/ Language: Deutsch / Genre:adv_western

Lederstrumpf

James Cooper


Lederstrumpf

James F. Cooper

1840–1841

1

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I  Der Wildtöter

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II  Der letzte Mohikaner

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III  Der Pfadfinder

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Vorwort

Lederstrumpf, Pfadfinder, Falkenauge, Wildtöter, Lange Büchse — diese fünf Namen benennen einen einzigen Mann, der in der Lederkleidung eines Jägers auf kaum erkennbaren Fährten die Urwälder Nordamerikas durchstreifte, mit scharfem Blick das Wild erspähte und es mit weithin treffender Büchse erlegte. Aber dieser Menschenfreund wurde, wie viele andere Jäger oder Kolonisten, in die Kämpfe hineingezogen, die im 18. Jahrhundert zwischen England und Frankreich um den Besitz der amerikanischen Kolonien ausgefochten wurden und die trotz der Feldherrnkunst des französischen Generals Montcalm dazu führten, daß im Frieden von 1763 die Engländer fast alle Besitzungen in dem umstrittenen Gebiet nördlich und östlich des Mississippi gewannen. Beide Mächte bedienten sich bei ihren Kämpfen der Indianer, die sich in blutigen Kriegen beinahe aufrieben.

Die Lederstrumpf-Erzählungen geben ein Bild nicht nur der Kämpfe zwischen der englischen und der französischen Nation und den mit ihnen verbündeten Indianerstämmen, sondern setzen der Tapferkeit und der Eigenart dieser Stämme ein bleibendes und fesselndes Denkmal. Wenn in früheren Ausgaben teils von Huronen und teils von Irokesen die Rede war, bezog sich dies auf den damaligen Stand der Forschung. Die Huronen waren, wie wir heute wissen, schon ein Jahrhundert früher vom sogenannten Irokesen-Bund fast völlig aufgerieben und zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Diese Ausgabe spricht daher richtig nur mehr von Irokesen und deren Gegnern, den Delawaren. Wenn man von den Grausamkeiten absieht, die die Indianer begingen, weil sie es nicht anders wußten, kann man ihnen Achtung, ja Bewunderung nicht versagen: so stark sind die männlichen Tugenden des Mutes, der Ausdauer, der Enthaltsamkeit, der Kameradschaft bei ihnen ausgeprägt.

Die Zeiten, von denen dieses Buch erzählt, sind versunken. Aber in den Geschichten von Lederstrumpf und Chingachgook, dem berühmten Häuptling der Delawaren, werden sie lebendig und berühren das Herz des modernen Menschen wie ein gewaltiges Heldenlied.

Teil I

Der Wildtöter

1

Die Ereignisse dieser Geschichte fallen in das Jahr 1740. Die bewohnten Teile der Kolonie von New York beschränkten sich damals auf die vier Atlantischen Grafschaften, auf einen kleinen Landstrich an jeder Seite des Hudson und auf einige vorgeschobene »Nachbarschaften« an den Ufern des Mohawk und Schohari. Breite Landstriche der Wildnis erreichten nicht nur die Ufer des Hudson, sondern zogen sich auch über ihn hinaus nach Neuengland und gewährten dem eingeborenen Krieger, wenn er auf geheimen Kriegspfad zog, Schutz und Sicherheit. Ein Blick aus der Vogelschau über die ganze Gegend östlich vom Mississippi zeigte weite, ausgedehnte Wälder, die nur von den glänzenden Flächen der Seen und den gewundenen Flußläufen durchbrochen wurden.

Es war auf einem dieser Seen in einer Sommernacht. Durch dichte Schleier schützender Finsternis näherte sich gespenstisch leise ein Boot dem Ufer. Geräuschlos hoben sich die Ruder und senkten sich geräuschlos wieder in das Wasser. Behutsam und vorsichtig wurde das leichte Fahrzeug durch die Dunkelheit gesteuert, als wüßten seine Insassen noch nicht, ob es ratsam wäre, anzulegen.

»Zieht jetzt eure Ruder ein«, sagte eine leise Stimme. »Wir müssen uns einen Augenblick umsehen.«

»Ich glaube, wir können hier ruhig an Land gehen, Hurry«, meinte eine andere Stimme ebenso leise. »Nach unserem Abenteuer heute mittag zu schließen, müssen die Mingos ihr Lager in der Nähe der Flußmündung aufgeschlagen haben; von hier also weit genug entfernt.«

»Richtig, Tom«, flüsterte nun wieder die vorige männliche Stimme. »Aber diese Indianer haben Nasen wie Bluthunde. Wir müssen auf der Hut sein.«

Die Männer strengten ihre Augen an, und da sie in den schattenhaften Umrissen der Landschaft nichts Ungewöhnliches entdecken konnten, hielten sie es für ungefährlich, zu landen. Sie griffen wieder zu den Rudern, und bald darauf stieß das Kanu mit kaum hörbarem Laut auf den Kiessand des Ufers.

»Wildtöter«, flüsterte nun wieder die eine Stimme, »bleib du hier und bewach das Kanu. Ich denke, wir werden bald zurück sein.«

Zwei Gestalten sprangen schnell an Land. Sie gingen vorsichtig weiter, alle drei oder vier Schritte blieben sie stehen, um zu lauschen, ob irgend etwas die Nähe eines Feindes verrate. Es herrschte aber immer Totenstille, und sie erreichten ohne Hindernis ihr Ziel.

»Hier ist das Kanu!« flüsterte einer der Männer und stellte seinen Fuß auf den Stamm eines auf der Erde liegenden hohlen Lindenbaums. »Zieh es vorsichtig heraus.«

»Halte mein Gewehr bereit«, antwortete der andere, »und fühle, ob Pulver in der Pfanne ist.«

»Alles in Ordnung! Geh langsam, wenn du das Kanu auf der Schulter hast!«

Die beiden kehrten vorsichtig zum Ufer zurück. Bald lag das leichte Fahrzeug, an die Seite des anderen gebunden, im Wasser.

Am Ufer war alles ruhig geblieben, und die drei Männer steuerten nun dem Mittelpunkt des Sees zu. Als sie etwa eine halbe Stunde gerudert hatten, tauchte auf dem Wasserspiegel vor ihnen ein großer schwarzer Schatten auf. Jetzt verlangsamte das Boot seine Fahrt und stieß schließlich mit einem kurzen, leisen Aufprall gegen ein pfahlähnliches dunkles Hindernis. In diesem Augenblick erhellte ein Lichtschein die Finsternis der Nacht, und was sich zunächst wie ein dunkler Schatten ausgenommen hatte, entpuppte sich als ein geräumiges, fest gebautes Wasserhaus, das auf Pfählen ruhte, die offenbar in den Schlamm einer Sandbank getrieben waren.

»Vater«, sagte eine helle Stimme, »bist du es?« In der erleuchteten Tür stand ein ungemein schönes junges Mädchen, und wenige Schritte hinter ihr sah man eine zweite Gestalt mit aufgelöstem langem Blondhaar.

Die drei Männer banden das mitgebrachte Kanu von ihrem Fahrzeug los und befestigten es an einem der Pfähle. Dann sprangen sie schnell auf eine Art Plattform und gingen in das Haus hinein.

»Hetty!« rief der älteste von ihnen, »bitte, gib uns einen Schluck Whisky! Wir wollen uns stärken, bevor wir das andere Kanu holen.«

»Sofort, Vater!« sagte eine sanfte Stimme, und das Mädchen mit dem blonden Haar nahm drei Gläschen und eine Flasche aus einem Schrank und stellte alles auf einen Tisch.

Das Haus war innen rein und sauber. Der ganze Raum, etwa zwanzig Fuß breit und vierzig Fuß lang, war in mehrere kleine Zimmer eingeteilt. geteilt. Das erste schien Wohnstube und Küche zugleich zu sein. In einer Ecke befand sich eine Wanduhr mit einem schönen Gehäuse aus schwarzem Holz, in einer anderen ein dunkler Schrank. Ein Tisch und vier Stühle nahmen die Mitte des Raumes ein. Das Küchengerät hing sauber und geordnet um einen kleinen Herd. Ein wenig merkwürdig in dieser Umgebung nahm sich ein Kasten aus edlem Holz aus, eine Art Truhe, die gegenüber dem Fenster an der Wand stand.

»Nehmt Platz«, sagte Tom Hutter, der ältere Mann, der von seinen Freunden auch Schwimmender Tom genannt wurde, weil er sozusagen auf dem Wasser lebte und sich und seine beiden Töchter vom Biber- und Fischfang ernährte.

Die beiden anderen Männer waren noch jung, unterschieden sich aber in ihrem Äußeren stark voneinander. Der ältere war über sechs Fuß groß und eine auffallend kräftige und männliche Erscheinung. Er hieß eigentlich Harry March, wurde aber von den Grenzbewohnern wegen seines wilden und unruhigen Wesens Hurry Harry genannt.

Der jüngere wirkte, obgleich auch er an die sechs Fuß groß war, verhältnismäßig schlank und leicht. Seine Muskeln aber verrieten Kraft und vor allem eine ungewöhnliche Gewandtheit und Behendigkeit. Das Anziehendste an diesem jungen Mann war der vertrauenerweckende Ausdruck unbefangener Aufrichtigkeit in seinem Gesicht, die Tiefe und Kraft des Gefühls, das seinen Blick belebte. Er hieß Natty Bumppo. Wegen seiner guten Augen und seiner sicheren Hand aber nannten ihn die Delawaren nur »Wildtöter«.

Die Kleidung der drei Männer bestand aus Wildleder. Gewehr, Pulverhorn, Jagdmesser und Jagdtasche vervollständigten ihre Ausrüstung.

»Ein Schluck Brandy kann nicht schaden!« Hurry ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf einen der glücklicherweise sehr fest gebauten Stühle niederfallen. Hutter und Wildtöter folgten seinem Beispiel, während sich die Mädchen abseits auf die Truhe setzten.

»Wir haben Glück gehabt«, meinte Wildtöter und schüttete einen tüchtigen Schluck des wärmenden Getränkes in seine Kehle. »Wenn alles gut geht, sind wir sicherlich in ein bis längstens zwei Stunden wieder zurück.«

»Dann können wir uns der wohlverdienten Nachtruhe hingeben.« Harry gähnte herzhaft, als er das sagte. »Denn dann können die Wilden unsere Wasserburg nur noch schwimmend oder im schlimmsten Fall auf Flößen angreifen. Ich glaube nicht, daß sie wegen unserer Skalps Kanus bauen werden.«

Hutter seufzte. »Ich danke euch für eure Hilfe. In diesen Zeiten ist ein weißer Mann ein Freund. Kinder lassen manchmal ein kühnes Herz schwach werden. Diese beiden Töchter machen mir mehr Sorgen als meine Biberfallen und Häute und Rechte im Land.«

»Das ist selbstverständlich«, meinte Hurry. »Was Judith betrifft, alter Tom, so erkläre ich mich gleich für ihren Beschützer, und hier ist Wildtöter, der sich Hettys annehmen wird.«

»Schönen Dank, Meister March«, erwiderte Judith. »Sollte es nötig sein, den Wilden entgegenzutreten, so geh nur mit meinem Vater an Land, statt dich unter dem Vorwand, uns Mädchen zu verteidigen, in der Kammer zu verkriechen und …«

»Judith«, unterbrach sie der Vater, »schwatz nicht dummes Zeug! Es sind schon Wilde am Seeufer, und niemand kann sagen, wann wir mehr von ihnen hören werden.«

»Sag mir, Tom«, wandte sich Hurry jetzt mit gerunzelter Stirn an den Alten, »ich höre überall Gerüchte, daß sich die Kolonien im Kriegszustand befinden und auch einige Indianerstämme mit hineingerissen hätten, und du selbst erzähltest es mir gleich bei meiner Ankunft. Wie oft aber tauchen solche Gerüchte auf und verschwinden wieder spurlos. Es wird nicht so heiß gegessen wie gekocht, sage ich immer. Glaubst du wirklich, daß es diesmal ernst ist?«

»Der Bote, der gestern den Biberfängern und Jägern in der Gegend hier verkündete, daß die Kolonien einander befehden und auch die Indianerstämme wieder die Streitaxt ausgegraben hätten, schien mir ziemlich verläßlich zu sein«, entgegnete Hutter. »Übrigens waren sich die Delawaren und die Mingos ja schon immer spinnefeind, und mich wundert nicht, daß sie jetzt aufeinander losgehen, wo die Mingos, dieses tückische Irokesenpack, die Franzosen in ihrem Rücken spüren und die Delawaren ihrerseits die Engländer.«

Betretenes Schweigen herrschte nach diesen Worten, und die Männer blickten mit bedenklicher, die Mädchen aber mit ängstlicher Miene vor sich hin.

Hurry fuhr sich schließlich wütend durch das krause Haar. »Es wäre alles halb so schlimm für uns, wenn diese Gouverneure nicht so hohe Preise für feindliche Skalpe ausgesetzt hätten. Aber so ist jetzt natürlich jeder Mingo heiß auf weiße Skalpe, und man ist seiner Haut nicht mehr sicher.«

»Stimmt, Hurry«, meinte Hutter, »aber was dem einen recht ist, ist dem anderen billig! Glücklicherweise hat nicht nur der französische, sondern auch der englische Gouverneur Kopfgeld ausgesetzt, und, meiner Treu, es soll mir nur so ein Indianer in die Hände fallen, dann ist mir sein Skalp sicher!«

»Vater, nein!« Hetty, die das Gespräch der Männer bisher nur mit furchtsamer Miene verfolgt hatte, sprang plötzlich auf und eilte auf den Vater zu. »Du weißt, in der Bibel steht, du sollst nicht töten! Und die Mutter hätte es nicht gewollt! Versprich es mir, Vater!«

Hutter strich leise und beruhigend über das blonde Haar des Mädchens. »Das verstehst du nicht, Kind«, sagte er mit einem Anflug von Zärtlichkeit.

Wildtöter zog mißbilligend seine Bremen zusammen, und etwas Edles kam in seinen Blick, als er in schlichtem Tonfall sagte:

»Das Mädchen hat ganz recht. Wer glaubt, daß man hier in der Wildnis außerhalb der Gesetze steht, der irrt sich. Es gibt ein Gesetz und einen Gesetzgeber, der über die ganze Welt regiert. Wer gegen ihn ist, den mag ich nicht meinen Freund nennen.«

»Was verstehst du denn davon!« rief jetzt Hurry halb lachend, halb wütend, »du, ein Halberwachsener, der gerade ein bißchen das Wild jagen kann! Gestern erst in meinem Schutz an diesen See gekommen! Ich traf ihn draußen auf der Biberlichtung — ihr kennt sie —, er hatte seinen Weg verloren«, wandte er sich kurz erklärend an die übrigen. »Grad erst aus dem Nest geschlüpft! Will sagen, aus den Dörfern der Delawaren gekommen! Und so ein Grünschnabel, der erst einige Stunden in dieser verlassenen Gegend weilt, will uns die Gesetze der Wildnis erklären? Fürwahr ein guter Witz! Dabei steht ihm der erste Kriegspfad noch bevor!«

»Wildtöter hat recht!« klang jetzt eine Stimme von der Truhe her. Judith blickte Hurry herausfordernd und doch lächelnd an. »Er ist ein Mann, der weiß, daß Männlichkeit nicht im Töten liegt, sondern einzig im Beschützen!«

»Schluß jetzt!« Hutter schlug mißbilligend mit der Faust auf den Tisch. »Wir müssen das andere Kanu vom Ufer holen und nicht schwatzen! Sonst kommen uns die Mingos noch zuvor, und unsere letzte Hoffnung, die Burg zu verteidigen, ist beim Teufel!«

Die drei Männer erhoben sich, Hurry grollend, denn er fühlte sich von dem Mädchen, um dessentwillen er eigentlich an diesen See gekommen war, benachteiligt, Wildtöter ernst und schweigend und nur mit einem flüchtig dankenden Lächeln zu Judith gewendet.

»Sag mir noch, Wildtöter«, wandte sich Judith bittend an den jungen Jäger, »warum willst du dich morgen mit diesem Delawaren, wie heißt er doch, Ching …«

»Chingachgook«, half ihr Wildtöter.

»…mit diesem Chingachgook treffen? Hängt das mit dem Krieg zusammen?«

»Das ist ein Geheimnis. Verzeiht mir, wenn ich es nicht mitteilen kann. Vielleicht morgen, wenn er …«

»Wildtöter«, rief eine ungeduldige Stimme von draußen.

»Ich komme!« Wildtöter wandte sich noch schnell an die Mädchen. »Fürchtet euch nicht, noch ist kein Grund zur Besorgnis vorhanden.«

Dann eilte er hinaus und sprang in das Kanu, in dem Hutter und Hurry bereits warteten. Das Licht im Haus wurde ausgelöscht, damit die Ausfahrt des Bootes nicht etwa vom Ufer aus bemerkt werden könne, und gleich darauf glitten die drei Männer so geräuschlos und vorsichtig wie bei ihrer ersten Ausfahrt durch die Dunkelheit der Nacht, diesmal aber einer anderen Stelle des Seeufers zu.

Sie erreichten schließlich das Ende einer Landzunge und legten in einer kleinen Bucht an. Die mit hohen Bäumen bewachsene Halbinsel war ziemlich lang, erhob sich nur wenig über das Wasser und war stellenweise kaum zehn Schritt breit. Hutter und Hurry ließen Wildtöter wieder bei dem Boot zurück und begaben sich an Land.

Der hohle Baum, in dem das zweite Kanu verborgen war, lag ungefähr in der Mitte der Landzunge. Die beiden Männer zogen das Fahrzeug heraus, schoben es an der nächsten günstigen Stelle ins Wasser und stießen wieder zu ihrem Gefährten.

»Wenn die Rothäute jetzt die Burg besuchen wollen«, sagte Hurry, »müssen sie waten oder schwimmen!«

»Rudern wir jetzt zum südlichen Ufer«, meinte Hutter. »Wir wollen sehen, ob wir nicht Spuren eines Lagers entdecken können.«

»Wir sollten uns erst in der Bucht umsehen«, riet Wildtöter, »damit wir von dieser Seite ganz sicher sind.«

Die drei schritten nun die Landzunge ein Stück entlang. Plötzlich hielten sie an. Sie sahen zwischen den Bäumen einen erlöschenden Feuerbrand mit seinem flackernden Licht. Kein Zweifel: sie standen vor einem Lager der Indianer.

»Wir wollen uns an die Wilden heranschleichen. Um das Feuer liegt Beute genug für uns«, wandte sich Hutter leise an Hurry. »Schicke Wildtöter zu den Kanus, denn bei einer solchen Sache wird er uns nicht viel nützen.«

»Gut, alter Tom«, erwiderte Hurry ebenso leise. »Wildtöter, geh du zurück zum Kanu, rudere es mit dem andern Boot in den See und laß es mit dem Wind forttreiben. Dann halte dich längs des Ufers an der äußeren Seite der Halbinsel auf, aber in der Nähe der Bucht. Wir wollen rufen, wenn wir dich brauchen. Sofern du Schüsse hörst und Mut hast, kannst du dich uns anschließen und zeigen, ob du ebenso gut mit den Wilden fertig werden kannst wie mit den Hirschen.«

Der junge Jäger entfernte sich schweigend. Er ruderte das Kanu vorsichtig fast bis zur Mitte des Sees und ließ dann das Boot mit dem leichten Südwind in der Richtung zur Wasserburg treiben.

Nach zehn Minuten näherte er sich wieder dem Land, und als er die Binsen sehen konnte, die im Wasser, etwa hundert Schritt vom Ufer entfernt, wuchsen, hemmte er die Bewegung des Kanus und hielt sich an den harten Halmen fest. Hier blieb er und wartete gespannt auf den Erfolg des gefährlichen Streifzuges.

Der See lag schweigend und dunkel da. Die Ruhe der Nacht war vollkommen. So verging eine Minute nach der anderen. Plötzlich zerriß ein durchdringender Schrei die Stille. Etwas Schreckliches lag in diesem Schrei. Dann hörte man deutlich das Krachen trockener Zweige. Schritte schienen sich dem Wasser zu nähern.

In diesem Augenblick fielen fünf oder sechs Schüsse, und die gegenüberliegenden Berge gaben den scharfen Ton in langen, rollenden Echos zurück. Gleich darauf hörte man Geschrei und Geräusche in dem nahen Buschwerk, als sei dort ein Kampf Mann gegen Mann im Gange.

»Schlüpfriger Teufel!« hörte Wildtöter Hurry rufen. »Er hat seine Haut mit Fett beschmiert. Ich kann ihn nicht festhalten.«

Zwischen den Bäumen, die am Ufer standen, folgte diesen Worten der dumpfe Fall eines schweren Körpers, als hätte jemand einen Gegner weit von sich geschleudert. Flucht und Verfolgung wurden erneut hörbar. Jemand kam die Anhöhe herab und näherte sich bis auf wenige Schritte dem Wasser. Gleich darauf aber vernahm man die fluchende Stimme eines Mannes, der, von Feinden umkrallt, den Abhang hinabrollte. Der Mann am Wasser schien plötzlich seine Flucht zu bereuen und eilte zurück, um seinem Gefährten Hilfe zu leisten, wurde aber sofort von einem halben Dutzend neuer Verfolger, die von der Anhöhe hinabsprangen, überwältigt.

»Halt dich vom Land weg, Wildtöter«, rief Hutter. »Die Sicherheit meiner Töchter ruht jetzt ganz auf dir. Gott segne dich und helfe dir, meine Kinder zu beschützen!«

Wildtöter rief entschlossen zurück: »Seid ohne Sorge, ich verteidige die Mädchen und das Haus!«

Dann ruderte er das Boot langsam der Mitte des Sees zu. Sein scharfes Auge spähte über die weite Wasserfläche. Da er nichts Auffälliges sehen konnte, legte er sich in das Kanu, um zu schlafen, denn er wußte, daß am nächsten Tag große Anstrengungen auf ihn warteten.

Die Stille der Nacht war jetzt vollkommen und schien nie unterbrochen gewesen. Das Kanu trieb langsam nach Norden zu. Die Sterne funkelten in mildem Glanz, und der von den Wäldern eingeschlossene See lag so ruhig und dunkel zwischen den Bergen, als sei er nie von Winden bewegt oder von der Sonne erhellt worden.

2

Der Tag war schon angebrochen, als Wildtöter die Augen öffnete. Die Sonne war zwar noch nicht aufgegangen, aber die Morgenröte glühte bereits am Himmel und spiegelte sich in feuerfarbenem Leuchten auf der glänzenden Fläche des Sees, der sich etwa drei Meilen in die Länge und eine halbe Meile in die Breite erstreckte.

Wildtöter richtete sich auf und blickte sich um. Feierliche Einsamkeit und süße Ruhe umgaben ihn. Wohin sich sein Auge auch wandte, es sah nichts anderes als die glatte Fläche des Sees, die friedliche Wölbung des Himmels und den dichten Kranz der Wälder.

Das ist groß! — das ist wunderbar! — das macht den Menschen besser und erhebt seine Seele! hätte Wildtöter fast laut hinausgerufen. Jäh aber kam ihm das Bewußtsein der Gefahr zurück, und ein Schauder überfiel ihn bei dem Gedanken an die vergangene Nacht. Und dies war durchaus zu verstehen, denn es hatte sich gestern zum erstenmal ereignet, daß Menschen ihm als Gegner gegenübergestanden waren. Seine ausgezeichnete Vertrautheit mit der Flinte hatte ihm zwar den Namen Wildtöter eingebracht, aber einen Menschen hatte er noch nie getötet. Und er war stolz darauf, er würde es wohl ohne Not auch niemals tun.

Angestrengt suchte er nach dem Wasserhaus und sah es endlich umrißhaft etwa in der Mitte des Sees. Die armen Mädchen, dachte er. Wie würde er es ihnen sagen? Sie waren jetzt allein, ohne anderen männlichen Schutz als den seinen, inmitten dieses großen, schweigenden Sees und der weiten Wälder.

Der Wind wehte nicht stark, aber er hatte während der Nacht zugenommen, und das leichte Kanu war so weit getrieben worden, daß es dem Fuß des Berges nahe kam, der sich steil an dem östlichen Ufer erhob. Das andere Kanu aber, das dieselbe Richtung genommen hatte, trieb langsam auf eine Landspitze zu, die es unfehlbar berühren mußte, wenn es nicht durch Veränderung des Windes oder durch menschliche Hände abgewendet wurde. Einige Ruderstöße überzeugten Wildtöter, daß es das Ufer berühren würde, ehe er es einholen konnte. Er wollte sich nicht durch unnötige Anstrengung erschöpfen und ruderte langsam und vorsichtig in einem kleinen Bogen der Landspitze zu.

Das abgetriebene Kanu blieb schließlich, drei bis vier Schritt vom Ufer entfernt, an einem kleinen Felsstück hängen. Hier verharrte es aber nur einen Augenblick, dann wurde es von den leichten Wellen des Sees ein wenig gehoben und trieb an das Ufer. Wenn jemand die Ankunft des Kanus erwartete, so mußte er auch Wildtöter bemerken. Er ruderte daher mit äußerster Vorsicht. Da die Landzunge dem Indianerlager fast diagonal gegenüberlag, hoffte er, unbemerkt zu bleiben. Je näher er dem Lande kam, desto schärfer beobachtete er das Ufer, um irgendeine verborgene Gefahr zu entdecken.

Als er ungefähr noch hundert Schritt vom Ufer entfernt war, erhob er sich und brachte sein Kanu mit einigen kräftigen Ruderstößen ans Land. Er wollte eben die Flinte an sich nehmen, als eine Kugel so nahe an ihm vorbeipfiff, daß er unwillkürlich zusammenfuhr. Im nächsten Augenblick taumelte Wildtöter und fiel seiner ganzen Länge nach auf den Boden des Kanus. Ein Schrei erklang vom Ufer her, und ein Indianer sprang aus dem Gebüsch auf eine freie Stelle der Landspitze und eilte herzu. Auf diesen Augenblick hatte Wildtöter gewartet. Er schnellte empor und legte die Flinte auf seinen Feind an, der schleunigst in sein Versteck zurücksprang. Auch Wildtöter verschwand, Deckung suchend, im dichten Ufergebüsch.

Er wußte nur zu gut, daß sein Gegner nun damit beschäftigt war, die Flinte wieder zu laden. Kaum hatte er sich notdürftig versteckt, als er hinter einer Eiche den Indianer sah, der soeben eine Kugel in den Lauf stieß.

Der Wilde hatte in der Eile seiner Flucht Wildtöters Sprung an das Ufer nicht bemerkt und wußte also nicht, wo sich sein Gegner aufhielt. Er fürchtete nur, das Kanu könne wieder genommen und fortgebracht werden. Die Entfernung zwischen ihm und Wildtöter betrug ungefähr fünfzig Schritt. Kaum hatte er geladen, als er sich umsah und behutsam vortrat. Wildtöter kam jetzt ebenfalls hinter seiner Deckung hervor und rief ihm zu:

»Hierher, Rothaut, hierher, wenn du mich suchst. Es hängt von dir ab, ob wir Frieden oder Krieg mitsammen haben sollen!«

Der Wilde erschrak über diese plötzliche Gefahr. Er verstand jedoch etwas Englisch und begriff den Sinn der Worte. Deshalb legte er jetzt mit zutraulicher Miene, wenn auch vorsichtig, seine Flinte vor sich auf die Erde.

»Zwei Kanus!« sagte er in den tiefen Kehllauten der Indianer, indem er zwei Finger emporhielt. »Eins für dich! Eins für mich!«

»Nein, nein, Mingo! Das geht nicht. Dir gehört keines von beiden, und du sollst keines haben, solange ich es verhindern kann. Ich weiß, daß zwischen deinem und meinem Volk Krieg ist. Geh aber jetzt deinen Weg und laß mich den meinen gehen. Die Welt ist groß genug für uns beide, und wenn wir im ehrlichen Kampf zusammentreffen, dann wird der Herr unser Schicksal bestimmen.«

»Gut! Mein Bruder sehr jung — aber sehr weise. Kleiner Krieger — großer Häuptling — spricht bisweilen im Rat.«

»Das nicht, Rothaut«, erwiderte Wildtöter, »ich will nur ein friedliches Leben in den Wäldern führen. Geh du jetzt deinen Weg, und ich hoffe, wir werden als Freunde scheiden.«

»Gut! Mein Bruder hat zwei Skalpe — graues Haar unter dem andern. Alte Weisheit — junge Zunge!«

Bei diesen Worten näherte sich der Wilde mit Zutrauen und streckte lächelnd die Hand aus, und Wildtöter kam ihm ebenso freundlich entgegen. Sie schüttelten einander die Hände, und jeder bemühte sich, dem andern seine Aufrichtigkeit zu versichern.

»Jeder das Seine haben«, meinte der Indianer, »mein Kanu mein, dein Kanu dein. Ist es dein, du behalten — ist es mein, ich behalten.«

»Das ist billig, Rothaut, aber du mußt im Irrtum sein, wenn du glaubst, das Kanu sei dein Eigentum. Doch Sehen ist besser als Glauben; wir wollen zum Ufer gehen, wo du dich mit eigenen Augen überzeugen kannst.«

Der Indianer erwiderte mit seinem Lieblingswort: »Hugh!«, und sie gingen mitsammen zum Ufer. Dabei schritt der Wilde voran, als wolle er seinem Begleiter zeigen, daß er kein Mißtrauen gegen ihn hege.

Als sie die freie Stelle erreichten, zeigte er auf Wildtöters Boot und sagte: »Nicht mein, weißen Mannes Kanu. Dies roten Mannes Kanu. Keines anderen Mannes Kanu wollen, sein eigenes wollen.«

»Du bist im Irrtum, Rothaut. Dies Kanu hat der alte Hutter aufbewahrt; es ist nach dem Gesetz sein Eigentum, bis der Besitzer kommt, um es zurückzuverlangen. Aus der Arbeit an dem Boot sieht man auch, daß es kein Indianer gemacht haben kann.«

»Gut! Mein Bruder wenig alt — viel Weisheit! Indianer es nicht gemacht — weißen Mannes Arbeit.«

»Es freut mich, daß du das einsiehst, sonst hätte es böses Blut zwischen uns gegeben. Ich will nur gleich das Kanu aus dem Bereich des Streites schieben.«

Während Wildtöter noch sprach, setzte er seinen Fuß auf das Ende des leichten Bootes und gab ihm einen kräftigen Stoß, der es wohl hundert Fuß weit in den See trieb, wo es durch die Strömung verhindert werden mußte, wieder an die Landspitze oder an diesen Teil des Ufers zu kommen. Dieses schnelle und entschiedene Verfahren schien auf den Wilden großen Eindruck zu machen. Wildtöter bemerkte, daß er einen hastigen und wilden Blick auf das andere Kanu warf, in dem die Ruder lagen. Dann schien er sich zu besinnen und sagte schließlich:

»Gut! Junger Kopf — alter Geist. Kann Streit schlichten. Leb wohl, Bruder. Indianer ins Lager gehen — Häuptling sagen — kein Kanu finden.«

Wildtöter freute sich, diesen Vorschlag zu hören, denn er war besorgt um die Mädchen. Er schüttelte die dargebotene Hand des Indianers. Die Abschiedsworte waren freundlich, und während der rote Mann ruhig dem Wald zuging, ohne sich ein einziges Mal mißtrauisch umzusehen, begab sich der weiße Mann zu dem am Ufer liegenden Kanu und trug das Gewehr in der gleichen friedlichen Art, beobachtete aber genau die Bewegung des anderen.

Dies Mißtrauen schien jedoch ganz unbegründet zu sein, und er wandte nun den Blick nach vorne und ging unbefangen zu seinem Boot. Er begann es vom Ufer zu schieben und mochte etwa eine Minute so beschäftigt gewesen sein, als er zufällig zurückschaute.

Sein schnelles und sicheres Auge entdeckte mit einem Blick die drohende Gefahr. Die schwarzen, wilden Augen des Indianers sahen wie die eines lauernden Tigers durch eine kleine Öffnung im nahen Gebüsch, und der Lauf der Flinte war auf Wildtöter gerichtet.

Die Flinte spannen und an die Wange legen, war für Wildtöter eins. Beide Gegner schossen gleichzeitig, und nur ein einziger Knall zerriß die Stille. Der Wilde stieß einen Schrei aus, schwang seinen Tomahawk und sprang auf seinen Feind zu. Als er noch zwanzig Schritt von ihm entfernt war, schleuderte er die gefährliche Waffe, aber mit so unsicherer und schwacher Hand, daß der Jäger sie einfach auffing. Im gleichen Augenblick taumelte der Indianer und fiel zu Boden.

Wildtöter lud seine Flinte wieder, warf den Tomahawk in das Kanu und schritt zu dem toten Indianer hin. Es war das erstemal, daß er einen Menschen im Kampfe fallen sah; es war der erste Mitmensch, gegen den er seine Hand erhoben hatte. Der Indianer war noch nicht tot. Er lag bewegungslos auf dem Rücken, seine weitgeöffneten Augen beobachteten jede Bewegung seines Bezwingers. Der Mann erwartete wahrscheinlich den tödlichen Streich, der dem Verlust seines Skalps vorhergehen würde, oder glaubte gar, die letzte grausame Handlung würde noch vor seinem Tod vollzogen werden. Wildtöter erriet seine Gedanken und bedeutete ihm mit einer Geste, daß er nichts zu fürchten habe.

Brennender Durst quälte den Sterbenden. »Wasserl« rief er, »gib armen Indianer Wasser.«

»Ja, Wasser sollst du haben, soviel du willst.« Wildtöter hob den Indianer auf, brachte ihn zum Ufer und half ihm, den quälenden Durst zu löschen. Dann setzte er sich auf einen Stein, nahm den Kopf seines Gegners auf den Schoß und bemühte sich, ihm Trost zuzusprechen.

»Gut!« sagte plötzlich der Wilde, »gut! Junger Kopf — junges Herz. — Altes Herz zähe. — Nicht weinen. — Was Namen?«

»Ich heiße Wildtöter. Aber wenn ich von diesem Kriegspfad zu den Delawaren zurückkomme, soll ich einen besseren Namen haben.«

»Guter Name für Knaben — nicht für Krieger. — Bald bessern haben. — Keine Furcht da …« Der Wilde hatte noch Kraft genug, eine Hand zu erheben und dem jungen Jäger auf die Brust zu klopfen. »Auge sicher — Finger schnell — Ziel, Tod — großer Krieger bald. — Nicht Wildtöter — Falkenauge! — Falkenauge! — Hand schütteln!«

Wildtöter oder Falkenauge — denn in seinen späteren Jahren war er in der ganzen Gegend unter diesem Namen bekannt — nahm die Hand des Wilden, der ihm bewundernd seine letzten Blicke zuwendete.

Nach einer Weile erhob sich Wildtöter und lehnte den Toten mit * dem Rücken gegen den kleinen Felsen.

In diesem Augenblick trat ein zweiter Indianer, einige hundert Schritt von der Landspitze entfernt, aus dem Wald. Wildtöter erblickte ihn, bevor er selbst gesehen wurde. Doch als ihn der Indianer wenig später erblickte, stieß er einen lauten Schrei aus, der von einem Dutzend Stimmen an verschiedenen Punkten des Bergrückens erwidert wurde. Wildtöter durfte jetzt nicht länger zögern. Mit kräftigen Ruderschlägen trieb er das Kanu vom Ufer.

Sobald Wildtöter in sicherer Entfernung zu sein glaubte, hörte er auf zu rudern, um die weiteren Ereignisse zu beobachten. Der Indianer, der sich außerhalb des Waldes gezeigt hatte, war verschwunden, und die Wälder schienen ganz still und verlassen. Plötzlich jedoch drangen die Feinde aus dem Dickicht zur Lichtung auf der Landspitze vor und erfüllten die Luft mit wütendem Geschrei, als sie ihren toten Gefährten entdeckten. Sobald sie aber sahen, daß der Tote nicht skalpiert war, brachen sie in laute Freudenrufe aus.

Wildtöter band das abgetriebene Kanu an sein eigenes und ruderte schnell auf die Wasserburg zu. Die Sonne stand bereits über den östlichen Bergen und verbreitete eine Flut von Lichtstrahlen über dem See.

Als Wildtöter dem Gebäude näher kam, bemerkte er Judith und Hetty. Sie standen vor der Tür und erwarteten mit großer Spannung und Besorgnis seine Ankunft.

3

Man hätte zwischen Judith und Hetty Hutter vielleicht unschwer eine äußere Ähnlichkeit feststellen können. Was aber bei Hetty sanfte, anspruchslose Schönheit war, das war bei Judith gesteigert ins Strahlende; zeigte Hetty Einfachheit und Einfalt des Gemütes, so verriet Judith Klugheit, Charme und Temperament. Deshalb war auch der Ruf von Judiths Schönheit weit über die Ufer dieses Sees gedrungen, während man von Hetty munkelte, sie sei schwach an Geist.

Die beiden Mädchen schwiegen, als Wildtöter vor ihnen stand und sie besorgt ansah.

»Wo ist der Vater?« fragte Judith endlich.

»Er hat Unglück gehabt, ich kann es nicht leugnen«, antwortete Wildtöter in seiner einfachen und aufrichtigen Art. »Er und Hurry sind in den Händen der Mingos, und nur der Himmel weiß, wie das enden wird. Ich habe die Kanus mitgebracht, und das ist ein Trost, denn die Wilden können sich uns jetzt nur schwimmend oder auf Flößen nähern. Gegen Sonnenuntergang wird Chingachgook zu uns kommen, wenn es mir möglich ist, ihn in einem Kanu abzuholen. Dann werden wir beide die Burg verteidigen, bis einige Offiziere in den Garnisonen von den Ereignissen hier Nachricht erhalten, was früher oder später geschehen wird, und uns zu Hilfe kommen.«

Tudith und Hetty waren blaß geworden. Sie antworteten nichts und wandten sich traurig und schweigend ab.

»Wer ist Chingachgook?« fragte Judith schließlich.

»Chingachgook ist ein Mohikaner«, erklärte Wildtöter, »der sich bei den Delawaren aufhält, wie die meisten seines Stammes. Ich bin übrigens auch sehr früh zu den Delawaren gekommen und bin in ihren Dörfern groß geworden. Nun, Chingachgook ist mein Freund, ist mir wie ein Bruder gewesen. Er gehört der Familie der großen Häuptlinge an, denn Unkas, sein Vater, war der berühmteste Krieger und Ratgeber seines Volkes. Sein Stamm ist aber jetzt so zerstreut, daß die Würde der Häuptlinge unter ihnen nur noch dem Namen nach besteht. Ich verabredete mich mit dem Mohikaner hier am See, um zum erstenmal gegen die Mingos auf den Kriegspfad zu gehen. Weshalb wir gerade hierherkommen, das ist unser Geheimnis, aber ihr könnt uns vertrauen.«

»Ein Delaware kann keine feindlichen Absichten gegen uns haben«, sagte Judith nach einer kleinen Pause bestimmt, »und wir wissen, daß du es gut mit uns meinst.« Dies unbedingte Vertrauen konnte Wildtöter nur mit völliger Offenheit beantworten, und so sagte er:

»Ich glaube, ich kann dir und Hetty das Geheimnis mitteilen, da ich mich darauf verlassen kann, daß ihr es für euch behaltet. Chingachgook liebt das schönste Mädchen unter den Delawaren, die Tochter des Häuptlings, und sie liebt ihn. Mein Freund wurde natürlich von allen jungen Häuptlingen mit neidischen Augen angesehen. Wah-ta-Wah, so heißt das Mädchen, begab sich mit ihrem Vater und ihrer Mutter vor zwei Monaten zu den westlichen Strömen, um zu fischen; und dort verschwand das Mädchen plötzlich. Wir konnten mehrere Wochen lang nichts von ihr erfahren, aber vor zehn Tagen kam ein Bote durch das Land der Delawaren, der uns sagte, Wah-ta-Wah sei entführt worden. Sie wird bei den Feinden festgehalten und soll einen jungen Mingo heiraten. Der Bote berichtete auch, daß dieser Stamm der Irokesen, ehe er nach Kanada zurückkehren will, einen oder zwei Monate in dieser Gegend jagen will. Darauf beschlossen wir, uns hier zu treffen, um das Mädchen zu befreien.«

Da die Stunde, in der Chingachgook erwartet wurde, noch nicht angebrochen war, hatte Wildtöter Zeit genug, den Zustand der Verteidigungsmittel zu untersuchen. Die Entfernung zwischen der Wasserburg und dem nächsten Punkt des Ufers war so groß, daß Flintenkugeln vom Lande her keinen sonderlichen Schaden tun konnten. Das Haus lag zwar noch in Schußweite, war aber nicht ernstlich gefährdet, denn Hutter hatte nicht wenig Kunst aufgeboten, eine richtige Wasserburg zu bauen, als er vor Jahren aus den gefahrvollen Grenzwäldern den immerwährenden Angriffen feindlicher Stämme weichen und seine Sicherheit auf dem Wasser suchen mußte. Die Seiten und Ecken des Kastells bestanden aus mächtigen, roh behauenen Fichtenstämmen, die aus dem Wasser aufragten und an den oberen Enden mittels Zapfen in Schwellen und Bohlen eingepaßt waren. Diese hielten die über zwei Fuß dicken Pfähle so fest aneinander, daß es die Wilden große Mühe gekostet hätte, das Haus zu zerstören, zumal auch der Fußboden und die Dachbalken aus festen Fichtenpfählen gezimmert waren. Die Bewohner waren daher in Sicherheit, solange sie im Besitz ihrer Festung blieben. Gegen Feuergefahr hatte Hutter alle möglichen Vorkehrungen getroffen; und das Gebäude selbst war, außer dem Dach von Baumrinde, nicht leicht brennbar. Der Fußboden hatte an mehreren Stellen Falltüren, und es standen stets einige Eimer mit Stricken bereit. Eins von den Mädchen konnte leicht jedes Feuer löschen.

