wagst es ... «

»Der Sklave ist vom Blute der Kalifen, ein Fürstensohn. Mein Adel wiegt euren auf!«

»Hund«, schrie der Ritter. »So hast du also der Feluke die Signale gegeben und die Barbaresken angelockt?«

»Ich war es.«

»Verräter, stirb!« Mit einem Satze war er dicht bei dem Mauren und führte einen Schwertstoß nach seinem Halse. Aber er fand einen ebenbürtigen Gegner. Zuleik, stark und gelenkig, parierte den Stoß, der nur den Hals seines Rosses traf und versuchte nun seinerseits, den Feind tödlich zu treffen. Jedoch prallte seine Klinge an dessen Panzer ab.

»Weg frei!« schrie Sant’ Elmo.

»Niemals!« war die Antwort.

»Die Galeeren nahen!«

»Nur ihr habt sie zu fürchten, nicht ich!«

»Gib den Weg frei, um der Gräfin willen!«

»Um ihretwillen will ich euch töten!« entgegnete Zuleik.

Der Baron entschloß sich zum Angriff, das Schwert in der einen, den Dolch in der anderen Hand. Aber der Maure wich ihm aus. Im Galopp begann er den Ritter zu umkreisen, nach Art der Wüstensöhne, und so geschickt anzufallen, daß Sant’ Elmo alle Aufmerksamkeit nötig hatte, um den Hieben des Gegners auszuweichen. Ein Streich des Algeriers zerfetzte seinen grünseidenen Ärmel.

»Ein guter Hieb«, rief der Ritter. »Es soll dein letzter sein!« Geschickt zwang er sein Pferd fast zur Erde, löste die Füße aus den Bügeln, sprang auf den Feind los und suchte ihn vom Pferde zu reißen.

Auch letzterer wußte sich vom Sattel frei zu machen. Im selben Augenblick rief er: »Zu Hilfe, zu Hilfe im Namen Allahs und Mohammeds!«

»Ah, Elender, du rufst die Leute der Feluke!« Er hieb auf ihn ein, konnte aber nicht seiner Herr werden. Die Panzer dröhnten von den Schwertstreichen.

Zuleik wich im Kampfe nach den Dünen zu. Hier ließ er plötzlich seinen Dolch fallen, ergriff eine Handvoll Sand und warf sie dem Gegner ins Gesicht. Aber dieser konnte dem Wurf ausweichen und streckte den Mauren durch einen wuchtigen Hieb auf den Helm zu Boden. Schon wollte er ihm den Dolch in den Nacken bohren, als 10 bis 12 Bewaffnete unter wildem Geschrei auf der Düne erschienen. Es mußte die Bemannung der Feluke sein. Ihre braunen, mageren Gesichter, die bunten, um die Helme gewickelten Tücher und die Gewänder bewiesen es.

Dem Baron blieb nur übrig, auf sein Pferd zu springen und im vollen Galopp nach dem Schlosse zu flüchten. Vergebens suchten die Korsaren ihn einzuholen.

Noch war er fern vom Ziel, als er von Süden her wildes Geschrei, Jammerrufe von Frauen und Kindern und Gewehrfeuer hörte. Ein Blick zeigte ihm eine helle Röte hinter dem Eichengebüsch. Offenbar hatten die Seeräuber das Fischerdorf überfallen und in Brand gesteckt.

Plötzlich rief eine Stimme in schlechtem Italienisch: »Halt!« Statt zu gehorchen, spornte der Ritter sein Pferd noch mehr an und schwang seinen Degen. Ein halbes Dutzend Bewaffneter suchte ihm den Weg zu versperren. Aber er sprengte die Reihen. Ohne Zögern streckte er mit einem Pistolenschuß den ersten Angreifer nieder und hieb so wild auf die anderen ein, daß sie momentan zurückschreckten. So konnte er im Galopp zum Schlosse gelangen.

Die Brücke senkte sich. Eben wollte sein Pferd sie betreten, als drei Schüsse fielen. Das arme Tier brach zusammen. Der Ritter fiel mit ihm, doch hatte er die Geistesgegenwart, noch rechtzeitig die Füße aus den Bügeln zu ziehen.

Von der Terrasse aus sah es die Gräfin. Sie schrie angsterfüllt auf, da sie ihn verloren glaubte. Aber schon im nächsten Augenblicke eilte Sant’ Elmo über die Brücke.

Ein Kugelhagel ergoß sich vom Schlosse auf die heranstürmenden Feinde.

Gerührt begrüßte Eisenkopf den Geretteten, während die Brücke wieder hoch ging. »Ihr wart in Gefahr, mein Ritter, und ich, der eurem Vater versprochen, über euch zu wachen, war nicht dabei ... !«

Der Baron stürmte an ihm vorüber zur Braut, die ihn, totenbleich vor Aufregung, erwartete.

»Wie habe ich um dich gezittert!«

Er schloß sie stumm in seine Arme.

»Wo ist Zuleik?«

»Sprich nicht von ihm, mein Lieb! ... Sag’, gibt es einen unterirdischen Gang hier im Schloß?«

»Jawohl. Er führt zum Turm.«

»Kennt ihn Zuleik?«

»Er ist nur mir und dem Wachthauptmann bekannt.«

Der Baron atmete auf. »Zuleik hat uns verraten. Nun aber an die Verteidigung der Burg!«

4. DER ANSTURM DER BARBARESKEN

Die Korsaren hatten die Insel besetzt. Infolge der Dunkelheit und der Sorglosigkeit der Fischer hatten sie sich, ohne Widerstand zu finden, des Dorfes bemächtigt. Männer, Frauen und Kinder, im Schlafe überrascht und erschreckt von dem wilden Geschrei und den Flintenschüssen, waren den Räubern zur Beute gefallen und nach den Galeeren geschleppt worden.

Nachdem die Barbaresken die Hütten niedergebrannt hatten, wandten sie sich gegen das ihnen seit langem verhaßte Schloß der Grafen von Santafiora.

Während die vier Galeeren und die Feluke nach dem Hafen gesegelt waren, um von dort aus das Schloß zu beschießen, hatten etwa 300 Mann ihrer Besatzung sich in aller Stille, mit Sturmleitern versehen, an die Burgmauern geschlichen.

Der wachthabende Hauptmann bemerkte sie erst, als sie sich bereits in dem zur Zeit fast ausgetrockneten Wallgraben befanden. Er gab Alarm und unterrichtete den Baron und die Gräfin von der nahen Gefahr. Die Kanonen waren jetzt nur noch gegen die Galeeren zu brauchen.

Der Ritter hatte die Feinde in solcher Nähe nicht erwartet. Aber er ließ sich nicht dadurch schrecken. Auch die junge Gräfin war jetzt beherzter. War sie doch seit der Kindheit an Gefahren gewöhnt!

Die besten Artilleristen standen auf Turm und Bastionen. Alle anderen Männer waren in Panzer gekleidet und bereit, die Stürmenden zurückzuschlagen. Die Frauen heizten indessen in der Küche große Kessel voller Wasser und Öl.

Sant’ Elmo hatte den Befehl erteilt, die Schiffe durch Kanonenfeuer fern vom Hafen zu halten. Während die Kugeln ihnen den möglichsten Schaden in der Bemastung taten, wurden die Angreifer im Graben mit siedendem Wasser und Öl begossen. Donna Ida hatte ihre Dienerinnen angespornt, beides reichlich auf die Wälle zu tragen. Aber die Korsaren im Graben wichen nicht. Ein Häuflein der kühnsten versuchten es, die Brücke zum Fallen zu bringen, während andere auf den Leitern vordrangen.

Der Angriff auf die Brücke war abgeschlagen worden. Der Hauptmann hatte vom Turme aus durch Geschütze die Soldaten zurückgeworfen, vermittels einiger Ladungen gehackten Eisens und Glases.

Dagegen waren die Stürmenden auf den Leitern im Schutze des Pulverdampfes und des Feuers der Galeeren erfolgreich vorgedrungen. Aber der Baron und seine Tapferen, die sich furchtlos dem feindlichen Feuer aussetzten, ermüdeten nicht im Abschlagen der Angreifer.

Der Graben füllte sich mit Toten und Verwundeten, jedoch kam von den Galeeren immer wieder neuer Nachschub.

Der Kampf wurde ein verzweifelter. Man mußte die Leute vom Turme zu Hilfe rufen. Für eine gestürzte Sturmleiter wurden zwei oder drei angelegt. Auf die Terrasse und in die Fenster des Schlosses wurden brennende Reisigbündel geschleudert. Die Fallbrücke, die nicht mehr vom Turm aus verteidigt werden konnte, kam in schwerste Gefahr.

Mit tiefstem Seelenschmerz sah der Baron den Zeitpunkt nahen, wo seine Leute nicht mehr imstande sein würden, die Angriffe abzuwehren.

Schon hatte ihm Antiochus zugeraunt: »Wir können uns nicht länger halten!«

»Wo ist die Gräfin?« fragte der Ritter erregt.

»Auf der oberen Terrasse!«

»Sagt ihr, daß sie sich in den Turm zurückziehen solle, wo wir den letzten Widerstand leisten werden. – Eisenkopf, halte vier Mann bereit, um die Brücke abzuschneiden!«

Der Katalane, der eben noch, hinter einer Zinne versteckt, Keulenhiebe auf die Köpfe der Feinde geführt hatte, antwortete nicht.

»Sollte er tot sein?« dachte Sant’ Elmo. Dann warf er einen Blick um sich. Fünf oder sechs seiner Seeleute und Soldaten lagen da, getötet von den Kugeln der Schiffsgeschütze. Aber der Katalane war nicht darunter.

»Er wird bei Donna Ida sein«, sagte er sich. Und mit dem Rufe: »Zieht euch zurück! Alle nach dem Turme!« stürzte er zur Bastion.

In demselben Augenblick ertönte Triumphgeschrei von dem äußersten Ende der Bastion. Die Korsaren hatten die Zinnen erstiegen, eilten auf die Terrasse und trieben den Rest der fliehenden Verteidiger vor sich her.

Durch all den Waffenlärm hindurch hörte der Ritter einen Ruf: »Carlo, mein Carlo!«

Da sah er inmitten der Frauen, die über die vom Schlosse zum Turm führende Brücke sich drängten, seine Braut, während eine Schar Korsaren ihnen den Weg abzuschneiden suchte.

»Folgt mir«, schrie er. »Rettet die Gräfin!«

Ohne sich umzuschauen, stürzte er sich auf die Räuber und spornte die noch standhaltenden Soldaten an, die Holzbrücke zum Turme freizuhalten. Wie ein Tiger hemmte er den Ansturm der Feinde, die von allen Seiten, auch aus den Gemächern des Schlosses, hervordrangen.

Da trat ihm ein Schwerbewaffneter mit geschlossenem Helm entgegen, der mit beiden Händen ein Schwert schwang.

Der Baron hatte gerade noch Zeit, den Schild eines Gefallenen zu ergreifen. Er parierte den Hieb des Gegners und beantwortete ihn mit einem Kolbenschlag, der das Visier des Feindes sprengte.

Das Gesicht des letzteren wurde sichtbar. Wütend brüllte der Ritter: »Zuleik! Bei Gott, diesmal entgehst du mir nicht!«

»Ja, Zuleik!« entgegnete der Maure mit dem Ausdruck wildesten Hasses. »Zuleik, der die Dame eures Herzens liebt und sie euch raubt!«

»Stirb, Hund!« schrie Sant’ Elmo und griff aufs neue an.

Mitten im Kampfgetümmel hatte sich um die beiden Kämpfer eine Lücke gebildet. Der vor Zorn rasende Ritter focht mit äußerster Kraft. Zuleik führte dagegen mit seinem Zweihänder Hiebe, die einen Felsen sprengen konnten. Doch keiner der Streiter erreichte sein Ziel, als plötzlich vom Turm der alte Wachthauptmann rief: »Die Brücke fällt!«

Die mit ihrer Zerstörung betreuten Soldaten warteten nur auf die letzten Verteidiger, um die Balken stürzen zu lassen.

In dieser Lage gab der Baron den Kampf auf und eilte zum Turme. Er hatte kaum die Pforte erreicht, als mit donnerndem Krachen die Brücke fiel und verschiedene Feinde unter sich begrub.

Wilde Todesschreie, Flüche, dann eine Staubwolke, die Tote und Sterbende verhüllte.

Die Angreifer hatten sich wieder auf die Terrasse zurückgezogen, auf die von der Plattform des Turmes aus schwere Steine und Zinnenstücke und von der Tür her Kugeln hagelten.

Schweißgebadet, den Helm zerdrückt und den Panzer mit tiefen Furchen, stürzte Sant’ Elmo zur Plattform. Dort fand er die Gräfin mit ihren Frauen bei den Seeleuten, welche die Kanonen bedienten.

»Wir sind verloren, Carlo«, rief sie schluchzend, »es bleibt uns nur der Tod!«

»Noch nicht!« antwortete der Ritter. Noch ist der Turm unser! Wir werden ihn mit Gottes Hilfe bis zur Ankunft meiner Galeere halten. Die Kanonade muß ja in Sardinien, vielleicht in Cagliari, gehört worden sein!«

»Du willst mich trösten!« Donna Ida lächelte unter Tränen. »Wie tapfer du gekämpft hast!«

Die Stirn Sant’ Elmos verdüsterte sich. »Nur einer schreckt mich! Zuleik! Wir haben soeben wieder gekämpft, ohne daß ich ihm den tödlichen Schlag versetzen konnte!«

»Warum haßt mich nur dieser Verräter?«

»Haß?« rief der Baron, »Liebe hat ihn dazu getrieben, das Schloß zu stürmen. Liebe zu dir!«

In diesem Moment erschien der Hauptmann mit den wenigen überlebenden auf der Plattform. »Wir haben das Tor verbarrikadiert und eine Mine unter den Turm gelegt«, rief er. »Ich nahm an, daß auch ihr lieber unter den Ruinen begraben sein wollt, als den Ungläubigen lebend in die Hände zu fallen!«

»Recht gehandelt!« erwiderte der Ritter. »Lieber Tod als Sklaverei! Wieviel Leute haben wir noch?«

»Vierundzwanzig und die Frauen.«

»Und Eisenkopf?«

»Ist hier!«

»Lebt er?«

»Es geht ihm besser als den anderen!«

»Setzt 10 Mann an die Geschütze, die anderen in den ersten Stock des Turms! Munition und Arkebusen sind genügend vorhanden. Wir müssen uns bis zur Ankunft der Galeere halten!«

»Aber was kann diese allein gegen fünf Schiffe ausrichten, Herr Baron?«

»Ich hoffe, sie kommt nicht allein. Wenn der Kanonendonner gehört wurde, werden auch andere Schiffe uns zur Hilfe eilen. Verteilt inzwischen unsere Leute auf die Kampfposten! Antiochus, Mut! Vertrauen wir Gott und unseren Schwertern!«

5. DIE MINE

Der Turm, in dem die Belagerten Zuflucht gesucht, war ein viereckiger, fester Steinbau auf der Nordseite des Schlosses. Getrennt von den übrigen Gebäuden, auf einem Hügel erbaut, erhob er sich zu einer Höhe von 40 Metern und zählte drei Stockwerke mit wohl verwahrten, mit Eisenstäben versehenen gotischen Fenstern. Wahrscheinlich hatte er einstmals als Gefängnis gedient. Die Mauern waren von riesiger Stärke. Von den Kellern aus führte ein geheimer Gang in das nahe Gebüsch, damit gegebenenfalls die Verteidiger einen Weg ins Freie finden oder die Feinde im Rücken überfallen konnten.

Nichtsdestoweniger konnten der Baron und die Belagerten bei der Überzahl der Feinde und ihrer Geschütze sich im Turm nicht sicher fühlen.

Die Korsaren waren trotz ihrer Verluste mutig und siegesgewiß. Die Gewehrschützen schossen aber noch von oben auf die Feinde, welche ihrerseits mit Hacken und Beilen die Mauern zu zerstören suchten, während die Galeeren die Stockwerke unter Feuer hielten.

Von allen Seiten hagelten Kugeln auf den Turm. Gleichzeitig legten die Korsaren Minen an, um die Mauern in die Luft zu sprengen.

Der Baron war unaufhörlich bemüht, den Mut der Belagerten mit der Hoffnung auf Hilfe aufrecht zu erhalten. Unablässig schaute er aufs Meer, aber kein Licht zeigte sich beim Untergang des Mondes.

Unwillkürlich befielen auch ihn Zweifel am Gelingen des Sieges, aber er fuhr fort, die mit ihren Dienerinnen in einer Ecke kauernde Gräfin zu trösten. »Mut, Mut! Wenn wir bis zum Morgen aushalten, werden die Korsaren sich zurückziehen!«

Auch der leichenblaß gewordene Eisenkopf bemühte sich, seinem Herrn nachzueifern. »Laßt die Hunde nur kommen! Wer sind sie denn, die Ungläubigen! Teufelssöhne, die wir wieder zur Hölle befördern müssen! Gott ist mit uns, wir werden sie schon vernichten!«

Leider bedrohte die Vernichtung weit eher die Belagerten. Schon hörte man die Hacken der Feinde an den Mauern immer stärker und deutlicher.

Die Kanoniere auf dem Dach hatten sich in die unteren Räume flüchten müssen. Die Hälfte von ihnen war unter den Steinkugeln der Feinde gefallen.

Die Räuber beschossen jetzt die Fenster, und mehr als ein Geschoß drang in die Zimmer. Der schreckliche Augenblick der Kapitulation oder des Untergangs der Belagerten rückte immer näher. Der Baron zweifelte allmählich an dem rechtzeitigen Eintreffen seines Schiffes.

»Unser Ende naht«, flüsterte er schmerzbewegt der Gräfin zu. »Gott verläßt uns. Ziehst du Sklaverei oder Tod vor, Ida? Wenn du zustimmst, versuchen wir das letzte Verteidigungsmittel!«

»Was planst du?« fragte die schreckensbleiche Gräfin.

»Einen Ausfall durch den geheimen Gang!« »Wird er nicht schon entdeckt sein?«

»Ich weiß es nicht, aber wenn du einverstanden bist,

steigen wir in den Keller. Ich fürchte nur eins. Daß die Algerier eine Mine springen lassen, um uns alle zu töten!«

»Großer Gott«, schrie Eisenkopf. »Eine Mine! Dann sind wir alle verloren!«

»Wir können jeden Augenblick eine Explosion erwarten«, sagte der Wachthauptmann. »Ich sah die Räuber soeben von den Felsen abklettern. Das Benutzen des Geheimganges rate ich nicht. Das Kellergewölbe kann über uns zusammenbrechen!«

»Dann ist alles zu Ende!« seufzte Donna Ida.

»Noch nicht«, versuchte der Ritter zu trösten. »Selbst wenn eine Mine hochgeht, fällt der Turm noch nicht ein. Er ist fest. Aber es könnte eine Bresche entstehen, durch welche die Korsaren eindringen würden. Die enge Treppe ist jedoch leicht zu verteidigen. Wieviel Mann sind wir noch?«

»Kaum fünfzehn.«

»Das genügt für Widerstand. Inzwischen muß Hilfe nahen!«

Der alte Kommandant schüttelte den Kopf, winkte dem Baron und flüsterte ihm zu: »In einer halben Stunde sind wir gefangen oder tot. Die Korsaren haben schon den Zünder ihrer Mine in Flammen gesetzt, und diese Explosion wird auch die meiner Mine herbeiführen!«

Der Ritter fuhr zusammen. »Dann gehen wir alle in die Luft. Ich bin Soldat, der Tod schreckt mich nicht. Aber die Gräfin, eure Herrin ... «

»Besser Tod als Sklaverei! Übrigens glaube auch ich nicht an den Einsturz des Turms, aber die Treppe wird einstürzen und uns den Rückzug abschneiden!«

»Wenn ich nur Zuleik vorher töten könnte!« murmelte Sant’ Elmo zähneknirschend. »Dann ginge ich leichter in den Tod!«

»Herr Baron«, rief plötzlich Antiochus, der wieder Ausschau gehalten hatte. »Ich sehe, es dürfte noch einige Zeit bis zur Explosion vergehen. Wir könnten da noch meine Mine, die gefährlichere, durch Wasser unschädlich machen. Ich eile zur Stelle.«

»Wenn du dem Tode trotzest, tue ich es auch. Zuleik würde mich doch nicht schonen!«

Der Ritter drückte der in die Knie gesunkenen Gräfin einen Kuß auf die Stirn und stürzte zur Treppe.

Der Kommandant wehrte ihm jedoch. »Laßt mich allein gehen. Ich bin alt, ihr jung!«

Und Donna Ida schrie verzweifelt auf: »Carlo!«

Aber der Ritter eilte in wenigen Sätzen hinunter zu dem Raum, wo die Pulverfässer standen. In der Ecke befand sich die Tür zu dem geheimen Gang. Antiochus riß sie auf und betrat den niedrigen, in den Felsen gehauenen Weg. »Hier ist die Mine, rasch, Herr!«

Sant’ Elmo leerte ein großes bereit stehendes Faß Wasser auf die Mine.

»Nun eilig fort!« rief der Alte.

Da zuckte ein Blitz auf.

Beide fühlten sich wie von einer unwiderstehlichen Gewalt in den Gang zurückgerissen.

Ein furchtbares Krachen folgte, Schreie, Lärm ...

Jetzt verloren sie das Bewußtsein.

Als der Baron wieder zu sich kam, herrschte tiefes Schweigen um ihn. Er lag in dem unterirdischen Raum, wohin ihn die Explosion geschleudert und fühlte sich wie zerschlagen, hatte keine Gewalt mehr über seine Glieder. Einen Augenblick glaubte er, schon im Reiche der Toten zu sein ... Da kehrte ihm das Bewußtsein zurück, und seinen Lippen entrang sich ein wilder Schrei! Er schlug an die Mauern, er weinte wie ein Kind. Dann beugte er sich über seinen unbeweglich daliegenden Begleiter. Unter dessen Helm drang ein Blutstrom hervor. »Tot!« rief er schmerzlich.

Der Mann hatte beim Hinstürzen sich den Schädel eingeschlagen.

»Also noch ein Freund ist zu rächen. Wehe dir, Zuleik! Käme nur erst die Stunde, wo ich dich finde!«

Er schaute sich um. Von der Tür her kam ein Lichtstrahl. Die Sonne war also aufgegangen. Mit großer Mühe tastete er sich in das Kellergemach zurück. Eine weite Bresche klaffte da in einer Ecke. Zwischen Fässern, Waffen und anderen Gegenständen lagen mehrere tote Korsaren. Es mußte also ein Kampf stattgefunden haben.

Auf der nicht zerstörten Treppe fand er weitere Leichen. Blut strömte von oben herab. Korsaren und Christen lagen durcheinander. »Alles tot. Und meine Braut ... ?«

Mit äußerster Selbstüberwindung bahnte er sich einen Weg nach oben über die Gefallenen hinweg. »Ida, Ida!«

Er war fast oben, als er eine menschliche Stimme zu hören glaubte.

»Wer ruft?« schrie er. Da antwortete es von oben: »Wo seid ihr, Herr Baron?«

Staune und Freude ergriff den Ritter. Er erkannte die Stimme Eisenkopfs. War es möglich, daß er sich gerettet hätte ... ?

Er stieg zum ersten Stock hinauf. Auch hier nur Leichenhügel. Aber von der oberen Plattform hinabführenden Treppe kam der Katalane hinuntergestiegen.

Er warf die eiserne Keule von sich und stürzte aufschluchzend dem Ritter entgegen. »Ach, Herr. Das Unglück!«

»Wo ist die Gräfin?« schrie ihm der Baron voller Angst zu.

»Geraubt! Geraubt von Zuleik, dem Maurenhund!«

»Geraubt? Von Zuleik?« Dem Baron versagte die Stimme. Er fiel auf die Knie nieder.

»Herr, Herr, verzweifelt nicht! Wir werden die Räuber verfolgen. Vor kaum zwei Stunden sind sie fortgesegelt. Und eure Galeere ist in Sicht!«

»Meine ›Sirene‹?« schrie der Ritter auf, sich wieder ermannend.

»Ja, ich habe sie von oben gesehen.«

Der Edelmann sprang wie neubeseelt auf. Neue Hoffnung erfüllte sein Herz. Er bedachte nicht, wie wenig das eine Schiff den Feinden gewachsen war.

Beide stiegen auf die obere Plattform. Auch dort lag alles in Trümmern, und zwischen den Ruinen sah man nichts als Leichen.

Die Sonne verklärte Meer und Küsten. Gegen Norden zeigte sich ein großes Schiff, dessen Rutensegel und Flagge die Herkunft von Malta bekundeten. Auf dem Verdeck glänzten Helme und Panzer im Sonnenstrahl.

»Meine Sirene!« Der Ritter breitete die Arme aus, und ein Leuchten flog über sein Gesicht. »Warum konnte sie nicht früher kommen! Aber ich fühle mich bei ihrem Anblick wieder stark. Wir werden die Korsaren verfolgen, wenn nötig, selbst bis nach Algerien. Wir müssen sie schlagen und Zuleik, den Verräter, strafen!«

»Die Räuber sind nach Südwesten abgesegelt!«

»Alle?«

»Ja, zusammen mit der voraussegelnden Feluke.«

»Warst du beim letzten Kampf, Eisenkopf?«

»Gewiß, und meine Keule hat Wunder getan!«

»Wer hat Donna Ida gefangen genommen?«

»Zuleik. Die Unsrigen waren alle verwundet oder tot bis auf mich!«

»Hat man Gewalt gegen sie gebraucht?«

»Nein, die Gräfin war ohnmächtig, als man sie forttrug. Und ihre Begleiterinnen hat man auch mitgenommen.«

»Aber auf welche Weise bist du entronnen?«

Der berühmte Nachkomme der Barbosa, der um ein Drittel magerer geworden, kraute sich verlegen den Kopf.

»Du bist einfach ausgerissen, hast dich versteckt?«

In diesem Augenblick fielen zwei Kanonenschüsse und überhoben Eisenkopf der Antwort.

Die »Sirene« erschien im Hafen.

6. DIE VERFOLGUNG

Die »Sirene« war eins der größten und besten Schiffe, die zu jener Zeit das Mittelmeer befuhren. Sie hatte ein hohes, reichverziertes Vorderteil mit einem Aufbau für Angriffszwecke. Das Hinterteil mit dem Steuer war noch höher und trug an beiden Seiten riesige Laternen. Das Mittelschiff war so stark wie möglich gegen Feinde befestigt. Die Masten trugen unten große, leicht bewegliche Rutensegel und oben viereckige Rohre. Aus dem Zwischendeck steckten die Kanonen ihre Rohre.

Die Besatzung, ohne Ahnung vom Schicksal des Schlosses, war im Begriff, vor Anker zu gehen, als der Baron und sein Begleiter am Ufer erschienen. »Laßt ein Boot herab und bleibt unter Segel!« rief er.

So sonderbar der Besatzung auch der Befehl des Kapitäns erschien, wurde er sogleich befolgt. Die Schaluppe kam eilig ans Ufer. Die Besatzung erkannte nun erst mit Entsetzen die Lage.

Der Vizekommandant eilte erschreckt auf den Baron zu: »Ritter, was ist geschehen?«

»Ihr seid zwei Stunden zu spät gekommen«, erwiderte dieser düster. »Da seht ihr das Werk der Korsaren!«

»Sie haben das Schloß gestürmt?«

»Und alle Verteidiger umgebracht!«

»Auch unsere Leute?«

»Wir beide sind die einzig Überlebenden.«

»Und die Gräfin Santafiora?«

»Gefangen. Wenn ihr keine Furcht kennt, Le Tenant, dann machen wir uns sofort an die Verfolgung der Räuber!«

Sie fuhren zur Galeere zurück. Unterwegs berichtete der Ritter von seinen Erlebnissen.

»Was mich besonders beunruhigt«, sagte er traurig, »das ist die Leidenschaft, die dieser Zuleik für die Gräfin gefaßt hat. Ehe er sie herausgibt, wäre er imstande, sie zu töten!«

»Ihr wißt nicht, auf welchem Schiff er sich befindet, Eisenkopf?«

»Es war unmöglich, das zu beobachten. Die Räuber gingen zu eilig an Bord.«

»Und vier Galeeren waren es?«

»Ohne die Feluke.«

»Eine bedenkliche Übermacht, Ritter. Wollen wir nicht erst Hilfe von Cagliari holen?«

»Damit würden wir Zeit verlieren, ohne die Sicherheit, Hilfe zu erhalten. Ich will lieber allein mein Glück versuchen. Gott wird helfen.«

»Vielleicht treffen wir einige unserer im Mittelmeer kreuzenden Schiffe!«

»Wolle Gott das fügen!« seufzte Eisenkopf.

Die Galeere war erreicht. Ihre Besatzung befand sich in höchster Aufregung. Man hatte die Verwüstung des Schlosses gesehen. Die Leute fragten sich, durch welches Wunder der Baron und sein Begleiter dem Tode entronnen waren.

Kaum an Bord, trat ersterer in ihre Mitte und rief: »Wer Furcht vor dem Tode hat, kann an Land gehen. Ich ermächtige ihn dazu!«

Keiner rührte sich.

»Wir müssen einen verzweifelten Kampf bestehen«, fuhr er fort, »bei dem wir vielleicht zugrundegehen. Einer gegen fünf. Wer auf Gott und sein Schwert vertraut, der folge mir! Es handelt sich darum, die Herrin des Schlosses mit ihren Frauen, wie die ganze Bevölkerung der Insel zu befreien. Alle sind auf die nach Afrika segelnden Galeeren geschafft worden.«

Von allen Seiten rief man: »Krieg gegen die Räuber! Wir folgen unserm tapfern Kapitän!«

»Dann hoch die Flaggen und heran die Waffen und gegen den Feind!«

Kaum hatte der Baron diesen Ruf getan, sank er zusammen. Ermattung, Überanstrengung, Hunger und Aufregung hatten ihn niedergestreckt. Er wurde in seine Kabine getragen, wohin ihm Eisenkopf traurig folgte.

Während man sich um ihn bemühte, rüstete Le Tenant die Galeere zum Kampf und setzte sie in volle Fahrt. Nach allen Seiten wurde der Horizont abgesucht, um den Feind zu entdecken.

Inzwischen war Sant’ Elmo wieder zum Bewußtsein gekommen. Seine erste Frage war, ob die Feinde in Sicht seien und ob seine Waffen bereit lägen.

»Noch haben wir sie nicht entdeckt; vielleicht nahmen sie den Kurs auf Tunis! Aber wir werden sie schon finden!« tröstete Le Tenant.

»Es kommt mir alles wie ein Traum vor«, seufzte der Ritter. »So nahe dem Glück, muß mir die Braut geraubt werden! Wie hat Zuleik es nur verstanden, seine Leidenschaft zu verheimlichen, sich nie mit einem Worte zu verraten!«

»Der Tiorbaspieler hat die Korsaren gerufen?«

»Alles spricht dafür!«

»Um die Gräfin zu entführen?«

»Ja, er behauptet, Fürst zu sein, Abkömmling der Kalifen von Cordova und Granada.«

»Und ist vier Jahre lang im Schloß geblieben? Dann muß er seinen Landsleuten durch irgendeinen Renegaten Kunde gegeben haben. Ich hätte nie geglaubt, daß der Schuft in Algerien so großen Einfluß besäße!«

»Und ich hätte nie in ihm einen so tapferen und geschickten Krieger vermutet«, sagte Sant’ Elmo. »Es wird nicht leicht sein, ihm seine kostbare Beute wieder abzujagen. Aber ich unternehme es, und wenn ich mein ganzes Vermögen dafür opfern müßte!«

»Mich werdet ihr stets an eurer Seite finden, Ritter. Sollten wir die Korsaren nicht mehr auf dem Meere erreichen, so werden wir den Orden, werden Venedig und Genua anrufen und dazu bewegen, die Macht der Barbaresken, dieser Schmach Europas, endlich zu brechen!«

»Mir wäre lieber, wir träfen sie auf hoher See. In Algerien könnte die Gräfin für mich verloren sein.«

In diesem Moment rief es vom Ausguck: »Segel in Sicht!«

Mit einem Freudenschrei sprang der Baron von seinem Lager auf und griff zum Schwert.

»Kommt, Le Tenant!«

Beide eilten nach oben, wo lebhafte Bewegung herrschte. Im Südwesten zeigten sich auf dem blauen Meere einige weiße Punkte.

»Es sind die Korsaren!« schrie der Ritter. »Seht da ganz hinten die Feluke!«

»Seid ihr auch sicher? Können es nicht harmlose Handelsschiffe sein?«

»Nein, nein, ich irre mich nicht. Seht nur, sie wechseln den Kurs nach dem näheren Tunis! In wenig Stunden haben wir sie erreicht, und dann wehe dir, Zuleik! Le Tenant, wir wollen das hinterste Schiff angreifen und nehmen, ehe die anderen zu Hilfe eilen können!«

»Die Feluke soll die erste Breitseite bekommen!«

Mit allen Segeln jagte die »Sirene« jetzt hinter den Galeeren her, um ihnen den Weg nach dem stark befestigten Tunis zu verlegen.

Auch bei den Feinden bemerkte man die Vorbereitungen zum Kampf. Alles wimmelte von Bewaffneten. Offenbar wollten sie, mit ihren vielen Gefangenen an Bord, ein Gefecht vermeiden. Sie hatten früher mit der »Sirene« schon mehrfach Kämpfe zu bestehen gehabt. So setzten sie denn alle nur möglichen Segel auf.

Als die Feinde aber immer näher rückten, änderten sie plötzlich ihre Taktik. Während die eine Galeere weiter nach Süden segelte, zogen die andern nun einen Teil der Segel ein und wandten sich.

»Was soll das heißen?« rief Le Tenant. »Wollen sie uns etwa erwarten?«

»Schurken!« schrie der Baron. »Sie decken die Flucht Zuleiks und stellen sich in Schlachtordnung. Die Gräfin wird auf dem fliehenden Schiffe sein!«

»Stören wir die anderen nicht! Da wir schneller sind, wollen wir dem fliehenden Schiffe folgen!«

Der Baron ergriff das Sprachrohr. »Fertig zum Feuern!«

7. EIN HOMERISCHER KAMPF

Die Korsaren hatten sich in eine Linie geformt und segelten auf die Galeere los, um sie einzukreisen.

Aber die Malteser jener Zeit waren ihrer Seemannskunst gewachsen. Etwa 500 Meter vor dem vordersten Schiff entfernt, umsegelte die »Sirene« die feindliche Linie und verfolgte die nach Süden eilende Galeere.

Leider büßte sie dabei einen Teil des früher gewonnenen Vorteils ein. Die Feinde wendeten sich sofort. Aber noch konnten die Malteser ihnen ausweichen.

»Wenn sie uns nicht die Takelage zerschießen«, meinte Le Tenant, »könnten wir Zuleik erreichen, ehe die andern zu Hilfe kommen!«

»Es ist allerdings ein verzweifeltes Spiel«, sagte Sant’ Elmo.

»Aber wir dürfen nicht zögern! Schwört mir, daß ihr, wenn ich falle, den Kampf fortsetzt und meine Braut befreit. Mein Vermögen steht euch dabei zur Verfügung!«

»Baron«, antwortete Le Tenant bewegt, »ich schwöre es euch aufs Kreuz! Nichts werde ich unversucht lassen, die Gräfin zu retten!«

»Dank, Kapitän! Nun kann ich ruhig dem Tode ins Auge schauen!«

Die Galeere war jetzt, gefolgt von den Feinden, kaum einen Kilometer hinter der Zuleiks.

»Feuer!« kommandierte der Baron. Und vierzehn Geschütze entsandten ihre Geschosse mit voller Wucht auf die Korsaren, ehe diese Zeit fanden, ihre Breitseiten der »Sirene« zuzuwenden. Der Erfolg war gewaltig.

Die voransegelnde Feluke verlor mit einem Schlage Masten und Segel. Die anderen hatten so viele Schüsse erhalten, daß sie einen Augenblick stillstanden.

Aber das Triumphgeschrei der »Sirene« verstummte bald, als die Kugeln der Seeräuber in die Reihen ihrer Besatzung schlugen. Ihre Schüsse hatten nicht weniger gut getroffen als die der Malteser. Ein Zehntel der Christen war tot oder verwundet.

Immerhin war es der »Sirene« gelungen, ohne ernsten Schaden am Takelwerk zu erleiden, sich zwischen die fliehende Galeere und ihre Begleiter zu legen.

»Wenn der Teufel nicht sein Spiel treibt«, rief Le Tenant, »erreichen wir Zuleik, ehe die anderen herankommen!«

Des Barons Galeere näherte sich immer mehr dem Schiffe Zuleiks.

Inzwischen feuerten die anderen Korsarenschiffe ohne Pause, aber mit wenig Erfolg. Auch auf Zuleiks Galeere sah man eifrige Vorbereitungen zum Kampfe treffen. Auf 400 Meter zielten seine zwei hinteren Kanonen auf die »Sirene«. Jedoch die Kugeln flogen durch die Segel, ohne Schaden anzurichten.

»Die Schützen in die Front!« kommandierte Le Tenant.

Fünfzig Mann eröffneten ein lebhaftes Feuer auf die Räuber, die ihrerseits das Vorderkastell des feindlichen Schiffes mit Kugeln beschütteten. Doch getrieben von einer frischen Brise, drang die »Sirene« auf den Gegner ein und durchbohrte mit ihrem Bugspriet sein großes Rutensegel.

Mit einem furchtbaren Ruck, der die Kämpfer zu Boden warf, stießen beide Schiffe zusammen. Die Malteser hatten den Korsaren mit ihrem Enterhaken festgelegt. Nun stürzten sie sich unter wildem Geschrei auf die Galeere, an ihrer Spitze der Baron und Le Tenant.

Wie Panther sprangen ihnen die Mauren entgegen. Aber die Malteser drängten sie zurück. »Vorwärts«, schrie der Ritter, »ehe die anderen uns erreichen!«

Die Wut verzehnfachte seine Kraft. Energisch bahnte er sich den Weg durch die Feinde zu dem am Hauptmast errichteten Verhau. Auf dem Fuße folgten ihm seine Getreuen. Die Mauren wehrten sich aber verzweifelt. Mit donnerndem Krach fielen Schwerter und Keulen auf Helme und Panzer. Überall fielen blutend die Getroffenen nieder.

Die Barrikade wurde mit äußerster Anstrengung verteidigt. Der Baron, der schon die Schüsse der nahenden Galeeren hörte, sammelte einige zwanzig Mann, um die Barrikade zu erstürmen.

Da trat ihm ein ganz in Eisen gehüllter Mann entschlossen entgegen.

»Zuleik!« schrie Sant’ Elmo, »Schurke, endlich habe ich dich! Gib mir meine Braut wieder!«

»Hol’ sie dir, aber erst versuche es, mich zu töten!« war die Antwort.

Kämpfende Paare trennten in diesem Augenblick die beiden Nebenbuhler.

Die Korsaren wichen zurück. Der Sieg der Malteser schien sicher und die Wegnahme des Schiffes nur noch die Frage von Minuten, als plötzlich ein furchtbarer Kugelhagel über das Verdeck jagte. Die Galeeren hatten, ohne Rücksicht darauf, wen sie trafen, eine Salve abgegeben.

Unbekümmert um den Wutschrei Sant’ Elmos, befahl Le Tenant den schleunigen Rückzug der Seinigen. Dann stürzte der Vizekapitän auf den Baron zu, der noch immer seinen Gegner zu erreichen suchte.

»Kommt, oder alles ist verloren!« rief er ihm eindringlich zu.

Vergebens sträubte sich der Ritter. Die Zurückflutenden rissen ihn mit sich.

Die Mauren suchten nun von neuem, die »Sirene« zu erstürmen. Die Größe der Gefahr gab dem Baron wieder kaltes Blut. Mit wenigen Befehlen ließ er die Enterhaken loslösen und sammelte seine Leute.

Ein Windstoß machte das Schiff frei.

Aber während seine Kanonen wieder feuerten, kam ein Kugelregen der Feinde und richtete furchtbare Verwüstungen auf Deck an. Von allen Seiten sausten die Geschosse und zertrümmerten das Holzwerk. Der Lärm verschlang die Befehle des Kapitäns und der Offiziere.

Die auf dem Verdeck und in den Batterien befindlichen Soldaten fielen.

Das Schiff war nur noch ein Wrack, das sich wie durch ein Wunder auf dem Wasser hielt. Die Kanonen waren verstummt aus Mangel an Bedienungsmannschaft.

»Ergebt euch!« – schrien die Mauren von allen Seiten.

Mit drohender Stimme antwortete der Baron: »Malteser sterben, aber ergeben sich nicht!«

In diesem Augenblick ertönte ein Jubelruf unter den Christen. »Segel, Segel! Wir bekommen Hilfe!«

Im Norden, von Sardinien her, zeigten sich weiße Punkte am Horizonte. Von dort her konnten keine feindlichen Schiffe kommen.

Bei diesem Anblick beseelte frischer Mut die Malteser. Sie erwiderten mit großer Kraft die feindlichen Angriffe, die jetzt zu erlahmen schienen.

Die Gegner hatten ebenfalls das Nahen der andern Segel bemerkt, die sie für Abgesandte des Vizekönigs von Sardinien hielten, der den Malteserrittern helfen wollte. Sie wurden unruhig und fürchteten, zwischen zwei Feuer zu kommen. Die Entfernung war aber noch zu groß, um mit Sicherheit die Herkunft bestimmen zu können.

Der Baron und Le Tenant nutzten ihr Zögern aus.

»Vorwärts, schießt!« – riefen sie ihren Leuten zu.

»Alle Mann in die Batterien!«

Das Feuer der Christen wurde wieder lebhafter. Schüsse auf Schüsse krachten in die feindlichen Schiffe hinein. Der Kugelregen bestimmte endlich die Barbaresken, von der Beute abzulassen. Ihre Galeeren waren durch den langen Kampf stark mitgenommen. So hißten sie eilig die Segel und flüchteten, nach einer letzten Breitseite auf die wracke »Sirene«, nach Algier zu.

Das Malteserschiff blieb nun den Wellen überlassen, noch umraucht von der letzten Kanonade, und schmerzvoll empfand sein junger Kapitän die Unmöglichkeit, den Flüchtenden zu folgen.

8. DIE SCHNELLSEGLER

Während die Überlebenden – kaum die Hälfte der Besatzung – die Verwundeten vom Verdeck und aus den Batterien schafften, hatte Le Tenant den Mastkorb erklettert, um nach den sich nähernden Segeln auszuschauen.

Ein Blick zeigte ihm, daß es sich weder um sardinische Kriegsschiffe, noch um Malteser Galeeren, sondern nur um zwei kleine Fahrzeuge handelte, die für die Verfolgung der Feinde nicht in Frage kamen.

Der Ritter, der Le Tenant gefolgt war und dieselbe Beobachtung gemacht hatte, war verzweifelt.

»Baron«, suchte ihn der Freund zu trösten, »Ihr seid Soldat und dürft den Mut nicht sinken lassen. Wenn auch heute das Glück auf Seiten der Ungläubigen war, kann es sich doch in kurzem wieder wenden und uns die Befreiung der Gräfin ermöglichen!«

»Besser, eine Kugel hätte mich getroffen!« stöhnte Sant’ Elmo.

»Und wer würde dann Donna Ida zu retten versuchen?«

Der Ritter fragte, da ihm ein plötzlicher Gedanke kam: »Wofür haltet ihr die nahenden Schiffe?«

»Für Feluken!«

»Vielleicht sind es Schmuggler, Handelsschiffe wären bei dem Kanonendonner sicher geflüchtet!«

»Und wenn das der Fall wäre?«

»Dann würde ich euch das Kommando der schwer beschädigten ›Sirene‹ überlassen und selber versuchen, Afrika mit den Feluken zu erreichen. Ich kann nicht Wochen verstreichen lassen bei der entsetzlichen Vorstellung, meine Braut als Sklavin in Algier zu wissen!«

»Baron, ich warne euch vor diesem Unternehmen. Bedenkt, welchen Gefahren ihr euch aussetzt! Es kennen euch zu viele in Algier, und Zuleik wird wachsam sein!«

»Mein Entschluß steht fest. Die ›Sirene‹ ist nur noch ein Wrack. Ihr könnt die Überlebenden unserer Mannschaft nach Sardinien zurückführen, und mich werden die Feluken gegen entsprechende Vergütung nach Algier mitnehmen!«

»Dann nehmt wenigstens, wenn ihr nicht zurückzuhalten seid, einige entschlossene Männer mit!«

»Mir genügt Eisenkopf. Ich gehe nicht dorthin, um zu kämpfen, nur die Gräfin zu entführen. Gebt den Feluken das Signal!«

Diese, die das Malteserbanner schon erkannt hatten, kamen schnell heran. Sie mochten kaum 40 Tonnen groß sein, waren niedrig gebaut, trugen aber sehr viel Segel, die auch bei schwachem Winde gingen, und hatten zahlreiche Besatzung nebst zwei Kanonen an Bord.

Es waren kleine, eigens für schnelle Fahrt gebaute Schiffe, die in jener Zeit den von den Barbaresken gefangenen Christen oft wertvolle Dienste leisteten.

Bemannt mit äußerst furchtlosen Leuten, wagten sie sich in die Häfen der Mauren und benutzten dort jede Gelegenheit, um den Christensklaven zur Flucht zu verhelfen.

Sie taten das wahrscheinlich weniger aus Menschlichkeit – es befanden sich unter ihnen sogar mohammedanische Renegaten – sondern mehr in der Hoffnung auf gute Belohnung durch die Familie der Befreiten.

In maurischer Tracht, unter dem Namen tunesischer oder algerischer Kaufleute, sehr geschickt in der Handhabung der Segel, wie der Waffen, wagten sie sich bei Nacht in jene Häfen, wo sie Vertrauensmänner hatten.

Der Tod bedrohte sie täglich. Einmal gefangen, durften sie seitens der Barbaresken auf Gnade nicht hoffen. Nicht selten wurden sie in solchem Fall lebend verbrannt oder gespießt. Glücklich diejenigen, die einfach nur in ungelöschten Kalk geworfen und dann geköpft wurden!

Die beiden Feluken legten sich an der Galeere fest.

Eine mächtige Gestalt, braun wie ein Afrikaner, mit langem, schwarzem Bart stieg die herabgelassene Strickleiter empor. Der Mann war in türkischer Kleidung mit weiten, braunen, am Knie befestigten Pluderhosen und hellblauem Rock mit roter Wollbinde.

»Hier hat wohl ein schwerer Kampf stattgefunden!« rief er in schlechtem Italienisch, auf der Brücke stehend und die Toten überschauend, die noch nicht ins Meer geworfen waren. »Seid ihr der Kapitän?« fragte er den Baron, seinen roten Fez lüftend. »Da kann man euch Glück wünschen, daß ihr dem Angriff jener vier Galeeren standgehalten habt! Schade, daß wir zu spät gekommen sind, um euch beizustehen!«

»Ihr seid Schmuggler?«

»Ja, Kapitän.«

»Von Cagliari!«

»Habt ihr vom Angriff der Korsaren auf San Pietro gehört?«

»Wir erfuhren durch Schiffe aus Antioco, daß die Ungläubigen das Schloß des Grafen von Santafiora bombardiert hätten.«

»Weiß man auch, daß die Gräfin geraubt ist?«

»Ja, ganz Cagliari beweint das Schicksal der edlen Dame.«

»Wo wollt ihr jetzt hin?«

»Ich will einen Handstreich in Algier und mein Gefährte einen solchen in Tunis versuchen. Der Sohn eines spanischen Gesandten soll befreit werden. Die Sache ist gefährlich, aber die versprochene Belohnung so hoch, daß ich mich, wenn alles glückt, zur Ruhe setzen und in der Normandie mein Feld bebauen könnte!«

»Ah, ihr seid kein Italiener?« fragte Le Tenant.

»Für die Leute im Mittelmeer, die mich als Seemann kennen, bin ich der Normanne, bei den Ungläubigen heiße ich Ben Kadek und bei meinen Landsleuten Jean Barthel.«

»Sagt, möchtet ihr 50 000 Scudi verdienen, ohne eure andern Pläne zu stören?« fragte der Baron.

Der Mann machte einen Luftsprung. »Für solche Summe will ich die Kasbah von Algier und das Haus Culkelubis anzünden! Mit der Kanaille habe ich übrigens noch eine Rechnung zu begleichen, die mir schwer auf der Seele liegt!«

»Das alles verlange ich nicht«, warf der Baron lächelnd ein. »Ihr sollt mich und meine Gefährten mit nach Algier nehmen und wenn nötig, mir dort Hilfe leisten!«

»Wollt ihr dort jemand befreien?«

»Die Gräfin von Santafiora.«

»Ich dachte es mir schon. Nun, ich, mein Schiff und meine Leute stehen euch ganz zur Verfügung. Wir haben hilfreiche Freunde drüben. Nur müßt ihr euch vollständig auf mich verlassen und mir versprechen, vorsichtig zu sein!«

»Ich werde tun, was ihr verlangt! – Le Tenant, zahlt doch die 50 000 Scudi aus meiner Schiffskasse!«

»Vor der Hand laßt sie lieber auf eurer Galeere!« sagte der Normanne. »Wenn das Unternehmen geglückt ist, laßt sie mir durch den Großmeister eures Ordens auszahlen!«

»Wie ihr wollt!«

»Gebt mir nur zehn Minuten Zeit, um eine Kabine für euch vorzubereiten! Euer Name, Herr?«

»Baron Carlo di Sant’ Elmo!«

»Wahrhaftig«, rief der Schiffer, mit einem bewundernden Blick zu ihm aufsehend. »Man kennt euch ja im ganzen Mittelmeer und fürchtet euch in Afrika. So jung und schon so berühmt! Es gereicht mir zur hohen Ehre, euch zu dienen!«

»Schnell, macht meine Kabine fertig!« rief er seinen Leuten zu, zur Treppe eilend.

»Wo ist Eisenkopf?« fragte der Ritter seine Umgebung.

»Was wollt ihr mit dem?« meinte Le Tenant. »Er wird euch nur hinderlich sein!«

»Aber er ist eine treue Seele. Er wird mich, trotz seiner Angst vor den Ungläubigen, nicht verlassen!«

Jedoch Eisenkopf war nirgends zu finden.

Erst nach längerem Suchen entdeckte man ihn schlafend im Schiffsraum zu Seiten seiner mächtigen Keule.

»Verzeiht«, rief er, »daß ich ein paar Minuten eingenickt war! Der lange Kampf hat mich ermüdet. Was für ein Gemetzel! Die Weltgeschichte wird davon erzählen!«

»Allerdings habt ihr nicht wenig dazu beigetragen, die ›Sirene‹ zu retten«, lächelte Le Tenant spöttisch, »aber in Algerien werdet ihr bald mehr Gelegenheit zu Heldentaten finden!«

»In Algerien!« rief der Sproß der Barbosa entsetzt aus.

»Ja, wir reisen mit den Schmugglern, um Donna Ida zu befreien!«

Eisenkopf fiel beinahe um. »Herr, ihr geht in den Tod! Ich darf das nicht gestatten, ich war von eurem Vater beauftragt worden, über euch zu wachen!«

»Du wirst mir folgen«, sagte der Ritter trocken. »Hast du Furcht?«

»Ich, ein Barbosa! Ihr konntet mir diese Beleidigung ersparen! Ich habe weder vor den Barbaresken, noch vor Culkelubi Angst!«

»So steige in die Feluke!«

Während der Unglückliche in das kleine Schiff kletterte, empfahl Le Tenant dem Baron nochmals äußerste Vorsicht.

»Sorgt vor allem dafür, daß man euch nicht erkennt, wenn ihr die Gräfin rettet! Wie gern würde ich eure Gefahren teilen! Sagt mir wenigstens, wo ich euch, wenn alles gut geht, erwarten soll!«

»Auf den Balearen-Inseln, wo ich Schutz suchen will, wenn mein Unternehmen geglückt ist! Aber zuerst bringt mir diese Braven, die uns auf der ›Sirene‹ noch geblieben sind, in Sicherheit!«

»Ich werde an der spanischen Küste kreuzen und im geeigneten Augenblick nach Algier segeln. Wer weiß, ob ich euch dort nicht helfen kann!«

»Mit Gott, Le Tenant! Sterbe ich, so vergeßt Donna Ida nicht!«

»Ich schwöre es. Selbst wenn es mein Leben kostete, werde ich versuchen, sie zu befreien oder den Großmeister unseres Ordens dafür zu gewinnen!« Die beiden Freunde umarmten sich in tiefer Bewegung.

»Beeilt euch«, rief der Normanne, schon ungeduldig, »sonst können wir Algier nicht vor den Galeeren erreichen! Wir haben keine Zeit zu verlieren!«

Die zwölf Mann der Besatzung – alles Leute mit herkulischen Formen und kühnem Aussehen, zusammengekommen aus allen Häfen des Mittelmeers – hatten schon die beiden großen Rutensegel aufgezogen.

Sant’ Elmo winkte den letzten Gruß. »Auf Wiedersehn, meine treuen Gefährten! Hoffentlich kommt die Zeit, wo ich euch zu neuen Siegen führen werde!«

Im nächsten Augenblick nahmen die beiden Feluken den Kurs nach Südwest.

Der Normanne suchte den Horizont ab, um die Korsaren zu erspähen.

»Sie können bei dem guten Winde einen schönen Vorsprung haben«, murmelte er vor sich hin. »Morgen abend werden sie, wenn nichts Ungewöhnliches eintritt, in Algier sein, aber wir auch!«

Er näherte sich dem Baron, der sich auf eins der Fässer auf Deck niedergelassen hatte, während Eisenkopf in gedrückter Stimmung an der Schiffswand kauerte. »Ihr müßt todmüde sein nach dem Kampfe, Herr, und solltet euch ausruhen! Zurzeit droht keine Gefahr, Afrika ist noch fern!«

»Ich fühle mich wie zerschlagen!«

»Kein Wunder! Man hat mir in Cagliari erzählt, daß ihr das Schloß mit verteidigt habt. Zwei Schlachten in 24 Stunden wären selbst für einen Giganten zu viel!«

Der Baron lächelte wehmütig, ohne zu antworten.

»Verdammte Hunde«, fuhr der Schiffer fort, »sich bis nach Sardinien zu wagen! Die Kerle haben Mut und spotten sogar des Papstes und der christlichen Könige! Wann wird man sich endlich bei uns zu einem guten Schlage gegen sie aufraffen? Wenn Karl Martel noch lebte, der die spanischen Mauren bei Poitiers schlug, würden sie nicht so frech geworden sein!«

»Welchen Kurs nehmt ihr?« fragte der Ritter nach einigem Schweigen.

»Ich versuche, den Mauren in geziemender Entfernung zu folgen!«

»Ist euer Schiff schnell?«

»Es schwimmt wie ein Delphin, und keins im Mittelmeer ist ihm an Schnelligkeit gewachsen.«

»Sagt, hält man euch in Afrika für einen Algerier?« forschte Sant’ Elmo.

»Nein, für einen Tunesen, und noch nie hat man in Algier Verdacht auf mich gehabt. Ich bin mit meinem ›Soliman‹ dort bekannt als ehrlicher Händler von Datteln und gesalzenen Fischen. Ihr seht mein Schiff damit beladen!«

»Möge auch diesmal alles gut gehen!«

»Vor allem ist äußerste Vorsicht geboten, Herr Baron. Ihr müßt euch als Maure verkleiden! – Einem meiner Freunde, einem braven Seemann aus Mallorca, der fast noch besser arabisch sprach als ich, passierte bei meiner letzten Reise eine böse Sache. Er wurde von einem Janitscharen erkannt, der früher zu ihm Beziehungen hatte, verhaftet und als Schmuggler am Tor Bab-el-Ned lebendig verbrannt.«

»Haltet ihr die Rettung der Gräfin Santafiora für möglich?«

»Im ganzen ist es leichter, einen Mann zu befreien, selbst wenn er sich in einem Bagno in Ketten befindet. Es ist mir gelungen, schon vierzehn Personen aus der Sklaverei zu retten. Bei einer Frau liegt die Schwierigkeit darin, daß man in den Harem ihres Besitzers dringen muß, der Tag und Nacht von Eunuchen bewacht wird. Und dennoch habe ich einmal eine vornehme Sizilianerin aus dem Serail von Ali Manu, eines Galeerenkommandanten des Beys von Algerien, gerettet.«

»Das war gewiß keine kleine Sache!«

»Vor allem gehört kaltes Blut und Geduld dazu. Nur keine Überstürzung! Erst müssen wir auch den Harem auskundschaften, in den die Gräfin gebracht wird! Laßt mir nur freie Hand!«

»Ich folge euch blindlings!«

»Aber erst ruht euch aus, Herr Baron! Euer Diener schnarcht schon lange. Ich kann euch zwar nur eine ganz kleine Kabine und kein allzu breites Bett bieten ... !«

»Ich bin Seemann ... Dank euch für alles!«

9. AN DER ALGERISCHEN KÜSTE

Ehe die Galeeren entdeckt wurden, trennten sich abends die Feluken. Die des Normannen fuhr in der Richtung nach Algerien, die andere, von einem Neapolitaner geführte, nach Tunis, wo man einige Kaufleute aus Salerno aus der Sklaverei befreien wollte. Letztere waren dem Scipio Cicala in die Hände gefallen, einem der gefährlichsten Korsaren des Mittelmeers, der, ursprünglich ein tapferer sizilianischer Kapitän, Renegat geworden war.

Der Normanne verließ keinen Augenblick das Steuer. Er nahm den Kurs zunächst nach Süden, um dann, wie wenn er von Tunis käme, nach Westen zu segeln.

Die Gegend war gefährlich. Jeden Augenblick war es möglich, auf einen Korsaren zu stoßen, der das kleine Schiff, wie es oft vorkam, in den Grund schießen konnte, ohne sich darüber zu beunruhigen, ob er Freund oder Feind vor sich hatte.

Aber das Meer blieb leer. Nur die Delphine, die um das Vorderteil des ›Soliman‹ tanzten, belebten es, helle Furchen in dem dunklen Wasser hinterlassend.

Erst nach einigen Stunden zeigte sich im Süden ein kleiner leuchtender Punkt.

»Wollen sehen, was das ist!« brummte der Seefahrer. Seit sechzehn Stunden sind wir jetzt wie eine Schwalbe geflogen!«

Da klopfte ihm eine Hand auf die Schulter. Er wandte sich um.

»Ah, ihr seid es, Herr Baron? Ihr könntet ruhig bis zum Sonnenaufgang schlafen!«

»Ich habe schon zu viel geruht. Was bedeutet der leuchtende Punkt?«

»Es kann das Leuchtfeuer von Deidjeli sein!«

»Schon die afrikanische Küste?«

»Ja, unsere Feluken laufen rascher als die Galeeren, besonders hier meine!«

»Dreht ihr bei?«

»Nein.«

»Wollt ihr den Ort anlaufen?«

»Ja, Herr Baron.«

»Aber ihr habt dort nichts zu tun!«

»Nein, doch das Anlaufen Deidjelis verschafft uns einen guten Paß«, antwortete der Seemann, geheimnisvoll lächelnd.

»Inwiefern?«

»Ihr wißt doch, daß christliche Schiffe sich nicht in die maurischen Häfen wagen. Ich nehme nun hier einen Paß, um den algerischen Behörden beweisen zu können, daß ich nur mit den Barbaresken Handel treibe. Ich lade auch einige Zentner Schwämme hier. Das verschafft mir den Ausweis, und ich mache zugleich ein gutes Geschäft dabei.«

»Ihr seid ebenso weise wie schlau!«

»Ich habe schon einige arabische Gewänder für euch und den Diener in die Kabine bringen lassen. Sucht das Passende aus! Bei eurem feinen Gesicht, euren blauen Augen und blonden Haaren möchte ich übrigens raten, euch als Mädchen zu verkleiden. Ihr würdet vielen die Köpfe verdrehen!«

»Ich ziehe vor, ein Mann zu bleiben!« lachte Sant’ Elmo auf diesen seltsamen Vorschlag.

»Beeilt euch, Herr, in zwei Stunden wird die Sonne aufgehen, und wir werden in die Zitadelle einfahren!«

»Kennt man den ›Soliman‹ dort?«

»Ich bin mehrmals dort gelandet, ohne Argwohn zu erregen, kann also ganz beruhigt sein! In Deidjeli laufen wir keine Gefahr, aber in Algier. Die Aufsichtsbehörde ist dort sehr mißtrauisch.«

Die vier Galeeren waren nicht mehr gesehen worden. Entweder hatten sie den Kurs gewechselt, um einer Verfolgung zu entgehen, oder sie waren weit nach Westen gefahren, ehe sie in Algier anlegten.

Mit der Morgenröte ließ der Schiffer die tunesische Flagge hissen. Er steuerte auf die Hafeneinfahrt zu, wo zwei kleine Festungen lagen.

Der Baron und sein Begleiter erschienen als Mauren, ersterer in blauer, silbergestickter Jacke und roten Pluderhosen, letzterer, dem wegen seines Leibumfangs die Sachen nicht paßten, in schwarzen Hosen, weiß wollenem Mantel und großem, rot und grünen Turban, der von solchen Dimensionen war, daß er einen grotesken Eindruck machte.

Der Seemann musterte beide aufmerksam und war zufrieden mit ihnen.

»Herr Baron, ihr seid ein schöner Maurenjüngling und werdet die Frauen in Feuer versetzen und die Männer eifersüchtig machen! Nur euer Begleiter ist etwas verdächtig!«

»Die Mauren werden meine Keule kosten!« sagte der Katalane beleidigt.

»Die laßt nur beiseite! Ihr könntet sonst was erleben! Zum Beispiel in einem Topf kochenden Wassers gesotten oder in ungelöschten Kalk gestellt zu werden!«

Eisenkopf überlief ein Gruseln.

Vor ihren Blicken zeigten sich jetzt zahlreiche schwarze Punkte, die sich rasch über die Meeresfläche bewegten.

»Sind das alles Boote?« fragte der Ritter. »Was treiben sie?«

»Schwammfischer bei der Arbeit, meist Gefangene aus Sizilien und Sardinien!«

»Vorsicht, Steuermann, daß wir kein Boot beschädigen!«

Langsam näherte sich der ›Soliman‹ den ersten Fischern.

Es waren große Boote mit je zwölf Mann und einem bis auf die Zähne bewaffneten Soldaten, der oft mit einer Peitsche auf die nackten Taucher einhieb.

Einige fischten mit Schleppnetzen. Von anderen Booten stiegen Taucher, mit einem Stein zwischen den Beinen, ins Meer.

»Sind das Neger?«

»Nein, gefangene Christen!«

Schon damals wurde die Schwammfischerei an den Küsten des südlichen Mittelmeers, besonders in Tunis und Algier, Griechenland und Syrien, eifrig betrieben. Zahllose Barken mit gut ausgebildeten Fischern waren damit beschäftigt. Man wählte diese mit Vorliebe aus den gefangenen Sizilianern, Sardiniern und Griechen.

Die Schwämme wurden zu jener Zeit für Meerespflanzen gehalten. Daß sie aus Tierfamilien nach Art der Korallen bestehen, ahnte man noch nicht. In andern Meeren, mit Ausnahme des Roten, kommen sie so selten vor, daß es sich nicht lohnt, sie zu gewinnen. Das Mittelmeer ist aus unbekannten Gründen ihr Lieblingsfeld. Sie pflanzen sich meist fort durch Samenabstoßen, der nach einigem Herumschwärmen sich an irgendeiner Klippe festsetzt und mit fabelhafter Geschwindigkeit neue Schwammkolonien bildet. Manche Arten aber entstehen aus Knospen der alten Schwämme, die wie Pflanzen sich verzweigen. Auch ihr Bau ist verschieden. Viele enthalten Kalkkörperchen und Kieselsäure, die ihnen Halt verleihen. Die geschätzteren aber wachsen ohne solche Stoffe auf.

Die jährlich gefischte Menge der Schwämme ist ungeheuer groß. Sie vermehren sich so rasch, daß man kaum eine Abnahme entdeckt. Freilich sind nicht alle in gleicher Weise gesucht. Am besten sind die von den Küsten Syriens, die »venezianische Schwämme« genannt werden. Dann kommen jene aus dem griechischen Inselmeer, die oft 60–70 Zentimeter Durchmesser haben und »griechische Schwämme« heißen. Die an den Küsten der Barbareskenstaaten geischte Art heißt »Marseille« und steht weniger hoch im Preise. Heutzutage findet man Schwämme in Mengen auch in den Gewässern des nördlichen Amerika. Sie sind aber nicht so schön wie die des Mittelmeers. Ehe sie in den Handel kommen, müssen sie alle sorgsam gesäubert werden, da sie meist Muschelstücke und auch Kalk und Kiesel enthalten. Durch das Bleichen bekommen sie dann die schöne weiße Farbe.

In der kleinen Bucht von Deidjeli schien der Schwammreichtum besonders groß zu sein. Ununterbrochen brachten die Taucher Ladungen davon in die Barken.

Enorme Strapazen hatten die armen Fischer zu ertragen unter der Glut der erbarmungslosen Sonne und unter der grausamen Peitsche der Aufseher. Ihre nackten Rücken waren voller Narben und blutigen Striemen. Oft erschienen die Taucher an der Oberfläche des Wassers mit hervorquellenden Augen und halb erstickt.

»Das sind nun Christen wie wir!« seufzte Eisenkopf, der voller Mitleid auf die armen Teufel schaute, denen man keinen Augenblick Ruhe gönnte.

»Alles Christen!« bestätigte der Normanne, »und denen geht es hier noch gut. Sie haben wenigstens bei Nacht eine Hütte, wo sie ruhig schlafen können. Was wollen ihre Mißhandlungen besagen im Vergleich zu den Qualen, denen die in den Bagnos eingeschlossenen ausgesetzt sind!«

»Und das wird von den christlichen Staaten geduldet«, rief empört der Baron, »statt daß sie vereint diesen Schurken endlich einmal das Handwerk legen? Hoffentlich ist dieser Tag nicht mehr fern!«

Der Seefahrer schüttelte zweifelnd den Kopf.

Nun gab er Befehl, Anker zu werfen.

Deidjeli war damals ein kleiner, unbedeutender Ort, nur von wenigen Feluken besucht, die Waren aus Tunis brachten und Schwämme ausführten.

Es bestand aus einigen hundert weißen, fensterlosen Häusern, mit Höfen im Innern und flachen Dächern, wo die Bewohner abends Kühlung suchten. Zwei oder drei Moscheen erhoben darüber ihre schlanken Minaretts.

Am Strande war wenig Leben. Berge von Schwämmen lagen zum Trocknen da.

Mauren, Barbaresken und Beduinen aus der Sahara, ungeheure Turbane auf den abrasierten Köpfen, handelten lebhaft mit den Fischern um den Preis ihrer Ladungen.

Der Normanne, dessen Schiff man kannte, mischte sich mit zwei Begleitern in die Gruppen. Er wollte recht viel bemerkt werden, um im Notfall beweisen zu können, daß er von einem Hafen der Barbaresken käme. So kaufte er Schwämme und Lebensmittel, bot Bekannten Kaffee an, verrichtete seine Gebete und Waschungen, wie ein echter Muselmann, und kehrte gegen Mittag aufs Schiff zurück, nachdem er überall verkündet hatte, daß er nach Algier fahre.

»So, das ist erledigt«, sagte er zu dem Ritter, der ihn in ängstlicher Spannung erwartete. »Ich habe mir genügend Augenzeugen für meine Anwesenheit und meine Rechtgläubigkeit verschafft!«

»Wann gehen wir in See?«

»Gleich nach dem Essen. Wenn möglich, möchte ich noch heute nacht in Algier einlaufen. Die Dunkelheit soll uns begünstigen. Und mitten unter allen andern Schiffen wird man sich wenig um uns kümmern!«

»Ich lege alles in eure Hand!« sagte der Baron zuversichtlich.

»Zuweilen sind die Barbaresken«, fuhr der Normanne fort, »recht unangenehm und neugierig. Obwohl ich seit drei Jahren ihre Häfen besuchte, könnten sie doch einmal Verdacht schöpfen!«

Gegen zwei Uhr wurden die Anker gelichtet.

Der Ostwind hielt an, und so flog die Feluke bald wie eine Schwalbe längs der Küste, ohne kreuzen zu müssen.

Da die Korsaren, welche die Küste bewachten, erst weiter draußen auf Schiffe der Nationen lauerten, die den Barbaresken Tribut verweigerten, begegnete der »Soliman« keinem Fahrzeug. Nur Delphine und Seevögel leisteten den Insassen Gesellschaft. Den ganzen Nachmittag blieben sie in Sicht der Küste, an der sich öfter Dörfer und Befestigungen zeigten.

Gleich nach Sonnenuntergang erschien eine dunkle Wolke, und schwarze Nacht brach herein.

»Das ist das richtige Wetter für uns«, sagte der Normanne. »Unter keinen Umständen darf Licht angesteckt werden. In 4–5 Stunden sind wir im Hafen!«

Erregt fragte der Ritter, ob wohl die Galeeren schon angelangt sein könnten.

»Sicherlich, sie hatten ja einen erheblichen Vorsprung!«

»Ob sie die Beute auch schon geteilt haben?«

»Das geschieht erst später«, beruhigte der Seefahrer, »zuerst werden die Gefangenen ins Bagno gebracht, wo sie oft Wochen verbleiben!«

»Arme Ida, wo werde ich dich da finden!« seufzte Sant’ Elmo.

»Ihr sprecht von der Gräfin Santafiora? Da müssen wir eben überall herumhören, bis wir ihre Spur entdecken! Euer Begleiter sagte mir, daß sie von einem Mauren, ihrem Sklaven, geraubt worden sei.«

»Leider ist das wahr.«

»Wie heißt er?«

»Zuleik ben Abad.«

»Ein Maurenfürst, sagte mir Eisenkopf. Wenn er wirklich ein angesehener Mann ist, dann hat er sie nach seinem Palast geführt, wenn nicht ... !«

»Nun?«

»... der Bey selber sich die Gräfin ausgesucht hat als einen Anteil an der Beute! Er hat ein Anrecht auf den zehnten Teil. Da die Dame sehr schön sein soll, könnten sie seine Leute gewählt haben! In diesem Falle wäre ihre Rettung sehr schwer!«

»Zuleik würde sie niemand abtreten. Er liebt sie bis zur Tollheit.«

»Dem Befehl des Beys darf sich keiner widersetzen. Er hat die erste Wahl unter den Gefangenen. Vielleicht aber hat der Maure so viel Einfluß, daß er die Gräfin behalten darf.«

»Beides macht mir Sorge und Pein!«

»Nur guten Muts! Ich empfehle aber dringend, kein Wort Italienisch zu sprechen. Am besten ihr und euer Begleiter bleibt stumm ... Ah, da sind ja die Wachtschiffe! Wir wollen unter ihrer Nase vorbeischlüpfen!«

Die Rutensegel wurden eingezogen und nur zwei kleine, schwarze gesetzt, die in der Finsternis unsichtbar waren. Dann ergriff der Normanne selbst das Steuer.

Vier leuchtende Punkte waren am Horizont sichtbar: Die Laternen zweier Wachtschiffe.

Der Normanne fuhr auf sie zu. Die Feluke glitt an dem bei Kap Malifa kreuzenden Schiffe vorbei. Dann mengte sie sich unter die Masse der Segler, die in bunter Reihe den Hafen füllten. Es ging so rasch, daß niemand das Manöver beobachtet hatte.

»Wir sind am Ziel! Nun können wir für den Augenblick ruhig schlafen!«

10. ALGIERS HYÄNEN

Algier war im 16. Jahrhundert Mittelpunkt und festeste Stütze der Barbaresken, welche die Bewohner aller christlichen Staaten des Mittelmeers in Schrecken hielten.

Das moderne Algier erinnert nur noch in seinen Moscheen und seiner Burg, der Kasbah, an die alte Stadt, die von fast uneinnehmbaren Befestigungen und von zahlreichen, mit den unerschrockensten und grausamsten Seeleuten der Zeit bemannten Schiffen verteidigt war.

Sie zählte viele glänzende Paläste, die an Schönheit mit denen Granadas wetteiferten, und prächtige Moscheen.

Ihre Bazare waren gefüllt mit Erzeugnissen Innerafrikas, Indiens, des Orients und Europas. Ihre sechs großen Bagnos waren voll von Gefangenen aus allen Ländern. Sie konnten gegen 25 000 Leute bergen. Unter den Bagnos enthielt das der Santa Caterina eine christliche Kapelle, wofür die Tempelritter eine hohe Summe jährlich zu zahlen hatten.

Tunis zählte gar neun, aber kleinere Bagnos, die 2000 Gefangene faßten. Tripolis nur eins für 500 und Salé zwei sogenannte »Matamur«, unterirdische Räume, die viel schrecklicher als die Bagnos waren.

Algier war der Hauptplatz für die Christensklaven und hatte nie weniger als 25 000, dazu 2000 aus Europa geraubte Frauen. In jener Zeit stand es auf dem Gipfel seiner Macht und konnte es mit Konstantinopel aufnehmen. Alle Mittelmeerstaaten zitterten vor ihm und nahmen ruhig die gröbsten Beleidigungen und Herausforderungen hin.

Seine Flotten beherrschten das Meer und überfielen häufig selbst Küstenstädte. Am meisten litten Sardinien, Neapel, Genua, Venedig und die Romagna unter den Räubereien, da sie ständig die Tributzahlung an den Bey verweigerten. Ihre Schiffe waren selbst im Adriatischen Meere nicht sicher. Aber auch Frankreich, Spanien und andere Staaten hatten mit Überfällen zu rechnen, wenn der Tribut nicht rechtzeitig abgeführt wurde. So unglaublich es klingt, die europäischen Mächte konnten sich nicht entschließen, sich zu vereinen und mit einem Schlage die Räuber zu vernichten oder wenigstens Europa vor ihnen sicherzustellen.

Erst Jahrhunderte später wurde Tripolis von Venedig bombardiert, nachdem das stolze Venezia viele Kämpfe mit den Türken in Kreta, Zypern und im Schwarzen Meere zu bestehen hatte. Dann zwang Piemont diesen Staat nach mehrmaliger Beschießung zur Unterdrückung oder wenigstens Beschränkung seiner Seeräuberei. Jedoch erst die Eroberung Algiers durch Frankreich machte dem Unwesen für immer ein Ende.

Die Stimme des Muezzin rief die Gläubigen zum Morgengebet, als der Normanne in des Ritters Kabine trat und ihm heiteren Tones sagte:

»Wir können in voller Sicherheit an Land gehen. Niemand hat uns beobachtet. Die Nachbarn glauben, ich hätte nur den Platz gewechselt, um näher an die Mole zu kommen! Aber ihr scheint sehr abgespannt zu sein, Herr, als hättet ihr die Nacht kein Auge zugetan!«

»So ist es auch!«

»Laßt gut sein! Wir werden die junge Gräfin schon finden! Haben mehr Freunde hier, als ihr glaubt! Wir haben sogar Freunde unter den heulenden Derwischen, und einen solchen wollen wir jetzt aufsuchen! Nehmt den Mantel um, steckt Pistolen und Dolch in den Gürtel und kommt!«

»Und was machen wir mit Eisenkopf?«

»Den nehmen wir mit! Ich mag ihn nicht hier lassen. Er schwatzt zu gern, und ein Wort könnte uns verraten!«

Während der Baron sich fertig machte, warfen sich der Normanne und die Besatzung zu Boden und beteten mit lauter Stimme, den aus Mekka stammenden Rosenkranz zwischen den Fingern drehend.

Dann wurden Hände, Arme, Gesicht und Füße streng nach den Regeln gewaschen, ehe sich alle mit dem üblichen Gruße »Allah il Allah« erhoben.

Der Normanne hing den Rosenkranz an den Gürtel recht offen zwischen die Pistolen und den Yatagan, ließ ein Laufbrett legen und stieg mit seinen beiden Begleitern an Land.

Die große, weiße Stadt lag vor ihnen. Sie machte einen zauberhaften Eindruck mit ihren zahllosen Minaretts, die sich malerisch vom blauen Himmel abhoben, mit ihrem Meer schneeweißer, übereinandergetürmter, flacher Häuser, wo grüne Palmen ihre Wedel in der leichten Brise bewegten.

Schon herrschte reges Leben. Alle Wege und Stege waren gedrängt voll von Menschen, die mit Eseln, Kamelen und Dromedaren teils hinauf zur Stadt, teils zum Hafen wollten. Ein Strom wälzte sich zu den Waren, die am Ufer ausgeladen und zu Bergen aufgetürmt wurden.

Alle Stämme waren vertreten. Schlanke Kabylen in Ziegenfellen, mit Waffen reich beladen, stolze Mauren im prächtigen, weißen Burnus und kostbaren Seidengürteln mit Säbeln und Pistolen darin, langbärtige Araber mit scharfgeschnittenen Gesichtern und funkelnden Augen, Tuaregs der Wüste Sahara in schwarzen Gewändern, hochgewachsene Fellachen, reich mit Gold und Silber geschmückte Türken und Neger verschiedenster Herkunft.

Dann und wann machte der Menschenstrom einer unendlichen Reihe von Kamelen Platz, die schwerbeladen einherschritten, oder nicht weniger beladenen Eselherden, auf welche Neger erbarmungslos einschlugen.

Plötzlich ertönten wilde Flüche und Schmerzensschreie. Kettenklirrend erschienen Scharen weißer Sklaven, die zum Hafen getrieben wurden.

Dem armen Eisenkopf sträubten sich die Haare.

Der Normanne führte seine Begleiter so rasch wie möglich durch das Gewühl nach der oberen Stadt, wo weniger Verkehr herrschte.

»Wohin gehen wir?« fragte der Baron.

»Zur Moschee. Heute ist Mittwoch. Da führen die Derwische ihre Tänze zu Ehren Mohammeds auf. Mein Freund gilt unter ihnen als eine Art Heiliger, und niemand könnte in ihm einen Christen vermuten, der schon Hunderte von Sklaven befreit hat!«

»Und dürfen wir das Ersehnte von ihm erhoffen?«

»Er ist eine Macht. Gilt auch etwas in der Kasbah, wo er Zutritt hat!«

»Spart nur nicht mit Geld!«

»Bei ihm bedarf es dessen nicht. Er ist ein ehemaliger Templer, ein wahrer Held!«

»Wo werden wir ihn sprechen können?«

»Abends in seiner Klause, dem Grabe eines Heiligen!«

Die zur Moschee führende enge Gasse, die sie jetzt durchschritten, war ebenfalls voller Menschen. Letztere drängten sich vor den kleinen Läden, die mit Waren aller Länder des Ostens vollgestopft waren. Da gab es Ziegenfelle, rote Feze, Süßigkeiten, Teppiche aus Rabat und Anatolien, Angoraschals, weiche Seidenstoffe, Lederwaren und Waffen.

Man war kaum zur Mitte gelangt, als aus einer Seitengasse ein Menschenhaufen drängte, der wild brüllte: »Dal ah! Dal ah! Ein Christ, ein Christ!«

»Was ist geschehen« fragte der Baron leise den Normannen, als er ihn erblassen sah.

Dieser riß seine Begleiter schnell zur Seite nach einem Mauervorsprung.

»Wahrscheinlich haben sie einen flüchtenden Christen erwischt und wollen ihn umbringen!«

Die Menge tobte wie besessen.

Mauren, Türken, Kabylen, Marokkaner schrien durcheinander. Waffen wurden geschwenkt, nackte Arme fuchtelten durch die Luft mit Säbeln und Dolchen.

»Suchen wir so rasch wie möglich zu entkommen!« raunte der Seemann dem Ritter zu. »Im vorigen Jahre hat ein Landsmann von mir, Guillaume de Pornie, den ich befreien sollte, die unmenschliche Grausamkeit dieser Leute gegen geflüchtete Sklaven erleiden müssen. Ich zittere noch bei dem Gedanken daran.«

»Hat man ihn zu Tode geprügelt oder gepfählt?«

»Sein Herr hat ihn erst halbtot schlagen, ihm dann die Ohren abschneiden lassen und ihn gezwungen, sie aufzuessen!«

Jetzt drängte eine Truppe Janitscharen rücksichtslos mit Hieben die Masse in die Läden und Häuser.

Sie führten ein Kamel, auf dem man einen weißen Mann erblickte, der, in dichten Rauch gehüllt, fürchterlich schrie.

Es war der zum »Schamgat«, jener von den Mauren entsetzlichen Marter, verurteilte Christ. Er saß auf einem großen, mit angezündeten, leicht brennenden Stoffen gefüllten Gefäß, mit Ketten festgehalten und mit Harz übergossen. In dieser furchtbaren Lage führte man ihn durch die Straßen, bis ihn der Tod erlöste.

Es war ein starker Mann, der sich verzweifelt wehrte, während er grauenhafte Schreie ausstieß.

Der Baron mußte, angesichts dieses qualvollen Erlebnisses, die Augen schließen. Ohne den Normannen hätte er sicher eine verhängnisvolle Unbesonnenheit begangen.

Auch der Seeman mußte sich Gewalt antun, um Ruhe zu bewahren.

»Wer ist der Mann?« fragte er einen durch den Menschenstrom dicht an ihn herangedrängten Beduinen.

»Ein Christensklave.«

»Und was hat er begangen?«

»Seinen Herrn getötet und ist dann entflohen! Es soll ein Spanier sein!«

»Wem gehörte er?«

»Dem Ali El-Tusy, einem Mauren, der nicht sehr milde gegen seine Sklaven war und sie oft Hungers sterben ließ!«

»Ein Hund! Schlimmer als die Christen!« entschlüpfte es dem Normannen.

Der Beduine schaute ihn scharf an.

»Aber der Hund war ein eifriger Muselmann, weißt du das nicht?«

»Der Prophet hat keinen frommeren Gläubigen als mich«, sagte jetzt der Seefahrer, alle wissen das, besonders, Ald-el-Hagisi, der Marabut und das Haupt der tanzenden Derwische! Aber auch die Christen sind von Gott geschaffen, und man sollte sie weniger martern!«

»Sie sind Ungläubige und verdienen daher keine Schonung!«

Damit wandte der Beduine wieder seine ganze Aufmerksamkeit dem schrecklichen Schauspiel zu.

Aber von Zeit zu Zeit warf er einen Seitenblick auf den Normannen, der seine Unvorsichtigkeit schon bitter bereut hatte. Letzterer gab daher seinen Begleitern einen leisen Wink und drängte sie in die dem Kamele folgende Menge.

Ein Blick nach rückwärts zeigte ihm aber, daß der Beduine seinem Beispiel gefolgt war.

Er eilte, um einer etwaigen Verfolgung zu entgehen, mit dem Baron und Eisenkopf durch verschiedene Winkel, bis er die Moschee erreichte.

»Zieht die Schuhe aus und folgt mir!« rief er ihnen zu.

11. DIE TANZENDEN DERWISCHE

Alle Moscheen gleichen sich. Sie unterscheiden sich voneinander nur in der räumlichen Ausdehnung und in der verschiedenen Höhe ihres Minaretts, von dem der Muezzin dreimal täglich die Gläubigen zum Gebet ruft. Von viereckiger Form, wird die Moschee in der Mitte von einer mehr oder weniger weiten Kuppel überdacht.

Von einer Säulenhalle aus betritt man zuerst einen Hof, wo die vorschriftsmäßigen Waschungen vorgenommen werden, die im islamischen Kult eine wichtige Rolle spielen. Bevor die Gläubigen das Allerheiligste betreten, müssen sie in einem Vorraum ihre Schuhe ablegen.

Die Wände sind kahl, ohne Bilder, da die muselmanische Religion die bildliche Wiedergabe der menschlichen Gestalt verbietet. Arabesken und Koranverse ersetzen den Wandschmuck. Statt der Sitze sind Matten und Teppiche vorhanden.

Als der Normanne und seine beiden Gefährten den Saal betraten, war derselbe schon von einer dichten Menge Andächtiger gefüllt. Auch die für die Frauen bestimmten, mit goldenem Gitter versehenen Galerien oben schienen voll.

In der nach Mekka gelegenen Nische, die im mohammedanischen Tempel den Altar vertritt, betete ein alter Derwisch mit langem, weißen Bart mit monotoner Stimme Koranverse. Er war in einen weiten, blauen Mantel gehüllt und trug einen spitzen Filzhut auf dem Kopfe. Das Haar war an den Schläfen abrasiert. Neben ihm hingen allerhand Messer, Türkensäbel, lange Nägel, Feilen – ein wahres Arsenal von Marterwerkzeugen. In einer Ecke glühten auf einem Kohlenbecken ähnliche Waffen.

»Zu welchem Zwecke dient das?« fragte der Baron flüsternd. »Zur Tortur von Christen?«

»Ach nein, damit martern die Derwische sich selbst!«

»Und der Alte?«

»Ist ihr Haupt, der große Mirab, mein Freund, von dem ich euch schon sprach!«

»Der uns helfen soll?« fragte Sant’ Elmo erstaunt.

»Ja, er ist ein wahrer Christ, einer der Unsern. Aber still, die Derwische kommen!«

»Wollt ihr euch dem Alten nicht bemerkbar machen?«

»Sobald sich der richtige Augenblick bietet. Ein Zeichen genügt, um ihm mitzuteilen, daß ich ihn brauche!«

Zwölf Greise mit langen, ungepflegten Bärten und langem Haupthaar betraten mit bloßen Füßen den für sie freigelassenen Raum. Sie trugen weite, himmelblaue Gewänder, die bis unter die Knie reichten und um den Leib mit breiter Schärpe zusammengehalten wurden.

Es waren die heulenden Derwische.

Diese seltsamen Fanatiker, welche sich durch ihre wilden Tänze und Selbsttorturen das Paradies Mohammeds zu erwerben trachten, behaupten, in ihrer Ekstase der Welt entrückt zu sein. Verehrt von allen Muselmännern, werden sie vom Volke sogar als Heilige betrachtet, da sie verstehen, sich als Wundertäter auszugeben.

Sie gehören uralten Religionskörperschaften an, die bis ins Jahr 1270 zurückreichen und heute noch mächtig sind, da sie eine Unzahl von Klöstern besitzen. Das bedeutendste derselben liegt in Konstantinopel, zwischen Pera und Galata.

Die zwölf Derwische, die sich in einem wohl durch Haschisch hervorgerufenen Rausch befanden, formten einen Kreis und gingen bald vor, bald zurück, indem sie Koranverse sangen, die Augen fest auf ihren Mirab gerichtet, der ruhig fortfuhr, Gebete zu murmeln.

Sie sangen mit seltsamer, nicht menschlich klingender Stimme. Die bizarren Töne wurden von Minute zu Minute seltsamer und gingen schließlich in ein wildes Geheul über. Augenscheinlich berauschten sie sich erst an der eignen Stimme, ehe sie sich der Raserei des Tanzes hingaben.

»Sind das Irrsinnige?« fragte Eisenkopf verständnislos.

»Still«, mahnte der Normanne eindringlich. »Wollt ihr uns in Gefahr bringen?«

Als die Derwische bald Allah, bald den Begründer ihres Ordens gepriesen hatten, brachen sie plötzlich ab und blieben stumm, bewegungslos stehen. Mit offenem Munde und verzückten Augen starrten sie auf die Kuppelwölbung.

Aus einer dunklen Ecke der Moschee ertönten einige leise, fast schüchterne Klänge, die von einer Flöte zu kommen schienen. Bald wurden sie von Posaunentönen begleitet.

Anscheinend setzte diese sich nach und nach steigernde Musik die Füße der Derwische in Bewegung. Im Nu drehten sie sich alle gleichzeitig um sich selber mit ausgestreckten Armen und starren Augen – erst langsam, dann immer schneller. Dazu stießen sie unausgesetzt den Ruf: »Allah il Allah« aus.

Die Stimmen wurden immer rauher, schrecklicher. Sie heulten, schrien wie wilde Tiere. Die Augen schlossen sich, die Brust atmete krampfhaft, die Gesichter mit den verzerrten Zügen wurden totenbleich. Der Schweiß floß in Strömen, die Haut rauchte förmlich, aber die Geschwindigkeit der sich drehenden Tänzer ließ nicht nach. Selbst die begeisterten Zuschauer wurden vom Schwindel ergriffen.

Von Zeit zu Zeit blieben sie einen Augenblick stehen, um die Erde zu berühren und einen gellenden Schrei auszustoßen. Dann schleuderten sie ihre Kopfbedeckungen von sich und begannen den rasenden Tanz von neuem. Die langen Haare flogen um ihre Wangen und verschlangen sich mit den langen Bärten.

Plötzlich stürzt einer vor, verbeugt sich vor dem Mirab, welcher die Fanatiker durch taktmäßiges Händeklatschen anfeuert, nimmt eine glühende Zange vom kupfernen Kohlenbecken und durchbohrt sich damit die Zunge, wie ein wildes Tier dabei brüllend. Ein anderer legt sich glühende Kohlen auf Haupt, Arme und Schultern, die er eiligst entblößt. Ein dritter sticht sich spitze Nägel in den Schädel, wie in die Arme, und setzt dann seinen Tanz fort. Der Rest ergreift Messer, Dolche und krumme Säbel und bringt sich Schnittwunden an allen Körperteilen bei. Das Blut rinnt über Bärte und Gewänder. Und die Besessenen drehen sich und drehen sich, bis einer nach dem andern erschöpft, mit schaumbedeckten Lippen, in heftigen Krämpfen zu Boden sinkt.

Die Zuschauer rufen begeistert mit erhobenen Armen: »O Wunder, Wunder!«

Der Baron suchte, angeekelt von dem Schauspiel, den Normannen zum Gehen zu bewegen.

Auch Eisenkopf flüsterte: »Wir wollen den Todeskampf dieser Leute nicht mit ansehen!«

Aber Michele erwiderte: »Welchen Todeskampf. Morgen tanzen dieselben Derwische in einer anderen Moschee. Sie sind daran gewöhnt!«

Trotzdem drängte der Ritter zum Gehen.

»Noch einen Augenblick!« sagte der Seefahrer. »Der alte Mirab hat mein Zeichen noch nicht beantwortet!«

Während die Menge die Derwische jauchzend aus der Moschee trug, verließ der ehrwürdige Greis seine Nische und nahm seinen Weg durch die Schar der Gläubigen. Der Normanne hatte sich so gestellt, daß er ihn bemerken mußte.

Der Mirab, der rechts und links schaute, richtete seine kleinen, grauen Augen auf den Schmuggler. Ein Zucken ging über sein runzliges, blatternnarbiges Gesicht. Der Seemann legte unbefangen die Hand an die Stirn, indem er drei Finger ausstreckte. Der Mirab beantwortete dies Zeichen, indem er sich zweimal über den langen, weißen Bart strich. Dann setzte er ruhig seinen Gang durch die Menge fort und verschwand durch die kleine, am entgegengesetzten Ende der Moschee befindliche Pforte.

Michele führte den Ritter und den Katalanen ins Freie. Der Platz war fast menschenleer. Nur einige Kabylen saßen unter den Palmen. Sie schwatzten und tranken Mokka, den sie auf einem Öfchen aus gebranntem Ton wärmten.

»Es ist erreicht!« sagte der Normanne. »Heut’ abend suchen wir den Mirab in seiner Cuba auf!«

»Hat auch niemand etwas bemerkt?«

»Oh, der Alte ist schlau, und wer könnte auf einen so heiligen Mann Verdacht werfen?«

»Wie hat er es nur angefangen, das Haupt der Derwische zu werden?«

»Er hat als bettelnder Derwisch, von Mekka kommend, seine Laufbahn begonnen. Zuerst war er Sklave in Tripolis. Dann gelang es ihm, nach vier Jahren dem Bagno zu entfliehen. Bewegt durch das dort Erlebte, beschloß er, den armen Christen zu helfen. Er gab es auf, in seine Heimat zurückzukehren, und ging nach Algier, um sich für einen ›Marabut‹, d. h. einen großen Heiligen, vorzubereiten. Da er die Sprache vollkommen beherrschte und alle religiösen Gebräuche kennengelernt hatte, ward es ihm nicht schwer. Er wurde erst Derwisch, dann Ulema. Später erlangte er durch ungeheure Geduld und Mühe den Ruf der Heiligkeit. Viele Hunderte von Christen verdanken ihm ihre Freiheit. Er hat Beziehungen zu allen Seefahrern und hilft ihnen, ihre Pläne auszuführen.«

»Ein bewunderungswürdiger Mann in der Tat!« rief Sant’ Elmo begeistert, »und hat ihn nie jemand erkannt?«

»Er ist äußerst vorsichtig und besitzt eine unerreichbare Verstellungskunst. Es wird ihm gelingen, Zuleik und die Gräfin ausfindig zu machen; denn ihm öffnen sich sogar die Pforten der Kasbah. Er darf zum Bey!«

»Wann werden wir ihn besuchen?«

»Um Mitternacht.«

Als der Normanne mit seinen beiden Gefährten um eine Ecke bog, stießen sie mit vier riesenhaften, prächtig gekleideten Negern zusammen. Letztere fuchtelten mit ihren Peitschen herum und riefen barsch: »Aus dem Wege!«

Ihnen folgten vier andere, die eine reichgeschmückte Sänfte und einen großen, hellblauen Schirm trugen, der dazu diente, zudringliche Blicke von der Insassin abzulenken.

Diese hatte sich bequem in die Seidenkissen zurückgelehnt. Obgleich der weiße Schleier ihre Gesichtszüge verbarg, deutete alles darauf hin, daß sie jung und schön war. Auch mußte sie hohen Ranges, die Tochter eines Würdenträgers oder eines Reichen, sein. Davon zeugte ihr prächtiges Gewand aus durchsichtigem Schleierstoff mit kostbarer Gold- und Silberstickerei. Um die Hüften trug sie eine breite Schärpe aus himmelblauem Samt, auf der Diamanten und Smaragden funkelten. Rubinenbesetzte Armbänder schmückten die Handgelenke, die unter den weiten Ärmeln sichtbar waren. Oberhalb der silbergestickten, gelben Atlasschuhe sah man ähnliche Reifen.

Als die Neger fanden, daß der Normanne und seine beiden Begleiter nicht schnell genug zur Seite traten, stürzten sie sich wie eine wütende Meute auf die drei Männer.

»Nehmt euch in acht!« rief der Seemann, der sich vor keinem Neger fürchtete.

»Platz da!« schrie der Sklave, indem er den Normannen packte und gegen die Mauer drängte.

Der Angegriffene gab ihm aber einen solchen Stoß vor die Brust, daß er zurücktaumelte.

Dem ihm zu Hilfe eilenden zweiten Neger vertrat der Baron den Weg und schleuderte ihn mit Wucht zu Boden.

Da brach die Dame in der Sänfte in ein helles Lachen aus. Sie gebot den andern Negern, welche den Tragsessel niedergestellt hatten, um ihren Gefährten zu helfen, Ruhe.

Langsam ließ sie den Schleier fallen, der ihr Gesicht bedeckte, und ihre tiefschwarzen Augen richteten sich auf den jungen Baron.

Ihr Antlitz war von bestrickendem Liebreiz mit der matten, fast durchsichtigen Hautfarbe, dem kleinen, korallenfarbigen Mund und den von langen Wimpern beschatteten, mandelförmigen Augen, deren Ausdruck durch einen feinen Strich Antimon noch mehr gehoben wurde.

Minutenlang verweilte sie in dieser Stellung, den Ritter unverwandt anblickend mit einem Lächeln, das zwei Reihen perlenweißer Zähne sehen ließ.