Einen weiteren Vorteil in der Verteidigung bildete der Umstand, daß außer dem fixen Wasserhaus noch ein zweites, bewegliches, in Form einer Arche vorhanden war. Diese Arche war ein sehr einfaches Gebäude. Eine breite Fähre bildete den schwimmenden Teil des Schiffes, in dessen Mitte, die ganze Breite und ungefähr zwei Drittel der Länge einnehmend, ein niedriger Aufbau stand. Das Innere dieses Aufbaues war in zwei Zimmer geteilt, von denen das eine als Wohnraum und das andere als Schlafzimmer diente. So war es auch jetzt ein Vorteil, daß Wildtöter Chingachgook nicht in einem offenen Kanu abholen mußte, sondern sich dieser Arche bedienen konnte, die gegen Schüsse vom Land her doch einigen Schutz bot.

Als die Stunde nahte, in der man Chingachgook erwartete, stiegen die Schwestern und Wildtöter in die Arche, nachdem sie zuvor das Haus gut verschlossen und die Kanus bis auf eines in einen kleinen von Palisaden gebildeten Wasserhof hineingetrieben und diesen mit einer Art Tor verschlossen hatten. Der mit dem Mohikaner verabredete Treffpunkt, ein kleiner Felsen, lag am südlichen Ufer des Sees. Wildtöter steuerte aber die Arche nicht nach Süden auf sein Ziel zu, sondern hielt weit nach Westen und beobachtete unausgesetzt durch das Fernrohr, eines der sonderbarsten Besitztümer Hutters, das Seeufer.

»Du glaubst also, daß sie uns beobachten, Wildtöter?« fragte Judith. .

»Ein Indianer läßt nie in seiner Wachsamkeit nach, wenn er auf dem Kriegspfad ist. Es sind jetzt viele Augen auf uns gerichtet, und wir müssen uns bemühen, die Mingos auf eine falsche Spur zu locken.«

Als die Sonne hinter den hohen Fichten auf den westlichen Hügeln erglühte, hatte die Arche fast schon die Landzunge erreicht, wo Hutter und Hurry gefangengenommen worden waren. Wildtöter beabsichtigte dadurch, daß er seine Richtung erst nach dieser Seite des Sees einschlug, in den Wilden den Glauben zu erwecken, er wolle mit ihnen in Unterhandlung treten. Man konnte erwarten, daß sie daraufhin auf die Halbinsel eilen würden. Diese List war gut ausgedacht. Die Arche konnte so den Felsen erreichen, bevor ihre Verfolger, wenn sie sich wirklich auf der Halbinsel versammelten, auf dem Umweg zu Lande dorthin kommen konnten. Wildtöter hielt sich dem westlichen Ufer so nahe, als es irgend ratsam war. Dann ließ er Judith und Hetty in die Kajüte gehen. Er selbst bückte sich vorsichtig, als er nun plötzlich die Richtung der Arche änderte. Das Manöver wurde durch den jetzt etwas kräftigeren Wind begünstigt.

Als Wildtöter noch zwei- bis dreihundert Fuß vom südlichen Ufer entfernt war, zog er sein Segel ein und warf den Anker aus. Die Bewegung der Fähre wurde jetzt etwas aufgehalten, denn Wildtöter wagte es nicht, sich dem Ufer zu nähern, ohne Vorsichtsmaßnahmen für einen schnellen Rückzug zu treffen. Er hielt das Ankertau in der Hand, und Judith mußte von einem Kajütenfenster die Bucht und die Felsen aufmerksam beobachten. Hetty wurde angewiesen, die Bäume über ihnen im Auge zu behalten, damit sie nicht etwa von dieser Seite unerwartet angegriffen werden konnten.

Die Sonne war bereits aus dem Tal verschwunden, als Wildtöter die Arche anhielt. Es fehlten aber noch einige Minuten bis zum Sonnenuntergang. Die Frage war nur, ob der Freund den zahlreichen Feinden an den Ufern des Sees entgangen war. Die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden mußten ihm ein Geheimnis sein, und Chingachgook war noch jung auf dem Kriegspfad. Er war vorbereitet, den feindlichen Indianern Widerstand zu leisten und die ihm versprochene Frau zurückzuholen. Die wirkliche Größe der Gefahr konnte er aber wohl kaum überblicken.

»Ist etwas von dem Mohikaner zu sehen, Judith?« fragte Wildtöter.

»Es ist nirgends ein Mensch zu sehen, weder auf dem Felsen noch am Ufer.«

»Sei vorsichtig, Judith, und auch du, Hetty, sei vorsichtig und wachsam. Es würde mir sehr leid tun, wenn …«

Wildtöter wurde durch einen Ausruf des Mädchens unterbrochen.

»Was gibt’s, Judith?« fragte er schnell. »Ist jemand zu sehen?«

»Es steht ein Mann auf dem Felsen, ein indianischer Krieger. Er ist bewaffnet.«

»Wo trägt er seine Falkenfeder?« fragte Wildtöter, indem er gleichzeitig das Ankertau etwas nachließ, um die Arche näher an den Felsen treiben zu lassen.

»Er hat sie über dem linken Ohr, und er lächelt.«

»Gott sei Dank, es ist Chingachgook, die Schlange«, rief der junge Mann und ließ das Tau schnell durch seine Hände gleiten, um ganz nahe an den Felsen zu kommen.

Im gleichen Augenblick wurde die Tür der Kajüte aufgerissen, der junge Häuptling stürzte herein und stand sofort an Wildtöters Seite. Im nächsten Augenblick schon schrien Judith und Hetty auf, denn etwa zwanzig Wilde sprangen mit geliendem Kriegsgeschrei durch das Gebüsch am Ufer und wateten auf die Arche zu.

»Schnell, zieh das Ankertau an, Wildtöter!« rief Judith und warf hastig die Tür, durch die der Delaware gekommen war, zu, »ich sehe viele Indianer! Sie waten durch das Wasser!«

Die jungen Männer — denn Chingachgook half seinem Freund sofort — strengten ihre Kräfte übermenschlich an, um das schwere Fahrzeug in Bewegung zu bringen.

»Schnell, Wildtöter, um Himmels willen, schnell!« rief Judith. »Sie dringen durch das Wasser wie Hunde, die ihre Beute verfolgen. Jetzt geht das Wasser dem Vordersten schon bis an die Schultern, sie kommen immer näher!«

Die Fähre kam jetzt allmählich in Fahrt und glitt in tieferes Wasser.

Einen Augenblick später rief Judith den beiden Männern zu:

»Sie geben es auf. Gott sei Dank, sie wenden sich wieder dem Ufer zu — der letzte der Mingos verschwindet gerade im Ufergebüsch.«

Nun ruderten Wildtöter und Chingachgook die Arche schnell bis zum Anker und zogen ihn in die Höhe. Sie waren außer Gefahr.

Erst jetzt begrüßten die beiden Freunde einander wortlos, und Chingachgook, ein großer, schöner und kräftiger, junger indianischer Krieger, untersuchte sogleich sorgfältig seine Flinte, indem er die Pfanne öffnete, um zu sehen, ob das Pulver nicht naß sei. Dann sah er sich beobachtend um, aber sprach und fragte noch nichts.

»Judith und Hetty«, sagte Wildtöter mit unbefangener, natürlicher Höflichkeit, »dies ist der Mohikanerhäuptling Chingachgook, die Große Schlange, so genannt wegen seiner Klugheit, List und Vorsicht — mein bester Freund.«

Der indianische Krieger, der wohl Englisch verstand, aber ungern sprach, schwieg auch jetzt noch und erwiderte nur höflich die Begrüßung der beiden Mädchen.

Die Gefahr war für den Augenblick gebannt. Das Segel wurde aufgezogen, und da ein günstiger Wind das Fahrzeug bewegte, brauchte man jetzt nur zu steuern. Wildtöter, Chingachgook und Judith setzten sich in den hinteren Teil der Fähre, während Hetty in der Kajüte das Abendessen bereitete.

Chingachgook erstattete nun Bericht. Er hatte das Lager der Mingos den ganzen Tag über beobachtet und Wah-ta-Wah und auch die beiden weißen Gefangenen im Kreise der Feinde gesehen. Den Überfall auf die Arche konnte er sich nicht erklären, da er nicht annahm, von den Mingos bemerkt worden zu sein.

»Wie geht es Tom Hutter und Hurry Harry?« fragte Wildtöter, der die Mädchen gern beruhigt hätte. »Waren sie gebunden? Wurden sie grausam behandelt?«

»Die Mingos sind so zahlreich, daß sie es nicht für nötig halten, ihre Gefangenen zu fesseln«, antwortete Chingachgook. »Einige wachen, andere schlafen, einige sind als Späher beschäftigt, andere jagen. Die Gefangenen werden heute wie Brüder behandelt, morgen wird man ihnen die Skalpe nehmen.«

»Wäre es nicht möglich«, fragte Judith nun, da Wildtöter ihr mitteilte, was Chingachgook ihm in delawarischer Sprache gesagt hatte; »wäre es nicht möglich, den Vater und Hurry Harry freizukaufen?«

»Die Idee ist gut, wenn wir etwas finden, was ihnen wertvoll genug erscheinen mag.«

»Daheim steht eine Truhe, die der Vater noch nie in unserer Gegenwart geöffnet hat, sie ist immer fest verschlossen. Ich glaube, wir sollten sie öffnen, um zu sehen, ob sie nicht irgend etwas enthält, was unseren Zwecken dienlich wäre.«

Wildtöter stimmte zu. »Vielleicht haben wir Glück, liebe Judith. Wir wollen die Truhe durchsuchen, sobald wir im Haus sind. Aber sag mir, Schlange«, wandte er sich nun an Chingachgook, »warst du Wah-ta-Wah so nah, daß du ihr etwas zuflüstern konntest?«

»Nein, Wildtöter, es waren der Bäume zu viele, und Blätter bedeckten ihre Zweige wie Wolken, die während eines Sturmes den Himmel verbergen. Aber« — und der junge Krieger wandte sich seinem Freund mit einem Lächeln zu, das die von Natur strengen Züge des in grellen Farben bemalten Gesichts mit menschlichem Gefühl erhellte — »aber Chingachgook hörte die Stimme von Wah-ta-Wah, er erkannte sie unter dem Lärmen der Weiber der Mingos. Sie erklang in seinen Ohren wie das Zwitschern des Zaunkönigs.«

»Ja, das Ohr eines Liebenden ist scharf, und das Ohr eines Delawaren unterscheidet die Stimme seiner Geliebten von allen Stimmen, die je in den Wäldern gehört werden.«

»Und du, Wildtöter«, fragte Judith mit mehr Gefühl, als ihr sonst so munteres Wesen vermuten ließ, »hast du nie gefühlt, wie angenehm es ist, die Stimme der Geliebten zu hören?«

»Ich habe nie lange genug unter Frauen von meiner Farbe gelebt. Mir ist aber das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln und das Rieseln einer Quelle die schönste Musik.«

»Es ist ein dunkler Abend«, bemerkte Judith, nachdem das Gespräch eine Zeitlang gestockt hatte. »Ich hoffe, es wird uns gelingen, die Richtung nach dem Haus zu finden.«

»Wir können es nicht verfehlen, wenn wir diese Richtung beibehalten«, erwiderte der junge Mann.

»Hörst du nichts, Wildtöter? Es schien mir, als würde sich etwas im Wasser bewegen.«

Alle drei beugten sich jetzt vor und lauschten. Plötzlich zeigte der Delaware in das Dunkel hinaus, als habe irgend etwas seine Aufmerksamkeit erregt. Wildtöter und Judith blickten in die Richtung und sahen beide im gleichen Augenblick ein Kanu mit einer Gestalt darin, die aufrecht stand und ruderte. Wie viele noch im Fahrzeug verborgen lagen, das konnte man nicht wissen! Die Männer griffen erregt zu ihren Flinten.

»Ich könnte die Gestalt leicht treffen«, flüsterte Wildtöter, »aber wir wollen sie vorerst anrufen und fragen, was sie will.« Dann schrie er zu dem Kanu hin:

»Halt! Wenn du näher kommst, muß ich schießen! Hör auf zu rudern und antworte!«

»Schieße und töte ein armes, schutzloses Mädchen«, erwiderte eine sanfte Stimme, »und Gott wird es dir nie verzeihen, Wildtöter!«

»Hetty!« rief Judith, und der Jäger sprang auf, um nach dem Kanu zu sehen, das er an der Arche befestigt hatte. Es war fort, und er begriff jetzt alles. Wildtöter ließ so schnell wie möglich das Segel nieder, damit die Arche nicht an dem Kanu vorüberfahre. Es war jedoch zu spät, die Bewegung des schweren Fahrzeugs ließ sich nicht so schnell hemmen — Hetty blieb hinter ihnen zurück.

»Was kann das bedeuten, Judith?« fragte Wildtöter. »Weshalb hat deine Schwester das Kanu genommen und uns verlassen?«

»Du weißt, daß das arme Mädchen wirr ist. Sie macht sich immer ihre eigenen Gedanken. Sie liebt ihren Vater mehr, als die meisten Kinder ihre Eltern lieben — und dann … dann fürchte ich auch, daß es der armen Hetty der schöne Hurry Harry angetan hat. Sie spricht im Schlaf von ihm und verrät sich bisweilen auch in wachen Augenblicken.«

»Du glaubst, Judith, daß deine Schwester jetzt irgendeinen abenteuerlichen Plan hat, ihrem Vater und Hurry zu helfen?«

Judith nickte nur. Man konnte das Kanu gerade noch sehen, es war aber keine Zeit zu verlieren, damit es dem Blick nicht ganz entschwand. Die beiden Männer griffen zu den Rudern und begannen die Fähre umzuwenden. Judith eilte an das Steuer. Hetty schien bei diesen Vorkehrungen zu erschrecken und glitt wie ein Vogel davon. Nach einiger Zeit rief Judith den beiden jungen Männern zu, sie mögen aufhören zu rudern. Sie hatte ihre Schwester ganz aus den Augen verloren. Die größte Stille herrschte jetzt auf dem See, während die drei in der Arche die Dunkelheit mit ihren Blicken zu durchdringen suchten.

Die beiden Männer tauschten kurz ihre Meinung aus und griffen dann wieder zu den Rudern. Auf gut Glück steuerten sie nach jener Landzunge, auf derTom Hutter und Hurry Harry gefangengenommen worden waren.

Als sie sich ihr geräuschlos näherten, bemerkten sie auf dem Wasser ein leeres Kanu. Hetty war also hier gelandet. Aber alles Suchen und leise Rufen nützte nichts. Man beschloß daher, zum Haus zurückzukehren, bevor der Feind sich seiner bemächtigte. Wildtöter befestigte das leere Kanu an der Arche, und traurig und besorgt zog man das Segel wieder auf und steuerte die Arche der Wasserburg zu.

4

Als Hetty am Ufer gelandet war, stieß sie das Kanu in den See zurück, denn sie wußte genau, daß es nicht in die Hände der Wilden fallen durfte. Dann lief sie in ihrer Furcht, verfolgt zu werden, in den dichtesten Wald. Die Nacht war so dunkel, daß sie nur langsam vorwärts kam. Sie stolperte oft und fiel auch einige Male, doch ohne sich Schaden zu tun.

Nachdem sie zwei Stunden lang gelaufen war, fühlte sie sich so erschöpft, daß sie nicht weiterkonnte. Sie bereitete sich ohne Furcht ein Lager. Wohl wußte sie, daß wilde Tiere hier im Wald lebten, aber solche, die Menschen angreifen, waren selten. Gefährliche Schlangen gab es nicht. Dies hatte sie von ihrem Vater gehört; und was ihr schwacher Geist einmal aufnahm, das haftete mit so festem Zutrauen, daß keine Zweifel dagegen aufkommen konnten. Sobald sie genügend trockenes Laub gesammelt hatte, kniete sie nieder, faltete die Hände in tiefer Andacht und betete mit sanfter, leiser, aber hörbarer Stimme das Vaterunser. Dann legte sie sich nieder, um zu schlafen.

Am nächsten Morgen, als die Strahlen der Sonne sie weckten, setzte sie ihren Weg fort. Nach einer halben Stunde erreichte das Mädchen einen Bach, der sich tief in die Erde eingewühlt hatte und zwischen steilen, mit hohen Bäumen bewachsenen Ufern in den See stürzte. Hier wusch sich Hetty. Sie trank von dem reinen Bergwasser und setzte dann erfrischt und leichten Herzens ihren Weg fort.

Plötzlich wurde sie durch eine Hand, die sich ihr leicht auf die Schulter legte, angehalten.

»Wohin gehen?« sagte eine leise weibliche Stimme, die hastig und besorgt in gebrochenem Englisch sprach. »Indianer — rote Männer — grausame Krieger — dort!«

Diese unerwartete Begrüßung beunruhigte Hetty nicht. Sie war auf irgendein solches Zusammentreffen vorbereitet, und das Indianermädchen, das sie so anhielt, war keinesfalls furchterregend. Sie war nicht viel älter als Hetty und lächelte freundlich. Sie trug einen Kattunmantel und einen kurzen, mit Goldborten eingefaßten Rock aus blauem Tuch, Gamaschen vom gleichen Stoff und Mokassins aus Hirschleder. Ihr Haar hing in langen schwarzen Flechten den Rücken hinab. Ihr Gesicht war zart und edel, die Augen dunkel und lebhaft, das Lächeln des Mundes zärtlich und traurig zugleich.

»Wohin gehen?« fragte die Indianerin noch einmal. »Schlimme Krieger dort — gute Krieger weit von hier.«

»Wie heißt du?« fragte Hetty jetzt.

»Wah-ta-Wah. Ich keine Mingo — gute Delaware — Freunde der Engländer. Mingos sehr grausam, Skalpe des Blutes wegen nehmen — Delaware der Ehre wegen. Komm hierher, wo nicht Augen sind.«

Wah-ta-Wah führte jetzt ihre Gefährtin zum See. Sie stiegen den Abhang hinab, bis die überhängenden Bäume und Gebüsche sie ganz verbargen, und setzten sich dann nebeneinander auf einen Baumstamm.

»Warum du kommen?« fragte jetzt die junge Indianerin, »woher du kommen?«

Hetty erzählte ihre Geschichte in ihrer einfachen, aufrichtigen Art.

»Weshalb dein Vater in der Nacht ins Lager der Mingos kommen?« fragte das indianische Mädchen. »Er wissen, daß Krieg ist und er kein Knabe. Er wissen, daß Mingos Tomahawk und Messer und Flinte haben. Weshalb er kommen bei Nacht, mich am Haar fassen und den Skalp eines Delawarenmädchens nehmen wollen?«

»Dir wollte er den Skalp nehmen?« fragte Hetty, bleich vor Schrecken.

»Weshalb nicht? Delawarenskalp so gut bezahlt wie Mingoskalp, Gouverneur keinen Unterschied machen. Sehr schlecht von weißen Männern, Skalpe nehmen. Nicht ihre Gabe sein, wie der gute Wildtöter immer sagen.«

»Wie, du kennst Wildtöter?« fragte jetzt Hetty erfreut. »Ich kenne ihn auch. Er ist jetzt auf der Arche mit Judith und einem kühnen und schönen Krieger, einem Delawaren, den man Schlange nennt.«

»Chingachgook?« flüsterte die junge Indianerin fragend. Sie beugte sich vor und sah Hetty gespannt an. »Sein Vater Unkas, großer Häuptling der Mohikaner — gleich nach altem Tamenund. Kennst du die Schlange?«

»Er kam gestern zu uns und war zwei bis drei Stunden mit mir in der Arche, ehe ich sie verließ. Ich fürchte, Wah, daß er um Skalpe gekommen ist, so wie mein armer Vater und Hurry Harry.«

»Weshalb nicht sollen? Chingachgook roter Krieger, sehr rot. Skalp ihm Ehre machen, gewiß welche nehmen.«

»Dann ist er ebenso schlimm wie die anderen«, erwiderte Hetty ernst. »Gott wird einem roten Mann nicht verzeihen, was er einem weißen Mann nicht verzeiht.«

»Das nicht wahr sein«, erwiderte die junge Indianerin mit einer Wärme, die fast zum Zorn wurde, »das nicht wahr sein! Der Manitu sich freuen, wenn er junge Krieger vom Kriegspfad zurückkommen sehen mit zwei, zehn, hundert Skalpen auf einer Stange! Der Vater von Chingachgook Skalpe nehmen, Großvater Skalpe nehmen, alle alten Häuptlinge Skalpe nehmen, und Chingachgook so viele Skalpe nehmen, wie er bekommen kann.«

»Ist das seine Absicht hier? Kam er wirklich so weit her über Berge und durch Täler, über Flüsse und Seen, um seine Mitmenschen zu martern?« fragte Hetty entsetzt.

Diese Frage bewegte die Indianerin sichtlich. Zuerst sah sie sich mißtrauisch um, als fürchte sie, belauscht zu werden, dann blickte sie Hetty mit schlauer, bedeutsamer Miene an, und schließlich bedeckte sie ihr Gesicht mit beiden Händen und kicherte. Dann sah sie wieder auf, und plötzlich umschlang sie Hetty zärtlich und drückte sie an ihr Herz.

»Du gut!« flüsterte sie, »du gut, ich wissen, Wah-ta-Wah seit so lange keine Freundin haben — keine Schwester —, niemand, um mit Herz zu sprechen — du Wahs Freundin sein, nicht wahr?«

»Ich hatte nie eine Freundin«, antwortete Hetty. »Ich habe eine Schwester, aber keine Freundin. Judith liebt mich, und ich liebe Judith, doch das ist natürlich und wie es in der Bibel steht, aber ich möchte von Herzen gern eine Freundin haben. Ich will ganz und gar deine Freundin sein, denn deine Stimme gefällt mir und dein Lächeln und alles, was du sagst, nur das von den Skalpen nicht.«

»Nicht mehr daran denken — nicht mehr von Skalpen sprechen«, unterbrach sie Wah beruhigend, »du weiß, ich rot, wir andre Bräuche haben. Wildtöter und Chingachgook große Freunde und nicht dieselbe Farbe.«

Die beiden Mädchen begannen sich nun über ihre Pläne zu unterhalten. Hetty machte ihre neue Freundin mit ihren Absichten bekannt.

Plötzlich beugte sich die junge Indianerin vor, sah der anderen schalkhaft in die Augen und fragte:

»Hetty auch Bruder haben, so wie Vater, weshalb nicht vom Bruder sprechen, so gut wie vom Vater?«

»Ich habe keinen Bruder, Wah. Ich hörte wohl, daß ich einen hatte, aber er ist tot und liegt im See neben der Mutter.«

»Nicht junger Bruder — junger Krieger, ihn lieben fast wie deinen Vater — wie? Sehr schön und kühnes Gesicht, Häuptling werden, wenn so gut sein wie aussehen.«

»Ich glaube fast«, antwortete Hetty errötend, »wenn Hurry so oft an den See kommt, werde ich ihn beinahe so sehr lieben müssen wie den Vater. Ich muß dir die Wahrheit sagen, liebe Wah, weil du mich fragst, aber ich würde vor Scham in die Wälder fliehen, wenn er es wüßte.«

»Weshalb er nicht selbst dich fragen? Kühnes Gesicht, weshalb nicht kühn sprechen? Junger Krieger muß junges Mädchen fragen, nicht junges Mädchen zuerst sprechen lassen. Das auch Schande für Mingo-mädchen.«

»Was soll er mich fragen?« sagte das erschrockene Mädchen. »Soll er mich fragen, ob ich ihm ebenso gut bin wie meinem Vater? Oh, ich hoffe, das wird er mich nie fragen, denn ich müßte ihm antworten, und das würde mich töten.«

»Nein, nein — nicht töten — nur beinah töten«, erwiderte die andere, indem sie wider Willen lachen mußte. »Rot werden im Gesicht — auch sich schämen, aber nicht lange. Dann glücklicher als je. Junger Krieger muß jungem Mädchen sagen, er sie zu seiner Frau haben wollen, sonst junges Mädchen nie in seinem Wigwam leben können.«

»Harry wird mich nicht heiraten wollen, niemand wird es wollen.«

»Wie kannst du wissen? Vielleicht jeder junge Krieger dich heiraten wollen, und dann Zunge sagen, was Herz fühlen. Weshalb niemand dich heiraten wollen?«

»Sie sagen alle, daß ich dumm bin. Der Vater sagt es mir oft und auch Judith bisweilen, wenn sie böse auf mich ist, aber die Mutter hat es auch einmal gesagt, und dabei weinte sie, als ob ihr das Herz brechen wollte.«

Wah sah das sanfte, einfache Mädchen wohl eine Minute lang an, ohne zu sprechen, dann schien sie plötzlich zu begreifen. Mitleid, Achtung und Zärtlichkeit erfüllten sie, und als sie plötzlich aufstand, bat sie ihre Freundin, sie in das Lager der Indianer zu begleiten. Sie wußte, daß kein Indianer ein Wesen kränken würde, das der Große Geist entwaffnet hatte. Bei einigen Stämmen wurden die vom Wahn Befallenen mit einer Art religiöser Ehrfurcht behandelt. Hetty begleitete ihre neue Freundin ohne Widerstreben. Es war ihr Wille, in das Lager zu gehen, und sie fürchtete sich nicht.

Daß der Trupp Indianer, zu dem Wah wider Willen gehörte, nicht auf dem Kriegspfad war, ging aus der Gegenwart der Weiber hervor. Er war ein kleiner Teil eines Stammes, der innerhalb des englischen Gebietes gejagt und gefischt hatte. Der Anfang der Feindseligkeiten zwischen Engländern und Franzosen — ein Kampf, in den alle Stämme gezogen werden mußten, die unter ihrem Einfluß lebten — hatte sie hier überrascht. Nachdem sie den Winter und Frühling von dem gelebt hatten, was eigentlich Eigentum ihrer Feinde war, beschlossen sie, vor dem Rückzug womöglich noch Beute zu machen. Da das Lager keinem längeren Aufenthalt dienen sollte, war es entsprechend primitiv eingerichtet. Ein Feuer, das unter einer Eiche brannte, war ihre Kochstelle, um die herum fünfzehn bis zwanzig niedrige Hütten lagen, in die die Wilden des Abends und bei stürmischem Wetter krochen. Die Hütten waren aus kunstreich verschlungenen Baumzweigen gebaut und mit Baumrinde bedeckt. Hausgerät enthielten sie fast gar nicht. Kochgeschirre der einfachsten Art standen um das Feuer, einige Kleidungsstücke sah man vor den Hütten. Flinten, Pulverhörner und Jagdtaschen waren gegen Bäume gelehnt oder hingen neben mehreren getöteten Hirschen an niedrigen Ästen. Weil sich aber das Lager mitten im dichten Wald befand, konnte man es nicht ganz übersehen. Es gab keinen Versammlungsort, wo sich die Bewohner dieses ärmlichen Dorfes zusammenfinden konnten, wenn man nicht etwa den Platz um das Feuer nennen wollte. Einige Kinder tummelten sich von einer Hütte zur anderen. Nur das unterdrückte Lachen und die leisen Stimmen der Mädchen und Weiber unterbrachen bisweilen die tiefe Stille. Die Männer saßen oder schliefen, oder sie prüften ihre Waffen. Sie sprachen nur wenig miteinander und dann meist in Gruppen, die sich von den Weibern entfernt hielten.

Als sich die beiden Mädchen dem Lager näherten, stieß Hetty einen leisen Ruf der Überraschung aus, denn sie sah ihren Vater mit dem Rücken gegen einen Baum gelehnt auf der Erde sitzen. Hurry Harry stand neben ihm. Anscheinend waren sie ebenso frei wie alle andern Lagerinsassen. Wer mit indianischen Gebräuchen nicht bekannt war, mußte sie für Gäste halten. Wah-ta-Wah führte ihre neue Freundin auf sie zu und zog sich dann bescheiden zurück.

Hetty näherte sich dem Vater, ohne ein Wort zu sagen. Das Mienenspiel des alten Mannes zeigte weder Besorgnis noch Erstaunen über ihr plötzliches Erscheinen. Er war von der gleichen stoischen Ruhe wie die Indianer, denn er wußte, daß man sich so ihre Achtung am ehesten erwerben konnte. Auch die Wilden verrieten nicht das mindeste Zeichen der Verwunderung über die plötzliche und unerwartete Ankunft einer Fremden. Einige Krieger nur traten zusammen, und aus den Blicken, die sie auf Hetty warfen, ging hervor, daß sie über das Mädchen sprachen. Diese Ruhe war ein eigentümlicher Charakterzug des nordamerikanischen Indianers.

Hutter war durch das Benehmen Hettys sehr gerührt, wenn er auch gleichgültig erschien. Er kannte die einfache, treue Liebe seines Kindes.

»Du hättest nicht hierherkommen sollen, Hetty«, sagte er besorgt. »Dies sind wilde Irokesen, die keine Beleidigung verzeihen.«

»Sei ruhig, Vater«, erwiderte Hetty. »Es wird sich alles zum Guten wenden. Es ist aber am besten, wenn ihr euch still verhaltet, bis ich mit den Irokesen gesprochen habe. Folgt mir, bitte, nicht, sondern laßt mich allein gehen. Sobald alles abgemacht ist und es euch freisteht, zurückzukehren, will ich kommen und es euch wissen lassen.« Hetty sprach mit so einfachem Ernst und schien des Erfolges so sicher zu sein, daß der alte Tom und Hurry ihr fast glauben mußten.

Inzwischen kam Wah-ta-Wah bei einigen älteren Kriegern vorbei, die sich während ihrer Gefangenschaft am freundlichsten gegen sie gezeigt hatten. Sie wollte über ihre neue Freundin befragt werden; und Hetty war kaum zu ihrem Vater getreten, als auch das Delawarenmädchen in den Kreis der Krieger gerufen wurde. Hier fragte man sie nach ihrer Gefährtin. Wah erzählte sofort, wie sie die Verstandesschwäche Hettys entdeckt habe, und dann sprach sie sehr allgemein über die Absicht, mit der das junge Mädchen zu ihren Feinden gekommen sei. Die Wirkung war, wie Wah erwartet hatte. Hetty wurde jetzt mit großer Achtung angesehen, die sie bei allen schützen würde. Als die junge Indianerin ihren Zweck erreicht hatte, zog sie sich zurück und machte Anstalten, ein Mahl zuzubereiten, zu dem sie ihre neue Freundin einladen wollte.

Als sich Hetty jetzt den Häuptlingen näherte, öffneten sie ihren kleinen Kreis mit großer Achtung. Ein umgefallener Baum lag in der Nähe, und der älteste der Krieger gab dem Mädchen ein Zeichen, darauf Platz zu nehmen, und setzte sich freundlich wie ein Vater neben sie. Die anderen versammelten sich mit ernster Würde um sie herum, und Hetty begann zu erklären, weshalb sie hierhergekommen sei. Als sie zu reden anfing, winkte ihr der alte Häuptling freundlich zu, sie möge noch schweigen; er sagte einem jüngeren Häuptling einige Worte und wartete dann geduldig, bis Wah-ta-Wah in den Kreis trat. Der Häuptling brauchte einen Dolmetscher, denn nur wenige Mingos verstanden die englische Sprache.

»Sage ihnen, Wah, wer ich bin«, begann nun Hetty. »Und dann sage ihnen: Ich bin hier, um sie zu überzeugen, daß sie dem Vater und Hurry nichts zuleide tun dürfen, sondern als Brüder und nicht als Feinde behandeln und sie in Frieden gehen lassen müssen. Sage ihnen alles deutlich, Wah, und fürchte nichts für dich oder für mich, denn Gott wird uns beschützen.«

Wah-ta-Wah bemühte sich, die Worte ihrer Freundin so genau wie möglich in die Sprache der Irokesen zu übertragen.

»Und jetzt, Wah«, sagte Hetty wieder, sobald ihr angedeutet wurde, daß sie fortfahren möge, »jetzt sage ihnen, daß mein Vater und Harry in der Absicht hierherkamen, so viele Skalpe wie nur möglich mitzunehmen, denn der gottlose Gouverneur und die Provinz haben Gold für Skalpe angeboten. Die Liebe zum Gold war zu stark für meinen Vater und Harry.«

Wah-ta-Wah zögerte, Hettys Worte genau zu wiederholen. Sie tat es aber doch, da sie wußte, daß zwei der Häuptlinge Englisch verstanden. Die Erklärung der Beweggründe wurde von den Wilden stumm aufgenommen. Sie hielten wahrscheinlich die Handlungsweise für männlich und konnten sie gut verstehen.

»Und jetzt, Wah«, fuhr Hetty fort, »kannst du ihnen noch mehr sagen. Sie wissen, daß dem Vater und Hurry ihr Vorhaben mißlang, und deshalb können sie weiter keinen Groll gegen sie hegen. Dann frag sie, ob sie wissen, daß es einen Gott gibt, der die ganze Erde regiert und alle Lebewesen beherrscht.«

Wah-ta-Wah bestaunte diese Frage, sie teilte sie jedoch wörtlich mit und erhielt eine ernste, bejahende Antwort.

»Das ist recht«, sprach Hetty weiter, »und meine Pflicht wird jetzt leicht sein. Dieser Große Geist, wie ihr unseren Gott nennt, hat ein Buch schreiben lassen, und in diesem Buch stehen alle seine Gebote und sein heiliger Wille. Hier ist eins von diesen heiligen Büchern, und du mußt dem Häuptling übersetzen, was ich ihnen daraus vorlesen werde.«

Hetty nahm ehrerbietig eine kleine englische Bibel aus einem groben Tuch. Triumphierend hielt sie den Indianern das Gotteswort hin und begann zu lesen. Sie war jetzt in ihrem frommen Eifer so aufgeregt, daß ihre Wangen glühten, und ihre sonst so leise Stimme wurde stärker und ausdrucksvoller. Mit der Bibel war sie schon seit ihrer Kindheit durch ihre Mutter vertraut, und sie blätterte jetzt mit erstaunlicher Schnelligkeit von einer Stelle des Buches zur anderen, und sie bemühte sich, solche Verse zu wählen, welche die erhabensten Lehren christlicher Milde und Versöhnlichkeit aussprechen. Auch nur die Hälfte von ihren Worten zu übertragen, würde Wah-ta-Wah unmöglich gewesen sein, wenn sie es überhaupt versucht hätte. Aber das für seinen Glauben begeisterte Mädchen war schon fast erschöpft, bevor die andere sich entschloß zu reden.

Glücklicherweise hatte die Mitteilung über den Geisteszustand Hettys die Irokesen auf etwas Ungewöhnliches vorbereitet. Das meiste von dem, was ihnen töricht erschien, wurde dadurch für sie erklärlich. Es waren aber einige alte Männer da, die ähnliche Lehren schon von den Missionären gehört hatten.

»Dies ist das gute Buch der weißen Menschen«, bemerkte einer von diesen Häuptlingen, indem er die Bibel aus Hettys Händen nahm. »Dies ist das Gesetz, wonach meine weißen Brüder zu leben behaupten. Sag meiner jungen Schwester«, fuhr der Häuptling zu Wah gewendet fort, »daß ich meinen Mund öffnen und reden will.«

»Der Irokesenhäuptling sprechen wollen. Meine Freundin zuhören«, sagte Wah-ta-Wah.

»Dies ist das Gesetz der weißen Männer«, fuhr der Häuptling fort. »Es sagt ihnen, daß sie denen, welche sie beleidigen, Gutes tun sollen. weshalb bedient sich dann aber der weiße Mann der Flinten, des Pulvers und der Kugeln? Wenn ihm geboten wird, denen, die etwas von ihm verlangen, doppelt soviel zu geben, weshalb nimmt er dann den armen Indianern alles, die doch nichts von ihm verlangen? Er kommt von jenseits der aufgehenden Sonne mit seinem Buch in der Hand, und er lehrt die toten Männer es lesen, aber weshalb vergißt er alles, was darin steht? Mit dem, was ihm der Indianer gibt, ist er nie zufrieden, und jetzt bietet er Gold für die Skalpe unserer Weiber und Kinder, obgleich er uns wilde Tiere nennt, wenn wir den Skalp eines im offenen Kampf getöteten Kriegers nehmen. Mein Name ist Rivenoak.«

Als Wah-ta-Wah diese Worte übersetzte, wurde Hetty sehr verlegen. Klügere Köpfe als dieses arme Mädchen konnten schon häufig auf Fragen ähnlicher Art nichts erwidern. Es wurde immer verwirrter und brach schließlich in Tränen aus. Wah-ta-Wah umschlang das betrübte Mädchen mit ihrem Arm und bemühte sich, es zu trösten. Die Häuptlinge aber, die keine Antwort auf ihre Fragen vernahmen, entfernten sich schweigend, als hielten sie die Angelegenheit für erledigt.

5

Wildtöter und der Mohikaner standen im Laufe der Nacht ein- oder zweimal auf und sahen hinaus auf den stillen See. Da sie jedoch alles ruhig fanden, kehrten sie zu ihrem Lager zurück. Beim Morgengrauen erhob sich der junge Jäger zuerst und traf Vorkehrungen für den Tag. Als die drei, die sich belagert wußten, später beim Frühstück beisammensaßen, waren sie still und nachdenklich. Judith war noch müde, und die beiden Männer dachten an die ungewisse Zukunft. Endlich begann aber Judith nach längerem Schweigen:

»Es wäre schrecklich, Wildtöter, wenn meinem Vater und Hetty ein Unglück widerfahren sollte. Wir dürfen hier nicht untätig bleiben und sie in den Händen der Irokesen lassen, sondern müssen überlegen, wie wir ihnen helfen können.«

»Ich bin selbstverständlich bereit, Judith. Es ist keine Kleinigkeit, in die Hände von Rothäuten zu geraten. Hast du irgendeinen Plan, den die Schlange und ich ausführen könnten?«

»Ich weiß kein anderes Mittel, die Gefangenen zu befreien, als ein hohes Lösegeld anzubieten. Die Indianer würden vielleicht lieber etwas mitnehmen, was Reichtum für sie bedeutet, als arme Gefangene fortschleppen, wenn sie das überhaupt beabsichtigen.«

»Dieser Plan ist natürlich gut, Judith, wenn die Feinde darauf eingehen und wir Dinge finden können, die ihre Habgier reizen.«

»Wir haben uns entschlossen, die Truhe zu öffnen, Wildtöter.«

»Ja, wir sprachen gestern davon. Hat dein Vater dir je verboten, sie zu öffnen?«

»Niemals. Er schien die Schlösser immer für den besten Schutz zu halten.«

»Es ist eine schöne Arbeit, diese Truhe«, sagte Wildtöter und setzte sich auf das merkwürdige Möbelstück, das allen in Hutters Zimmer aufgefallen war.

»Chingachgook, dies ist kein Holz aus unseren Wäldern.«

Der junge Häuptling näherte sich, befühlte das Holz, prüfte seine Härte mit einem Nagel und besah neugierig die Stahlbeschläge und die schweren Vorlegeschlösser. Wildtöter fragte nach einem Schlüssel.

Judith entfernte sich und kam bald mit einem großen eisernen Schlüssel wieder.

»Ich entdeckte ihn einmal beim Aufräumen«, sagte sie. »Vater hat keine Ahnung, daß ich weiß, wo er ihn versteckt hat.«

Wildtöter wollte sich nun mit seinem Freund zurückziehen, da es sich um Familiengeheimnisse handelte. Judith bat ihn aber zu bleiben.

»Wir wollen bei dir bleiben«, sagte er, »aber erst laß uns den See und die Ufer beobachten, denn es wird einige Zeit brauchen, diesen Kasten zu leeren.«

Die beiden Männer gingen auf die Plattform und sahen, daß nichts Verdächtiges zu bemerken war. Da sie nun für einige Zeit sicher waren, gingen sie wieder zu dem Mädchen zurück. Judith hatte vor der Truhe und ihrem unbekannten Inhalt seit frühester Kindheit Ehrfurcht. Weder der Vater noch die Mutter hatte sie je in ihrer Gegenwart erwähnt. Als Wildtöter jetzt den schweren Deckel aufhob und Judith den Blick in das Innere warf, zitterte sie leicht.

Die ersten Dinge, die sich zeigten, waren verschiedene Kleidungsstücke für einen Mann, sehr vornehm gearbeitete Stücke aus feinem Stoff. Ein Rock war aus scharlachrotem Tuch und hatte mit Goldfaden besäumte Knopflöcher. Danach folgte ein schönes Kleid aus Brokat, das durch nachlässige Behandlung etwas gelitten hatte. Und diesmal brach Judith in einen Ausruf der Bewunderung aus. Noch nie hatte sie einen so feinen Stoff und so schöne Farben gesehen. Ihr Entzücken war fast kindlich, und sie nahm das Kleid und kam nach kurzer Zeit, damit angetan, zurück.

»Ich weiß kein besseres Mittel, mit den Mingos zu unterhandeln, Judith«, sagte Wildtöter, der sie bewundernd ansah, »als dich, so wie du jetzt bist, an das Ufer zu schicken und ihnen zu sagen, daß eine Königin zu ihnen gekommen sei. Sie werden bei einem solchen Schauspiel den alten Hutter ausliefern und auch Hurry und Hetty.«

»Wenn wir den Inhalt der Truhe ganz kennen, Wildtöter«, sagte das Mädchen lächelnd, »können wir unseren Entschluß reiflich überlegen.«

Neben einigen kunstreich mit Silber eingelegten Pistolen lagen, in ein Tuch gewickelt, mathematische Instrumente, wie sie damals bei Seeeuten in Gebrauch waren. Wildtöter und Chingachgook äußerten ihre Bewunderung und ihr Erstaunen.