Dann zog sie langsam wie mit innerem Widerstreben, den Schleier wieder vor das Gesicht und befahl den Trägern, den Weg fortzusetzen. Sie winkte noch mit ihrer kleinen Hand dem Ritter, der momentan im Banne ihrer Augen stand, einen Abschiedsgruß zu.

»Nehmt euch vor den Maurendamen in acht, Herr Baron«, drohte der Normanne lächelnd. »Sie sind gefährlich, wenn ihr Herz entflammt! Eure Schönheit hat diese Frau bezaubert. Wie würde sonst eine Mohammedanerin, noch dazu auf der Straße, vor einem Fremden den Schleier lüften!«

»Das fehlte noch«, brummte Eisenkopf. »Es gibt schon genug Gefahren hier, auch ohne die Frauen!«

»Wir wollen weiter«, rief Sant’ Elmo, »Algier ist groß; man trifft sich nicht so leicht zum zweitenmal.«

»Wer weiß!« meinte der Seemann.

Sie setzten ihren Marsch fort und stiegen zu der stattlichen Burg empor, deren Befestigungen mit ihren schweren Geschützen die Stadt beherrschten.

»Es ist Essenszeit«, sagte jetzt der Normanne. »Ich kenne hier in der Nähe ein kleines, von einem spanischen Renegaten gehaltenes Gasthaus. Dort können wir in der Stille einen guten Alikante oder Xeres trinken und frei sprechen. Der Mann ist, trotz seiner angeblichen Begeisterung für den Islam, ein besserer Christ als ich!«

Sie durchquerten mehrere von Palmen beschattete, zu Füßen der Kasbah liegende Gäßchen. Auf Geröllhaufen wuchsen herrliche Aloes, die Riesenkerzen glichen. Vor einem großen, weißen, durch maurische Bogen gestützten Hause machten sie halt.

Eben wollten die drei Christen eintreten, da fuhr der Normanne überrascht zurück.

»Was habt ihr?« wunderte sich der Baron.

»Ich fürchte, dort ist der Beduine, dessen Verdacht wir heute morgen erweckten, als ich meinen Abscheu vor der Grausamkeit der Barbaresken nicht verbergen konnte!«

»Als der unglückliche Christ die Marter erleiden mußte?« fragte Sant’ Elmo bestürzt.

»Vielleicht hat er uns verfolgt«, meinte der Seemann besorgt, um sich zu überzeugen, ob wir echte Muselmänner sind!«

»Wo habt ihr ihn gesehen?«

»Er ist dort hinter den Trümmern jenes Hauses verschwunden. Es ist derselbe Turban, derselbe Mantel mit der roten Rosette an der Kapuze. Das Leben ist hier leicht durch eine Anzeige verwirkt!«

In diesem Augenblick ertönten von allen Minaretts der Stadt die Rufe der Muezzine: »Mittag!«

»Zeigen wir dem Manne, daß wir unsere Gebete wie gute Rechtgläubige verrichten, auch wenn uns niemand sieht! Vielleicht macht das auf ihn Eindruck. Ahmt nur jede meiner Bewegungen nach!«

Sie warfen sich zur Erde und riefen ihr begeistertes »Allah« mit lauter Stimme. Ihr Antlitz war dabei nach Osten gekehrt.

»Nun können wir uns ruhiger der Stärkung hingeben!« meinte der Normanne nach beendeter Andacht.

Und sie betraten das Gasthaus des Renegaten.

12. NÄCHTLICHER ANGRIFF

Es war eine verwahrloste Bude, welche zu bewohnen, die Eingeborenen offenbar verschmäht hatten. Die geborstenen Wände fensterlos, überall Trümmer, zerbrochene Säulen, Reste von maurischen Bogen und zerfallene Brunnen. Vom einstigen schönen Bau war nicht viel übriggeblieben.

Der Renegat, ein schwarzbärtiger Mann, braun wie ein Araber und wild vom Aussehen, hatte den inneren Hof so gut wie möglich instandgesetzt und durch ein darübergezogenes Zeltdach vor der Sonne geschützt. Er drückte seinem alten Bekannten lächelnd die Hand.

»Fluch Mohammed und allen seinen Nachfolgern!« Mit diesen Worten sahen sie sich in die Augen. »Gibt es was zu tun? Umsonst kommst du doch nicht nach Algier?«

»Ich habe Schwämme und Datteln zu verkaufen!« antwortete der Seemann lachend.

»Und jemand fortzuschaffen!« fügte der Renegat hinzu. »Nimm dich in acht! Riechst du den Duft, den der Wind herträgt?«

»Ja, es riecht nicht nach Rosen und Aloe!« sagte der Seefahrer.

»Vor fünf Tagen hat man einen Christenmenschen hier in einer Ochsenhaut gekocht. Von ihm kommt der faulige Geruch. Es war ein Sizilianer, den man im Bazar überrascht hat. Er wollte einen vor sechs Monaten gefangenen aragonischen Ritter befreien!«

»Der Teufel hole alle diese Wein verachtenden Hunde! Gib uns zu essen und zu trinken, Freund, vor allem kein Wasser!«

»Ich hoffe, daß euch niemand Wein trinken sieht: Du weißt, daß du jetzt Muselmann bist und der Koran uns den Wein verbietet!«

»Nun, wenn sich Culkelubi, der geborene Muselmann, betrinkt, so kann es mir, dem geborenen Christen, doch auch nicht verboten werden, des Abends etwas benebelt zu Bett zu gehen! Was macht dieser Panther?«

»Er mißhandelt seine Sklaven und leert ganze Fässer spanischen und italienischen Weins!«

»Oh, könnte man ihn doch umbringen!« knirschte der Normanne.

»Man denkt schon daran«, bemerkte drohend der Renegat, der sich jetzt anschickte, eine Schüssel mit Hammelbraten, gesalzene Oliven, duftende Sauce und einen großen Fiasko aus der Ruine zu holen. »Baron, nun eßt und trinkt! Hier können wir ungestört plaudern! Wenn unser Gastfreund auch, um seine Haut zu retten, den Glauben abgeschworen hat, so ist er doch ein guter Christ geblieben!«

»Würde der Mann uns nicht eine Auskunft über Zuleik verschaffen können?«

»Das ist wenig anzunehmen. Er geht nie in die Stadt, da die Mauren ihn gern necken und beschimpfen, obwohl sie wissen, daß er Mohammedaner geworden.

Nur der Mirab kann uns dabei behilflich sein, und für euch wird er sich besondere Mühe geben. Habt Geduld und wartet bis zum Abend!«

»Das wird auch nicht schwer sein«, meinte Eisenkopf. »Bei einer solchen Flasche können wir’s aushalten! Herrlicher Wein!«

»Spaßt nicht damit!« warnte der Seemann. »Dieser Trank könnte euch einen bösen Streich spielen!«

»Die Erinnerung an das heutige grausige Erlebnis muß ich hinunterspülen!« war die Antwort.

»Ihr werdet noch andere Dinge erleben, ehe ihr Algier verlaßt!«

Rauchend und trinkend verbrachten die Gäste den Tag in dem Hofe.

Mehrfach hatte der Normanne sich umgeschaut, ob der Beduine irgendwo versteckt sei. Aber ohne Erfolg. Er glaubte allmählich doch, sich geirrt zu haben. Der Baron war in tiefe Traurigkeit verfallen. Trotz aller Bemühungen gelang es den andern nicht, ihn aufzuheitern.

Erst gegen 11 Uhr nachts gab der Seefahrer das Zeichen zum Aufbruch. Die drei verabschiedeten sich von ihrem Wirte und nahmen den Weg an den Mauern und Gräben der Kasbah entlang. Häufig schaute sich Michele um. Er hatte wohl immer noch Furcht wegen des Beduinen. Aber nirgends zeigte sich ein menschliches Wesen. Nach etwa 200 Schritten sahen sie am Fuße der Bastion die verweste Leiche des Christen liegen, von dem der Renegat erzählt hatte. Schaudernd eilten sie nach einem Palmenwäldchen auf der Höhe. Nachdem die drei noch einige mit Kaktushecken umzäunte Gärten durchschritten hatten, kamen sie auf einen Platz hinter der Kasbah, in dessen Mitte sich die Ruinen einer Moschee zeigten. Etwas weiter lag, neben einer schönen, weitästigen Eiche, ein kleines, weißes Haus mit halbrunder Kuppel.

»Die Cuba des Mirab«, flüsterte der Normanne, »das Grab eines Heiligen, den die Barbaresken verehren!«

»Wird der Alte allein sein?« fragte der Baron gespannt.

»Sicher. Er erwartet uns ja!«

Nachdem sich der Schmuggler umgeschaut, ob auch niemand ihnen folge, näherte er sich der Cuba. Auf einen leisen Pfiff öffnete sich die Tür, und der greise Derwisch erschien, mit einer Tonlampe in der Hand.

»Bist du es, Michele?«

»Ja, Herr d’Arin!«

»Still! Hier bin ich der Mirab Abd el Hadji. Wen bringst du mit?«

»Einen Edelmann und seinen Diener!«

Der Alte musterte beide mit durchdringenden Blicken. Der Eindruck schien ihn zu befriedigen.

»Tretet ein in meine ärmliche Wohnung!«

Das Innere der Cuba bildete nur einen Raum. Entsprechend den Regeln des Derwischordens, war er höchst einfach eingerichtet. Ein als Bett dienender Diwan, einige abgenutzte Teppiche, zwei Kleiderschränke, etliche Gefäße für Wasser und Lebensmittel – das war alles.

Mit vornehmer Handbewegung bot der Mirab dem Baron einen Platz auf dem Diwan an.

»Baron Carlo di Sant’ Elmo, Malteserritter!« stellte der Normanne vor.

»Ein so junger Malteser?« staunte der Alte.

»Und was für ein Held!« fuhr der Seefahrer fort. »Ich habe ihn aufgelesen, als er mit seiner Galeere gegen vier Schiffe gekämpft hatte!«

»Auch ich habe in meiner Jugend, ehe ich diesen algerischen Panthern in die Hände fiel, auf Kandia und Negroponte, unter dem ruhmreichen Banner von San Marco, gegen die Ungläubigen gefochten. Aber der Templer hat Panzer, Schwert und Galeere verloren, fiel in Sklaverei und ist der Mirab seiner Feinde geworden.«

»Um den Malteserrittern wertvollste Dienste zu leisten!« ergänzte der Normanne.

Mit einem tiefen Seufzer fuhr der Greis fort: »Und was wünscht ihr von mir, Herr Sant’ Elmo? Sprecht! Was mir möglich ist, werde ich für euch tun!«

Mit kurzen Worten berichtete der Baron die Geschehnisse.

»Ich kannte den Vater der Gräfin Santafiora«, erinnerte sich der Mirab, schmerzlich bewegt, »ich kannte auch sein Schloß. Er hatte den Mut, bis nach Algier vorzudringen und die Stadt zu beschießen. Aber die Barbaresken hatten diesen Überfall bitter gerächt!«

»Habt ihr nie von Zuleik gehört, der von den Kalifen Cordovas und Granadas abstammen will?«

»Zuleik ben Abad? Das ist eine angesehene Familie, reich und mächtig. Sie hat großartige Paläste und auch Galeeren. Ich werde leicht erfahren können, wo Zuleik lebt und wo er die junge Gräfin versteckt hält!«

»Glaubt ihr, daß er die Gefangene bei sich hat?« fragte der Ritter voller Spannung.

»Die Korsaren dürften erst gestern eingetroffen sein. Die Teilung der Gefangenen kann noch nicht stattgefunden haben. Erst trifft der Bey, dann Culkelubi seine Wahl!«

»Wo werden sich die Gefangenen aufhalten?«

»Im Bagno des Bey, dem größten aller Gefängnisse. Aber bis die Wahl getroffen ist und bis es zum Verkauf der Sklaven kommt, dürften Wochen vergehen. Ist die Gräfin schön?«

»Ein entzückendes Mädchen«, meinte der Normanne und überhob damit den Baron der schmerzlichen Antwort.

»Dann wird sie sicher nicht verkauft werden«, sagte der Mirab. »Das wäre besser, da sie in diesem Falle in Algier bleibt! Aber es ist keine so leichte Aufgabe, sie aus dem Harem des Beys oder Culkelubis zu retten. Kommt morgen wieder, Baron! Dann habe ich wahrscheinlich Nachrichten. Vor allem wendet Vorsicht an! Laßt kein Wort zu irgendjemand verlauten!« Hierauf wandte sich der Mirab zu dem Normannen:

»Bist du allein wegen dieser Sache gekommen, Michele?«

»Nein, der Botschafter Spaniens bei Seiner Heiligkeit will Befreiung seines Neffen, des Marchese De Veragrua, erreichen, den ihr wohl kennt!«

»Da bist du zu spät gekommen«, versetzte der Alte. »Der Ärmste ist vor wenigen Wochen infolge der ausgestandenen Leiden gestorben. Culkelubis Sklaven halten es nicht lange aus!«

»Dann ist diese Aufgabe erledigt, und ich kann meine ganze Aufmerksamkeit der des Barons widmen!«

»Geht nun, Kinder! Es ist spät, und ich bedarf der Ruhe!«

Der Mirab führte die Gäste zur Tür, indem er allen dreien die Hand drückte.

»Wohin wenden wir uns jetzt?« fragte der Baron begierig. »Zur Feluke zurück?«

»Das wäre unklug. Man könnte uns dann für flüchtende Christen halten. Gehen wir wieder zu unserm Renegaten! Dort finden wir einen Diwan und sind sicher!«

»Und eure Leute im Schiff?«

»Die sind an meine Abwesenheit gewöhnt!«

Sie hüllten sich in ihre Mäntel, denn die Nacht war kühl, und gingen den früher gekommenen Weg zurück. Aber der Normanne war unruhig. Immer wieder stand er still und spähte bei jedem Geräusch um sich. Er konnte nicht den Gedanken an den Beduinen bannen.

»Haltet eure Yatagan bereit!« ermahnte er seine Begleiter. »Braucht keine Feuerwaffen, wenn uns etwas zustößt! Sie machen zuviel Lärm und locken Leute her bei!«

Die drei stiegen den Hügel hinab und wollten eben zu den Ruinen einbiegen, als plötzlich mehrere vermummte Gestalten unter einer Arkade auftauchten. »Beduinen!« rief Michele. »Sie haben uns aufgelauert!«

Da trat ihnen einer aus der Gruppe entgegen und fragte drohend: »Wohin um diese Stunde?«

»Das frage ich dich, du Hund von einem Christen!« antwortete ihm kühn der Normanne. Was suchst du hier? Offenbar willst du einem zur Flucht verhelfen!«

»Ich ein Christ!« schrie der Beduine. »Ich bin ein gläubiger Sohn der Wüste, ein frommer Mohammedaner! Ich warte auf dich!«

»Was willst du von mir?«

»Dich zum Kadi führen und feststellen, ob du wirklich ein Muselmann bist! Ich verfolge dich schon seit heute morgen, habe dich nicht aus den Augen gelassen. Was hast du beim Mirab gesucht?«

»Den Jüngling hier habe ich in den Orden aufnehmen lassen!«

»Und vielleicht auch den Dicken? Das sollst du beim Kadi beweisen!«

»Gut, wir folgen dir!« sagte der Normanne und hieb gleichzeitig mit dem Knopf des Yatagans so gewaltig auf den Kopf des Spions, daß dieser, wie vom Blitz getroffen, zu Boden stürzte.

In demselben Augenblick sprangen die Begleiter des Gefallenen brüllend auf die Christen los.

Der Baron schlug dem vordersten mit seinem Schwert die Hand ab und griff auch sofort den nächsten an. Mit den beiden andern rang der Normanne, während Eisenkopf fluchend auf den letzten eindrang. Die Beduinen wehrten sich tapfer und zeigten sich als gewandte Fechter. Besonders geriet Eisenkopf in ernste Gefahr. Das Gefecht wogte unentschieden eine Zeitlang hin und her, als plötzlich zwei riesige Neger in reicher Kleidung aus dem nahen Palmenwäldchen auftauchten und sich mit ihren Keulen auf die Beduinen stürzten. In wenigen Augenblicken lagen die Leute tot am Boden. Die Christen erwarteten, daß die Neger sich nun gegen sie wenden würden. Diese aber hingen ihre bluttriefenden Keulen an den Gürtel. Der eine zog ein kleines, nach Ambra duftendes Billet hervor, das er mit den Worten: »Nehmt, es ist für euch bestimmt!« dem Baron überreichte. Dann verschwanden sie eilig wieder in dem kleinen Palmenwald.

»Was bedeutet das?« fragte Sant’ Elmo in höchstem Staunen. »Warum sind uns die Neger zu Hilfe gekommen?«

»Wahrscheinlich wollten sie ihre Keulen erproben!« meinte Eisenkopf naiv.

»Schweig, Narr!« fuhr ihn der Baron an.

»Das Billet wird das Rätsel lösen!« entschied der Normanne. »Wir wollen es beim Renegaten lesen! Hier im Dunkeln ist es unmöglich!«

Und mit raschen Schritten begaben sie sich zu der Herberge, die sich auf Micheles Pfiff öffnete.

13. DAS VERSCHWINDEN DES RENEGATEN

Einen Augenblick später standen alle im Schein der Lampe des Renegaten und versuchten, das Billet zu entziffern.

Es war ein kleines, viermal zusammengefaltetes, rotes Stück Papier, das in der Mitte nur ein arabisches Wort, anscheinend von Frauenhand, zeigte.

Der Normanne, der arabisch verstand, machte ein verdutztes Gesicht. Es ist ein Frauenname. »Amina!«

»Strengt euer Gedächtnis an, ob ihr eine Dame dieses Namens hier kennen gelernt habt!« mahnte der Renegat.

Plötzlich rief Michele. »Beim Barte des Propheten! Wie konnte ich sie nicht erkennen!«

»Wen?«

»Die beiden Neger! Wir haben sie ja heut morgen getroffen und schon mit ihnen gekämpft!«

»Die Diener jener Dame? Dann haben sie uns fortgesetzt beobachtet?«

»Zweifellos, um über euch zu wachen, Baron! Sicher habt ihr tiefen Eindruck auf ihre Herrin gemacht!«

»Was liegt mir an einem Abenteuer!« grollte Sant’ Elmo. »Wir müssen die Neger von unserer Spur abbringen, damit wir durch diese Frau nicht gefährdet werden!«

»Vorläufig geht schlafen!« beruhigte der Renegat. Ich werde für euch wachen!«

Und er führte die Gäste in ein mit Ruhebetten ausgestattetes Zimmer des verfallenen Hauses und wünschte ihnen gute Nacht.

Er selbst legte sich im Hofe seines Gasthauses nieder und stellte – seiner Gewohnheit gemäß – eine Flasche spanischen Weins auf den Teppich neben sich.

Aber kaum war eine halbe Stunde ver?ossen, als er zwei riesige Schatten auf der Terrasse zu bemerken glaubte. Er sah die Schatten mit Blitzesschnelle an den Säulen herabgleiten, und ehe er vor Schreck nur einen Laut von sich geben oder sein Messer ergreifen konnte, fühlte er, daß man einen Sack über seinen Kopf warf und ihn fortschleppte ...

Am andern Morgen war Eisenkopf, der die ganze Nacht nur von berauschendem Xeres geträumt hatte, im höchsten Grade erstaunt, den Ruheplatz seines Wirts im Hofe leer zu finden.

Er wandte sich zum Ausgang, aber das Tor war fest verschlossen.

»Das nenne ich eine nette Sache«, murmelte er. »Wo steckt denn der Kerl?«

Er suchte überall herum. Nirgends eine Spur des Renegaten!

»Ist denn die Bude verhext? Auf, auf, ihr Herren!«

»Sind Barbaresken da?« fragte noch schlafend der Baron.

»Vielleicht noch Schlimmeres! Mir dreht sich der Kopf!«

»Du hast zu viel getrunken!«

»Nicht mal einen Tropfen Wasser! Der Renegat ist verschwunden!«

»Er wird Einkäufe machen!« mischte sich der Normanne ins Gespräch, der eben erwacht war.

»Aber das Tor ist von innen verschlossen!«

»Michele, habt ihr alles Vertrauen zu dem Manne?« fragte jetzt der Ritter voller Besorgnis.

»Vollstes! Ich kenne ihn seit fünf Jahren. Er hat mir bei der Befreiung verschiedener Christen geholfen und ist dem Mirab treu ergeben!«

»Ist also nicht zu fürchten, daß er sich entfernte, um uns anzuzeigen?«

»In keiner Weise!«

»Vielleicht hat er zu viel des guten Weins genossen und ist dabei überrascht worden ... « wagte Eisenkopf zu bemerken. »Aber hier steht ja noch die Flasche halb voll ... ! Ein Kampf kann auch nicht stattgefunden haben! Jedoch ein Raub!«

Der Normanne suchte sich zu erklären, von wo die Räuber eingedrungen sein konnten.

»Offenbar von der Terrasse her!« meinte der Baron. »Da sind ja Spuren – Kalkstücke, die gestern nicht dort lagen!«

Sie stiegen die Treppe hinauf, schauten auf den Weg, der sich außen entlangzog und stießen einen Ruf der Überraschung aus.

Vom Rande der Terrasse hing an einem festen Haken ein Strick. Unten am Wege lagen ebenfalls Kalkstücke.

»Nur Mohammed oder der Teufel können unsern Wirt entführt haben«, sagte trocken der Katalane.

»Wir wollen sofort das Haus verlassen«, entschied Michele. »Es ist nicht mehr sicher. Der Renegat wird sich schon zu helfen wissen. Sehen wir aber nach, was aus ihm geworden!«

Beim Fortgang benutzten sie den Strick, da das Tor verschlossen war. Sie wollten zur Feluke zurückkehren und an dem Bagno des Bey etwas zu erkunden suchen.

So stiegen sie denn hinab zur Stadt, deren Straßen sich wieder zu beleben begannen.

Zwischen Landleuten und Bewaffneten sah man Reiter auf kleinen, feurigen Rossen mit langer Mähne, die rücksichtslos alles beiseite drängten und durchs dichteste Gewühl jagten. Bergbewohner mit silber- und perlmuttereingelegten Waffen, teils reich gekleidet, teils in einfachen, weißen Mänteln aus Wolle oder Ziegenfell, schritten plaudernd einher. Scharen von Negern, schwer bepackt, wurden von ihren Besitzern mit Peitschenhieben vorwärts getrieben. Gelegentlich trafen sie auch auf Reihen zerlumpter, elend aussehender Christensklaven in schweren Ketten, welche die Maurenjugend verhöhnte und beschimpfte.

Erst gegen 10 Uhr vormittags erreichte der Seefahrer mit den Maltesern den Hafen.

Die Mannschaft der Feluke hatte schon einen guten Teil der Ladung an Land geschafft und verhandelte nun die Waren. Scharen von Kaufleuten standen herum und feilschten mit den Matrosen in allen möglichen Sprachen des Orients.

Der Normanne und seine Freunde nahmen die Mahlzeit auf der Feluke ein, um die sich bisher niemand gekümmert hatte.

Hierauf legten sie dunkle Mäntel um, mit buntem Rand, wie sie die Kaufleute tragen, setzten große Turbane auf und suchten durch die Volksmenge hindurch zu dem fürstlichen Gefängnis zu gelangen, wo sie etwas über das Schicksal der gefangenen Gräfin Santafiora zu erspähen hofften.

Das Ufer, das sie passierten, wimmelte voll Menschen. Neger und Christensklaven luden Schiffe aus, Händler feilschten um die berghoch aufgetürmten, aus Spanien, Frankreich, Italien und Griechenland herbeigeschafften, meist geraubten Waren.

Im Hafen lagen zahlreiche Galeeren, fertig, bei passender Gelegenheit sofort ins Meer zu stechen. Unter ihnen entdeckten sie die an den erlittenen Schäden kenntlichen vier Gegner der »Sirene«.

»Ich wünschte, ich könnte sie alle anzünden!« knirschte der Baron zwischen den Zähnen.

»Und ich möchte sie samt der Mannschaft in die Luft sprengen!« fügte der Normanne grollend hinzu.

Gegen 4 Uhr nachmittags standen sie im Westen des Hafens vor einem großen, weißen, von Terrassen überragten Gebäude in viereckiger Form.

»Das Bagno des Beys!« sagte der Normanne.

Der Baron erblaßte.

»Hier wird Donna Ida sein! Michele, ich bitte euch inständig, gebt mir ein Mittel an, wie ich mir Eingang verschaffen könnte!«

»Es gibt keins!«

»Wird sie allein oder mit andern Frauen eingesperrt sein?«

»Wahrscheinlich letzteres!«

Eine Menge alter, gebrechlicher Leute am Strande zog ihre Aufmerksamkeit an. Sie waren in Lumpen und schutzlos der heißen Sonne ausgesetzt.

»Wer sind diese Armen?«

»Arbeitsunfähige Christen, die man hier einfach verhungern läßt, da es nicht lohnt, sie zu ernähren! Ihr werdet noch Schlimmeres sehen!«

Der Seemann hielt einen gerade vorüberkommenden, schwer beladenen Neger an, indem er auf jene Unglücklichen zeigte.

»Gestern eingelieferte Christen!« antwortete dieser. »Man läßt die Kranken und Schwachen krepieren, weil sie nichts nützen!«

»Also sind’s die greisen Leute von der Insel San Pietro!« murmelte der Normanne.

»Könnten wir ihnen nicht helfen?« fragte der Baron erregt.

»Kümmert euch nicht um sie, wenn euch euer Leben und die Freiheit der Gräfin am Herzen liegen! Heut abend werde ich ihnen durch meine Schiffsmannschaft Nahrungsmittel und Geld senden lassen, aber das wird sie nicht vor dem Tode retten! ... Kommt jetzt, Baron, nehmt euch zusammen!«

Und er zog den Ritter auf einen großen Platz, der von herrlichen Palmen beschattet war. Derselbe breitete sich vor dem Riesengebäude des Bagno aus. Überall sah man Schwerbewaffnete auf den Mauern.

Ein ekliger Modergeruch schwebte über dem ganzen Bau, aus dem von Zeit zu Zeit Kettenklirren und Schreie ertönten.

Sant’ Elmo konnte seiner inneren Bewegung kaum Herr werden.

In diesem Augenblick sah der Normanne einen Soldaten aus dem Bagno kommen und ins gegenüberliegende Kaffeehaus gehen.

»Ich kenne den Mann«, sagte er, »habe ihm mehrmals einen Fez aus Smyrna verkauft – vielleicht kann ich etwas aus ihm herausbekommen! Erwartet mich inzwischen drüben am Brunnen!«

Der Seemann wandte sich nach einem kleinen Hause, vor dem verschiedene Gruppen Eingeborener rauchend und schwatzend umhergingen. Im Hofe lagerten auf Teppichen, im Schatten von Palmen, andere Gruppen, ihren Kaffee schlürfend und Tabakspfeifen rauchend.

Der Soldat, dessen Gesicht eine tiefe Narbe entstellte, hockte in einem Winkel.

»Warum so allein, Mohammed-el-Sadok?« fragte ihn der Normanne, sich neben ihn setzend. »Habe dich lange nicht gesehen!«

Der Soldat hob den Tschibuk zum Mund und schaute aufmerksam auf den Sprecher.

»Ah«, rief er dann, »der Fezhändler! Wann bist du angelangt?«

»Erst heute morgen!«

»Mit guter Ladung?«

»Mit allem Möglichen!«

»Warst lange nicht in Algier?«

»Ich war in Tanger und Tunis. Was gibt es hier Neues? Im Hafen liegen ja beschädigte Galeeren! Habt ihr’s den Christenhunden gegeben?«

Wir hatten einen tüchtigen Kampf gehabt!« antwortete der Soldat. »Die Christen haben sich tapfer verteidigt. Wir hatten schwere Verluste!«

»Von woher kommt ihr? War die Beute wenigstens gut?«

»Vom sardinischen San Pietro. Eine Menge Sklaven!«

»Sind sie hier im Bagno? Sind vornehme Leute dabei?«

»Nein, meist nur Fischer! Nur ein Mädchen ist etwas wert. Sie wird viel bringen, wenn nicht der Bey oder Culkelubi sie nehmen!«

»Schön?«

»Jung und schön. Dabei fein. Wird schwerlich auf den Markt kommen!«

»Nun, wenn sie Culkelubi in die Hände fällt, wird es ihr nicht gut gehen!« warf der Normanne ein, indem er zu lächeln versuchte.

»Ja, der ist schlimm! Wenn er betrunken ist, was oft vorkommt, prügelt er selbst die Frauen!«

»Mir tut das Mädchen leid!«

»Pah, eine Christin!«

»Wann wird denn die Auswahl der Sklaven stattfinden?«

»Noch heut sollen die Haremsversorger des Beys und des Kommandanten Cukelubi eintreffen!«

Gern hätte der Seemann noch nach Zuleik gefragt, aber den Soldaten schien das Gespräch zu langweilen. Um nicht Verdacht zu erregen, ließ er die Sache fallen, trank seinen Kaffee, zahlte ihn und den des Soldaten und ging.

Er nahm sich vor, dem Baron die Befürchtung wegen Donna Ida zu verschweigen, um ihn nicht noch mehr aufzuregen.

Der Ritter hatte inzwischen voller Ungeduld auf die Mauern des Bagno gestarrt.

»Was habt ihr erfahren?« fragte er ängstlich den Normannen.

»Daß die Gräfin sich mit den anderen geraubten Frauen im Bagno befindet!«

»Und Zuleik?«

»Von ihm wußte der Soldat nichts. Jedenfalls hat er sich eure Braut noch nicht aneignen können! Sie ist besser hier als in seinem Palast aufgehoben!«

Niedergeschlagen wanderten die drei zum Osthafen zurück und betraten schweigend die Feluke, wo sie das Hereinbrechen der Dunkelheit abwarten wollten.

14. DIE RATSCHLÄGE DES MIRAB

Erst bei Nacht, als das Ufer sich geleert hatte, verließen sie den »Soliman«.

Um nicht dieselbe Straße zu berühren, nahm der Normanne einen weiteren Weg in der Nähe der östlichen Wälle. Es ging durch verlassene Gassen und Ruinen.

Der Weg war länger, aber sicherer, und man konnte leichter eine Verfolgung bemerken. Michele fürchtete das Wiedererscheinen der Neger. Obwohl sie ihnen gegen die Beduinen beigestanden hatten, befürchtete er doch durch sie neue Verlegenheiten.

Ohne jemandem zu begegnen, gelangten sie gegen 11 Uhr zum Heim des Renegaten. Sie suchten den von der Terrasse am Morgen noch herabhängenden Strick. Er war jedoch nicht mehr vorhanden.

»Sollte unser Freund zurück sein?«

»Gebt das Signal, Michele!« drängte der Baron, »wenn niemand antwortet, suchen wir uns einen Weg ins Haus!«

»Irgend jemand ist in der Behausung! Ich sehe Licht im Hofe!«

Der Seemann pfiff, und im nächsten Augenblick erschien mit schleppendem Gang in der Tür der Renegat mit seiner Lampe.

»Ich täusche mich doch nicht? Seid ihr es, Michele?« forschte er mit heiserer und etwas unsicherer Stimme.

»Habt wohl heut abend etwas gekneipt, Freundchen?« fragte der Seemann belustigt und erfreut über das Wiedersehen.

»Mußte mich doch von meinem Schreck erholen! Wißt ihr, daß ich entführt worden bin?«

»Wir haben es gefürchtet! Aber von wem?«

»Von zwei riesenhaften Negern in seidenen Gewändern mit breitem, gelben Gürtel!«

Die Christen schauten sich verdutzt an.

»Kommt herein und laßt es euch erzählen! Die Sklaven schleppten mich zu einem Pförtchen hinter dem Palmengebüsch, nachdem sie mich an Armen und Beinen gefesselt hatten. Dann wurden mir die Augen verbunden. Was mit mir weiter geschah, weiß ich nicht mehr. Nur befand ich mich plötzlich, als die Binde gefallen, in einem herrlichen Saal mit rosa Seidentapeten und Spiegeln ringsum!«

»Und wer erwartete euch dort?«

»Nur die beiden Sudanesen, aber es schien, als ob hinter einem Wandschirm eine Dame wäre, denn ich hörte Rascheln von Seidengewändern und roch wunderbaren Ambraduft. Man fragte mich nach euch aus, Herr Baron, wer ihr wäret, ob ihr aus Algier oder ein Fremder, und wo ihr wohntet! Man schwur, mich wie ein Kalb abzuschlachten, wenn ich mich weigern würde, zu antworten!«

»Und was habt ihr geantwortet?«

»Daß ich euch nie zuvor gesehen und gestern abend nur auf euer Bitten beherbergt hätte. Als man sich überzeugt hatte, daß nichts mehr aus mir herauszubekommen sei, hat man mich erst in eine dunkle Kammer gesperrt und dann, gefesselt und mit verbundenen Augen, wieder zurückgeschafft!«

»Was sagt ihr dazu?« fragte der Baron beunruhigt.

»Daß diese Dame, diese Amina, der ihr es angetan habt, uns nicht in Ruhe lassen wird! Wenn ich nur wüßte, wer sie ist! Frauen sind hier fast noch gefährlicher als Männer!«

»Wie können wir uns vor ihr retten?«

»Ihr müßtet Algier verlassen, ehe sie weiß, wer ihr seid!«

»Sie könnte uns verraten ... ?«

»Wenn sie euch liebt, dann nicht! Aber sie könnte uns schwere Unannehmlichkeiten bereiten und unser Ziel vereiteln. Ich fürchte, daß wir auch jetzt schon wieder überwacht sind. Vielleicht will man uns auch entführen! ... Es ist Mitternacht!« schloß der Normanne. »Wir wollen zum Mirab!«

Beim Abschied wandte er sich noch einmal zum Renegaten.

»Fragt man nach uns, so sagt nur, daß wir Schiffer seien und daß wir euch eures Weines wegen besucht haben!«

Vorsichtig und lange sah er sich beim Hinausgehen um. Aber niemand war zu erblicken.

Sie schlugen denselben Weg wie tags zuvor ein. Im Palmenwald lagen noch die Leichen der Beduinen, von Geiern zerfleischt, von niemand fortgeräumt.

In der Cuba erwartete sie der Mirab vor der Tür. Er genoß die frische Luft unter einer Eiche.

»Herr Baron«, rief er, »ich habe meine Zeit nicht verloren, ich weiß jetzt, wer Zuleik Ben Abad ist und wo ihr ihn morgen finden könnt!«

»Endlich! Diesmal soll der Verräter mir nicht entwischen!«

»Begeht keine Unklugheit! Vergeßt nicht, daß ihr Fremde und noch dazu Christen seid! Er ist wirklich ein Abkömmling des Kalifen und seine Familie eine der reichsten Algiers. Sein Vater ist aus Gram über die Gefangenschaft des Sohnes gestorben. Obgleich Algerier, war er Kommandant der Galeeren von Marokko!«

»Also ist Zuleik als Maurenfürst ein mächtiger Gegner!« bemerkte der Normanne.

»Wo haust er?« fragte Sant’ Elmo.

»In einem herrlichen Palast am Bagno von Sidi Hassan!«

»Das ist jener großartige Bau mit den zwei roten Türmen! Da wird es nicht leicht sein, seiner habhaft zu werden!« rief der Seemann.

»Vielleicht könnt ihr ihn woanders treffen! Ich habe gehört, daß er morgen zur Feier seiner Rückkehr eine Falkenjagd auf der Ebene bei Blidah veranstaltet!«

»Ich kenne diesen Ort. Die Ebene ist von Buschwald bedeckt, und die Reiter müssen sich dort verteilen. Aber das Spiel ist nicht ungefährlich!« meinte Michele.

»Immerhin wäre es ein großer Gewinn für den Baron, von diesem Rivalen befreit zu sein!« fuhr der Mirab fort. »Dieser Mann ist für den Ritter und die Gräfin die größte Gefahr. Fällt sie in seine Hände, so ist sie für Sant’ Elmo verloren. Wählen sie der Bey oder Culkelubi, so wächst die Schwierigkeit ihrer Befreiung, aber sie läuft keine unmittelbare Gefahr!«

»Glaubt ihr, daß Zuleik so viel Einfluß besitzt«, fragte jetzt der Baron, »um sie den Beauftragten des Beys oder des Culkelubi streitig zu machen?«

»Das ist immerhin möglich!«

»Nun, dann bleibt eben nur übrig, den Mauren zu überfallen und beiseite zu schaffen! Habt ihr nichts von der Gräfin gehört?«

»Ja, sie befindet sich noch im Bagno. Kennt ihr Zuleik persönlich?«

»Dreimal habe ich ihm mit dem Schwerte gegenübergestanden. Außerdem hat er mich öfters im Schlosse auf San Pietro gesehen!«

»Dann müßt ihr euch unkenntlich machen! Ich habe alles vorrätig, um Christen zu verkleiden. Michele weiß, wir haben hier Flüchtlinge in Mauren, Araber, selbst in Neger verwandelt!«

»Und wo bekommen wir Pferde her?«

»Dafür laßt mich sorgen!« rief der Normanne. »Ich kenne einen Beduinen, der prächtige Renner hat!«

»Braucht ihr Geld?«

»Danke, Mirab! Wir sind gut damit versehen!«

»Dann ans Werk! Es ist schon 2 Uhr, und der Morgen naht!«

»Ehe die Sonne aufgeht, bin ich wieder zurück!« Und der Seemann entfernte sich.

Ein Stein wurde gehoben inmitten der Cuba, und eine unterirdische Grabkammer erschien, in der eigentlich der Leib eines Heiligen liegen sollte, für den die Cuba bestimmt war. Aber die Leiche war verschwunden und der Raum angefüllt mit Waffen, Kleidern und wohlverschlossenen Gefäßen.

Der Mirab entnahm dem Grabe weiße, wollene Mäntel, bunte Gürtel, gelbe marokkanische Schuhe, lange Flinten und kleine Schminktöpfe.

»Nun wollen wir euch in stolze Scheiks verwandeln, und Zuleik müßte sehr tüchtig sein, wenn er euch erkennen würde!«

Er öffnete die Gefäße, die ein braunes Pulver enthielten, das nach Zibeth duftete.

»Reibt euch Gesicht, Arme und Hände damit ein! Ich habe es selbst bereitet!«

Der Baron und Eisenkopf taten nach seinem Rat. Letzterer bemerkte trocken: »Aber Araber haben doch keine blonden Haare!«

»Ihr könnt ja Rifkabylen sein! Bei denen sind sie nicht selten! Und nun legt euch auf meinen Divan, Baron, und ruht noch etwas! Michele ist vor Morgenanbruch nicht zurück!«

Er verschloß das Tor und löschte das Licht. Während der Alte sich auf seinen Teppich legte, machte es sich Eisenkopf in dem Grab des Heiligen bequem.

Drei Stunden später hörte man Pferdewiehern.

Es waren kleine, aber prächtige Tiere, die der Normanne besorgt hatte, mit feurigen Augen und offenen Nüstern. Kurze Steigbügel hingen an dem hohen, schweren, roten Sattel.

»Die werden fliegen wie der Wind! Arabisches und andalusisches Blut! Nehmt ihr das weiße!« sagte Michele zum Ritter. »Der Besitzer, auch ein Renegat, hat es mir besonders empfohlen!«

Sant’ Elmo und der Katalane nahmen lange, weißwollene Beduinenmäntel um, schnallten silbergeschmückte Gürtel für Säbel und Pistolen an und sprangen, das Gewehr im Arm, in den Sattel.

»Fort oder ihr kommt zu spät!« drängte der Mirab. »Noch einmal: Seid vorsichtig! Sucht Zuleik allein zu überraschen! Abends erwarte ich euch hier!«

Noch ein Abschiedswinken, und rasch gings im Trab den Hügel hinab.

15. ZWEI NEBENBUHLER IM KAMPF

Die Sonne ging auf, als die drei Ritter die Ebene von Blidah erreicht hatten. Zwischen Eichengebüsch, Palmengruppen, indischen Feigen und Aloe lagen da nur vereinzelte Duars.

Auf diesen fast unbewohnten Steppen huldigten die reichen Mauren Kriegsspielen und besonders Falkenjagden. Ein Sport, der nur dem Adel und den hohen Würdenträgern vorbehalten war!

Falken und Windhunde durften nur von Hochgestellten gehalten werden. Andere setzten sich durch ihren Erwerb schweren Strafen aus.

Die vornehmen Mauren hatten zwar Falkner in ihrem Dienst, nahmen sich persönlich aber leidenschaftlich der Falken an. Diese spielten bei ihnen dieselbe Rolle wie die Pferde.

Sonderbarerweise wurde ein Falke von ihnen nie länger als eine Jahreszeit gebraucht und auch nie länger gefangen gehalten. Nach den großen Herbstjagden setzte man diejenigen Falken, die sich am tapfersten an kalten Nebeltagen erwiesen hatten, in Freiheit, obwohl für einen solchen Vogel oft mehr als für ein gutes Pferd gezahlt wurde.

Auch heute besteht in Algier die Sitte, im Sommer Falken zu fangen, sie zwei bis drei Monate zu dressieren und zur Jahreswende wieder loszulassen. In der Zeltansiedlungen der Eingeborenen, bestehend aus wenigen Zelten. In Gefangenschaft ausgebrütete Falken werden nie verwendet.Eigenartig ist das Fangsystem der Falkner. Sie suchen die Nester auf, stecken dort eine Taube in ein ganz feines Nest von Tierhaaren, das sie an der Bewegung nicht hemmt, und lassen dieselbe los. Die Falken stürzen sich darauf, verwickeln dabei ihre Fänge im Netz, so daß sie nicht mehr ordentlich fliegen können, und werden auf diese Weise leicht gefangen.

Als der Normanne und seine Begleiter die Ebene erreichten, hatte die Jagd schon begonnen. Etwa zwei Dutzend Reiter hatten sich um einige in der Nacht gespannte Netze versammelt. Mitten unter ihnen erkannte der Baron seinen Gegner. Er saß auf einem prächtigen, reich gezäumten Rappen, einen Falken auf der Schulter, den andern auf der Hand. Die Köpfe der Tiere saßen in silbergezierten Lederkappen. Um ihn scharten sich die Mauren und die bunt und auffällig gekleideten Falkner.

Unwillkürlich fuhr des Barons Hand ans Gewehr, und eine Blutwelle stieg ihm ins Gesicht. Aber der Normanne rief ihm zu: »Was tut ihr? Wir sind zwei, höchstens drei gegen zwanzig Reiter und alle ihre Sklaven!«

»Ihr habt recht! Bald hätte ich eine Torheit begangen!«

»Wenn ihr Geduld habt, wird sich schon Gelegenheit finden! Sobald eine Gazelle oder ein Hase auftaucht, müssen die Reiter sich zerstreuen! Warten wir also ab!« Sie stiegen von den Pferden, banden sie an Eichenbäume und streckten sich ins Gras. Das Gebüsch verbarg sie vollkommen. Von dem kleinen Hügel, auf dem sie sich befanden, konnten sie alles überschauen und Zuleiks Bewegungen folgen. Dieser führte eben seine Begleiter zu einem Sumpf am Fuße des Hügels, wo zahlreiche große Wasservögel sich zeigten.

»Sie wollen erst ihre Falken erproben«, raunte der Normanne, der mehrfach solche Jagden mit angesehen hatte, dem Ritter zu. »Dann werden sie Gazellen aufsuchen, wobei für uns die Gelegenheit naht! Nur Zuleik nicht aus den Augen verlieren!«

»Wenn ihr wüßtet wie ich ihn hasse!«

Die Jäger waren am Sumpfe angelangt. Als der Maurenfürst mehrere Reiher erblickte, nahm er dem Falken auf seiner Faust Kappe und Kette ab.

Das schöne Tier saß einen Augenblick wie geblendet, aber dann stieg es kerzengerade in die Luft. In etwa 50 Meter Höhe fing es an zu kreisen. Ein Reiher, der die Gefahr bemerkte, suchte sich in den Ästen einer Eiche in Sicherheit zu bringen. Aber ehe es ihm gelang, stürzte sich der Falke auf ihn. Der Reiher wehrte sich verzweifelt mit dem Schnabel, und der Falke hatte genug zu tun, den Hieben auszuweichen.

Als der Kampf etwa 20 Minuten gedauert hatte, ließ Zuleik seinen zweiten Falken los. Dieser war größer und stärker als der erste. Im Nu stürzte er sich auf die Kämpfer und tötete mit einem Schnabelhieb auf den Kopf den Reiher.

»Eine Gazelle! Die Falken los!« hörte man die Sklaven rufen. Dem reizenden Tier folgten vier andere. Die Jäger sehen und mit Blitzesschnelligkeit verschwinden, war eins. Die Mauren jagten hinterher, ohne sich weiter um die zwei Falken zu kümmern.

Der Normanne war aufgesprungen. »Baron«, sagte er, »im Augenblick werden sich die Reiter verteilen. Vielleicht können wir Zuleik allein im Walde überraschen! Seht, er galoppiert dort schon mit seinem Falkner nach dem Busch! Die andern reiten jenseits! Kommt!«

Sie sprangen in den Sattel und folgten langsam den Jägern. Ein zweiter Hügel hinter einem Palmenwäldchen bot einen guten Beobachtungsposten.

Zuleik, immer gefolgt von seinem Falkner, galoppierte 400–500 Meter vom Hügel entfernt. Offenbar in der Absicht, die Gazellen zu ermüden, ehe er seine zwei weiteren Falken steigen ließ. Die übrigen waren weit verstreut in der mit Gebüsch bewachsenen Gegend.

»Wir erreichen ihn!« rief der Normanne. »Das nenne ich Glück!«

»Für euch der Falkner, für mich Zuleik!« entgegnete der Ritter strahlend. »Eisenkopf bleibt in Reserve!«

Der war froh, seine Ruhe zu behalten. »Welches Signal soll ich geben, wenn Gefahr droht?«

»Schieß die Büchse ab!«

»Baron, jetzt ist der Maure dort im Busch! Er kann uns nicht mehr entgehen!«

Sie jagten nach einem Gehölz, in welchem Zuleik verschwunden war.

Auf einer Lichtung parierte der Normanne sein Pferd.

»Ihr wollt den Fürsten töten!« fragte er.

»Ja«, erwiderte der Ritter fest.

»Nehmt ihn lieber gefangen! Wir könnten ihn für die Gräfin austauschen. Das wäre das Klügste!«

»Glaubt ihr?«

»Tot nützt er uns nichts. Lebendig ist er uns eine wertvolle Geisel! Ist die Gräfin erst frei, dann ... «

»Da kommt die Gazelle! Die Waffen bereit!«

Das schöne Tier stürzte, zu Tode erschreckt, in Schweiß gebadet, mit hängender Zunge auf die Lichtung. Über ihm kreisten die Falken. Wie der Blitz stießen sie jetzt auf seinen Kopf und hackten ihm die Augen aus. Jammernd brach das arme Geschöpf zusammen.

Nicht viel später erschien Zuleik und sein Falkner. Beim Anblick der beiden Bewaffneten hielten sie die Pferde an.

»Wer da! Was wollt ihr?« schrie der Maure, Faust am Yatagan.

Der Baron warf die Kapuze zurück.

»Kennst du mich, Zuleik ben Abad, Sklave und Tiorbaspieler der Gräfin Santafiora?«

Der Maure war starr vor Überraschung. Trotz der Verkleidung erkannte er sofort den Feind an den blonden Haaren und den weiblichen Gesichtszügen.

»Ihr hier?« rief er, nachdem er sich ermannt hatte, und zog mit einem Griff den Yatagan aus der Scheide. »Auf, Falkner! Es gilt, diese Christen niederzuhauen!«

Der Falkner war ein starker Mann, behaart wie ein Bär und gut bewaffnet. Sogleich ritt er gegen den Baron los, aber der Normanne schnitt ihm den Weg ab. »Du hast es mit mir zu tun!«

»Flieh, Malek!« schrie Zuleik, »ruf die andern herbei!«

Dazu war es zu spät. Schon schlug der Normanne auf ihn ein.

Inzwischen hatte sich der Baron auf Zuleik gestürzt, und beide fochten wutschnaubend miteinander. Beide waren gleich geschickt, gleich waffengeübt, gleich mutig. Doch der Maure wußte nicht allein die Angriffe abzuwehren, sondern verstand es, sein Pferd allmählich immer mehr dem Rande des Gehölzes zu nähern.

Die Rosse bäumten sich, die Hiebe flogen, aber keiner traf den andern.

Nicht weniger gut verteidigte sich der Falkner, der dem Normannen viel zu schaffen machte.

Vergebens schrie der Ritter, der die Nähe der andern Mauren ganz vergessen hatte: »Steh jetzt und such mir nicht immer auszuweichen! Du hast Furcht, Verräter!«

»Ich warte nur auf den Augenblick, dich zu töten!« entgegnete dieser.

»Ah, Feigling, dir stände besser, die Tiorba zu spielen!«

Auf diese Beleidigung hin führte Zuleik einen so wuchtigen Schwertstreich, daß er beinahe getroffen hätte.

Sant’ Elmo antwortete mit einem Schlag, der das Oberkleid des Gegners zerfetzte.

Aber jetzt hatte man den Waldessaum erreicht. Der Maurenfürst schrie mit aller Kraft: »Freunde, zu Hilfe!«

In demselben Moment stürzte der Falkner mit zerschmettertem Schädel zu Boden. Vom Hügel hörte man die Büchse Eisenkopfs knallen.

Der Normanne wollte dem Ritter zu Hilfe eilen. Da sah er sieben oder acht Reiter unter lautem Geschrei durch die Bäume jagen. Und er erkannte die Gefahr, in der sein Schutzbefohlener schwebte.

»Flieht, flieht, Baron!« rief er und trieb sein Pferd mitten durch die Reiter hindurch.

Sant’ Elmo hatte es schon mit mehreren herbeigeeilten Falknern zu tun. Auf diese hieb der Seemann mit allen Kräften ein, ergriff im Fluge das Pferd des Barons am Zügel und raste mit ihm davon.

Beide galoppierten auf Blidah zu. Auf ihren Fersen die wütend brüllenden Verfolger.

»Fangt die Christen!« schrie Zuleik. »Hundert Zechinen dem, der den jüngeren erwischt!«

»Wo ist Eisenkopf?« fragte der Ritter.

»Hol’ ihn der Teufel! Warum hat er das Signal so spät gegeben! Der wird sich schon zu helfen wissen!«

»Zuleik ist mir wieder entschlüpft!« knirschte Sant’ Elmo.

»Er hat euch teuflisch angeführt, und ihr seid ihm in die Falle gegangen! Ihr kennt eben noch nicht genug die Schlauheit der Mauren!«

»Zum dritten Mal ist er mir entgangen!« seufzte der Baron.

»Wenn diese verdammten Falkner nur einen Augenblick später gekommen wären! ... Jetzt wird der Maure alles aufbieten, um unserer habhaft zu werden!«

»Ah, wie uns die Kerle hetzen! Sie wollen uns bis nach Algier jagen!«

»Wir fliehen in die Wüste, Herr Baron! Unsere Pferde werden es aushalten. Vor allem heißt es, Vorsprung gewinnen!«

16. DIE JAGD AUF DEN RITTER

Die Mauren, geführt von Zuleik, hatten die Verfolgung mit wildem Geschrei aufgenommen.

Es war ihre Absicht, die Flüchtlinge nach Algier zu drängen, wo sie den Wachen auf den Mauern der Kasbah in die Hände fallen mußten.

Als treffliche Reiter, flogen sie förmlich mit ihren feurigen Rossen, die kein Hindernis kannten, über die Steppe. Das Schauspiel, das sie mit ihren fliegenden Mänteln, bunten Turbanen und glänzenden Waffen boten, hätte unter andern Umständen auch bei dem Baron Bewunderung erregt.

Ihre Pferde schienen Flügel zu haben. Spalten im Boden, Baumstämme, Gestrüpp wurden mit zauberhafter Geschicklichkeit bewältigt.

Aber der Normanne, der Bescheid wußte, war nicht minder gewandt. Nachdem er sich einige Meilen gegen Algier hatte drängen lassen, warf er sich – sicher der ausgeruhten, vortrefflichen Pferde – in ein Eichenwäldchen und nahm von dort, im Schutze der Bäume, die Richtung nach Süden.

Die Verfolger, im Glauben, daß die Christen ihren Lauf nach Norden fortsetzten, um in der Stadt sich zu verbergen, bemerkten die List erst nach einiger Zeit. Sie entdeckten dann die Flüchtlinge erst auf dem Wege nach dem hinter den Hügeln liegenden Modeah.

»Wohin geht es?« fragte der Baron.

»In die Berge, fern von bewohnten Orten. Sie haben uns leider wieder entdeckt! Wir werden sie kaum loswerden!«

»Sind da nicht Minaretts? Droht uns auch dort Gefahr?«

»Es sind die von Modeah! Die Mauren können sich dort frische Pferde verschaffen ... Hier ist uns alles feindlich gesinnt. Der Christ gilt nur als Ware, die auf dem Markte gut bezahlt wird!«

»Aber wie lange soll diese Flucht noch dauern?« Sant’ Elmo fühlte sich schwebend, wie von einem Schicksal getragen.

»Solange unsere und ihre Pferde noch aushalten! Vor der Hand zeigen sie keine Spur von Erschöpfung. Wenn möglich, kehren wir diese Nacht noch nach Algier zurück!«

»Was mag nur aus Eisenkopf geworden sein?«

»Wahrscheinlich ist der feige Prahlhans längst nach Algier unterwegs, nachdem er uns im Stiche gelassen!«

»Er wird den Mirab benachrichtigt haben«, meinte der Ritter.

Die Gegend wurde nun immer wilder und wüster. Nur kleine Gruppen schwarzer Zelte, gewebt aus Fasern der Zwergpalme, Duars der Nomaden, zeigten sich hier und da neben Gebüschen von Eichen, Palmen, Aloe, Akazien und indischen Feigen. Schwarze Schafe stoben erschreckt vor den Reitern auseinander.

Die Flüchtlinge eilten den Hügeln zu, wo Eichenwälder etwas Schutz zu bieten schienen. Aber die Pferde zeigten jetzt immer deutlicher Spuren der Ermattung.

Auch von den Mauren verlangsamten viele ihren Lauf, wie der Normanne bei flüchtigem Rückblick feststellen konnte. Nur fünf bis sechs, mit Zuleik an der Spitze, rasten weiter auf der Spur der Christen.

So schwer auch den Tieren der ansteigende Bergpfad wurde, so setzten sie doch den Weg fort. Gegen Mittag erreichten sie die Höhe. Dann aber blieben die Pferde mit hängender Zunge erschöpft stehen.

»Kurze Ruhe ist unbedingt nötig! Wir müssen die Verfluchten Mauren zum Stillstand bringen!«

Zuleik und sein kleines Gefolge zeigten sich in halber Bergeshöhe. Ihre Rosse schienen auch bis aufs äußerste erschöpft.

Die Christen machten die Gewehre zurecht, nachdem sie aus dem Sattel gestiegen.

Die Mauren sahen sich beim Anblick der schußfertigen Gegner nach Deckung um. Ehe sie eine solche fanden, hörten sie schon Schüsse knallen, und ein Pferd mitsamt seinem Reiter fiel.

Nun kletterten die andern unter wildem Wutgeschrei den Berg weiter in die Höhe.

»Fort!« rief der Normanne. »Wieder auf die Pferde! Wir haben keine Zeit mehr zum neuen Laden der Gewehre!«

Wieder sprangen sie in die Sättel und rasten den Abhang hinunter nach der anderen Seite zu.

Jetzt scholl das Geschrei der Feinde von oben herab. Sie folgten ihnen nach ...

»Was für Pferde müssen nur diese Kerle haben! Die unsrigen brechen schon zusammen!«

Ohne Erbarmen spornten sie nun aufs neue die Pferde an. Da tauchten plötzlich vor ihnen Reiter mit braunen Mänteln auf, die aus einer Schlucht hervorkamen. Alle bewaffnet mit langen Lanzen und Säbeln, gegen 30 Mann.

»Kabylen!« schrie der Normanne.

»Neue Feinde?« fragte der Ritter hastig.

»Ja, alle sind’s Feinde! Wir müssen uns trennen, wenigstens vorläufig. Ich locke die Kabylen nach Osten, ihr sucht euch in entgegengesetzter Richtung zu retten! Bleiben wir leben, sehen wir uns in Algier wieder!«

»Wie wollt ihr denn mit dem ermatteten Pferd weiterkommen?«

»Sorgt nicht um mich! Ich kann mich als Muselmann ausweisen. Ich bin nur um euch bange, da ihr nicht einmal arabisch könnt!«

Ohne weiteres jagte er nach rechts den Hügel entlang. Die durch das Geschrei der Mauren aufmerksam gemachten Kabylen folgten ihm sofort nach.

Der Baron dagegen jagte in die von ihnen verlassene Schlucht, wo er ein Palmenwäldchen zu erreichen hoffte. Er brauchte die Sporen ...

Aber plötzlich brach sein Pferd zusammen, blutigen Schaum vor den Nüstern. Er hatte gerade noch Zeit, die Füße aus den Bügeln zu ziehen.

Den Säbel in der einen, eine Pistole in der andern Hand, so erwartete er den Feind.

»Arme Ida, was wird dein Schicksal sein!« seufzte er.

Von den zwei heransprengenden Reitern schoß er einen vom Sattel. Der andere aber rief ihm zu: »Ergib dich, oder ich töte dich!«

Die Antwort war ein Säbelhieb auf den Kopf des Pferdes, das zusammenbrach.

Jedoch der zweite Hieb auf den Reiter ging fehl. Der gewandte Maure warf sich nach hinten. Es gelang dem Ritter, ihn an der Gurgel zu packen.

Da erschien zum Unglück Zuleik mit seinen Begleitern auf dem Kampfplatz.

Schon schwang einer von ihnen den Yatagan über des Christen Kopf, als Zuleik schrie: »Daß keiner ihn berühre! Er gehört mir!«

Und ein Mantel wurde über Sant’ Elmo geworfen. Im nächsten Augenblick stand er gebunden vor dem Maurenfürsten.

Zuleik betrachtete ihn mit gekreuzten Armen, während der Baron seinen Gegner mit verachtenden Blicken maß.

»Wohlan, Sklave, vollende dein Werk! Töte mich! Ein Ritter Sant’ Elmo fürchtet den Tod nicht!«

»Und ein Nachkomme des Kalifen mordet nicht!« antwortete Zuleik. »Nur im Kriege tötet er, denn er weiß Tapferkeit zu schätzen!«

»Großmütig?« fragte der Baron ironisch.

»Vielleicht mehr als ihr glaubt. Gebt mir euer Wort, wenigstens bis zur Ankunft in Algier keinen Fluchtversuch zu machen!«

»Was wollt ihr mit mir anfangen?«

»Ihr werdet es hören, wenn wir allein sind! Euer Wort, Ritter!«

»Ihr wollt mich pfählen lassen!«

»Das habe ich noch nicht im Sinn!«

»Gut, ich gebe mein Wort!«

Darauf durchschnitt Zuleik, ohne auf die Bemerkungen seiner Begleiter zu achten, selbst die Fesseln und wies auf das Pferd des erschossenen Mauren: »Steigt auf und folgt mir!«

Schweigend wurde der Rückweg angetreten. Voran Zuleik, dann der Baron und hinter ihm die letzten vier Mauren.

Vom Gipfel des Hügels aus spähte Zuleik in die Wüste. Niemand war sichtbar. Auch kein Laut ließ sich hören.

»Wer war euer Begleiter, Baron?«

»Ich kann es nicht sagen!« antwortete der.

»Ein Berber oder ein Christ?«

»Was geht das euch an?«

»Vielleicht könnte ich ihn retten!«

»Um ihn später zu verderben! Nein, lieber bleibe ich in der Hand der Kabylen!«

»Wie ihr wollt!«

Man stieg den Hügel hinab, zu dessen Fuße die Falkner mit ihren erschöpften Pferden standen.

Nach einigen halblaut gegebenen Befehlen des Maurenfürsten ging es weiter.

Der Ritter sah sich fortgesetzt aufmerksam nach seinen beiden früheren Gefährten um. Um den Katalanen war ihm weniger bange. Der wußte sich schon zu helfen.

Aber wie stand es mit dem Normannen? Wer konnte sich jetzt, wo er gefangen war, um die Befreiung der Gräfin kümmern ... ? Wer konnte ihn selbst aus Zuleiks Klauen lösen?

Vertieft in seine Gedanken, bemerkte er kaum, daß sie sich Algier genähert hatten. Die Minaretts und Kuppeln seiner Moscheen zeigten sich schon auf den Hügeln. Erst als ihn das Straßenleben umgab, wußte er, daß er sich in der Stadt befand.

»Wohin bringt ihr mich?« fragte er den jetzt an seiner Seite reitenden Zuleik. »Zu Culkelubi? Dann hättet ihr mich lieber gleich töten können!«

Der Maurenfürst schüttelte den Kopf.

»In ein Bagno?«

»In mein eigenes Haus!«

»Um mich von euren Sklaven pfählen zu lassen?«

»Ein Kalifennachkomme ist kein Henker! Ihr werdet ja sehen!«

Plötzlich stieß der Baron einen leisen Schrei der Überraschung aus.

Zwei riesige Neger auf reich geschirrten Schimmeln betrachteten ihn aufmerksam, dann schlossen sie sich der Kavalkade an.

Es waren dieselben, die ihm gegen die Beduinen beigestanden hatten. Sollten sie ihm gefolgt sein oder ihn zufällig getroffen haben?

In jedem Falle erfüllte ihn eine geheime Freude bei dem Anblick der herkulischen Erscheinungen.

Sie wachten über ihm. Wer mochte seine Schutzgöttin sein?

Da hielt Zuleik vor dem Portal eines prächtigen Palastes, vor dem vier andere Neger Wache hielten.

17. IM PALASTE DER BEN ABAD

Die Größe und der Reichtum dieses Palastes gaben einen Begriff von der Macht und dem Ansehen der Familie des ehemaligen Sklaven der Gräfin Santafiora.

Wie alle maurischen Häuser, war er viereckig, ohne Fenster von außen, überragt von Galerien aus weißem Stein mit Arkaden, Terrassen und Türmen, die vergoldete Kuppeln trugen.

Ein breites maurisches Tor öffnete sich in den innern Hof, der in grünem Mosaik gepflastert und mit reichen Rabatteppichen ausgelegt war.

In der Mitte plätscherte, umgeben von einer Schale, ein Springbrunnen. Ein buntes Segel schützte vor der Sonne.

Reich gekleidete Neger, weiße Sklaven, Wächter zeigten sich an den Türen. Von den Terrassen hörte man Tamburin- und Tiorbatöne.

Erstaunt blickte der Baron auf diese Pracht.

»Ihr seid in meinem Hause«, rief ihm der Maurenfürst zu.

Und beide stiegen vom Pferde.

Sant’ Elmo trat in einen großen, vermittels der schmalen, mit Seidenvorhängen bedeckten Fenster nur schwach erhellten Saal.

An den Wänden hingen prächtige Stoffe. Leichte Möbel aus Ebenholz, mit Perlmutter verziert, große venezianische Spiegel in kunstvollen Rahmen, hohe Kandelaber und Divane, bedeckt mit Teppichen aus allen Ländern des Orients, erfüllten den Raum. In der Mitte sandte ein Triton einen Wasserstrahl in das Marmorbecken.

Zuleik schloß die Tür, trat vor den Baron und sagte: »Leben oder Tod liegt in eurer Hand! Wählt!«

»Ich erwarte Aufklärung darüber!« war die Antwort des Überraschten.

»Was habt ihr hier in dem allen Christen verschlossenen Lande zu suchen?«

»Ihr wißt es selbst am besten! Ich suche meine Braut, die ihr geraubt habt!«

»Ihr liebt also die Gräfin so sehr, daß ihr für sie Tausenden von Feinden zu trotzen wagt?«

»Sicherlich mehr als ihr!«

»Nein«, rief der Maure mit wildem Ausdruck, »Niemand kann das Mädchen mehr lieben als ich, der ich Ehre und Freiheit geopfert, allein um in ihrer Nähe zu atmen. Nur meine Leidenschaft fesselte mich an jene Insel ... «

»Wo ihr sie verraten habt!«

»Haben mich die Christen nicht gleichfalls geraubt? Hättet ihr anders gehandelt, wenn ihr wußtet, daß euch die Angebetete verloren gehen sollte?«

»Und glaubtet ihr, daß euch die Gräfin die Hand zur Ehe gereicht hätte? Einem Ungläubigen?«

»Um sie zu erringen, würde ich sogar – Renegat werden!«

Der Baron blickte den Fürsten staunend an. Eine solche Leidenschaft flößte ihm Achtung ein.

»Die Gräfin wird euch dennoch nie gehören!«

Er sagte es, als ob er sich von einem Alb befreien wollte.

Wie ein Blitz zuckte es aus den Augen des Mauren.

»Jetzt kann sie mir niemand mehr streitig machen ... !

»Ich!«

»Ihr scheint zu vergessen, daß wir in Algier sind!« sagte Zuleik ironisch, als der Ritter auffuhr und seine Hand nach der Stelle griff, wo früher sein Schwert gehangen. »Nur ein Wort von mir, und ihr seid dem Henker verfallen!«

»Ihr wäret wirklich fähig, mich auszuliefern, nur weil ich meine gerechte Sache vertrete?«

»Wenn die Ben Abads auf Hindernisse stoßen«, fuhr Zuleik fort, »beseitigen sie dieselben! Es liegt an euch, euer Leben zu retten! Ihr seid zu Hause reich und angesehen, seid jung und tapfer, und die Zukunft liegt lachend vor euch. In eurem Lande fehlt es nicht an schönen Mädchen edler Abkunft. Warum wollt ihr den Tod suchen? Verzichtet, und noch heute nacht bringt eine Feluke euch nach Malta oder Sizilien! Ihre Besatzung haftet mir mit dem Kopf für euer Leben!«

Atemlos starrte der Baron den Gegner an.

»Auf Ida verzichten? Nimmermehr! Lieber den Tod!

Die Augen des Mauren glühten wie die eines Tigers, der sich zum Sprunge rüstet.

»Also hängt ihr morgen an einem Pfahl!«

Tiefes Schweigen herrschte im Saal. Man hörte nur das Plätschern der Fontäne.

Allmählich wurde das Gesicht des Fürsten ruhiger.

»Ihr wollt meinen Vorschlag nicht annehmen? Gut, ich schenke euch das Leben!«

»Was wäre das Leben für mich ohne die Geliebte! Wenn sie erfährt, daß ihr mich getötet habt, wird sie euch hassen, und ich bin gerächt! Ermordet mich!«

»Ihr zieht also den Tod vor ... ? Ich gebe euch noch drei Tage Zeit! Bedenkt, daß Christen hier aufs qualvollste verenden! Ich wollte euch retten, was im andern Falle kein Gläubiger getan hätte. Seid ihr starrköpfig, so erfülle sich euer Geschick!«

Zuleik öffnete die Tür und schlug dreimal auf eine Metallplatte.

Zwei Bewaffnete erschienen.

»Bringt diesen Mann in den Saal des blauen Brunnens ... ! In drei Tagen, Baron, sehen wir uns wieder! Inzwischen bleibt meine Feluke segelfertig, bereit, euch nach Italien zurückzutragen!«

»Ich betrachte mein Dasein als abgeschlossen«, sagte der Ritter resigniert. »Andere werden die Gräfin befreien!«

Zuleik fuhr auf. Auf seinen Wink entfernten sich die Wachen wieder.

»Redet! Wen meint ihr damit?«

»Treue Freunde!«

»Rechnet ihr etwa auf euren Begleiter? Den haben die Kabylen in Händen!«

»Andere, Stärkere leben noch!«

»Renegaten? Schmuggler? Ich werde ihre Namen schon aus euch herausbringen!«

»Wir werden sehen!«

Jetzt waren die Wachen zum zweitenmal erschienen und hatten sich des Gefangenen bemächtigt.

Der Ritter ließ sich ohne Widerstand abführen.

Da sah er plötzlich am Brunnen die beiden ihm wohlbekannten Neger wieder, die er an ihrer Riesenstatur und ihrer Tracht erkannte.

Er mußte eine Marmortreppe nach einem obern Stockwerk hinaufsteigen. Dann ging es durch verschiedene dunkle Korridore in einen Saal, der sein Licht aus einer Öffnung an der Decke erhielt.

Auch hier hingen schöne Gewebe an den Wänden, und Teppiche bedeckten den Fußboden. Auf dem Divan lagen seidene Kissen. Ein kleiner Brunnen sprudelte inmitten eines Porzellanbeckens.

Die Wachen ließen Sant’ Elmo allein.

Völlig erschöpft warf er sich auf einen Divan und verbarg den Kopf in beide Hände. Aller Mut hatte ihn verlassen.

Die Nacht war hereingebrochen, als er eine leise Stimme vernahm, die seine traurigen Gedanken plötzlich unterbrach. Er glaubte, italienische Laute zu hören.

»Armer Ritter!« sprach die Stimme.

Erstaunt fuhr er empor und schaute um sich.

Ein Mondstrahl von oben erleuchtete nur eine Ecke des Saals. Der übrige Raum war in Dunkel gehüllt.

Kein menschliches Wesen war zu entdecken.

Schon glaubte er, sich geirrt zu haben. Da erfüllte ein süßer Ambraduft den Saal, der ihm das von den Negern überbrachte Billet ins Gedächtnis zurückrief.

Sollte hier in Zuleiks Palast jene geheimnisvolle Dame wohnen, die ihre Diener geschickt hatte, um ihn zu beschützen ... ?

Er trat zum Brunnen.

Da der Duft immer stärker, immer berauschender wurde, befiel ihn unwillkürlich die Furcht, daß der Maurenfürst den Befehl gegeben habe, ihn durch Ersticken zu töten. Neben Ambra roch es noch nach stärkeren Parfüms.

Eine unwiderstehliche Müdigkeit machte sich jetzt bei ihm bemerkbar.

Der Kopf wurde ihm schwerer und immer schwerer.

Er wankte zum Divan zurück.

Noch blieben seine Augen offen und starrten auf den Mondstrahl ...

Da erschien, umflossen von diesem Licht, eine menschliche Gestalt in weißem Gewände ...

Ein Weib, ganz eingehüllt in einen Schleier ...

Er wollte sich erheben – es gelang ihm nicht. Die Erscheinung näherte sich dem Divan, beugte sich über ihn und küßte ihn ...

Da schwanden ihm die Sinne.

Als er wieder zu sich kam, war die Vision verschwunden. Dunkelheit umgab ihn.

Nur das leise Rauschen des Wassers unterbrach das tiefe Schweigen der Nacht.

18. EIN TITANENKAMPF

Am andern Morgen weckte den Baron ein lauter Wortwechsel im Vorraum. Zwischen rauhen Negerund Berberstimmen hörte er italienische Laute und heftige Pfiffe.

»Vorwärts, Christenhund!«

»Du bist selbst ein Hund, frecher Neger!«

»Vorwärts oder wir brechen dir alle Knochen!« »Schurken! Ich bin ein Edelmann! Hätte ich nur meine Keule bei mir!«

»Vorwärts endlich!«

»Ich muß meinen Herrn sehen!«

»Du bekennst dich als Christen?«

»Ich bin ein treuer Anhänger Mohammeds!« Der Baron eilte zur Tür, obgleich sein Kopf noch benommen war von dem geheimnisvollen Ereignis der Nacht.

Er hatte die Stimme seines Dieners erkannt.

»Hat sich der dumme Kerl fangen lassen!« murmelte er.

Die Tür öffnete sich, und Eisenkopf flog, durch einen Stoß befördert, mit seiner rundlichen Gestalt kopfüber in den Saal.

»Schufte!« brüllte er, »hätte ich bloß meine Keule ... «

»Was tätest du da?« fragte der Baron, der vor ihm stand.

»Herr Gott«, rief der Katalane, der im Nu aufgesprungen war, »er ist’s, mein Herr! ... Ist es kein Traum?«

»Es wäre besser für dich, du träumtest, armer Eisenkopf. Wir sind in Zuleiks Händen.«

»Ich weiß es. Verdammter Maure! Der Teufel hole ihn.«

»Wie hast du dich kriegen lassen, ich glaubte dich gerettet!«

»Wir haben kein Glück in diesem Lande!«

»Warum hast du nicht rechtzeitig geschossen und uns gewarnt?«

»Als ich euch entdeckt sah, glaubte ich, euch frei mehr nutzen zu können, als gefangen, und deshalb versteckte ich mich oben auf dem Hügel. Am Abend hoffte ich nach Algier entkommen zu können, um die Mannschaft der Feluke zu benachrichtigen, als Zuleiks Falkner mich plötzlich erwischten!«

»Und so haben sie dich verhaftet?«

»Aber beileibe nicht ohne schweren Kampf! Man hat mich durch einen Hieb auf den Kopf betäubt! Wenn letzterer weniger standhaft gewesen wäre, so hättet ihr euren treuen Diener nimmer wiedergesehen. Es nützte nichts, daß ich mich für einen guten Muselmann ausgab. Man glaubte mir nicht, sondern schleppte mich vor Zuleik.

»Der dich sofort erkannte?«

»Auf der Stelle, trotzdem ich wilde Gesichter schnitt!«

»Und vom Normannen weißt du nichts?«

»Nichts. Wer weiß, ob er noch lebt!«

Der Katalane ließ das Haupt sinken.

»Mut, Eisenkopf, es gibt eine Dame in diesem Palast, die uns beschützt! Das muß die Herrin der zwei Neger sein. Ich habe sie deutlich gesehen, als sie sich heut nacht über mich beugte. Ich spüre noch ihre heißen Lippen auf meiner Wange ... Sie war von einem Schleier umflossen ... im Mondlicht ... «

»Ein Gespenst! Habt ihr auch nicht geträumt, Herr Baron? Ein Weib von Fleisch und Blut hättet ihr festgehalten!«

»Körper und Geist waren mir gelähmt!«

Eine halbe Stunde verging, während welcher die beiden sich ihren Gedanken hingaben.

Sie dachten an Flucht und grübelten nach, wie eine solche zu bewerkstelligen sei.

Da hörte man plötzlich Pferdegetrappel und drohende Rufe im Hof.

Ein Lärm entstand auf den Treppen und Terrassen, als ob eine feindliche Horde den Palast überfiele.

»Was bedeutet das?« fragte Eisenkopf, sich ängstlich erhebend. »Es klingt wie ein Kampf!«

Flintenschüsse fielen jetzt und dröhnten in der Kuppelhalle wider. Männerstimmen und Gekreisch von Frauen tönten wirr durcheinander.

»Wer kann Zuleiks Palast angreifen?« rief der Ritter. »Ist etwa gar ein Aufstand ausgebrochen?«

»Vielleicht sucht der Normanne mit seinen Seeleuten uns mit Gewalt zu befreien!«

»Unmöglich, das wäre ja Tollheit!«

Beide erblaßten, denn jetzt hörte man den Ruf: »Auf Befehl Culkelubis, liefert die Christen aus!«

Der Baron verstand genug berberisch, um den Sinn zu erfassen.

»Es hat uns jemand verraten. Man will uns verhaften!«

»Wer?«

»Culkelubis Soldaten.«

»Um Gottes willen, dann sind wir verloren!«

Der Lärm, die Schreie näherten sich ...

Von Zeit zu Zeit fielen wieder Schüsse ...

Sant’ Elmo sah sich nach einer Waffe um, aber vergeblich.

»Kampflos sollen wir untergehen!« rief er erbittert.

Da sprang die Tür auf, und herein stürzte unter wildem Geschrei eine Schar Janitscharen.

Ein Mann mit goldgesticktem Rock, offenbar der Führer, rief:

»Ah, da sind die Christen! Doppelte Beute! Greift sie.«

Doch ehe der Befehl ausgeführt war, vernahm man eine gebieterische Stimme:

»Halt! Man verletzt nicht das Haus eines Nachkommen der Kalifen!«

Eine wunderbar schöne Frau, die durch eine geheime Tür eingetreten, hatte sich vor die Gefangenen gestellt. Vier riesige, mit Stahlkeulen bewaffnete Neger, mit zwei kolossalen Hunden an der Leine, begleiteten sie.

Der Baron erkannte die Dame von der Sänfte wieder. Nicht zu groß, aber herrlich gewachsen, mit frischem, vollem Gesicht von der Farbe der Kreolin, tiefschwarzen, mandelförmigen Augen, die durch eine Antimonlinie künstlich verlängert und von langen Wimpern überschattet wurden, mit einem runden, vollen Mund, war sie der vollendete Typus einer maurischen Schönheit.

Wieder erschien sie – wie damals, als der Ritter sie zum erstenmal sah – in einem reichen Gewand aus grüner, durchsichtiger Seide, mit weiten, gold- und perlenbestickten Ärmeln, breitem Gürtel aus blauem Samt, der mit Brillanten besetzt war und weißen Pluderhosen aus Seidendamast.

Weder ein Schleier, noch ein Turban verhüllte heute ihren Kopf, den schwere Zöpfe zierten. Ein Teil des üppigen schwarzen Haares war auf der Stirn mit zwei Goldspangen gehalten.

»Amina!« murmelte der Ritter voller Bewunderung.

Die Dame hatte mit befehlender Handbewegung die Janitscharen zurückgedrängt.

»Was wollt ihr hier? Seid wann sind die Paläste der maurischen Prinzen und Prinzessinnen nicht mehr sicher? Hinaus mit euch!«

Die Janitscharen stutzten einen Augenblick vor der kühnen, jungen Frau. Ihre hohe Stellung war ihnen bekannt.

Aber nicht lange dauerte ihr Zögern. Der Offizier, der sie führte, antwortete entschlossen:

»Wir haben den Befehlen Culkelubis zu gehorchen, und ich rate vom Widerstand ab. Die beiden Männer sind Christen, Spione, und ich muß sie zum Generalkapitän bringen.«

»Du lügst wie ein Kabyle. Die beiden sind Muselmänner!«

»Sie mögen das vor Culkelubi beweisen!«

»Die Männer gehören mir und werden – ob Christen oder Muselmänner – den Palast des Fürsten Ben Abad nicht verlassen. Man rufe meinen Bruder!«

»Er ist heut morgen fortgeritten«, erwiderte ein Diener, »wir wissen nicht, wo er sich befindet!«

»In seiner Abwesenheit also befehle ich hier und fordere euch auf, sofort den Palast zu verlassen und Culkelubi zu bestellen, daß eine Prinzessin Ben Abad sich keiner fremden Laune fügt. Habt ihr gehört? Geht!«

»Nehmt euch in acht«, warnte der Anführer. »Noch nie hat jemand gewagt, den Befehlen des Generalkapitäns nicht zu gehorchen!«

»Dann werde ich die erste sein!«

»Wollt ihr mich zwingen, Gewalt anzuwenden, Prinzessin? Schon haben einige eurer Diener ihren Widerstand hier mit dem Leben büßen müssen!«

»Eine Drohung gegen mich? Das ist doch wohl nicht euer Ernst?«

»Und dennoch muß ich die Drohung ausführen! Ohne die Christen darf ich nicht zum Kommandanten zurückkehren!«

»Nun, versucht es, sie zu ergreifen!«

»Janitscharen, die Waffen bereit!«

Die Prinzessin erblaßte, mehr vor Zorn als vor Furcht.

Der Baron hatte bis jetzt geschwiegen. Er bewunderte den Mut dieser Frau, die sich erkühnte, den wildesten Soldaten Algeriens die Stirn zu bieten.

Nun trat er vor und rief: »Ich verstehe die Sprache nicht, aber ich bemerke wohl, daß es sich um meine Verhaftung handelt.«

Die tiefen, schwarzen Augen der Maurin blickten ihn zärtlich an.

»Ja«, sagte sie auf italienisch, »euch sucht man, aber ich füge mich nicht dem Befehl! Ich schütze euch. Zwei Pferde samt Begleitung sind zu eurer Flucht bereit!«

»Ich bin Christ, Prinzessin.«

»Ich weiß.«

»Ihr setzt euch Gefahren aus meinethalben!«

Die Dame zuckte verächtlich die Schultern. »Ihr werdet sehen, wie ich diese blutgierige Kanaille behandle!«

Darauf rief sie in ihrer Sprache dem Offizier nochmals zu: »Hinaus mit euch! Noch heut abend beklage ich mich bei dem Bey!«

»Der Generalkapitän wird sich meiner annehmen! Vorwärts, Janitscharen, ergreift die Christen!«

Die zwanzig Soldaten wollten mit geschwungenen Säbeln vorgehen, als die vier Neger sich wie eine Mauer vor die Prinzessin stellten und die Hunde losließen, die sich wie Tiger auf die Angreifer stürzten.

Der Offizier fiel, an der Gurgel gepackt, als erster zu Boden.

Ein Teil der Janitscharen hatte sich heulend auf die Christen geworfen, wurde aber von den Negern mit Keulen zurückgeschlagen. Die andern hielten die riesigen Hunde in Bann.

Der Baron wollte ein am Boden liegendes Schwert nehmen und sich am Kampfe beteiligen, doch die Fürstin rief: »Überlaßt das nur meinen Leuten und flieht inzwischen!«

»Und ihr, Prinzessin?«

»Sorgt nicht um mich. Culkelubi wird nichts gegen mich wagen!«

Während Neger und Hunde ein Blutbad unter den Janitscharen anrichteten, führte sie den Edelmann durch die Geheimtür über einen engen Gang, dann eine kleine Steintreppe hinunter zu einer Ausgangspforte.

Sie gelangten in einen großen, mit Palmengruppen und hohen Rosenbüschen bestandenen Garten. Vier prachtvolle Berberpferde warteten da, gehalten von zwei kräftigen Negern.

»Folgt ihnen, Ritter, sie werden euch an einen sicheren Ort bringen!«

Als der Baron ihr danken wollte, wehrte sie ihm.

Schnell sprang er wie der ihm gefolgte Katalane in den Sattel. Die Neger taten desgleichen. Und wie der Wind flogen die Rosse dahin.

Sie passierten eine breite, von Gärten begrenzte Straße.

»Herr, wohin geht’s?« fragte Eisenkopf, der sich nur mit Mühe im Sattel hielt und dessen Glieder von dem ausgestandenen Schrecken noch wie gelähmt waren.

»Wer weiß es? Sei froh, daß du noch am Leben bist!«

»Warum hat uns nur jene Dame geschützt?« fuhr Eisenkopf fort, der seine schwatzhafte Zunge nicht zügeln konnte. »Ob sie verliebt in euch ist ... ?«

Bald lag die Stadt hinter ihnen. Sie ritten durch die Felder zwischen hohen Aloegebüschen und mächtigen indischen Feigengruppen ...

Der Baron glaubte jetzt, daß man ihn ans Meer und auf ein Schiff nach Italien bringen wolle, aber bald überzeugte er sich, daß es landeinwärts ging, auf einen Turm zu.

»Wohin reiten wir?« fragte er die Neger.

»Wartet ab! ... Wir führen nur die Befehle der Fürstin aus«, war die Antwort.

Sie durchjagten einen kleinen Wald und gelangten an den Fuß eines Hügels, auf dem sich ein Schlößchen im maurischen Stile erhob mit weiten Terrassen und marmornen, säulengeschmückten Galerien. Ihm zur Seite ein zinnengekrönter Turm.

»Wo sind wir?«

»Im Schlosse Sidi Amans.«

»Wem gehört es?«

»Meiner Herrin!«

»Ich wäre lieber in Algier geblieben!«

»Dann wäret ihr Culkelubi in die Hände gefallen und nicht lebend wieder herausgekommen!«

»Laßt uns hier bleiben, Herr«, mahnte Eisenkopf, »es ist besser, als in den Krallen des Panthers!«

Ein schmaler Weg brachte die Reiter zu einer Zugbrücke, die, auf einen Pfiff der Sudanesen, sofort vom Wächter gesenkt wurde.

»Ihr seid in Sicherheit«, sagte der eine der Neger, »hier wird euch Culkelubi schwerlich finden!«

Sie stiegen im Schloßhof vom Pferde und wurden über eine breite Marmortreppe in einen Saal geführt.

19. DIE MAURISCHE PRINZESSIN

Wie alle Säle in den maurischen Palästen, war auch dieser große, von einer Kuppel überwölbte an den Wänden ringsum mit Diwanen ausgestattet. Teppiche lagen auf dem Mosaikfußboden, und an den hohen, vergitterten Fenstern hingen Vorhänge aus rotem, silber- und golddurchwirkten Stoff.

In der Mitte stand ein reich mit Silberplatten, Kristallflaschen und Bechern aus Lapislazuli gedeckter Tisch.

»Es scheint, Herr Baron, daß wir in ein Schloß aus ›Tausendundeiner Nacht‹ geraten sind. Es fehlt nur noch die Fee!« sagte Eisenkopf mit einem liebevollen Blick auf die Weinflaschen, die teils wie Rubin, teils wie Ambra schimmerten.

»Wahrhaftig, es ist wie ein Traum. Wenn dieser nur nicht ein schlimmes Ende nimmt!«

»Warten wir ab, einstweilen geht alles gut!«

Diener brachten jetzt große Schüsseln mit Speisen aller Art, Hühner, Fischen, gebratenem Hammelfleisch u.a.

Die seit mehr als 24 Stunden Fastenden zögerten nicht zuzugreifen. Die Speisen waren vortrefflich, nur die Saucen hatten einen eigenen Beigeschmack. Besonders mundeten ihnen die süßen Gerichte.

Entgegen den Landessitten, wurden ausgezeichnete italienische und spanische Weine gereicht.

Nach dem Mokka bot man auf goldener Schüssel eine süße Speise an, die stark nach Muskat und Nelken duftete und von violetter Farbe war.

»Was ist das?« fragte Eisenkopf den servierenden Neger, einer von denen, der sie begleitet hatte.

»Madjum«, antwortete der Gefragte lächelnd. »Meine Herrin hat es hergeschickt!«

»Bei diesem Namen bin ich so klug wie zuvor!«

»Ist deine Herrin schon hier?« Voll heimlicher Besorgnis fragte es der Ritter.

»Ich weiß es nicht«, war die Antwort.

»Sehr diplomatisch«, nahm Eisenkopf wieder das Wort. »Darf man wenigstens wissen, warum deine Herrin so viel Interesse für uns Christen hat?«

»Ich darf mich um die Geheimnisse meiner Herrin nicht kümmern!«

»Könnten wir aber erfahren, wer jene Dame ist?«

»Eine maurische Prinzessin!«

Aus ihm ist nichts herauszubekommen«, meinte Barbosa. »Ich bin nur neugierig, in welchem Zusammenhang die Prinzessin mit dem Zuleikschen Palaste steht!«

»Es wird eine Verwandte sein ... «

»Donnerwetter«, rief jetzt der Katalane, »mir dreht sich der Kopf. Ob das nicht von der süßen Speise ist!«

»Auch ich fühle Müdigkeit«, sagte der Baron. »Neger, hast du uns vergiftet?«

Der Riese lächelte nur und sagte: »Haschisch!«

Eisenkopf war schon auf die Polster gesunken und schnarchte.

Der Baron kämpfte auf einem Lehnstuhl vergeblich mit dem Schlafe, während der Neger ihm ein Seidenkissen unter den Kopf schob.

Das Madjum, diese im Orient und in Nordafrika so beliebte, bläuliche Speise, hatte seine Wirkung geübt und beide in einen rauschartigen Zustand versetzt.

Wie das Opium in China, führt es in das Reich der Träume ...

Kein menschliches Wesen ist imstande, der Wirkung dieses von alten Zeiten her überlieferten Rauschmittels zu widerstehen. Es wird aus Butter, Honig, Muskat, Gewürznelken und dem Extrakt von Hanf bereitet. Seine Wirkung ähnelt der des Opiums, ist aber feiner. Alle im Laufe der Zeiten dagegen gerichteten Verbote waren erfolglos. Der häufige Genuß der Speise untergräbt allmählich den menschlichen Organismus.

Während Eisenkopf nur von Riesenweinflaschen und von Tabak rauchenden Berbern und Türken träumte, hatte der fantasiebegabte Ritter andere Visionen.

Vor seinen offenen, unbeweglich starrenden Augen zogen Galeeren mit goldenen Segeln und silbernem Mastbaum vorüber, die, getrieben von einer Sturmbraut, auf einem Milchmeer schifften. Er sah zauberhafte Paläste mit leuchtenden Kuppeln, die an den Ufern eines ganz mit Lotosblättern bedeckten Sees lagen und sich von einem violetten oder grünlichen Horizont abhoben. Er erblickte herrliche Gärten, wo inmitten duftender Rosen anmutige Mädchen einen Tanz aufführten und ihn einluden, daran teilzunehmen, während ein hinter Sträuchern verstecktes Orchester seine Ohren mit himmlischen Melodien umschmeichelte.

Dann wieder wechselten die Bilder. Kämpfende Schiffe sah er und glaubte, Kanonendonner, Seufzer von Sterbenden und Siegesgeschrei zu hören. Vor seinen Augen erschienen Palmenwälder, grüne Ebenen, wo Reiter mit weißen, fliegenden Mänteln und blitzenden Säbeln dahinsausten, geführt von einem Krieger auf schneeweißem Rosse, und der Krieger glich Zuleik ... Und nun erblickte er inmitten von Diwanen, Fontänen und einer Unzahl Spiegeln, umhüllt von einer duftigen Wolke, eine wunderschöne Maurin, die ihm zulächelte und ihm winkte, ihr zu folgen. Dieses Bild verwandelte sich aber im Moment in ein zartes, junges Mädchen im blauen Seidengewande mit blassem Antlitz, die langen Haare aufgelöst über die Schultern fallend. Sie hatte die Arme mit verzweifelnder Gebärde erhoben und weinte. Es war die junge Gräfin Santafiora ...

Die Maurin jedoch erschien immer wieder. Sie tauchte auf aus den Meereswellen, schwebte hoch über Berggipfeln und Palmenkronen, über Wüstensand und Sümpfen. Immer sah er jene großen, tiefen Augen, als ob sie bis ins Innere seiner Seele schauen wollten ... Immer winkte sie ihm zu, ihr zu folgen in die Wälder, auf die leuchtenden Sümpfe ... Sie lächelte ... lächelte ...

Diese Bilder wichen dann schließlich einem prachtvollen Saal. Die Lichtstrahlen drangen durch die goldig schimmernden Scheiben der Kuppel und brachen sich tausendfältig an den weiß und blauen, mit maurischer Keramik verzierten Wänden. Palmen ragten aus Onyxvasen, und der süße Duft der Rosen von Bagdad erfüllte den Raum.

In seiner Mitte stand an einem goldenen Dreifuß, auf dem Räucherwerk brannte, eine wunderschöne Frau, von Schleiern umhüllt, die nackten Arme von goldenen und silbernen Schlangen umwunden ...

Sie sah ihn zärtlich an und murmelte: »Armer, junger Ritter!«

Der Baron sprang auf. Die Wirkung des Haschisch war verflogen.

Er sah die geträumte, bunte Kuppel, die prächtigen Teppiche, die seidenen Diwane, die Palmen, den Dreifuß mit der bläulichen Räucherflamme und – die Dame vor sich. Nur war es nicht mehr Tag. Ein großer venezianischer Kristallkronleuchter erhellte einen Tisch mit köstlichen Früchten und Süßigkeiten. Er rieb sich die Augen, blickte um sich und murmelte: »Wo bin ich? ... Eisenkopf, wo steckst du?«

Ein silbernes Lachen ertönte. Es kam von der schönen Frau inmitten des Raumes.

Und er erkannte plötzlich in ihr die Prinzessin, die ihn von den Janitscharen gerettet hatte.

»Träume ich denn?« rief er erstaunt.

Da fielen seine Blicke auf einen hohen Spiegel, und ein neuer Schrei der Verwunderung entfuhr ihm. Die braune Farbe, mit der ihn der Mirab eingerieben, war verschwunden; sein Gesicht war wieder weiß und rosig. An Stelle des im Kampf zerrissenen Gewandes trug er ein grünseidenes, goldgesticktes Jäckchen über einem weißseidenen Hemd, Brokatbeinkleider und hohe, gelbe Stiefel. Dazu einen Samtgürtel mit goldenen Behängen.

»Ihr seid überrascht?« fragte ihn die Dame mit ihrem bezaubernden Lächeln.

»Ich frage mich, ob ich noch unter dem Einfluß des Haschisch bin oder in einem Feenpalast« –

»Ihr seid in meinem Schloß.«

»Und mein Diener?«

»Sorgt euch nicht um ihn!«

Die Prinzessin schürte das Feuer auf dem Dreifuß, so daß sich ein süßer Duft verbreitete. Dann trat sie auf den Baron zu, ließ den Mantel fallen und stand ihm in ihrer reizvollen maurischen Tracht gegenüber. Die silbergestickte Samtweste ließ vorn am Halse die Spitzen des Untergewandes sehen. Ein bunter Gürtel aus Seide umschloß die feine Taille. Die weiten Pluderhosen wurden an den Knöcheln von Goldreifen gehalten. Lilienkelchen glichen die reichgestickten Pantoffel.

Der Ritter war wie geblendet, dann aber wich er instinktiv zurück.

Der Prinzessin entging seine Bewegung nicht. Sie runzelte leicht die Stirn –

»Ich hoffe, daß ihr nicht verschmäht, mit mir zu speisen. Ihr habt zehn Stunden geschlafen ... «

»Die Dame, der ich die Freiheit und vielleicht gar das Leben verdanke, kann über mich verfügen!« »Ihr versprecht vielleicht zu viel, Baron Sant’ Elmo!«

»Woher kennt ihr meinen Namen? Erlaubt mir eine Frage ... «

»Soviel ihr wollt, jedoch erst nach dem Essen. Ihr scheint bedrückt zu sein ... Ist es der ungewohnte Duft des Räucherwerks?«

»Nein, Prinzessin.«

»Beunruhigt euch nicht, wenn ihr auch hier im Schlosse nur unter Mohammedanern seid. Ein Mann, der es mit vier Galeeren aufgenommen, und der wie ein Kriegsgott gekämpft hat, kennt keine Furcht!«

»Wer hat euch das gesagt?«

»Ich weiß noch mehr. Welch’ sonderbares Unterfangen, euer schönes Vaterland zu verlassen und sich in diesem Lande der Fanatiker tausend Gefahren auszusetzen. Wie gern würde ich nach Italien zurückkehren! ... Noch sehe ich, wie durch einen bläulichen Nebel seine flammenden Vulkane, die grünschimmernden Inseln um Sizilien, die vielen Säulen und Kuppeln Venedigs ...

»Aber wer seid ihr nur?« rief der Baron voller Staunen.

»Eine maurische Prinzessin, wie ihr wißt!«

»Und ihr kennt mein Vaterland?«

»Ich weilte dort, als ich fast noch ein Kind war. Als mein Bruder –« hier machte sie plötzlich eine Pause und setzte dem Ritter Süßigkeiten vor. Dann füllte sie zwei silberne Tassen mit ambrafarbiger Flüssigkeit. Sie nippte an dem Trank und fuhr in leisem, fast traurigem Tone fort:

»Wenn mein Vater mich nicht einem Manne geopfert hätte, den ich nicht liebte, weil er beinahe so grausam wie Culkelubi war, wäre es mein sehnlichster Wunsch gewesen, in Italien zu bleiben und Algerien nicht wiederzusehen ... «

»Was ist aus eurem Gatten geworden?«

»Er ist auf einem Zuge gegen eure Küsten gefallen!«

Sie überließ sich einige Zeit ihren Gedanken, während auch der Ritter schwieg. Dann fragte sie wieder: »Und was suchtet ihr hier?«

»Ich werde es euch gestehen, wenn ihr mir eine Frage beantwortet!«

»Erst laßt uns speisen und dabei plaudern!«

»Ihr seid doch jene Dame, die ich bei der Moschee vor kurzem traf?« fragte Sant’ Elmo lächelnd. »Sagt, warum hattet ihr damals den Schleier gelüftet?«

»Um euch besser zu sehen!«

Sie blickte ihn lange, wehmütig an, ehe sie weitersprach.