»Vater ist kein Geometer, Wildtöter, und ebensowenig weiß er mit diesen Instrumenten umzugehen«, bemerkte Judith. »Glaubst du, daß Thomas Hutter je so einen Scharlachrock getragen hat? Er ist ihm viel zu groß, und dieses Instrument geht über seine Gelehrsamkeit.«

»Das ist’s, Delaware, der alte Bursche ist auf irgendeine Art der Erbe eines Seemannes geworden, und ohne Zweifel war dieser Kasten und alles, was er enthält … Doch was haben wir hier?«

Wildtöter hatte eine kleine Schachtel geöffnet, aus der er nach und nach die Figuren eines Schachspieles nahm. Sie waren aus Elfenbein, größer als gewöhnlich und vortrefflich gearbeitet. Jede Figur stellte den Gegenstand dar, nach dem er benannt wird; die Springer saßen auf Pferden, die Türme standen auf Elefanten, und selbst die Bauern hatten die Köpfe und Büsten von Männern. Das Spiel war nicht vollständig, und einige Figuren waren zerbrochen. Chingachgook vergaß seine indianische Würde, so entzückt war er. Er nahm jede Figur in die Hand und untersuchte sie mit unermüdlicher Aufmerksamkeit, indem er dem Mädchen die feinen Teile der Arbeit zeigte. Die Elefanten bereiteten ihm das meiste Vergnügen.

»Das Tier mit dem Turm scheint dir zu gefallen, Delaware«, sagte schließlich Wildtöter.

»Es ist ein Elefant«, rief jetzt Judith. »Ich habe oft Bilder von solchen Tieren in den Garnisonen gesehen, und. die Mutter hatte ein Buch mit einer Beschreibung von ihnen.«

»Das Tier ist zu gut für die Mingos«, sagte Chingachgook, indem er nur widerwillig eines der Tiere zurückgab. »Der Elefant könnte den ganzen feindlichen Stamm erkaufen, vielleicht sogar den der Delawaren.«

Alle drei waren sich einig, daß wohl nichts die Begierde der Mingos mehr reizen könne als die Elefanten. Glücklicherweise waren noch alle Türme des Spieles vorhanden, und es wurde beschlossen, diese vier Figuren als Lösegeld anzubieten.

Mehr als eine Stunde war vergangen, während der sie beratschlagt und alles, bis auf die Elefanten, wieder an seine frühere Stelle gebracht hatten. Judith unterhielt sich jetzt mit Wildtöter, der gern in ihr schönes Gesicht sah. Chingachgook ging in Hutters Schlafkammer, um die Elefanten genau und ausgiebig zu betrachten.

Plötzlich hörte man einen leichten Schritt auf der Plattform, und gleich darauf erschien eine menschliche Gestalt in der Tür. Es war Hetty. Wildtöter stand sofort auf, und Judith stieß einen leichten Schrei aus, denn jetzt wurde auch ein Indianer neben Hetty sichtbar.

Wildtöter rief schnell in delawarischer Sprache, Chingachgook möge sich nicht sehen lassen und auf der Hut sein. Dann trat er an die Tür, um sich von der Größe der Gefahr zu überzeugen. Es war jedoch sonst niemand mitgekommen.

Ein einfaches, kleines Floß, das an der Seite der Arche lag, erklärte, wie man Hetty hierhergebracht hatte. Auf zwei trockene, mit Weidenzweigen zusammengebundene Fichtenstämme hatte man einige starke Bohlen aus Kastanienbaumholz gelegt und darauf für Hetty einen Sitz aus einigen Holzkloben bereitet; schließlich hatte der junge Irokese das einfache und langsame, aber vollkommen sichere Fahrzeug vom Ufer herübergerudert.

Als sich ihre erste Besorgnis etwas gelegt hatte, zeigte Judith eine herzliche Freude über die Rückkehr ihrer Schwester. Sie drückte sie an die Brust und küßte sie. Hetty schien weniger bewegt zu sein. Sie war noch zu sehr von der Größe und Helligkeit ihrer Aufgabe erfüllt. Als sie jetzt von ihren Erlebnissen zu erzählen begann, kehrte Wildtöter zurück und hörte aufmerksam zu, während der junge Irokese nahe der Tür stand und sich gegen alles, was vorging, anscheinend gleichgültig zeigte.

»Als ich den Häuptlingen die Stellen aus der Bibel vorlas«, sagte Hetty schließlich, »konnte man nicht merken, daß sie irgendeinen Eindruck auf sie machten, aber wenn die Saat gesät ist, muß sie aufgeben.«

»Und war es bei den Wilden so, arme Hetty?« fragte Judith.

»Ja, Judith, und schneller, als ich selbst gehofft habe. Ich blieb nicht lange beim Vater und bei Hurry, sondern ging mit Wah, um mit ihr zu frühstücken. Bald darauf kamen die Häuptlinge zu uns und sagten, was ich ihnen aus dem guten Buch vorgelesen habe, sei wahr, es müsse wahr sein, es klinge wie Wahrheit, wie der wohltönende Gesang eines Vogels in ihren Ohren, und sie sagten mir, ich möge zurückkehren und dies dem großen Krieger sagen, der einen ihrer Tapferen erschlagen hat, und wie glücklich sie wären, wenn sie hier im Kastell zur Kirche kommen und mich noch mehr aus dem heiligen Buch vorlesen hören könnten. Ich soll dir auch sagen, sie ließen dich bitten, ihnen einige Kanus zu leihen, damit sie den Vater und Hurry und ihre Weiber zu dem Kastell bringen könnten. Dann wollten sie sich alle auf die Plattform hier setzen und dem Gesange des Manitu der weißen Männer lauschen, um zu hören, was er den Menschen zu sagen habe.«

Hetty wollte noch weitersprechen, aber Wildtöter winkte ab. »Die Wälder sind voll von diesen Strolchen, und sie warten nur darauf, wie wir ihren Vorschlag aufnehmen. Ich will erst den Indianer da entfernen, ehe wir unseren Plan entwerfen. Laßt mich mit ihm allein, aber bring mir erst die Elefanten, Judith, die die Schlange noch bewundert, denn es wäre nicht klug, diesen jungen Mingo auch nur eine Minute allein zu lassen.«

Judith erfüllte seinen Wunsch. Wildtöter hatte einige Kenntnis von den meisten indianischen Dialekten jener Gegenden und wußte genug vom Irokesischen, um sich in dieser Sprache verständlich zu machen. Er winkte den jungen Indianer zu sich, lud ihn ein, sich auf den Kasten zu setzen, und stellte plötzlich zwei von den Türmen vor ihn hin. Bis zu diesem Augenblick hatte der Jüngling nicht die geringste Neugier gezeigt. Es war vieles in dem Haus, das ihm neu und unbekannt sein mußte, aber er hatte seine Selbstbeherrschung mit großer Ruhe behauptet. Wildtöter bemerkte zwar, daß er seine Augen auf die Verteidigungsmittel und die Waffen richtete, aber es geschah mit einer solchen Miene der Unschuld, in so träger, kindlicher Art, daß nur ein Mann, der in einer ähnlichen Schule erzogen war, seine Absicht hätte erraten können.

Sobald jedoch der Blick des Wilden auf die elfenbeinernen Figuren der wunderbaren, unbekannten Tiere fiel, konnte er sein Erstaunen und seine Bewunderung nicht mehr verbergen. Er stieß einen Ruf des Entzückens aus. Gleich darauf aber wurde er etwas verlegen, als sei er sich einer Verletzung des Schicklichen bewußt. Seine Blicke hefteten sich jedoch wieder auf die Elefanten, er nahm sogar einen nach kurzem Zögern in die Hand.

Wildtöter ließ ihn wohl zehn Minuten lang gewähren, denn er wußte, daß der Jüngling die Merkwürdigkeiten sehr genau untersuchen würde, um bei seiner Rückkehr seinem Häuptling ausführlich berichten zu können. Schließlich aber legte er einen Finger auf das nackte Knie des Indianers und sagte:

»Hör, ich will mit meinem jungen Freund aus Kanada sprechen. Er möge das Wunder eine Minute lang vergessen.«

Der Jüngling blickte auf.

»Hör, zwei weiße Männer sind Gefangene im Lager deiner Väter.«

Der junge Indianer nickte gleichgültig, doch einen Augenblick später lachte er, als freue er sich der überlegenen Schlauheit seines Stammes.

»Kannst du mir sagen, was deine Häuptlinge mit diesen Gefangenen beabsichtigen, oder haben sie noch keinen Beschluß gefaßt?«

Der Jüngling sah Wildtöter einen Augenblick verwundert an, dann berührte er kaltblütig mit der Spitze des Zeigefingers seinen Kopf genau über dem linken Ohr und beschrieb eine Kreislinie um seine Haare, und zwar mit einer Schnelligkeit und Genauigkeit, aus der Wildtöter erkennen konnte, wie vollkommen er schon in den besonderen Kunstgriffen seiner Stammesgenossen unterrichtet war.

»Weshalb wollt ihr sie nicht zu euren Wigwams mitnehmen?« fragte Wildtöter empört.

»Weg zu lange und voll weißer Männer. Wigwams voll und Skalpe teuer verkaufen. Kleiner Skalp, viel Gold.«

»Ja, das ist die Erklärung. Es braucht nicht deutlicher gesagt zu werden. Du weißt, daß der ältere von euren Gefangenen der Vater dieser beiden jungen Frauen hier ist; und der andere hat sich mit einer von ihnen verlobt. Die Mädchen wünschen natürlich, die Skalpe ihrer Freunde zu retten, und sie wollen für jeden Skalp zwei solcher elfenbeinernen Tiere als Lösegeld geben. Kehr zurück und sag dies deinen Häuptlingen und bring mir die Antwort vor Sonnenuntergang.«

Der junge Indianer ging auf diesen Vorschlag hastig ein. Es ließ sich nicht bezweifeln, daß er seinen Auftrag schnell und genau ausführen werde. Er vergaß für einen Augenblick alle feindseligen Gesinnungen und wünschte, seinem Stamm einen solchen Schatz zu verschaffen. Wildtöter war mit dem Eindruck, den er hervorgebracht hatte, zufrieden.

Hierauf ruderte der Jüngling mit seinem Floß wieder fort und schlug die Richtung zu einem Dickicht am Ufer ein, das weniger als eine Viertelstunde entfernt war.

Hetty hatte unterdessen nach dem Delawaren gefragt und war zu ihm gegangen. Chingachgook empfing sie freundlich und mit großer Achtung. Seine Sympathie für sie vergrößerte sich noch durch die Hoffnung, Nachricht von seiner Verlobten zu erhalten. Als das Mädchen eintrat, nahm sie einen Stuhl und lud den Indianer ein, sich neben sie zu setzen. Sie schwieg eine Weile und fragte dann:

»Du bist Chingachgook, die Große Schlange der Delawaren, nicht wahr?«

»Chingachgook«, erwiderte der Delaware mit Würde. »Das Große Schlange heißen.«

Dann schwiegen wieder beide, bis der Indianer fragte: »Keine Zunge Chingachgook genannt haben, Welkende Lilie?« Er redete sie an, wie der Häuptling die arme Hetty genannt hatte. »Sein Name nicht von einem kleinen Vogel unter den Irokesen gesungen?«

Sie antwortete nicht, sondern ließ den Kopf sinken und errötete. Dann blickte sie schelmisch zu dem Indianer auf, und in ihrem Lächeln lag die Unschuld eines Kindes.

»Sie sang den Namen Chingachgook öfter als irgend etwas anderes, und sie lachte herzlich, als ich ihr erzählte, wie die Mingos hinter uns im Wasser her wateten und uns nicht erreichen konnten.«

Hetty machte eine Pause und fuhr dann fort: »Wah sagte mir, ich möge dir leise zuflüstern, du solltest den Mingos in keiner Weise trauen. Ferner sagte sie, es gebe einen großen glänzenden Stern, der ungefähr eine Stunde nach Sonnenuntergang über die Hügel komme. Sobald dieser Stern erscheint, will sie an der Landspitze sein, wo ich das Ufer betrat. Und dorthin mögest du in einem Kanu zu ihr kommen.«

»Gut, Chingachgook gut genug verstehen, aber er noch besser verstehen, wenn meine Schwester noch einmal singen wollen.«

Hetty wiederholte ihre Worte, dann schilderte sie die jetzige Lage des Feindes und die Bewegungen, die seit dem Morgen stattgefunden hatten, denn trotz ihrer Naivität beobachtete sie doch scharf. Wah war mit ihr auf dem Floß gewesen, bis es das Ufer verließ; sie war jetzt, wie Hetty sagte, irgendwo in den Wäldern, dem Haus gegenüber, und beabsichtigte, erst gegen Abend zum Lager zurückzukehren, denn sie hoffte, es werde ihr dann gelingen, von ihren Gefährten fortzuschleichen, um sich an der Landspitze zu verbergen.

Chingachgook dankte Hetty für die Botschaft. Es stand für ihn fest, daß er zur verabredeten Stunde an der Landspitze sein werde.

6

Wildtöter freute sich über die Hoffnungen, die sein Freund hegte, und versprach ihm alle Hilfe.

»Die Befreiung deiner Verlobten«, sagte er, »ist unser Hauptzweck, die Verteidigung der Wasserburg und der Töchter des alten Hutter können wir damit verbinden.«

»Ich will ins Lager der Irokesen«, erwiderte der Mohikarier in ernstem Ton. »Niemand außer Wah kennt Chingachgook, und ein Vertrag über Skalpe soll nur von einem Häuptling abgeschlossen werden. Gib mir die ausländischen Tiere und laß mich ein Kanu nehmen.«

Während Wildtöter seine Beine über den Rand der Plattform hinabhängen ließ, spielte er mit dem Ende einer Angelrute wie ein Mann, dem plötzlich ein neuer Gedanke kommt. Statt den Vorschlag seines Freundes zu beantworten, sprach er nur halblaut vor sich hin.

»Ja, das muß Liebe sein! Ich habe gehört, daß sie bisweilen die Vernunft gänzlich trübt, daß sie einen Mann so hilflos macht wie ein unvernünftiges Tier. Wenn auch der Delaware seine Vernunft, seine Schlauheit und Klugheit verlöre!« Er machte eine Pause und wandte sich dann an den Häuptling: »Das kann nicht dein Ernst sein, Chingachgook, und deshalb will ich dich nur eines fragen: Du bist ein Häuptling und wirst bald an der Spitze vieler Krieger gegen die Feinde geschickt werden. Willst du deine Macht in ihre Hände geben, ehe du gekämpft hast?«

»Wah!« rief der Indianer hastig.

»Jawohl, Wah! Ich weiß allerdings, daß es Wah heißt und immer Wah! Ich bin wirklich besorgt um dich, Chingachgook! Ich hörte nie einen so schlechten Plan von einem Häuptling. Ein Kanu sollst du nicht haben, solange die Stimme der Freundschaft noch etwas gilt.«

»Wildtöter hat recht«, erwiderte der Indianer besonnen. »Eine Wolke verhüllte das Gesicht Chingachgooks, und Schwäche erfüllte seinen Geist, und seine Augen waren trüb. Mein weißer Bruder hat ein gutes Gedächtnis für gute Taten und ein schlechtes Gedächtnis für schlechte Taten. Er wird vergessen.«

»Ja. Sag nichts mehr davon, Häuptling; aber wenn dir wieder eine solche Wolke zu nahe kommt, so suche ihr aus dem Weg zu gehen. — letzt setz dich her zu mir und laß uns unsere Pläne überlegen. Du siehst, die Indianer können Flöße machen; es wird ihnen also nicht zu schwer werden, uns in ganzen Haufen anzugreifen. Ich habe daran gedacht, ob es nicht ratsam wäre, alle Lebensmittel des alten Tom in die Arche zu bringen und das Gebäude zu verschließen. Wir vier begeben uns auf die Arche, denn sie ist beweglich und damit für uns sicherer. Wenn wir das Segel aufspannen und unsere Stellung oft verändern, können wir uns viele Nächte lang halten, ohne daß es diesen kanadischen Wölfen möglich ist, einen Weg zu uns zu finden.«

Chingachgook hörte diesen Plan mit Beifall an. Blieben die Unterhandlungen ohne Erfolg, so war jetzt wenig Hoffnung, daß diese Nacht ohne einen Angriff vorübergehen würde. Auch Judith und Hetty waren mit dem Vorschlag Wildtöters einverstanden, und so beschäftigten sie sich jetzt mit den nötigen Vorbereitungen.

Einige Betten, Kleidungsstücke, Küchengerätschaften, die Waffen und die Munition, schließlich die geheimnisvolle und erst halb untersuchte Truhe, all das wurde in die Arche gebracht, die an der östlichen Seite des Gebäudes befestigt war, so daß man sie vom Ufer aus nicht beobachten konnte.

Gerade als man fertig war, näherte sich wieder das kleine Flo’s vom Ufer her. Wildtöter sah durch das Fernglas und bemerkte, daß sich zwei anscheinend unbewaffnete Krieger auf dem Fahrzeug befanden. Es bewegte sich langsam vorwärts, so daß sie Zeit genug hatten, alles für den Empfang der beiden gefährlichen Gäste vorzubereiten. Chingachgook und die Mädchen zogen sich in das Gebäude zurück, wo sich der Häuptling mit mehreren Flinten an der Tür postierte, während Judith durch eine Schießscharte das Floß beobachtete. Wildtöter stellte einen Stuhl an den Rand der Plattform und nahm darauf Platz. Die Flinte hielt er nachlässig in der Hand. Als das Floß noch etwa fünfzig Fuß entfernt war, rief er den Mingos zu, sie sollten aufhören zu rudern. Die beiden indianischen Krieger standen sofort auf, und das kleine Floß trieb nur langsam auf die Plattform zu.

»Seid ihr Häuptlinge?« fragte jetzt Wildtöter ernst und gewichtig, »oder haben mir die Mingos Krieger ohne Namen gesendet? Wenn das der Fall ist, so wird, je schneller ihr kehrtmacht, wahrscheinlich desto eher der kommen, mit dem ein Krieger unterhandeln kann.«

»Hugh!« rief der ältere von den beiden auf dem Floß. »Mein Bruder ist sehr stolz, aber Rivenoak ist ein Name, der einen Delawaren erbleichen lassen kann.«

»Das kann wahr sein, oder es kann eine Lüge sein, Rivenoak, je nachdem. Was ist eure Absicht, und weshalb kommt ihr auf Baumstämmen?«

»Die Irokesen sind keine Enten, die auf dem Wasser schwimmen können. Wenn die weißen Männer ihnen ein Kanu geben wollen, so werden sie in einem Kanu kommen.«

»Das wird wahrscheinlich niemals geschehen, aber ihr seid willkommen auf euren Baumstämmen, Mingos.«

»Wir danken, mein junger Krieger; er hat doch einen Namen — wie nennen ihn die Häuptlinge?«

Wildtöter zögerte einen Augenblick, doch konnte er schließlich nicht widerstehen. Er lächelte, murmelte etwas vor sich hin und sagte dann:

»Mingo, ich war wie alle, die jung sind, zu verschiedenen Zeiten unter verschiedenen Namen bekannt. Einer eurer Krieger, dessen Geist erst gestern früh aufflog zu dem glücklichen Jagdgebiet eures Volkes, meinte, ich verdiene den Namen Falkenauge, weil mein Blick schneller war als der seine, da es Tod und Leben zwischen uns galt.«

Rivenoak stieß einen Ruf der Überraschung aus. Ihm folgte ein Lächeln der Höflichkeit, das einem asiatischen Diplomaten Ehre gemacht hätte. Die beiden Irokesen sprachen schließlich leise miteinander, und beide näherten sich nun dem Ende des Floßes, das der Plattform am nächsten war.

»Mein Bruder Falkenauge hat eine Botschaft an die Irokesen geschickt«, sagte Rivenoak, »und sie hat ihre Herzen erfreut. Sie hören, daß er Figuren von Tieren mit zwei Schwänzen besitzt. Will er sie seinen Freunden zeigen.«

»Feinden würde wahrer sein«, erwiderte Wildtöter, »aber der Klang der Worte ist nicht ihr Sinn und tut wenig Schaden. Hier ist eins der Tiere, ich werfe es euch auf Treu und Glauben zu. Wenn ich’s nicht zurückerhalte, so wird die Flinte zwischen uns entscheiden.«

Der Irokese schien auf die Bedingung einzugehen, und Wildtöter warf schnell entschlossen einen der Elefanten zum Floß hinüber. Die kleine, elfenbeinerne Figur wurde glücklich aufgefangen, und Erstaunen und Entzücken gewannen auch diesmal die Oberhand über die indianische Selbstbeherrschung. Mehrere Minuten vergingen mit der genauen Untersuchung einer so vortrefflichen Arbeit, eines so feinen Materials, eines so wunderbaren Tieres. Je länger die Indianer die Figur betrachteten, desto begeisterter schienen sie zu werden.

»Hat mein weißer Bruder noch mehr solcher Tiere?« fragte schließlich der ältere der beiden Irokesen.

»Es sind noch mehr da, Mingo«, war die Antwort, »aber ein solches Tier genügt, um fünfzig Skalpe abzukaufen.«

»Einer meiner Gefangenen ist ein großer Krieger, schlank wie eine Tanne, stark wie das Elen, schnell wie der Hirsch, wild wie der Panther! Er wird dereinst ein großer Häuptling werden und die Armee des Königs Georg anführen.«

»Still, Mingo! Harry Hurry ist Harry Hurry, und du wirst nie mehr aus ihm machen als einen Korporal. Du wirst seinen Skalp nie für mehr ausgeben können als für einen wohlbehaarten Schädel mit wenig Gehirn.«

»Mein alter Gefangener ist sehr weise, der König des Sees, ein großer Krieger, ein weiser Ratgeber.«

»Nun, es gibt Leute, die dem auch widersprechen könnten, Mingo. Ein sehr weiser Mann hätte sich nicht so leicht fangen lassen wie Meister Hutter, und wenn er einen guten Rat gibt, so muß er bei jener Gelegenheit auf schlechten gehört haben. Es gibt nur einen König dieses Sees, und der ist weit entfernt. Ein Tier mit zwei Schwänzen ist doch gewiß zwei solche Skalpe wert.«

»Aber mein Bruder hat noch ein solches Tier! Er wird zwei« — und der Indianer hielt ebenso viele Finger empor — »für den alten Vater geben.«

»Der Schwimmende Tom ist nicht mein Vater, aber es soll ihm deshalb nicht schlimmer ergehen. Doch zwei Tiere für einen Skalp zu geben, und jedes Tier noch dazu mit zwei Schwänzen, das ist zuviel verlangt. Du kannst sehr zufrieden sein, Mingo, wenn du einen viel schlechteren Handel machst.«

Die Selbstbeherrschung Rivenoaks kehrte jetzt zurück, und er nahm zu seinen gewöhnlichen Kunstgriffen Zuflucht, um den möglichst besten Handel abzuschließen. Er stellte sich, als hege er Zweifel, ob ein solches Tier, wie die Figur es darstellte, wirklich irgendwo lebe, und behauptete, der älteste Indianer habe nie etwas davon gehört. Er wurde im Verlauf der Verhandlungen etwas heftig, denn Wildtöter begegnete allen Beweisgründen und Einwürfen seines Gegners mit seiner unerschütterlichen Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit. Was ein Elefant war, wußte er kaum besser als der Wilde. Er hielt es aber für ratsam, anfangs nicht zuviel zu bewilligen, denn selbst wenn man sich über die Bedingungen geeinigt hatte, blieb noch die Schwierigkeit des Austausches bestehen. Er hielt die anderen Figuren noch zurück, um sie im Augenblick der Not als beschwichtigendes Mittel benutzen zu können.

Endlich erklärte der Wilde, eine weitere Unterhaltung sei sinnlos, und bereitete sich schon zur Abfahrt vor. Beiden Parteien war es im Grunde nicht recht, den Handel wegen allzu großer Hartnäckigkeit abzubrechen. Es dauerte daher einige Zeit, um die Baumstämme wieder in Bewegung zu setzen, und solange das geschah, betrachtete Rivenoak mit scharfem Blick die Wasserburg und seine Gegner. Einmal sprach er leise und schnell mit seinem Gefährten und bewegte zugleich seine Füße wie ein wildes Tier in den Zweigen, die auf dem Floß lagen. In diesem Augenblick paßte Wildtöter nicht auf, denn er dachte über Mittel nach, die Unterhandlung wieder in Gang zu bringen. Es war vielleicht ein Glück für ihn, daß Judith diesmal so wachsam war, denn sie rief ihm warnend zu:

»Nimm dich in acht, Wildtöter, ich sehe mit dem Fernrohr Flinten unter den Zweigen, und der Mingo macht sie mit seinen Füßen los.«

Der Feind verstand offenbar die Worte des Mädchens, denn die Bewegung seiner Füße hörte auf, und der Ausdruck wilden Zornes in seinem Gesicht ging ebenso schnell in ein Lächeln der Höflichkeit über. Er winkte seinem Gefährten zu, er möge aufhören zu rudern, trat dann noch einmal an das Ende des Floßes und sagte:

»Weshalb sollen Rivenoak und sein Bruder eine Wolke zwischen sich lassen? Sie sind beide weise, beide tapfer und beide großmütig. Sie sollen einander als Freunde kennen. Ein Tier soll der Preis eines Gefangenen sein.«

»Mingo«, antwortete Wildtöter, der sich freute, die Unterhandlung wiederaufnehmen zu können, »du sollst sehen, daß ein weißer Mann einen vollen Preis zu bezahlen pflegt. Behalte das Tier, das du zurückzugeben vergaßest, als du dich entfernen wolltest, und das ich wiederzuverlangen vergaß, weil es mich betrübte, im Zorn von dir zu scheiden. Zeig es deinen Häuptlingen. Wenn du uns unsere Freunde bringst, will ich dir noch zwei solche Tiere geben, und« — hier zögerte er einen Augenblick — »und wenn uns unsere Freunde noch vor Sonnenuntergang wieder zugeführt werden, so füge ich vielleicht noch ein viertes Tier hinzu, um die Zahl gerade zu machen.«

Jede Spur von Unzufriedenheit verschwand jetzt aus dem Gesicht des Irokesen, und sein Lächeln wurde freundlich. Abermals besah er die Figur des Elefanten, und ein Ausruf des Vergnügens zeigte, wie sehr ihn dieser unerwartete Abschluß der Angelegenheit freute. Nachdem die beiden Indianer die Bedingungen nochmals anerkannt hatten, entfernten sie sich mit dem Floß langsam zum Ufer hin.

Die Aussichten auf Erfolg waren im Augenblick gut. Man konnte wieder hoffen, obgleich es leichtsinnig gewesen wäre, in der bisherigen Wachsamkeit nachzulassen. Doch eine Stunde verging nach der anderen, und schon neigte sich die Sonne den westlichen Hügeln zu, ohne daß man eine Spur von einem Floß bemerken konnte. Endlich — ein letzter schwacher Sonnenschimmer lag noch gerade auf dem Wasser — sah man das Floß wieder aus dem Dickicht hervorkommen, und als es sich näherte, verkündete Judith, ihr Vater und Hurry lägen gebunden auf den Baumzweigen in der Mitte. Die Indianer ruderten der Verzögerung wegen sehr eifrig, so daß das Floß in kurzer Zeit ankam.

Obgleich die Bedingungen genau festgelegt waren, gab die eigentliche Überlieferung der Gefangenen viele Schwierigkeiten auf. Die Irokesen sahen sich gezwungen, großes Vertrauen in ihre Feinde zu setzen, wozu sie sich nicht ohne Widerstreben entschließen konnten. Sobald nämlich Hutter und Hurry freigelassen waren, waren die Weißen in der Überzahl; die Angelegenheit würde vielleicht nicht so bald erledigt worden sein, wenn das ehrliche Gesicht Wildtöters nicht seine gute Wirkung auf Rivenoak ausgeübt hätte.

»Mein Bruder weiß, daß ich ihm vertraue«, sagte der Indianer, als er mit Hutter vortrat, dessen Beine losgebunden worden waren. »Ein Skalp, noch ein Tier!«

»Du bist willkommen in deiner alten Wohnung, Meister Hutter«, sagte Wildtöter, als er dem Alten auf die Plattform half und zugleich Rivenoak verstohlen einen der Türme einhändigte. »Deine Töchter werden sich sehr freuen, dich wiederzusehen, und hier ist Hetty, die schon kommt, um dich zu begrüßen.«

Der Jäger hielt plötzlich inne und brach in sein geräuschloses, ihm eigentümliches Lachen aus. Hurrys Beine waren entfesselt worden. Da er aber zu fest gebunden gewesen war, hatte er seine Glieder nicht gleich in der Gewalt. Der junge Riese bot in seiner Hilflosigkeit einen lächerlichen Anblick. Besonders heiter wirkte sein verdutztes Gesicht.

»Du siehst aus wie eine Tanne, die der Sturm bewegt«, rief der Jäger. »Es freut mich aber, zu sehen, daß dir die Irokesen bei deinem letzten Besuch im Lager die Haare gelassen haben, wie sie waren.«

»Höre, Wildtöter«, erwiderte der andere ärgerlich, »es dürfte ratsam für dich sein, daß du bei dieser Gelegenheit weniger deinen Witz als deine Freundschaft zeigst.«

Wildtöter band die Arme seiner Freunde los, und diese stampften und sprengen jetzt mit wilden Verwünschungen auf der Plattform umher und bemühten sich, ihr stockendes Blut wieder in Bewegung zu bringen. Das Floß war schon hundert Schritt von der Wasserburg entfernt, als Hurry entdeckte, wie schnell es seiner Rache entging. Er griff nach der Flinte, die an Wildtöters Schulter hing, und versuchte den Hahn zu spannen. Doch der junge Jäger war zu schnell für ihn. Er entwand ihm die Waffe, und der Schuß ging in die Luft.

Der Abend begann jetzt, den See in seinen Schatten zu hüllen, und bald war das Floß in der Unendlichkeit der hereingebrochenen Dämmerung verschwunden.

7

Auch Hutter billigte Wildtöters Plan, das Gebäude während der Nacht zu verlassen und in die Arche zu übersiedeln. Jetzt, da die Wilden einmal mit dem Bau von Flößen begonnen hatten, konnte kein Zweifel mehr darüber herrschen, daß sie den Versuch machen würden, das Haus zu erobern. Der alte Mann glaubte, daß wahrscheinlich schon in der bevorstehenden Nacht ein Angriff erfolgen werde, und sobald man sich ein wenig erholt und ein Abendessen eingenommen hatte, forderte er alle auf, sich so schnell wie möglich fertigzumachen. Alle nötigen Maßregeln wurden rasch und umsichtig getroffen, die Kanus hinter den Palisaden hervorgezogen und an der Arche befestigt, die wenigen Sachen, die man im Haus gelassen hatte, in die Kajüte gebracht, das Feuer ausgelöscht und die Wasserburg verschlossen und gesichert. Schließlich bestiegen alle die Arche.

Als Hutter das Fahrzeug von der Plattform stieß, konnte er nicht sagen, aus welcher Richtung der Wind kam. Er zog aber seine Segel auf, da es gefährlich werden konnte, länger in der Nähe des Hauses zu bleiben. Die Arche setzte sich in Bewegung, und zwar, wie sich herausstellte, in westlicher Richtung.

Die Ruhe der Nacht hatte sich über den See gesenkt. Der Himmel war schwer und düster, und ein leichter Wind strich über das Wasser.

Die Menschen in der Arche waren still und in sich gekehrt. Hutter und Hurry fühlten sich nach den vergangenen Ereignissen dringend ruhebedürftig. Deshalb hüllten sie sich bald in ihre Decken und schliefen auch gleich ein.

Um so ungestörter konnten sich Wildtöter und Chingachgook mit ihrer Aufgabe befassen, Wah-ta-Wah zu befreien. Vorsichtig steuerte Wildtöter die Arche auf jene Landzunge zu, auf der Wah-ta-Wah sie erwarten wollte. Er hielt sich dabei so weit wie möglich im Schatten der Wälder und Buchten. Es wurde wenig gesprochen. Der Indianer war scheinbar ruhig, aber als sie sich ihrem Ziel immer mehr näherten, wurde er doch aufgeregt.

Sie waren noch etwa eine Viertelstunde von der Landspitze entfernt, als Chingachgook zu seinem Freund trat und auf eine Stelle am Ufer deutete. Ein kleines Feuer glimmte dort im Gebüsch an der südlichen Seite der Landzunge. Ohne Zweifel hatten die Indianer ihr Lager auf den gleichen Ort verlegt, den Wah für das Treffen mit ihrem Verlobten bestimmt hatte. Es war daher schwierig, das Fahrzeug unentdeckt bis an die Halbinsel treiben zu lassen.

Auf ein verabredetes Zeichen ließ Chingachgook das Segel nieder und warf den Anker aus. Die Stellung, in der sich die Arche jetzt befand, hatte Vor- und Nachteile. Das Ufer lag nun fast zu nahe. Es war aber anzunehmen, daß kein Floß in der Nähe war, und wenn sich auch die Bäume in der Dunkelheit fast über die Fähre zu neigen schienen, so wäre es doch schwer gewesen, ohne ein Boot an sie heranzukommen. Zudem lag sie gut verborgen im dunklen Schatten des Waldes. Eine Entdeckung war also kaum zu befürchten, solange sie sich hüteten, ein Geräusch zu machen.

»Jetzt ist es Zeit, daß wir hinüberfahren«, sagte Wildtöter schließlich. »Der Stern ist zwar noch nicht aufgegangen, aber seine Zeit ist bald da, auch wenn er uns wegen der Wolken unsichtbar bleiben wird. Ich wette, daß Wah-ta-Wah keine Minute zu spät kommt und uns genau an der verabredeten Stelle erwartet — es sei denn, die Mingos hätten Verdacht geschöpft und wollten sie als Locktaube benutzen, um uns zu fangen.«

»Wildtöter«, sagte jetzt Judith, die demAusgang des geplanten Unternehmens mit Bangen entgegensah, »das ist ein gefährliches Vorhaben. Weshalb müssen zwei ihr Leben und ihre Freiheit aufs Spiel setzen?«

»Du vergißt, Judith«, antwortete Wildtöter, »daß wir beide nur deswegen an diesen See gekommen sind. Der Delaware kann natürlich auch allein ein Kanu rudern und Wah herbringen; doch ist es gut, einen zuverlässigen Freund bei sich zu haben. Nein, Judith, du würdest einen Freund in einem solchen Augenblick auch nicht im Stich lassen!«

»Ich glaube, du hast recht, Wildtöter. Versprich mir aber, daß du dich nicht unter die Indianer wagst.«

Wildtöter lachte auf seine eigene, geräuschlose Art, ohne zu antworten. Dann gab er Chingachgook ein Zeichen, ihn zu folgen. Judith blickte ihnen lange unbeweglich nach.

Der Indianer und sein Freund begannen ihr gefährliches Unternehmen mit einer Sicherheit, die erfahrenen Männern Ehre gemacht hätte. Chingachgook saß an der Spitze des Kanus, während Wildtöter am hinteren Ende ruderte. So konnte der junge Häuptling als erster das Land betreten und seiner Geliebten als erster begegnen.

Statt jedoch in gerader Linie auf die Landspitze zu steuern, die von der Arche nicht viel mehr als tausend Schritt entfernt sein konnte, führte Wildtöter das Kanu schräg zur Mitte des Sees, um eine Stelle zu finden, von der aus sie, wenn sie sich dem Ufer näherten, die Feinde vor sich haben würden. In der zunehmenden Dunkelheit ließen sich gerade noch die Umrisse der Berge unterscheiden. Der Delaware wandte den Kopf vergebens nach Westen, um den Stern zu sehen; Wolken bedeckten fast den ganzen Himmel.

Die Landspitze lag jetzt tausend Fuß entfernt vor ihnen, von der Wasserburg war nichts zu sehen, und die Arche verschwand vollständig im Schatten der Küste.

Die beiden Männer besprachen sich mit leiser Stimme. Wildtöter glaubte, es fehlten noch einige Minuten bis zum Aufgang des Sternes. Der Häuptling aber war schon ungeduldig, und darum steuerten sie sogleich der Landzunge zu. Äußerste Vorsicht war jetzt geboten. Die Ruder wurden ebenso geräuschlos gehoben wie gesenkt, und ungefähr hundert Schritt vom Ufer entfernt zog Chingachgook sein Ruder ganz ein und griff zur Flinte. Als sie in den Schatten der Wälder glitten, bemerkten sie, daß sie zu weit nach Norden gesteuert hatten, und änderten deshalb die Richtung. Das Kanu schien jetzt wie von eigenem Instinkt geleitet, es glitt behutsam vorwärts, bis es auf den Kiesboden stieß, genau dort, wo Hetty gelandet war.

Chingachgook sprang leise an Land und untersuchte das Ufer. Er mußte öfters bis an die Knie im See waten, aber Wah-ta-Wah war nicht zu finden. Als er zurückkehrte, fand er seinen Freund ebenfalls am Ufer. Sie berieten flüsternd. Der Indianer befürchtete, sie hätten den Ort der Zusammenkunft verfehlt. Wildtöter dagegen glaubte, daß sie zu früh gekommen seien.

Während er noch sprach, ergriff er den Arm des Delawaren und zeigte nach den Spitzen der östlichen Berge. Die Wolken hatten sich dort etwas geöffnet, und der Abendstern funkelte zwischen den Zweigen einer Tanne. Das war auf jeden Fall ein glückliches Vorzeichen, und die jungen Männer stützten sich auf ihre Flinten und lauschten auf den Ton sich nähernder Schritte. Sie hörten oftmals etliche Stimmen, unterdrücktes Geschrei von Kindern und leises Lachen indianischer Weiber. Die beiden vermuteten daher, daß sie dem Lager sehr nahe seien. Sie konnten leicht bemerken, daß im Wald Feuer brannte, weil einige hohe Wipfel beleuchtet waren. Manchmal schien es ihnen auch, als ob sich jemand vom Feuer her nähere, aber sie mußten sich entweder getäuscht haben, oder der Betreffende war zurückgekehrt, ohne bis ans Ufer zu kommen.

Als sie etwa eine Viertelstunde gewartet hatten, schlug Wildtöter vor, im Kanu weiterzurudern, bis sie das Lager sehen könnten. Chingachgook weigerte sich aber, die Stelle zu verlassen. Dafür hatte Wildtöter Verständnis und schlug vor, allein um die Landspitze herumzurudern, während sich der andere in den Büschen verborgen halten sollte.

Sobald Wildtöter wieder im Kanu war, verließ er das Ufer langsam, vorsichtig und geräuschlos. Er entfernte sich nicht weit vom Lande, da die Büsche ihn hinreichend deckten. Bevor er aber etwas vom Feuer erblicken konnte, mußte er so weit rudern, daß er mit dem Lager und der Arche fast in einer Linie lag. Das Herüberleuchten des Lagerfeuers geschah jedoch so plötzlich und unerwartet, daß er befürchtete, sich zu unvorsichtig in den Lichtstreifen, den die Flammen auf das Wasser warfen, gewagt zu haben. Aber er erkannte sofort, daß er ziemlich sicher davor war, entdeckt zu werden, solange die Indianer um das Feuer saßen.

Vom Kanu aus konnte er das Lager deutlich übersehen. Die Indianer hatten soeben einen großen Brand entfacht, an dem sie ihre Abendmahlzeit zubereiteten. Das Laubgewölbe zeigte sich im ledernden Licht der Flammen.

Wildtöter sah auf einen Blick, daß viele Krieger abwesend waren. Seinen Bekannten Rivenoak jedoch bemerkte er im Vordergrund. Das ernste, wilde, von den Flammen hell beleuchtete Gesicht des Häuptlings war einem elfenbeinernen Elefanten zugewandt, den er einem anderen Indianer hinhielt. Ein Knabe blickte neugierig über seine Schulter. Etwas im Hintergrund lagen acht bis zehn Krieger auf der Erde oder lehnten sich mit dem Rücken gegen die Bäume. Sie hatten alle ihre Waffen in der Nähe.

Die Gruppe jedoch, die Wildtöters Aufmerksamkeit am meisten erregte, war die der Weiber und Kinder. Sie lachten und schwatzten in ihrer verstohlenen und heimlichen Art. Eine Alte aber saß mit wachsamem, mürrischem Blick da, und Wildtöter schloß aus ihrer Stimmung, daß sie von einem der Häuptlinge irgendeinen unangenehmen Auftrag erhalten haben müsse. Er sah sich besorgt nach Wah um. Sie war nirgends zu sehen. Einige Male glaubte er, ihre Stimme zu erkennen, seine Ohren waren durch die sanften Töne, die den Indianerinnen eigentümlich und für ihr Wesen besonders kennzeichnend sind, getäuscht worden.

Die Alte sprach jetzt laut und zornig, und Wildtöter bemerkte bald darauf einige dunkle Gestalten im Hintergrund der Bäume. Zuerst zeigte sich ein junger Krieger, dann folgten zwei Mädchen, von denen Wildtöter die eine als die Verlobte des Delawaren erkannte. Der Jäger begriff jetzt alles. Wah wurde bewacht, vielleicht von ihrem jungen Gefährten, gewiß von der alten Frau. Der junge Mann bewarb sich wahrscheinlich um sie. Es war dem Mädchen offensichtlich nicht möglich gewesen, sich zu entfernen, um zur bestimmten Zeit an dem verabredeten Ort zu erscheinen. Wildtöter bemerkte ihre Unruhe daran, daß sie öfters zu den Wipfeln der Bäume hinaufblickte, als wollte sie nach dem Stern schauen. Von diesem deutlichen Zeichen ihrer Unruhe aber abgesehen, schlenderte Wah in scheinbarer Gleichgültigkeit umher; schließlich verließen ihre Begleiter sie und setzten sich zu den anderen Frauen.

Wildtöter ging jetzt mit sich zu Rate. Er war überzeugt, daß Chingachgook sich nicht überreden lassen werde, zur Arche zurückzufahren, ohne vorher irgendeinen verzweifelten Versuch zur Befreiung seiner Geliebten zu wagen. Einige Vorkehrungen im Lager ließen darauf schließen, daß sich die Indianerinnen bald zur Ruhe begeben würden. Wildtöter beschloß deshalb, zu seinem Freund zurückzurudern.

Er fand den Delawaren noch auf seinem Posten. Mit großer Erregung erzählte er seinem Freund, was er gesehen hatte. Daß Wah von einer alten Frau bewacht wurde, verriet, wie vorsichtig die Indianer geworden waren.

Die jungen Männer zogen jetzt kurz entschlossen das Kanu so ans Land, daß Wah-ta-Wah es sehen mußte, wenn sie vor ihrer Rückkehr hierherkommen sollte. Dann luden sie ihre Flinten, weil sie in den Wald eindringen wollten. Ungefähr in der Mitte zeigte die Landzunge eine mäßige Erhebung und wurde so in eine nördliche und eine südliche Hälfte geteilt. Auf der Südseite hatten die Mingos ihr Lagerfeuer brennen, um es vor ihren Feinden zu verbergen, da sie diese noch in der Wasserburg vermuteten, die in nördlicher Richtung lag. Auch ergoß sich nahe ihrem Lager ein Bach in den See, so daß sie an Trinkwasser keinen Mangel hatten.

Die kleine Erhöhung hinter dem indianischen Lager begünstigte die heimliche Annäherung der beiden Abenteurer. Wildtöter drang nicht unmittelbar neben dem Kanu ins Ufergebüsch, sondern folgte der Bucht nach Norden, bis er fast an der gegenüberliegenden Seite der Landzunge, also ganz im Schutz der Anhöhe, war. Sobald die beiden Freunde aus den Büschen traten, blieben sie stehen. Das Feuer warf sein Licht in die Wipfel der Bäume. Nun schlichen die zwei jungen Männer vorsichtig auf die Anhöhe, und zwar Wildtöter vor dem Delawaren, damit dieser zu keiner Unbesonnenheit verleitet würde.

Sie hatten bald jene Stelle erreicht, wo der gefährlichste Teil ihres Unternehmens begann. Der Jäger bewegte sich mit außerordentlicher Vorsicht und nahm seine Flinte so in den Arm, daß der Lauf nicht sichtbar wurde und er trotzdem die Waffe in der Not sofort gebrauchen konnte. So schlich er langsam vor, bis er hoch genug stand, um über die Anhöhe sehen zu können. Chingachgook trat jetzt an seine Seite, und beide verharrten, um das Lager genau zu beobachten. Um sich jedoch den Rücken bei einem Angriff von hinten zu decken, lehnten sie sich gegen den Stamm einer Eiche.

Auf Baumstämmen rund um das hellodernde Feuer saßen dreizehn Krieger. Sie sprachen sehr lebhaft, allem Anschein nach über die Schachfigur, denn diese ging von Hand zu Hand. Die Indianerinnen waren noch versammelt, und zwar ungefähr so, wie sie Wildtöter vom See aus gesehen hatte. Die Entfernung von den Kriegern bis zur Eiche betrug ungefähr vierzig Schritt. Die Frauen dagegen waren etwa nur noch halb so weit entfernt. Da sich jedoch die Indianerinnen in ihren leisen, sanften Tönen unterhielten, war es den beiden Lauschenden doch unmöglich, einzelnes von ihrem Gespräch zu verstehen.

Wildtöter spürte das Zittern des Freundes und legte ihm mahnend eine Hand auf die Schulter. Beide hörten gespannt den Reden zu, aus denen der Häuptling bald die Stimme Wah-ta-Wahs herauskannte. Er veranlaßte plötzlich seinen Freund, sich niederzubeugen, so daß sie ganz im Schatten waren. Dann machte er ein Geräusch, das so sehr dem zirpenden Geschrei der kleinsten Art des amerikanischen Eichhörnchens glich, daß selbst Wildtöter glaubte, das Geschrei rühre von einem dieser Tiere her. Der Ton war in den Wäldern so bekannt, daß ihn niemand unter den Mingos beachtete. Wah jedoch hörte plötzlich zu sprechen auf und saß bewegungslos da. So groß war ihre Selbstbeherrschung, daß sie sich nicht einmal umsah. Sie hatte das Zeichen vernommen, mit dem ihr Geliebter sie so oft vom Wigwam zu einer geheimen Zusammenkunft gerufen hatte.

Chingachgook war nun überzeugt, daß ihr seine Gegenwart bekannt sei. Dadurch hatte er schon viel erreicht. Er zweifelte nicht, daß Wah ihm bei dem Versuch, sie zu befreien, nach besten Kräften helfen würde. Wildtöter richtete sich wieder auf, als der Schrei verklungen war. Er bemerkte die Veränderung im Wesen und Benehmen des Mädchens, das sich nur noch oberflächlich an dem Gespräch beteiligte. Nach längerer Zeit erst wagte sie, ihr Gesicht der Richtung zuzuwenden, aus der der Laut des Eichhörnchens gekommen war. Ihre Bewegungen waren natürlich, aber behutsam. Sie dehnte die Arme und gähnte, als ob sie sehr schläfrig wäre. Wieder vernahm sie das Eichhörnchengeschrei und wußte nun, wo ihr Geliebter war. Es wurde Zeit für sie, zu handeln.

Ihre Schlafstätte war in einer kleinen Hütte, die ganz in der Nähe lag. Befand sie sich aber einmal in der Hütte, vor deren Öffnung ihre ständige Begleiterin, die runzlige Alte, die nachts nur wenig und leicht schlief, zu liegen pflegte, war ihre Flucht so gut wie vereitelt.

Glücklicherweise rief gerade jetzt ein Krieger die Alte und wollte Wasser zum Trinken haben. Sie nahm sofort eine Kürbisflasche, rief Wah und ging auf die Anhöhe zu. Die beiden Männer sahen alles und traten in das Dunkel zurück. Die Alte hielt Wah fest an der Hand. Als sie an dem Baum vorbeikamen, hinter dem Chingachgook und sein Freund standen, griff der Indianer nach seinem Tomahawk, um das Weib niederzuschlagen. Wildtöter erkannte jedoch die Gefährlichkeit dieses Streiches, denn ein einziger Schrei konnte alle Krieger herbeiziehen. Er verhinderte deshalb den Hieb.

Als die beiden vorüber waren, wiederholte Chingachgook das Eichhörnchengeschrei. Die Alte blieb stehen und sah auf den Baum. In diesem Augenblick war sie nur sechs Fuß von ihren Feinden entfernt. Sie wunderte sich, daß ein Eichhörnchen so spät in der Nacht noch in Bewegung sei, und sagte, daß dies nichts Gutes bedeute. Dann gingen die beiden Frauen zur Quelle weiter, während die jungen Männer verstohlen folgten.

Das alte Weib hatte die Kürbisflasche gefüllt und wollte schon zurückkehren, als sie plötzlich so heftig an der Kehle gepackt wurde, daß sie ihre Gefangene losließ und nur einen gurgelnden Laut hervorbringen konnte. Chingachgook ergriff die Hand seiner Geliebten und lief mit ihr durch die Büsche auf die nördliche Seite der Landzunge. Dort rannten sie längs dem Ufer weiter bis zum Kanu.

Wildtöter hielt die Alte fest an der Kehle und ließ sie nur dann und wann Atem holen. Es gelang ihr jedoch, zu schreien und ihre Leute im Lager aufmerksam zu machen. Wildtöter hörte deutlich einige Krieger näher kommen, und im nächsten Augenblick erschienen drei oder vier oben auf der Anhöhe. Sie nahmen sich gegen den hellen Hintergrund wie die dunklen Figuren eines Schattenspiels aus. Nun war es für den Jäger höchste Zeit, sich zurückzuziehen. Er schleuderte seine Gefangene heftig zu Boden und verschwand schnell im dichten Unterholz.

Einen Augenblick später erreichte er das Ufer und stieß auf Chingachgook, der mit Wah schon im Kanu stand. Wildtöter reichte schnell seine Flinte hinüber und beugte sich vor, um das Boot vom Ufer zu stoßen. Fast im gleichen Augenblick aber sprang ein riesenhafter Indianer wie ein Panther auf seinen Rücken. Alles hing jetzt an einem Haar, ein einziger falscher Schritt hätte alles vereitelt. Wildtöter sammelte seine ganzen Kräfte zu einer verzweifelten Anstrengung, stieß das Kanu plötzlich weit in den See und fiel selbst mit dem Gesicht nach vorn ins Wasser. Sein Gegner mußte ihm natürlich folgen.

Obgleich das Wasser einige Schritte weiter sehr tief war, reichte es doch dicht am Ufer den Kämpfenden nur bis an die Brust. Wildtöters Hände waren frei, und der Wilde sah sich genötigt, ihn loszulassen, um sein eigenes Gesicht über dem Wasser zu halten. Eine halbe Minute lang kämpften sie verzweifelt. Dann standen beide aufrecht und hielten einander an den Armen fest. Jetzt aber sprangen ein halbes Dutzend Indianer in das Wasser, um ihrem Freund beizustehen. Wildtöter mußte sich gefangengeben.

8

Triumphierend schleppten die Mingos den Gefangenen zum Lagerfeuer. Sie hatten glücklicherweise das Kanu nicht bemerkt, obgleich es dem Ufer noch nahe war. Wildtöters Gegner fand erst nach einiger Zeit Atem und Gedächtnis wieder, denn er war von dem Jäger fast bis zum Ersticken gewürgt worden. Und als er nun erzählte, wie das Mädchen entfloh, war es zu spät, die Flüchtlinge noch zu verfolgen. Sobald nämlich Wildtöter im Gebüsch verschwunden war, hatte sich Chingachgook mit dem leichten Kanu entfernt und war zunächst der Mitte des Sees und dann erst, außer Schußweite, der Arche zugesteuert.

Als Wildtöter am Feuer ankam, fand er sich von nicht weniger als acht Wilden, unter denen auch sein alter Bekannter Rivenoak war, umgeben. Sobald der Häuptling dem Gefangenen ins Gesicht gesehen hatte, sprach er schnell mit seinen Gefährten, die einen leisen Ausruf des Vergnügens ausstießen. Sie wußten jetzt, daß sich der Besieger ihres Freundes, der am gegenüberliegenden Ufer des Sees getötet worden war, in ihren Händen befand, ihrer Gnade oder Rache ausgeliefert. Aus den wilden Blicken, die sie auf den Gefangenen warfen, sprach doch auch Bewunderung, die seiner Kaltblütigkeit und seinen früheren Taten galt.

Die Arme Wildtöters waren nicht gefesselt. Sobald man ihm sein Messer genommen hatte, ließ man seine Hände frei. Die einzige Vorsichtsmaßnahme waren eine unermüdliche Wachsamkeit und ein starkes Seil aus Baumrinden, das von einem seiner Fußknöchel zum andern ging. Dieses Seil hinderte ihn zwar nicht am Gehen, machte jedoch eine Flucht unmöglich. Ein derartiges Verhalten war eine Anerkennung seiner Kühnheit, und sie schmeichelte ihm auch ein wenig. Er hatte vermutet, daß man ihn binden würde, wenn die Krieger schliefen. Aber im Augenblick der Gefangenschaft gebunden zu werden bewies, daß er bereits einen guten Ruf hatte. Die Rothäute, die von den Bewegungen der Arche nichts wußten, schrieben die Auffindung ihres neuen Lagers der Wachsamkeit dieses schlauen Feindes zu. Die Art, wie er sich auf die Landzunge gewagt hatte, die Entführung Wah-ta-Wahs, die Selbstaufopferung des Gefangenen und die Schnelligkeit, mit der er das Kanu vom Ufer stieß, alles dies begründete seinen wachsenden Ruhm. Man gestattete ihm, sich auf das Ende eines Baumstammes an das Feuer zu setzen, um seine Kleider zu trocknen. Der Krieger, der noch vor kurzem sein Gegner gewesen war, stand neben ihm. Auch er trocknete seine Kleider an der Glut, während er hie und da nach seiner Kehle griff. Die anderen berieten in der Nähe.

Nach einer Weile trat die alte Frau, die »Bärin« genannt wurde, mit geballten Fäusten und funkelnden Augen auf Wildtöter zu. Bisher hatte sie geschrien, ausdauernd und erfolgreich, und da es ihr wirklich gelungen war, alle im Lager in Aufregung zu bringen, wandte sie jetzt ihre Aufmerksamkeit dem Gefangenen zu. Sie schüttelte ihre Fäuste vor seinem Gesicht und schrie: »Hund, Stinktier, Marder, Igel, Schwein, Ferkel, Kröte, Spinne, Engländer —«

Wildtöter blieb gleichgültig. Die Zunge eines alten Weibes konnte einen Krieger nie verletzen, das wußte er. Durch das Dazwischentreten Rivenoaks, der die Alte beiseite schob, wurde er aber vor weiteren Beschimpfungen bewahrt. Rivenoak setzte sich neben seinen Gefangenen.

»Mein weißer Freund ist sehr willkommen«, sagte er mit einem vertraulichen Kopfnicken und einem verstohlenen Lächeln. »Die Mingos unterhalten ein starkes Feuer, um die Kleider des weißen Mannes daran zu trocknen.«

»Ich danke dir, Mingo!« erwiderte der Jäger. »Ich danke für dein Willkommen, und ich danke dir für das Feuer. Beides ist gut in seiner Art, das letztere besonders, wenn man aus dem kalten Wasser kommt.«

»Falkenauge ist kein Weib«, sagte Rivenoak jetzt. »Weshalb lebt er bei den Delawaren?«

»Ich verstehe dich nicht, Mingo! Die Vorsehung führte mich sehr jung zu den Delawaren, und ich hoffe, mit ihrem Stamm zu leben, bis ich sterbe. Ich will aber auf meine angeborenen Rechte nicht ganz verzichten, sondern mich bemühen, die Pflicht eines weißen Mannes in der Gemeinschaft der Rothäute zu erfüllen.«

»Gut, ein Irokese ist eine Rothaut so gut wie ein Delaware. Falkenauge hat mehr von einem Mingo als von einem Weib.«

»Ich glaube, Mingo, daß du deine eigene Meinung verstehst; wenn nicht, so wird sie dem Satan wohlbekannt sein. Willst du etwas von mir, so sprich deutlicher, denn kein Handel kann mit geschlossenen Augen oder mit gebundener Zunge abgeschlossen werden.«

»Gut, Falkenauge hat keine gespaltene Zunge und sagt immer gern, was er denkt. Er ist ein Bekannter der Moschusratte« — dies war der Name, mit dem alle Indianer Tom Hutter bezeichneten —, »er hat zwar in seinem Wigwam gelebt, aber er ist nicht sein Freund. Er will keine Skalpe wie ein Indianer, sondern kämpft wie ein kühner weißer Mann. Die Moschusratte ist weder weiß noch rot, weder Vogel noch Fisch. Sie ist eine Wasserschlange, bisweilen im See und bisweilen auf dem Land. Sie jagt nach Skalpen wie ein von den weißen Männern Ausgestoßener. Falkenauge kann zurückkehren und ihr erzählen, daß er die Irokesen überlistet hat und entflohen ist. Wenn dann ihre Augen in einem Nebel sind, wenn sie nicht so weit sehen kann wie von ihrem Haus im See bis zu den Wäldern, dann kann Falkenauge die Tür für die Mingos öffnen. Und wie wird dann die Beute geteilt werden? Nun, Falkenauge wird das meiste behalten, und die Mingos werden nehmen, was er ihnen zurücklassen will. Die Skalpe können nach Kanada geschickt werden, denn einem weißen Mann gereichen sie nicht zur Ehre.«

»Gut, Rivenoak, das ist deutlich genug. Ich verstehe jetzt alles, was du meinst, und muß gestehen, daß es selbst die Teufeleien der Mingos übertrifft. Es wird ohne Zweifel leicht sein, zurückzukehren und der Moschusratte zu sagen, ich wäre euch entwischt.«

»Gut, das wünsche ich, möge es Falkenauge tun.«

»Ja. Ich verstehe, was du verlangst. Wenn ich im Haus des Alten bin und sein Brot esse und mit seinen hübschen Töchtern lache und scherze, so soll ich seine Augen in einen so dichten Nebel hüllen, daß er selbst die Tür seiner Kajüte nicht sehen kann, viel weniger das Land.«

»Gut! Falkenauge sollte als Mingo geboren worden sein. Sein Blut ist kaum halb weiß.«

»Da irrst du dich, Irokese. Da irrst du dich so sehr, als würdest du einen Wolf mit einer Pantherkatze verwechseln. Ich bin ein weißer Mann meinem Herzen, meiner Natur und meinen Fähigkeiten nach. Wenn aber die Augen des alten Hutter in dichten Nebel gehüllt sind und seine hübschen Töchter vielleicht in tiefem Schlaf liegen und Harry Hurry, die Große Tanne, wie ihr Indianer ihn nennt, von seinen Abenteuern gegen die Irokesen träumt, und wenn alle glauben, Falkenauge sei ein treuer Wächter, so habe ich nichts zu tun, als irgendwo eine Fackel aufzustellen, die Tür zu öffnen und die Mingos einzulassen, damit sie ihre Feinde umbringen.«

»Mein Bruder irrt sich gewiß. Er kann kein weißer Mann sein. Er ist würdig, ein großer Häuptling unter den Mingos zu sein.«

»Ja, das könnte wahr sein. Jetzt aber höre einige aufrichtige Worte, Mingo, aus dem Mund eines ehrlichen Mannes. Ich bin als Christ geboren und kann mich zu solcher Niedertracht nicht entschließen. Kriegslisten sind zu rechtfertigen, aber Täuschung und Verrat unter Freunden werden nur von den Teufeln unter den weißen Männern begangen. Kein rechtschaffener weißer Mann kann tun, was du vorschlägst und meiner Ansicht nach ein Delaware auch nicht. Mit einem Mingo kann es freilich anders sein.«

Der Mingo hörte diese Weigerung mit großem Widerwillen an, aber er war zu schlau, sein Ziel schon jetzt aufzugeben. Er zwang sich ein Lächeln ab, schien aufmerksam zuzuhören und dachte dann über das Gehörte nach. Schließlich sagte er:

»Mein Freund ist hierhergekommen, Weil ihn ein Mädchen an einem kleinen Band festhält, das der kräftigste Krieger nicht zerreißen kann.«

»Du bist jetzt der Wahrheit nah, Mingo. Aber das eine Ende dieses Bandes war nicht an meinem Herzen, sondern am Herzen eines großen Delawaren befestigt, eigentlich eines Mohikaners, der aber jetzt unter den Delawaren lebt. Er heißt Chingachgook und wurde durch das Band hierhergezogen, und ich bin ihm gefolgt, oder ich kam vielmehr schon früher an, durch nichts Stärkeres gezogen als durch die Freundschaft.«

»Ich verstehe, was du meinst, mein Bruder«, erwiderte der Indianer in ernstem Ton, als er so zum erstenmal Aufschluß über die Ereignisse des Abends erhielt; »da die Große Schlange am stärksten ist, so zog sie auch am stärksten, und Wah war gezwungen, uns zu verlassen.«

»Ich glaube nicht, daß sie dazu gezwungen werden mußte«, antwortete Wildtöter, indem er auf seine geräuschlose Art so herzlich lachte, als sei er kein Gefangener und als stünden ihm nicht vielleicht Martern und der Tod bevor, »nein, ich glaube nicht, daß es nötig war, sie zur Flucht zu zwingen. Er liebt das Mädchen, und das Mädchen liebt ihn, und es geht selbst über Mingolist, zwei junge Leute voneinander fernzuhalten, die ein so starkes Gefühl aneinanderbindet.«

Rivenoak sah mürrisch aus. Er verließ bald den Gefangenen und trat zu den Kriegern, denen er das Wesentliche von dem Gespräch mitteilte.

Der junge Indianer, den Wildtöter mit Wah-ta-Wah und einem anderen jungen Mädchen gesehen hatte, weilte schon die ganze Zeit über von seinen Freunden entfernt in der Nähe der jüngeren Frauen, die sich leise über die Flucht unterhielten. Eines von den Mädchen lachte über die mürrische Miene des jungen Mannes, dem die Schöne davongelaufen war. Der junge Indianer wandte sich ab und ging auf Wildtöter zu.

»Das ist Pantherkatze!« fing er an, indem er sich mit der Hand auf die nackte Brust schlug.

»Dies ist Falkenauge!« erwiderte ruhig Wildtöter, indem er sich endgültig diesen Namen gab. »Mein Auge ist scharf — kann die Pantherkatze weit springen?«

»Von hier bis zu den Dörfern der Delawaren. Falkenauge hat mein Weib gestohlen, er muß sie zurückbringen, oder sein Skalp wird auf einer Stange hängen und in meinem Wigwam trocknen!«

»Falkenauge hat nichts gestohlen, Mingo. Er ist kein Dieb. Dein Weib, wie du Wah-ta-Wah nennst, wird nie das Weib einer Rothaut aus Kanada sein, ihr Geist ist im Herzen eines Delawaren, und ihr Körper hat ihn jetzt gefunden. Die Pantherkatze ist schnell, wie ich weiß, aber sie wird die Wünsche eines Weibes nicht einholen.«

»Die Schlange der Delawaren ist ein Hund, sie ist eine Kröte, die sich im Wasser hält, sie scheut sich, an das Land zu kommen, weil sie einem tapferen Indianer zu begegnen fürchtet.«

»Das sind Lügen, Mingo! Denn erst vor einer Stunde stand der Delaware nur fünfzig Schritt von dir entfernt und würde die Dicke und die Zähigkeit deiner Haut mit einer Flintenkugel geprüft haben, wenn ich ihm nicht Vorsicht empfohlen hätte. Du kannst mit deinen hochmütigen Redensarten vielleicht Mädchen täuschen, aber die Ohren eines Mannes können Wahrheit von Lüge unterscheiden.«

»Wah lacht über ihn! Sie weiß, daß er lahm ist und ein ungeschickter Jäger und daß er noch nie auf dem Kriegspfad war. Sie wird einen Mann heiraten und nicht einen Narren!«

»Wie kannst du das wissen, Pantherkatze?« erwiderte Wildtöter lachend. »Sie ist geflüchtet, und vielleicht zieht sie eine Kröte der Katze vor. Befolge meinen Rat, Pantherkatze, und such dir ein Weib unter den jungen Mädchen der Mingos, denn unter den Delawarinnen wirst du nie eine finden, die dir gutwillig folgt.«

Der junge Krieger griff nach seinem Tomahawk. Krampfhaft umschlossen die Finger den Griff. In diesem Augenblick näherte sich Rivenoak und deutete dem jungen Mann, sich zu entfernen.

»Mein weißer Bruder hat recht«, begann Rivenoak nach längerem Schweigen. »Er ist nicht wie viele Indianer und könnte weder seinen großen Gott noch seine Farbe vergessen. Die Mingos wissen, daß sie einen berühmten Krieger zum Gefangenen haben, und sie werden ihn auch so behandeln. Wenn er gemartert werden soll, werden seine Qualen derart sein, daß kein gewöhnlicher Mann sie ertragen könnte, und wenn er als Freund behandelt werden soll, so wird es die Freundschaft von Häuptlingen sein.«

Als Rivenoak dies aussprach, blickte er verstohlen auf das Gesicht Wildtöters. Wohl fühlte der junge Jäger bei dieser Androhung sein Blut erstarren, er zeigte aber eine gleichgültige Miene, so daß sein Feind kein Zeichen von Schwäche entdecken konnte.

»Gott hat mich in eure Hände gegeben, Mingo«, erwiderte er, »und ich weiß, daß ihr mich nach euren Bräuchen behandeln werdet. Ich will mich nicht rühmen, wie viele Qualen ich ertragen kann, denn ich wurde noch nie auf die Probe gestellt. Aber ich will mich bemühen, meinem Brudervolk, den tapferen Delawaren, keine Schande zu machen.«

»Wir werden uns davon überzeugen. Falkenauge hat ein gutes Gesicht, und er ist gelenkig und zäh …«

Rivenoak hielt inne, denn Hetty Hutter stand plötzlich ruhig neben dem Feuer, als ob sie zu dem Stamme gehöre. Rivenoak erkannte das Mädchen sofort, und er rief ein paar jüngere Krieger, damit sie die nächste Umgebung durchstreiften. Er fürchtete einen neuen Angriff. Dann winkte er Hetty, näher zu treten.

»Ich hoffe, Hetty, dein Besuch ist ein Zeichen, daß Chingachgook und Wah in Sicherheit sind«, sagte Wildtöter. »Warum bist du gekommen?«

»Judith bat mich darum, Wildtöter«, antwortete Hetty. »Sie ruderte mich selbst in einem Kanu an das Ufer. Judith verlangte von mir, ich solle die Indianer überreden, noch mehr Elefanten anzunehmen und dich freizulassen, aber ich habe die Bibel mitgebracht. Die wird mehr ausrichten.«

»Und dein Vater, Hetty, und Hurry, wußten sie etwas von deinem Auftrag?«

»Nein. Beide schliefen noch, und Judith und der Delaware hielten es für ratsam, sie nicht zu wecken. Judith wollte mir keine Ruhe lassen, bis ich hierherkäme, um zu sehen, wie es dir geht.«

»Das ist merkwürdig. Weshalb ist sie so besorgt um mein Schicksal? Sie fürchtet wohl, Hurry würde dem Feind wieder in die Hände fallen, wenn er versuchte, mich zu retten.«

»Judith kann Hurry nicht leiden«, erwiderte Hetty unschuldig, aber bestimmt.

Wildtöter antwortete nicht darauf. Er sah sich vorsichtig um. »Ich merke, was diese Strolche mit dir beabsichtigen«, flüsterte er Hetty eindringlich zu. »Rivenoak spricht dort mit den jungen Männern. Sie erhalten vermutlich den Auftrag, dich zu beobachten und ausfindig zu machen, wo das Kanu dich wieder aufnehmen soll. Es tut mir leid, daß Judith dich geschickt hat, denn ich vermute, sie wird dich wieder zurückholen wollen.«

»Alles ist schon verabredet, Wildtöter«, erwiderte das Mädchen leise und vertraulich. »Du kannst mir glauben, daß ich den klügsten von allen diesen Indianern überlisten werde. Ich werde zurückkehren, sobald mein Auftrag ausgeführt ist.«

»Ach, Hetty, ich fürchte, das ist leichter gesagt als getan.«

»Was soll ich aber Judith von dir sagen, Wildtöter? Ich weiß, daß sie mich wieder zurückschicken wird, wenn ich ihr nicht die Wahrheit über dich berichten kann.«

»Dann sage ihr die Wahrheit. Sage ihr, daß ich in den Händen der Indianer bin und daß sie mich martern werden. Sie versuchten mich schon zu verleiten, daß ich deinen Vater und alle in der Arche verraten möchte. Judith soll aber meinetwegen unbesorgt sein. Ich hoffe, es wird mir gelingen, die Martern beherrscht zu ertragen. Sollte ich aber doch durch Jammern und Klagen und selbst durch Tränen beweisen, daß ich ein weißer Mann bin, nie werde ich aber meine Freunde verraten.«

Hetty hörte aufmerksam zu, und ihre milden, ausdrucksvollen Züge verrieten lebhaftes Mitleid mit Wildtöter. Sie nahm seine Hand und sagte, sie wolle ihm ihre Bibel leihen und er möge darin lesen, wenn die Wilden ihn marterten. Als der junge Mann ehrlich eingestand, daß er nicht lesen könne, erbot sie sich, bei ihm zu bleiben und diese heilige Pflicht zu erfüllen.

Der Jäger lehnte das Anerbieten freundlich ab, und da Rivenoak sich ihnen wieder näherte, bat Wildtöter das Mädchen, ihn zu verlassen. Hetty entfernte sich jetzt und näherte sich der Gruppe der Indianerinnen mit soviel Zutrauen und Unbefangenheit, als sei sie eine der ihren.

9

Mitten in der Nacht, als das ganze Lager, ausgenommen die Wachen, schlief, erwachte Hetty plötzlich und verließ ihre aus Reisern bestehende Liegestätte. Sie ging unbefangen zu dem noch glimmenden Feuer, das sie anschürte, denn ihr war kalt. Als das Feuer wieder stärker emporflammte, beleuchtete es das düstere Gesicht eines wachenden Irokesen, dessen Augen wie die eines Panthers funkelten. Hetty empfand aber keine Furcht, sondern näherte sich ihm unbefangen. Ihre Bewegungen waren so natürlich, daß er glaubte, sie sei nur wegen der Kühle der Nacht aufgestanden. Hetty sprach mit ihm, aber er verstand kein Englisch. Sie blickte dann fast eine Minute auf den schlafenden Gefangenen und entfernte sich langsam mit trauriger und schwermütiger Miene. Das Mädchen bemühte sich nicht, leise zu gehen; doch ihr Schritt war leicht und kaum hörbar. Als sie die Richtung zur Spitze der Landzunge einschlug, sah der Indianer ihre zarte Gestalt allmählich in der Dunkelheit verschwinden, ohne den geringsten Verdacht zu schöpfen. Er wußte, daß noch zwei weitere Wachen am Ufer umherstreiften, und glaubte nicht, daß ein junges Mädchen, das zweimal freiwillig ins Lager gekommen war, fliehen würde.

Hetty kannte die Umgebung nicht genau, aber sie fand trotzdem ihren Weg zur Bucht. Als sie dem Ufer in nördlicher Richtung folgte, begegnete sie bald dem Indianer, der hier auf und ab schritt. Der junge Mingo zeigte sich befremdet, als er sah, wem er begegnet war, denn er erwartete seine Auserwählte, die versprochen hatte, die Langeweile seiner mitternächtlichen Wache zu vertreiben. Es schien ihn nicht zu überraschen, daß das Mädchen zu dieser Stunde aufgestanden war, denn in einem indianischen Lager ist der Schlaf so unregelmäßig, wie es die Mahlzeiten sind. Verdrießlich winkte er daher dem Mädchen, weiterzugeben. Hetty schritt langsam ihren Weg entlang und sprach laut vor sich hin.

Als sie schließlich an die Stelle gelangte, wo die Kanus ans Ufer gekommen waren, konnte sie der Indianer wegen der Büsche nicht mehr sehen. Das Geräusch eines anderen Fußtrittes hatte ihn zudem umkehren lassen. »Hier bin ich, Judith«, sagte Hetty unbefangen in die Dunkelheit hinein, »und es ist niemand bei mir. Der Mingo ist seiner Liebsten entgegengegangen.«

Sie wurde durch ein »Pst!« unterbrochen, das vom Wasser herkam, und bemerkte die undeutlichen Umrisse eines Kanus, das sich geräuschlos näherte und bald ans Ufer stieß. Sobald Hetty in das kleine Fahrzeug gestiegen war, entfernte es sich bis auf etwa hundertfünfzig Schritt vom Ufer. Dann machte es einen weiten Bogen, um aus dem Bereich des Lagers zu kommen. und schlug die Richtung zur Arche ein. Mehrere Minuten lang wurde nicht gesprochen. Endlich begann Hetty:

»Ich glaube, die Indianer wissen nicht, daß ich sie verlassen habe, Judith.«

»Wahrscheinlich nicht, denn ein Verliebter ist keine gute Wache. Sag mir, Hetty, hast du Wildtöter gesehen und mit ihm gesprochen?«

»O ja, er saß mit gebundenen Beinen am Feuer«, erwiderte Hetty, die nun ausführlich erzählte, was sie im Lager erlebt und gesehen hatte.

Judith fragte immer wieder ungeduldig. Als sie alles Wesentliche wußte, ruderte sie das Kanu der Stelle zu, wo sie die Fähre verlassen hatten. Die Dunkelheit der Nacht und die tiefen Schatten, die die Hügel und Wälder auf das Wasser warfen, machten es schwer, das Fahrzeug zu finden. Sie ruderten das kleine Boot schnell über den See, doch es war keine Arche zu entdecken. Mehrere Male glaubten die Schwestern, sie wie einen niedrigen dunklen Felsen auf den Wellen zu sehen, doch sie täuschten sich immer wieder.

Nachdem die Mädchen eine halbe Stunde lang vergebens nach der Arche gesucht hatten, waren sie überzeugt, daß sie nicht mehr in dieser Gegend ankerte. Sie fürchteten sich zwar nicht, waren aber doch recht bestürzt.

»Vielleicht glaubte der Vater, wir schliefen in unserer Kammer, Judith, und er hat mit der Arche nach Hause fahren wollen. Du weißt, daß wir schon oft in der Nacht dorthin zurückgekehrt sind.«

»Das ist wahr, Hetty. Es wird so sein, wir haben jetzt etwas mehr Südwind als vorhin, und sie werden —«

Judith hielt inne, denn in diesem Augenblick durchfuhr ein Blitz die Dunkelheit der Nacht, und ein Flintenschuß zerriß die Stille. Eine Sekunde später hörte man den gellenden Schrei einer Frau. Das nun folgende peinigende Schweigen war fast noch unheimlicher als die plötzliche Unterbrechung der tiefen, mitternächtlichen Ruhe. So kühn und entschieden Judith von Natur aus war, in diesem Augenblick vermochte sie kaum zu atmen, und Hetty verbarg ihr Gesicht und zitterte heftig.

»Das war ein Schrei der Todesangst«, sagte Judith schließlich. »Wenn die Arche sich entfernt hat, so kann sie sich mit diesem Wind nur nach Norden bewegt haben, der Schuß und der Schrei kamen aber von der Landspitze. Sollte Wah ein Unglück widerfahren sein?«

»Laß uns schnell hinrudern, sie braucht vielleicht unsere Hilfe.«

Es war keine Zeit zu verlieren, und die beiden Schwestern griffen sogleich zu den Rudern. Judith bemerkte einen Lichtschimmer zwischen dem Ufergebüsch und lenkte das Kanu ohne jede Vorsicht darauf zu. Ziemlich nah am Ufer hielten sie an, da sie Indianerstimmen hörten. Sämtliche Bewohner des Lagers waren dort versammelt, und sechs oder acht Krieger trugen Kienholzfackeln, die ein helles Licht unter den Bäumen verbreiteten. Eine junge Indianerin lehnte mit dem Rücken an einem Baum. Beim Schein der Fackel, die ihr vor das Gesicht gehalten wurde, sahen die Mädchen, daß sie mit dem Tode rang. Scharfer Schießpulvergeruch hatte sich in der schweren, feuchten Nachtluft verbreitet. Es konnte kein Zweifel bestehen, daß die Indianerin angeschossen und schwer getroffen worden war.

Judith begriff sogleich den Zusammenhang. Die Flinte war entweder von einem Kanu in der Nähe des Ufers oder von der vorüberfahrenden Arche abgeschossen worden. Ein unvorsichtiger Ausruf des Mädchens, das seinem jungen Freund die Zeit der Wache vertrieb, hatte allem Anschein nach den Schuß veranlaßt. Der Körper der Getroffenen glitt jetzt steif zu Boden. Daraufhin wurden alle Fackeln bis auf eine ausgelöscht, und der Trauerzug, der die Leiche in das Lager trug, war in dem undeutlich schimmernden Lichte kaum zu unterscheiden.

Judith seufzte tief und schauderte. Das furchtbare Bild ging ihr nicht aus dem Sinn. Zu alledem erschreckte sie plötzlich ein neuer Gedanke: Würden die Indianer diese hinterlistige Tat nicht an Wildtöter rächen? Angst schnürte ihr das Herz zusammen. Armer Wildtöter! Wenn sie ihm nur helfen könnte — sie mußte ihn retten!

Im Augenblick aber blieb nichts zu tun. Sobald der Tag anbrach, würden sie die Arche suchen. Beide Mädchen waren furchtbar müde. Sie ruderten schweigend der Seemitte zu, ließen das Kanu nach Norden treiben und streckten sich dann flach auf dem Boden aus; sie wollten versuchen, ein wenig auszuruhen, so gut dies eben unter den gegebenen Umständen möglich war …

___________

Hutter und Harry waren nach mehrstündigem Schlaf erwacht, wenige Minuten nachdem Judith zum zweitenmal die Arche verlassen hatte. Durch Chingachgook hörten sie von den Ereignissen der letzten Stunden.

Hutter war dem Bild, das Rivenoak von ihm entworfen hatte, vielleicht nicht so unähnlich. Alles Gefühl, dessen der alte Mann fähig war, gehörte den beiden Mädchen; und Hetty vielleicht mehr als Judith, denn sie war die Hilfsbedürftigere, Schwächere. Im übrigen war er eine abgebrühte Natur, rauh, gegen Wilde grausam und dem Gold ergeben. Es war nicht gerade Trauer, die er bei der Nachricht von Wildtöters Gefangennahme empfand, obgleich er wußte, wie sehr ihm dieser bei der Verteidigung des Wasserhauses fehlen würde. Die Verschiedenheit in ihren Lebensauffassungen hatte Wildtöter dem Herzen des alten Mannes nicht nähergebracht.

»Wildtöter hat sich sehr ungeschickt benommen. Es war jedenfalls sehr dumm von ihm, daß er sich jetzt unter die Wilden wagte und ihnen in die Hände lief wie ein Bär, der in eine Wolfsgrube fällt«, bemerkte er nach einer Weile. »Wenn er diese Torheit nun mit seinem Blut bezahlen muß, so kann er deswegen niemandem Vorwürfe machen.«

»Das ist der Lauf der Welt, alter Tom«, erwiderte Hurry, »jeder muß seine eigenen Schulden bezahlen und für seine eigenen Sünden büßen.«

Es war auch hier die Ungleichheit der Charaktere und Lebensansichten, die zwischen Wildtöter und Hurry Harry keine Freundschaft aufkommen ließ. Die rauhen Sitten des Grenzerlebens hatten edlere Gefühle in Hurry, wie etwa Achtung vor dem Leben eines Wilden, fast zur Gänze verkümmern lassen. In dieser Stunde war er noch dazu krank vor Eifersucht. Denn er liebte Judith, und nur ein gewisser Respekt vor ihrer übergroßen Schönheit hatte ihn bisher davor zurückgehalten, ihr einen Heiratsantrag zu machen.

»Du sollst die Sache nicht so ruhig mit ansehen, Schwimmender Tom«, rief er wütend. »Wir beide waren Gefangene, und doch tat Judith nicht das geringste, um uns zu befreien. Sie ist von diesem schlanken Wildtöter einfach verhext worden. Ich bin nicht der Mann, der sich so etwas ruhig gefallen läßt. Wir wollen die Fähre näher an die Landspitze rudern und sehen, was es dort gibt.«

Hutter hatte nichts dagegen einzuwenden, obgleich er sich seiner Töchter wegen keine allzugroßen Sorgen machte. Er rechnete auf die Schlauheit der älteren und auf die Rücksicht, mit der die jüngere bisher von den Wilden behandelt worden war. Der Wind drehte sich nach Norden, und das Segel trieb die Fähre bald den See so weit hinauf und der Landspitze zu, daß die dunklen Umrisse der Bäume sichtbar wurden.

Das Fahrzeug war im Schatten der Küste kaum zu erkennen. Dennoch wurde sein Segel von dem Krieger, der am Ufer Wache hielt, bemerkt. In seiner Überraschung stieß er einen tiefen, heiseren Laut aus. Hurry griff schnell zu seiner Flinte und feuerte. Die Kugel, die der Zufall leitete, traf die Indianerin.

Ihr Todesschrei verkündete Hurry, daß er eine Frau getroffen hatte. Er war bestürzt über die Folge seiner unüberlegten Tat. Anfangs lachte er wohl, dann aber machte ihm sein Gewissen Vorwürfe. Schließlich stieß er den Kolben seiner Flinte in wildem Trotz auf den Boden.

Hutter war mit dem Vorgefallenen durchaus nicht einverstanden. Die Tat führte zu nichts, konnte aber leicht den Kampf blutiger als je machen. Er beherrschte jedoch seinen Zorn, weil die Gefangenschaft Wildtöters ihm die Hilfe und Unterstützung Hurrys doppelt wichtig machte. Chingachgook erhob sich, und für einen Augenblick vergaß er die Feindschaft der roten Stämme in einem aufbrausenden Gefühl des Hasses gegen die weißen Männer. Er gewann aber seine Fassung bald wieder. Wah jedoch verhielt sich nicht so. Furchtlos stand sie unerwartet an Hurrys Seite.

»Weshalb du schießen?« fragte sie. »Was Irokesenmädchen tun, daß du töten? Was du denken, Manitu sagen? Was Irokesen tun werden? Nicht Ehre haben, nicht Lager erobern, nicht Gefangene machen, nicht Skalpe nehmen, nichts, gar nichts! Blut macht Blut kommen! Wie du fühlen, wenn dein Weib töten? Wer dich trösten, wenn weinen über Mutter oder Schwester? Du groß wie große Tanne — Irokesenmädchen kleine, zarte Birke. Weshalb du sie stürzen zur Erde? Du glauben, Irokesen vergessen werden? Nein, Rothäute nie vergessen! Nie Freund vergessen, nie Feind vergessen, roter Mann Manitu im Herzen. Weshalb du so schlecht sein?«

Hurry war nie so gedemütigt worden, aber er entfernte sich mit einer Miene, als verschmähe er es, sich mit einem Weib auf Erörterungen eirizulassen.

Sogleich nach Hurrys Flintenschuß hatte sich die Arche rasch vom Ufer entfernt, und als die Fackeln unter den Bäumen erschienen, war sie schon mitten am See. Eine Stunde verging in düsterem Schweigen, und niemand schien geneigt, es zu unterbrechen. Wah hatte sich zur Ruhe begeben, und Chingachgook schlief jetzt im vorderen Teil der Fähre. Hutter und Hurry hielten Wache.