»Ich fand eine Ähnlichkeit in euch mit einem Manne, den ich liebte ... Es war ein Landsmann von euch und ebenso schön und stolz wie ihr ... Oh, süßer Traum ... !«

»Es tut mir leid, Prinzessin, Schmerzen in euch erweckt zu haben!«

»Noch sehe ich ihn vor mir ... zu meinen Füßen, schön noch im Tode, mit seinen blonden, blutbespritzten Haaren!« Sie fuhr mit der Hand über die Stirn. Ihre Augen waren feucht. Dann ermannte sie sich: »Es wäre besser gewesen, Ritter, ihr würdet mir nie begegnet sein! Ich glaubte einen Moment, die Toten kämen wieder ... «

Dann sprang ihre Stimmung um, und sie fuhr lebhaft fort:

»Ich habe euch beobachten lassen. Ihr habt mich in seltsame Verwirrung gebracht. Mein Herz ist in Aufruhr ... Wißt, Algiers Frauen sind gefährlich! Welch ein höllischer Wind hat euch hergeweht und warum?«

»Ihr wohnt in Zuleiks Palaste, Prinzessin, und wißt es nicht?«

»Zuleik hat jetzt für nichts anderes Sinn, als für eine gefangene Christin! Aber er wird sie verlieren, weil sie schön sein soll. Vielleicht ist sie zu dieser Stunde schon im Harem des Bey!«

Der Ritter fuhr erschrocken auf.

Da sprang die Maurin wie ein Panther in die Höhe. Aus ihren dunklen, vorher so schmachtenden Augen leuchtete es wie ein Blitz.

»Warum seid ihr nach Algier gekommen?« zischte sie wie eine Schlange.

Der Baron ahnte, was in ihr vorging.

Einen Augenblick dachte er daran, sie zu täuschen, doch verwarf er es schnell, als seiner unwürdig. »Ich kam hierher, um eine Dame zu retten!«

Die Maurin erblaßte.

»Wer ist es?«

»Was tut der Name zur Sache!«

»Ihr werdet mir ihn nennen!« schrie sie mit flammenden Blicken.

»Niemals!« erwiderte der Ritter entschieden. »Ich lese in euren Augen eine Drohung. Als Edelmann habe ich euch gestanden, warum ich mich in solche Gefahr gestürzt habe – den Namen nenne ich nicht!«

»Und wenn ich es befehle?«

»Auch dann nicht!«

»Wenn ich euch aber bitten würde?« sagte sie schmeichelnd.

»Ich müßte bei der Weigerung bleiben!«

»Und warum?«

»Aus Furcht, daß das arme Mädchen Schaden dadurch erlitte!«

»Ihr habt recht«, sagte sie, ihm die Zähne zeigend. »Hierzulande bringen sich die Rivalinnen gegenseitig um!«

»Prinzessin«, rief der Baron, »ich bin Christ, und als solchen würdet ihr mich doch nie lieben können!«

»Glaubt ihr wirklich?«

»Der Koran verbietet es euch!«

Sie lachte höhnisch auf. Dann kam sie dem Ritter ganz nahe, legte ihre Hände auf seine Schultern und sagte, vor Erregung zitternd: »Ihr kennt die Frauen Algiers nicht. Ich schwöre euch, daß ich das Blut jener Christin trinken werde!«

Sant’ Elmo zuckte zusammen.

»Wollt ihr sie fallen lassen und mir gehören?« fuhr sie mit lauernden Blicken fort.

»Prinzessin, mein Herz gehört jenem Mädchen und keiner anderen!«

»Ihr habt Amina zurückgewiesen!« schrie sie wie eine Furie. »Nehmt euch in acht. Algier soll euer Verhängnis werden!«

Hierauf schlug sie mit einem Hämmerchen auf eine an der Wand hängende Metallscheibe.

Sofort betraten die zwei herkulischen Neger den Saal. »Bemächtigt euch dieses Christensklaven! Schafft ihn und seinen Begleiter in den Turm!«

»Prinzessin, ich bin ein Edelmann und noch kein Sklave!«

»Gehorcht!« befahl sie den zögernden Negern.

»Ihr sollt an Amina denken!« rief sie dem Ritter haßerfüllt nach.

Dann ergriff sie ein Kristallgefäß und zerschmetterte es am Boden.

»So werde ich es mit der Christin machen, sobald sie in meinen Händen ist! Culkelubi wird mir helfen, sie aufzufinden!«

20. AMINAS RACHE

Fünf Minuten später fanden sich der Baron und Eisenkopf in einem feuchten Keller wieder.

Der arme Katalane war ergriffen worden, als er gerade in einem schönen Saale eine reichliche Mahlzeit verdaute.

So plötzlich war der Wechsel gewesen, daß er glaubte, sich jetzt wieder in einem Haschischrausch zu befinden.

»Warum hat man uns denn hierhergebracht, Herr Baron? Bin ich betrunken oder hat irgendeine Süßigkeit mir wieder den Verstand geraubt?«

»Auf Befehl der Prinzessin, die es bereut hat, uns gerettet zu haben. Ich zittere für das Leben der Gräfin Santafiora. Sie will sie verderben.«

»Donnerwetter, dann muß die schöne Maurin ja ein Raubtier sein!«

»Sie ist gefährlicher als Zuleik!«

»Herr Baron, ich kombiniere, sie muß unsterblich in euch verliebt sein. Sie ist reich und schön – warum nehmt ihr sie nicht?«

»Schweig, Narr!« schrie ihn Sant’ Elmo an. Ungeachtet der Beleidigung, fuhr der Katalane fort:

»Hätte sie nur ein Auge auf mich geworfen! Aber ich habe kein Glück!«

»Und nun ist fast jede Hoffnung auf Rettung meiner Braut verloren!« seufzte der Ritter. »Der Normanne wird nicht mehr unter den Lebenden weilen ... «

»Weiß denn die Maurin, daß ihr und Zuleik dieselbe Dame liebt?« fragte Eisenkopf.

»Das habe ich mich gehütet, ihr zu gestehen. Auch du darfst nicht schwatzen!«

»Ich verspreche es euch. Nie hat ein Barbosa sein Wort gebrochen!«

»Auch wenn man dich folterte?«

»Dann würde ich zeigen, wie ein Barbosa zu sterben weiß!«

Lauter Lärm, wie vom Galopp verschiedener Pferde, unterbrach das Gespräch.

»Es kommen Reiter, vielleicht Culkelubis Janitscharen. Diesmal rettet uns die Fürstin nicht!«

»Und nicht einmal eine Waffe zur Verteidigung zu haben!« murmelte Sant’ Elmo voller Ingrimm.

Aber Eisenkopf hatte sich in der Herkunft der Reiter getäuscht.

Donnernd sprengten diese jetzt über die Zugbrücke.

Sie waren bestaubt wie nach einem langen Ritt. Zuleik führte sie an.

Er entließ sein Gefolge, sprang behend von seinem schweißbedeckten Pferd und rief: »Wo ist die Prinzessin?«

»In ihrem Zimmer!«

»Sagt ihr, daß ich sie im Spiegelsaal erwarte!«

Er erblickte die Tafel mit den zwei Gedecken und runzelte finster die Stirn ...

Amina war geräuschlos eingetreten.

»Willst du mich wegen meiner gestrigen Handlung zur Rede stellen?« fragte sie ruhig.

Zornig fuhr er sie an: »Culkelubi ist außer sich –«

Sie lachte laut auf.

»Daß ich seine Janitscharen zurechtgewiesen habe?«

»Daß du sie zum größten Teil hast umbringen lassen!«

»Pah, was liegt an ihnen! Man darf nicht den Palast einer Kalifenfamilie verletzen!«

»Die Strafe war dir wohl Nebensache. Du wolltest meinen Gefangenen aus ihren Krallen befreien. Wo ist der Baron?«

»Hier.«

»Gut bewacht?«

»So gut wie nur möglich«, antwortete Amina höhnisch. »Im Keller des Turms!«

Zuleik, der erregt im Saale auf und ab gegangen war, blieb überrascht stehen.

»Trotzdem du mit ihm hier zusammen gespeist hast? Der Baron ist ein Edelmann und verdient keine unwürdige Behandlung!«

»Aus welchem Grunde hast du ihn denn gefangen genommen?«

»Weil er auf San Pietro meine Pläne durchkreuzt hat!«

»Und was will er in Algier?«

»Eine Gefangene befreien!«

»Wie heißt sie?«

Zuleik schwieg.

»Ich werde ihren Namen schon erfahren!« schrie die Fürstin zornbebend.

Der Maure legte seine Hand auf ihre Schulter und schaute ihr fest in die Augen: »Du liebst den Malteserritter. Amina, es ist ein Christ!«

»Was tut es?«

»Er wird niemals dein eigen werden, denn sein Herz gehört einer andern Frau!«

»Die Culkelubi beseitigen soll!« zischte sie.

Zuleik erblaßte.

»Beim Barte des Propheten, kein Haar darf der andern gekrümmt werden!«

»Warum nimmst du denn solchen Anteil an der Christin?« fragte sie ironisch.

»Ich habe mich auf dem Schiff durch mein Versprechen verpflichtet, sie zu retten!«

»Ist sie schön? Ich will sie sehen!«

»Das kann nicht geschehen!«

»Zuleik!« rief sie drohend.

»Ich lese in deinen Augen ihr Todesurteil. Wenn du sie sähest, würde sie morgen nicht mehr leben. Mache mit meinem Gefangenen was du willst, aber um die Christin kümmere dich nicht!«

»Du hast sie also schon in deiner Hand? Ja, eine Sklavin ist mit den Schätzen der Ben Abad leicht zu kaufen!«

»Nicht alle«, erwiderte er düster. »Ich kenne eine, die alle Schätze der Welt zurückweisen würde!«

»Steht jemand dazwischen, der sie dir streitig macht? Dann schaff ihn beiseite!«

»Unmöglich. Er ist zu mächtig. Seine Beamten ... haben sie mir schon ... geraubt!«

»Wer hat es getan? Vertraue mir deinen Kummer an, Bruder!«

Aber Zuleik hatte schon den Saal verlassen.

Das Wiehern seiner Pferde draußen mahnte ihn an die eilige Rückkehr nach Algier. Er wollte Donna Idas Aufenthalt erkundigen. Amina eilte ans Fenster und blickte ihm lange nach, als er mit seinem Gefolge beim Mondenschein auf dem weißschimmernden Wege davongaloppierte.

Dann näherte sie sich einem mit Perlmutter ausgelegten Ebenholztischchen, auf dem sich ein goldenes Schreibzeug befand und schrieb entschlossen einige Zeilen auf ein Pergamentblatt.

Laut dröhnte wieder der Schall der Metallscheibe durch das Haus.

»Nimm sofort das beste Pferd und bringe diesen Brief zum Generalkapitän der Galeere!« befahl sie dem eintretenden Neger.

»Wird Culkelubi denn meine Botschaft annehmen, nach dem was gestern vorgefallen?« erlaubte sich dieser zögernd zu bemerken.

Sie lachte.

»Was gelten dem 10 Janitscharen mehr oder weniger! Ich wünsche, daß seine Leute morgen hier zur Stelle seien ... Nimm aber einen anderen Weg, nicht den von meinem Bruder eingeschlagenen!«

Der Neger verbarg das Billet in seinem Gürtel und folgte dem Befehl.

Amina warf sich auf einen Diwan und überließ sich ihren Rachegedanken.

»Mich zu verschmähen! Eine Ben Abad! Seine Schöne soll die Sklavin eines Negerhäuptlings werden und ihre weiße Haut in der Wüstensonne verbrennen lassen! Und er – er soll es am eigenen Leibe spüren, wie eine Afrikanerin hassen kann!«

»Eisenkopf.«

»Herr!« antwortete der Katalane gähnend und sich die Augen reibend.

»Es dämmert schon!«

»So früh? Ich glaubte, erst vor einer Stunde eingeschlafen zu sein ... Im Hofe höre ich übrigens das Stampfen vieler Pferde. Vielleicht hat Culkelubi unsern Aufenthalt entdeckt!«

»Ich muß gestehen«, seufzte der Baron, »daß ich mich jetzt lieber in seinen Händen, als in denen der Prinzessin befände. Sie jagt mir mehr Schrecken ein, als er!«

»Hm«, meinte Eisenkopf, »ich ziehe einen weiblichen Panther einem so berüchtigten männlichen vor!« Er trat zu der eisernen Tür und lauschte auf die Geräusche da draußen.

»Der Teufel, ich fürchte, es gilt uns!« rief er aus.

»Beweisen wir den Mauren, daß wir keine Furcht kennen!«

Die Tür öffnete sich. Die zwei riesigen Neger erschienen, gefolgt von einem Offizier mit vier bis auf die Zähne bewaffneten Soldaten.

»Was wollt ihr?« fragte der Ritter, ihnen entgegentretend.

»Ihr müßt sofort mit nach Algier!« antwortete der Neger. »Folgt ohne Widerstand. Sonst brauchen wir Gewalt!«

»Wir fügen uns dem Befehl!«

Man führte die Gefangenen in den Hof, wo einige 20 Soldaten warteten, die Gewehre bereit.

»Wem gehören diese Leute?«

»Dem Generalkapitän der Galeeren!«

Dem Baron stand kalter Schweiß auf der Stirn, aber er bestieg, scheinbar ruhig und ohne Furcht, das vorgeführte Pferd.

»Christ«, rief der Offizier, »wenn du zu fliehen versuchst, wirst du niedergeschossen!«

Als sie die Brücke passiert hatten, schaute sich der Ritter noch einmal um. Und er sah auf der durch den Mondschein erhellten Marmorterrasse die Prinzessin stehen. Im fliegenden Mantel, das schwarze Haar aufgelöst über die Schulter fallend. Haßerfüllt, triumphierend sah sie ihm nach.

Und fort ging es auf der weißen Landstraße nach Algier.

Im Morgengrauen hielt der Zug vor einem großen, von Soldaten und Seeleuten bewachten Gebäude.

Es war der Palast Culkelubis, des algerischen Panthers.

21. DIE FOLTER

Wurde Culkelubis Name genannt, so erblaßten Tausende der in den verschiedenen Bagnos schmachtenden Sklaven vor Angst und Schrecken.

Seine Grausamkeit, sein Haß gegen alle Christen, ohne Unterschied der Nationen, waren sprichwörtlich geworden.

In ihm verkörperte sich der mohammedanische Fanatismus bis zur äußersten Grenze, aber mehr aus Prinzip als aus Überzeugung. Er machte sich oft über seine eigene Religion lustig. Trotz Mohammeds Verbot betrank er sich täglich mit den besten Weinen, die er geraubt hatte.

Niedriger Herkunft, aber wagemutig und tapfer, der Typus eines Seeräubers, war er rasch bis zu den höchsten Stellungen emporgestiegen und hatte enorme Schätze aufgehäuft. Es gab kaum eine Küste, die er nicht geplündert, kaum eine Flotte die er nicht besiegt hätte. Er war die Geißel des Mittelmeers.

Zu jener Zeit stand er gerade auf dem Gipfel seiner Macht. Selbst der Bey von Algerien zitterte zuweilen vor ihm.

Die herrlichsten Paläste, die besten Schiffe waren sein. Die schönsten Sklavinnen, die stärksten Sklaven fielen ihm zu.

Und welche Grausamkeiten verübte er gegen die Unglücklichen, die in seiner Gewalt waren! Wieviele Tränen, wieviel Blut klebten an seinen Händen.

Weder Alter, noch Geschlecht, noch Schönheit fanden bei ihm Gnade. Er schlug seine Sklaven persönlich aus Vergnügen, bis sie halbtot am Boden lagen, oder er ließ die geraubten Christinnen an Säulen binden und peitschte sie in der Trunkenheit bis aufs Blut.

Die entsetzlichsten Martern erfand er für solche Gefangene, die Fluchtversuche machten. Er spießte sie an Haken an den Palastsäulen auf und ließ sie langsam zugrunde gehen, wenn er nicht gar befahl, sie zu Tode zu schlagen, in Mörsern zu zerstampfen oder in ungelöschtem Kalk umzubringen.

Am wildesten haßte er die Schmuggler, die immer wieder Gefangene befreiten. Wehe den kühne Abenteurern, wenn sie in seine Hand fielen! Er ließ ihnen die Kopfhaut abziehen und die Wunden mit siedendem Öl oder flüssigem Wachs begießen. An ihren Schreien erfreute er sich.

Kaum war der Baron vom Pferde gestiegen, als ihm brutal die Hände auf den Rücken gebunden wurden, so daß er nicht die geringste Bewegung machen konnte. Dann wurde er, zusammen mit Eisenkopf, durch eine Reihe langer Gänge geführt, wo überall Wachen standen. Und endlich in eine große, ganz in weißem Marmor schimmernde und von kleinen dorischen Säulen getragene Galerie. Vorhänge schützten den Bogenbau vor der Sonne, den Palmengruppen schmückten.

Auf einem niedrigen, rotseidenen Diwan hockte dort zwischen den Kissen ein Mann über die Fünfzig, mit grau gesprenkeltem Bart, mit einer Nase, krumm wie ein Papageienschnabel, mit Augen, die wie die eines Raubtiers unter der faltigen Stirn funkelten.

Seine Kleidung bestand aus weißer Seide mit breiten Goldborten und Smaragdknöpfen. In der Hand hielt er das lange Rohr einer perlenverzierten Nargileh-Pfeife, aus der er von Zeit zu Zeit mit gelangweilter Miene sog. Die Rauchwolken trugen den Duft von Rosenessenz.

Neben ihm standen, unbeweglich wie mächtige Bronzestatuen, zwei halbnackte Neger, gestützt auf ihre breiten Säbel, die Augen unablässig auf ihren Herrn gerichtet, seines Winkes gewärtig.

Der Baron, der allein, ohne Eisenkopf, in die Galerie geführt wurde, erschauerte bei dem Anblick des Galeerenkommandanten. Aber er trat doch mit erhobener Stirn und langsamen Schrittes vor den Diwan, indem er dem Gewaltigen, vor dem alle zitterten, mutig in die Augen sah.

Culkelubi hatte sich erhoben, um den Ankömmling besser zu sehen. Er schien guter Laune zu sein, denn er beschaute den Ritter ohne die zornigen Blicke, die man sonst an ihm gewohnt war.

Absichtlich langsam nahm er einige Züge aus der Tabakspfeife, zog aus einem am Gürtel hängenden Beutel einen Zettel hervor, den er mehrmals durchlas und bemerkte, ironisch lächelnd, in gutem Italienisch:

»Ein schöner Jüngling. Wer bist du?«

»Ein Levantiner«, antwortete der Ritter.

»Christ?«

»Muselmann.«

»Zu welchem Zwecke kamst du nach Algier?« »Um die in Deidjeli erworbene Ladung Schwämme zu verkaufen!«

»Wo ist deine Barke?«

»Ich habe sie nach Tanger geschickt, um Rabatteppiche einzukaufen!«

»Du bist also Seemann und Mohammedaner? Warum wurdest du verhaftet?«

»Ich weiß es nicht.«

»Du bist als Christ denunziert worden!«

»Wer das gesagt hat, ist ein Schurke!« antwortete der Ritter, der entschlossen war, die Lüge durchzuführen, um die Gräfin Santafiora nicht in Gefahr zu bringen. Erst vorgestern habe ich in der Moschee der tanzenden Derwische meine Andacht verrichtet!«

Culkelubi gab einem der Neger ein Zeichen.

Dieser brachte auf einem Ebenholztischchen ein in rotes Leder gebundenes Buch und schlug es vor dem Gefangenen auf.

»Lege deine Hand auf die Seite«, befahl Culkelubi, »und wiederhole meine Worte! Es ist der Koran, den du kennst!«

»Im Namen des alleinigen Gottes, denn es gibt keinen andern Gott neben ihm; im Namen Mohammeds, der sein einziger Prophet ist, denn es gibt keinen andern neben ihm, schwöre ich, ein wahrhaft Gläubiger zu sein und versichere es auf die Gefahr ewiger Verdammnis hin!«

Der Baron blieb stumm.

»Warum schwörst du nicht?« fragte der Generalkapitän, indem er Verwunderung heuchelte.

»Weil ich ein Edelmann bin!«

Culkelubi brach in ein satanisches Lachen aus.

»Aha, die Komödie ist zu Ende. Wärest du nicht Baron Sant’ Elmo, so hätte ich dir jetzt bewiesen, wie gefährlich es ist, Culkelubi täuschen zu wollen!«

»Ihr kennt mich?« fragte der Ritter überrascht.

»Ich wußte, wer du warst, noch ehe du eintratest, aber ich wollte dich auf die Probe stellen. Du bist kein Schwammhändler, sondern ein Malteserritter und hast meinen Galeeren schon viel zu schaffen gemacht! Schade, daß du kein Muselmann bist! Was könntest du bei deiner Jugend und Tapferkeit noch in zehn Jahren leisten. Du wirst sie nur nicht erleben!«

»Wenn ihr wißt, wer ich bin, so laßt mich umbringen! Die Sant’ Elmo sind Krieger!«

»Das hat Zeit«, meinte der Kommandant, »wenn du wolltest, könntest du dein Leben und auch die Freiheit gewinnen!«

»Auf welche Weise?«

»Wenn du mir den Schmuggler nennst, der dich hergebracht hat und den Ort, wo er sich befindet!«

»Rechnet darauf nicht, ein Edelmann übt nicht Verrat! Lieber laß ich mich töten!«

»Du bist ein tüchtiger Mann, und ich bewundere dich. Hinter einer mädchenhaften Erscheinung ein Löwenherz! Den Schmuggler werde ich schon ausfindig machen. Aber gestehe mir, was suchst du hier in Algerien?«

»Ich wollte mich überzeugen, ob ein vor Monaten gefangener Freund noch lebt.«

»Sollte es sich nicht um eine Freundin handeln?« Der Generalkapitän lächelte boshaft.

Sant’ Elmo erbebte. Nur mit äußerster Mühe bewahrte er seine Ruhe. Aber sein Erbleichen war Culkelubis scharfer Beobachtung nicht entgangen.

»Habe ich das Richtige getroffen?« Sein rohes Lachen durchdrang den Raum.

»Nein, es handelt sich um einen Mann!«

»Nenne nur den Namen, und in einigen Stunden werde ich dir Auskunft geben!«

»Ich kann ihn nicht nennen!«

»Leugne nicht weiter! Warum willst du mich täuschen! Es handelt sich um ein Christenmädchen, das du liebst!«

»Ihr kennt sie?« schrie der Ritter, außer sich vor Schrecken.

»Jetzt hast du dich verraten«, lachte Culkelubi teuflisch, »nur fehlt mir noch der Name!«

»Wozu braucht ihr ihn?«

»Mir ist er gleichgültig, aber ein anderer wünscht ihn zu wissen!«

»Wer?«

»Die maurische Prinzessin. Willst du mir sagen, wer die Christin ist und wo sie sich jetzt befindet?«

»Tötet mich! Ihr erfahrt es nicht von mir!«

»Nun, so rasch tötet man nicht!«

»Ich kenne eure Martern!«

»Vielleicht nicht alle! Aber meine Geduld ist jetzt zu Ende. Wüßte ich nicht, welch tapfern Helden ich vor mir habe, hätte ich mich nicht so lange mit dir aufgehalten!«

Mit einem Blick auf die Neger befahl er: »Ans Werk!« Diese hoben einen dem Diwan gegenüber befindlichen Vorhang, hinter dem sich eine viereckige Säule von grünem Marmor befand. Vorn waren verschiedene Metallringe an ihrer glatten Fläche befestigt. Und oben am Kopfende stand ein künstlerisch ziseliertes Kupfergefäß, das mit einer leicht gebogenen Röhre verbunden war.

Der Baron schaute dieses seltsame Torturgerät an, ohne zu verstehen, wozu es diente.

Die beiden Athleten bemächtigten sich jetzt des Gefangenen und banden ihn mit dem Rücken an die Säule, indem sie Arme und Beine mit den Eisenringen umschlossen, um die geringste Bewegung zu verhindern. Dann legten sie ihm einen Riemen um die Stirn, um den Kopf fester an die Säule zu schnüren, und schnitten in der Mitte des Schädels einige seiner langen blonden Locken ab, so daß ein Fleck unbedeckt blieb, nicht größer als eine Zechine.

»Wirst du nun sprechen?« fragte Culkelubi, der sich in seinen Diwan zurückgelehnt hatte.

»Nein!« entgegnete der Baron so bestimmt wie zuvor.

»Weißt du, daß steter Tropfen den Stein höhlt?«

»Ich verstehe nicht, was ihr meint!«

»Du wirst es gleich sehen!«

Nachdem er wieder einige Züge aus der NargilehPfeife getan, gab der Gewaltige ein Zeichen.

Plötzlich fühlte der Baron einen dicken, eisig kalten Wassertropfen auf seinen Kopf fallen. Nun begriff er.

Ein Schrecken befiel ihn wie nie zuvor. Wollte man ihm mit den langsam fallenden Tropfen den Schädel durchbohren? Was für eine grauenhafte Marter hatte die höllische Intelligenz dieses Barbaren erfunden!

Voll Entsetzen starrte er den ruhig rauchenden Culkelubi an. Dieser schenkte ihm keine Beachtung mehr. Er sah zerstreut den Rauchwolken nach und leerte von Zeit zu Zeit einen Becher Wein. Schweigend, auf ihre Säbel gestützt, standen die Neger wieder zu beiden Seiten des Diwans.

Die Tropfen folgten sich langsam, ohne Unterbrechung. Immer auf denselben Punkt fielen sie. Der Baron konnte wegen des Riemens auf der Stirn nicht die leiseste Bewegung machen.

Anfangs war die Empfindung des Eiswassers, das vom Kopfe aus über den ganzen Körper rieselte, nicht so unangenehm, da in der sonnenbeschienenen Galerie große Hitze herrschte. Nach einer Viertelstunde aber fühlte er einen Schauder, wachsende Nervosität und Sausen in den Ohren.

Von Minute zu Minute schien der Tropfen schwerer. Der Kopf schmerzte ihm, die Gedanken verwirrten sich.

Wenn diese Marter noch lange andauert, werde ich wahnsinnig, dachte er. Idas Name aber erfährt Culkelubi nicht. Der Prinzessin Eifersucht würde sie umbringen.

Die Stille im Raume wurde nur von dem monotonen Fallen der Tropfen unterbrochen.

Wieder verging eine Viertelstunde. Die Kleider des Gemarterten trieften von Wasser. Er stand auf dem Teppich inmitten einer Pfütze. Der Schmerz wurde immer unerträglicher. Er fühlte wahre Keulenschläge auf dem Haupte. Die Schläfen schlugen fieberhaft, die Ohren sausten immer ärger; unaufhörliche Schauer überfielen ihn. – Zuletzt schwindelte ihm –

Da entrang sich ein Seufzer seinen Lippen.

»Nun, willst du sprechen?« fragte Culkelubi. »Wie gefällt dir meine Erfindung? Ich glaube, die Inquisitoren in Spanien haben keine schönere gemacht. Willst du dein Herz erleichtern?«

»Nein.«

»Ich sage dir, du wirst die Marter nicht aushalten können!«

»Töte mich!«

»Das kann ich nicht tun. Dein Leben gehört mir nicht!«

»So sei Verflucht!«

Culkelubi zuckte mit den Achseln und fing wieder an zu rauchen.

»Ich kann warten, denn ich habe keine Eile.«

Er war seines Erfolges sicher.

Noch war keine Stunde verflossen, als der Baron ohnmächtig wurde. Er wäre zur Erde gesunken, hätten ihn nicht seine Fesseln gehalten.

Als er wieder erwachte, sprach er im Fieberwahn. Abgerissene Worte entflohen seinen Lippen. Er sprach von Galeeren, von Zuleik, Malte San Pietro ...

Culkelubi hatte sich aufgerichtet und lauschte aufmerksam seinen Worten.

Plötzlich entfuhr dem Baron ein verzweifelter Schrei:

»Ida ... Ida ... !«

»Sollte dies der Name der Dame sein? Das wird aber Amina nicht genügen! Warten wir weiter!«

Der im Delirium Redende stammelte immer neue Worte, bis ihm der Name »Ida di Santafiora« entschlüpfte.

Diesmal fuhr Culkelubi auf. Der Name war ihm nicht unbekannt. Er erinnerte sich des kühnen Malteserritters, der vor Jahren gewagt hatte, die Stadt Algier zu bombardieren.

Ein Lächeln des Triumphs umspielte seine Lippen. »Das ist der Name der Christin! Jetzt weiß ich genug. Wir werden sie suchen lassen. Sie muß unter den Gefangenen der Insel San Pietro sein!«

»Ida!« schrie der Ritter, indem er verzweifelte Anstrengungen machte, sich aus den Eisenringen zu befreien. »Fliehe ... fliehe ... der Mirab ... der Normanne ... Amina ... fliehe!«

Dann fiel er wieder in Ohnmacht.

Auf ein Zeichen des Generalkapitäns banden ihn die Neger los. Er fiel wie eine hilflose Masse in ihre Arme.

»Was sollen wir mit ihm machen?« fragten sie ihren Herrn.

»Man könnte einen schönen Preis bei seinem Verkauf erzielen«, meinte dieser. »Wenn die Prinzessin meine Janitscharen massakriert und es Scherz nennt, so könnte ich mir einen ähnlichen Scherz mit ihr leisten ... ! Ist noch Platz im Bagno von Sidi Hassan?«

»Er ist voll, Herr.«

»Nun, für diese Christenhunde wird immer noch Raum sein! Schafft ihn vorläufig mit seinem Diener dorthin und laßt ihn wiederherstellen ... ! Sagt dem Gefängnisvorsteher, daß diese beiden Männer mir gehören und er mir mit seinem Kopfe für sie bürgt, daß sie nicht fliehen!«

Der Generalkapitän war im Begriff, sich zurückzuziehen, als ein Offizier seiner Wache die Ankunft einer Dame meldete.

»Schickt sie zum Teufel, ich habe anderes zu tun!«

»Es ist die Prinzessin Ben Abad, Herr!«

»Die kommt gerade zurecht. Sie wird schön toben! Aber sie macht Spaß, wenn sie wütend ist. Laßt sie herein ... ! Glücklicherweise ist alles erledigt, und wenn sie geht, wird der Christ schon fortgeschafft sein!«

Einen Augenblick später erschien Amina. Obwohl der Schleier nur die Augen freiließ, bemerkte Culkelubi doch, daß sie blaß war.

Ob sie bereut hat, ihn mir übergeben zu haben? dachte er.

»Nun, Culkelubi?« rief die Eintretende mit unsicherer Stimme. »Was habt ihr mit dem Baron gemacht?«

»Was ihr verlangtet«, entgegnete der Generalkapitän. »Wie sonderbar übrigens, ihr gebt mir den Auftrag, ihn zum Sprechen zu bringen, nachdem ihr ihn kurz vorher vor meinen Soldaten geschützt habt! Schön seid ihr, Amina, aber höchst launenhaft! Ihr mißbraucht eure hohe Stellung, wie meine Güte, und werdet euch bloßstellen vor dem Bey und den Gläubigen!«

»Pah, was liegt daran ... ! Aber: hat er gesprochen?«

»Wer könnte mir widerstehen ... Die Christin ist entdeckt!«

»Die Gräfin Santafiora!«

Amina war starr vor Überraschung.

»Die Christin, die mein Bruder liebt?« entfuhr es ihren Lippen.

»Ah«, sagte der Generalkapitän spöttisch. »Eine Neuigkeit! Zuleik liebt eine Christin!«

»Es ist unmöglich dieselbe! Ihr habt euch getäuscht!«

»Nun, der Baron hat den Namen im Fieberwahnsinn wohl zwanzigmal wiederholt!«

»Was, ihr habt ihn gefoltert?« fuhr die Prinzessin auf.

»Nur ein paar Wassertropfen – gut angewandt – nicht mehr!«

»Die ihn irrsinnig gemacht haben! Ich kenne eure Teufelskünste und hätte euch nicht trauen sollen!«

»Wäre mir der Mann nicht von einer Ben-Abdad übergeben worden, lebte er nicht mehr. Ein Christ, der als Nichtsklave in Algier überrascht wird, stirbt wie ein toller Hund!«

»Wo ist der Baron?«

»Schon weit fort! Wo, sage ich nicht!«

»Ich will ihn sehen!« rief sie herrisch.

»Um ihn zu retten!«

»Was geht euch das an!«

»Nun, ihr vergeßt, daß ich nicht nur Muselmann, sondern auch oberster Richter bin! Die Gräfin Santafiora will ich euch überlassen, doch der Baron bleibt als mein Gefangener in meiner Gewalt!«

»Wie, ihr wagtet das?« schrie die Prinzessin wutenbrannt. »Sant’ Elmo ist meines Bruders Gefangener!«

»Er ist mir als Christ denunziert und von euch ausgeliefert worden. Basta! Als Islam Verteidiger darf ich nicht anders handeln!«

»Ihr habt ihn getötet!«

»Ich schwöre auf den Koran, daß er noch lebt und in einigen Tagen wieder ganz wohl sein wird!«

»Und die Christin?«

»Ich kenne ihren Aufenthalt nicht, aber ich werde sie schon zu finden wissen. Was wollt ihr mit ihr anfangen?«

»Sie umbringen!«

»Ihr liebt den Baron? Wie kann eine maurische Prinzessin ... «

»Ob ich ihn liebe oder hasse, weiß ich nicht, gebt mir nur den Gefangenen zurück!«

»Unmöglich, man würde mich beschuldigen, in meinen alten Tagen noch Beschützer der Ungläubigen zu werden. Er wird Sklave wie die andern. Das ist alles, was ich für euch tun kann!«

»Nehmt euch in acht, Culkelubi! Ihr wißt nicht, wessen ich fähig bin!«

»Wollt ihr mir weiter Janitscharen töten lassen? Tut es, und der Baron stirbt!«

»Gut, Amina bietet euch Trotz!«

Damit legte sie den Schleier wieder vors Gesicht und verließ mit schnellen Schritten den Saal.

»Die Nachkommen der Kalifen von Granada und Cordova entarten«, murmelte Culkelubi vor sich hin. »Halten wir die Augen offen! Diese Furie ist imstande ... «

22. DIE VERFOLGUNG DES NORMANNEN

Während der Ritter und Eisenkopf nacheinander den Falknern in die Hände fielen, hatte der schlaue Normanne die Kabylen auf seine Spur gelockt, in der Hoffnung, so seinen Begleiter retten zu können und vor allem seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen.

Er wußte, daß weder er, noch seine mutigen Seeleute auf der Feluke auf Gnade rechnen könnten, wenn sie in der Gewalt der Mauren wären.

Trotzdem sein Pferd erschöpft war, zwang er es doch, noch einmal den Galopp aufzunehmen. Um den Blicken der Falkner zu entgehen, jagte er in einen dichten Eichenwald, wohin ihn die Kabylen verfolgten. Er hatte einen Plan gefaßt, um sich von ihnen zu befreien.

Während das Pferd schnaufend zwischen den Baumstämmen dahineilte, entdeckte er eine hohe Eiche, deren einer starker Ast etwa 4 Meter über den Boden ragte. Schnell schwang er sich stehend auf den Sattel und von dort auf den Baum, in dessen dichter Krone er sich verbarg. Zuvor hatte er die Muskete weggeworfen und nur Pistolen und Yatagan in seinem Gürtel behalten.

Das von seiner Last befreite Roß jagte durch den Wald weiter. Noch hörte man seinen Galopp, als die Kabylen wie Sturmwind heransausten.

Da sie die List nicht bemerkt hatten, setzten sie die Verfolgung fort.

Der Normanne suchte sich nun eine bequeme Stelle auf dem Baume, band sich dort fest und ruhte aus. Obwohl die Kabylen jetzt verschwunden waren, wagte er es doch noch nicht, sein Versteck aufzugeben, so begierig er auch war, das Schicksal seines Gefährten festzustellen.

Das war ein gut gelungener Streich, dachte er.

Wenn die Wilden das reiterlose Pferd finden, werden sie glauben, daß ich mir den Schädel an einem Baum eingerannt habe und nicht weiter nach mir suchen.

Da aber Michele auch besorgt war, daß die Falkner auf seiner Spur sein könnten, so blieb er noch weiter in seinem Versteck. Verzehrt von Ungeduld, wollte er mehrmals abspringen, doch trieben ihn immer wieder irgendwelche Geräusche zurück. Bald war es ein knackender Zweig, bald eine flüchtige Gazelle.

Endlich kam der Abend, ohne daß von den Kabylen oder Mauren sich jemand gezeigt hätte. Nun glitt er zur Erde, lud für alle Fälle seine Pistolen und machte sich auf den Weg zu dem Hügel, wo er den Baron verlassen.

Die Dunkelheit war so stark, daß er fortwährend an die Baumstämme anstieß. Er hatte sich nicht nur vor menschlichen Feinden, sondern auch vor wilden Tieren in acht zu nehmen. Nicht selten schreckten ihn Laute.

Schon hatte er eine beträchtliche Strecke seines beschwerlichen Wegs zurückgelegt, als er hinter sich Schritte zu vernehmen glaubte.

Er drückte sich an eine Eiche, den Yatagan in der Faust, kühn entschlossen, die Ursache des verdächtigen Geräusches festzustellen.

Schon fürchtete er, daß ihm jemand gefolgt wäre.

Plötzlich hörte das Geräusch auf. Aber Michele lauschte weiter, und ein leichtes Rascheln welker Blätter zeigt ihm, daß er sich nicht getäuscht.

Da bemerkte er zwei leuchtende Punkte auf ihn gerichtet ...

Ein Löwe würde brüllen, es muß ein Panther sein, dachte der mutige Abenteurer. Dumm, daß ich meine Muskete weggeworfen haben!

Aber das Tier beeilte sich nicht mit dem Angriff. So entschloß sich der Normanne, seinen Weg mit gespannter Pistole fortzusetzen. Nach 10 Minuten hatte er die brennenden Augen aus dem Gesicht verloren.

Er beschleunigte nun soviel wie möglich seinen Schritt und sah schon das Ende des Waldes vor sich, als plötzlich eine schwere Last sich auf ihn stürzte und ihn zu Boden warf.

Zum Glück hatte er die Geistesgegenwart gehabt, sein Gesicht beim Fallen dem Angreifer zuzuwenden. Nun stieß er mit voller Kraft seinen Yatagan nach dem Panther, der auf ihm lag.

Dieser hatte den Stoß wohl nicht erwartet, denn er ließ ab, sprang mit einem Riesensatz auf einen nahen Baumast und von dort mit einem andern Satz in die Blätterkrone, wo er wütend wie eine Katze fauchte. Da das Raubtier den Angriff nicht sofort wiederholte, konnte ihm Michele entfliehen. Er eilte, so rasch er konnte, zum Waldesrand. Hier war die Stelle, wo er sich von dem Ritter getrennt hatte.

Eine weiße Masse lag am Boden, um welche sieben bis acht kleinen Wölfen gleichende Tiere strichen, die ab und zu monotone, klägliche Laute ausstießen. Bei seinem Kommen stoben sie auseinander.

Schakale und ein totes Pferd! Man hat hier gekämpft!

Er beugte sich nieder, um den Erdboden zu untersuchen und fand eine der langen, maurischen Pistolen, Stoffetzen und einige Tropfen geronnenen Blutes.

Ist der Baron gefallen?

Der Normanne wollte weiter forschen, da hörte er aus dem Walde in ziemlicher Nähe zwei Schüsse.

Im Glauben, daß sie ihm gegolten, wollte er auf den Gipfel des Hügels flüchteten, aber da vernahm er eine klägliche Stimme:

»Ibrahim. Zu Hilfe!«

Der Panther, dem ich entronnen, wird ein anderes Opfer angegriffen haben, dachte sich Michele.

Und ohne Zaudern eilte er zum Walde zurück, von wo ein zweiter Hilfeschrei, noch ängstlicher, erscholl: »Ibrahim! Ibrahim!«

In wenigen Sätzen war er am Ziel und hatte ein schauerliches Bild vor sich.

Ein Mann, anscheinend ein Kabyle, lag am Boden, über ihm ein Panther. Der Mann verteidigte sich verzweifelt und schrie.

Als der Normanne erschien, wandte sich das Raubtier gegen ihn. Aber ein Schuß in den Rachen, und ein Hieb, der ihm den Kopf spaltete, trafen den Panther. Noch versuchte er, sich im Grase wälzend, um sich zu schlagen und den Unglücklichen zu verletzen, da machte ihm ein erneuter Yataganhieb des Seemanns den Garaus. Jetzt erschien ein zweiter Mann aus dem Walde, eine lange Büchse in der Hand. Mit dem Ausdruck höchsten Schreckens und Entsetzens stürzte er sich auf den am Boden Liegenden: »Achmed! Achmed!«

»Ihr kommt etwas zu spät, Freundchen«, sagte der Normanne. »Die Sache ist schon erledigt!«

Der Ankömmling war ein junger Kabyle, schön gewachsen, mit bronzefarbiger Haut und regelmäßigen Zügen. Seine Kleidung bestand aus einem einfachen Stück groben Stoffs, das die Hüften umgürtete. Seine muskulösen Arme schmückten Ketten aus geflochtenen Gräsern, wie sie noch heute von den Bewohnern dieser Gegend getragen werden.

»Du hast meinen Bruder gerettet«, rief er, »ich werde dir ewig dankbar sein!«

Der Seemann beugte sich über den Verwundeten. Letzterer suchte sich zu erheben. Er war gänzlich mit Blut bedeckt, das aus zwei großen Wunden an den Schultern floß. Das Raubtier hatte mit seinen Krallen darin gewühlt. Glücklicherweise war der Kopf unverletzt geblieben.

Der Verwundete, ein ebenso starker, junger Mann wie sein Bruder, ließ keinen Klageton hören. Er streckte seinem Retter die Hand hin: »Ich schulde dir mein Leben! Wenn du je einen Freund brauchst, so erinnere dich an Achmed Zin!«

Ibrahim hatte sein eigenes Gewand ausgezogen und es in eine nahe Quelle getaucht. Damit wusch er dem Bruder die Wunden aus.

»Bist du imstande zu gehen«, fragte er ihn, »unser Duar liegt ja nicht weit von hier!«

»Ich helfe dir gern«, sagte der Normanne, »ich suchte gerade eine Unterkunft für diese Nacht!«

»Mein Zelt ist dein Zelt, meine Schafe und Kamele sind die deinen! Wir sind glücklich, dich beherbergen zu können, tapferer Mann!«

»Wo befindet sich eure Ansiedlung?«

»Dort, hinter jenem Wald von Feigenbäumen und Eichen, kaum 500 Schritte von hier!«

Michele riß ein Stück von seinem Mantel ab, um die Wunden, so gut es ging, zu verbinden und das wieder von neuem stark rinnende Blut zu stillen. Dann nahm er den jungen Kabylen auf den Arm und folgte dem schon vorauseilenden Ibrahim.

Der Duar war bald erreicht. Wie alle seiner Art bestand er aus zwei Zelten, die aus grobem, braunem Stoff gebildet und von einer Hecke aus Rohr und Aloegesträuch umschlossen waren.

Zahlreiche Hammel und einige Kamele ruhten in der Umzäunung nebeneinander, unter dem Schutze großer Hunde und eines Negers.

Der Verwundete wurde auf ein Lager von Fellen gelegt und jetzt regelrecht verbunden.

Dann führte Ibrahim den Normannen ins Freie. »Du bist mein Gast. Was ist dein Befehl?«

»Ich bitte nur um etwas Essen und eine Matte, um mich für ein paar Stunden niederzulegen, denn ich bin hungrig und müde!«

»Du wirst alles nach deinem Wunsche haben. Du bist mehr als mein Bruder!«

Während er, mit Hilfe des Negers, das Abendessen bereitete, beschaute sich der Normanne aufmerksam die Gegend. Der Hügel, wo der Kampf zwischen dem Baron und den Mauren stattgefunden hatte, lag so nahe, daß die Kabylen alles Vorgegangene gesehen haben mußten.

»Komm«, sagte jetzt Ibrahim, »ich biete dir das Beste an, was in meinem Zelte ist!«

Auf einer mit frischen Blättern bedeckten Matte stand ein gebratenes Ziegenlamm mit gebackenen Mehlkügelchen und köstlichen Datteln.

Der Normanne nahm erst einen Schluck Kamelmilch, mit Wasser gemischt, und sprach dann – zur Freude seines Wirts – tüchtig dem Braten zu.

»Du bist fremd hier?« fragte der Hirte, nachdem sein Gast gesättigt war.

»Ich bin aus Tunis«, antwortete dieser, »und mein Schiff liegt zur Zeit vor Algier!«

»So wirst du uns bald wieder verlassen?«

»In vier oder fünf Stunden, wenn ich ein Maultier oder ein Pferd bekommen könnte!«

»Alles, was ich besitze, ist dein. Such dir unter meinen Tieren eins aus!«

»Danke. Du bist großmütig!«

»Es ist meine Pflicht, alle deine Wünsche zu erfüllen. Wir haben den Panther, der stets unsere Herden angriff, seit einem Monat gesucht. Du hast uns also einen doppelten Dienst erwiesen. Und du? Was tatest du im Walde?«

»Ich hatte mich beim Suchen einer von den Falken geblendeten Gazelle verirrt!«

»Dann gehörst du also zu den Mauren, die gestern hier jagten? Warst du auch bei dem Streit?«

»Nicht daß ich wüßte!«

»Man hat doch einen jungen Araber auf weißem Rosse gefesselt abgeführt?«

»Bist du sicher, daß er nicht umgebracht wurde?«

»Ganz sicher. Ich stand hinter einem Felsen versteckt und sah ihn später noch einmal, von den Falknern umgeben!«

»Nun, morgen werde ich Näheres darüber erfahren«, schloß der Normanne das Gespräch. »Jetzt werde ich bis Mitternacht ruhen!«

Der Neger hatte im zweiten Zelte das Lager aus Schaffellen und Teppichen zurechtgemacht.

Michele schlief sofort ein, während der Kabyle und sein schwarzer Diener ein Feuer anzündeten und bei dem Vieh Wache hielten.

Um die angegebene Stunde weckte Ibrahim den Seemann. »Bruder, es ist Zeit! Ein flinkes Maultier steht gesattelt auf der Wiese, ich hoffe aber, dich bald wieder zu sehen!«

»Dank dir und Achmed! Ich werde mich stets erinnern, daß ich hier zwei Brüder habe!«

»Mögen Gott und der Prophet dich schützen!«

Im Galopp eilte das Maultier über die schweigende Ebene der Stadt zu.

»Jetzt zum Mirab«, murmelte der Normanne. »Er wird Rat wissen!«

23. IN DER CUBA DES MIRAB

Sechs Stunden später, kurz vor Sonnenaufgang, erreichte der Schmuggler glücklich die Cuba des ehemaligen Templers hinter der Kasbah.

Da durch die Ritzen der Tür Licht drang, klopfte er, nachdem er das Maultier an einen Baum gebunden hatte.

»Wer sucht mich auf?« fragte die Stimme des Greises.

»Der Normanne!«

Der Mirab öffnete.