Sobald es Tag wurde und es hell genug war, um den See und besonders die Ufer zu übersehen, drehte Hutter die Spitze der Arche der Wasserburg zu, um sie wenigstens für den Tag als den günstigsten Ort für die Zusammenkunft mit seinen Töchtern in Besitz zu nehmen. Sie waren noch ungefähr eine Viertelstunde vom Kastell entfernt, als Chingachgook zu den beiden weißen Männern trat.

»Nicht gut, nach Kastell fahren«, sagte er ernst, »Irokesen dort!«

»Den Teufel auch! Wenn sich das bestätigen sollte, alter Tom, so hätten wir in eine Falle geraten können«, rief Hurry. »Irokesen dort! Gut, es mag wahr sein, aber ich kann bei der alten Hütte nichts sehen.«

Hutter ließ sich das Fernrohr geben und beobachtete die Wasserburg genau, fand aber nichts Auffälliges.

»Du hast wahrscheinlich das falsche Ende nach vorn gehalten, Delaware«, sagte Hurry lachend. »Weder der alte Mann noch ich können irgendeine Spur im See bemerken.«

»Keine Spur, Wasser keine Spur machen«, fiel Wah lebhaft ein. »Fähre anhalten — nicht zu nahe kommen, Mingos dort!« Und nach einer kleinen Pause fragte sie:

»Keinen Mokassin sehen?«

»Gib mir das Fernrohr, Harry«, unterbrach sie Hutter, »und laß das Segel nieder. Ein indianisches Frauenzimmer stellt selten eine Behauptung auf. Ich sehe allerdings, daß ein Mokassin gegen einen der Pfeiler angetrieben wird, und es kann ein Zeichen dafür sein, daß das Haus während unserer Abwesenheit besucht worden ist. Mokassins sind übrigens keine Seltenheiten.«

Hurry holte das Segel ein. Die Arche war jetzt nur etwa hundertfünfzig Schritt vom Gebäude entfernt und näherte sich ihm jeden Augenblick mehr, doch so langsam, daß ihr Kurs jederzeit gewendet werden konnte. Hutter und Hurry sahen jetzt abwechselnd durch das Fernrohr und unterwarfen das Kastell einer noch schärferen Beobachtung. Der Mokassin lag allerdings da und schwebte so leicht auf dem Wasser, daß er kaum naß geworden zu sein schien. Es ließ sich jedoch auf vielerlei Art erklären, wie er dorthin gekommen sein könnte, ohne daß man annehmen mußte, irgendein Feind habe das Haus besucht. Er konnte schließlich von irgendwoher den See hinauf- oder hinabgetrieben worden und nur ganz zufällig am Pfeiler hängengeblieben sein.

Wah erklärte sich jetzt bereit, mit einem Kanu nach den Palisaden zu fahren und den Mokassin zu holen. Man werde dann auf den Zieraten sehen, ob er aus Kanada käme. Die beiden weißen Männer waren einverstanden, aber der Delaware fürchtete Gefahr für seine Verlobte und winkte ihr kurz, aber bestimmt ab.

»Roten Mann hinfahren lassen, bessere Augen haben als weiße Männer — Irokesenschliche auch besser kennen«, sagte er und stieg schnell ins Kanu.

Wah-ta-Wah sah schweigend und besorgt ihrem Verlobten nach. Der Ernst und die Entschiedenheit des Indianers waren begründet. Wenn der Feind sich wirklich des Gebäudes bemächtigt hatte, so war Chingachgook seinen Schüssen ohne irgendeine Deckung ausgesetzt. Es ist kaum möglich, sich eine schwierigere Lage zu denken, und wäre sein Freund Wildtöter an seiner Stelle gewesen, würde er sich ihr vielleicht nicht ausgesetzt haben. Aber der Stolz eines Indianerhäuptlings, sich vor den weißen Männern auszuzeichnen, regte sich in ihm.

Er ruderte schnell auf die Palisaden zu, indem er die Fenster und Schießscharten des Gebäudes beobachtete. Jeden Augenblick erwartete er, irgendwo den Lauf einer Flinte zu sehen oder einen Schuß zu hören. Jedoch er erreichte wohlbehalten die Pfeiler, die ihm einen gewissen Schutz boten. Nun ruderte er langsam um das ganze Gebäude herum und beobachtete alles sehr genau. Totenstille lagerte ringsum, immer noch waren Türen und Fenster verschlossen, und nirgends konnte eine Veränderung wahrgenommen werden.

Der Delaware blieb einen Augenblick unentschlossen, was er zunächst beginnen solle. Einmal, als er an der Vorderseite des Gebäudes vorüberfuhr, wollte er schon auf die Plattform steigen und durch eine der Schießscharten sehen, aber er wußte zuviel von indianischen Kriegslisten. Er gab daher seine Absicht auf und setzte seine Fahrt um die Palisaden langsam und vorsichtig fort.

Als er sich dem Mokassin näherte, warf er ihn mit einer geschickten, fast unmerklichen Bewegung seines Ruders in das Kanu. Er war jetzt zur Rückkehr bereit, doch wußte er wohl, daß diese noch gefährlicher war als die Herfahrt, weil er die Schießscharten nicht mehr beobachten konnte. Wenn wirklich jemand im Kastell war, so war es ratsam, scheinbar unbesorgt zurückzufahren, so als wäre aller Verdacht durch die Untersuchung beseitigt worden. Der Indianer ruderte also zur Arche, ohne seine Bewegungen zu beschleunigen.

»Nun, Schlange«, sagte Hurry, als Chingachgook anlegte, »was gibt’s Neues von den Moschusratten, zeigten sie die Zähne, als du um das Kastell rudertest?«

»Mir nicht gefallen«, erwiderte der Delaware. »Zu still. So still, daß Stillschweigen sehen können.«

»Das ist ganz indianisch gesprochen. Wenn du nichts Besseres mitzuteilen hast als das, so kann der alte Tom seine Segel aufspannen und hinfahren. Was ist aus dem Mokassin geworden?«

»Hier!« versetzte Chingachgook, indem er seine Beute zur Ansicht emporhielt.

Man betrachtete den Mokassin genau, und Wah erklärte, nach der Art, in der die Borsten des Stachelschweines vorn geordnet seien, müsse er einem Mingo gehören. Hutter und auch der Delaware stimmten dieser Ansicht bei. Wenn man dies auch zugab, so folgte doch nicht unbedingt daraus, daß der Indianer, der ihn verloren hatte, im Haus sein müsse.

Hutter und Hurry waren nicht die Männer, die sich durch so wenige Beweise abschrecken ließen. Sie zogen das Segel wieder auf. Es wehte ein leichter Wind, und er trieb sie so langsam vorwärts, daß sie das Gebäude mit Muße beobachten konnten. Grabesstille schien darin zu herrschen. Die Sonne stand noch nicht über dem Horizont. Wälder und Wasser lagen noch in der Dämmerung. Die Fähre trieb langsam und geräuschlos auf das Haus zu und stieß schließlich an die Palisaden.

Hutter zog ein Kanu an die Spitze der Fähre und machte sich gleich daran, das Palisadentor zu öffnen, weil er das leichte Fahrzeug in den inneren Raum bringen wollte. Hurry sprang auf die Plattform, um mit seinem Mut zu prahlen. Dann begab er sich zu Hutter in das Kanu und half ihm das Tor öffnen. Chingachgook dagegen hatte sein Mißtrauen noch nicht verloren. Trotz gegenteiliger Anweisung Hutters ließ er das Segel unverändert aufgezogen und führte das Tau, das zur Befestigung der Arche diente, nur über die Spitze einer Palisade, damit die Arche ein wenig zurücktreiben konnte. Zugleich bildeten die Schanzpfähle, die vor der Arche lagen, eine Art Brustwehr. Der Delaware zeigte sich mit dieser Anordnung sehr zufrieden und glaubte, seine Stellung einige Zeit gegen eine Besatzung im Kastell verteidigen zu können.

Mit einem einzigen Stoß brachte Hutter das Kanu zur Falltür unter dem Kastell. Hier fand er alles noch so, wie er es verlassen hatte. Er öffnete mit den Schlüsseln, die er bei sich trug, die Schlösser und stieß dann die Falltür auf. Hurry steckte seinen Kopf in die Öffnung, die Arme folgten und die Beine wurden ohne Anstrengung nachgezogen.

»Komm mir nur nach, alter Tom!« rief er hinunter. »Deine Wohnung ist unversehrt und überdies so leer wie eine Nuß, die eine halbe Stunde in den Klauen eines Eichhörnchens gewesen ist. Komm, alter Bursche, steig herauf, wir wollen Türen und Fenster öffnen und frische Luft hereinlassen.«

Ein Augenblick der Stille folgte. Plötzlich hörte man ein Geräusch, wie es der Sturz eines schweren Körpers verursachte, darauf einen heftigen Fluch Hurrys, und nun schien mit einemmal das Gebäude lebendig zu werden. Mitunter hörte man auch den Schrei eines Indianers, aber er wirkte unterdrückt, als komme er aus gepreßter Kehle. Es war, als würden menschliche Körper fortwährend heftig zu Boden geworfen.

Chingachgook wußte im ersten Augenblick kaum, was er beginnen sollte. Alle Waffen waren in der Arche, denn Hutter und Hurry hatten ihre Flinten zurückgelassen, aber er konnte sie weder alle benutzen noch sie ihren Besitzern in die Hände spielen. Die Kämpfenden waren völlig abgesperrt.

Da der Delaware, der um Wah-ta-Wah besorgt war, keine Möglichkeit sah, den weißen Männern nützlich zu sein, durchschnitt er das Tau und ließ die Fähre mit einem kräftigen Stoß wohl zwanzig Fuß weit von den Pfeilern wegtreiben. Dann griff er zu den Rudern und vergrößerte die Entfernung noch um eine weitere Strecke.

Der wütende Lärm im Hause währte die ganze Zeit über fort. Plötzlich flog die Tür auf, und der Kampf tobte auf der Plattform weiter. Ein Mingo hatte die Tür gewaltsam gesprengt, und drei oder vier seiner Gefährten stürzten ihm anscheinend fliehend auf den engen Raum nach. Dann folgte der Körper eines anderen, der mit furchtbarer Gewalt, den Kopf nach vorn, durch die Tür geworfen wurde. Jetzt erschien Hurry wie ein wütender Löwe.

In der Tür verschnaufte er einen Augenblick. Dann fiel er die Indianer auf der Plattform wütend an. Den ihm zunächststehenden Mingo hob er hoch und schleuderte ihn in das Wasser, als sei er ein Kind.

»Hurra! Alter Tom!« schrie er. »Die Schurken sollen in den See. Ich werde sie bald schwimmen lassen!«

Mit diesen Worten stieß er einen zweiten Indianer, der sich am Rande der Plattform festhielt, ins Wasser. Einen dritten boxte er so heftig in den Magen, daß er sich wie ein getretener Wurm krümmte.

Schließlich standen ihm nur noch zwei kampffähige Gegner gegenüber. Einer von ihnen war nicht nur der größte und stärkste von den Mingos, sondern auch der erfahrenste. Dieser Mann kannte genau die gigantische Kraft seines Gegners. Auch war er für einen Wettkampf mit ihm am besten gerüstet, da er nur eine leichte Bedeckung um die Hüften trug. Hurry zögerte nicht, ihn anzugreifen, und der Kampf wurde schrecklich. Die Bewegungen der beiden wechselten so schnell, daß der andere noch kampffähige Wilde seinen Gefährten nicht unterstützen konnte und nur staunend, wie von einem Zauber gebannt, zusah. Er war ein unerfahrener Jüngling, und sein Blut erstarrte bei diesem erbitterten Kampf auf Leben und Tod.

Anfangs versuchte Hurry seinen Gegner niederzuwerfen, indem er ihn an der Kehle und am Arm packte, doch der Mingo, der einen besseren Halt an den Kleidern seines Feindes hatte, wußte ihm durch geschickte Bewegungen zu entschlüpfen. Beide preßten sich jetzt fest aneinander, und ihre Körper wechselten in so vielen Stellungen, daß der Blick ihnen kaum folgen konnte. Dieser Kampf dauerte aber kaum eine Minute, denn Hurry machte eine verzweifelte Anstrengung und schleuderte den Mingo mit aller Gewalt gegen die Baumstämme des Hauses, so daß er einen Augenblick die Besinnung verlor und vor Schmerzen aufstöhnte. Dennoch drang der Indianer wieder vor. Hurry faßte ihn jetzt um den Leib, hob ihn von der Plattform auf und fiel mit seinem eigenen schweren Gewicht auf den Körper seines Gegners, der dadurch so betäubt wurde, daß er ganz in Hurrys Macht war. Dieser preßte die Kehle seines Opfers mit der Gewalt eines Schraubstockes zusammen und drückte den Kopf des Mingo über den Rand der Plattform.

In diesem Augenblick wurde eine Bastschlinge um Hurrys Arme geworfen, und seine Ellbogen wurden auf seinem Rücken mit einer Gewalt zusammengeschnürt, der er nicht mehr widerstehen konnte …Eine Sekunde später waren seine Füße ebenso gefesselt, Harry wurde wie ein Reisigbündel nachlässig in die Mitte der Plattform gerollt.

Der Unglückliche hatte seine Gefangenschaft nur seiner blinden Wut zu danken, mit der er über seinen Gegner hergefallen war. Denn während er sich mit ihm beschäftigte, waren die beiden von ihm ins Wasser geschleuderten Indianer auf die stumpfen Spitzen der Pfeiler gestiegen und hatten sich von dort auf die Plattform hinaufgeschwungen. So hatte sich plötzlich das Spiel gewendet. Doch auch jetzt betrachteten die Indianer Hurry, der sich so wütend und von so furchtbarer Kraft gezeigt hatte, mit Achtung und nicht ohne Furcht.

Chingachgook und seine Verlobte hatten den ganzen Kampf von der Arche aus mit angesehen. Als die drei Irokesen die Schlingen um die Arme Hurrys legten, griff der Delaware zur Flinte, aber bevor er schießen konnte, war das Unglück schon geschehen. Ein Blick auf Wah, und der Gedanke an die Folgen einer Unvorsichtigkeit unterdrückten jeden weiteren Wunsch nach Rache. Er sah ein, wie gefährlich es für ihn und Wah sein würde, wenn die Irokesen das noch unter der Falltür liegende Kanu Hutters in Besitz nehmen sollten, um einen Angriff gegen sie zu beginnen.

Das Kanu, in dem Hetty und Judith sich befanden, war, als der Kampf auf der Plattform aufhörte, etwa vierhundert Schritt von dem Gebäude entfernt. Auch die Mädchen hatten mit dem erwachenden Tag den Weg zur Wasserburg gesucht. Je mehr sie sich ihr aber näherten, desto verdächtiger schien sie ihnen zu werden. Sie hörten darum auf zu rudern und bemühten sich, zu entdecken, was vorgefallen war. Dies gelang ihnen jedoch nicht, weil sie die Plattform nicht sehen konnten. Es war aber sehr wichtig, daß Judith und ihre Schwester sofort in der Arche, wo die Verteidigungsmittel wenigstens einige Sicherheit gewährten, Zuflucht suchten.

Der Delaware beriet daher mit Wah, wie man sie dazu veranlassen könne. Wah trat an die Spitze der Fähre und suchte durch viele Zeichen und Bewegungen den Mädchen anzudeuten, daß sie einen Umweg machen sollten, um die Wasserburg zu vermeiden und sich der Arche von der Ostseite zu nähern. Doch die Mädchen verstanden die Zeichen nicht, und wahrscheinlich konnte Judith den Zustand derDinge zu wenig beurteilen, um vollkommenes Zutrauen zu einer der beiden allem Anschein nach feindlichen Parteien zu fassen.

In diesem Augenblick trat die Sonne über die Tannen der östlichen Berge, und es erhob sich ein leichter Südwind. Chingachgook verlor keine Zeit und zog sofort das Segel auf. Der Anblick schien die Mingos aus ihrer Untätigkeit zu erwecken. Als die Spitze der Fähre sich wendete — unglücklicherweise in der falschen Richtung —, kam sie der Plattform bis auf einige Schritte nah. Chingachgook überließ deshalb das Fahrzeug seinen eigenen Bewegungen, drängte Wah in die Kajüte und sah sich nach den Gewehren um.

Die Arche lag jetzt etwa achtzig Schritt vom Kastell entfernt, mit geschwelltem Segel und verlassenem Steuerruder. Sie trieb langsam vorwärts, bis ihre Spitze zwischen zwei Pfeilern der Palisaden hängenblieb. Chingachgook, der durch eine Schießscharte spähte, wartete auf eine Gelegenheit zum Schießen, während sich die Mingos in gleicher Absicht im Gebäude aufhielten. Der vom Kampf mit Hurry noch erschöpfte Krieger lehnte an der Hauswand, weil man noch nicht Zeit gehabt hatte, ihn hineinzutragen. Der Delaware hätte den Indianer draußen leicht erschießen können, aber sein Skalp war ihm nicht sicher. Auch verschmähte er diese Tat, weil sie ihm weder Ehre noch Vorteile bringen konnte.

»Zieh einen der Pfähle aus, Delaware«, rief Hurry ihm zu, »und schieb die Spitze der Fähre ab.«

Chingachgook beachtete Hurrys Aufforderung nicht. Wah-ta-Wah; aber wandte sich ihm aufmerksam zu. Das kluge Mädchen begriff seine Lage im Nu. Hurrys Beine und Arme waren mit starken Bastschlingen zusammengebunden. Nur die Hände vermochte er etwas zu bewegen. Sie flüsterte ihm durch eine der Schießscharten leise, aber deutlich zu:

»Weshalb nicht hierherrollen und in die Fähre fallen lassen? Chingachgook Mingos erschießen, wenn verfolgen.«

Das sagte sie in einem günstigen Augenblick, denn die Indianer schossen gerade ihre Flinten ab, ohne jemanden zu verletzen. Wah öffnete die Tür der Kajüte nach vorn zu, wagte aber nicht, sich den Blicken der Mingos auszusetzen. Die ganze Zeit über hing die Fähre vorn fest, während das andere Ende sich langsam drehte und der Plattform immer näher kam. Hurry, der sein Gesicht der Arche zugewendet hatte und sich dann und wann in Schmerzen krümmte, beobachtete jede Veränderung. Endlich war es so weit, daß das Fahrzeug zur Gänze frei war und sich langsam an den Palisaden entlangschob. Der Rettungsversuch war sehr gefährlich, aber er bot jetzt die einzige Aussicht, dem sicheren Tod zu entgehen, auch entsprach er ganz dem kühnen Charakter Hurrys. Er wartete bis zum letzten Augenblick, bis die Spitze der Fähre dicht an die Plattform streifte. Dann wand und krümmte er sich wieder wie in unerträglichen Schmerzen, verwünschte alle Indianer und wälzte sich plötzlich schnell der Fähre zu. Unglücklicherweise hatte er, als er den Rand der Plattform erreichte, seine Richtung etwas verändert, so daß er die Arche verfehlen mußte. Dennoch ließ er sich kurz entschlossen in den See fallen. Wah beobachtete seine Bewegungen, und mit einer instinktartigen Schnelligkeit öffnete sie die Tür in dem Augenblick, als die Indianer gerade wieder ihre Flinten abgeschossen hatten. Sie sprang im Schutze der dazwischenliegenden Kajüte noch rechtzeitig zur Spitze der Fähre, um Hurrys Fall zu sehen. Schnell warf sie ihm ein Segeltau zu. Es fiel auf Hurrys Kopf, und es gelang ihm, es mit den Zähnen zu fassen. Hurry war ein geschickter Schwimmer. Statt sich aber durch heftige Bewegungen über Wasser zu halten, ließ er sich sinken, bis nur noch sein Gesicht hervorragte. In dieser Lage konnte er seine freien Hände wie Flossen bewegen. Das schaukelnde Auf und Nieder der Arche zog das Tau bald stärker an und schleppte ihn fort.

Die Mingos waren eifrig darauf bedacht, den Delawaren zu töten. Sie schossen durch die Schießscharten und Öffnungen der Kajüte und dachten nicht an den Gefangenen, den sie ja fest gebunden glaubten. Sie beobachteten nur die Arche, die an der Plattform vorüberdrängte. Auch Chingachgook wußte nichts von der Lage Hurrys. Die kleinen Rauchwolken der Schüsse zeigten sich an mehreren Stellen, und die Bewegungen beider Parteien waren rasch und behend. Verletzt wurde niemand. Endlich entfernte sich die Fähre ganz von den Pfeilern und glitt schnell nach Norden zu.

Chingachgook erfuhr jetzt durch Wah die gefährliche Lage, in der sich Harry befand. Er löste das Tau vorsichtig vom Segel, und Wah begann es einzuziehen. Hurry war noch etwa fünfzig bis sechzig Fuß vom Fahrzeug entfernt, als die Mingos seine Flucht entdeckten. Sie erhoben ein schreckliches Geschrei und begannen ein wildes Feuer. Aber die Kugeln verfehlten ihr Ziel. Einen Augenblick später war der Körper des Gefesselten schon hinter der Fähre. Der Delaware und Wah waren durch die Kajüte gut gedeckt, und es gelang ihnen bald, den schweren Körper Hurrys ein wenig hinaufzuziehen. Chingachgook stand mit seinem scharfen Messer bereit und durchschnitt die Baststricke. Nicht so leicht war es, den Geretteten so hochzuheben, daß er den Rand des Fahrzeuges zu erreichen vermochte. Er konnte seine Arme ja noch nicht gebrauchen. Mit vereinten Kräften aber gelang es schließlich dennoch, Hurry über den Rand der Fähre zu ziehen. Völlig erschöpft sank er zu Boden.

Als die Irokesen Hurry aus den Augen verloren, brachen sie in ein Wutgeschrei aus. Drei von ihnen liefen zur Falltür und sprangen in das Kanu. Doch Hurry war jetzt in der Fähre, und der Delaware hielt seine Flinte bereit. Da die Arche vor dem Wind segelte, war sie nun schon dreihundert Schritt von der Wasserburg entfernt, und der Abstand vergrößerte sich mehr und mehr.

Das Kanu mit den Töchtern Hutters trieb sehr weit draußen auf dem See. Da Judith und Hetty nicht wußten, was vorgefallen war, schienen sie nicht näher kommen zu wollen. Sie hatten die Richtung zum östlichen Ufer eingeschlagen und hielten sich auf diese Art zwischen den beiden Parteien. Die Mädchen waren mit den Booten seit ihrer Kindheit vertraut und ruderten sehr gewandt. Judith hatte oft in Wettfahrten mit jungen Männern, die bisweilen den See besuchten, gesiegt.

Als die drei Irokesen hinter den Palisaden hervorkamen und sich auf dem offenen See der Arche ganz ohne Deckung nahen sollten, dachten sie nicht mehr an Verfolgung. Es entsprach nicht indianischer Vorsicht, das Leben gegen einen gutgedeckten Gegner aufs Spiel zu setzen. So ruderten sie dem östlichen Ufer zu.

Judith zog sich sofort in südlicher Richtung zurück, und zwar immer recht nahe am Ufer. Sie wagte aber nicht, zu landen — dazu hätte sie sich nur bei größter Gefahr entschließen können. Anfangs beachteten die Indianer das andere Kanu nur wenig, da sie sahen, wer darinnen war. Nachdem aber fast eine Stunde in wechselnden Bewegungen vergangen war, wobei man sich stets außerhalb Schußweite voneinandergehalten hatte, schienen die Irokesen plötzlich einen Entschluß zu fassen.

Die Stellungen aller Parteien hatten sich jetzt wesentlich verändert. Die Arche befand sich nördlich vom Haus. Sobald der Delaware bemerkte, daß die Mädchen die Arche vermieden, zog er sein Segel ein, weil es ihm mit seinem schweren Fahrzeug nicht möglich war, genügend schnelle Bewegungen auszuführen, um einem leichten Kanu erfolgreich zu entfliehen. Er hoffte die Schwestern dadurch zu veranlassen, ihren Plan zu ändern und ihre Zuflucht auf der Fähre zu suchen. Das Kanu Judiths lag ungefähr zehn Minuten südlich von dem der Mingos, dem östlichen Ufer ein wenig näher.

In dem Augenblick, als die Indianer ihre Angriffsart so plötzlich änderten, war ihr Kanu zu einer Wettfahrt nicht gerade gut gerüstet. Es waren nur zwei Ruder vorhanden, so daß der dritte Indianer untätig bleiben mußte. Beide Boote konnten sich fast gleich schnell bewegen, aber keine der beiden Parteien bot schon anfangs alle Kräfte auf. Einige Minuten genügten, um den Mingos zu beweisen, daß sie alle Geschicklichkeit anwenden mußten, wenn sie das Kanu mit den beiden Schwestern einholen und zum Halten bringen wollten.

Judith hatte sich anfangs dem östlichen Ufer zugewendet, um im Falle der höchsten Not in die Wälder fliehen zu können. Als sie sich aber dem Land näherte, gab sie ihren Plan auf und lenkte das Kanu von den dunklen Schierlingstannen weg wieder mehr der Seemitte zu. Dies schien den Mingos ein günstiger Augenblick für die Verfolgung zu sein, da sie die ganze Breite des Sees dazu vor sich hatten. Die Kanus glitten jetzt mit größter Schnelligkeit über das Wasser. Nach einer Viertelstunde hatten die Indianer noch keinen wesentlichen Vorteil erreicht. Sie kamen jetzt auf den Gedanken, daß einer von ihnen ausruhen könne, wenn sie sich im Rudern abwechselten. Judith blickte sich zufällig um und bemerkte es. Sie zweifelte jetzt an einem günstigen Ausgang, weil ihre Kräfte früher erschöpft sein mußten als die von Männern, die sich ablösen konnten. Bis jetzt war es den Indianern nicht gelungen, dem anderen Kanu mehr als hundertfünfzig Schritt nahe zu kommen, obgleich sie in gerader Linie hinter ihm folgten. Aber Judith bemerkte doch, daß! die Verfolger allmählich näher kamen.

Das Mädchen geriet nicht leicht in Verzweiflung, jetzt aber beabsichtigte sie doch einen Augenblick, sich von den Mingos einholen und nach dem Lager zu Wildtöter bringen zu lassen. Die Hoffnung, ihn befreien zu können, spornte sie jedoch wieder an, und der Unterschied in der Bewegung der beiden Kanus war während der nächsten fünf Minuten so bedeutend, daß die Mingos einsahen, sie müßten alle ihre Kräfte aufbieten, wenn sie sich nicht der Schande aussetzen wollten, von zwei Frauen übertroffen worden zu sein.

Als der Stärkste unter ihnen jetzt eine übermäßige Anstrengung; machte, zerbrach ihm das Ruder. Das war entscheidend. Denn ein Kanu mit drei Mann und nur einem Ruder konnte unmöglich Flüchtlinge wie die Töchter von Thomas Hutter einholen.

»Siehst du, Judith«, sagte Hetty, »ich denke, du wirst jetzt wohl zugeben, daß mein Beten nützlich ist.«

»Ich habe nie geleugnet, daß Beten nützlich ist, Hetty. Wir sind jetzt gerettet und wollen uns etwas nach Süden wenden, um ein bißchen zu Atem zu kommen.«

Sie ruderten also in südlicher Richtung weiter, und zwar unbehelligt, denn der Feind gab seine Verfolgung auf. Statt Judiths Kanu zu folgen, fuhren die Mingos zur Wasserburg zurück. Die Mädchen fürchteten, daß die Rothäute im Gebäude noch ein Ruder finden könnten, und setzten daher ihre Anstrengungen fort. Sie hielten nicht eher an, als bis sie so weit von ihren Feinden entfernt waren, daß sie ihnen jederzeit leicht entfliehen konnten. Nach etwa einer Stunde sah man alle Indianer das Haus verlassen und dem Ufer zurudern. Die Mädchen und auch die Arche näherten sich jetzt dem Gebäude.

Als Judith und Hetty noch etwa hundert Schritt vom Haus entfernt waren, umruderten sie es vorsichtig, da sie sich vergewissern wollten, daß es wirklich leer sei. Kein Kanu war zu sehen, und das ermutigte sie, sich dem Gebäude zu nähern, daß sie schließlich die Plattform erreichten.

»Geh du in das Haus, Hetty«, sagte Judith, »und sieh, ob die Wilden fort sind! Sie werden dir nichts zuleide tun; und wenn noch einer von ihnen dasein sollte, so kannst du mich schnell warnen. Ich glaube nicht, daß sie auf ein armes, hilfloses Mädchen schießen werden.«

Sobald Hetty auf der Plattform war, zog sich Judith etwas zurück, um zur Flucht bereit zu sein. Aber das war unnötig, denn Hetty erschien bald wieder und rief ihr zu, daß alles sicher sei.

»Ich bin in den Zimmern gewesen, Judith«, sagte sie. »Sie sind leer, nur Vater seines nicht. Er schläft darin, aber sein Schlaf ist eigenartig unruhig.«

»Sollte dem Vater etwas zugestoßen sein?« fragte Judith, als sie auf die Plattform trat. Hetty schien bekümmert und sah sich verstohlen um, als fürchte sie, jemand könne horchen.

»Du weißt, in welchem Zustand der Vater bisweilen ist«, sagte sie endlich. »Wenn er zuviel starke Getränke zu sich genommen hat, weiß er nicht immer, was er sagt oder tut, und er scheint auch jetzt wieder betrunken zu sein.«

»Das ist seltsam! Sollten die Wilden mit ihm getrunken und ihn dann zurückgelassen haben?«

Ein Stöhnen drang aus Hutters Zimmer, und die beiden Mädchen wagten sich in die Nähe des Vaters. Er saß in einer Ecke. Sein Kopf war auf die Brust hinabgesunken. Judith trat, von einem unheimlichen Gefühl ergriffen, auf ihn zu und nahm ihm die Kappe ab, die so tief in den Kopf gedrückt war, daß sie sein Gesicht fast verbarg. Da zeigten sich das rohe Fleisch, die entblößten Adern und Muskeln. Man hatte ihm, obwohl er noch lebte, den Skalp genommen.

10

Im Kampf mit den Indianern hatte Hutter einen Messerstich erhalten.

Als dann die drei Mingos von der Verfolgung zurückkehrten und sich entschlossen, das Haus zu verlassen, nahmen sie Hutters Skalp, um ihn eines langsamen Todes sterben zu lassen. Wäre die Verletzung nur auf Hutters Kopf beschränkt gewesen, so hätte er wohl wiederhergestellt werden können, jedoch der Messerstich war tödlich.

»Vater«, sagte Judith ergriffen, während Hetty Tränen über die Wangen liefen, »können wir etwas für dich tun?«

»Vater!« wiederholte langsam der Sterbende. »Nein, Judith, nein, Hetty, ich bin kein Vater. Sie war eure Mutter, aber ich bin nicht euer Vater. Seht nach in der Truhe, ihr werdet dort alles finden. Oh — gebt mir Wasser!«

Das waren die letzten Worte Thomas Hutters. Gleich darauf schloß er für immer die Augen.

Es war Hetty, die den Vater mehr geliebt hatte und auch jetzt den stärkeren Schmerz um ihn empfand.

»Vater!« flüsterte das arme Mädchen, »Vater, ich werde dich immer Vater nennen!«

Plötzlich merkte sie, daß er gestorben war. Sie warf sich aufschluchzend über den Körper des geliebten Toten.

Jetzt traten Hurry und Chingachgook, die endlich auch mit der Fähre; angekommen waren, in die Stube.

»Wie geht es dem Alten, Judith?« fragte Harry. »Weshalb habt ihr ihm den Kopf verbunden? Haben ihm die Wilden am Ende — —?« Er vollendete den Satz nicht, denn er sah, daß Hutter tot war.

»Sie haben ihm das getan, was ihr auch tun wolltet. Sie werden für seinen Skalp Geld vom Gouverneur von Kanada erhalten, wie ihr die Skalpe der Mingos an den Gouverneur von York verkaufen wolltet.«

»Solche Worte hätte ich von Hutters Tochter nicht erwartet, noch dazu jetzt, da er tot ist«, erwiderte Hurry.

»Ich bin nicht Hutters Tochter«, erwiderte Judith erregt.

»Nicht Thomas Hutters Tochter! Verleugne deinen Vater nicht, Judith, das ist Sünde. Wenn du nicht Thomas Hutters Tochter bist, wessen Tochter bist du denn?«

»Ich weiß es nicht, Harry — ich weiß es nicht! In der Truhe wird es wohl zu finden sein. Ich hoffe, daß er ein ehrlicher Mann gewesen ist!«

»Was du anscheinend vom alten Hutter nicht glaubst. Nun, Judith, mir ist bekannt, daß schlimme Gerüchte über den Schwimmenden Tom im Umlauf waren; aber wer wird nicht von seinen Feinden verleumdet?«

Judith wollte antworten, doch sie erinnerte sich der Sorge und treuen Pflege, die dieser alte Mann, obgleich er nicht ihr Vater war, ihnen immer hatte zukommen lassen. Und als ihr Blick nun auf Hutters Antlitz ruhte, dachte sie traurig: »Ach, du armer, irregegangener Mann!«

Der Tote sollte bei Sonnenuntergang versenkt werden. Dies ist eine gute Stunde, um jemandem die letzte Ehre zu erweisen. Hutters Leiche wurde zur Fähre hinuntergetragen, in eine Decke gehüllt und mit Steinen beschwert.

Als die Stunde des Sonnenuntergangs schließlich nahte, versammelten sich alle in der Arche. Hurry betätigte die Ruder, und die Bewegung der Fähre war langsam und feierlich. Die Oberfläche des Sees war glatt wie ein Spiegel, und die weiten Wälder lagen in tiefer Stille ringsumher. Judith weinte, und auch Hurry fühlte sich bewegt. Hettys Gedanken hatten so viel von der Reinheit einer besseren Welt, daß es ihr leicht wurde, die Erde ganz zu vergessen und nur an den Himmel zu denken. Wah-ta-Wah war bei der Feierlichkeit ernst und aufmerksam. Sie hatte Beerdigungen weißer Männer zwar schon mit angesehen, eine solche wie diese aber noch nie. Der Delaware bewahrte eine besonnene Haltung. Die Wasserburg stand nahe am südlichen Ende einer Sandbank, die sich fast zehn Minuten nach Norden zu erstreckte. Dort, an deren äußerstem Ende, hatte Thomas Hutter einst die irdischen Überreste seiner Frau versenkt. Jetzt sollte seine Leiche in ihre Nähe gelegt werden.

Hetty fand gewöhnlich das Grab ihrer Mutter durch Zeichen auf dem Lande, und nach einiger Zeit bedeutete sie Hurry, anzuhalten. Der Anker fiel. Hetty, die am Vorderteil des Fahrzeuges stand, zeigte in das Wasser, und Tränen liefen stärker über ihre Wangen. Hurry verhielt sich ernst und ruhig, weil er an die Vergeltung dachte, die seinen ehemaligen Gefährten heimgesucht hatte, und an die schreckliche Gefahr, in der noch vor kurzem sein eigenes Leben geschwebt war. Unter Schultern und Beine des Toten wurden Seile gelegt, und dann wurde der Körper Thomas Hutters unter feierlichem Schweigen langsam in den See versenkt.

»Das ist also das Ende des alten Tom!« sagte Hurry, indem er sich über den Rand der Fähre beugte und in das Wasser sah.

»Er war ein tapferer Gefährte und ein geschickter Biberfänger. Weint nicht, Judith und Hetty, denn wir alle müssen sterben. Der Tod eures Vaters wird ein schmerzlicher Verlust für euch sein, aber es gibt viele Wege, und ihr seid beide jung und schön. Wenn du, Judith, hören willst, was ein ehrlicher Mann zu sagen hat, möchte ich gerne einige Worte mit dir allein sprechen.«

Judith weinte, da sie sich an die Zärtlichkeit der Mutter erinnerte, doch Hurrys Worte riefen sie in die Gegenwart zurück. Sie sah den jungen Mann aufmerksam an, wischte sich die Tränen aus den Augen und ging zum anderen Ende der Fähre. Hurry folgte ihr. Sie setzte sich hin und winkte ihm, neben ihr Platz zu nehmen. Ihr Ernst schüchterte Hurry etwas ein, und deshalb schwieg er.

»Du willst mit mir vom Heiraten sprechen, Harry March«, begann sie.

»Du weißt, daß ich dich für das schönste Mädchen halte, das ich je sah«, sagte er zögernd und verlegen.

»Ich weiß, Hurry. Ich verstehe dich gut, du ziehst mich anderen Mädchen vor und willst mich zur Frau haben, aber ich will jetzt aufrichtig sein. Es gibt einen Grund, March, weshalb ich nie deine Frau werden darf. Ich liebe dich nicht genug und bin überzeugt, daß ich dich nie genug lieben werde. Kein Mann kann sich eine Frau wünschen, die ihn nicht allen anderen Männern vorzieht.«

»Nimm dir Zeit, Judith, und überlege es dir besser.«

»Ich habe mich längst entschieden. Ich wartete nur, bis du dich deutlich aussprechen würdest, um dir dann ebenso deutlich zu antworten.«

Die Bestimmtheit des jungen Mädchens erschreckte Hurry, denn er hatte sie noch nie so ernst und entschieden gesehen. Früher wich sie immer seinen Anträgen aus oder nahm sie scherzhaft auf. Dies hatte er jedoch nur für weibliche Koketterie gehalten. Wenn er selbst auch bisher unentschlossen gewesen war, so hatte er es doch nie für möglich gehalten: daß Judith sich weigern würde, die Frau des tüchtigsten Mannes im ganzen Grenzgebiet zu werden. Jetzt war er etwas beschämt und sehr erstaunt.

Nach einer kleinen Pause sagte er schließlich achselzuckend:

»Der alte Tom ist nicht mehr da, die Mingos schwärmen am Ufer und in den Wäldern — die Zeit ist viel zu unsicher —, was soll ich daher noch hier?«

»Verlaß uns heute abend, wenn du willst«, war Judiths Antwort.

»Wenn ich weggehe, Judith, so wird mir deinetwegen das Herz schwer. Ich möchte dich lieber mitnehmen.«

»Davon kann jetzt nicht mehr die Rede sein, March. Ich will dich, sobald es dunkel ist, in einem Kanu an Land setzen, und dann kannst du dich zur nächsten Garnison durchschlagen.«

»Wenn ich sicher in das Fort komme, werde ich euch Hilfe gegen die Mingostrolche schicken. Ich werde selbst mitkommen, denn ich möchte dich und Hetty in Sicherheit wissen, ehe sich unsere Wege für immer trennen.«

»Sobald es dunkel ist, will ich dich ans Ufer bringen, oder der Delaware wird es tun. Du kannst dich dann an den Mohawk und zur nächsten Garnison begeben und so viel Hilfe schicken, wie dir möglich ist. Wir sind jetzt wieder Freunde, Hurry und ich darf dir vertrauen, nicht wahr?«

Hurry nickte nur — dann beugte er sich plötzlich vor und hob die Hand an die Augen.

»Siehst du nicht hinter dem Haus ein Kanu? — Hier, in der Richtung der Landspitze?«

»Ich sah es schon die ganze Zeit«, antwortete Hetty, die zu der Gruppe getreten war. »Es wird von einem einzelnen Mann gerudert. Es scheint Wildtöter zu sein.«

»Wildtöter!« rief Judith aufgeregt. »Das kann nicht sein!«

Das leichte Boot war jetzt am Gebäude vorübergefahren und näherte sich der Arche. Judith sprang in ein Boot. Ein paar Ruderschläge brachten sie an die Seite des kühnen Jägers. Auf dem Wasser lag noch das Licht des Sonnenuntergangs. Die Baumstämme des Hauses und der Arche schimmerten dunkelrot, und als die beiden Kanus sich einander näherten, schienen Boote und Menschen wie in Gold getaucht.

»Willkommen, Wildtöter!« rief Judith. »Wir hatten einen schrecklichen Tag! Doch deine Rückkehr bedeutet Glück! Sind die Irokesen menschlicher geworden, oder bist du ihnen durch deinen Mut und deine Klugheit entkommen?«

»Keins von beiden, Judith«, entgegnete der Angerufene.

»Wie kommst du dann aber hierher?« fragte Judith erstaunt.

»Das ist sehr einfach, Judith. Ich bin auf Urlaub.«

»Urlaub? Ich weiß, was das Wort bei den Soldaten bedeutet — aber bei einem Gefangenen?«

»Es bedeutet dasselbe. Ein Mann bekommt Erlaubnis, das Lager oder die Garnison auf eine bestimmte Zeit zu verlassen. Später muß er zurück, seine Muskete schultern oder sich den Martern unterwerfen, das ist ganz einfach.«

»Welche Sicherheit haben die Mingos für deine Rückkehr?«

»Mein Wort!« erwiderte der Jäger. »Das habe ich ihnen gegeben, und sie wären alberne Toren gewesen, wenn sie mich ohne diese Sicherheit hätten gehen lassen.«

»Fühlst du dich denn in diesem Fall an dein Wort gebunden?«

»Niemand wird mich zurückhalten«, sagte Wildtöter ernst.

Judith schwieg lange Zeit. Die verschiedensten Gefühle kämpften in ihr. Sie wußte aber, daß es ihr nie gelingen würde, den edlen Mann umzustimmen.

»Wann ist dein Urlaub zu Ende, Wildtöter?«

»Morgen um die Mittagsstunde. Und du kannst dich darauf verlassen, Judith, daß ich keinen Augenblick früher zurückkehren werde. Die Indianer fürchten einen Besuch von den Garnisonen her und wollten die Zeit keinen Augenblick verlängern. Sie scheinen sich über mein Schicksal so ziemlich verständigt zu haben. Wenn ich den Zweck meines Kommens nicht erreiche, sollen die Martern schon am Nachmittag beginnen, damit sie ihren Rückzug nach Hause einschlagen können, sobald es dunkel, geworden ist.«

»Sind die Mingos entschlossen, den Tod ihrer Gefährten zu rächen?« fragte Judith leise.

»Gewiß, wenn ich die Absichten der Indianer richtig beurteile. Ich habe bemerkt, daß die Weiber der Mingos sehr wütend darüber sind, daß Wah entführt wurde. Noch mehr aber hat sie der schreckliche Mord an dem jungen Mädchen empört.«

»Ach, Wildtöter, die Irokesen werden es sich überlegen, da sie dir bis morgen Zeit gegeben haben.«

»Ich will dazu nichts sagen, Judith. Ein Indianer ist ein Indianer, man darf nicht hoffen, ihn zu täuschen. Ich habe einen der besten und kühnsten Krieger erschlagen, und sie werden sich rächen wollen. Doch ich spreche nur von mir, Judith. Du wirst Sorgen genug haben, und vielleicht willst du einen Freund um Rat fragen.«

»Ja, Wildtöter«, antwortete Judith fast unhörbar. »Harry March will uns verlassen, Herty und ich wissen nicht, was wir beginnen sollen.«

Die Kanus legten jetzt an der Arche an, und die beiden jungen Menschen beschlossen, das Gespräch später fortzusetzen.

Die Begrüßung zwischen Wildtöter und seinen Freunden war ernst. Es begann jetzt dunkel zu werden, und es wurde verabredet, die Arche zum Haus zu rudern und sie dort zu befestigen. Wildtöter versicherte, daß von den Mingos vorläufig nichts zu fürchten sei. Er hatte einen Vorschlag von ihnen mitzuteilen, und wenn er angenommen würde, sollte der Kampf zwischen den Parteien beendet sein.

Als die Arche befestigt war, beschäftigten sich alle auf verschiedene Art. Die Mädchen bereiteten traurig und still das Abendessen. Hurry flickte beim Licht eines brennenden Kienspans seine Mokassins. Chingachgook saß in Gedanken versunken da, und Wildtöter betrachtete unbefangen die Lieblingsflinte Hutters. Die Waffe kam offenbar aus der Werkstätte eines ausgezeichneten Büchsenmachers. Sie hatte einige silberne Zierate, aber ihr größter Vorzug lag in der Genauigkeit, mit der sie traf. Der Jäger legte den Kolben immer wieder an die Schulter und ziehe über das Visier. Er hob die Waffe langsam, um ihr Gewicht zu prüfen, und stellte fest, daß die Flinte sich zu einem schnellen und genauen Schuß vortrefflich eigne.

»Es ist eine ausgezeichnete Waffe, Hurry«, sagte Wildtöter endlich, »und man möchte fast bedauern, daß sie jetzt nur den Mädchen gehört. Die Jäger haben mir schon viel von ihr erzählt.«

»Behalte sie, Wildtöter, und werde König der Wälder!« sagte Judith, die die Worte gehört hatte. »Sie kann nie in besseren Händen sein, und ich hoffe, daß sie noch fünfzig Jahre darin bleiben wird.«

»Das kann dein Ernst nicht sein, Judith«, sagte Wildtöter überrascht.

»Es ist mein vollkommener Ernst, der Wunsch und das Geschenk!«

»Nun, wir werden Zeit finden, weiter darüber zu reden. Du brauchst dich nicht zu ärgern, Hurry, denn Judith ist ein verständiges Mädchen. Sie weiß, daß der Ruf der Flinte ihres Vaters sicherer in meinen als in deinen Händen ist.« Hurry murmelte nur verdrießlich vor sich hin und war ganz mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt.

Nach dem Abendessen versammelten sich alle auf der Plattform, um die Mitteilung Wildtöters zu hören. Man brachte Stühle heraus, und alle sechs setzten sich im Kreis. Die Ufer waren ganz in Dunkel gehüllt, aber in der Seemitte spiegelten sich unzählige Sterne im tiefen Wasser.

»Meine Botschaft ist nicht angenehm, und ich weiß, daß sie nutzlos sein wird«, begann Wildtöter endlich. »Als die Mingos von hier zurückkamen, berieten sie untereinander, und ich konnte deutlich sehen, daß sie Rachepläne hegten. Niemand läßt sich gern besiegen, noch dazu, wenn er seinem Feind an Zahl überlegen ist. Nachdem sie geraucht und Reden gehalten hatten, gaben sie ihren Entschluß bekannt. Die Häuptlinge waren der Meinung, ich sei ein Mann, dem man eine Botschaft anvertrauen könne. Der See und alles, was sich auf ihm befindet, ist, wie sie glauben, in ihrer Gewalt. Thomas Hutter ist gestorben, und was Harry betrifft, so bilden sie sich ein, er sei heute dem Tode nahe genug gewesen. Sie glauben daher, es nur mit Chingachgook und den beiden Mädchen zu tun zu haben. Bekannt ist ihnen auch, daß der Delaware einer angesehenen Familie angehört, und ebenso, daß er jetzt seinen ersten Kriegspfad betritt. Nun schicken sie durch mich diesen Wampumgürtel mit folgenden Worten: ›Sag der Schlange, daß sie sich für einen Anfänger gut genug benommen hat. Er kann jetzt über die Berge in seine Heimat zurückkehren, und niemand wird seine Spur verfolgen. Wenn er einen Skalp gefunden hat, so soll er ihn mitnehmen. Die Tapferen der Mingos haben Herzen und können es einem jungen Krieger nicht verargen, wenn er nicht mit leeren Händen heimkehren will. Wah aber muß zurück zu den Mingos, denn als sie sich in der Nacht wegstahl, nahm sie etwas mit, was ihr nicht gehörte.‹«

»Das kann nicht wahr sein«, sagte Hetty ernst. »Wah ist gewiß ein Mädchen, das jedem das Seine läßt.«

»Du verstehst die Botschaft der Mingos nicht, Hetty«, fuhr Wildtöter fort. »Wah hat die Liebe eines jungen Mingos mitgenommen, und man wünscht sie zurück, damit der arme, junge rote Krieger sie wiederfinden möge.

Die nächste Botschaft ist für dich, Judith. Sie sagen, die Moschusratte, wie sie deinen Vater nennen, sei in den See untergetaucht, er werde nie wieder heraufkommen, und den Töchtern werde es bald an Wigwams und Nahrung fehlen. Die Hütten der Mingos sind besser als die Hütten von York. Sie wünschen daher, du sollst zu ihnen kommen und dich davon überzeugen. Sie sagen, deine Farbe sei allerdings weiß, aber sie glauben, junge Frauen, die so lange in den Wäldern gelebt haben, würden in den Niederlassungen nicht heimisch werden. Ein berühmter Krieger ihres Stammes hat vor kurzem sein Weib verloren, und er würde gern die ›Wilde Rose‹, wie sie dich nennen, auf die Grasmatte neben seinem Feuer setzen. Und Hetty wird immer von den roten Kriegern geehrt und gut aufgenommen werden. Sie glauben, daß der Besitz deines Vaters dem Stamme zufallen müsse, doch dein Eigentum soll wie das aller Weiber dem Wigwam des Mannes überwiesen werden.«

»Wie konntest du dich entschließen, mir eine solche Botschaft mitzuteilen, Wildtöter?« bemerkte Judith traurig.

»Du darfst es mir nicht übelnehmen, daß ich die Botschaft in den Worten wiederhole, in denen sie mir aufgetragen wurde. Das war eine Bedingung, unter der ich meinen Urlaub erhielt. Ich habe mitgeteilt, was sie sagten, aber noch nicht, zu welcher Antwort ich raten würde.«

»Ja, laß uns hören«, unterbrach ihn Hurry.

»Wenn ich an deiner Stelle wäre, Hurry, würde ich erwidern: ›Wildtöter, sag ihnen, daß sie Harry March nicht kennen! Er ist menschlich gesinnt, und da er eine weiße Haut hat, so hat er auch einen weißen Charakter, der ihm nicht gestattet, weiße Frauen in ihrer größten Not zu verlassen!‹«

»Freundliche Worte begründen lange Freundschaften, Meister Wildtöter«, erwiderte Harry darauf fast drohend. »Du bist noch ein junger Laffe, und du weißt am besten, was dir bevorsteht. Da du aber nicht ich, sondern nur ein Zwischenträger bist, den die Wilden uns Christen schicken, so kannst du ihnen sagen, daß sie Harry March ganz richtig beurteilt haben. Er sieht ein, wie töricht es sein würde, wenn ein einzelner Mann es mit einem ganzen Stamm von Indianern aufnehmen wollte. Wenn aber die Mädchen ihn im Stich lassen, und das tun sie, so wird auch er sie im Stich lassen.«

»Der Punkt ist also erledigt«, fuhr Wildtöter fort, ohne die Heftigkeit des anderen zu beachten. »Hurry Harry muß für sich selbst handeln. — Jetzt richte ich die Frage an Wah-ta-Wah. Willst auch du deiner Pflicht entfliehen, indem du zu den Mingos zurückkehrst?«

»Weshalb mit Wah so sprechen?« fragte das Mädchen empfindlich.

»Du denken, ein Rothautmädchen wie Kapitänsfrau sein, lachen und scherzen mit allen Offizieren, die kommen?«

»Was ich denke, Wah, darauf kommt es hier nicht an. Ich muß den Mingos deine Antwort mitteilen.«

Die Indianerin zögerte nicht länger. In ihrer Aufregung stand sie auf und redete in ihrer eigenen Sprache.

»Sage den Mingos, Wildtöter, daß sie so einfältige Maulwürfe sind. Sie wissen den Wolf nicht vom Hund zu unterscheiden. Unter meinen Landsleuten verblüht die Rose dort, wo sie aufgeblüht ist. Die Tränen des Kindes fallen auf die Gräber seiner Eltern, das Getreide wächst, wo die Saat gesät war. Die Delawarenmädchen sind nicht Boten, die man von einem Stamm zum andern senden kann. Was ist ein Mingojüngling einem Mädchen aus dem Stamm der Delawaren? Er mag schnell sein, aber ihre Augen folgen ihm nicht im Wettlauf, sie schauen zurück nach den Hütten der Delawaren. Wah-ta-Wah hat nur ein Herz, und das kann nur einen einzigen Mann lieben.«

Wildtöter hörte diese Worte mit großer Genugtuung.

»Das ist alle Wampume in den Wäldern wert«, sagte er. »Du wirst die Worte nicht verstanden haben, Judith, aber wenn du nach deinen eigenen Gefühlen urteilst, wirst du ihren Sinn erraten können. Da wir nun die Antwort eines roten Mädchens gehört haben, Judith, so muß ich mir auch die eines weißen ausbitten.«

»Es ist noch nicht Zeit, daß ich antworte«, erwiderte Judith. »Chingachgook hat noch nicht gesprochen.«

»Chingachgook! Ich weiß, was er antworten wird, wenn ich auch kein Wort davon hören sollte!«

Der junge Häuptling erhob sich aber jetzt von seinem Sitz, um die Antwort mit der erforderlichen Würde zu erteilen.

»Ein Wampum muß für das andere geschickt werden, eine Botschaft muß man mit einer anderen beantworten. Höre, was die Große Schlange der Delawaren den Wölfen von den großen Seen, wie sie sich nennen, zu sagen hat. Sie sind keine Wölfe, sie sind Hunde, die hierherkamen, um ihre Schwänze und Ohren von den Händen der Delawaren verstümmeln zu lassen. Sie sind gut, um junge Mädchen zu stehlen, aber schlecht, um sie zu behalten. Chingachgook nimmt das Seine, wo er es findet, ohne einen Hund aus Kanada erst um Erlaubnis zu fragen. Wenn er ein zärtliches Gefühl in seinem Herzen hat, so geht das die Mingos nichts an. Er behält Wah-ta-Wah bei sich, damit sie ihm seine Speisen bereite. Sie beide werden Delawaren genug sein, um alle Mingos in ihre Höhlen zurückzujagen.«

»Das ist eine gute Depesche, wie die Offiziere so etwas nennen«, sagte Wildtöter. »Alle Mingos werden vor Wut in Feuer und Flamme geraten. Doch stolze Worte sind nicht immer große Taten! Der Himmel gebe, daß wir nur die Hälfte von dem ausführen können, was wir vorhaben. Jetzt ist die Reihe an dir, Judith.«

»Sag mir, sag uns zuerst, Wildtöter«, begann Judith, »welche Folgen werden unsere Antworten für dich haben? Wenn du das Opfer unserer Worte werden solltest, so wäre es besser, wir hätten uns alle etwas vorsichtiger ausgedrückt.«

»Du könntest mich ebensogut fragen, Judith, von welcher Seite der Wind in der nächsten Woche wehen wird. Ich kann nur sagen, daß sie mich mit düsteren Gesichtern angesehen haben, und es donnert nicht immer, wenn der Himmel sich mit Wolken überzieht. Das ist daher eine Frage, die sich leichter stellen als beantworten läßt.«

»Ebenso ist es mit der Botschaft der Mingos an mich«, antwortete Judith, indem sie sich erhob, als habe sie für jetzt nichts mehr zu sagen. »Meine Antwort wird erfolgen, Wildtöter, nachdem du und ich darüber allein gesprochen haben.«

Im Benehmen des Mädchens lag etwas so Entschiedenes, daß sich alle damit abfanden.

Da aber Hurry sie bald verlassen wollte, lösten sie nun ihre Versammlung auf. Als Hurry aufbrach, war es neun Uhr. Statt freundlich Abschied zu nehmen, sprach er nur einige mürrische Worte. Judith gab ihm die Hand, während der Delaware und Wah seinen Abschied kaum beachteten. Nur Hetty verriet ihr wahres Gefühl. Als das Kanu mit Wildtöter und Hurry abstieß, rief sie dem Scheidenden nach:

»Leb wohl, Hurry! Nimm dich in den Wäldern in acht und halte dich nirgends auf, bis du die Garnison erreicht hast.«

Hurry hatte bei seiner Abreise so wenig Beweise der Teilnahme erhalten, daß diese Worte Eindruck auf ihn machten. Er hielt das Kanu an und brachte es mit einem einzigen Stoß seines kräftigen Armes wieder an die Seite der Arche zurück.

»Du bist ein gutes Mädchen, Hetty, und ich kann dich nicht verlassen, ohne dir die Hand zu geben«, sagte er freundlich. »Wenn wir wieder zusammenkommen, Hetty, wirst du einen Freund in mir finden, mag deine Schwester sich auch benehmen, wie sie will. Ich war kein großer Freund deiner Mutter, aber der Schwimmende Tom war im Grund ein guter Bursche, und ich werde ihn gegen alle seine Feinde auch um deinetwillen verteidigen!«

Mit diesen Worten stieß er das Kanu wieder ab, und einige Zeit ruderten er und Wildtöter schweigend. Sie wollten zu derselben Landspitze fahren, von der aus sie zuerst auf den See kamen. Es war zu erwarten, daß dieser Ort von den Mingos weniger bewacht sein würde. In einer Viertelstunde hatten sie ihr Ziel erreicht.

»Du wirst die Offiziere in der Garnison dazu bringen, gleich nach deiner Ankunft eine Abteilung Soldaten gegen die Mingostrolche abzuschicken«, begann Wildtöter, »und es wird auch gut sein, wenn du vorschlägst, die Truppen zu führen. Du kennst die Wege hierher, den See und das Land.«

»Und was geschieht mit dir?« fragte Hurry mit mehr Teilnahme, als er gewöhnlich zu verraten pflegte.

»Nur der Herr in seiner Weisheit kann es wissen, Harry March! Die Wolken sehen düster und drohend aus, und ich habe mich auf das Schlimmste gefaßt gemacht.«

»Du willst dich doch nicht etwa zurück zu den Mingos begeben, Wildtöter?« fragte Hurry jetzt zornig. »Es ist unsinnig und dumm!«

»Es gibt einige, denen es dumm erscheint, ein gegebenes Wort zu halten, Hurry Harry. Aber keine Rothaut soll sagen können, daß ein Mingo sein Wort besser hält als ein Weißer. Ich bin nur auf Urlaub, und ich werde morgen zur bestimmten Zeit zurückkehren.«

»Was hat ein gegebenes Wort zu bedeuten, wenn man es mit solchen Geschöpfen, wie diese Wilden es sind, zu tun hat?«

»Wer glaubt, er könne in seinem Unglück sagen, was er will, und es würde alles für nichts gelten, weil es etwa im Wald oder zu Rothäuten gesagt wurde, der weiß zuwenig von einem echten, ehrlichen Mann. Leb wohl, Harry! Wir sehen uns vielleicht nie wieder.«

March freute sich jetzt, daß er schnell wegkam. Er riß sich mit Ungeduld los, da er die Torheit verwünschte, die einen Mann veranlassen konnte, in sein eigenes Verderben zu rennen.

Doch Wildtöter zeigte keine Erregung. Von seinen Grundsätzen erfüllt, unbeugsam in dem Entschluß, nach ihnen zu handeln, und fremd eder unmännlichen Furcht, betrachtete er alles, was ihm bevorstand, wie ein Naturgesetz. Er stand ruhig am Ufer, horchte auf das Geräusch, das Harry im Ufergebüsch machte, und schüttelte unzufrieden den Kopf über diesen Mangel an Vorsicht. Dann trat er wieder in das Kanu zurück.

Bevor er das Ruder in das Wasser tauchte, sah er sich noch einmal um. Hier war die Stelle, wo er zum erstenmal den schönen See gesehen hatte. Damals war es ein herrlicher Anblick in dem hellen Licht des Sommertages. Jetzt malten die verhüllenden Schatten der Nacht eine traurige und schwermütige Stimmung. Die Berge erhoben sich düster, gleich schwarzen Mauern, und nur ein bleicher Schimmer lag noch in der Mitte des Sees. Der tapfere Jüngling seufzte tief, stieß aber dann fest entschlossen das Kanu vom Lande ab und ruderte schnell zurück.

11

Judith erwartete die Rückkehr Wildtöters schon ungeduldig auf der Plattform. Wah und Hetty lagen in tiefem Schlaf, und der Delaware hatte sich auf dem Fußboden des Nebenzimmers, mit der Flinte an seiner Seite, unter einer Decke ausgestreckt. In der Arche brannte eine Lampe, ein Luxus, den man sich nur bei besonderen Gelegenheiten gestattete.

»Du siehst, Wildtöter«, sagte das Mädchen, als das Kanu schließlich an der Plattform anlegte, »daß ich die Lampe angezündet und in die Kajüte gestellt habe. Willst du mir folgen und anhören, was ich dir zu sagen habe?«

Der Jäger wunderte sich zwar ein wenig, folgte ihr aber sofort in die Arche. Hier standen zwei Stühle und ein Tisch neben der offenen Truhe.

»Ich habe soeben diese Truhe da durchsucht«, begann Judith, nachdem sie Wildtöter gebeten hatte, Platz zu nehmen. »Ich habe ein Bündel Briefe gefunden, die einiges über Hettys und meine Abstammung aufzuklären scheinen. Ich glaube, mein Vater war ein englischer Offizier, doch dürfte seine Verbindung zu meiner Mutter nie gesetzlich gewesen sein. Auch sein Name ist aus den Papieren nicht zu ersehen. Thomas Hutter dürfte meine Mutter wegen ihres Vermögens geheiratet haben.«

»Sonst fand sich nichts unter den Papieren, das zur Entdeckung des früheren Aufenthaltes deiner Mutter führen könnte?«

»Nein, eine alte Zeitung lag noch bei, in der für die Auslieferung bestimmter namentlich aufgezählter Seeräuber, darunter auch ein gewisser Thomas Hovey, eine hohe Belohnung ausgesetzt wurde. Ich nehme an, das Thomas Hovey niemand anderer als Thomas Hutter war.« Sie reichte Wildtöter das Blatt, das dieser unbeachtet ließ.

»Jetzt laß uns aber von dir reden, Wildtöter«, bat Judith schließlich, »und von der Art und Weise, dich aus den Händen der Mingos zu befreien. Hetty und ich wollen zu diesem Zweck einen Teil von dem, was du in der Truhe gesehen hast, oder auch alles opfern.«

»Das ist freundlich, und ich erkenne es mit Dank an. Die Mingos denken aber, die Truhe sei schon so gut wie in ihren Händen, und sie werden niemandem für den Schlüssel danken.«

»Ich verstehe, Wildtöter, aber wir können uns doch auf dem See halten, bis Hurry uns Truppen zu Hilfe schickt. Das wird gewiß möglich sein, wenn du bei uns bleiben willst, statt zurückzukehren und dich wieder als Gefangenen auszuliefern.«

»Such mich nicht zu überreden, Judith. Ich halte mein Wort. Ein Urlaub ist eine heilige Angelegenheit unter Kriegern und unter Männern, die ihr Leben gegenseitig in den Händen tragen, wie wir es hier in den Wäldern tun. Welche Enttäuschung müßte es auch dem alten Tamenund sein und Unkas, dem Vater von Chingachgook, und meinen anderen Freunden bei den Delawaren, wenn ich auf meinem ersten Kriegspfad meinen Namen entehrte?«

»Ich glaube, du hast recht, Wildtöter«, erwiderte das Mädchen nach einigem Nachdenken traurig. »Ein Mann wie du darf nicht handeln wie die Gewissenlosen. Du sollst nicht sagen, daß Judith — ich weiß kaum, welchen Namen ich mir geben soll, denn Hutter war ein Seeräuber, und ich mag nicht mehr nach ihm heißen.«

»Du kannst ja den Namen deiner Mutter annehmen, Judith«, schlug Wildtöter vor.

»Ich kenne ihn nicht und habe ihn auch nicht in diesen Papieren gefunden. Mir bleibt nur mein Vorname, wenn mich nicht bald ein Mann heiratet und mir einen guten Namen gibt.«

Bei diesen Worten sah Judith den Jäger fragend an. Dann errötete sie tief und wandte sich ihm entschlossen zu. »Ich will die Scham überwinden, die Mädchen in vielen Fällen schweigen läßt«, fuhr sie fort, »und aufrichtig zu dir sein. Glaubst du, Wildtöter, daß du glücklich mit mir leben könntest, wenn du mich zur Frau nähmst?«

»Ein Mädchen wie du, Judith! Wie kannst du mit so etwas scherzen? Ein Mädchen, das schön genug ist, um eine Kapitänsfrau zu werden, und klug und gebildet, kann nicht daran denken, mich zu heiraten.«

Wildtöter nahm die Frage Judiths nicht ernst.

Beide redeten noch eine Weile über das Thema, stritten auch scherzhaft über die Frage, ob den Mädchen ein netter oder ein zuverlässiger Mann lieber sei, aber Judith erfuhr von dem jungen Jäger nicht das, was sie heimlich zu hören wünschte.

»Judith«, sagte Wildtöter endlich abschließend und drückte ihre Hand freundschaftlich und aufrichtig, »es ist besser, jetzt nicht mehr davon zu sprechen. Morgen schon sieht alles anders aus. Wenn deine Eltern Fehler begangen haben, so sollst du sie vermeiden. Du bist noch jung und kannst auf bessere Zeiten hoffen. Wir müssen jetzt schlafen gehen, denn morgen ist auch noch ein Tag.«

Wildtöter erhob sich. Gemeinsam verschlossen sie die Truhe und trennten sich dann schweigend voneinander.

In dieser Nacht fand Judith keinen Schlaf.

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Wah-ta-Wah erhob sich vor Tagesanbruch von ihrem Lager. Auf der Plattform fand sie Chingachgook, der die Ufer des Sees, die Berge und den Himmel mit dem scharfen Blick eines Mannes aus den Wäldern beobachtete. Die Liebenden begrüßten einander schweigend. Ihre tiefe Zuneigung sprach sich nur in ihren Augen aus.

Chingachgook stellte jetzt zwei Stühle an die Hauswand, setzte sich und winkte Wah, Platz zu nehmen. Nach kurzem Schweigen streckte der junge Krieger seinen Arm aus und deutete langsam auf den See, die Hügel und den Himmel. Das Mädchen folgte den Bewegungen und lächelte bei jeder neuen Schönheit, die sie erblickte.

»Hugh!« sagte der Häuptling in Bewunderung. Dies war der erste See, den er je gesehen hatte. »Dies ist das Land des Manitu! Es ist zu gut für Mingos — aber die Hunde jenes Stammes heulen scharenweise in den Wäldern. Sie denken, daß die Delawaren hinter den Bergen schlafen.«

»Alle schlafen, außer einem, Chingachgook. Einer von ihnen ist hier, und er ist vom Blut der Unkas!«

»Was ist ein Krieger gegen einen ganzen Stamm! Der Pfad nach unseren Dörfern ist sehr lang und gekrümmt, und wir werden unter einem bewölkten Himmel dorthin wandern müssen. Ich fürchte auch, ›Geißblattblüte von den Hügeln‹, daß wir allein werden gehen müssen.«

Wah verstand diese Andeutung und wurde traurig, obgleich es ihren Ohren angenehm klang, von dem Krieger, den sie liebte, mit der wohlriechendsten und lieblichsten aller wilden Waldblumen verglichen zu werden. Aber sie schwieg, wie es sich für sie schickte.

»Wenn die Sonne dort steht«, fuhr der Delaware fort und zeigte dabei nach dem Zenit, »wird der berühmte Jäger unseres Stammes zu den Mingos zurückkehren, um wie ein Bär behandelt zu werden, den sie schinden und braten.«

»Der große Geist möge ihre Herzen besänftigen und nicht dulden, daß sie sich so blutgierig zeigen! Ich habe unter den Mingos gelebt und kenne sie! Sie haben Herzen und werden ihre eigenen Kinder nicht vergessen, da diese auch in die Hände der Delawaren fallen könnten.«

»Ein Wolf wird immer heulen. Sie haben Krieger verloren. Selbst ihre Weiber werden um Rache schreien. Mein weißer Freund hat die Augen eines Adlers und kann in das Herz eines Mingos sehen. Er sieht dort kein Erbarmen.«

Es folgte wieder ein langes, nachdenkliches Schweigen.

»Was will der Sohn des Unkas tun?« fragte endlich das Mädchen schüchtern, während sie verstohlen die Hand des Häuptlings nahm. »Er ist ein Häuptling, und obgleich so jung, dennoch schon berühmt bei den Beratungen der Krieger. Was sagt ihm sein Herz, und spricht der Kopf auch dieselben Worte wie das Herz?«

»Was sagt Wah-ta-Wah, da mein Freund in großer Gefahr ist? Die kleinsten Vögel singen am schönsten, es ist immer angenehm, auf ihren Gesang zu lauschen. Ich wünschte, den Zaunkönig der Wälder zu hören. Seine Stimme würde tiefer eindringen als ins Ohr.«

»Wah-ta-Wah sagt, daß weder sie noch die Große Schlange je wieder ruhig schlafen könnten, wenn Wildtöter unter dem Tomahawk eines Mingos sterben sollte und sie nichts getan hätten, um ihn zu retten. Sie würde lieber zurückkehren und allein auf dem langen Pfad wandern, als eine so dunkle Wolke vor ihr Glück treten zu lassen.«

»Gut! Der Gatte und das Weib werden nur ein einziges Herz haben, sie werden mit den gleichen Augen sehen, und ihre Gefühle werden dieselben sein!«

Sie senkten ihre Stimmen und berieten gerade einen Plan zur Rettung ihres Freundes, als Wildtöter aus der Kajüte der Arche auf die Plattform trat. Er sah nach dem wolkenlosen Himmel und begrüßte dann mit einem freundlichen Kopfnicken den Häuptling und Wah-ta-Wah.

»Wer die Sonne im Westen untergehen sieht«, sagte er ruhig, »und früh genug am anderen Morgen erwacht, wird sie im Osten wieder aufgehen sehen. Das ist eine beruhigende, feststehende Tatsache.«

»Wo wird mein Bruder morgen sein, wenn die Sonne wieder über dem Wipfel jener Tanne steht?« fragte Chingachgook.

Der Jäger sah seinen Freund ruhig an. »Die Frage ist leichter gestellt als beantwortet. Aber wo wirst du bei Sonnenaufgang sein?«

»Chingachgook wird bei seinem Freund sein. Wenn er in dem Land der Geister ist, wird sich die Große Schlange an seine Seite schmiegen; wenn er noch unter der Sonne lebt, werden sich beide ihrer Wärme und ihres Lichtes erfreuen!«

»Ich verstehe dich, Delaware«, erwiderte der Jäger gerührt. »Du darfst aber auf keinen Fall Wah-ta-Wah verlassen, weil eine Wolke, wenn sie auch dunkler als gewöhnlich sein mag, zwischen mir und dir steht.«

»Wah ist eine Tochter der Mohikaner; sie weiß, wie sie ihrem Mann zu gehorchen hat. Wohin er geht, wird sie ihm folgen.«

»Der Herr segne dich, Häuptling! Aber das ist reiner Wahnsinn. Werden deine zornigen Blicke oder Wahs Tränen einen Wolf in ein Eichhörnchen verwandeln? Nein, Schlange, du mußt dir das besser überlegen und mich in den Händen Gottes lassen. Übrigens ist es auch noch nicht ganz sicher, ob die Mingos mich martern werden. Wir müssen aber die Dinge nehmen, wie sie sind, und nicht unnötiges Blut opfern.«

So stritten sie eine Weile über diesen Punkt, bis Chingachgook schließlich sagte: »Die Delawaren sind vorsichtig. Wildtöter kann überzeugt sein, daß sie nicht mit geschlossenen Augen in ein fremdes Lager laufen werden.«

Jetzt traten auch Judith und Hetty zu der Gruppe. Judith war bleich, und ihre Züge verrieten, daß sie eine schlaflose Nacht hinter sich hatte. Während des Frühstücks wurde kaum eine Silbe gesprochen. Wildtöter allein war allem Anschein nach ganz ruhig. Er unterhielt sich freundlich und unbefangen bis zu der immer näher rückenden Stunde seines Abschieds.

12

Als es dann Zeit war, daß sich Wildtöter auf seinen schweren Weg machte, verabschiedete er sich mit schmerzlichen Gefühlen von seinen Freunden. Judith, die mühsam die Tränen zurückhielt, bestand darauf, daß ihn Hetty begleite, denn sie hoffte auf den Einfluß, den das Mädchen auf die Wilden zu haben schien. Der Jäger willigte schließlich ein, denn er wußte, daß man Hetty nichts zuleide tun würde. Beide bestiegen ein Kanu und ruderten langsam dem Ufer zu. Die Freunde blickten ihnen traurig nach.

Die Sonne brauchte nur noch zwei bis drei Minuten, um den Zenit zu erreichen, als Wildtöter an der Landzunge ankam, wo die Mingos ihr Lager aufgeschlagen hatten. Festen Schritts betrat er das Land, und aufrecht ging er den Häuptlingen entgegen, die mit ernster Würde auf einem Baumstamm saßen. Der älteste von ihnen deutete erstaunt auf die Sonne, die in diesem Augenblick gerade den Zenit erreichte. Ein allgemeiner Ausruf der Bewunderung entfuhr jedem Mund. Die Mingos waren nämlich in ihren Ansichten über die Wahrscheinlichkeit der Rückkehr ihres Gefangenen geteilter Meinung gewesen. Die meisten hatten es nicht für möglich gehalten, daß ein Weißer freiwillig zurückkehren würde. Aber einige der älteren Krieger setzten größeres Vertrauen in einen Mann, der sich so kaltblütig, tapfer und ehrlich gezeigt hatte.

Die Häuptlinge erwarteten Wildtöter beinahe mit feierlichem Ernst. Rechts von ihnen standen die jungen bewaffneten Krieger, links die Weiber und Kinder. In der Mitte war ein großer offener Platz, den man sorgfältig von allem Laub und trockenem Holz gesäubert hatte. Rivenoak und der Panther, zwei rivalisierende Häuptlinge, die wie bei vielen Indianerstämmen die gesamte Macht unter sich teilten, saßen nebeneinander; aber keiner von beiden rührte sich, bis der Jäger in die Mitte des Platzes getreten war.

»Hier bin ich, Mingos«, rief Wildtöter jetzt im Dialekt der Delawaren, den die meisten verstanden. »Hier bin ich, und da ist die Sonne! Ihr habt jetzt euren Gefangenen wieder, beginnt mit ihm, was ihr wollt.«

Ein Beifallsgemurmel belohnte diese Rede, und fast alle hatten den Wunsch, einen Mann mit so kühnem Geist in den Stamm aufzunehmen. Rivenoak erhob sich, streckte den Arm aus und begrüßte den Gefangenen.

»Du bist ehrlich«, sagte er. »Es freut uns, daß wir einen Mann gefangen haben und nicht einen hinterlistigen Fuchs. Wir kennen dich jetzt, wir werden dich wie einen tapferen Krieger behandeln. Wenn du einen von uns erschlagen hast, so bist du bereit, es mit deinem Leben zu büßen. Einige unserer jungen Krieger glaubten, das Blut eines Bleichgesichts sei zu dünn, es werde sich weigern, unter dem Messer der Irokesen zu fließen. Du wirst ihnen zeigen, daß das nicht der Fall ist. Dein Herz ist so gut wie dein Körper! Ich habe gesprochen, du weißt, was ich gesagt habe.«

»Ich bin hier und bereit, das Urteil zu empfangen, wenn euer Beschluß nicht schon gefaßt wurde, ehe ich zurückkehrte«, antwortete Wildtöter.

»Meine alten Männer wollten über das Bleichgesicht erst beraten, wenn sie es wieder unter sich sähen«, antwortete Rivenoak, indem er sich spöttisch umsah. »Sie sagten, es sei sonst, als wolle man über die Winde zu Rat sitzen. Sie wehen, wohin sie wollen, und kommen wieder, wenn es ihnen gefällt, sonst nicht.«

Nun folgte eine kurze Beratung der Häuptlinge. Dem Gefangenen wurde gesagt, er dürfe auf der Halbinsel umhergehen, bis man sich über sein Geschick einig geworden sei. Er wurde freilich scharf beobachtet, denn er hatte sein Wort zurückgegeben, und jetzt wäre eine Flucht für ihn nur ehrenhaft gewesen. Wildtöter war von seiner Lage genau unterrichtet. Hätte eine Flucht auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg gehabt, er würde den Versuch keine Minute aufgeschoben haben. So aber wußte er, daß es ihm jetzt unmöglich sein würde, unverletzt in die Wälder zu entkommen. Der See bot auch keine Hilfe, da das Kanu in den Händen seiner Feinde war. Während er auf der Landzunge umherging, blickte er um sich, ob es nirgends ein Versteck für ihn gab — aber die offene Lage und die wachsamen Blicke ließen ihn keines entdecken.

Mittlerweile schien im Lager alles seinen geregelten Gang zu gehen. Die Häuptlinge berieten und erlaubten niemandem außer Sumach, an ihren Beratungen teilzunehmen. Sie war die Witwe des von dem Jäger getöteten Kriegers und hatte ein Recht, angehört zu werden.

Die jungen Männer trieben sich müßig umher, während die Weiber das Mahl zubereiteten. Niemand verriet Teilnahme an dem Gefangenen. Nach einer Stunde ungefähr wurde dieser aufgefordert, wieder vor seinen Richtern zu erscheinen.

»Wildtöter«, redete ihn Rivenoak an, »meine alten Männer haben weise Worte angehört; Sie sind bereit zu sprechen. Du bist ein Mann, dessen Väter von jenseits der aufgehenden Sonne kamen, wir sind Kinder der untergehenden Sonne. Wir wenden unsere Gesichter den großen, süßen Seen zu, wenn wir nach unseren Dörfern blicken. Es mag ein schönes Land und voll Reichtümer gegen Morgen sein, aber angenehmer ist es gegen Abend. Wenn wir nach Osten blicken, fühlen wir Besorgnis, denn ein Kanu nach dem anderen bringt mehr und mehr von deinem Volk auf der Spur der Sonne, als wäre euer Land so voll, daß es überläuft. Der roten Männer sind nur noch wenige, sie bedürfen der Hilfe.

Eine unserer besten Hütten wurde vor kurzem durch den Tod ihres Besitzers leer. Es wird viel Zeit vergehen, bis sein Sohn groß genug ist, um seine Stelle einzunehmen. Da ist die Witwe, sie wird Wiidbret brauchen, um sich und ihre Kinder zu ernähren, denn ihre Söhne sind noch wie die Jungen des Rotkehlchens, ehe sie ihr Nest verlassen. Dies große Unglück ist ihr von deiner Hand widerfahren. Skalp um Skalp, Leben um Leben, Blut um Blut ist ein Gesetz; ihre Jungen zu ernähren aber ein anderes.

Wir kennen dich, Wildtöter. Du bist ehrlich. Wenn du etwas sagst, ist es so. Du hast nur eine Zunge, und sie ist nicht gespalten wie die einer Schlange. Dein Kopf ist nie im Gras verborgen, alle können ihn sehen. Was du ankündigst, das wirst du auch tun. Du bist gerecht! Hier ist Sumach! Sie lebt allein in ihrem Wigwam, und ihre Kinder schreien nach Nahrung. Da ist eine Flinte, sie ist geladen und zum Abschießen fertig. Nimm sie, geh hinaus und schieß ein Wild. Bring es der Witwe, ernähre ihre Kinder, nenn dich ihren Mann. Dann wird dein Herz nicht mehr das eines Delawaren, sondern das eines Mingos sein; die Ohren der Sumach werden nicht mehr das Geschrei ihrer Kinder hören, und mein Volk wird wieder dieselbe Anzahl von Kriegern haben.«

»Mingo, ich bin ein weißer Mann und ein Christ«, sagte Wildtöter ernst. »Es würde sich schlecht für mich schicken, eine Frau nach den Gebräuchen der roten Männer zu nehmen. Eure eigenen jungen Männer müssen die Sumach mit Wildbret versorgen, und wenn sie sich wieder verheiratet, soll sie einen Mann nehmen, dessen Beine nicht so lang sind, daß er in ein Gebiet läuft, das ihm nicht gehört. Er ist im offenen Kampf mit mir gefallen. Darauf muß ein Tapferer immer gefaßt sein. Nein, Mingo, mein Herz ist weiß in allem, was die Weiber betrifft, es ist delawarisch in allem, was auf Indianer Bezug hat.«

Wildtöter hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als sich ein allgemeines Gemurmel der Unzufriedenheit erhob. Besonders Sumach, eine Frau, die die Mutter des Jägers hätte sein können, war nicht die Sanfteste in ihren Verwünschungen und Drohungen. Ihr Bruder aber, der Panther, der für den Tod Wildtöters gestimmt hatte, schleuderte, außer sich vor Wut, den Tomahawk auf den Gefangenen. Der Jäger jedoch hatte die schnelle Bewegung beobachtet. Er fing geschickt die Waffe aus der Luft. Der Wurf war so heftig, daß seine Hand ein Stück mitgerissen wurde.

Ehe sein Gegner sich dessen versah, hatte Wildtöter die Waffe auf ihn zurückgeschleudert. Die scharfe kleine Axt traf den Indianer unmittelbar zwischen den Augen und schlug ihm die Stirn ein. Vorstürzend fiel der schwere Körper der Länge nach zu Boden.

Alle eilten ihm zu Hilfe, so daß der Gefangene einen Augenblick allein blieb. Sein Wort hatte er nach der Beendigung des Urlaubs zurück, und so benützte er diesen Augenblick entschlossen zur Flucht. Kaum sahen ihn seine Feinde in langen Sprüngen davonlaufen, als sie ein furchtbares Geschrei erhoben und ihm nachsetzten.

So unerwartet das Ereignis auch eintrat, das Wildtöter zu diesem verzweifelten Versuch einer Flucht veranlaßte, so war er doch auf diese Möglichkeit vorbereitet gewesen. Während er scheinbar frei auf der Landzunge unhergegangen war, hatte er alle Aussichten des Erfolges und des Mißlingens berechnet. Er kannte das Terrain genau und die Stellen, wo Wachen ausgestellt waren, so daß er unbehindert aus dem Bereich des Lagers kam, wenn er auch die ganze Meute der Verfolger hinter sich hatte. Zuerst wandte er sich zum See und lief am Ufer entlang. Sobald er eine günstige Stelle bemerkte, drängte er sich durch das Gebüsch und entkam in den Wald.

Einige Kugeln sausten hinter ihm her, aber die allgemeine Verwirrung verhinderte, daß er getroffen wurde. Etliche Geschosse pfiffen dicht an ihm vorbei. Manche rissen Zweige von den Bäumen, aber keines verletzte ihn.

Wildtöter war mehr als hundertfünfzig Schritt vor dem vordersten seiner Verfolger. Die schnellsten Läufer warfen daher ihre Büchsen fort und riefen den Weibern und Knaben zu, sie mögen sie aufnehmen und wieder laden.

Der kühne Jäger kannte genau die verzweifelte Art des Kampfes, der ihm nun bevorstand, und er wußte auch, daß er nur in gerader Linie laufen dürfe — die Zahl der Verfolger zwang ihn dazu.

Er lief daher die Anhöhe hinauf, die in dieser Gegend weder sehr hoch noch sehr steil, aber doch schwer genug zu ersteigen war, besonders für jemanden, der so schnell fliehen mußte. Er mäßigte seine Eile ein wenig und schöpfte Atem. Die Mingos schrien und liefen hinter ihm her, er aber beachtete sie nicht. Nun befand er sich nicht mehr weit von der Höhe des Hügels und bemerkte, daß zwischen diesem und einem zweiten Hügel eine tiefe Schlucht lag.