»Ich erwartete dich. Du bringst schlimme Kunde, nicht wahr? Ich sah Zuleik gestern in die Stadt reiten, umgeben von seinen Leuten. Er führte den Baron als Gefangenen mit sich!«

»Dann kann ich mir die Erzählung ersparen!« »Nein, ich will alles hören!«

Der Normanne berichtete nun das Vorgefallene. Als er geendet, sagte der Alte: »Ich hatte es vorausgesehen!«

»Nun möchte ich nur wissen«, meinte Michele, »was der Maurenfürst mit dem armen Ritter gemacht, ob er ihn Culkelubi angezeigt hat?«

»Das glaube ich nicht. Du weißt, ich habe meine Beziehungen, eine Art Geheimpolizei, die mir hilft bei der Flucht der Christen! So erfuhr ich, daß eine hochgestellte Persönlichkeit Sant’ Elmo beschütze!«

»Jene Maurin?«

»Ja, es ist Zuleiks Schwester, Prinzessin Amina BenAbad, die junge Witwe des Sid-Ali-Mamé, des bekannten Seehelden!«

»Zum Teufel«, rief der Normanne, »welch Zufall! Zuleiks Schwester Beschützerin unseres Barons! Dann wäre er wohl in guten Händen, wenn nur Zuleik ihr nicht seinen Willen aufzwingt!«

»Das wird er nicht wagen, denn ihr fester Wille, ihre unbeugsame Energie ist bekannt. Es besteht eine große Gefahr. Zweifellos liebt die Prinzessin den Ritter, und er wird sie um der Gräfin willen verschmähen!«

»Es ist also die Rache der Maurin zu fürchten, die sich auch gegen Donna Ida wenden wird!«

»Wenn diese nicht sicher in den Mauern der Kasbah säße!«

»Was sagt ihr da?« fragte der Seemann überrascht.

»Die Beamten des Beys haben sie ausgewählt und als Sklavin ins Schloß gebracht!«

»Dann ist sie für Zuleik, wie für den Baron verloren!«

»Sie aus der Kasbah zu befreien, wird allerdings nicht leicht sein, immerhin ist sie dort besser aufgehoben als in Zuleiks Palaste. Ich habe, als Oberhaupt der Derwische, freien Zutritt bei Hofe, und so wird es mir möglich sein, sie zu sehen und vielleicht auch zu sprechen. Vorausgesetzt, daß sie nicht schon dem Harem überwiesen ist, was aber gewöhnlich erst nach Monaten geschieht!«

»Warum nicht früher?«

»Weil sie erst arabisch lernen und die Tiorba spielen muß! Und in zwei bis drei Monaten können vielerlei Dinge vor sich gehen! Was, Michele?«

»Ich habe nie mehr als 14 Tage gebraucht, um einem Christen aus dem Bagno zur Flucht zu verhelfen!«

»Die Kasbah ist aber kein Gefängnis, und wir werden unendliche Schwierigkeiten haben, die junge Gräfin zu befreien ... ! Sieh nur, die Sonne ist aufgegangen. Ich muß in die Moschee! Willst du mich hier erwarten? Ich hoffe, dir einige Neuigkeiten über den Baron zu bringen!«

»Erst möchte ich gern meine Leute sehen!«

»Deine Feluke liegt immer noch im Hafen, und niemand kümmert sich darum. Ich werde die Schiffsmannschaft von deiner Rückkehr benachrichtigen. Es wäre unklug von dir, nach dem, was vorgefallen, dich in den Straßen der Stadt zu zeigen! Zuleik und sein Gefolge kennen dich jetzt. Hier hast du ein gutes Bett, Essen, Tabak und eine gute Flasche. Sie wird dir die Langeweile vertreiben!«

»Mehr brauche ich nicht«, sagte der Normanne. »Nur noch einen guten Schlaf! Und wann werdet ihr zurück sein?«

»Gegen Mittag oder etwas später!«

Der Mirab warf seinen Mantel aus dunkler Wolle über die Schultern, nahm seinen Stab und ging zur Moschee, während Michele sich auf den Diwan legte und sich dem Schlummer überließ. –

Als er wieder erwachte, war der Nachmittag bereits vorgerückt. Der Alte aber war noch nicht zurückgekehrt. Das beunruhigte ihn jedoch nicht, da der Greis seitens der Barbaresken nichts zu fürchten hatte, bei welchen er, als Haupt eines der geachtetsten religiösen Orden, hohe Verehrung genoß.

Er machte sich eine einfache Mahlzeit aus den vorgefundenen Vorräten zurecht und führte sich einige der im Grabgewölbe verborgenen Flaschen Wein zu Gemüte.

Der ganze Tag verging, ohne daß der alte Templer zurückkam. Was konnte ihm nur zugestoßen sein? Michele ging mehrmals vor die Tür und spähte nach ihm aus – vergeblich. Er fütterte sein Maultier und wollte gerade zum Renegaten, als er in der Ferne den Mirab erblickte. Trotz seines hohen Alters ging dieser rascher als sonst an seinem Stabe vorwärts. Er schien Neuigkeiten zu bringen, die seinen Schritt beschleunigten.

»Ich hatte Angst um euch und wollte euch schon suchen!« rief ihm der Normanne zu. »Bringt ihr wenigstens gute Nachrichten mit?«

Der Greis ließ, nach Atem ringend, sich auf den Diwan fallen, trank ein paar Schluck, die ihm Michele reichte und sagte:

»Nichts gerade Erfreuliches! Irgendjemand hat den Baron an Culkelubi verraten!«

»Ist er verhaftet worden?« fragte der Normanne erregt.

»Das weiß ich noch nicht. Aber der Generalkapitän wird ihn schon zu finden wissen!«

»Dann bin ich auch verloren! Sie werden den Ritter foltern, um herauszubekommen, wer ihn nach Algier gebracht hat!«

»Keine Furcht! Der wird sich eher töten lassen, als Verrat üben«, sagte der Mirab zuversichtlich. »Aber der andere wird vielleicht nicht standhalten, sein Diener!«

»Ist Eisenkopf auch gefangen? Der dumme Katalane wird uns alle in Gefahr bringen, um seine eigene Haut zu retten!«

»Nun, wir werden erfahren, was bei Culkelubi vorgeht, ein Christensklave wird mir Bericht erstatten!«

»Und von der Gräfin habt ihr nichts gehört?« »Es war mir heut nicht möglich, in die Burg zu kommen, da der Bey eine französische Gesandtschaft empfing!«

»Und wie steht’s mit meinen Leuten?«

»Sie wissen schon, daß du zurückgekehrt und außer Gefahr bist! – Nun wollen wir essen und uns zur Ruhe legen! Ich bin kein Jüngling mehr, das Alter beginnt sich fühlbar zu machen!«

Die Mahlzeit war nicht fröhlich. Jeder hing seinen Gedanken nach, die sich um Culkelubi drehten, der ihnen mehr Angst einflößte als der Bey und das ganze Barbareskenheer ...

Am andern Morgen wuchsen ihre Befürchtungen. Ein als Araber verkleideter Christ meldete die Übergabe des Barons an Culkelubi, seine Folterung und das im Fieberdelirium entrissene teilweise Geständnis. Auch daß der Ritter zusammen mit seinem Diener sich jetzt im Bagno von Sidi Hassen befände, wußte der Christ.

»Es konnte nicht schlimmer kommen!« meinte der Normanne, als sie wieder allein waren. »Jetzt verliere ich wirklich allen Mut und zweifle an dem Gelingen unseres Unternehmens!«

»Das ist unrecht«, entgegnete der Greis. »Warum sollen wir ihn nicht aus dem Bagno befreien können? Es wäre doch nicht der erste!«

»Mich wundert nur, daß der Generalkapitän, der doch sonst so grausam gegen alle Christen verfährt, ihn nicht hat pfählen lassen!«

»Dahinter muß die Prinzessin stecken. Sie soll merkwürdigen Einfluß auf den Kommandanten haben!«

»Könnte sie ihn nicht aus dem Gefängnis befreien?« fragte der Seemann.

»Gerade darüber dachte ich nach ... Ich werde selbst zu Amina gehen ... «

»Aber ihr würdet euch bloßstellen. Bedenkt, der Anführer der Derwische, der Fürbitte für einen Christen einlegt!«

Nach kurzer Überlegung sagte der Mirab entschlossen: »Ich tue es dennoch. Culkelubis Großmut ist mir verdächtig. Wahrscheinlich will er dem Ritter und dem Katalanen weitere Geständnisse entreißen. Und diese könnten uns allen das Leben kosten. Er hat geschworen, den Schmugglern ein für allemal das Handwerk zu legen. Ich kenne die Schlauheit dieses Ungeheuers. Wenn wir uns nicht beeilen, sind wir nicht sicher, den morgigen Tag noch zu erleben!«

»Wenn es so steht, müssen wir handeln!«

»Haben wir die Prinzessin auf unserer Seite, sind wir des Erfolges sicher. Nur Zuleik darf nichts erfahren, ich habe schon meinen Plan gefaßt!«

»Kann ich euch bei der Ausführung desselben nützlich sein? Bedient euch wenigstens meines Maultiers!«

»Das will ich tun. Halte dich in der Nähe des Bagno auf! Vielleicht kannst du etwas über den Baron in Erfahrung bringen! Wechsle aber zuvor die Kleider und vermeide die belebten Straßen! Heut abend sehen wir uns hier oder beim Renegaten wieder!«

Gegen 11 Uhr vormittags trat der Mirab in den Vorhof des Palastes der Ben-Abad. Er wurde demütig von den Wachen und Sklaven daselbst begrüßt.

Durch seinen langjährigen Aufenthalt in Algier kannten ihn alle. Seine Würde öffnete ihm alle Türen. »Meldet der Prinzessin Amina mein Kommen!«

Der Haushofmeister war herbeigeeilt und ließ ihm durch die Diener Eis, Mokka und Süßigkeiten aller Art, der Sitte gemäß, reichen.

Hierauf wurde der Greis über die marmorne Haupttreppe in das Empfangszimmer der Prinzessin geführt, dessen rosarote Tapeten, Teppiche und Vorhänge mit breiten Silberborten versehen waren. Der Duft von brennendem Aloepulver erfüllte den Raum.

Amina lag hingestreckt auf ihrem Diwan, erhob sich aber ein wenig beim Eintritt des Mirab.

Dieser grüßte sie ehrerbietig. Er bemerkte eine Wolke auf ihrer Stirn, die ihm anzeigte, daß sie ein innerer Kummer bewegte.

»Welchem Umstande habe ich den Besuch des heiligen Mannes zu verdanken?« fragte sie. »Handelt es sich um den Bau einer neuen Moschee oder Cuba? Dann stehe ich euch mit dem Schatze der Ben Abad zur Verfügung!«

»Mein Kommen betrifft keine Angelegenheit unserer Religion. Es handelt sich um die Rettung eines jungen Mannes, den die Prinzessin auch kennt!«

Die Maurin sah ihn erstaunt an.

»Um den Baron Sant’ Elmo«, fuhr der Alte fort, der sich ihr gegenübergesetzt hatte, »jenen Malteserritter, den ihr vor Culkelubis Janitscharen so mutig verteidigt habt!«

Ihr Erstaunen wuchs.

»Was, ihr, ein Mirab, ein fanatischer Muselmann, habt für einen Ungläubigen Interesse? Wie soll ich das verstehen?«

»Ich, das Haupt eines der mächtigsten Orden, schätze den Baron. Ein Christ ist für mich ein Mensch wie ein Muselmann, wie dieser ein Geschöpf Gottes!«

»Ihr seid wirklich ein heiliger Mann, und ich bewundere euch«, sagte Amina. »Aber kennt ihr denn den Malteserritter?«

»Ihn nicht, jedoch seinen Vater habe ich gekannt. Es sind viele Jahre her. Ich war damals jung und noch nicht Mirab ... «

»Und darum seid ihr für den Sohn besorgt?«

»Ich habe eine Dankesschuld abzuzahlen. Sein Vater hatte mir einst das Leben gerettet. Heut will ich versuchen, es dem Sohne zu retten. Wißt ihr, daß der Baron in Culkelubis Händen ist?«

»Ich weiß es«, antwortete sie mit bebender Stimme. »Es ist eine schwierige Aufgabe, ihn zu befreien. Ich bin zu euch gekommen, Prinzessin, um euch zu fragen: Wollt ihr mir dabei helfen?«

Eine Glutwelle stieg in ihr Gesicht.

»Wißt ihr denn nicht, daß ich ihn selbst dem Generalkapitän ausgeliefert habe?«

»Ihr, Prinzessin? Nicht möglich!«

»Ja, in einem Anfall von Tollheit! Aus Eifersucht habe ich es getan. Der elende Culkelubi wird ihn nicht wieder herausgeben!«

»Eifersucht? Auf wen?«

»Auf ein Christenmädchen, das er liebt, auf die Gräfin Santafiora!«

»Auf seine Verlobte? Prinzessin, ich weiß, daß man hier zu Lande die Ehre hoch hält, aber die Treue kennt man nicht, die Treue eines Mannes einem Weibe gegenüber. Sie bestimmt nicht Leidenschaft, Sinnlichkeit, Rausch – sie liegt in der Tiefe des Gemüts und ist eng mit der Ehre verbunden ... «

Amina war aufgesprungen und erregt im Zimmer hin und her gegangen. Sie atmete schwer ...

»Ich bin sicher«, fuhr der Greis fort, »daß eure Schönheit auch auf den Baron Eindruck gemacht hat, aber er mußte euch widerstehen, da er der Gräfin sein Wort gegeben. Er muß die Treue halten, bis seine Augen für immer geschlossen. Geht in euch, Prinzessin, wollt ihr dem Ritter aus dieser Tugend einen Vorwurf machen?«

»Ihr habt recht, Mirab«, sagte sie tonlos. »Durch sein Gelöbnis ist er für mich verloren. Was ich gestern noch Haß nannte, als ich ihn auslieferte, war Liebe zu ihm, aber ich schwöre hier auf den Koran, diese Leidenschaft aus meinem Herzen zu reißen und die Schuld, die ich auf mich geladen, zu sühnen ... ! Ich stehe euch zur Verfügung!«

»Dank, Amina, ihr seid eine Ben Abad, würdig eurer Vorfahren. Ich wußte, daß ich nicht vergebens eure Großmut anrufen würde!«

Ihre schönen Augen schimmerten in einem feuchten Glanze, während sie, wie in Erinnerungen verloren, sprach: »Ich bewunderte den Baron, schon ehe ich ihn kannte, durch die Erzählungen meines Bruders von seinem Mut und seiner Tapferkeit bei der Verteidigung des Schlosses auf San Pietro. Ein inneres Gefühl sagte mir, daß ich ihn kennenlernen würde. Dann sah ich ihn, und Tage höchsten Glückes traten mir bei seinem Anblick vor Augen, er ähnelte jenem Ritter, den ich einst unter italienischem Himmel glühend geliebt ... Ich hoffte, mir Sant’ Elmo zu erobern, um jene wonnigen Tage nochmals zu erleben!«

»Prinzessin, Gott hat es nicht gewollt! Eine Verbindung mit dem Christen würde ein schwerer Verrat am Islam gewesen sein. Eine Nachkommin vom Kalifen hat Rücksicht auf ihr Volk zu nehmen, damit ihre Rasse sie nicht verdamme!«

Amina neigte das Haupt.

»Ihr seid alt, Mirab, und nicht meines Stammes. Ihr kennt nicht die Leidenschaft und das Rachegefühl. Ich hätte an dem Tage, als mich die Wut der Eifersucht ergriff, den Baron mit diesen meinen eigenen Händen erwürgen können. Ich rettete ihn vor mir selber, als ich ihn Culkelubi überließ. Jetzt ist der Traum vorbei, die Glut verrauscht. Ihr habt mich zurückgeleitet zu meiner Pflicht, zum Glauben meiner Väter – ich danke euch. Was kann ich für den Ritter tun? Verfügt über meine Schätze, falls ihr sie zu seiner Rettung braucht!«

»Wir müssen ihn aus dem Bagno von Sidi Hassan befreien. Aber Culkelubi wird ihn streng überwachen lassen!«

»Ich habe Sklaven, die mir ergeben sind, stark wie Löwen«, sagte Amina. »Mit ihnen könnte man es wohl wagen ... Überlaßt mir die Angelegenheit, Mirab! Ich werde die Wächter bestechen und dem Generalkapitän ein Schnippchen schlagen!«

»Ich kann euch auch 12 Seeleute zur Verfügung stellen mit einem Kapitän, der keine Furcht vor Janitscharen hat!«

»Ah, jene Schiffsmannschaft, die den Baron nach Algier brachte! Meine Diener haben mir davon berichtet!«

»Ihr kanntet sie und habt die Feluke nicht denunziert?«

»Ich hasse die Christen nicht, nein, ich bedaure tief die Grausamkeiten, die man gegen sie verübt ... ! Sagt den Seeleuten, daß sie sich bereithalten sollen zur Unterstützung meiner Neger! Wir müssen sobald wie möglich handeln. Ich fürchte, der Kommandant hat etwas vor mit dem Baron. Noch heute werde ich erfahren, in welcher Zelle er sich befindet. Morgen abend soll der Plan ausgeführt werden!«

»Und nachher, Amina?«

»Wünscht ihr noch mehr?«

»Wir müssen unser gutes Werk vollenden! Es bleibt noch – die Christin!«

Sie fuhr auf.

»Nein, das ist eure Sache! Ich rühre keine Hand für diese Dame, die mir – wenn auch unbewußt – so bitter Leid angetan hat!«

»Also auf morgen, Prinzessin, die Schiffsmannschaft soll unterrichtet werden!«

24. IM BAGNO VON SIDI HASSAN

Das Bagno von Sidi Hassan war eins der kleinsten Algeriens, aber ebenso berüchtigt wie das von Salé, das von den Christensklaven am meisten gefürchtet wurde.

Während die andern weite Höfe und Terrassen besaßen, wo die Gefangenen frei spazieren gehen konnten, und Zellen über der Erde, gab es hier nur tiefe, feuchte von Skorpionen und anderem Ungeziefer wimmelnde Kellerräume, »Matamur« genannt, die nur durch enge Eisensparren Licht und Luft bekamen.

Die Insassen dieser Löcher wurden, um ihre Flucht zu verhindern, allabendlich angekettet und Tag und Nacht streng von Janitscharen bewacht.

Das Leben der hier Eingesperrten war entsetzlich. Arme und Füße fast immer in Ketten, hatten sie kaum ein elendes Strohlager, und als Nahrung nur ein wenig grobes Brot und einen Schluck ranzigen Öls oder eine Handvoll Oliven, nicht genügend, um ihr Leben zu fristen. Das geringste Vergehen gegen die Wächter wurde erbarmungslos bestraft; ein Fluchtversuch hatte die grausamsten Martern im Gefolge.

In den Galerien waren starke Eisenhaken angebracht, an denen Gefangene gespießt wurden. Folterkammern raffiniertester Art fehlten nicht. Der bloße Name dieses Kerkers versetzte schon die große Zahl der weißen, damals in Algier lebenden Sklaven – es waren 36 000 zu jener Zeit – in Schrecken.

Der Baron war mit dem Katalanen zusammen in eine dieser unterirdischen Zellen gebracht worden, während er sich noch in bewußtlosem Zustand befand. Merkwürdigerweise waren sie beide nicht gefesselt worden; nur ihre Wachen hatte man verstärkt.

Er befand sich in einer Art Starrkrampf. Sein todesähnlicher Schlaf hatte Eisenkopf so große Angst versetzt, daß er kaum zurechnungsfähiger war als sein Herr. »Vielleicht wird er nie wieder erwachen«, so jammerte er an dem Lager des Ritters. »Es ist zu Ende, für immer zu Ende mit uns! Man wird uns in Stücke hacken oder in eine Kalkgrube werfen!«

Da gaben ihm einige abgerissene Worte, die der Baron im Schlafe sprach, wieder Hoffnung.

Sant’ Elmo träumte vom Meer und seiner Galeere, von Zuleik, der die Tiorba spielte und dann das Instrument mit dem Schwerte vertauschte, und von Ida, die ihren Verlobten mit wehendem Tuche von der Schloßterrasse grüßte.

»Armer Herr«, seufzte Barbosa. »Er träumt von der Braut, die er niemals wiedersehen wird. Der Tag, an dem wir aus dieser Hölle hier unten zum Lichte geführt werden, wird unser letzter sein! – Und wenn man bedenkt, daß wir es so gut hätten haben können bei der maurischen Prinzessin, wenn nur der Ritter gewollt hätte ... «

Schließlich war Eisenkopf darüber eingeschlummert.

Da schreckte ihn das Klirren schwerer Schlüssel wieder auf.

Ein Wärter mit einer langen Peitsche war in Begleitung zweier Janitscharen eingetreten.

»Wer von euch beiden ist der Diener?« fragte er herrisch.

»Ich bin es«, stammelte Eisenkopf erblassend.

»Folge mir, Verfluchter Christ!«

»Es geht nicht. Ich muß bei meinem kranken Herrn wachen. Was wünscht ihr von mir?«

»Ich glaube, man will dir die Fußsohle kitzeln. Morgen wirst du schwer laufen können!«

»Ich wüßte nicht, daß ich jemand etwas zu leide getan hätte!«

»Du bist ein Christenhund und damit basta. Jetzt tummle dich aber, Dickbauch, sonst wälzen wir dich hinaus!«

»Habt doch Mitleid mit meinem armen Herrn und sprecht nicht so laut!«

Ein Stoß, begleitet von einigen Tritten, brachten ihn schnell auf die Beine.

»Verdammte Muselmänner!« murmelte er beim Hinausgehen. »Wenn ich nur meine Keule hätte ... «

»Vorwärts!« schrie der Wärter. »Der Kerl schwatzt wie eine Elster und zittert wie ein Frauenzimmer!«

Die beiden Janitscharen hatten ihn unter die Arme gefaßt und schleppten ihn unter Drohungen und Flüchen in einen Saal, der unter dem Hofe lag, und der durch Glasscheiben von oben Licht erhielt. Die Wände waren mit großen Haken gespickt. Lange Eisenpfähle, Sägen von riesenhafter Fasson, große Kessel, Messer und andere Folterwerkzeuge füllten den Raum. Vier auf Spieße gesteckte, frisch abgeschnittene Köpfe erhöhten seinen Schrecken.

»Ist das ein Schlachthaus?« fragte Eisenkopf.

Der Wärter lachte roh.

»Fühlst du dich unwohl? Du bist leichenblaß! Soll ich dir Farbe von dem Blut der Geköpften geben?« Dem sonst so phlegmatischen Katalanen trieb die Beleidigung das Blut in die Wangen.

»Halunke!« schrie er und gab mit seiner großen, schweren Hand dem Wärter eine solche Ohrfeige, daß dieser taumelte und hinschlug.

Die Soldaten belustigten sich darüber.

»Meister Daud hat sein Fett gekriegt!« rief der eine und konnte sich kaum halten vor Lachen, als der Angegriffene mit blutender Nase aufstand.

»Gib’s ihm wieder, Daud!« hetzte der andere.

Eben wollte sich der Wärter auf Eisenkopf stürzen, als ein Greis mit langem, graumelierten Bart und majestätischer Miene eintrat. Ein weiter Mantel aus dunkler Wolle umhüllte ihn, während auf dem Kopfe ein immenser Turban thronte.

»Der Kadi!« riefen die Janitscharen.

»Was geht hier vor?« fragte der Alte den Wärter, der sich in Positur gesetzt hatte.

»Der Christenhund empört sich, Herr!«

»Und du mißhandelst ihn ohne Auftrag! Hinaus mit dir!«

Dann näherte er sich dem Katalanen, betrachtete ihn aufmerksam und fragte: »Bist du Italiener?«

»Spanier!«

»Ich frage dich in deiner Muttersprache, bist du der Diener des Barons Sant’ Elmo? Ich bin der Kadi!«

»Und ich Eisenkopf, der letzte Sproß des edlen Hauses Barbosa!«

»Der Generalkapitän will wissen, wer den Baron und dich nach Algier gebracht hat!«

Barbosa schwieg.

»Eisenkopf, hast du mich verstanden?«

»Ich bin nicht taub!«

»Dann antworte! Wir haben sonst die Mittel, auch Stummen die Zunge zu lösen!«

»Ich sehe es«, antwortete der Katalane, indem er sich umblickte.

»Dann rede!«

»Ein tunesischer Schwammhändler hat uns hergebracht!«

»War es wirklich ein Tunese?«

»Er sagte es«, erwiderte Eisenkopf, der sich schnell einen Plan zurechtgelegt hatte, entschlossen, den tapferen Normannen nicht zu verraten.

»War es nicht ein christlicher Schmuggler?«

»Er ein Christ? Nein, er betete den ganzen Tag zu Mohammed!«

»Wo ist der Mann zur Zeit?«

»Nach Marokko weitergesegelt, nachdem er uns gelandet!«

»Wie sah er aus?«

»Klein, dick wie ich, mit Spitzbart, sehr braun im Gesicht!«

»Irrst du dich nicht?«

»Ich war drei Tage mit ihm zusammen, daher muß ich mich seiner erinnern können!«

»Wo habt ihr ihn getroffen?«

»In Tunis!«

»So habt ihr euch also nach dem Kampf mit unsern Galeeren nach Tunis begeben, und der Bey hat euch ruhig mit eurem Wrack einfahren lassen? Ein solcher Schwindel!«

Er wandte sich an die Janitscharen.

»Faßt den Mann!«

Eisenkopf war sehr blaß geworden.

»Was wollt ihr denn mit mir anfangen?«

»Bewirken, daß du die Wahrheit sagst!«

»Ich habe sie euch gesagt!«

»Du willst mich täuschen!«

»Ich schwöre ... «

»Worauf?«

»Bei Gott oder Mohammed, wie ihr wollt!«

»Du wirst nachher schwören!«

Man warf ihn auf einen Tisch, band Hände und Beine fest und zog ihm Schuhe und Strümpfe aus.

»So, nun kitzelt ihn!«

»Er wird nicht lange trotzen und gestehen!«

Der Henker begann sofort so stark auf die Fußsohlen loszuschlagen, daß der Katalane laute Schmerzensschreie ausstieß.

Beim fünften Hieb machte der Kadi ein Zeichen.

»Willst du gestehen?«

»Ja, ja, alles, was ihr wollt!«

»Wie hieß der Schmuggler?«

»Ich glaube Cantalub!«

»Es war also kein Tunese?«

»Nein, ein Franzose!«

»War er groß, mit schwarzem Bart und stahlgrauen Augen?«

»Ja, ja, schwarz, groß und mit einer einem Papageienschnabel ähnelnden Nase!«

»Er ist es!« rief der Kadi triumphierend.

»Wo ist er jetzt?«

»Ich sagte euch, daß er nach Marokko fuhr!«

»Nach welcher Stadt?«

»Nach Tanger!«

»Nein, du irrst dich!«

»Oder er hat uns getäuscht! Er hat mir und meinem Herrn gesagt, daß er dort einen provenzalischen Gefangenen befreien wollte!«

»War seine Feluke grün bemalt?«

»Ja, ganz grün.«

»Heißt sie Medschid?«

»Mir scheint, so hieß sie!« rief Eisenkopf freudig aus, in der Hoffnung, so billig loszukommen.

»Culkelubis Verdacht war also berechtigt«, meinte der Kadi. »Er hat doch einen Falkenblick! – Gut, wir lassen den Medschid suchen, und ist er in unseren Händen, werden wir dich dem Kapitän gegenüberstellen. Wir wollen sehen, ob er noch wagt, sich einen Rechtgläubigen zu nennen. Hast du uns aber getäuscht, dann wehe dir!«

»Und wenn ich die Wahrheit gesagt habe?« fragte Barbosa.

»Dann wirst du vom Kommandanten eine Belohnung bekommen!«

Auf einen Wink wurde er losgebunden und erhielt seine Fußbekleidung wieder.

»Führt ihn in seine Zelle zurück!«

Hinkend, mit geschwollenen Sohlen kam er dort an.

Das Zuschlagen der Eisentür hatte den Baron geweckt.

»Bist du es, Eisenkopf?« fragte dieser mit schwacher Stimme.

»Jawohl, Herr, wie durch ein Wunder bin ich dem Tod entronnen. Wie fühlt ihr euch jetzt? Vor kurzem spracht ihr noch irre!«

»Der Kopf ist mir schwer. Ich fühle Hammerschläge im Gehirn. Wo sind wir?«

»Im Bagno von Sidi Hassan. Ein scheußlicher Ort! Wir sind wie lebendig begraben!«

»Diesmal scheint es mit uns aus zu sein, mein armer Eisenkopf!« seufzte der Baron.

»Noch nicht ganz! Solange sie nicht den geheimnisvollen Seemann gefunden, der uns hergebracht hat, haben wir nichts zu fürchten. Freilich, was dann kommt, weiß ich nicht!«

»Den Normannen?« rief der Ritter erschrocken.

»Oh, nein, es handelt sich um einen ganz andern, den wir nie zu Gesicht bekommen haben! Um meine Fußsohlen zu retten, habe ich alles, was man wollte, bestätigt!«

In Kürze berichtete er Sant’ Elmo, was sich zugetragen.

»Um einer Gefahr zu entgehen, hast du uns einer noch größeren ausgesetzt! Wenn nun der Mann gefunden wird?«

»Wer weiß, ob sie ihn entdecken!«

»Wir werden nicht lange hier unter der Erde bleiben! Man wird uns als Sklaven verkaufen!«

»Ich ziehe Sklaverei dem Tode vor, Herr Baron! Solange man lebt, kann man noch auf Rettung der Gräfin hoffen!«

Der Baron lächelte trüb.

»Sie ist für mich verloren. Wer weiß, was nicht schon mit ihr geschehen ist!«

Der stark schmerzende Kopf zwang ihn, sich wieder auf die Pritsche zu legen ...

Niemand störte sie während des Tages.

Gegen Abend warf ihnen ein Wärter eine kleine Ration Oliven und grobes Gerstenbrot zu.

Auch während der Nacht blieben sie im Kerker. Man schleppte sie noch nicht als Sklaven auf die Galeere, wie der Ritter angenommen hatte. Die nächtliche Stille wurde nur durch das gleichmäßige Aufundniedergehen der Wachen vor ihrer Tür und über dem Gitter an der Decke ihrer Zelle unterbrochen.

Am andern Morgen weckte eine Überraschung neue Hoffnung in ihnen.

Im Brot, das ihnen zugeteilt wurde, fand der Katalane ein Silberröhrchen, nicht größer als ein Finger. Der Baron, der es untersuchte, entdeckte darin ein nach Ambra duftendes Billet.

»Ich erkenne den Duft«, sagte er düster. »Die Prinzessin steckt dahinter. Warum kümmert sie sich noch um uns!«

»Und wenn es vom Teufel käme, das Stück Papier! Wenn es uns nur aus diesem Loch herausbrächte!« meinte Barbosa.

Vorsichtig zogen sie das Röllchen hervor. Es standen nur wenige Worte darauf:

Heut abend. Der Mirab.

»Beim heiligen Isidorus!« rief Eisenkopf aus, »wie mag der Alte es nur angefangen haben, uns diese Nachricht zu übermitteln! Ist er so mächtig, daß er selbst der Wut des Kommandanten trotzen kann?«

»Er oder Amina!« sagte der Baron. »Wie es auch sei! Verspeisen wir unser Brot und warten wir die Ereignisse ab!«

25. CULKELUBIS TOD

Während des Tags erfolgte nichts weiteres. Im Brot, das man den Gefangenen zuwarf, war kein Zeichen.

Nach Sonnenuntergang öffnete sich die Tür, und vier mit Gewehren und Yatagan bewaffnete Janitscharen, geführt von einem neuen Wächter, erschienen.

»Macht euch fertig zum Aufbruch!«

Der Baron und Eisenkopf tauschten Blicke aus. »Ob die Kanaillen von dem Fluchtplan Wind bekommen haben?« flüsterte Barbosa in seinem Dialekt.

Sie wurden zuerst in den Hof und von dort an das nahe gelegene Meeresufer geführt.

Vor dem Turm, in dessen Kellern sie zwei Tage geschmachtet, harrte eine mit 12 Bewaffneten bemannte Schaluppe.

»Steigt ein!« rief der Wächter. »Kettet sie fest und bedenkt, daß ihr mit dem Kopf für sie haftet. Der Kadi hat sie mir besonders an Herz gelegt!«

Vier Matrosen banden ihnen die Arme auf den Rücken und ketteten sie an eine Bank. Dann fuhr das Boot durch das Gewühl der Schiffe, welche die Bucht füllten. Der Baron zweifelte daran, daß diese Seeleute in Verbindung mit dem Mirab und der Prinzessin standen.

»Was hast du mit dem Billett getan?« fragte er den Katalanen.

»Verschluckt!«

»Sind das nicht Kriegsgaleeren, die dort am Leuchtturm liegen?« Eisenkopf ahnte nichts Gutes, und der Ritter machte sich auch schon mit dem Gedanken vertraut, nun bald in die Hände irgendeines wilden Arabers überzugehen.

Die von zwölf kräftigen Männern geruderte Schaluppe war rasch jenem Chaos von Schiffen enteilt und hatte sich nach dem östlichen Teil der Bucht gewandt, wo die hellerleuchteten Galeeren lagen.

Von der größten Galeere wurde eine Leiter herabgelassen und den Gefangenen der Befehl erteilt, hinüberzusteigen.

Oben führte man sie in eine prächtige, mit Teppichen ausgestattete Kabine, wo auf dem Diwan, seine Nargileh-Pfeife rauchend, Culkelubi saß.

»Ich freue mich, dich wiederzusehen«, rief er dem Baron spöttisch zu. »Obwohl Christ, hast du doch ein hartes Fell!«

Der Ritter antwortete nicht. Er schaute seinen Feind nur verächtlich an.

»Ich wollte dir ankündigen, daß wir den Schmuggler gefaßt haben, der dich hergebracht hat!«

Sant’ Elmo konnte nur mit äußerster Anstrengung seine Ruhe bewahren. Er bangte um die Entdeckung des Normannen.

»Dein Diener hat alles gestanden. Ich hatte schon längst Verdacht auf den Mann, der sich für einen marokkanischen Kaufmann und guten Muselmann ausgab! Seine Laufbahn wird nun in einem Mörser oder vor der Mündung einer Kanone enden!«

Dann schaute er mit seinen stechenden Augen den Katalanen an: »Du, Dickbauch, wirst den Verfluchten Schmuggler doch wiedererkennen, nicht wahr?«

»Wenn es der richtige sein sollte, gewiß!« stammelte der Katalane.

»Du hast dem Kadi gesagt, daß seine Feluke grün sei!«

»Es kann auch andere von derselben Farbe geben!«

»Er behauptet aber, weder dich noch deinen Ritter zu kennen! Morgen wird er aus dem Bagno hergeschafft und euch gegenübergestellt werden!«

»Und wenn es nicht derselbe ist?« fragte der Baron. »Ich würde nie dulden, daß ein Unschuldiger stirbt!«

»Dann zahlt ihr für ihn! Um so schlimmer für euch!«

Er klatschte in die Hände. Zwei Christensklaven – die Gesichter voller Narben, Spuren von grausamen Schlägen seitens ihres Herrn – traten ein. Sie hatten die Blicke auf den neben dem Diwan stehenden Stock gerichtet, dessen Wucht sie kannten.

»Schickt einen meiner Offiziere nach dem Gefängnis mit dem Befehl, morgen früh den Schmuggler herzubringen und eine Kanone vor der Tussuf-Moschee bereitzuhalten ... Zuerst aber führt diese Leute ab, fesselt sie und laßt sie nicht aus den Augen!«

Die Sklaven schleppten die beiden Gefangenen, anscheinend brutal, in einen dunklen Schiffsraum nach unten.

Statt ihnen aber Ketten anzulegen, schleuderten sie diese unter Hohngelächter weit von sich.

»Solltet ihr uns nicht in Fesseln legen?« fragte der Baron überrascht.

»Ist nicht mehr nötig«, entgegnete der eine in maltesischer Mundart. »Culkelubi wird binnen kurzem zur Hölle fahren! Willst du nicht die Gelegenheit benutzen ... ?«

Der Baron verstand ihn nicht.

»Seid ihr nicht Schmuggler?« fragte der andere der Sklaven.

»Nein, Galeerenkapitän und Malteserritter!«

»Und euer Diener?«

»Auch Christ! Und ihr?«

»Renegaten!«

Nachdem der Sprecher mit seinem Gefährten einen Blick gewechselt, fügte er leise hinzu:

»Bald wird auf der Galeere der Ruf ertönen: Culkelubi ist tot!«

»Ihr wolltet es wagen ... ?«

»Hört, wir sind etwa dreißig Verschwörer, Franzosen, Italiener, Flamen und Spanier, und haben beschlossen, dem elenden Schinderknecht endlich das Handwerk zu legen. Heute nacht wird er umgebracht werden! Da ihr doch Gefahr lauft, den morgigen Abend nicht mehr zu erleben, so schließt euch an! Ein Schiffskapitän kann uns auf hohem Meere nützlich sein!«

»Habt ihr auch die Schwierigkeiten bedacht und die entsetzlichen Strafen, falls es mißlingt?«

»Nichts hält uns mehr zurück«, sagte der Renegat entschlossen. »Besser mit der Waffe in der Hand zu sterben, als unter den Stockschlägen des verruchten Korsaren!«

»Sagt, stammt der Plan von einem normannischen Schmuggler oder von einem Mirab?«

»Ich kenne weder den einen, noch den andern. Warum fragt ihr?«

»Weil unsere Freunde heute nacht einen Handstreich zu unserer Befreiung planten!«

»Mir ist eine große Schaluppe aufgefallen«, meinte der zweite Renegat, »die während eures Verhörs hier in der Nähe kreuzte!«

»Wann war Culkelubis Ermordung beschlossen worden?«

»Vorige Woche, in einer geheimen Versammlung! Heute, am 10. Januar, soll die Tat ausgeführt werden ... !«

»Still, die Runde kommt, um zu sehen, ob wir auch auf den Posten sind. Es wird das letztemal sein ... ! Legt euch schnell in die Ketten!«

Eine Laterne wurde geschwenkt. Mit dem bloßen Säbel in der Hand trat ein Matrose, gefolgt von vier Soldaten und einem Quartiermeister, an die Gefangenen heran.

Mit einem Blick auf die Gruppe, der sie spöttisch: »Gute Nacht, Hundsfotte!« zuriefen, kehrten sie wieder um.

»Die Hundsfotte werden euch bald beweisen, was sie können!« knirschte der eine Sklave.

»Culkelubi ist jetzt betrunken«, sagte der andere. »Nun sind unsere Verschwörer oben zur Tat bereit!«

»Aber wie wollt ihr, die ihr keine Waffen habt, mit der Besatzung fertig werden?« fragte der Baron, noch immer starr vor Überraschung.

»Waffen gibt es genug in Culkelubis Kabine, auch für euch, Ritter!«

»Man hörte plötzlich eilige Schritte oben an Bord und Rufe der Wachen.

Die zwei Renegaten sprangen auf und horchten.

»Es muß geschehen sein! Auf! Nach oben! Wir wollen den Berbern in den Rücken fallen!«

Der Baron und die andern ergriffen die in der Nähe liegenden Handspeichen ...

In diesem Augenblick erschien ein Sklave: »Hinauf! Culkelubi ist tot! Wer hier bleibt, ist verloren!« Und alle stürzten die Treppe hinauf, blaß, in tiefer Erregung.

Im Zwischendeck vernahm man schon wildes Toben, schreckliches Geschrei: »Zu den Waffen! Zu den Waffen! Die Renegaten fliehen!«

Dann hörte man Schüsse, Schwerterklirren.

Der Kampf zwischen der Besatzung und den zwanzig Verschworenen hatte auf dem oberen Deck begonnen. Ein verzweifelter Kampf, ohne Erbarmen!

Die von den haßerfüllten Renegaten lange geplante Rache schien geglückt.

Sie war auf Kosten ihres Lebens, jenseits von Hoffnung, unternommen worden.

Lieber sterben, als sich länger peinigen lassen, war die Losung gewesen. Der Generalkapitän war im Bett von einigen Christensklaven, welche die Wachen für ganz zuverlässig gehalten hatten, im Augenblick, als er unbewacht lag, ermordet worden.

Unglücklicherweise wurden die Mörder mit ihren Genossen, als sie sich im Nebenraum der Kabine der Waffen bemächtigten, von einem Quartiermeister überrascht.

Die vier- oder fünfmal stärkere Besatzung eilte auf den Alarmruf desselben auf Deck und stürzte sich wutentbrannt auf die Verschwörer.

Diese waren gerade im Begriff, ein bereitgehaltenes Boot zur Flucht herabzulassen. Sie vermochten nur noch die großen Laternen auf der Galeere zu zerstören – dann begann das entsetzliche Handgemenge.

Renegaten und Berber kämpften mit der Wut der Tiger in völliger Dunkelheit. Letztere schienen, trotz ihrer großen Übermacht, zu unterliegen.

Der Baron und seine Begleiter griffen die Mannschaft von hinten an. Rechts und links um sich hauend, öffnete er ihnen eine Bahn.

Er hatte das Schwert eines Gefallenen ergriffen und hieb nieder, wer sich ihm entgegenstellte. Eisenkopf, der nun verstanden hatte, daß es sich auch um seine eigene Rettung handelte, stand ihm tapfer zur Seite.

Die Soldaten, ohne Führer und überrascht von der Kraft ihrer Gegner, wichen in Verwirrung zurück.

Da aber bedrohte eine neue, schwere Gefahr die Verschwörer.

Von den andern Galeeren fielen plötzlich Schüsse, und Boote wurden ausgesetzt. Man bemühte sich von allen Seiten, dem Hauptschiff zur Hilfe zu eilen.

»In die Schaluppe!« schrie Sant’ Elmo. »Wir geraten sonst zwischen zwei Feuer! Schnell! Die Hafenwache kommt!«

Alles stürzte mit den Waffen ins Boot. Die Sklaven, meistenteils verwundet, ruderten unter größter Anstrengung, um so schnell wie möglich aufs offene Meer zu gelangen.

Aber die Gefahr wurde von Augenblick zu Augenblick größer.

Überall rüstete man sich zur Jagd auf die Fliehenden. Alle Schiffe waren in Bewegung. Die außerhalb der Bucht kreuzenden empfingen Signale, so daß die Schaluppe schon draußen erwartet wurde.

Kanonenschüsse riefen sämtliche Hafenrunden herbei.

»Herr Baron«, rief der Renegat, der ihn gerettet hatte, »es wird zu spät sein für das Meer!«

»Wir müssen landen! Versuchen wir, von der Stadt aus ins Innere Algiers zu flüchten!«

Mitten durch die Schiffe flog nun die Schaluppe dem Ufer zu.

»Bückt euch, Freunde!« mahnte der Ritter. »Man schießt von allen Seiten auf uns! Gott wird uns schützen!«

»Herr«, seufzte Eisenkopf in seinem Dialekt, »ich glaube, wir haben ein schlechtes Geschäft gemacht, als wir uns mit diesen Leuten einließen! Nun werden wir bald gefangen sein!«

»Dann werden wir für eine gute Sache sterben!« war die Antwort.

26. AUF LEBEN UND TOD

Die Besatzungen der Galeeren und die Hafenwachen stürmten von allen Seiten heran, um den Flüchtenden den Weg in die Stadt abzuschneiden.

Fahrzeuge aller Art schwirrten durcheinander und suchten die Bucht ab. Lebend oder tot wollten sie die Unglücklichen ergreifen. Gegen 500 Menschen waren unterwegs.

Während man von den Schiffen und Terrassen des nächstliegenden Bagnos feuerte, waren Gruppen von Janitscharen, mit Fackeln versehen, am Ufer verteilt, um die Landung der Fliehenden zu verhindern.

Von Zeit zu Zeit tönte furchtbares Geschrei: »Tötet die Hunde ... ! Rache für Culkelubi ... !

Der Baron war sich über das Verzweifelte der Lage klar geworden. Es gab keine Hoffnung mehr, sich dieser Jagd auf Leben und Tod zu entziehen.

Aber er war gefaßt. Noch einmal dachte er an Donna Ida und wurde weich bei der Erinnerung an das geliebte Mädchen. Dann aber ermannte er sich und rief laut seinen Gefährten zu:

»Bereiten wir uns auf das Ende vor! Wir sind Christen!«

Das Ufer war kaum 20 Schritte entfernt. Die Schaluppe näherte sich mit größter Geschwindigkeit. Wie wilde Bestien stürzten die Janitscharen zur Landungsstelle.

»Die Waffen zur Hand!« befahl der Ritter. Die Schaluppe fuhr so heftig auf den Sand, daß die Renegaten übereinanderfielen.

Fast in demselben Augenblick landete in kurzer Entfernung eine andere, mit Algeriern und einigen Negern bemannte Barke.

Sant’ Elmo hatte sie bemerkt.

Als er mit seinen Kameraden ans Land sprang, warf sich ihnen die Janitscharenrotte entgegen mit dem Rufe:

»Ergebt euch!«

Der Baron schlug sofort den Führer nieder. Im Momente höchster Not stürzten sich die Sklaven todesmutig auf die Gegner. Aber die schon Entkräfteten vermochten nicht, die Reihen zu durchbrechen. Sie mußten dem wütenden Ansturm der Soldaten weichen.

Der Kampf war kurz, aber schrecklich.

Nur der Baron und Eisenkopf, der diesmal Wunder verrichtete, konnten standhalten.

Da aber kamen neue Janitscharen aus einer Nebengasse herbei und schossen einen Teil der Flüchtenden nieder.

Den verzweifelten Anstrengungen des Ritters und den furchtbaren Hieben des Katalanen, der einen Streitkolben – seine Lieblingswaffe – aufgelesen hatte, gelang es, sich Raum zu verschaffen.

Plötzlich sah sich Sant’ Elmo mehreren riesenhaften Negern gegenüber, die sich blitzschnell auf ihn und Eisenkopf stürzten. Er fühlte sich von kräftigen Armen emporgehoben und aus der Schar der Kämpfenden entführt.

Es war das Werk eines Augenblicks. Die andern, ihm folgenden Sudanesen deckten ihm den Rücken mit Pistolenschüssen.

Der Ritter leistete keinen Widerstand. Ahnte er doch, daß ihn jemand gerettet habe, der über ihn wachte!

Nicht so Eisenkopf. Er sträubte sich mit Händen und Füßen, als man ihn fortschleppte.

In größter Geschwindigkeit durchmaßen die Neger die engen Gassen der Stadt, bis sie bei einem Torbogen hielten, wo eine Anzahl Pferde ihrer wartete.

»Steigt auf, nehmt meine Pistolen und folgt meinem Pferd!« sagte der Neger.

Man hatte Sant’ Elmo einen prächtigen Renner vorgeführt, den er sofort bestieg. Barbosa folgte auf einem anderen Pferde.

In der Nebengasse hörte man wildes Geschrei:

»Nieder mit ihnen! Verfolgt die Mörder!«

In rasendem Lauf ging es über Plätze und Straßen, alles niedertretend, was sich ihnen in den Weg stellte.

Den Reitern hatte sich schweigend eine kleine Schar Algerier angeschlossen, offenbar Freunde ... Sie hatten die gleichen schnellen, edlen Rosse.

Dem Wächter an einem Stadttor, das ins Freie führte, riefen die Neger das Losungswort zu.

»Im Dienste des Bey! Mohammed und Soliman!«

Und die Wachen ließen den Weg frei.

Nun ging es eine Weile an der äußern Stadtmauer entlang, beinahe bis zur Höhe der Kasbah, und von dort mitten durch die Safran- und Maisfelder nach den gen Süden gelegenen Ebenen hin. Die Reiter zerstampften die Ernte ohne Erbarmen.

Der Baron war noch so überrascht von der Entführung, die ihm im richtigen Augenblick das Leben gerettet, daß er bisher den jungen Algerier, der ihm zur Seite ritt, kaum bemerkt hatte. Jetzt aber sah er, daß diesem bei den wilden Sprüngen seines schönen, weißen Pferdes lange, schwarze Haarsträhnen unter dem Turban hervorquollen.

Als er sich beobachtet glaubte, blieb der junge Reiter etwas zurück und schloß sich dem Gefolge an.