Vorsichtig schritt er aus und sah sich in jeder Richtung nach einem Versteck um. In der Nähe lag ein gestürzter Baumriese. Verzweifelte Umstände verlangen verzweifelte Mittel. Dieser Baum lag parallel zur Schlucht am Abhang des Hügels. Auf ihn zuspringen und sich so dicht wie möglich unter den Stamm pressen, war für Wildtöter das Werk eines Augenblicks. Ehe er aber vor den Augen seiner Verfolger verschwand, stieß er von der Höhe herab ein lautes Geschrei aus, wie im Triumph über den Anblick der Schlucht.

Kaum hatte er sich verborgen, als er an der Heftigkeit seiner Pulsschläge merkte, wie verzweifelt seine Anstrengungen gewesen waren. Er konnte sein Herz schlagen hören, und sein Atem ging schwer und stoßweise. Aber er erholte sich bald. Die Verfolger, die sich die Anhöhe heraufgearbeitet hatten, kamen immer näher, und gleich darauf hörte er die Stimmen der Feinde.

Die Vordersten schrien laut, als sie die Höhe erreichten. Dann sprang jeder auf den gestürzten Baum zu und eilte die Schlucht hinab, in der Hoffnung, den Verfolgten noch zu erblicken. Wildtöter glaubte schon, sie seien alle vorüber. Indessen jedoch kamen immer mehr, bis er etwa vierzig gezählt hatte.

Endlich waren alle in der Tiefe der Schlucht etwa hundert Fuß unter ihm. Einige hatten schon eine Strecke des gegenüberliegenden Hügels erstiegen, als sie nachforschten, welche Richtung er eingeschlagen haben könnte. Das war ein kritischer Augenblick. Ein weniger entschlossener Mann würde aufgesprungen und weitergelaufen sein. Wildtöter aber verhielt sich noch ruhig und beobachtete mit gespannter Aufmerksamkeit jede Bewegung unten im Tal. Nichts entging seinem Blick.

Die Mingos glichen jetzt einer Schar Hunde, die die Spur verloren haben. Sie sprachen wenig, aber jeder lief umher und untersuchte die trockenen Zweige und die abgefallenen Blätter. Die große Anzahl von Mokassinspuren, die sich am Erdboden befand, machte die Untersuchung schwierig, wenn auch der Gang eines Indianers leicht von dem weiter ausgreifenden Schritt eines weißen Mannes zu unterscheiden ist.

Als Wildtöter glaubte, daß keine Verfolger mehr hinter ihm seien, schwang er sich plötzlich über den Baum auf die andere Seite. Dies gelang zu seiner Zufriedenheit. Er horchte einen Augenblick auf die Stimmen in der Schlucht, um sich zu überzeugen, daß er nicht gesehen worden war. Dann kroch er auf Händen und Füßen auf die Höhe zurück, denn er wollte den Hügel zwischen sich und seine Verfolger bringen.

Auch dies gelang, und er ging jetzt aufrecht und schnell, aber ruhig in der entgegengesetzten Richtung davon. Die Stimmen in der Schlucht beunruhigten ihn jedoch, und er eilte wieder auf die Höhe, um seine Verfolger zu beobachten.

In diesem Augenblick erblickte ihn ein Mingo, und die Verfolgung begann von neuem. Er blieb oben, da er auf der Anhöhe schneller entfliehen konnte.

Die Indianer glaubten, der Hügel werde bald gegen die Schlucht zu abfallen, und hielten sich unten, um den Flüchtling schneller erreichen zu können. Einige wandten sich nördlich, um seine Flucht in dieser Richtung zu verhindern, während andere in südlicher Richtung dem Seeufer zuliefen.

Die Lage Wildtöters war jetzt gefährlicher geworden. Er wurde von drei Seiten umzingelt, und an der vierten lag der See. Als er daher bemerkte, daß der Hügel gegen die Schlucht immer mehr abfiel, wandte er sich plötzlich nach links und sprang den Abhang hinab, dem Ufer zu.

Einige von seinen Verfolgern eilten keuchend den Hügel hinauf und hinter ihm her, während die meisten sich noch in der Schlucht befanden. Wildtöter hatte einen verzweifelten Plan im Sinn. Er gab alle Gedanken an eine Flucht in die Wälder auf und beabsichtigte, sich des Kanus zu bemächtigen. Er wußte, wo es lag. Konnte er es erreichen, so hatte er nur einige Flintenschüsse zu befürchten, und traf man ihn nicht, so war seine Rettung sicher.

Als Wildtöter sich der Landzunge näherte, lief er an mehreren Weibern und Kindern vorbei. Sie bemühten sich wohl, trockene Zweige zwischen seine Beine zu werfen, aber der Schrecken über seine kühne Tat gegen den gefürchteten Panther war so groß, daß niemand es wagte, ihm nahe zu kommen.

Er lief an allen triumphierend vorbei und erreichte die Ufergebüsche. Gleich darauf befand er sich am See und etwa fünfzig Fuß von dem Kanu entfernt. Nun hörte er auf zu laufen, um einen Augenblick auszuruhen. Er trat vor, beugte sich nieder und schöpfte Wasser in seine Hand, um zu trinken. Doch die Sekunden drängten, und er stand bald an der Seite des Kanus. Da mußte er bemerken, daß man die Ruder fortgenommen hatte. Das war nach all den Anstrengungen eine schreckliche Enttäuschung, und einen Augenblick dachte er schon daran, umzukehren und sich seinen Feinden auszuliefern. Doch ein teuflisches Geschrei verkündete gerade jetzt ihr Kommen, und sein Wille zu leben trug den Sieg davon.

Er wendete rasch entschlossen die Spitze des Kanus der Seemitte zu. Dann lief er einige Schritte neben dem Fahrzeug her, um ihm eine gewisse Geschwindigkeit zu geben, und schwang sich schließlich schnell hinein. Ohne die Bewegung zu hemmen, fiel er auf den Boden des Bootes und blieb dort liegen, um wieder Atem zu holen und vor den feindlichen Schüssen gedeckt zu sein. Die Leichtigkeit des Kanus wirkte aber jetzt ungünstig. Das Boot hatte wenig Schwerkraft, sonst würde der Stoß es in dem glatten und stillen Wasser weiter vom Ufer weggebracht haben. Außer Schußweite hätte er mit den Händen rudern können, und es wäre möglich gewesen, die Aufmerksamkeit Chingachgooks und Judiths zu erregen.

Während er auf dem Boden lag, beobachtete er die Bewegungen des Bootes an den Baumwipfeln, die über dem Wasser hingen. Viele erregte Stimmen drangen vom Ufer herüber. Seine Lage schien kritischer denn je und stellte seine Geduld hart auf die Probe. Zwei bis drei Minuten lag er ganz ruhig und lauschte angestrengt, ob sich jemand schwimmend nähere. Einigemal schien es ihm wirklich, als höre er Schwimmbewegungen im Wasser. Es war jedoch nur das Rauschen der Wellen über den Steinen am Ufer.

Nach einer Weile hörte er die Stimmen nicht mehr. Das Kanu war jetzt so weit getrieben, daß er nichts sehen konnte als den blauen Himmel über sich. Die Ungewißheit quälte ihn. Schon wollte er mit seinem Messer ein Loch durch die dünne Bootwand schneiden, da fiel ein Schuß. Die Kugel schlug durch beide Seitenwände des Kanus, etwa achtzehn Zoll über der Stelle, wo sein Kopf lag. Wildtöter verhielt sich noch eine halbe Minute ruhig.

Als er plötzlich den Wipfel einer Eiche in seinen Gesichtskreis treten sah, krümmte er seinen Körper mit aller Vorsicht und legte sein Auge an die Öffnung, wo die Kugel durchgegangen war. Er konnte glücklicherweise die Landzunge ziemlich gut übersehen. Das Kanu hatte sich nach Süden gewendet und trieb langsam den See hinab. Es war ein Glück, daß Wildtöter ihm einen so kräftigen Stoß versetzt hatte, daß es schließlich über das Ende der Landzunge hinausgetrieben war, sonst hätte es jetzt wieder an das Ufer stoßen müssen. So aber trieb es eine leichte Luftströmung aus Südwesten langsam vom Strande ab.

An jedem Ende des Kanus lag als Sitz wie üblich ein großer runder, glatter Stein. Wildtöter ergriff vorsichtig den einen und rollte ihn an die Seite des anderen, während er seinen Körper so weit wie möglich zurückdrängte. Als er das Ufer verließ, hatte er einen Zweig in das Kanu geworfen, der sich jetzt in der Nähe seines Armes befand. Er nahm seine Mütze ab, steckte sie auf das Ende des Stocks und ließ sie dann über dem Rand des Kanne so fern wie möglich von seinem Körper erscheinen. Diese Kriegslist durchschauten die Rothäute, und eine Kugel schlug dicht an seinem Arm durch die Bootswand und verletzte ihn leicht. Als er die Mütze noch einmal, jetzt über seinem Kopf, zeigte, blieb alles ruhig. Er lag daraufhin noch einige Minuten still und sah dann durch das Kugelloch, daß er allmählich immer weiter vom Ufer abgetrieben wurde. Das Kanu wendete sich langsam, so daß er durch die Kugellöcher die beiden äußersten Enden des Sees erblicken konnte. Er dachte jetzt wieder an seinen Stock, mit dem er sich vielleicht fortrudern konnte.

Dies gelang ihm schließlich besser, als er gehofft hatte, aber er wußte nicht, wie er das Kanu in gerader Linie halten sollte. Daß man seine Bewegung sah, ergab sich bald. Eine Kugel schlug durch die Bootsspitze und pfiff zwischen den Armen Wildtöters hindurch. Ein zweiter Schuß zerschmetterte den Stock. Daher mußte er sich nun der Eigenbewegung des Kanus überlassen. Da es ihm jedoch schien, als klängen die Stimmen immer entfernter, wollte er sich gedulden, bis er außer Schußweite war.

Wildtöter befand sich schon zwanzig Minuten in dem Kanu, und ungeduldig wartete er auf die Hilfe seiner Freunde. Der Stellung des Bootes zufolge konnte er den See nur hinauf— oder hinabsehen, und die Wasserburg Hutters lag nicht in seinem Gesichtskreis. Die tiefe Stille beunruhigte ihn jedenfalls. Endlich legte er sich, von dem fruchtlosen Warten ermüdet, auf den Rücken, machte die Augen zu und erwartete ruhig den Ausgang.

Zehn Minuten mochten etwa so verflossen sein, als Wildtöter ein leichtes Geräusch wie ein leises Reihen gegen den Boden des Kanus zu hören glaubte. Er öffnete die Augen und erwartete, das Gesicht oder den Arm eines Indianers zu sehen, aber er erblickte nur ein grünes Laubgewölbe unmittelbar über seinem Kopf. Er sprang auf und sah — Rivenoak, der langsam das Boot ans Land zog. Das Kanu war infolge der schnell wechselnden Luftströmungen und einiger Strudel im Wasser wieder zurückgetrieben worden.

»Komm«, sagte der Irokese mit einer ruhigen, gebieterischen Bewegung. »Mein junger Freund ist umhergesegelt, bis er müde wurde, er wird nicht entfliehen, bis er seine Beine wieder bedienen kann.«

»Ihr habt freilich den Vorteil davon!« erwiderte Wildtöter, indem er ruhig aus dem Kanu trat. »Die Vorsehung ist euch unerwartet zu Hilfe gekommen.«

»Mein junger Freund ist ein Elch«, sagte der Mingo. »Seine Beine sind sehr lang, sie haben meinen jungen Männern Mühe gemacht. Aber er ist kein Fisch, er kann seinen Weg im Wasser nicht finden. Wir haben ihn daher nicht erschossen, denn Fische werden in Netzen gefangen und nicht mit Kugeln getötet.«

»Ich bin euer Gefangener, behandelt mich, wie ihr wollt«, antwortete der Jäger kurz, der den Hohn in Rivenoaks Worten spürte.

»Mein Bruder ist lange auf den Hügeln umhergelaufen und auf dem Wasser gesegelt«, erwiderte der Häuptling lächelnd, »er hat die Wälder gesehen, er hat das Wasser gesehen. Vielleicht hat er genug gesehen, um seinen Entschluß zu ändern und vernünftige Vorschläge anzuhören.«

»Sprich, Mingo!«

»Meines Bruders Ohren sind jetzt weiter geöffnet als vorhin, und seine Augen sind nicht geschlossen. Die Sumach ist ärmer als je. Einst hatte sie einen Bruder und einen Mann. Sie hat auch Kinder. Die Zeit kam, und ihr Mann begab sich in das glückliche Jagdgebiet, ohne Lebewohl zu sagen. Er ließ sie allein mit seinen Kindern. Der Panther folgte dem Mann seiner Schwester auf dem Todespfad. Sie messen jetzt ihre Kräfte, wer zuerst das glückliche Jagdgebiet erreichen wird. Wer aber soll Sumach und ihre Kinder ernähren? Der Mann, der dem Luchs und dem Panther sagte, sie mögen ihre Hütten verlassen, damit Raum für ihn darin sei. Er ist ein berühmter Jäger, und wir wissen, daß er eine Frau ernähren könnte.«

»Ich habe gehört, daß einige ihr Leben auf diese Art retteten«, antwortete Wildtöter, »aber ich kenne auch manche, die den Tod einer solchen Gefangenschaft vorziehen würden. Ich suche zwar nicht den Tod, aber auch keine Heirat.«

»Mein Bruder wird darüber nachdenken, während mein Volk sich zur Beiatung versammelt. Es wird ihm gesagt werden, was ferner geschehen soll.«

Dieses Gespräch hatte nur zwischen den beiden stattgefunden. Von der ganzen Bande war nur Rivenoak sichtbar. Die übrigen schienen den Ort verlassen zu haben. Hausgeräte, Kleider, Waffen, alles war verschwunden. Eine so unerwartete Veränderung erregte die Besorgnis des Gefangenen, denn unter den Delawaren hatte er etwas Derartiges noch nie erlebt.

Rivenoak ließ ihn jetzt allein und begab sich in den Wald. Wildtöter zeigte sich gleichmütig und ging auf dem offenen Platz herum. Allmählich näherte er sich der Stelle, wo er ans Land gestiegen war. Als er an die Bucht trat, war das Kanu verschwunden. Der Jäger konnte seine Lage jetzt übersehen. Er war ein Gefangener auf der engen Landzunge und ohne Zweifel sorgfältig bewacht. Es blieb ihm keine andere Möglichkeit zur Flucht, als zu schwimmen. Aber der unsichere Erfolg und die Gewißheit, daß man ihn im Kanu verfolgen werde, hielten ihn zurück.

Er wandte sich nun wieder dem offenen Platz zu, wo er zu seinem Erstaunen Hetty fand, die auf seine Rückkehr wartete. Sie hatte ihre Bibel unter den Arm geklemmt und schien überaus traurig zu sein.

»Weshalb hast du den Mingo getötet?« fragte das Mädchen vorwurfsvoll. »Kennst du nicht das Gebot ›Du sollst nicht töten!‹? Ich höre, du hast auch den Mann des Weibes erschlagen.«

»Es ist wahr, Hetty. Ich will nicht leugnen, was geschehen ist, aber wir sind im Krieg, und die Mingos trachten nach meinem Leben.«

»Ich weiß, aber es hat mir doch sehr leid getan, denn ich glaubte, du würdest Böses mit Gutem vergelten.«

»Ja, Hetty, das mag unter den Missionären möglich sein, aber in den Wäldern würde man mit solchen Ansichten zugrunde gehen.«

Hetty schwieg eine Weile nachdenklich. Dann sagte sie: »Wildtöter, willst du Sumach jetzt heiraten?«

Der Jäger schüttelte den Kopf und nahm dann He’ttys Hände. »Sag mir, Hetty«, sprach er ruhig, »wo sind die Mingos geblieben? Weshalb lassen sie dich auf der Landzunge umhergehen, als wärest auch du gefangen?«

»Ich bin keine Gefangene, Wildtöter; ich kann gehen, wohin ich will. Die Mingos sind dort drüben in den Wäldern. Sie beobachten uns beide genau.«

In diesem Augenblick kamen die Indianer aus dem Gebüsch und schlossen einen großen Kreis um Wildtöter. Rivenoak erschien zuletzt und nahm seinen Ehrenplatz ein. Einige der älteren Krieger standen neben ihm. Er war nun nach dem Tod des Panthers der anerkannte Häuptling des Stammes.

Als der ganze Stamm um den Gefangenen versammelt war, trat ein allgemeines Schweigen ein. Wildtöter bemerkte, daß die Weiber und Knaben Späne aus fetten Tannenwurzeln vorbereitet hatten, die später in sein Fleisch gebohrt und angezündet werden sollten. Ein naher Rauch zeigte, daß die Feuerbrände schon bereit seien, und mehrere von den älteren Kriegern fuhren mit den Fingern über die Schneiden ihrer Tomahawks, als wollten sie ihre Schärfe prüfen.

»Wildtöter«, sagte Rivenoak mit Ruhe und Würde, »es ist Zeit, daß mein Volk weiß, was es zu tun hat. Die Sonne steht nicht mehr über unseren Häuptern. Es wird bald Nacht. Der umherschwärmende Wolf hat seine Höhle, und er sucht sie nur, wenn er seine Jungen zu sehen wünscht. Die Mingos sind nicht ärmer als die Wölfe. Sie haben Dörfer, Wigwams und Getreidefelder. Die guten Geister werden müde sein, sie allein zu bewachen. Mein Volk muß zurückkehren. Es wird Freude in den Wigwams sein, wenn man unsere Rufe aus dem Wald vernimmt. Aber wir werden traurig sein. Wir haben den Skalp der Moschusratte, sein Körper ist unter den Fischen. Es sind jedoch zwei Hütten leer, und wir müssen vor jeder Tür einen Skalp haben, sei er lebend oder tot!«

»So nimm ihn denn tot, Mingo!« rief der Gefangene.

Rivenoak befahl darauf, den Gefangenen zu binden. Wildtöter leistete keinen Widerstand. Sobald er gefesselt war, wurde er zu einem jungen Baum getragen und stehend an diesen gebunden.

13

Kaum waren die jungen Männer benachrichtigt, daß die Martern beginnen könnten, als auch schon einige der kühnsten unter ihnen mit dem Tomahawk in der Hand in den Kreis traten. Hier bereiteten sie sich vor, die gefährliche Waffe zu schleudern. Sie mußten den Baum so nah wie möglich am Kopf des Gefangenen treffen, ohne ihn selbst zu verwunden. Dies war eine schwierige Aufgabe, und nur die Geschicktesten ließ man zu, damit nicht etwa ein vorzeitiger Tod des Opfers die Unterhaltung abkürze.

Alle, die jetzt in den Kreis traten, wollten nur ihre Geschicklichkeit zeigen. Den ersten nannte man den Raben. Er hatte noch keine Erfahrung auf dem Kriegspfad. Wildtöter glaubte, seine Stunde sei gekommen. Der junge Mingo schwang die Axt drohend in der Luft und schleuderte sie dann nach seinem Opfer. Die Waffe streifte den Baum, an den der Gefangene gebunden war, nah an dessen Wange und fuhr dann in eine Eiche mehrere Schritte hinter ihm. Das war kein sonderliches Probestück. Die Kaltblütigkeit des Gefangenen erregte ein unterdrücktes Murmeln der Bewunderung. Der Kopf war der einzige Teil seines Körpers, den er bewegen konnte, aber Wildtöter hatte nicht um Haaresbreite gezuckt.

Jetzt kam die Reihe an Elch, einen Krieger, der besonders geschickt mit dem Tomahawk war. Er stellte sich ruhig in die Mitte des Kreises, hob die kleine Axt, trat schnell einen Schritt vor und schleuderte sie. Wildtöter sah die scharfe Waffe gegen sich wirbeln und glaubte schon, alles sei vorüber. Indessen hatte der Tomahawk nur seine Haare erfaßt und war dann tief in die weiche Rinde eingedrungen, so daß sein Kopf unbeweglich an den Baum geheftet war. Ein allgemeines Beifallsgeschrei erhob sich nach dieser Leistung. Es folgten nun andere Krieger, die zum Teil auch mit Messern warfen. Aber alle bemühten sich, den Gefangenen nicht zu treffen.

Wildtöter wurde zwar mehrere Male gestreift, wurde aber nicht ernstlich verletzt. Sein Mut fand Anerkennung. Rivenoak erklärte, der weiße Mann habe sich gut benommen, und wenn er auch mit den Delawaren gelebt habe, sei er doch kein Weib unter ihnen geworden. Er rief jetzt vier oder fünf der besten Schützen zu sich und überließ ihnen den Gefangenen zur Prüfung mit der Flinte. Wildtöter kannte die Indianer als schlechte Schützen und wußte, daß er diesen Teil der Martern nicht überleben werde. Sein Trost war, durch seine Lieblingswaffe zu sterben.

Jedoch bevor die Rothäute anfingen, trat Hetty in den Kreis und rief: »Weshalb quält ihr Wildtöter? Was hat er euch getan? Als der Vater und Harry Hurry eure Skalpe holen wollten, weigerte er sich, sie zu begleiten, und blieb im Kanu zurück. Ihr martert einen Freund!«

Die Mingos hörten mit Aufmerksamkeit zu. Einer von ihnen, der Englisch verstand, übersetzte, was sie gesagt hatte.

»Meine Tochter ist sehr willkommen!« antwortete Rivenoak sanft. »Die Mingos freuen sich, ihre Stimme zu hören. Der Große Geist verkündet den Menschen oft durch solche Zungen seinen Willen. Diesmal sind aber ihre Augen nicht weit genug geöffnet gewesen, und sie haben nicht alles gesehen. Wildtöter kam nicht wegen unserer Skalpe, das ist wahr, aber weshalb nicht? Hier waren sie auf unseren Köpfen. Die Kriegslocken sind bereit, die Beute daran festzuhalten; ein kühner Feind sollte seine Hand ausstrecken und sich ihrer bemächtigen. Die Mingos sind zu berühmt, als daß sie Männer bestrafen sollten, die Skalpe nehmen. Möge meine Tochter sich umsehen und meine Krieger zählen. Es fehlen zwei, und das Bleichgesicht hat sie getötet!«

»Du weißt, Häuptling, daß es nicht Wildtöters Schuld war. Euer Krieger trachtete ihm nach dem Leben, und er verteidigte sich. Wenn ihr wissen wollt, wer von euch am besten schießen kann, so gebt Wildtöter auch eine Flinte!«

»Meine Tochter spricht nicht wie ein Häuptling am Beratungsfeuer«, erwiderte Rivenoak, »sonst würde sie so etwas nicht gesagt haben. Zwei meiner Krieger hat dieser Gefangene erschlagen. Ihr Grab ist zu klein, um einen dritten aufzunehmen. Die Mingos wollen nicht noch mehr Tote in ihren Reihen. Geh, Tochter, und setz dich zu Sumach, die in Trauer ist. Laß die Mingos zeigen, wie gut sie schießen können.«

Hetty, die gewohnt war, dem Willen anderer nachzugeben, setzte sich auf einen Baumstamm neben Sumach und wendete ihr Gesicht von der schrecklichen Szene ab.

Die Schützen begannen sofort und stellten sich auf. Das Gesicht Wildtöters war von den Flintenläufen nur so weit entfernt, daß es vor den unmittelbaren Wirkungen des Schusses geschützt blieb. Er konnte gerade in die Läufe sehen. Die Mingos wußten dies, und kaum einer von ihnen hob die Waffe, ohne sie vorher der Stirn des Gefangenen möglichst nahe zu bringen. Jeder von ihnen hütete sich aber, ihn zu verletzen. Ein Schuß nach dem anderen folgte, und alle Kugeln schlugen ganz in der Nähe von Wildtöters Kopf ein, ohne ihn zu berühren. Mit keinem Muskel zuckte er, was die Wilden offensichtlich bewunderten. Er beobachtete aber ihr Zielen scharf und wußte von vornherein, wo die Kugeln einschlagen mußten.

»Ihr mögt das Schießen nennen, Mingos«, sagte er schließlich voll Verachtung, »aber wir haben Squaws unter den Delawaren, und ich habe holländische Mädchen kennengelernt, die euch bei weitem übertreffen würden. Bindet meine Arme los, gebt mir eine Flinte und ich will die dünnste Kriegslocke von einem unter euch an jeden Baum heften, den ihr mir zeigt, und zwar auf hundertfünfzig Schritt, ja selbst auf dreihundert, und bei zwanzig Schüssen könnt ihr neunzehn Treffer zählen!«

Ein leises, drohendes Gemurmel folgte dieser kaltblütigen Erklärung. Aber Rivenoak trat mitten unter die Krieger und redete sie an:

»Ich sehe, wie es ist«, sagte er, »wir haben uns benommen wie die weißen Männer, wenn sie des Nachts ihre Türen aus Furcht vor den roten Männern verschließen. Sie legen so viele Eisenstangen vor, daß sie verbrennen, wenn ein Feuer ausbricht. Wir haben den Gefangenen zu fest gebunden. Er kann seine Glieder nicht rühren und seine Augen nicht schließen. Bindet ihn etwas lockerer, damit er sich bewegen kann.«

Man stimmte ihm zu, und Wildtöter wurde losgebunden. Er brachte sein Blut durch Stampfen mit den Füßen wieder in Bewegung, und seine Kräfte kehrten bald zurück. Plötzlich bemerkte er unter den Indianerinnen eine große Aufregung, indes die Krieger sich ernst und abwartend auf ihre Flinten stützten. Befremdet sah er sich um und entdeckte schließlich Judith, die langsam in den Kreis trat. Sie trug das Brokatkleid aus der Truhe und gab sich wie eine der Damen aus der Garnison.

Die Wirkung dieses Auftrittes war von ihr richtig berechnet worden. Sobald sie eingetreten war, wurde sie mit Staunen und Bewunderung betrachtet. Viele Krieger stießen ihr »Hugh« aus, alle musterten sie gespannt.

»Welcher von diesen Kriegern ist der Häuptling?« fragte Judith Wildtöter. »Meine Fragen sind zu wichtig, als daß ich sie einem geringen Krieger vorlegen könnte. Erkläre den Mingos, was ich gesagt habe, Wildtöter, dann beantworte meine Frage.«

Der junge Mann erfüllte ihren Wunsch, und Rivenoak stellte sich daraufhin mit gemessener Würde als Häuptling vor.

»Ich glaube dir, Mingo«, sagte Judith, indem sie ihre Damenrolle mit Sicherheit und Würde spielte. »Ich lese in deinen Zügen die Beweise des Nachdenkens und der Klugheit. An dich muß ich daher meine Mitteilung richten.«

»Möge die Blume des Waldes sprechen«, erwiderte der alte Häuptling höflich, als ihre Anrede übersetzt worden war. »Wenn ihre Worte so angenehm sind wie ihre Blicke, werden sie nie meine Ohren verlassen. Ich werde sie vielmehr noch lange vernehmen‘ wenn auch der Winter von Kanada die Blumen getötet und alle Stimmen des Sommers zum Schweigen gebracht hat.«

»Mingo, hör auf meine Worte«, antwortete Judith unwillkürlich lächelnd. »Deine Augen sagen dir, daß ich keine einfache Frau bin. Ich will mich nicht für die Königin dieses Landes ausgeben, sie ist in einem weit entfernten Reich. Aber es gibt viele Rangstufen an dem Hof meines Königs. Du weißt und siehst, daß eine Frau zu dir spricht, die deine Freundin oder deine Feindin werden kann, je nachdem, wie du sie behandelst.«

»Meine Tochter ist schöner als die wilde Rose am Ontario«, antwortete Rivenoak ernst, »ihre Stimme ist dem Ohr so angenehm wie der Gesang des Zaunkönigs. Meine Tochter hat ohne Zweifel ein sehr großes Wigwam irgendwo am See, die Mingos haben es wegen ihrer Unwissenheit nicht gefunden!«

»Mein Haus, Häuptling, ist weit von hier. Du darfst deinen Augen trauen; wo gibt es einen roten Mann, der nicht sehen könnte? Dieses Kleid, das ich trage, ist nicht das einer gewöhnlichen Squaw; diesen Schmuck tragen nur die Weiber und Töchter der Häuptlinge. Jetzt hör, weshalb ich hierhergekommen bin. Die Engländer haben junge Männer, so gut wie die Mingos, und zwar sehr viele. Das weißt du doch sicherlich.«

»Es gibt so viele Engländer wie Blätter an den Bäumen. Dies weiß jeder Mingo.«

»Ich verstehe dich, Häuptling. Hätte ich mein Gefolge mitgebracht, würde es Streit gegeben haben. Meine jungen Männer und deine jungen Männer hätten einander zornig angesehen, besonders wenn meine jungen Männer bemerkt hätten, daß ihr den weißen Mann dort martern wollt. Er ist ein berühmter Jäger und in den Garnisonen bekannt und geehrt. Meine Leute hätten ihn befreien wollen, und der Weg der Mingos nach Kanada würde mit Blut gezeichnet sein.«

»Es ist schon jetzt so viel Blut darauf«, erwiderte der Häuptling düster, »daß unsere Augen fast davon erblinden. Meine jungen Männer aber sehen, daß es nur Mingoblut ist.«

»Noch mehr Mingoblut wäre jedoch geflossen, wenn ich, von weißen Männern umgeben, zu euch gekommen wäre. Ich habe von Rivenoak gehört und ich glaube, es würde besser sein, ihn in Frieden nach seinem Lager jenseits der Berge zu schicken. Er hat, wie ich erfahren habe, aus Elfenbein geschnitzte Tiere und Flinten gern. Sieh, hier habe ich einige mitgebracht, um sie ihm zu zeigen. Ich bin seine Freundin. Wenn er diese Dinge unter seine Sachen gepackt hat, wird er den Pfad nach seinem Dorf einschlagen, ehe einer von meinen jungen Männern ihn einholen kann. Ich will diesen berühmten Jäger mit mir nehmen, denn er soll mein Haus mit Nahrung versorgen.«

Judith, die mit den Redensarten der Indianer genügend bekannt war, bemühte sich, in ihren Bildern zu sprechen, und Wildtöter unterstützte sie dabei.

»Möge meine Tochter ihr doppelt geschwänztes Schwein zum Essen aufbewahren!« antwortete Rivenoak trocken. »Und auch die kleine Flinte mit den zwei Mündungen. Die Mingos werden ihr Wild töten, wenn sie hungrig sind, und sie haben lange Flinten zum Kampf. Dieser Jäger kann meine jungen Männer jetzt nicht verlassen. Sie wollen wissen, ob er den Mut hat, dessen er sich rühmt.«

»Das bestreite ich, Mingo«, unterbrach ihn Wildtöter zornig. »Niemand hat mich prahlen gehört, und niemand wird es hören, wenn ihr mich auch lebendig schinden solltet.«

»Der junge weiße Mann rühmt sich, daß er kein Prahler ist«, erwiderte der schlaue Häuptling, »er muß recht haben. Ich höre einen seltsamen Vogel singen. Er hat sehr bunte Federn. Noch nie sah ein Mingo solche Federn! Die Mingos würden sich schämen, nach ihrem Lager zurückzukehren und zu erzählen, sie hätten einen Gefangenen wegen dieses seltsamen Vogels gehen lassen, obwohl sie nicht einmal den Namen dieses Vogels wußten. Sie können nicht sagen, ob es ein Zaunkönig ist, oder was für ein Vogel sonst. Das wäre eine große Schande.«

»Du kannst meinen Namen von deinem Gefangenen erfahren«, erwiderte das Mädchen. »Ich heiße Judith, und in dem Buch der weißen Männer, in der Bibel, steht eine lange Geschichte von Judith.«

»Nein«, antwortete der schlaue Mingo plötzlich englisch. »Ich Gefangenen nicht fragen. Er müde, Ruhe nötig haben, ich meine Tochter fragen, aus der Geist spricht. Sie Wahrheit reden. Komm her, Tochter, du antworten. Dein Name Hetty?«

»Ja, so nennt man mich«, erwiderte das Mädchen.

»Was ist ihr Name?«

»Es ist meine Schwester Judith, Thomas Hutters Tochter.«

Ein Lächeln des Triumphes verzerrte die harten Züge des Häuptlings. Judith wußte jetzt, daß ihr Plan gescheitert war. Sie sah Wildtöter an, als erwarte sie von ihm, daß er sie beide rette.

»Es geht nicht, Judith«, sagte der Jäger. »Es war ein kühner Gedanke, und er hätte einer Generalsfrau Ehre gemacht. Aber dieser Mingo« — Rivenoak hatte sich etwas entfernt, so daß er seine Worte nicht hören konnte — »ist ein ungewöhnlicher Mann und läßt sich nicht leicht täuschen.«

Auf ein Zeichen Rivenoaks sollten jetzt die Krieger mit den Martern fortfahren. Wildtöter wurde wieder gefesselt, und selbst Weiber und Kinder machten sich daran, trockene Zweige herbeizubringen. Schon loderte die Flamme, da drang eine Indianerin in den Kreis und stieß mit ihrem Fuß die brennenden Zweige auseinander.

Ein allgemeines Geschrei des Unwillens war die Antwort. Als die Indianerin sich aber dem Kreis zukehrte, erkannte man Wah und begrüßte sie freudig. leder Gedanke an die Martern war für einen Augenblick vergessen. Man drängte sich um das Mädchen. Wah sprach zuerst leise zu Judith und drückte ihr verstohlen einen kleinen Gegenstand in die Hand. Dann begrüßte sie die Mingomädchen.

Judith fand ihre Selbstbeherrschung wieder und handelte schnell. Das kleine, scharfe Messer, das Wah ihr gegeben hatte, steckte sie unbemerkt Hetty zu, weil sie glaubte, daß diese am sichersten und ohne Mißtrauen zu erregen, auf Wildtöter zutreten könnte. Statt aber seine Hände zu befreien und ihm dann das Messer zu reichen, damit er es jeden Augenblick bereit habe, zerschnitt Hetty die Riemen, mit denen sein Kopf an den Baum gebunden war.

Nun wurde man auf das Mädchen aufmerksam und verhinderte noch rechtzeitig ihr Tun. Die Entdeckung erregte zudem das Mißtrauen gegen Wah. Als diese befragt wurde, leugnete sie zu Judiths Erstaunen nicht, daß sie das Messer gebracht habe.

»Weshalb sollte ich Wildtöter nicht beistehen?« fragte die Delawarin stolz. »Er ist der Bruder eines Delawarenhäuptlings, mein Herz ist ganz delawarisch. Komm her, Blender!« rief sie dann plötzlich laut und zeigte auf einen der Rothäute. »Wasch die irokesischen Kriegsfarben von deinem Gesicht, erscheine vor den Mingos als die Krähe, die du bist! Du würdest lieber an den Leichen deiner eigenen Toten nagen als verhungern. Stellt ihn Wildtöter gegenüber! Häuptlinge und Krieger! Ich will euch zeigen, welchen Verräter ihr in euren Stamm aufgenommen habt.«

Alle sahen den Mann an, der Wah-ta-Wah geraubt und den man als abtrünnigen Delawaren im Stamm aufgenommen hatte, wenn auch das Mißtrauen ihm gegenüber niemals verschwunden war. Der Abtrünnige fragte jetzt in abfälligem Ton, was gegen ihn vorgebracht würde.

»Frag dich das selbst«, fuhr Wah zornig fort, obgleich sie eine innere Unruhe nicht ganz unterdrücken konnte. »Frag dein eigenes Herz, schleichender Hund! Komm nicht hierher mit dem Gesicht eines unschuldigen Mannes! Geh hin und schau in die Quelle, sieh die Farbe deiner Feinde auf deiner lügnerischen Haut! Dann komm zurück und rühme dich, wie du deinem Stamm entlaufen bist und den Feinden deine Dienste verkauft hast!«

»Wer spricht hier?« fragte der Delaware. »Wenn der weiße Mann seines Lebens müde ist, wenn er die indianischen Martern fürchtet, so sprich, Rivenoak. Ich will ihn den Kriegern nachsenden, die wir verloren haben!«

»Nein, Rivenoak«, unterbrach ihn Wah schnell. »Wildtöter fürchtet nichts, am wenigsten eine Krähe! Laß seine Bande lösen, stell ihn diesem Nachtvogl gegenüber und laß uns dann sehen, wer seines Lebens müde ist!«

Wah-ta-Wah trat vor und wollte einem jungen Mann das Messer nehmen und selbst die Fesseln des Gefangenen zerschneiden, aber ein alter Krieger hinderte sie daran.

Rivenoak beobachtete alles, was das Mädchen tat, mit Mißtrauen. Er vermutete irgendeine List hinter ihrem Benehmen und winkte daher den Kriegern, mit den Martern fortzufahren. Der Holzstoß wurde wieder angezündet.

In diesem Augenblick drang ein junger Indianer durch die Reihen der Mingos und sprang tollkühn und verwegen mitten in ihren Kreis. Der erste Gedanke Rivenoaks war, daß einer seiner Späher, die am Seeufer postiert waren, mit wichtigen Nachrichten gekommen sei. Drei Sprünge brachten den Krieger an die Seite Wildtöters, dessen Bande er schnell durchschnitt.

Dann wandte sich der junge Indianer den Mingos zu, und sie erkannten zu ihrem Erstaunen einen Delawaren in voller Kriegsbemalung. Er trug in jeder Hand eine Flinte, und während er die eine davon Wildtöter gab, redete er die schweigenden feindlichen Krieger an.

»Mingos«, sagte er, »die Erde ist sehr groß. Jenseits der großen Seen ist Raum für die Mingos, und diesseits für die Delawaren. Ich bin Chingachgook, der Sohn Unkas und aus der Familie des Tamenund. Dies ist meine Verlobte, der weiße Mann da ist mein Freund. Mein Herz wurde mir schwer, als ich ihn vermißte. Ich folgte ihm in euer Lager, um auf ihn zu achten. Alle Delawarenmädchen warten auf Wah. Sie wundern sich, daß sie so lange fortbleibt. Kommt, laßt uns Lebewohl sagen und unseren Pfad weiterverfolgen.«

»Irokesen, das ist euer Feind, die Große Schlange der Delawaren«, rief schnell der abtrünnige Stammesgenosse Chingachgooks. »Wenn ihr zugebt, daß er entflieht, so wird den Spuren eurer Mokassins von hier bis Kanada Blut folgen. Ich bin ein echter Mingo.«

Mit diesen Worten warf der Verräter sein Messer gegen die nackte Brust des Delawaren. Wah hatte aber seine Absicht erkannt, und ein schneller Stoß von ihr ließ die Waffe mit der Spitze in den Stamm einer Tanne fahren. Im nächsten Augenblick schleuderte der junge Häuptling sein Messer, und es blieb zitternd im Herzen des Verräters stecken.

Ein lautes Geschrei folgte dieser Handlung, der ganze Stamm kam in Aufruhr. Schon drängte man sich wutentbrannt um Chingachgook und Wildtöter, als piötzlich in den Wäldern ein schwerer, gleichmäßiger Marschtritt zu vernehmen war.

Die Indianer gerieten in eine panikartige Aufregung. Nach wenigen Augenblicken sah man zwischen den Bäumen die Uniformen englischer Soldaten.

In der allgemeinen Verwirrung behielt Wildtöter seine Kaltblütigkeit. Er riß Judith und Wah hinter einen Baum und sah sich nach Hetty um, aber diese war von den flüchtenden indianischen Weibern fortgerissen worden.

Die Soldaten rückten schweigend und in geschlossener Linie vor und riegelten die Indianer auf der Landzunge ab. Mit wütendem Geschrei suchte ein Teil der Mingos verzweifelt nach Deckung, während ein anderer wild das Feuer eröffnete. In den Reihen der heranrückenden Engländer hörte man die Rufe und die Flinte Hurrys. Die Soldaten aber feuerten nicht. Nur die Bajonette blitzten in den schrägen Strahlen der Abendsonne und taten ihr blutiges Werk.

14

Als der Kampf vorüber war und die Toten und Verwundeten fortgebracht wurden, fand man die arme Hetty mit einer schweren Verletzung. Eine Flintenkugel hatte sie durchbohrt. Die Wunde war tödlich. Niemand wußte, wer sie ihr zugefügt hatte.

Man bettete die Sterbende auf ein einfaches Lager in der Arche. Die kleine Gruppe von Menschen, die durch die Gefahren der letzten Tage so eng vereinigt worden war, wich nicht mehr von ihrer Seite.

Judith und Wah-ta-Wah saßen neben ihr. Wildtöter stand am Ende des Lagers. Chingachgook verharrte aufrecht und bewegungslos im Hintergrund, Hurry saß auf einem Stuhl in der Nähe der Tür, als fühlte er sich in dieser Umgebung nicht wohl.

»Weine nicht, Judith!« versuchte Hetty die Schwester zu trösten. »Sei unbesorgt. Ich habe keine Furcht vor dem Sterben. Vater und Mutter sind beide tot. Und du weißt, an mir ist nichts gelegen. Ich werde bald vergessen sein, wenn ich im See liege.«

»Nein, nein, arme Hetty«, schluchzte Judith. »Ich werde immer an dich denken. Wollte Gott, ich könnte mit dir gehen!«

»Sei nicht traurig, liebe Judith«, bat Hetty noch einmal mit schwacher Stimme. »Ich gehe dorthin, wo Vater und Mutter sind.«

»Hetty!« schluchzte Judith, »liebe, gute Hetty!« Erschüttert warf sie sich an die Brust ihrer Schwester. Hetty aber antwortete nicht mehr. Ein tiefer Schlaf hatte sich auf ihre Lider gesenkt, aus dem sie nicht mehr erwachen sollte.

Am Abend des folgenden Tages wurden ihr die letzten Ehren erwiesen. Hettys Körper wurde in den See versenkt neben ihre Mutter, die sie so sehr geliebt und verehrt hatte. Der Militärarzt sprach über ihrem Grab letzte Worte und betete für sie. Judith und Wah-ta-Wah trauerten weinend um die Verstorbene, und selbst Wildtöter sah mit feuchten Augen in das durchsichtige Wasser. Der Delaware aber wandte sich ab, um seine Schwäche zu verbergen. Die Soldaten hielten sich in ehrerbietiger Entfernung, um die Gefühle der Freunde dieses seltsamen Mädchens nicht zu stören. Als die Kanus langsam zurückglitten, sahen ihre Insassen schweigend über den See, der im Abendlicht ruhig dalag, und umfaßten mit ihren Blicken die einsame Landschaft, die dem armen Geist Hettys die Welt bedeutet hatte.

Für den Morgen des nächsten Tages war der Rückmarsch der Soldaten geplant, nachdem alle Spuren des Kampfes getilgt und die Toten begraben worden waren. Auch Judith wollte mit den Engländern den See und das Land verlassen, das ihr seit den Kindertagen Heimat war. Die Wasserburg war bereits geräumt, die Truhe Hutters fortgeschafft. Man ließ nichts Wertvolles zurück.

Als der Morgen zu dämmern begann und es Zeit zum Aufbruch wurde, hoben Wildtöter und Chingachgook zwei von den Kanus aus dem Wasser und brachten sie in das Haus. Sie verschlossen Türen und Fenster und verließen dann die Wasserburg durch die Falltür. Wah saß schon im dritten Kanu, in das auch der Delaware stieg. Sie ruderten fort, während Judith noch allein auf der Plattform stand. Wildtöter nahm sie ins letzte Boot und folgte den indianischen Freunden. Die Fahrt ging nahe an der Stelle vorbei, wo in der Seetiefe die Toten ruhten. Als das Kanu in diese Gegend kam, sprach Judith zum erstenmal an diesem Morgen mit ihrem Freund und bat ihn, anzuhalten.

»Ich sehe vielleicht diese Stelle nie mehr wieder, Wildtöter«, sagte sie und wurde traurig. Der Jäger verhielt sich schweigend und sah zum Ufer.

»Wildtöter«, sprach das Mädchen nach einer langen Pause, »du weißt, ich bin jetzt ganz allein auf der Welt. Ich habe niemanden mehr und weiß nicht einmal, wer mein Vater war. Du bist mein Freund. Ich habe es in diesen Tagen erfahren. Ich habe Vertrauen zu dir, und du wirst an dieser Stelle meine Frage nicht mißverstehen, die ich mir oft im stillen vorgelegt habe. Ich weiß, du wirst sie mir aufrichtig beantworten, ebenso aufrichtig, wie ich fragen werde.« Sie machte eine Pause, und der Jäger nickte ernst und schweigend. »Glaubst du«, fuhr sie entschlossen fort, »daß wir hier gemeinsam als Mann und Frau leben könnten?«

Wildtöter schwieg eine beträchtliche Weile, und nur wer sehr genau hingesehen hätte, würde eine leichte Röte in seinem gebräunten Gesicht entdeckt haben.

»Ich bin dir für deine Aufrichtigkeit dankbar, Judith«, sagte er endlich, »aber ich kann einen schwachen Augenblick nicht benützen, in dem du alle deine Vorzüge und deine Zukunft verkennst und dir die Erde und alles, was sie enthält, in diesem kleinen Kanu denkst. Nein, nein, Judith, es wäre unedel von mir. Was du angeboten hast, kann ich nie annehmen.«

Judith schwieg und sah den Jäger nicht an. Niemand konnte wissen, was in ihr vorging. Endlich aber bat sie ihn mit fester Stimme, ans Land zu rudern. Ernst und schweigend tat es der junge Mann.

Chingachgook erwartete sie im Wald, an einem Punkt, wo die Wege nach der Garnison und nach den Lagern der Delawaren sich trennten. Die Soldaten waren schon auf dem Marsch.

Als Judith ans Ufer trat, folgte sie sofort der Spur der Truppe. Keinen Blick sandte sie zurück. Selbst an Wah schritt sie vorüber, ohne mit ihr zu sprechen, und das junge Mädchen wich vor dem abgewandten Gesicht Judiths zurück, als sei sie sich eines Unrechts bewußt.

»Warte hier auf mich, Schlange«, sagte Wildtöter, als er bei dem Delawaren vorüberkam. »Ich will nur Judith zu den Engländern begleiten und komme dann gleich zu dir zurück.«

Nachdem die beiden etwa hundertfünfzig Schritt gegangen waren, wandte Judith sich um und sagte in traurigem Ton:

»Jetzt danke ich dir für deine Begleitung, Wildtöter. In wenigen Minuten habe ich die Soldaten eingeholt, und ich bitte dich, verlaß mich jetzt. Glaub nicht, daß ich dir zürne. Aber hier trennen sich unsere Wege endgültig! Ich kenne meine Zukunft nicht, dir aber wünsche ich im Leben alles Gute.«

Mit diesen Worten ging sie entschlossen zu der Nachhut der Truppen, die schon auf sie wartete. Wildtöter sah ihr schweigend nach, bis sie zwischen den Bäumen verschwunden war.

Schließlich kehrte er zu Chingachgook und Wah zurück. An den Quellen des Flusses übernachteten sie und erreichten am nächsten Abend das Lager ihres Stammes. Der junge Krieger und seine Verlobte wurden stürmisch empfangen, ihr Gefährte geehrt und bewundert. Ein schwerer Kummer aber blieb Wildtöter im Herzen, den nur die Arbeit vieler Monate zu mildern vermochte.

Der Krieg zwischen den feindlichen Stämmen war heftig und blutig. Dabei nahm das Ansehendes Delawarenhäuptlings unter seinem Volk immer mehr zu, bis sein Name nie ohne Lob genannt wurde. Indessen aber wuchs ein anderer Unkas, der Letzte seines Geschlechts, heran. Falkenauges Ruf verbreitete sich nah und fern, bis das Knallen seiner Flinte den Ohren der Mingos so furchtbar wurde wie das Donnern Manitus. Bald jedoch wurden seine Dienste von den königlichen Offizieren in Anspruch genommen.

___________

Fünfzehn Jahre waren verstrichen, ehe Wildtöter wieder an den See zurückkam. Es war Frieden, aber ein neuer Krieg stand bevor, als er und sein treuer Freund Chingachgook zu den Forts eilten, um sich ihren Verbündeten anzuschließen. Ein Jüngling begleitete sie, denn Wah schlummerte schon unter den Tannen der Delawaren, und die drei Überlebenden waren jetzt unzertrennlich geworden.

Sie erreichten das große Wasser, als die Sonne eben unterging. Nichts hatte sich in der langen Zeit verändert. Bewaldete Berge umschlossen den See, der in seiner Einsamkeit wie ein schöner Edelstein der Wildnis schimmerte.

Am folgenden Morgen fand der Jüngling eines der Kanus, das in halbverfallenem Zustand an das Ufer getrieben worden war. Sie setzten es instand und ruderten hinaus, um sich in der Gegend umzusehen.

Als sie an den Ufern dahinglitten, zeigte Chingachgook seinem Sohn die Stelle, wo die Irokesen zuerst ihr Lager aufgeschlagen hatten, und die Landzunge, von wo es ihm gelungen war, seine Verlobte aus den Händen der Feinde zu retten. Dann begaben sie sich zum Kampfplatz, und hier fanden sie noch einige Spuren der blutigen Schlacht. Wilde Tiere hatten die Leichen ausgescharrt, und menschliche Gebeine bleichten in der Sonne. Unkas sah alles mit Ehrfurcht an.

Von der Halbinsel ruderten sie das Kanu zu der Sandbank, wo sie die Überreste der Wasserburg fanden. Die Winterstürme hatten längst das Dach zerstört, und die Baumstämme waren hier und da schon verwittert Alle Schlösser aber schienen unberührt, nur die Jahre übten sichtlich ihren Einfluß. Mehrere Winter noch mit ihren Stürmen, und alles würde im See verschwinden. Die Arche entdeckten sie am östlichen Ufer, wohin die vorherrschenden Nordwestwinde sie getrieben hatten. Die Kajüte war ohne Dach und die Baumstämme nahe dem Verfall. Es fand sich noch einiges von dem Hausgerät, und Wildtöters Herz schlug heftiger, als er an einem Balken ein Band Judiths flattern sah. Er knüpfte es an den Lauf der berühmten Flinte, die er von dem Mädchen zum Geschenk erhalten hatte.

Etwa eine Stunde den See weiter hinauf wurde ein anderes Kanu entdeckt, und an der Landspitze, wo sich vor fünfzehn Jahren die Schicksalsgefährten voneinander getrennt hatten, fanden sie die beiden anderen Boote, die damals dort zurückgeiassen worden waren. Sie waren durch den verfallenen und zerbrochenen Fußboden der Wasserburg gesunken, bei den umgestürzten Palisaden vorübergetrieben und endlich als Wracks an das Ufer geworfen worden.

Nach allen diesen Anzeichen konnte man schließen, daß der See seit den damaligen Ereignissen von keinem Menschen wieder aufgesucht worden war.

Chingachgook und sein Freund verließen die Gegend, wo sie ihren ersten Kriegspfad begonnen hatten, mit schwermütigen Gefühlen. Schweigend kehrten sie nach dem Mohawk zurück, um neuen Abenteuern entgegenzugehen.

Von Judith Hutter jedoch hat Wildtöter nie mehr etwas erfahren.

Teil II

Der letzte Mohikaner

1

Es war das Besondere in den Kriegen der nordamerikanischen Kolonien, daß die feindlichen Heere erst die Mühen und Gefahren der Wildnis überwinden mußten, ehe sie gegeneinander kämpfen konnten. Weite, anscheinend undurchdringliche Wälder trennten die Besitzungen Frankreichs und Englands. Aber kein Winkel darin war so dunkel, kein geheimer Platz so lieblich, daß sie vor den Überfällen der Männer verschont blieben, die ihr Blut daran wagten, ihre Rache zu sättigen oder für die selbstsüchtige Politik der fernen Monarchen Europas zu kämpfen.

Am grausamsten und kühnsten waren die Kämpfe jener Zeit in der Gegend, die zwischen dem oberen Lauf des Hudson und den benachbarten Seen liegt. Hier zog sich von den Ufern des Flusses, etwa von jener Gegend, wo er zur Zeit der Flut schiffbar wird, ein breiter, dicht bewaldeter Bergrücken bis hinauf zu der südlichen Spitze des Horican, eines etwa zwölf Meilen langen, von Höhen umschlossenen Sees, dessen klare Gewässer in den Champlainsee fließen.

Es war im dritten Jahr des letzten Krieges, den England und Frankreich um den Besitz eines Landes führten, das weder dem einen noch dem anderen zufallen sollte. Die Schwäche der militärischen Führung und die Unsicherheit der Leitung vom Mutterland her hatten Großbritannien von seiner stolzen Höhe herabgestürzt.

Als in dem Fort, das den Südabhang des Bergrückens zwischen dem Hudson und den Seen deckte, die Nachricht einlief, daß man Montcalm mit einer Armee, »zahllos wie die Blätter an den Bäumen«, den Champlain hinauf habe anrücken sehen, zeigte sich in der widerwilligen Art, wie man diese Nachricht aufnahm, nicht mehr die Kampflust des Kriegers, der den Feind endlich in greifbare Nähe rücken sieht. Der Befehlshaber dieses Forts, General Webb, hätte zwar den vorrückenden Franzosen eine fast doppelt so große Anzahl von Kämpfenden entgegenstellen können, Offiziere und Soldaten aber wollten den furchtbaren Gegner kleinmütig innerhalb ihrer Festungswerke erwarten, ohne den Versuch zu wagen, sein weiteres Vordringen durch einen Angriff aufzuhalten.

Die Nachricht von der Annäherung Montcalms hatte ein indianischer Läufer, ein Abgesandter des etwa fünf Meilen weit entfernten Forts »William Henry«, zugleich mit der Bitte um schnell wirksame Verstärkung überbracht. General Webb aber unterschätzte die drohende Gefahr und beschloß, Oberst Munro, dem Befehlshaber des Forts »William Henry«, mit nur 1500 Mann auszuhelfen. Diese sollten vom Fort »Edward« schon beim Morgengrauen des folgenden Tages abgeben.

Trommelwirbel weckte die Armee, als eben der Tag die rauhen Umrisse der Tannen an den wolkenlosen Himmel zu zeichnen begann. In einem Augenblick war das ganze Lager in Bewegung. Die einfache Marschordnung der auserwählten Truppe war bald hergestellt. Während die regulären und geübten Soldaten des Königs stolz nach dem rechten Flügel marschierten, nahmen die weniger ausgebildeten Kolonisten ihre bescheidenere Stellung auf dem linken ein. Die Patrouillen zogen ab; starke Bedeckungen gingen vor und hinter den schwerfälligen Gepäckswagen; und ehe die graue Dämmerung vor den Strahlen der aufgehenden Sonne verschwand, hatte sich das Hauptkorps der Kämpfer in eine Kolonne zusammengezogen und verließ das Lager in erprobter militärischer Haltung, die die heimlichen Besorgnisse manches Neulings verscheuchte, der sich zum erstenmal in den Waffen versuchen sollte. Die Töne der Querpfeifen erklangen immer schwächer, und die Marschierenden verschwanden schließlich im Wald, der die ganze Masse der Soldaten gleichsam verschlang.

Kurz darauf schien sich ein weiterer Aufbruch vorzubereiten. Vor einem großen Blockhaus mit zwei Schildwachen hielt ein halb Dutzend Pferde, deren Zeug bewies, daß wenigstens zwei davon für Frauen von Rang bestimmt seien, während ein drittes Geschirr und Wappen eines Stabsoffiziers trug. Die übrigen sollten offenbar von Dienern geritten werden, die der Winke ihrer Herrschaft gewärtig sein mußten. In einiger Entfernung von dieser Gruppe stand eine Anzahl Neugieriger. Unter ihnen befand sich ein Mann, der durch sein Aussehen und seine Gebärden auffiel.

Er wirkte höchst sonderbar, ohne daß sich eine besondere Mißgestaltung an ihm bemerken ließ. Stand er, so ragte er über die Nebenstehenden empor, saß er, so traute man ihm kaum Mittelgröße zu. Er hatte einen großen Kopf, schmale Schultern, lange, schlotternde Arme, kleine, fast zarte Hände und dünne Beine von übermäßiger Länge. Sein wunderlicher Anzug machte die Mängel seines Gliederbaues noch auffallender: Er trug nämlich einen himmelblauen Rock mit kurzen, breiten Schößen und niedrigem Kragen, eng anliegende Beinkleider von gelbem Nanking, gestreifte baumwollene Strümpfe und riesige Schuhe. Ein mächtiger, aufgestülpter Hut krönte die seltsame Gestalt und verlieh dem gutmütigen, etwas leeren Gesicht die erforderliche Würde.

Dieser Mann nun ging vor dem Quartier des Generals Webb stolz unter den Dienern umher, die bei den Pferden warteten, und äußerte freimütig Lob oder Tadel.

»Dieses Pferd, möchte ich fast sagen, ist nicht von hiesiger Zucht, sondern fremden Ländern, vielleicht aus England«, bemerkte er mit seltsam milder und sanfter Stimme. »Ich kann, ohne mich zu rühmen, von dergleichen Dingen reden. Nie habe ich ein Tier gesehen, das so völlig dem Kriegsroß in der Heiligen Schrift gleicht, von dem es heißt: Es wandelt daher im Tal und jauchzet in seiner Kraft, es geht den gewaffneten Männern entgegen.«

Da auf diese ungewöhnliche Anrede keine Antwort erfolgte, wandte sich der Sprecher der schweigenden Gestalt des indianischen Läufers zu, den er verwundert betrachtete. Obgleich der Wilde die Bewegungen und Geräusche um sich herum gleichgültig betrachtete, mischte sich doch in seine Ruhe ein mürrischer Trotz. Er trug die Streitaxt und das Messer seines Stammes, und doch glich er in seinem Äußern nicht völlig einem Krieger. Er sah etwas vernachlässigt aus, wie nach großen, gerade überstandenen Anstrengungen. Die Farben auf seinem bemalten Gesicht hatten sich verwischt und machten seine dunklen Gesichtszüge noch abstoßender. Seine Augen, die wie funkelnde Sterne unter düsteren Wolken hervorblitzten, verrieten die ihm angeborene Wildheit. Nur etwa einen Atemzug lang begegnete sein forschender und doch vorsichtiger Blick dem des merkwürdigen Mannes. Dann wandte er sich verächtlich ab und starrte ins Leere.

Da entstand plötzlich eine allgemeine Bewegung unter den Dienern; Frauenstimmen näherten sich, und ein junger englischer Offizier führte zwei junge Damen zu den Pferden. Die jüngere ließ einen Augenblick, als ihr grüner Schleier in dem leichten Morgenwind zur Seite wehte, ihr blendendweißes Gesicht, das schöne, goldgelbe Haar und die lichten, blauen Augen sehen. Sie dankte freundlich lächelnd dem jungen Mann, der ihr in den Sattel half. Die andere Dame war dicht verschleiert. Man ahnte unter dem Reisekostüm eine anmutige Gestalt, nur etwas voller und reifer als die ihrer Begleiterin.

Kaum waren die Damen zu Pferd, als ihr Begleiter sich behend in den Sattel schwang. Alle drei verbeugten sich vor Webb, der sie höflich bis zur Tür begleitet hatte, wandten die Pferde und ritten langsam, von ihren Dienern begleitet, zum nördlichen Tor des Forts. Sie legten diese kurze Strecke schweigend zurück. Als aber der indianische Läufer unerwartet vorbeieilte und auf der Straße voranlief, stieß die jüngere Dame einen leisen Schrei aus. Die andere lüftete in der ersten Überraschung ihren Schleier, und ein unbeschreiblicher Blick voll Mitleid, Verwunderung und Schrecken folgte den raschen Bewegungen des Wilden. Die Haare dieser Dame waren schwarzglänzend, doch war ihr Antlitz kaum von der Sonne gebräunt. Nichts Unedles lag in ihrem Gesicht, das regelmäßig, würdevoll und schön war. Sie lächelte, als bedaure sie ihre augenblickliche Vergessenheit, dann brachte sie ihren Schleier wieder in Ordnung, senkte das Haupt und ritt schweigend weiter wie jemand, der, in Gedanken verloren, wenig auf das achtet, was um ihn geschieht.

Die jüngere Dame erholte sich schnell von dem leichten Schreck. Über ihre Schwäche lächelnd, wandte sie sich scherzend zu dem jungen Mann, der ihr zur Seite ritt.

»Sind dergleichen Gespenster häufig in den Wäldern, Heyward?« fragte sie. »Sollte dies der Fall sein, werden Cora und ich unseren oft gerühmten Mut zusammennehmen müssen, noch ehe wir dem gefürchteten Montcalm begegnen.«

»Der Indianer ist ein Läufer unseres Heeres, und in der Meinung seines Volkes gilt er als Kriegsheld«, erwiderte der junge Offizier. »Er hat sich freiwillig erboten, uns auf einem wenig bekannten Pfad schneller und angenehmer zum See zu begleiten, als wenn wir der langsamen Kolonne folgten.«

»Mir gefällt er nicht«, sagte die Dame. »Sie kennen ihn vermutlich, Duncan, oder würden Sie sich sonst so unbedenklich seiner Führung anvertrauen?«

»Sagen Sie lieber, Alice, daß ich Sie dieser Führung nicht anvertrauen würde«, erwiderte der junge Mann mit Nachdruck. »Ich kenne ihn, sonst würde ich ihm mein Vertrauen nicht schenken, am wenigsten in diesem Augenblick. Er soll überdies in Kanada geboren sein, obwohl er unsern Freunden, den Mohawks, gedient hat, die zu den sechs verbündeten Stämmen gehören. Wie ich gehört habe, wurde er durch einen seltsamen Vorfall zu uns gebracht, bei dem Ihr Vater eine Rolle spielte und wobei der Wilde schlecht behandelt wurde. Doch habe ich die Geschichte vergessen. Auf jeden Fall ist er jetzt unser Freund.«

»Ist er meines Vaters Feind gewesen, so kann ich ihm noch weniger trauen!« rief das nun erst recht erschrockene Mädchen. »Wollen Sie nicht mit ihm sprechen, Major Heyward, damit ich seine Stimme höre? Es mag töricht sein, aber ich glaube an die menschliche Stimme.«

»Es würde vergeblich sein, Sie würden höchstwahrscheinlich nur einen Ausruf hören. Obgleich er Enghsch versteht, Wird er doch jetzt die Sprache nicht sprechen, da der Krieg von ihm größte Zurückhaltung fordert … Aber er bleibt stehen. Der unbekannte Pfad, auf dem wir unsere Reise fortsetzen sollen, ist sicherlich erreicht.«

Die Vermutung Major Heywards war richtig. Als sie an die Stelle kamen; wo der Indianer auf sie wartete, wies er in das Dickicht auf einen schmalen und unansehnlichen Pfad, der gerade für einen Menschen breit genug war.

»Hier zweigt also unser Weg ab«, sagte der junge Mann mit leiser Stimme. »Zeigen Sie kein Mißtrauen, denn Sie locken damit nur die Gefahr herbei, die Sie fürchten.«

»Was meinst du, Cora?« fragte die eine Reiterin ungewiß. »Wenn wir mit den Truppen reisten, würden wir uns trotz verschiedener Unannehmlichkeiten doch sicherer fühlen.«

»Sie kennen die Wilden zu wenig, Alice«, sagte Heyward, »und übersehen die wirkliche Gefahr. Unsere Feinde würden sicherlich dort angreifen, wo die meisten Skalpe zu erbeuten sind. Der Weg der Truppen ist bekannt, während der unsere, der erst vor einer Stunde festgelegt wurde, noch ein Geheimnis ist.«

»Sollen wir dem Menschen nur deshalb nicht trauen, weil seine Sitten nicht die unseren sind und seine Häut dunkel ist?« fragte Cora.

Statt einer Antwort versetzte Alice ihrem Pferd einen leichten Schlag mit der Reitgerte und brach zuerst in das dichte Unterholz ein. Sie folgte dem Läufer auf dem dunklen, verschlungenen Pfad.

Der junge Offizier sah Cora bewundernd an und versuchte, ihr, die er so entschlossen fand, den Weg zu bahnen. Die Diener ritten auf der Straße, die die Kolonne eingeschlagen hatte. Diese Vorsicht ging, wie Heyward feststellte, auf ihren Führer zurück, der so alle Spuren verwischen wollte, wenn vielleicht einige kanadische Indianer sich in den Hinterhalt legen sollten.

Mehrere Minuten ritten sie schweigend durch das Dickicht. Doch bald gelangten sie unter die hohen Laubbäume des Waldes. Hier kamen sie leichter voran, und ihr Führer setzte sich in kurzen Trab. Plötzlich hörten die Reiter ein Geräusch von Pferdehufen hinter sich. Heyward und seine Begleiter zogen gleichzeitig die Zügel an und machten halt.

Einige Augenblicke später sahen sie ein junges falbes Pferd, einem Damhirsch nicht unähnlich, zwischen den Bäumen und erkannten die Gestalt des merkwürdigen Mannes, der im Lager Aufsehen erregt hatte.

Seine Erscheinung war auch zu Pferd sehr auffällig. Er trieb sein Tier, das eigentümlich hüpfende Bewegungen vollführte, ununterbrochen an. Heyward, dessen geübtes Auge den Wert eines Pferdes leicht erkannte konnte nicht entscheiden, in welcher Gangart der Reiter, der in grotesken Bewegungen sein Pferd noch übertraf, den verschlungenen Pfad herankam.

»Suchen Sie hier jemanden?« fragte Heyward lächelnd, als der Fremde nahe genug war. »Ich hoffe, daß Sie keine schlimmen Nachrichten überbringen!«

»So ist es«, erwiderte der seltsame Mann vieldeutig, indem er seinen dreieckigen Hut wie einen Fächer bewegte, um sein Gesicht abzukühlen. Als er wieder Atem geschöpft hatte, fuhr er fort: »Ich hörte, daß Sie nach Fort ›William Henry‹ reiten. Da ich selbst auf dem Weg dahin bin, so nahm ich an, gute Gesellschaft würde unseren beiderseitigen Wünschen entsprechen.«

Heyward, dem dieses Zusammentreffen lästig war, antwortete abweisend:

»Wenn Sie zum See wollen, haben Sie Ihren Weg verfehlt. Die Straße liegt wenigstens eine halbe Meile hinter uns.«

»Stimmt«, erwiderte ungerührt der Fremdling. »Ich habe mich im Fort ›Edward‹ eine Woche lang aufgehalten, und ich müßte stumm sein, wenn ich mich nicht nach dem Weg erkundigt hätte, den ich einschlagen muß. Doch es ist für einen meines Amtes nicht klug gehandelt, wenn er sich mit denen zu vertraut macht, denen er gute Lehren geben soll. Deshalb folgte ich nicht dem Heereszug und habe mich entschlossen, einem Gentleman, wie Sie es sind, Gesellschaft zu leisten.«

»Ein höchst eigenmächtiger und recht voreiliger Entschluß!« rief Heyward, der nicht wußte, ob er noch schroffer werden oder dem Fremden gerade ins Gesicht lachen sollte. »Aber Sie sprechen von guten Lehren und von einem Amt. Sind Sie dem Korps vielleicht als Fechtlehrer angegliedert?«

Der Fremde antwortete verwundert, und jedes Zeichen von Selbstgefälligkeit verlor sich in einem Ausdruck feierlicher Demut:

»Ich mache auf keine höheren Gaben Anspruch als auf meine geringe Kenntnis der glorreichen Kunst, die Bitte und Danksagung in den Psalmen abzusingen.«

»Der Mann ist offenbar ein Schüler Apollos!« rief Alice erheitert, »und ich nehme ihn unter meinen besonderen Schutz. Haben Sie Mitleid meiner Neugier, Heyward, und lassen Sie ihn mit uns reisen.« »Uberdies«, fügte sie mit leiser Stimme hinzu, indem sie einen Blick auf die entfernte Cora warf, die dem schweigenden und mürrischen Führer folgte, »überdies haben wir uns so vielleicht einen Freund gewonnen, der uns im Fall der Not helfen kann.«

»Glauben Sie, Alice, daß ich jene, die ich liebe, einer Gefahr aussetzen könnte?«

»Nein, nein! Ich denke auch nicht gerade an Gefahr, aber dieser Mann könnte mich mit ein paar Liedern unterhalten.« Sie sah den jungen Offizier bittend an, bis er sein Pferd anspornte und mit ein paar Sätzen wieder an Coras Seite war.

»Es freut mich, Euch zu treffen«, sagte Alice nun zu dem Fremden, indem sie ihm winkte, weiterzureiten. »Mich interessiert es sehr, eines Meisters Ansichten und Erfahrungen über Gesang und Musik zu hören.«

»Es erfrischt den Geist wie den Körper, sich zuweilen an der Melodie der Psalmen zu ergötzen«, erwiderte der sonderbare Meister des Gesanges. »Doch sind vier Stimmen für eine vollkommene Melodie nötig. Sie besitzen sicher einen sanften und vollen Diskant. Ich kann mit eigener Anstrengung einen vollen Tenor bis zum hohen C hinaufführen. Vielleicht könnte der königliche Offizier, der Bedenken trug, mich in seine Gesellschaft aufzunehmen, die Baßpartie ausführen.«

Alice unterdrückte ein Lachen. »Ich fürchte«, antwortete sie, »er ist mehr dem weltlichen Gesang zugetan. Das unruhige Soldatenleben weckt wenig Neigung zu ernsthafteren Dingen.«

»Des Menschen Stimme wurde ihm wie seine übrigen Gaben verliehen, damit er sie gebrauchen, doch nicht mißbrauchen solle. Niemand kann von mir behaupten, daß ich meine Gabe je vernachlässigt hätte. Ich danke Gott, daß seit meiner Jugend nie ein roher Vers meine Lippen entweiht hat.«

»Ihr habt Euch also auf den frommen Gesang beschränkt?«

»So ist es. Ich verweile nie an irgendeinem Ort schlafend oder wachend, ohne ein Exemplar des neuenglischen Gesangbuches bei mir zu haben. Es ist die sechsundzwanzigste Ausgabe, die zu Boston im Jahre unseres Herrn 1774 unter dem Titel erschienen ist: ›Die Psalmen, Hymnen und geistlichen Gesänge des Neuen Testaments, in englische Verse übersetzt, zur öffentlichen und häuslichen Erbauung und zum Troste der Gottesfürchtigen hauptsächlich in Neuengland.‹«

Damit zog der Fremde ein Buch aus der Tasche, und nachdem er eine in Eisen gefaßte Brille auf die Nase gesetzt hatte, öffnete er das Werk mit einer Sorgfalt und Ehrfurcht, die seinem heiligen Inhalt angemessen war. Dann begann er ohne weitere Einleitung mit klarer, voller Stimme zwei Strophen eines frommen Liedes zu singen. Während des Gesanges begleitete der Fremde die getragene Melodie mit regelmäßigem Erheben und Senken der rechten Hand. In der Stille des Waldes klang seine Stimme ungewöhnlich laut, so daß der Indianer an der Spitze des kleinen Zuges Heyward einige Worte zuflüsterte. Der Offizier deutete dem Fremden, aufzuhören.

»Wenn wir auch nicht in Gefahr sind, so müssen wir doch vorsichtig sein und so ruhig wie möglich reiten. Verzeihen Sie mir daher, Alice, wenn ich diesen Herrn bitte, seinen Gesang bis zu einer besseren Gelegenheit aufzuschieben.«

»Sie nehmen mir mein Vergnügen«, erwiderte das Mädchen spöttisch, »und zerstören wirklich den Zauber meiner Träumereien durch ihren Baß!«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen Baß nennen«, sagte Heyward etwas empfindlich, »aber so viel weiß ich, daß Ihre und Coras Sicherheit mir bei weitem mehr wert ist als eine ganze Psalmmelodie.«

Er schwieg und wandte sich plötzlich zu einem dichten Gebüsch. Dann sah er argwöhnisch auf den Indianer, der unverändert ernst weitertrabte. Er lächelte jedoch verächtlich, da er glaubte, er habe sich getäuscht und eine hellschimmernde Waldbeere für die glänzenden Augen eines lauernden Wilden gehalten. Er ritt weiter und setzte ruhig das unterbrochene Gespräch fort.

Die Gesellschaft war aber kaum einige Schritte weitergeritten, als die Zweige des Dickichts behutsam niedergebogen wurden und ein menschliches Antlitz voll unbezähmter Leidenschaft den Reisenden nachsah. Ein Frohlocken ging über die dunkelfarbigen Züge des Waldbewohners, als er der Spur seiner Opfer nachblickte, die arglos weiterritten.

2

Am selben Tag saßen zwei Männer an den Ufern eines kleinen, doch reißenden Stroms, etwa eine Tagesreise von dem Lager Webbs entfernt. Das weite Laubdach der Wälder dehnte sich bis zum Rande des Flusses hin. Die Strahlen der Sonne begannen schon schwächer zu leuchten, und die Hitze des Tages wich bereits den kühleren Dünsten, die aus den Laubbetten der Quellen emporstiegen. Noch immer aber herrschte das lastende Schweigen, das die drückende Schwüle einer amerikanischen Landschaft im Juli kennzeichnet. Es wurde nur unterbrochen durch die leisen Stimmen der Männer, den trägen Schlag eines Waldspechtes oder den unharmonischen Ton irgendeiner munteren Elster und durch das dumpfe Rauschen eines fernen Wasserfalls.

Die schwachen und abgebrochenen Töne waren den Waldbewohnern bekannt und konnten ihre Aufmerksamkeit von ihrem Gespräch kaum ablenken. Während die rotbraune Haut und der wilde Putz den einen deutlich als Indianer erkennen ließen, verriet die lichtere wenn auch von der Sonne verbrannte Gesichtsfarbe des anderen den Europäer.

Der rote Sohn der Wälder saß auf einem bemoosten Stamm und unterstrich seine ernste Sprache durch die ruhigen und ausdrucksvollen Gebärden der Indianer. Sein fast nackter, bemalter Leib zeigte in verschlungener Mischung weißer und schwarzer Farben ein furchtbares Bild des Todes. Der kahlgeschorene Kopf trug nur die Skalplocke und als einzigen Schmuck eine Adlerfeder, die auf die linke Schulter herabhing. Ein Tomahawk und ein Skalpiermesser von englischer Arbeit steckten in seinem Gürtel, während ein kurzes Gewehr, eine Waffe, mit der die Weißen ihre Bundesgenossen unter den Wilden ausrüsteten, nachlässig quer über seinen bloßen, sehnigen Knien lag. Die gewölbte Brust, die kräftigen Glieder und die ernste Haltung dieses Kriegers zeigten höchste Lebenskraft.

Die Gestalt des Weißen verriet, daß er seit frühester Jugend Mühsale und Anstrengungen ertragen hatte. Sein muskulöser Körper war schlank; jeder Nerv und Muskel aber schien gestählt und abgehärtet durch unablässiges Training im Kampf mit den Gefahren der Wildnis. Er trug ein grünes mit verblichenem Gelb besetztes Jagdhemd und eine Sommermütze aus glattgeschorenem Fell. Auch in seinem Gürtel steckte ein Messer, jedoch keine Streitaxt. Seine Mokassins waren nach Art der Eingeborenen bunt verziert. Darüber trug er Gamaschen aus Bocksleder. Eine Jagdtasche und ein Pulverhorn sowie eine sehr lange Büchse, die von den Waldbewohnern für das gefährlichste Gewehr gehalten wurde, vervollständigten seine Ausrüstung. Das Auge des Jägers war in diesem Augenblick lebhaft und unruhig, als spähe er nach einem Wild oder als fürchte er das plötzliche Erscheinen irgendeines verborgenen Feindes. Doch trug sein Gesicht dabei den Ausdruck offener Rechtlichkeit.

»Selbst eure alten Überlieferungen sprechen in diesem Fall zu meinen Gunsten, Chingachgook«, sagte er in der Sprache der Delawaren. »Eure Väter kamen von Sonnenuntergang quer über den großen Strom, bekämpften die Bewohner unserer Gegend und eroberten das Land; und meine Vorfahren kamen von dem roten Morgenhimmel über den Salzsee und taten das gleiche. Laßt Gott die Sache entscheiden und Freunde ihre Worte darüber sparen.«

»Meine Väter kämpften mit den nackten roten Männern«, erwiderte der Indianer finster. »Ist denn kein Unterschied, Falkenauge, zwischen der steinernen Pfeilspitze unserer Krieger und der bleiernen Kugel, womit ihr tötet?«

»Es ist doch Verstand in einem Indianer, wenn ihm auch die Natur eine rote Haut gab!« sagte der Weiße kopfschüttelnd. »Ich bin kein Gelehrter«, setzte er zögernd hinzu, »aber nach dem zu urteilen, was ich auf der Reh- und Eichhörnchenjagd von den Burschen da unten gesehen habe, sollte ich meinen, ein Feuergewehr in der Hand ihrer Vorfahren wäre nicht so gefährlich wie ein Bogen aus Nußholz und ein scharfgespitzter Pfeil.«

»Ihr habt die Geschichte von euren Vätern gehört«, erwiderte der andere mit stolzer Verachtung. »Was sagen eure alten Leute? Erzählen sie den jungen Kriegern, daß die Bleichgesichter mit den roten Männern zusammentrafen, die nur mit dem Steinbeil oder der Holzwaffe ausgerüstet waren?«

»Ich bin kein von Vorurteilen befangener Mann«, entgegnete der Weiße. »Auch gestehe ich, daß meine Landsleute sich mancher Mittel bedienen, die ich nicht billigen kann. Es gehört zu ihren Gewohnheiten, das, was sie getan und gesehen haben, in Büchern aufzuzeichnen, statt es in ihren Dörfern zu erzählen, wo man einen feigen Prahler Lügen strafen würde. Daher frage ich dich, Chingachgook: Was ereignete sich, als unsere Väter zusammentrafen?«

Einen Augenblick saß der Indianer schweigend. Dann begann er feierlich:

»Hör, Falkenauge, und dein Ohr soll keine Lüge erfahren. Ich künde dir, was meine Väter erzählt und was die Mohikaner getan haben.« Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann mit einem vorsichtigen Blick auf seinen Begleiter halb fragend, halb feststellend fort. »Fließt dieser Strom zu unseren Füßen nicht nach dem Sommer hin, bis seine Fluten salzig werden?«

»Ich bin dort gewesen und habe mich selbst davon überzeugt«, antwortete der Weiße. »Warum aber Wasser, das so süß im Schatten ist, in der Sonne bitter wird, weiß ich nicht. Ich konnte mir diesen Wechsel nie erklären.«

»Wir kamen von dem Ort, wo die Sonne nachts verborgen ist, über große Ebenen, wo die Büffel leben, bis wir endlich den großen Strom erreichten. Dort kämpften wir mit den Alligewis, bis die Erde sich von ihrem Blut rötete. Vom Rande des großen Stromes bis zu den Ufern des Salzsees begegnete uns keiner mehr. Dann kamen uns die Maquas nach. Wir sagten, das Land solle unser sein von der Mündung dieses breiten Stromes an bis zu einem zwanzig Tagereisen nach dem Sommer hinströmenden Fluß. Das Land, das wir als Krieger erobert hatten, behaupteten wir als Männer. Wir trieben die Maquas in die Wälder; sie schmeckten kein Salz als ihre Tränen, sie angehen keinen Fisch mehr aus dem großen See; wir warfen ihnen nur die Gräten vor.«

»Das habe ich alles schon gehört und glaube es auch«, sagte der Weiße, »aber das war lange, bevor die Engländer in das Land kamen.«

»Eine Fichte wuchs damals, wo jetzt dieser Kastanienbaum steht. Die ersten Bleichgesichter, die sich uns zeigten, sprachen kein Englisch. Sie kamen in einem großen Kahn. Damals«, fuhr er mit tiefer, bewegter Stimme fort, »damals waren wir nur ein Volk, und wir waren glücklich. Der Salzsee gab uns seine Fische, der Wald sein Wild, die Luft ihre Vögel. Wir nahmen Weiber, die uns Kinder gebaren. Wir verehrten den Großen Geist und hielten uns die Maquas vom Leibe.«

»Weißt du irgend etwas über deine eigene Familie in jener Zeit?« fragte der Weiße. »Deine Väter müssen tapfere Krieger und weise Männer bei den Versammlungsfeuern gewesen sein.«

»Mein Stamm ist der Ahnherr von ganzen Völkern«, sagte der Eingeborene. »Das Blut der Helden fließt in meinen Adern. Die Holländer landeten und gaben meinen Landsleuten das Feuerwasser. Sie tranken, bis Himmel und Erde sich zu begegnen schienen, und glaubten in ihrer Torheit, sie hätten den großen Geist gefunden. Damals verloren sie ihr Land. Sie wurden allmählich vom Ufer zurückgetrieben, und ich, der ich ein Häuptling bin, habe die Sonne nie anders als durch die Bäume scheinen sehen, und noch nie habe ich die Gräber meiner Väter besucht.«

»Gräber versetzen den Geist in eine feierliche Stimmung«, entgegnete der Kundschafter bewegt, »und bestärken einen oft in seinen guten Vorsätzen. Ich für meinen Teil erwarte freilich, daß meine Gebeine unbegraben bleiben, um in den Wäldern zu bleichen oder von den Wölfen verzehrt zu werden. Doch wo findet man deinen Stamm, der schon vor vielen Sommern zu seinen Verwandten nach dem Delaware kam?«

»Wo man die Blüten dieser Sommer findet! Sie sind dahin, verwelkt eine nach der andern! So sind auch alle meines Stammes, einer nach dem andern, in das Land der Geister hinübergegangen. Ich stehe auf dem Gipfel des Berges und muß hinabsteigen ins Tal; und wenn Unkas einst meinen Schritten folgt, so ist niemand mehr übrig von unserem Blut, denn mein Sohn ist der letzte Mohikaner.«

»Unkas ist hier!« sagte eine andere Stimme in demselben tiefen Kehlton dicht an seiner Seite. »Wer fragt nach Unkas?«

Die Hand des Weißen fuhr bei dieser plötzlichen Unterbrechung unwillkürlich nach der Büchse. Der Indianer aber blieb ruhig sitzen, ohne sein Haupt nach der unerwarteten Stimme zu wenden.

Gleich darauf ging ein junger Krieger mit geräuschlosem Schritt zwischen ihnen durch und setzte sich an das Ufer des reißenden Stroms. Kein Ausruf der Verwanderung entfuhr dem Vater. Mehrere Minuten lang hörte man weder eine Frage noch eine Antwort. Jeder schien den Augenblick abzuwarten, wo er sprechen konnte.

Der Weiße schien sich an ihrem Betragen ein Beispiel zu nehmen; er ließ die Hand von dem Feuergewehr und blieb still und in sich gekehrt. Endlich wandte Chingachgook die Augen seinem Sohn zu und fragte:

»Wagen die Maquas wieder, ihre Spuren in diesen Wäldern sehen zu lassen?«

»Ich bin ihnen auf der Fährte gewesen«, erwiderte der junge Indianer, »und ich weiß, daß ihre Zahl so groß ist wie die Finger meiner beiden Hände; sie verbergen sich jedoch wie feige Memmen.«

»Die Diebe lauern auf Skalpe und Beute!« versetzte der Weiße. »Jener geschäftige Franzose, Montcalm, wird seine Späher noch bis in unser Lager senden, um herauszubringen, welchen Weg wir einschlagen wollen.«

»Es ist genug!« erwiderte der Vater, sein funkelndes Auge nach der untergehenden Sonne richtend. »Sie sollen vertrieben werden wie das Wild aus den Gebüschen. Falkenauge, wir wollen unser Nachtmahl essen und morgen den Maquas zeigen, daß wir Männer sind.«