Eisenkopf machte sich eher Gedanken darüber.

»Wer mag nur der Jüngling sein? Irgendein Page?« fragte er den Baron.

»Bald werden wir es ja erfahren«, antwortete dieser. »Der wilde Ritt kann doch nicht ewig dauern!«

»Und hinter unserer Rettung steckt sicher die Prinzessin!« schwatzte der Katalane weiter, der sein Herz vom Druck befreien wollte.

»Auch mich haben die mächtigen Negerstaturen an ihre Diener erinnert! Nun, wie es auch sei! Wir scheinen behütet zu werden! Aber wie wird es den armen Christen ergehen, deren Schicksal wir bisher geteilt haben!« seufzte Sant’ Elmo. »Ihr Los wird furchtbar sein!«

»Hoffentlich haben sie sich das Leben genommen, anstatt lebendig in die Hände ihrer Peiniger zu fallen!« meinte Barbosa.

»Den Janitscharen ist es leider gelungen, einen Teil gefangenzunehmen«, sagte eine tiefe, ihnen wohlbekannte Stimme hinter ihnen. »Auch ihr würdet diesem Schicksal nicht entgangen sein, wenn wir einige Minuten später gekommen wären!«

»Michele«, riefen der Ritter und Eisenkopf wie aus einem Munde.

Der Normanne ritt jetzt an die Seite des Barons. »Ja, Michele! Und hinter uns galoppieren meine Leute!«

»Die Algerier ... ?«

»Sind die Felukenmänner!«

»Erklärt mir doch ... «

»Später! Vorerst müssen wir die größtmöglichste Entfernung von unsern Verfolgern gewinnen! Die ganze algerische Reiterei wird jetzt hinter uns hergehetzt werden. Wir müssen unsere Spur verwischen und uns teilen!«

»Also hängt unser Leben von der Geschwindigkeit unserer Pferde ab?«

»Die wir zum Glück ganz besonders aussuchen konnten!« sagte der Schmuggler.

Sie waren bei einer Hügelkette angelangt. Hier blieb der Normanne etwas zurück, um mit dem hinter ihnen reitenden jungen Algerier einige Worte zu wechseln.

»In den Wald von Top Hane!« befahl er sodann.

Die Algerier bogen nun mit den vier Negern, die den Nachtrab der Reitergruppe bildeten, links in die Ebene ab, während die beiden andern, als Führer dienenden Neger die steinigen Hügel hinauftrabten, wo die Hufe der Pferde keine Spur hinterlassen konnten. Ihnen folgte der Baron mit Eisenkopf und dem Normannen.

Schweigend ging es eine Viertelstunde bergan, dann an der andern Seite hinunter in einen dichten Wald, der eine ungeheure Ausdehnung zu haben schien.

»Halt!« rief der Seemann. »Die Rosse können einen Augenblick unter den Bäumen verschnaufen. Wir haben noch weit bis zum Duar meiner Freunde! Dort könnt ihr in Sicherheit ausruhen, bis der Sturm sich gelegt hat!«

Sie waren abgestiegen und überschauten vom Waldesrand die Ebene.

»Habt ihr nicht erraten, wem die beiden starken Neger gehören? Es sind prächtige Menschen, jeder 10 Mann wert!«

»Der Prinzessin?« fragte Sant’ Elmo zögernd.

»Ja, ja, die Prinzessin weiß ihre Diener auszuwählen!«

»Sagt mir, Michele, wer ist der junge Algerier, mit dem ihr spracht?«

Der Schmuggler lachte.

»Ihm verdankt ihr mehr als mir und dem Mirab! Ohne ihn wäre es uns nicht gelungen, euch zu retten! Infolge der hohen Verbindungen dieses Jünglings war schon eure Flucht aus dem Bagno vorbereitet. Wärter und Wachen waren bestochen, und alles wäre glattgegangen, wenn nicht der unglückselige Befehl gekommen, euch auf die Galeere des Kommandanten zu schaffen!«

»Hattet ihr denn von der Verschwörung gehört?«

»Glücklicherweise hatte mir ein Renegat, der mich kannte, das Geheimnis anvertraut. Schon gestern morgen wußte ich, daß Culkelubi in der Nacht sterben würde!«

»Und jene Schaluppe, die bei der Galeere kreuzte ... ?«

»War die unsrige. Meine Leute mitsamt den Negern lauerten nur auf eine Gelegenheit, euch zu befreien!«

»Ihr habt mich also mit dem Renegaten flüchten sehen?«

»Ich erkannte eure Stimme und folgte euch, indem ich tat, als ob ich euch mitverfolgte. Alles ging gut, und niemand schöpfte Verdacht, aber leider eiltet ihr mit solcher Geschwindigkeit, daß es nicht möglich war, euch noch vor der Landung zu erreichen!«

»Wie danke ich euch, braver Michele! Euch schulde ich mein Leben!«

»Nicht mir, der Prinzessin!«

»Wieder dieser Frau, die mich der Folter ausgeliefert hat!« murmelte der Ritter zähneknirschend ...

»Jetzt aber weiter im Galopp!« rief der Normanne.

Und sie nahmen den Ritt wieder auf.

»Michele«, fragte Sant’ Elmo nach einer Weile, während der er seinen Gedanken nachhing: »Habt ihr denn nichts von – ihr gehört?«

»Von der Gräfin? Seid ohne Sorge! Sie läuft zur Zeit keine Gefahr und ist vor Zuleik sicher!«

»Noch immer im Bagno?«

»Nein, in der Kasbah! Ehe sie in den Harem kommt, werden wir sie entführt haben! Es wird jemand ihre Flucht bewerkstelligen!«

»Ist das wirklich wahr? Schwört es mir!«

»Beim Kreuze Christi!«

»Ist sie Sklavin?«

»Nein, sie ist in weit besserer Stellung, sie ist eine Besleme!«

Schweigend ritten sie weiter. Jetzt ging es durch eine von ausgetrockneten Wasserläufen durchzogene Ebene, die gen Süden von kleinen Hügeln begrenzt war.

Dem Baron kam die Gegend bekannt vor.

»Waren wir nicht auf einer jener Anhöhen, als wir nach Zuleik und seinen Falknern ausschauten?«

»Gewiß. Und das Minarett drüben ist das von Blidah! In 5 bis 6 Stunden sind wir, wenn unsere Pferde aushalten, am Duar meiner Freunde!«

»Aber die Janitscharen werden indessen eure Leute verfolgen!«

»Fürchtet nichts! Die finden auf den Besitzungen der Prinzessin neue Pferde und werden sich so leicht nicht kriegen lassen! Später kehren sie in anderer Verkleidung nach Algier zurück!«

»Auch der junge Algerier?«

»Nein, den treffen wir am Duar!«

Die Harem-Beslemen werden unter den schönsten und klügsten Mädchen ausgesucht, um die Sultaninnen mit Tanz, Gesang und Spiel zu unterhalten. Sie können auch Favoritinnen der Sultane werden.

»Warum nimmt er solchen Anteil an uns?« »Er wird es euch selbst sagen!«

Auf der Höhe der nun folgenden Hügel bot sich eine weite Aussicht. Der Normanne suchte den Horizont ab. »Nichts zu sehen! Man wird die Jagd nach anderer Richtung aufgenommen haben!«

Im Süden zeigte sich eine weißliche Linie. »Seht, das ist der Scheliff! Wir reiten jetzt auf diesen Fluß zu, kehren aber dann nach Osten zurück, um unsere Spur zu verwischen!«

Die Pferde zeigten keine Müdigkeit, obgleich sie schon einen Lauf von mehr als 30 Meilen zurückgelegt hatten. Jetzt war Modeah erreicht und bald darauf auch das sumpfige Ufer des Scheliff. Wieder ging es durch eine ungeheure, ab und zu durch magere Weiden oder Korkbaumwäldchen unterbrochene Steppe.

»Hier sind die Hügel, wo euch Zuleik gefangennahm! Nun noch ein letzter Trab, dann können wir uns an einem gebratenen Lamme laben!«

In Schweiß gebadet, Schaum vor dem Munde, langten die Rosse vor der Umzäumung an, wo Hammel und Kamele auf dem sandigen Boden weideten.

Ein Kabyle im braunen Mantel stand vor seinem Zelte und begrüßte den Normannen.

»Mein Bruder, sei in Ibrahims Duar willkommen!« »Wie geht es Achmed?«

»Es geht ihm besser! Kommt jetzt, meine Zelte, mein Vieh und meine Waffen sind dein und deiner Freunde Eigentum!«

27. ZULEIKS ZORN

Der Kabyle hatte mit einem Pfiff seinen Sklaven gerufen, der die Pferde abzäunte und unter ein aus trockenem Rohr hergestelltes Dach führte. Dann geleitete er seine Gäste in das größere, luftigere Zelt, wo auf einer frischen, weißen Matte zwei gebratene Lämmer ihrer harrten, dazu Brotkügelchen sowie Töpfe mit gestoßenen Datteln, die in einer gelblichen Sauce schwammen, und Haufen von P?aumen und Aprikosen.

An einem Strick hing ein Schlauch mit Kamelmilch, das einzige Getränk der algerischen und marokkanischen Duarbewohner.

Ibrahim nötigte seine Gäste, Platz zu nehmen, zerteilte den Braten und bot ihnen die besten Stücke an.

»Das ist ein Frühstück, das sich sehen lassen kann!« meinte Eisenkopf, der den appetitlichen Duft des knusprigen Lamms mit Wollust einatmete. »Gott sei Dank, kein ranziges Öl mehr!«

Nach dem Essen machte der Kabyle dem Seemann ein Zeichen, mit ihm ins Freie zu kommen.

»Dein anderer Freund ist auch schon hier!« sagte er. »Du findest ihn in Achmeds Zelt!«

»Ich danke dir, daß du ihn beherbergt hast! Er wird dir deine Gastfreundschaft reichlich belohnen! Weißt du, wer der Jüngling ist?«

»Ich habe kein Recht, dich danach zu fragen!«

»Es ist einer der mächtigsten Herren Algiers!«

»Ein Mann?«

Der Normanne schien diese Frage zu überhören. »Und mein anderer Begleiter ist einer der tapfersten Krieger in seiner Heimat!«

»Also kein Algerier?«

»Nein, und ich bin es auch nicht!«

»Ich hatte es schon vermutet, trotz deiner braunen Haut! Aber wer du auch seist, du wirst stets mein Bruder bleiben, und meine Dankbarkeit wird nicht enden, wärest du selbst ein Ungläubiger!«

»Dank dir, Ibrahim! Aber nun wollen wir die beiden Jünglinge, den blonden und den schwarzen, allein lassen! Sie haben sich manches zu sagen, was andere nicht zu hören brauchen!«

Michele entfernte Eisenkopf und die beiden Neger unter dem Vorwande, daß der Ritter der Ruhe bedürfe.

Kaum hatten sie alle das Zelt verlassen, in dem sich der Baron behaglich ausstreckte, als leise der junge Algerier eintrat.

Er blieb einen Augenblick an der Tür stehen; dann ließ er seinen Mantel fallen.

Bei dem leisen Geräusch wandte Sant’ Elmo hastig den Kopf. Ein Schrei der Überraschung entfuhr ihm: »Ihr, Prinzessin?« rief er aufspringend.

Er sah sie mit finsterem Blicke an.

»Ich schulde euch viel, ich weiß es, aber ... «

»Aber ihr zürnt mir noch immer! Wohl habe ich euch Leid angetan, was ich tief bereue, doch habe ich es gesühnt, indem ich euch wieder befreite! Ich habe aus Liebe zu euch gefehlt ... !«

»Wenn ich mich nicht gebunden fühlte, Amina, ihr wäret meinem Herzen näher getreten! Ihr habt eine edle Seele!«

»Auf mir lastet ein trauriges Verhängnis, Ritter«, sagte sie, schwer atmend, indem sie im Zelte langsam auf und nieder ging. »Diejenigen, die ich liebe, sind stets für mich verloren ... ! Mein Traum ist nun zu Ende ... Werdet glücklich mit eurer Verlobten!«

»Ihre Befreiung wird noch ein Dornenpfad sein!« seufzte er.

»Mit meiner Hilfe wird es gelingen! Vor allen Dingen habt ihr einen wahnsinnig eifersüchtigen Nebenbuhler zu fürchten, der alles daransetzt, die Gräfin zu entführen!«

»Prinzessin, ich weiß, ihr meint euren Bruder, dessen Pläne ihr ja durchkreuzen würdet, wenn ihr mir helft!«

Sie hielt in ihrer ruhelosen Wanderung inne und sprach mit fester Stimme:

»Auch er muß die Christin verlieren, um unserer Religion willen! Auch er muß überwinden, wie ich überwinden mußte!« Nach kurzem Schweigen fuhr sie fort:

»Er wird nichts erreichen! Nur selten kommt ein Mädchen, das einmal die Kasbah betreten, dort lebend heraus!«

Sant’ Elmo fuhr erschreckt auf:

»Also habe ich keine Hoffnung, glaubt ihr?«

»Vielleicht doch! Wartet meine Rückkehr ab! Wer weiß, was inzwischen in Algier geschehen ist! Man wird jetzt wissen, daß ihr in Culkelubis Ermordung verwickelt seid, und wird euch suchen!«

»Amina, ich zittere für euch. Wenn man entdeckt hat, daß ihr mir zur Flucht verholfen ... «

»Man wird einer Nachkommin der Kalifen kein Haar krümmen! Es wäre denn einer ... aber dem bin ich gewachsen!«

»Zuleik?«

»Ja, mein Bruder ... ! Doch jetzt: lebt wohl, Ritter! Ich lasse meine Neger zum Schutze bei euch!«

»Dank, tausend Dank für alles!«

Sant’ Elmo näherte sich ihr und ergriff ihre Hand.

»Ich bin tiefbewegt von eurer Großmut, Prinzessin! Algier hat wohl Panther unter seinen Leuten, aber auch goldene Herzen, Frauen edelster Art!«

Sie sah ihn voll unendlicher Traurigkeit an. Dann entzog sie ihm schnell ihre Hand und eilte hinaus.

Draußen bestieg sie ihr Pferd, das ein Neger bereithielt, und raste im Galopp den Hügeln zu.

Das scharf gespornte Tier machte ungeheure Sätze, die einen weniger geübten Reiter sicher aus dem Sattel geworfen hätten. Der Prinzessin Erregung bedurfte jedoch der Ablenkung in andere Bahn, daher nahm sie keine Rücksicht auf das schöne Pferd.

Es ging über Täler und Höhen, durch dunkle Wälder hindurch, über Felsgestein und Bäche, ohne Rast. Erst an Modeah, dann an Blidah vorbei. Der Abend dämmerte schon.

In der Nähe der Kasbah verlangsamte sie endlich den Ritt.

Mehr als 30 Meilen hatte der Renner ohne Ruhepause zurückgelegt. Jetzt begann er zu lahmen, und, kaum im Hofe des Palastes angekommen, brach das edle Pferd zusammen.

»Armer Casmin!« sagte Amina traurig, »du hast dein Leben für mich geopfert!« und streichelte das sich auf dem Pflaster wälzende Tier.

Sie selbst hatte ihre Ruhe zurückerlangt.

Die Dienerinnen eilten herbei, erstaunt, die Prinzessin in diesem Aufzug zu finden.

»Euer Bruder erwartet euch, Herrin!« sagte der Haushofmeister.

»Wo ist er?«

»Im grünen Saal!« Und sie folgte dem Fackelträger über die Marmortreppe.

»Wo kommst du her?« rief ihr Zuleik herrisch entgegen, indem er sie von Kopf bis zu Füßen maß, da sie das männliche Gewand noch nicht abgelegt hatte.

Sie warf stolz das Haupt in den Nacken.

»Ich tue, was mir gefällt ... ! Habe den Tag über Gazellen gejagt!«

»Aber nicht auf unseren Besitzungen!«

Er näherte sich ihr und zischte voller Wut:

»Du hast in dieser Verkleidung einem Christen zur Flucht verholfen!«

»Wem?«

»Baron Sant’ Elmo!«

»Und wenn es so wäre?«

»Dann wäre unser Haus entehrt!«

»Der Baron hat keinen Anteil an dem Morde!«

»Aber er floh mit den Renegaten und muß ihr Los teilen!«

»Dein Vater war großmütiger, Zuleik! Er rettete die Christen Granadas, als seine Generäle sie niedermetzeln wollten. Gedenke unseres Ahnherrn Omar, der unter den Mauren Cordovas den spanischen Feldherrn freigab, ohne Rücksicht auf den Zorn der Soldaten!«

»Ich bin weder Achmed noch Omar! Ich werde den Christen zu finden wissen!«

Er verließ wutentbrannt den Saal.

Auf der Treppe kam ihm der Mirab, geführt von einem Diener, entgegen.

Zuleik stutzte.

Der Alte zu dieser Stunde ... ? Ein Gedanke durchzuckte sein Gehirn, ein Verdacht. Er rief den Haushofmeister zur Seite und befahl ihm, hinter der geheimen Tür des grünen Saals das Gespräch zwischen seiner Schwester und dem Mirab zu belauschen.

»Wenn du mir melden kannst, was beide gesprochen, so schenke ich dir morgen die Freiheit! Andernfalls lasse ich dich zu Tode prügeln!«

Nachdem er ihm noch eingeprägt, zu beobachten, wohin sich der Mirab beim Heimweg wende, ritt er zum Bagno der Paschas.

»Der Ritter läßt seine Gebeine hier«, murmelte er vor sich hin, »und Amina verliert ihr Spiel!«

28. DER ZAUBERTRANK DER KALIFEN

Fünfzehn Renegaten waren auf der Flucht lebend gefangen worden, Spanier, Italiener, Flamen und Franzosen. Alle in jämmerlichem Zustand, schwer verwundet nach dem Kampf auf Tod und Leben! Die andern waren gefallen.

Mit Mühe hatte man sie vor der Volkswut gerettet. Unter starker Bewachung wurden sie nach dem Bagno des Paschas gebracht, das als sicherstes galt. Unter schrecklichen Martern versuchte man dort, die Namen geflüchteter Genossen von ihnen zu erfahren. Die einen waren nackt auf Haken gespießt, andere in halber Höhe in Gruben mit ungelöschtem Kalk gesteckt worden. Noch anderen hatte man Wunden geschnitten und diese mit glühendem Wachs gefüllt.

Unter solchen Qualen war ihnen der Name des Barons entschlüpft. Aber niemand von den Gefolterten hatte etwas von seinem Verbleib, wie über die ihm zu Hilfe geeilten Algerier aussagen können.

Als Zuleik im Bagno erschien, kam ihm der Kadi entgegen.

»Es ist nichts weiter aus diesen Verfluchten Christen herauszubekommen! Ihr wißt, der Bey hat einen Preis von 1000 Zechinen ausgesetzt für denjenigen, der des Barons Aufenthalt entdeckt!«

»Das reizt mich nicht!« entgegnete der Maurenfürst, »aber der Schuldige muß bestraft werden! Ich hoffe, eine richtige Fährte zu haben! Die Flüchtlinge müssen im Innern des Landes versteckt sein!«

»Sicher! Kein Schiff hat den Hafen verlassen. Unsere Galeeren haben Tag und Nacht davor gekreuzt!«

»Stellt mir 50 der besten Reiter, Kadi! Vielleicht brauche ich sie schon heute nacht!«

»Sie werden bereitstehen ... ! Die noch übrigen Renegaten sollen morgen am Hafen gepfählt werden!«

Zuleik verließ das Bagno. Der Hofmeister erwartete ihn im Palast.

»Ich habe mehr gehört, als ich hoffte. Sie sprachen von den Christen und von einem Duar, wohin sie geflüchtet ... «

»Also der Mirab steht mit der Flucht des Barons in Verbindung?«

»Es scheint so!«

»Hat man ihn beobachtet?«

»Er wohnt in der Cuba, in der Nähe der Kasbah!«

Fünf Minuten später war Zuleik auf dem Wege zur Wohnung des Mirab.

Der Alte war noch wach, als der Maurenfürst mit der Pistole gegen die Tür pochte.

»Öffnet, auf Befehl des Kadi!«

»Was begehrt Zuleik Ben Abad von mir?« fragte ruhig der Greis, obgleich er bis ins Innerste erschrocken war bei dem unerwarteten Anblick des Mauren.

»Den Zufluchtsort des Barons Sant’ Elmo.«

»Was soll das heißen?«

»Man weiß, daß ihr die Flucht der Mörder Culkelubis unterstützt habt!«

»Ich? Ein Mirab?«

»Sagt mir, wo meine Schwester den Baron verborgen hält!«

»Ich weiß es nicht!«

»Dann werde ich euch vom Kadi foltern lassen!«

»Ihr würdet dadurch nur eure Schwester und eures Hauses Ehre bloßstellen!«

»Gut, ich werde mir selbst zu helfen wissen!«

»Wollt ihr mich töten? Ich bin ein heiliger Mann, und mein Tod würde nicht ungerächt bleiben!«

»Wenn ihr nicht gesteht, so werdet ihr wider Willen sprechen!«

Auf ein Zeichen hin stürzten Zuleiks Begleiter auf den Greis und warfen ihn zu Boden.

Ein Diener reichte dem Mauren eine Kristallflasche, der ein eigenartiger Duft entquoll. Zuleik goß nun dem Mirab den Inhalt der Flasche in den Mund.

»So machten es meine Vorfahren, wenn sie den Feinden Kriegsgeheimnisse entreißen wollten!« sagte er zähneknirschend.

Der Greis war sofort betäubt. Seine Augen schlossen sich.

Zuleik setzte sich auf den Stein, der das Grab des Heiligen der Cuba bedeckte, und wartete die Wirkung des Trankes ab.

Der Mirab schlief, aber unruhig, indem er sich von Zeit zu Zeit bewegte, als ob er mit den Händen seine Angreifer abwehren wollte.

Seinen Lippen entflohen Worte, erst unverständlich, dann klarer. Er sprach von Schmugglern, von Culkelubi und von Gefahren, die den Baron bedrohten.

»Wachet über ihn ... ! Man sucht ihn ... ! Öffne die Augen, Michele! Der Duar ist nicht mehr fern ... Da ist Blidah ... Da ist der Hügel, wo Zuleik ihn traf ... Er ist nicht mehr sicher ... «

Der Maure erhob sich triumphierend.

»Ich habe die Fährte! Den Duar werde ich schon finden!«

Er verließ die Cuba und ritt mit seinen Dienern im Galopp davon, ohne sich weiter um den Greis zu kümmern.

Als er bei der Kasbah vorüber war, stürzten drei vermummte Gestalten, die sich bei seinem Anblick in den nahen Ruinen verborgen hatten, auf den Weg.

»Er war es, mein Bruder!« rief eine Frauenstimme, »ich habe mich nicht geirrt! Sofort zur Cuba! Vielleicht hat er ihn gefoltert oder gar getötet!«

Die Tür zum Hause des Mirab stand offen.

Angesichts des auf dem Boden liegenden Greises stieß die Prinzessin einen Schrei aus. Sie glaubte ihn tot.

Die Neger beruhigten sie jedoch nach kurzer Untersuchung.

»Er lebt, aber er schläft fest!«

»Seht ihr keine Spuren von Gewalt an ihm?«

»Nein, Herrin!«

Der dem Munde des Mirab entströmende, eigenartige Geruch enthüllte ihr plötzlich das Geschehnis.

Sie war schreckensbleich geworden.

»Schurke«, murmelte sie, »du hast durch unsern Trank dem Greis das Geheimnis entrissen!«

»Hady«, rief Amina jetzt einem ihren Sklaven zu. »Ich vertraue dir den Mirab an! Bring ihn auf mein Schloß Thomat und pflege ihn! Sobald er erwacht, erzähle ihm, was vorgefallen!«

»Ja, Herrin!«

»Und du, Milah, folge mir sogleich zum Duar Ibrahims! Des Barons Rettung hängt wieder von der Schnelligkeit unserer Pferde ab!«

Sie sprang in den Sattel und sprengte davon, während Hady den bewußtlosen Mirab zu einer nahen Besitzung der Prinzessin brachte.

29. DER SCHELIFF-WASSERFALL

Es begann schon der Morgen zu grauen, als die Prinzessin den Duar zu Gesicht bekam. In einem Zuge hatte sie mit ihrem treuen Neger die Strecke zurückgelegt. Sie war sicher, daß ihr Zuleik mit einer ansehnlichen Reiterschar folgte, obwohl sich bisher noch nirgends eine Spur davon gezeigt hatte.

Als sie den Hügel erreichte, ließ gerade der Kabyle seine Hammel und Kamele aus der Umzäunung, um sie auf die Weide zu führen, unterstützt von den zurückgelassenen beiden Negern.

Der Normanne saß rauchend vor einem Zelt beim Kaffee.

Das Erscheinen der beiden Reiter schreckte die Bewohner des Duars, die in steter Furcht vor Entdeckung leben mußten, auf.

Michele ergriff sofort sein Gewehr, da er einen Überfall vermutete. Auch die andern eilten sogleich zu den Waffen, bis ein Zuruf des Negers sie beruhigte.

»Die Prinzessin!« rief der Seemann, »aber ihre plötzliche Rückkehr bedeutet sicher nichts Gutes!« Der Ritter war auf den Ruf hinausgeeilt.

Er konnte seine Erregung nicht verbergen, als er ihr entgegeneilte und vom Pferde half.

»Was bringt ihr für Neuigkeiten, Amina?«

»Schlechte! Wenn euch euer Leben lieb ist, so flüchtet alle! Es nahen die Reiter des Bey!«

»Sind wir verraten worden?«

»Mein Bruder hat euren Zufluchtsort entdeckt und dürfte schon in der Nähe sein! Verlieren wir keinen Augenblick!«

Der Kabyle war herangetreten.

»Wer bedroht uns?«

»Die Algerier kommen! Armer Freund, auch du mußt fort, weil du in Gefahr bist, gefangen oder getötet zu werden!«

»Also müssen wir uns verbergen! Ich weiß ein gutes Versteck!«

»Aber dein Bruder und das Vieh! Was soll daraus werden!« rief der Ritter.

»Achmed kann ich nötigenfalls auf meinen Armen tragen! Um das Vieh brauchen wir uns nicht zu kümmern, ich werde es später wiederfinden!«

»Du sollst keine Verluste erleiden«, sagte Amina. »Ich stehe für alles ein. Jetzt handelt es sich bloß um schleunigste Flucht!«

»Gebt mir nur wenige Minuten Zeit, um ein Kamel für Achmed zu satteln!«

»Eile dich aber!«

Die Neger hatten schon die Pferde gezäumt und zwei prachtvolle Kamele zurechtgemacht, die kräftiger und gewandter als die besten Renner waren.

Während Sant’ Elmo und der Normanne dem kranken Achmed halfen, berichtete die Prinzessin in kurzen Worten das Geschehene.

»Ganz Algier ist alarmiert«, schloß sie. »Die Renegaten sind unter den gräßlichsten Martern getötet worden, und wenn ihr nicht flieht, droht euch dasselbe Geschick!«

»Aber ihr, Amina, setzt euer Leben für mich ein!«

»Sorgt nicht um mich! Selbst der Bey wird mir nichts antun! Nicht mein Leben, sondern das eure ist in schwerster Gefahr! Fort! Nur fort!«

»Gebe Gott, daß es nicht schon zu spät ist!« seufzte der aus seinem Schlafe aufgeschreckte Eisenkopf.

Die kleine Schar hatte kaum den Wald erreicht, als in der Ferne schon der Galopp zahlreicher Pferde auf dem felsigen Terrain hörbar wurde.

»Wohin führst du uns?« fragte Michele den Kabylen.

»Zum Scheliffufer! Unter einem Wasserfall ist dort ein Versteck!«

»Kennt es dein Diener?«

»Ja, er hat es selbst eines Tages entdeckt, als einige Wüstenräuber ihn verfolgten!«

»Dann bringe du unsere Freunde in Sicherheit! Ich werde später mit deinem Neger folgen. Zuvor möchte ich die Bewegungen der Feinde beobachten!« »Laß dich nur nicht fangen!«

Der Normanne kehrte, während die andern weitereilten, zum Waldesrand zurück, warf seinem Pferde eine Decke über den Kopf, damit es sich nicht durch Wiehern verrate, und kroch auf allen vieren durch das Gestrüpp. Die Ansiedlung des Kabylen war kaum 500 Meter entfernt.

Nach wenigen Minuten hörte er von den jenseitigen Hügeln her ein lautes Triumphgeschrei:

»Der Duar! Der Duar!«

Als erster erschien Zuleik. Hinter ihm ritten gegen 50 stark bewaffnete Janitscharen, alle staubbedeckt, mit abgetriebenen Pferden.

Die Gruppe teilte sich, um die Zelte zu umzingeln und die Flucht ihrer Bewohner zu verhindern.

Mit einem Sprung war das Pferd des Maurenfürsten über die Umzäunung gesetzt.

»Ergebt euch!«

Als keine Antwort erfolgte, erhoben die Enttäuschten ein wüstes Geschrei.

Es veranlaßte den Normannen, die Flucht wiederaufzunehmen.

Während nun die Janitscharen das Tal nach allen Seiten hin absuchten, durchquerten Michele und der Sklave den Wald in seiner ganzen Länge.

Nach einigen Stunden passierten sie eine doppelte Reihe felsiger, vegetationsloser Hügel.

Ibrahim und seine Begleiter galoppierten schon jenseits der Anhöhen über eine wellenförmige, ziemlich sandige Ebene nach Südosten zu.

Der Normanne hatte seine Freunde kurz vor den Wäldern, die sich am Flusse entlangzogen, eingeholt.

»Sind sie hinter uns?« riefen der Baron und Amina wie aus einem Munde.

»Noch nicht! Zuleik sucht nach unsern Spuren! Aber die abgehetzten Pferde seiner Reiter können sich nicht mit unsern frischen messen!«

»Wie ist er rachsüchtig, mein Bruder!« sagte Amina, »doch wenn er mich zu besiegen vermeint, wird er sich täuschen!«

Gegen 10 Uhr waren sie an das bewaldete Flußufer gelangt.

In der Ferne wurde das Rauschen einer großen Masse stürzenden Wassers hörbar.

»Es ist der Katarakt!« sagte der Kabyle. »In einer Viertelstunde sind wir in Sicherheit!«

Der Fluß stürzte sich hier, über 10 Meter breit, mit äußerster Kraft von einem etwa 10 Meter hohen Felsen herab. Inmitten des in die Luft spritzenden Gischtes wölbte sich gerade ein herrlicher, in allen Farben schimmernder Regenbogen.

»Wo ist das Versteck?« fragte der Normanne.

»Unter der Kaskade!« antwortete der Kabyle.

»Aber wie kommen wir dorthin?«

»Ich habe einen tüchtigen Strick mitgebracht, an dem wir zu der Felswand hinuntergleiten können. Dort unten ist eine Höhle, wo wir geborgen sind!«

»Die Janitscharen werden uns dort nicht fangen?«

»Sie mögen nur kommen!«

»Aber die Pferde?«

»Die müssen wir opfern und in den Fluß werfen!«

Der Kabyle führte den Seemann an den Rand der Kaskade und zeigte ihm einen ganz schmalen Felsenvorsprung, der sich dicht an der Wand über den Abgrund entlangzog. Daneben war das Ufer senkrecht zerklüftet.

»Teufel, da werden wir naß bis auf die Knochen! Und schwindlig darf man auch nicht sein!«

»Besser ein Bad als der Tod!«

»Ich dachte an die Prinzessin!«

»Der werden wir helfen! Übrigens wollen wir uns erst im letzten Augenblick hinablassen!«

Sie hatten sich alle aufs Gras gestreckt und verzehrten im Schatten eines Feigenbaums ihr Frühstück, das der Katalane fürsorglich mitgebracht hatte. Als im Duar die Futtersäcke für die Tiere an den Kamelsattel gehängt wurden, vergaß er auch seinen Sack nicht, den er mit Brot, Käse, Datteln und einem schönen Stück Lammfleisch vom Abend vorher gefüllt hatte.

Um nicht überrascht zu werden, mußten zwei Neger am Waldessaum Wache halten.

Amina schien guter Laune zu sein. Sie scherzte mit dem Baron und machte sich lustig über Zuleiks voraussichtlicher Enttäuschung.

Plötzlich kamen die Neger mit ängstlichen Mienen zurück.

»Eine Gruppe Reiter ist im Anzuge!«

»Man hat offenbar unsere Spur entdeckt!«

Der Kabyle rief kurz entschlossen:

»Führt die Pferde und Kamele an den Wasserfall!«

»Die kostbaren Tiere!« sagte der Normanne bedauernd.

»In meinen Ställen gibt es mehr!« rief Amina.

Die Neger zwangen die Tiere mit Säbelhieben zum Sprung in den Abgrund.

Hierauf befestigte der Kabyle einen kamelshaarenen Strick an einer Felsenspitze des Ufers.

»Ich steige zuerst hinab, dann die Dame!«

»Und wer wird den Strick einziehen?« fragte Michele. »Bleibt er hängen, so verrät er uns!«

»Das besorgt mein Neger!« entgegnete Ibrahim. »Er hat sich schon mehrmals allein hinuntergeschwungen!«

Nun glitt er an dem Strick bis zu dem Vorsprung hinunter, der unter den Wasserfall führte.

Die Prinzessin, der Baron und die andern folgten ihm, sich an die jäh abfallende Wand drängend, an welcher der schwindelerregende Weg entlangführte.

Die ungeheure Wassermasse, die unter donnerndem Getöse herniederbrauste, verursachte einen so gewaltigen Luftzug, daß er die kleine Menschengruppe herunterzufegen drohte. Die starken Sprühregen umhüllten die Fliehenden wie eine Wolke. Der die Augen blendende Gischt verhinderte sie, den Steg zu sehen, um so mehr, da ihr Gehirn von dem Tosen der Wasser wie betäubt war.

Sie gingen jetzt hinter dem Wasserfall entlang, der, einen weiten Bogen bildend, genügend Raum dazu ließ. Die Sonne glitzerte in allen Farben hindurch, so daß die Wasserwölbung wie eine Kristallglocke erschien.

Die Flüchtlinge an dem Seil konnten kaum atmen vor starker innerer Erregung. Sie erschauerten vor dem Abgrund, der unter ihnen gähnte, und mußten an sich halten, um nicht der Anziehungskraft des gurgelnden Strudels unter ihren Füßen nachzugeben.

Jetzt waren sie in der Mitte der Kaskade angelangt.

Das Getöse verschlang den Ruf Ibrahims: »Sie kommen, die Janitscharen!«

Er schrie dem Normannen ins Ohr: »Eilt, eilt!« und drängte ihn in eine breite Felsspalte hinein.

Es war eine Art Höhle, die etwa zehn Personen fassen konnte. Zwar drang das Wasser von allen Seiten ein, floß aber sogleich wieder ab, da der Boden abschüssig war. Ein tüchtiger Luftzug wehte hier. Kaum waren alle in der Felsenöffnung untergebracht, als Ibrahim den Ritter an der Hand nahm und ihn zu einer Stelle führte, wo ein Ausblick möglich war. Er zeigte ihm Reiter, die vor dem Katarakt hin und her galoppierten, als suchten sie nach verlorenen Spuren.

»Wenn unsere Flinten nicht voll Wasser wären, würden wir die Kerle jetzt schön abschießen können, ohne daß man den Schall hörte!« rief der Normanne, der ihnen nachgekommen war.

Mehr als eine Stunde waren die Janitscharen am Ufer auf der Suche, bis sie sich endlich entschlossen, dem Flußlauf weiter zu folgen.

Etwas später langte eine zweite Schar Soldaten an, die mit demselben Resultat enttäuschst abzogen. Sie nahmen die gleiche Richtung wie ihre Vorgänger, wohl in der Annahme, daß die Verfolgten zur Meeresküste geflohen seien.

Letztere wagten erst kurz vor Sonnenuntergang die Höhle zu verlassen.

Ibrahim hatte seinen Sklaven als Kundschafter vorausgeschickt. Dieser kroch auf allen vieren über Felsvorsprünge und Baumwurzeln zum Ufer hinauf.

Der Rückzug war weniger schwierig. Man hatte sich allmählich an den Lärm des Wassersturzes und an den Anblick des jähen Abgrunds gewöhnt.

30. DIE VERWANDLUNG

Während Michele und der Ritter ein Feuer machten, um die triefenden Kleider zu trocknen, errichtete der Kabyle mit Hilfe der Neger eine Hütte aus Zweigen für die todmüde Prinzessin.

Nachdem die wenigen, noch übriggebliebenen Eßvorräte geteilt waren, legte man sich zur Ruhe. Die Neger übernahmen abwechselnd die Wache.

Nichts störte den Schlaf der Erschöpften. Nur gegen Morgen ließ ein Rudel Schakale ihr scheußliches Geheul ertönen, das aber bald nach einigen Flintenschüssen verstummte.

Um 5 Uhr früh waren die geflüchteten wieder um ein Feuer versammelt.

»Vor allem müssen wir uns Lebensmittel und Reittiere verschaffen, Pferde oder Kamele!« sagte der Normanne.

Der Kabyle wollte das übernehmen.

»Ich laufe zu einem mir befreundeten Stamm, der, außer vielen Hammeln und Kamelen, auch einige echte Berberpferde hat!«

»Ist es weit von hier?« fragte Amina.

»Etwa 10 Meilen! Sie kampieren in der Ebene von Bogdar!«

»Also wirst du in 4 Stunden dort sein!«

»So lange brauche ich nicht! Ich und mein Neger haben gute Beine!«

Die Prinzessin zog eine schwere Börse aus dem Gürtel und übergab ihm 50 Zechinen.

»Feilsche nicht, und sieh zu, daß es widerstandsfähige Tiere sind!«

»Ich verstehe mich darauf!«

»Wo werden wir uns nun hinwenden?« fragte der Baron. »Nach Algier?«

»Wollt ihr den Tod suchen?« Amina seufzte.

»Binnen 24 Stunden würdet ihr ein Gefangener sein!« rief der Normanne. »Man verhaftet schon jede Person, die euch nur entfernt ähnlich sieht!«

»Ich kann aber nicht länger die Tage tatenlos in der Wildnis verbringen!«

Die Prinzessin sah eine Weile schweigend vor sich hin, dann hob sie den Kopf, als ob sie plötzlich einen Gedanken gefaßt hätte, und sagte lebhaft: »Wir werden den Baron nach Algier bringen, und ich bin sicher, niemand wird ihn wiedererkennen! Selbst Zuleik nicht!«

»Wie das?« Michele sah sie verwundert an.

»Wir werden ihn sogar in die Kasbah führen, in den Harem des Bey! Er muß sich aber zuvor einer Verwandlung unterziehen. Das könnten wir in einem meiner Schlösser besorgen. Vorausgesetzt, daß ihr zustimmt, Ritter!«

»Ich bin zu allem bereit, wenn ich nur nach Algier komme!«

»Wir müssen den Baron in ein Mädchen verwandeln!«

»Donnerwetter!« rief der Seemann belustigt. »Eine kühne Idee! Aber er ist ja jung, hübsch und bartlos. Da wird ihn niemand für einen Mann halten!«

Sant’ Elmo dachte nach. In dieser Verkleidung konnte es ihm gelingen, die Gräfin Santafiora zu befreien. Die Aussicht verlockte ihn.

Eisenkopf hielt sich zwar den Leib vor Lachen, wurde aber still, als ihm der Normanne das Unpassende seiner Haltung vorwarf.

»Ich nehme euren Vorschlag an!« sagte der Ritter.

»Dann laßt uns, sobald die Pferde angelangt sind, nach meiner Besitzung Top Hané reiten! Sie liegt zwischen Blidah und Milanah. Dort finden wir alles zu eurer Verwandlung!«

Gegen Mittag war der Kabyle zurück. Er brachte zehn prächtige Renner und reichliche Mundvorräte mit.

Nach der Mahlzeit begann der Rückzug. Selbst Achmed, der die Strapazen des vorigen Tags gut überstanden hatte, konnte eins der Tiere besteigen.

»Ihr kommt zu mir«, sagte die Prinzessin zu ihm und seinem Bruder, »und sollt den Verlust eures Duars nicht bereuen! Ich habe Vieh und Ländereien genug!«

»Dank für euren Großmut, Herrin, wir wollen fortan eure Diener sein!«

»Galopp!« kommandierte Amina in bester Laune. »Wenn wir auf Janitscharen stoßen, wollen wir ihnen Bewegung machen!«

Der Kabyle hatte eine gute Wahl unter den Pferden getroffen. Die zehn Wüstensöhne flogen wie der Blitz dahin durch Täler, Wälder und Steppen. Man begegnete niemandem.

Die mit der Gegend genau vertraute Prinzessin hatte die Führung übernommen. Sie wußte den kürzesten Weg.

Schon gegen drei Uhr nachmittags waren sie zwischen den steinigen Hügelketten, welche die Festung Modeah von Milanah trennten.

Das Land war damals spärlich bewohnt, nur einige Dörfer und kleine Duargruppen waren zu finden. Nirgends lagen Truppen. Der Bey hielt seine Streitkräfte in den Küstenplätzen zusammen, die auch allein Gefahr liefen, von den Galeeren der Malteser und anderer Christenstaaten angegriffen zu werden.

Um acht Uhr abends erreichte man das Schlößchen Top Hané. Es besaß zwei kleine Türme und einige Bastionen und lag an einem großen stehenden Gewässer.

Amina begrüßte den Verwalter und fragte sogleich nach Zuleik. Sie fürchtete, daß er Wächter zu all seinen Besitzungen geschickt hätte, um des Ritters Aufnahme zu verhindern, aber keiner hatte sich dort gezeigt.

Trotzdem schien langer Aufenthalt nicht ratsam. Zuleik konnte das Land absuchen lassen. Es wurde also beschlossen, nur die Nacht daselbst zu bleiben und am nächsten Tage nach Algier zu reiten, ehe sich die Kunde von dem erfolglosen Zug der Janitscharen verbreitet hatte. Zur Sicherheit wurden in den nächsten Waldungen Wachen ausgestellt.

Aber die Nacht verlief ohne Alarm. Wahrscheinlich hatte der Maurenfürst die Verfolgung am Flußlaufe fortgesetzt, in der Annahme, daß die Flüchtenden einen Hafenplatz zu erreichen suchten, um dort per Schiff nach Algier zurückzukehren.

Am andern Morgen unternahm Amina selbst die Unkenntlichmachung des Barons. Sie verfügte über einen reichen Schatz ererbter Gewänder und Schmucksachen.

Um jeden Verdacht fernzuhalten, wollte sie ihn als Marokkanerin verkleiden.

»Laßt mich den Ritter nach der Stadt begleiten!« sagte der Normanne. »Euer Geleit, Prinzessin, würde gefahrbringend sein, da man sicher alle eure Unternehmungen jetzt überwachen wird. Wir haben ja das Haus des Renegaten, eines zuverlässigen Mannes, der uns verstecken wird, bis sich für den Baron Gelegenheit bietet, in die Kasbah zu kommen! Erinnert ihr euch jenes Mannes in dem verwahrlosten Hause, den eure Neger einst rücksichtslos geraubt hatten?«

Amina lächelte, eingedenk ihrer Neugierde nach der ersten Begegnung mit dem Baron.

»Für den Eintritt unseres Freundes in die Burg werde ich sorgen!« sagte sie. »Mit Hilfe eines guten Geschenks wird es mir nicht schwerfallen, den Vorsteher der Eunuchen zu gewinnen!«

Wenn es auch dem Ritter innerlich widerstrebte, Frauenkleider anzuziehen, so überwand er sich doch durch die Hoffnung, endlich seine Mission erfüllen zu können.

Seine blonden Locken wurden in zwei Zöpfe geflochten und mit Zechinen behängt, die Augen mit schwarzen Strichen untermalt und die Nägel mit Henna gefärbt, das ihnen ein gelblich-glänzendes Aussehen gab. Seine Bekleidung bestand in einer rotseidenen, goldgestickten Weste mit langen Goldfransen, einer bunten Schärpe und weißseidenen Puffhosen, die bis hinunter zum Fußansatz gingen. Ein prachtvoller, gestickter Mantel mit weiten Ärmeln vervollständigte die Toilette.

»Ihr seid ja eine blendende Schönheit geworden!« rief Michele bei seinem Anblick bewundernd aus.

»Ich würde stolz sein, der Haushofmeister einer solchen entzückenden Frau zu werden!« meinte Barbosa.

»Euer Dienst ist vorläufig nicht vonnöten!« sagte der Seemann trocken. »Ihr bleibt bei der Prinzessin, denn eure rundliche Gestalt würde uns alle verraten! Später treffen wir uns beim Renegaten wieder!«

Die Kabylen und ihr Sklave waren ebenfalls als Marokkaner verkleidet. In blauen Mänteln und riesigen weißen Turbanen warteten sie schon im Hofe neben einer reichgeschmückten, von zwei Pferden getragenen Sänfte.

Der Normanne hatte das Gewand eines Rifbewohners angelegt, das sich noch in den Schränken des Schlosses vorfand. Nach Art jener stolzen, kriegerischen Leute hatte er sich ein ganzes Waffenlager in den Gürtel gesteckt.

Tiefbewegt nahm die Prinzessin von dem Baron Abschied.

»Ehe ihr Algier verlaßt, werde ich Mittel und Wege finden, euch noch einmal zu sehen!«

Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie ihm die Hand reichte, die sie ihm gleich darauf hastig entzog, als ob seine Berührung ihr Schmerz verursachte.

Der Ritter bestieg die Sänfte, winkte noch einmal und legte sich dann sinnend in die Kissen zurück. Der wehmutsvolle Blick der Maurin hatte ihm ans Herz gegriffen.

In brennender Sonne ging es durch die schattenlose Ebene. Der weiße, staubige Weg schlängelte sich durch Safran- und Hirsefelder hindurch.

In der Entfernung erblickte man wohl einige Zelte, aber kein Bauer war auf den Äckern zu sehen, so ausgestorben lag alles unter dem glutvollen Himmelsgestirn.

Nur langsam trottete der kleine Zug vorwärts. Gegen Mittag wurde unter einigen Feigenbäumen Rast gemacht, um das Frühstück zu verzehren und den Tieren etwas Ruhe zu gönnen. Da jeder mit seinen Gedanken beschäftigt war, wurde kaum ein Wort gesprochen.

Erst gegen vier Uhr kamen die hohen Minaretts von Algier in Sicht, die sich scharf unter dem azurblauen Firmament abhoben.

Michele ritt zur Seite der Sänfte.

»Wir werden bald bei den Wachtposten sein«, sagte er. »Sprecht kein Wort, überlaßt es mir, mit den Leuten zu reden! Da es sich um eine Dame und noch dazu um eine marokkanische Prinzessin handelt, werden sie nicht wagen, euch allzu genau zu betrachten! Übrigens ist es auch unmöglich, euch zu erkennen!«

Sie stiegen den Hügel herab und wandten sich jetzt der Stadt zu auf einem breiten, von herrlichen Palmen beschatteten Wege, der zum Westtor führte.

Der Neger hatte einen großen Sonnenschirm aus roter Seide aufgespannt, ein Zeichen, daß er im Dienste einer hohen Persönlichkeit stand.

Wie der Normanne erwartet hatte, war das Tor von zahlreichen Soldaten bewacht. Jeder, der aus und ein ging, wurde scharf beobachtet und befragt.

Man hoffte offenbar, den Baron oder einen andern am Morde des Generalkapitäns Beteiligten zu erwischen.

Der Schmuggler nahm eine nachlässig-würdevolle Haltung an, als ob er der Haushofmeister einer fürstlichen Familie wäre.

Der Offizier der Wache näherte sich, gefolgt von vier Soldaten, respektvoll der Sänfte und winkte Halt.

Michele folgte jedoch nicht, sondern rief mit lauter Stimme:

»Platz für die Tochter des Statthalters von Nadjah, die Prinzessin Zamora Ain Faiba el Garbhi!«

»Verzeiht, aber ich bin verpflichtet, alle Ankommenden zu sehen! Befehl des Bey!« versetzte der Anführer der Soldaten höflich, aber bestimmt.

»Auch Fürstinnen? Ich werde dem Sultan von Marokko berichten, wie man die Seinigen in Algier behandelt!«

»Ich muß dem Befehl gehorchen! Es genügt mir, festzustellen, ob sich in der Sänfte wirklich eine Dame befindet!«

Er näherte sich dem Vorhang, warf einen Blick auf den Baron, der den Schleier ein ganz klein wenig gelüftet hatte:

»Passiert!«

Und die Wachen ließen den kleinen Zug durch.

»Das war gutgegangen!« meinte Michele befriedigt.

Um nicht Verdacht zu erregen und von Spionen beobachtet zu werden, nahm man den Weg zum Hafen durch das dichteste Gewühl von Seeleuten, Händlern und Soldaten.

Ein grauenhafter Anblick überraschte sie da. Auf Eisenpfählen steckten die Körper von fünf weißen Sklaven. Noch zuckten die Unglücklichen in ihren furchtbaren Qualen. An ihren Füßen trugen sie Schilder in arabischer Schrift:

»Gepfählt als Mörder des Galeerenkommandanten Cukelubi!«

»Schurken!« knirschte der Normanne. »Sie verdienen ihren Beinamen ›Panther‹, diese Mauren!«

Man beeilte sich, von der Stätte des Unheils fortzukommen.

Vom »Sklavenmarkt« aus ging es hinauf zur Kasbah. Gegen Sonnenuntergang erreichte man das Heim des Renegaten. Ehe Michele dort eintrat, überzeugte er sich ringsum, ob auch niemand ihnen gefolgt sei.

Ihr biederer Freund saß, seiner Gewohnheit gemäß, bei einer Flasche guten Weins, die ihn tröstete für all die Unbill, die er im fremden Lande erlitt. Die Muselmänner verachteten die Abtrünnigen und betrachteten sie als unreine Wesen.

Beim Anblick der Marokkaner mit der Sänfte zeigte sich dieser so entsetzt, daß er fliehen wollte. Erst der Anruf des Normannen: »So empfängst du Gäste?« brachten ihn zur Besinnung.

»Michele«, rief er erstaunt, »du bist es? Weißt du, daß der Mirab ... ?«

»Nicht mehr in seiner Cuba ist, ja! Schließe das Tor und hole Licht!«

Der noch ganz verblüffte Mann gehorchte. Als er mit einer Lampe wiederkam, hätte er sie vor Schreck beinahe fallen lassen, als er eine entschleierte, reichgekleidete Dame erblickte.

»Still, keinen Lärm! Du hast sie schon mehrmals gesehen und ihr von deinem Alicante vorgesetzt!«

»Ihr erkennt mich also nicht?« fragte Sant’ Elmo.

»Die Stimme des Barons! Und ich glaubte, ihr wäret ermordet!«

»Hier, nehmt zehn Zechinen und schafft das Beste zur Stelle!« sagte Michele. »Nachher sprechen wir uns aus!«

Das Gold beflügelte des Wirtes Schritte. Bald stand das Essen und eine Falsche Xeres auf dem Tische.

31. VERSTECK BEIM RENEGATEN

Nach reichlicher Stärkung besichtigte der Normane nochmals das Haus und die Umgebung und beauftragte den Neger, auf der obersten Mauer Wache zu halten.

»Hier seid ihr sicher«, meinte der Renegat, »und die Nähe der Kasbah wird euch nützen!«

Er berichtete, daß des Mirab Verschwinden in Algier Aufsehen erregt habe und daß man dort erzähle, die Christen hätten ihn ermordet.

»Wenn du den Palast der Ben Abad kennst«, sagte der Seemann, »so zeige morgen den Negern daselbst diesen Ring! Die Prinzessin wird dich daran als unsern Abgesandten erkennen. Ich hoffe, es wird durch ihre Verbindungen gelingen, dies schöne Mädchen hier in den Harem zu schmuggeln. Noch nie habe ich eine bessere Schmugglerware gehabt!«

Alle drei lachten.

»Aber wie denkt ihr euch, daß ich die Gräfin entführen kann?«

»Unser Freund hier besorgt einen seidenen Strick. Mit diesem laßt ihr euch zusammen mit Donna Ida an der Mauer der Kasbah herab!«

»Vom Westturm wird dies am leichtesten sein«, bemerkte der Renegat. »Seit den zwei Jahren, die ich hier wohne, habe ich dort nie eine Wache gesehen. Man fürchtet den Ort!«

»Warum?«

»Die schöne Naida, die Favoritin des letzten Bey, ist daselbst durch einen verrückt gewordenen Janitscharen ermordet worden. Seitdem soll ihr Geist dort umgehen!«

»Nun, ich fürchte mich nicht vor Gespenstern! Selbst nicht vor dem einer Odaliske!«

Als der Baron und Michele am andern Morgen erwachten, hatte ihr Wirt bereits das Haus verlassen.

»Ein guter Kerl!« sagte der Seemann. »Immer dienstbereit! Wenn er Lust hat, nehmen wir ihn und den Mirab mit nach Italien. Es wird ihm dort besser ergehen als hier, wo ihn alles meidet! Es ist das Schicksal der Renegaten, die Achtung der einen zu verlieren, ohne die der andern zu gewinnen!«

»Ob die Prinzessin wirklich schon in Algier ist?« fragte Sant’ Elmo nachdenklich. »Und ob sie Eisenkopf mitgenommen hat? Ich möchte ihn nicht gern verlieren!«

»Es wäre kein großer Verlust!«

»Er ist treu und diente schon meinem Vater, darum habe ich ihn gern!«

In Schweiß gebadet, kehrte gegen Abend der Renegat heim. Er brachte ein ambraduftendes Billett von Amina, das nur die wenigen Worte enthielt:

»Heute nacht in der Cuba des Mirab!«

»Das wäre sehr kühn von der Prinzessin«, meinte kopfschüttelnd Michele. »Zuleik könnte sie und ihre Diener überwachen!«

»Ich will erst einmal Umschau halten!« sagte er Renegat vorsichtig, »ob der Ort auch sicher für die Zusammenkunft ist!«

Der Baron und der Normanne gingen dem Voraneilenden langsam nach.

Schweigend schritten sie an den Wällen entlang. Beim Westturm maß Michele mit den Blicken die Höhe.

»Es sind mindestens zwölf Meter! Mit einem guten Strick kann man sich aber gefahrlos herablassen! Den könnt ihr unter euren Kleidern in der kleinen Truhe verbergen! Jede Besleme hat eine kofferartige Truhe, die ich euch besorgen werde! – Seht, es ist keine Schildwache da! Wenn ihr also an der Ostseite des Westturms hinabsteigt, kann man euch von den Bastionen aus nicht bemerken! Ihr findet uns nach der Flucht im Hause des Renegaten, wo wir die Pferde versteckt halten!«

Jetzt waren sie bei dem Gebüsch nahe der Cuba angelangt, wo sie ihren Wirt trafen.

Derselbe war schon mehrmals in der Cuba, hatte sie aber jedesmal leer gefunden.

Da zeigte sich plötzlich unter den Feigenbäumen eine hohe Gestalt, auf einen Stock gestützt.

»Der Mirab!«

»Ja, Freunde, ich bin es! Habt ihr mich nicht erwartet?«

»Wir glaubten euch in einem Schlosse der Ben Abads geborgen!«

»Ich kam auf den Ruf Aminas zurück. Tretet ein in mein Haus!«

Mit diesen Worten hatte er schon die Lampe angezündet und seine Gäste zum Sitzen eingeladen.

Dann wandte er sich an den Baron:

»Also morgen seid ihr schon eine Besleme in der Kasbah! Ich soll euch zum Obereunuchen führen, der Befehl hat, euch ohne weiteres unter die Sklavinnen der zweiten Kadine des Beys aufzunehmen!«

»Und wenn man mich nun als Mann erkennt?«

Jeder Muselmann darf vier Gattinnen haben. Die Gemahlinnen der mohammedanischen Herrscher heißen Kadinen.

»Seid vorsichtig und nehmt euch in acht! Es wäre sonst euer und der Gräfin Tod! Ihr wagt euch natürlich in die äußerste Gefahr!«

»Ich bin zu allem entschlossen!«

»Wie hat die Prinzessin das nur in so kurzer Zeit erreicht?« rief der Normanne.

»Mit Hilfe einer Freundin, die mit der zweiten Gattin des Bey verwandt ist! Für eine Ben Abad war das nicht schwer!«

»Und wird Zuleik nichts davon erfahren?«

»Die Freundin der Prinzessin hat mich selbst benachrichtigt. Sie hat ihren besten Dienern nicht getraut. Übrigens habe ich hier in der Nähe schon Neger bemerkt. Es könnten Zuleiks Sklaven sein. Die Prinzessin läßt euch sagen, daß er gleichfalls den Versuch unternehmen wird, die Gräfin zu entführen!«

»Dann muß ich ihm sobald wie möglich zuvorkommen!« rief Sant’ Elmo.

»Was für ein Signal wollen wir vereinbaren?«

»Ich werde durch ein Licht oben am Turme das Zeichen geben, sobald ich den Fluchtversuch mache!«

32. IM HAREM DES BEY

Trotz aller heldenmütigen Vorsätze konnte der Baron doch kaum seiner inneren Erregung Herr werden, als am nächsten Tage eine Sänfte unter Führung des Mirab erschien, die von zwei Negern der Kasbah begleitet war.

Der Renegat, der in früheren Jahren Diener einer hochgestellten maurischen Dame gewesen und mit deren Toilettengeheimnissen genau vertraut war, hatte noch die letzte Hand angelegt, um das Aussehen seines Gastes zu verfeinern, auf daß er würdig war, unter die elegantesten und reizvollsten Mädchen des Harems aufgenommen zu werden. Er schminkte ihm die Wangen rot und wand ihm einen selten schönen, seidenen Schal um den Kopf.

»Ihr werdet Aufsehen in der Burg erregen!«

»Aber die männliche Stimme!« Der Ritter hatte seine edenken darüber.

»Ihr dürft natürlich nicht sprechen!« warnte der Mirab. »Ich habe dem Obereunuchen erklärt, daß ihr stumm seid. Also verratet euch nicht!«

»Es wird kein Wort dem Gehege meiner Zähne entschlüpfen! Aber wird es mir möglich sein, Donna Ida heut’ Abend zu sehen?«

»Vielleicht gelingt es! Wenn ihr schon heut’ in die Gärten des Harems kommt, ja! Doch Vorsicht, Baron! Gefahr droht überall in der Kasbah!«

»Ich fürchte nur für meine Braut, nicht für mich! Lange darf ich allerdings in dieser Verkleidung nicht bleiben! Darum wäre es gut, noch vor Sonnenaufgang mit der Gräfin zu fliehen!«

»Wir werden auf euer Signal warten! Meine Feluke ist segelfertig!« sagte der Normanne. Binnen kurzem werden auch meine Schiffsleute hier sein!«

»Aber jetzt müssen wir uns beeilen!« trieb der Mirab.

»Wir dürfen den Eunuchen nicht lange warten lassen!« Der Ritter bestieg im Hofe die kleine Sänfte, die ganz mit Goldfransen behängt und mit seidenen Vorhängen versehen war. Die Neger nahmen sie auf die Schultern, und fort ging’s unter Vorantritt des Greises.

Die Zurückbleibenden sahen ihnen lange nach und tauschten ihre Bedenken aus.

»Es gehört kein geringer Mut zu dem Abenteuer!«

sprach der Renegat. »Ich würde es nicht wagen, unter solchen Umständen meinen Fuß in die Burg zu setzen!«

»Man wird nichts merken«, meinte der andere. »Die Flucht muß so schnell wie möglich stattfinden!« »Liegt der seidene Strick im Koffer?«

»Gewiß, und Waffen habe ich auch dazu getan ... !« Die Sänfte hielt nicht vor dem großen Haupttor der Burg, sondern vor einer kleinen, eisernen Nebenpforte, wo die neue Sklavin den neugierigen Blicken der Janitscharen nicht ausgesetzt war. Sie wurde mitten in einem Vorsaal niedergesetzt, dessen bunte Fensterscheiben das grelle Licht der afrikanischen Sonne dämpften. Ein großer, älterer Mann mit hochmütigem Gesichtsausdruck, dessen dunkle, fast schwarze Hautfarbe von seinem weißseidenen Kaftan erheblich abstach, näherte sich den Ankömmlingen.

Der Mirab verneigte sich tief:

»Seid gegrüßt, Sidi Maharrem! Hier ist das Mädchen, das du erwartest!«

Der Obereununch – obgleich von niederer Herkunft, so doch eine wichtige Persönlichkeit am muselmanischen Hof – antwortete mit einer herablassenden Handbewegung.

Der Baron, der seine volle Ruhe wiedererlangt hatte, machte eine anmutige Verbeugung und entschleierte sich langsam.

»Das ist eine schöne Erwerbung für den Harem!« rief der Eunuche überrascht aus. »Ein reizendes Gesicht! Wo habt ihr diese seltene Blume gepflückt?«

»Ein Malteser Kapitän hat sie aus Marokko mitgebracht!« entgegnete der Alte.

»Wieviel kostet sie?«

»Tausend Zechinen!«

»Welche die Prinzessin Kodem bezahlt hat?«

»Natürlich, sie hat das Mädchen gekauft als Geschenk für die zweite Gattin des Bey!«

»Ah, sie ist das Doppelte wert!«

»Du wirst die doch protegieren!«

»Gewiß, in vierzehn Tagen ist die Sklavin eine Besleme! Und wer weiß, ob sie nicht gar Favoritin meines Herrn wird! Ein so schönes Mädchen macht Karriere bei uns! Nur schade, daß sie stumm ist!«

»Leider, von Geburt an!«

»Sie ist schlank und graziös, kann also eine Tamburintänzerin werden!«

Er machte dem Mirab ein Zeichen, daß die Audienz nun beendet wäre.

Hierauf öffnete er eine durch einen schweren Brokatvorhang versteckte Tür und winkte der Marokkanerin, wie den Negern, die ihren Mahagonikoffer trugen, ihm zu folgen. Der Baron verschleierte sich wieder. Er war froh, daß sein Eintritt in die Burg so glatt gegangen war.

Sie schritten durch eine Reihe von Bogengängen, deren Wände mit goldglänzenden Stoffen behängt und deren Fußböden mit kostbaren, aloedurchtränkten Rabatteppichen belegt waren. Dann ging es über eine Freitreppe hinunter in die Haremsgärten. Dort lagen, auf Teppichen hingestreckt, plaudernde und lachende Mädchen unter Palmen oder am Rande von Marmorbecken, wo weiße Schwäne schwammen. Sie hatten mandelförmige Augen und weiße Arme, waren von Schleiern umhüllt und trugen perlengeschmückte Kopfbedeckungen. Negerinnen mit mächtigen, bronzefarbenen Gestalten reichten ihnen Süßigkeiten und Kaffee. Aus den Gebüschen klangen Tiorbaspiel und das Schwirren von Tamburinen. Heitere Lieder wurden geträllert in allen Sprachen. Sicher waren auch viele christliche Sklavinnen darunter, Beute der Korsaren von den Küsten Europas.

»Laß jetzt deine Schüchternheit beiseite«, sagte der Obereunuche zum Baron, »und sei lustig wie die andern Mädchen! Morgen stelle ich dich deiner Herrin vor!«

Einige übermütige Beslemen hatten den neuen Ankömmling schon umringt und lachten über seine Verlegenheit. Sie zogen ihn an der Hand zu einem Tamarindenbaum, wo eine alte Negerin im Kreise von weißen und schwarzen Sklavinnen Märchen erzählte. Man bot ihm Kaffee und Leckereien an und bestürmte ihn mit Fragen. Der Baron hütete sich wohl zu antworten. Er hätte es bei seiner mangelhaften Kenntnis des Arabischen auch kaum vermocht.

»Ach, sie ist stumm!« rief eines der hübschen Mädchen mitleidig aus.

»Dann lehren wir sie tanzen und Musik machen!« sagte eine andere.

Und eine dritte: »Die Ärmste! Sie soll unsere Freundin werden!«

Während der Ritter der Märchenerzählerin andächtig zu lauschen schien, beobachtete er aufmerksam alle Personen, die sich im Garten zeigten. Er suchte unter den Gruppen nach Donna Ida ... Durfte er doch nicht nach ihr fragen! Da sah er, wie sich der Eunuche untertänig einer jungen Frau näherte, deren perlengeschmücktes Haupt auf einem blauen Seidenkissen lag. Ihre reiche Kleidung und ihre Juwelen ließen sie als hochgestellte Dame erkennen. Sicher eine Gemahlin des Beys. Von den plaudernd um sie gescharten Mädchen glich eine seiner Braut. Er mußte an sich halten, um sich nicht durch einen Ausruf zu verraten. Die Gruppe drüben löste sich auf. Auch der Ritter zog sich langsam aus dem Kreise um die Negerin zurück. Er legte sich unter ein dichtes Gebüsch, wo er bequemer Umschau halten konnte. Ein inneres Gefühl sagte ihm, daß die Geliebte nicht fern sei.

Plötzlich durchfuhr ihn ein heftiger Schreck. Er hatte am äußersten Ende einer schattigen Allee, die ziemlich verlassen lag, eine kleine, zierliche Gestalt entdeckt, die einen weißen, goldpunktierten Schleierschal über ihrem Gewand trug. Ohne Rücksicht auf seine Umgebung war er aufgesprungen und auf die Allee zugeeilt. Die Gestalt war bei seinem Erscheinen stehengeblieben.

»Ida«, rief er leise, mit erstickter Stimme.

Die junge Besleme konnte einen leichten Schrei nicht unterdrücken. So unwahrscheinlich es ihr auch schien, war ihr doch die Stimme bekannt vorgekommen.

»Ida«, wiederholte er, »Gott scheint uns zu beschützen!«

»Wer seid ihr ... ? Es ist nicht möglich! Träume ich denn?«

Er führte sie schnell entschlossen zu einem Bananengebüsch, dessen große Blätter sie vor den Blicken der andern verbargen.

Willenlos folgte sie.

»Schau mich an! Erkennst du mich nicht?«

»Carlo, du?« Zwischen Schluchzen und Lachen sprach sie es.

»Still, Liebchen, man könnte uns hören!«

Unter Tränen jauchzte sie: »Du lebst! Zuleik hat mir gesagt, du seist tot!«

»Alles ist zur Flucht bereit, Ida! So Gott will, werden wir noch diese Nacht die Burg verlassen und morgen schon fern von Algier sein!«

»Unmöglich! Du kennst die Kasbah nicht!«

»Die Minuten sind kostbar. Lange kann ich meine Rolle hier nicht durchführen! Wenn man mich als Mann entdeckt, bin ich verloren!«

»Dann sterbe ich mit dir!«

»Weißt du, wo der Westturm liegt?«

»Ja, ich werde dich führen! Aber wie können wir denn in der Galerie dem wachthabenden Eunuchen entgehen?«

»Ich habe Waffen ... «

»Wir müssen uns jetzt trennen, Carlo, damit es nicht auffällt!«

In diesem Augenblick bog eine Schar mit Musikinstrumenten in die Allee ein. Ida schloß sich ihnen an. Man schien die Entfernung der neuen Sklavin nicht bemerkt zu haben. Während letztere sich wieder zu der Negerin setzte, vergnügten sich die Gefährtinnen der Gräfin am Teiche, um die Schwäne mit Körnern anzulocken.

Bald brachten die Eunuchen und Dienerinnen Körbe mit allerlei Speisen, die auf silbernen Platten zum Abendessen serviert wurden. Man stellte sie in die Mitte der Gruppen. Einige der Frauen schmausten, auf Kissen gelehnt; andere lagen lang hingestreckt im Grase und ließen sich bei ihrer Mahlzeit von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne bescheinen. Als Nachtisch wurden von Negerinnen Süßigkeiten, Eis, Kaffee und parfümierte Zigaretten gereicht. Kadinen, Odalisken und Beslemen knabberten mit ihren Zähnen Mudjumpastillen und gewisse Süßigkeiten, die mit öligen und parfümierten Essenzen durchtränkt waren und leicht berauschten. Andere ließen sich auf vergoldeten Räuchergefäßen Wohlgerüche aus Aloe und Sandelholz bereiten.

Alle lachten, plauderten, scherzten und waren froh, der Langeweile für einige Zeit überhoben zu sein, welche weder der Luxus des Orients noch der Glanz der Fürstenhöfe bannen kann.

Die junge Gräfin befand sich jetzt mit andern Mädchen bei der ersten Kadine, der mächtigsten Frau des Harems. Um jeden Verdacht fernzuhalten, zeigte sie sich heiterer als sonst, obwohl sie innerlich aufs höchste erregt war. Dabei behielt sie ständig den Ritter im Auge. Nur mit größter Anstrengung verbarg sie ihre Angst, die sich verstärkte, je mehr die Schatten der Nacht auf die Gärten sanken.

Auch der Baron war unruhig. Er, der dem Tode so oft ins Auge geschaut, der sich oft genug ohne Zagen in den blutigsten Kampf gestürzt hatte, fühlte sein Herz erbeben vor der nächsten Stunde. Er wartete ungeduldig auf den Augenblick, wo die Kadinen die Haremsgärten verlassen würden. Aber der Abend war herrlich, und die Frische unter den Palmen und Tamarindenbäumen lud zu längerem Verweilen ein.

Mit einem schnellen Entschluß näherte sich der Ritter der Geliebten und gab ihr einen Wink. Er wollte nicht länger warten, sondern die Flucht schon jetzt bewerkstelligen.

Während die Mädchen in den halbdunklen Alleen und Bosketten sich haschten, schritt er auf eine Fontäne zu, die gegen Westen lag. Also konnte der Turm nicht fern sein. Hier wollte er Umschau halten. Donna Ida war, angeblich Blumen pflückend, in kurzer Entfernung gefolgt. Sie gingen jetzt nebeneinander wie zwei Freundinnen.

»Der Augenblick ist da«, flüsterte er. »Niemand kümmert sich um uns! Kennst du das für mich bestimmte Zimmer? Ich muß den Strick, die Laterne und die Waffen holen!«

Ida führte ihn zitternd über eine kleine Treppe in die Haremsgemächer. Sie durchschritten eine lange, von zwei bronzenen Lampen erleuchtete Galerie, die mit so dicken Teppichen belegt war, daß das Geräusch der Tritte nicht hörbar wurde. Niemand war hier zu sehen, weder Eunuchen noch Sklavinnen. Das Zeichen zum Rückzug aus den Gärten war noch nicht gegeben worden.

Sie traten in einen großen Saal, dessen Wände Waffen von auserlesener Schönheit und Kostbarkeit bedeckten. Es hingen dort in künstlerischen Gruppen Büchsen, deren edelsteinverzierte Kolben Elfenbein und Perlmutterintarsien aufwiesen, Säbel, in deren Klingen Koranverse einziseliert waren u. a. m. »Der Waffensaal des Bey!« erklärte die Gräfin. Nachdem sie noch einige Galerien passiert hatten, traten sie in eine Rotunde mit kolossalen Statuen an den Wänden, die ringsum einen Bogengang stützten. Hier befanden sich mehrere teppichverhangene Türen mit Zahlen. Die Gräfin überlegte einen Augenblick, dann hob sie den einen Vorhang und zeigte dem Ritter das Zimmer, wo seine Truhe stand. Er entnahm ihr das Gewünschte.

Ein fernes Stimmengewirr, das immer deutlicher wurde, ließ ihn aufhorchen. Er lüftete ein wenig den Fenstervorhang und schaute hinaus auf die Gärten. Dort sah man inmitten der Pflanzen leuchtende Punkte, die sich nach und nach vereinten, während aus den dunklen Alleen noch Musik erklang.

»Sie kommen!« sagte die Gräfin angsterfüllt. »Jetzt werden uns die Eunuchen vermissen ... !«

Kein Augenblick war zu verlieren. Die Frauenstimmen kamen näher und näher. Rasch eilten die Flüchtenden durch die Säle ...

»Wir müssen erst durch die Umfriedung, die den Harem von der Kasbah trennt!« sagte Ida. »Dort ist stets eine Wache!«

Sie kamen in eine Galerie. Obgleich kein Licht brannte, unterschied der Baron doch am Ende derselben eine Gestalt, die an einem Fenster stand, offenbar um frische Luft zu schöpfen.

»Es ist der Eunuche, der die Eisentür zum Garten der Janitscharen bewacht!«

»Hat er den Schlüssel?«

»Sicher!«

Sant’ Elmo schlich leise, im Schatten der Mauer, mit gezücktem Dolch an ihn heran.

Die Gräfin war stehengeblieben. Ihr Atem stockte. Sie hörte einen dumpfen Fall, wie von einem schweren Körper ... Der Wächter stand nicht mehr am Fenster.

»Der Weg ist frei!« sagte der Ritter. »Ich habe den Schlüssel. Gott möge mir verzeihen!« Und er zog seine Braut nach der Eisentür. Der Schlüssel paßte. Eine kleine enge Treppe führte hinunter ins Freie. Ein Luftzug und der Duft von Orangen und Rosen um?utete sie. Sie standen vor einer hohen, zinnengekrönten Mauer. Er war die Umfriedung, welche den Harem von der Burgfestung trennte. Sie gingen an der Mauer entlang, bis sie eine zweite Eisentür entdeckten, zu welcher der Schlüssel ebenfalls paßte. Sie öffneten sie, wenn auch mit großer Anstrengung. Jetzt standen sie in dem kleinen Garten, der ihnen vorher den herrlichen Blütenduft zugeweht hatte. Dort ragte der Turm mit seinen Zinnen in die Höhe, von dem es hieß, daß alle Nächte der Schatten der von den Janitscharen ermordeten Kadine umginge. Die Flüchtlinge wagten das Glück kaum zu fassen, daß sie bisher nicht verfolgt wurden. Von Zeit zu Zeit lauschten sie, aber kein Geräusch wurde hörbar, weder vom Harem her noch von der andern, von der Garnison bewohnten Seite.

»Man wird unser Verschwinden noch nicht bemerkt haben!« meinte der Baron.

»Doch«, sagte Donna Ida. »Sicher sucht man im Parke nach uns! Der Obereununche läßt allabendlich die Odalisken und Beslemen an sich vorbeipassieren!«

Schon näherten sie sich der engen Treppe zur Bastion, als sie plötzlich den Tritt marschierender Soldaten vernahmen. Beide versteckten sich in eine Baumgruppe, eng aneinandergepreßt. Sie wagten kaum zu atmen. Fünf Bewaffnete prüften den Verschluß jeder Tür.

Zum Glück hatte der Baron die Pforte gleich wieder geschlossen.

Sobald die nächtliche Runde sich entfernt hatte, setzten die Fliehenden ihren Weg fort. Auch die Gefahr, von den Wachen der Nachbarstationen bemerkt zu werden, ging an ihnen vorüber. Ida warf den weißen, leuchtenden Schleier, den sie über ihrem Gewand trug, ab. Sie hatten die Höhe der Bastion erreicht und verschwanden im Turm. Hier atmeten sie auf. Die größte Gefahr war vorüber.

Eine Wendeltreppe führte zur Plattform. Sant’ Elmo schloß die Tür hinter sich und stemmte einen dort liegenden Balken dazwischen. So konnte wenigstens die voraussichtliche Verfolgung um etwas verzögert werden. Er zündete die Laterne an, die vorsichtigerweise nur eine einzige Glasscheibe hatte, und stellte sie zwischen zwei Zinnen.

»Werden deine Freunde uns auch sicher bemerken?« fragte die Gräfin bebend.

»Gewiß! Sie halten die ganze Nacht über Ausschau.«

Auf dem etwa 500 Meter entfernten Hause des Renegaten zeigte sich ein heller Punkt. Erst rötlich, dann grün. Der Baron befestigte nun den mit Knoten versehenen Seidenstrick an einer Zinne und warf das Ende desselben nach unten. Donna Ida mußt seinen Nacken und Hals umklammern. Mit ihrem seidenen Gürtel band er ihr die Hände zusammen. Dann schwang er sich, mit seiner federleichten Last auf dem Rücken, über die Mauer und kletterte am Strick hinab.

»Schließe die Augen!« rief er ihr zu.

In diesem Augenblicke ertönte am Fuße des Turms, jenseits des Burggrabens, eine barsche Stimme: »Wer da? Zu den Waffen, Janitscharen!«

33. DIE FLUCHT

Schon seit Anbruch der Dunkelheit wartete der Normanne auf der Terrasse beim Renegaten auf das Signal. Obwohl er nicht zweifelte an dem Gelingen des kühnen Plans, fühlte er doch eine gewisse Beängstigung. Für den Rückzug war alles vorbereitet. Er hatte genügend Pferde erworben, die, unter Aufsicht der Kabylen, schon im Hof gesattelt standen. Sechs Leute von seiner Feluke waren bereits am Tage eingetroffen. Für den Mirab und den Renegaten hatte er auch Rosse besorgt, denn beide sollten in dem für sie immer gefährlicher werdenden Lande nicht länger bleiben. Infolge des Wartens wuchs seine Unruhe, die er kaum noch bemeistern konnte.

Die Stunden verflossen. Auf den Bastionen der Kasbah lag tiefes Schweigen. Auch hatte sich während des Tags kein lebendes Wesen in der Nähe des verfallenen Hauses gezeigt. Es mochte gegen 11 Uhr abends sein, als der Ton galoppierender Rosse an das Ohr der auf der Terrasse Wartenden drang.

»Horcht, Mirab«, sagte der Seemann, »wer kann zu dieser Stunde den Hügel heraufkommen?«

»Vielleicht Boten des neuen Generalkapitäns für den Bey! Was fürchtest du denn, Michele?«

»Ich muß gestehen, daß ich unruhig bin. Mir ist, als ob uns irgendeine Gefahr droht!«

Sie lauschten und merkten jetzt deutlich, daß die Pferde nicht den Weg nach der Kasbah, sondern nach dem Haus des Renegaten einschlugen.

Der Schmuggler sprang auf und rief seinen Leuten zu: »Haltet die Waffen bereit!«

Er sah vom Dach aus zwei Reiter heransprengen. Die Renner hatten Schaum vor dem Munde.

»Öffnet!« rief eine Stimme.

»Beim Himmel, die Prinzessin! Ein schlechtes Zeichen!«

Michele stürzte zum Tor und ließ Amina und Eisenkopf ein.

»Weilt der Baron noch oben in der Kasbah?« fragte sie hastig.

»Ja!«

»Mein Bruder weiß, daß er wieder in Algier ist und daß er diesen Zufluchtsort hat!«

»Wer kann uns verraten haben?«

»Einer meiner Neger, den er gefoltert hat, um ihm das Geheimnis zu entreißen!«

»War es Hady, der unserer Flucht beigewohnt ... «

»Und der Verkleidung des Ritters!« ergänzte die Prinzessin. Er hat es mir noch vor dem Tode gestanden, als man ihn sterbend zu mir brachte. Vor kaum einer halben Stunde! Ich konnte ihn nicht mehr retten!

»Ahnt ihr, was Zuleik unternehmen wird?«

»Er ist schon mit Janitscharen unterwegs, um euch zu verhaften! Ihr werdet kaum 10 Minuten Zeit zur Flucht haben!«

»Weiß euer Bruder, daß der Baron in der Burg ist?«

»Ich vermute es!«

In diesem Augenblick schrien die Seeleute:

»Das Signal! Das Signal!«

»Endlich!«

Ein kleines, helles Pünktchen glänzte oben zwischen zwei Turmzinnen.

Der Normanne zündete sofort auf dem Dach zwei Schiffslaternen an und ließ die Pferde vorführen.

Die Prinzessin, wieder in der Tracht des Algeriers, saß schon im Sattel: »Sie kommen, die Janitscharen! Hört ihr?«

Ferne Hufschläge, wie von einer galoppierenden Reiterschar, erklangen vom Fuße des Hügels her.

»Fort!« rief Michele. »Sie sollen das Nest leer finden!«

»Ich begleite euch!« sagte Amina, die den Baron noch einmal wiedersehen wollte.

Sie jagten nun den Weg hinauf, der die Burg begrenzt. Bei einem Palmengebüsch ließen sie die Pferde in Obhut der Kabylen zurück und näherten sich zu Fuß dem Westturm, an dessen Zinnen der helle Punkt glänzte.

»Seht«, rief der Normanne, »eine dunkle Gestalt gleitet am Strick herunter!«

Eisenkopf und drei von der Schiffsmannschaft waren schon in den Wallgraben unterhalb des Turms gesprungen. Da lösten sich zwei Schatten von der Mauer, und eine barsche Stimme rief: »Wer da! Zu den Waffen, Janitscharen!«

Mit einem Satz war Michele, gefolgt von seinen Leuten, auf die zwei Wachtposten losgestürzt und hatte sie niedergemacht. Der blitzartige Angriff ließ letzteren nicht Zeit, ihr Gewehr zu gebrauchen. Aber ihr Ruf war auf den Bastionen gehört worden. Die Wachen schrien ebenfalls: »Zu den Waffen!«

Der Baron war indessen zur Erde geglitten. Er und die Gräfin fielen auf weiches Laub. Eisenkopf kam ihr zu Hilfe.

Auf den Bastionen hörte man Kommandorufe und sah Gestalten hin und her gehen. Die Wachen gaben jetzt Feuer, obgleich sie in der Dunkelheit nichts unterscheiden konnten.

Die Prinzessin, der Renegat und der Mirab, der plötzlich wie verjüngt war, hatten die Büchsen gespannt, um nötigenfalls auf die Gegner zu schießen.

Nun eilten alle zu den Pferden, die im Palmengebüsch standen.

Der Ritter, der das Frauenkleid abgeworfen hatte, unter dem er seine männliche Gewandung trug, bemerkte jetzt die Prinzessin, die an ihrem Sattel stand.

»Ihr hier, Amina?«

Dann führte er die Gräfin zu ihr.

»Hier, unsere Retterin, Zuleiks Schwester!«

Die Prinzessin bemeisterte ihr innere Erregung und reichte Donna Ida die Hand.

»Werdet glücklich!« hauchte sie. »Und verzeiht meinem Bruder!«

»Habt Dank für alles!« sagte der Ritter. »Um eurethalben sei ihm verziehen. Immer werden wir eurer, Amina, in Treue gedenken!«

Da hörte man deutlich Pferdegetrappel.

»Die Janitscharen!« rief der Normanne.

»Schnell in den Sattel! Wir umreiten die Kasbah!«

Noch ein letzter Scheidegruß für die Kabylen, und wie ein Sturmwind rasten sie, an der Cuba vorbei, in die Stadt hinunter.

Der Reiterschar Zuleiks waren sie ausgewichen, aber hier trat ihnen ein neuer Trupp Soldaten entgegen.

»Platz im Namen des Bey!« schrie der Schmuggler, der sie zu täuschen suchte.

Den Yatagan in der Rechten, die Pistole in der Linken und die Zügel zwischen den Zähnen, so jagten die zwölf Reiter durch die Feindesschar hindurch, indem sie rechts und links um sich hauten. Die Gräfin hatten sie in ihre Mitte genommen, um sie besser zu schützen. Schüsse folgten ihnen und wütendes Geschrei: »Haltet die Christen! Feuer!«

Aber schon waren diese ihren Verfolgern entschlüpft.

Da fiel von der Kasbah ein Kanonenschuß.

»Alle Teufel! Man alarmiert die Garnison der Stadt! Jetzt hat man unsere Flucht entdeckt!«

In der Ferne vernahm man den Lärm galoppierender Pferde.

»Setzt alle Kräfte ein«, schrie der Seemann. »Ich wette, wir haben Zuleik auf den Fersen! In fünf Minuten müssen wir an Bord sein!«

Die fortgesetzt gespornten Rosse rasten mit einem Höllenlärm durch die Straßen ... durch nächtliche Menschenansammlungen hindurch ... Schrecken erregend.

Wachen wurden überritten ...

Das Ufer war erreicht. Aber schon hörte man die Verfolger näher und näher kommen.

Die Feluke lag mit aufgezogenen Segeln an Land.

Alles stürzte hinein. Der Baron hatte die halb ohnmächtige Gräfin in seine Arme genommen.

Jetzt sah man aus allen Gassen Janitscharen heransausen.

Zum Glück wehte der Wind günstig vom Land her. Der »Soliman« war, unterstützt von Ruderschlägen, geschickt durch die vor Anker liegenden Kauffahrteischiffe hindurchgeglitten und den Augen der Verfolger für kurze Zeit entschwunden.

Die Janitscharen waren jetzt angelangt. Sie heulten wutentbrannt, daß ihnen die Flüchtenden entgangen waren.

»Ihnen nach!«

»Holt die Christen ein!«

»Boote! Boote!« übertönte sie eine Stimme, welche der Normanne als die Zuleiks erkannt hatte.

Er lud die beiden kleinen Kanonen auf der Feluke, während der Baron Donna Ida in die Kajüte trug und seinen Panzer anlegte.

Von dem nahen Bagno war ein Blitz aufge?ammt, dem ein donnerndes Getöse folgte. Der Schuß war für die Wachtschiffe ein Signal, den Hafen zu sperren.

Fluchend spähte der Schmuggler nach der Mündung der Bucht.

»Hoffentlich kommen wir bei dem Wind noch rechtzeitig aufs Meer hinaus!« rief der Ritter besorgt.

Michele schärfte seinen Leuten ein, nicht zu feuern, da das nur ihren Weg verraten würde. Er ergriff selbst das Steuer und befahl, durch ein viereckiges Segel das dreieckige zu verdecken, um nicht sofort erkannt zu werden.

Schon waren ihnen mit Soldaten gefüllte Schaluppen nachgeeilt, die fortgesetzt Flintenschüsse abgaben.

Der »Soliman« nahm die Richtung nach der östlichen Spitze des Hafens, wo noch kein Licht sichtbar war. Die Schatten der Felsen und Bäume der Küste verbargen ihn dort.

Da aber fielen auch von den andern Bagnos Kanonenschüsse, welche die im Westen des Hafens liegenden Wachtschiffe nach Osten dirigierten. Letztere antworteten.

»Sind wir noch nicht draußen?« fragte Sant’ Elmo erregt.

»Noch nicht! Das wird eine schöne Jagd geben! Dort jagen vier Boote den Wachtschiffen nach! Sicher wird Zuleik dabeisein!«

»Aber unsere Feluke ist schneller!«

»Wer weiß! Die Mauren segeln gut!«

»Wohin geht die Flucht?«

»Nach den Balearen-Inseln! Die sind am nächsten ... Achtung, Herr, sie schießen! Kopf runter! Streckt euch der Länge nach aufs Deck!«

»Haltet sie ... ! Feuer!« hörte man deutlich rufen.

Die beiden Hafenwachtschiffe machten verzweifelte Anstrengungen, um die Feluke noch rechtzeitig zu erreichen! Aber diese hatten besseren Segelwind und war im Schatten der Küste kaum sichtbar. Nur leider endete hier die Landzunge, die im Osten die Bucht begrenzte, und bald mußte sich der »Soliman« zeigen.

Drei der Schaluppen waren der Feluke gefolgt. Die vierte war bei den Wachtschiffen geblieben.

»Das ist Zuleik, der sich dort einschifft!« murmelte der Seemann. »Er wird die Verfolgung leiten wollen!«

In diesem Augenblick umsegelte die Feluke das Kap Malifa und ging entschlossen ins offene Meer hinaus. Aus der Ferne hörte man den Befehl: »Feuer!«

Vier Kanonenschüsse und heftiges Gewehrfeuer folgten. Man hoffte, die Flüchtlinge damit aufzuhalten. Eine Kugel traf die Spitze des Hauptmastes und brachte das viereckige Segel zu Fall.

»Das war voreilig!« rief der Normanne. »Da sie uns jetzt nicht in den Grund gebohrt haben, werden sie uns auch später nicht kriegen!«

Er täuschte sich jedoch.

Die beiden Wachtschiffe waren rasche Segler und konnten es mit dem »Soliman« aufnehmen. Sie hatten die Raen mit sämtlichen Segeln bedeckt und manövrierten so, daß sie die Feluke in ihre Mitte nehmen wollten, um ihr den Weg sowohl nach Osten als auch nach Westen abzuschneiden. Drei der Schaluppen dagegen waren am Kap zurückgeblieben.

Des Normannen Miene verfinsterte sich.

»Wir werden es nicht leicht haben, Herr Baron, den beiden wütenden Fleischerhunden zu entrinnen! Ihre Geschicklichkeit setzt mich in Schrecken. Auch haben sie eine viermal stärkere Bemannung als wir und Kanonen von gutem Kaliber!«

»Mich wundert nur, daß sie sich nicht in größerem Maße ihrer Geschütze bedienen!«

»Glaubt mir, sie hätten uns schon längst versenkt, wenn nicht Zuleik an Bord wäre! Der will uns doch lebend fangen!«

»Uns? Oder besser die Gräfin, wollt ihr sagen!« Sant’ Elmo biß die Zähne zusammen.

»Er wird mich nicht lebend bekommen!« sagte eine liebliche Stimme neben ihm.

Donna Ida hatte die Kajüte verlassen und war voller Angst und Sorgen auf Deck geeilt.

»Wir werden vereint sterben, mein Geliebter! Besser auf dem Grunde des Meeres als in den Händen dieses verhaßten Mannes!«

»Wenn sie drüben Feuer geben, werden wir tüchtig wiederschießen!« tröstete sie der Seemann. »Wir wollen ihre Mastbäume schon tanzen lassen ... !«

Ein Kanonenschuß von dem zunächst segelnden Schiff ließ ihn den Satz nicht vollenden.

Der Baron hatte sich sofort vor die Gräfin gestellt, um sie zu schützen, aber die Fortsetzung der Salve blieb aus.

»Ein Schuß in die Luft! Nur eine Aufforderung, sich zu ergeben!« rief der Normanne. »An die Kanonen, Kinder! Und ihr, Donna Ida, in die Kabine!«

Im nächsten Augenblick fiel der Fockmast, zerspalten von zwei zusammengeketteten Kugeln, auf das Deck. Segel und Taue waren mit heruntergerissen.

Ein lebhaftes Gewehrfeuer prasselte nun auf die Breitseiten der Feluke, die ihre Fahrt jetzt aussetzen mußte.

»Mir scheint, wir sind verloren!« rief der Baron, der seine Braut wieder in die schützende Kajüte geführt hatte. »Auf, meine Getreuen, kämpfen wir noch einmal mit aller Kraft für das Kreuz Maltas und für die Ehre der Christenheit!«

Von den Wachtschiffen stießen Boote ab, die sich unter furchtbarem Geschrei näherten.

Der Normanne hatte sich aus den Falten des großen Rutensegels, das auf ihn gefallen war, befreit.

»Schießt auf die Hunde!« schrie er.

Und die Mannschaft folgte seinem Befehl.

Die Schaluppe wurde sofort in den Grund gebohrt. Ihre Besatzung rang mit den Wellen. Aber die andern Boote beschleunigten nun ihren Lauf auf den »Soliman« zu. Sie waren vollgepfropft von Soldaten.

»Wenn die alle an Bord kommen, ist es gänzlich vorbei!« murmelte Eisenkopf mutlos, obgleich er seine Keule wiederhatte.

Sant’ Elmo und der Schmuggler waren jedoch noch nicht verzagt. Unterstützt von den Seeleuten, zielten sie ohne Unterlaß auf die Schiffe. Auch der Mirab, der einst ein tüchtiger Krieger war, lud, an der Seite des Renegaten, immer neu die Kanonen.

»Haltet aus, Kinder!« ermunterte er die Mannschaft.

Aber all die verfügbaren Feuerwaffen genügten nicht, um die Schaluppen fern zu halten. Diese näherten sich in bedenklicher Weise.

Da stürzte die Besatzung des einen Bootes unter wildem Geschrei auf die Feluke.

Als der Ritter und der Normanne den Angreifern entgegenstürmte, stand Zuleik mit gezogenem Säbel vor ihnen.

Unter höhnischem Lachen rief er: »Nun heraus mit der Gräfin! Das Spiel ist zu Ende!«

Dem Baron gelang es, dem Hieb des Gegners auszuweichen.

Er brachte den Maurenfürsten zu Fall durch einen wuchtigen Hieb auf dessen Helm und Panzer. Betäubt von dem Schlag sank Zuleik zu Boden.

Schon wollte Sant’ Elmo zu einem neuen Schlag ausholen, als plötzlich von der andern Seite lauter Kanonendonner erscholl und der Ruf: »Malta!«

Ein großes, stolzes Schiff rauschte heran. Der Eindruck war ein so mächtiger, daß die Barbaresken Hals über Kopf die Feluke verließen und sich einbooteten.

»Die Christenflotte kommt!« schrien sie.

Auch die Wachtschiffe wendeten unter dem Bombardement der Malteser und flohen nach Algier zu.

Jetzt legte sich die Galeere vor die Feluke, um sie vor dem Kugelregen der weichenden Feindesschiffe zu schützen.

Von dem Vordergestell rief eine Stimme: »Wer seid ihr?«

»Christen!« antwortete der Ritter.

Das Schiff sandte ein Boot mit Bewaffneten aus. Als ihr Befehlshaber am Bord der Feluke erschien, rief der Baron in freudigem Erstaunen:

»Le Tenant! Mein Kapitän!«

»Sant’ Elmo! Gott hat mich geleitet! Ich bin zur rechten Zeit eingetroffen!«

»Wie kommt ihr her?«

»Ich hatte euch das Versprechen gegeben, an der Küste zu kreuzen. Seit drei Nächten bin ich vor Algier ... ! Und eure Mission, Baron?«

»Ist erfüllt! Die Gräfin ist gerettet!«

»Dem Himmel sei Dank! Nun aber fort von hier! Sonst hetzen uns die Wachtschiffe noch die ganze algerische Flotte auf den Hals! Auf nach Malta!«

Der Maurenfürst war indessen aus seiner Betäubung erwacht und hatte die verzweifelte Lage, in der er sich befand, begriffen.

»Tötet mich, Ritter! Hier ist mein Schwert!«

»Ihr seid frei!« entgegnete Sant’ Elmo. »Um eurer Schwester willen schenke ich euch das Leben!«

Er winkte dem Seemann, ein Boot fertigzumachen.

Der Maure stutzte vor der Großmut des Barons, die er nicht erwartet hatte. Dann bestieg er schweigend die Schaluppe und ruderte gesenkten Hauptes der Stadt zu.

»Der Kerl hat Glück!« bemerkte der Normanne. »Ich an eurer Stelle hätte ihn an den höchsten Mastbaum der Galeere gehängt!«

»Ich habe der Prinzessin versprochen, ihm zu verzeihen!« sagte der Baron, »und muß mein Wort halten!«

Wenige Minuten später segelte die Galeere, mit der Feluke des Normannen im Schlepptau, so rasch wie möglich nach Norden, um einer etwaigen Verfolgung seitens des algerischen Geschwaders, dessen sie nicht gewachsen gewesen wäre, zu entgehen.

Die Fahrt durch das Mittelmeer verlief glücklich. Man stieß auf keine tunesischen oder tripolitanischen Seeräuberschiffe, die sonst jene Gewässer unsicher machten.

Fünf Tage danach lief der Galeere, an deren Maste das Banner der Sant’ Elmo wehte, unter dem Donner der Geschütze in die Bucht von Malta ein.

Nachdem der tapfere Ritter sich mit der Gräfin vermählt hatte, begaben sie sich beide nach Sizilien, wo sie auf einem seiner Besitzungen Wohnung nahmen. Auf den Wiederaufbau des Schlosses von San Pietro leisteten sie Verzicht, da es vollständig in Trümmern lag.

Der Mirab und der Renegat, samt Eisenkopf, begleiteten sie.

Der Normanne aber, der reich belohnt worden war, nahm sein gefährliches Gewerbe wieder auf und kreuzte weiter an den Küsten von Algier.

- Ende -