
7
Die Macht in der Tiefe
Von allen Seiten näherten sich Fledermenschen,
zögerlich und scheu. Keiner von ihnen war größer als ein etwa
zehnjähriges Menschenkind, viele sogar kleiner, die meisten
reichten einem erwachsenen Mann gerade bis zur Hüfte.
Nach und nach landeten auch diejenigen, die bis
dahin noch immer tiefere Kreise über Gorian und seinen beiden
Begleitern gezogen hatten. Sie trugen grob zusammengenähte Felle,
und ihre mandelförmigen, deutlich hervorstehenden Augen in den
behaarten Gesichtern schimmerten im fahlen Licht des Mondes, das
nun wieder ungehindert vom Himmel schien.
Die zirpenden und zischenden Laute, mit denen sich
die Fledermenschen austauschten, verebbten allmählich. Gorian
versuchte, ihre Gedanken zu erspüren, aber sie waren zu fremdartig,
um irgendetwas daraus schließen zu können. Das Einzige, was für ihn
schnell feststand, war, dass sie alle von einer großen Furcht
erfüllt waren. Der Grund dafür aber blieb ihm unklar.
Aber er spürte noch etwas. Etwas, womit er nicht
gerechnet hatte.
Magie.
Sie war nur sehr schwach ausgeprägt, aber
unzweifelhaft vorhanden. Mit der starken Kraft, die irgendwo in
diesen
Bergen lauerte, hatte sie allerdings nichts zu tun, beide Kräfte
waren völlig verschieden.
Das magische Talent der Fledermenschen war
sicherlich sehr viel schwächer als bei jedem Ordensschüler,
trotzdem würde sich Gorian in Acht nehmen.
Auf einmal schleuderte einer der Fledermenschen
seinen Speer. Torbas ahnte den Angriff voraus, wie man es ihn im
Haus des Schwertes gelehrt hatte, wirbelte herum und ließ
Schattenstich emporschnellen, sodass die Klinge aus Sternenmetall
genau im richtigen Moment auf die Obsidian-Spitze des Speers traf.
Ein greller Lichtblitz flammte auf, und Torbas taumelte zwei
Schritt zurück. Eigentlich hatte er den Speer zur Seite ablenken
wollen, aber das hatte er nicht ganz geschafft. Nur ganz knapp
verfehlte ihn die Wurfwaffe und prallte auf das schwarze
Bodengestein, wobei Funken aufsprühten, als die Spitze aus Obsidian
auftraf, mit solcher Kraft war der Speer geworfen worden.
»Beim Verborgenen Gott und allen Teufeln!«, entfuhr
es Torbas. »Was war das denn?«
»Fledermenschen-Magie!«, rief Gorian, riss
ebenfalls sein Schwert hervor und lenkte einen weiteren Speerwurf
zur Seite hin ab, wofür er mit aller Kraft zuschlagen musste,
während er die ungeheure, durch Magie verstärkte Kraft spürte, mit
welcher der Speer geschleudert worden war.
Gorians Augen waren ebenso von Schwärze erfüllt wie
die von Torbas, und Fentos Roon stand zwischen den beiden
Gefährten. Die einzige Waffe, die er bei sich trug, war ein langer,
leicht gebogener Dolch, den Gorian bislang eher für einen
Ziergegenstand gehalten hatte. In den Straßen von Gryphenklau hatte
er viele Männer mit solchen Dolchen gesehen, und die meisten hatten
zur Gilde der Greifenreiter gehört oder sich zumindest den Anschein
gegeben.
Nun wurden von allen Seiten Speere geworfen. Gorian
und Torbas ließen ihre Schwerter kreisen. Den Bruchteil eines
Augenblicks ahnten sie die Angriffe nach Art der Schwertmeister
voraus und waren dadurch überhaupt in der Lage, sie abzuwehren,
allerdings nur mit größter Kraftanstrengung, denn in jedem dieser
Würfe steckte eine übermenschliche Wucht.
Auf einmal ertönte ein schrilles Pfeifen, und die
Fledermenschen antworteten mit ohrenbetäubendem Kreischen,
flatterten empor und stoben in alle Richtungen davon. Ein paar
Speere wurden noch geworfen, aber sie waren vergleichsweise leicht
abzuwehren, denn den Würfen fehlte die besondere, durch Magie
verstärkte Wut, die den ersten Angriffen eigen gewesen war.
Die Fledermenschen bildeten keinen geordneten
Schwarm mehr, sondern wirbelten durcheinander, stießen zum Teil
sogar zusammen, sodass sich ihre Flügel ineinander verhakten und
sie abstürzten. Erst kurz vor dem Aufschlag auf das schwarze
Bodengestein lösten sie sich voneinander und fingen ihren Sturz ab,
um dann wieder in wilder Panik davonzuflattern.
Der Pfeifton hielt an, und es schien, als hätten
die Fledermenschen nur noch eins im Sinn: seiner unmittelbaren
Wirkung zu entkommen.
Dann endlich war der Spuk vorbei, das Pfeifen brach
abrupt ab, und Gorian, der den Griff von Sternenklinge mit beiden
Händen umfasste, sah aus den Augenwinkeln, wie Fentos Roon einen
Gegenstand von den Lippen nahm und nach Luft rang.
»Eine Fledermenschen-Flöte!«, keuchte Fentos Roon.
»Wir Greifenreiter führen sie immer bei uns, wenn wir das Gebiet
dieser Wesen überfliegen. Falls man in die Verlegenheit gerät,
mit der Greifengondel notlanden zu müssen, kann man sie sich damit
vom Hals halten; sie können die Töne nicht ertragen und nehmen
davor Reißaus.« Damit setzte er die Flöte noch einmal an die Lippen
und blies mit aller Kraft und aufgeblähten Wangen, woraufhin Gorian
und Torbas die Gesichter verzogen.
»Muss das sein?«, fragte Torbas. »Diese Töne sind
nicht nur für Fledermenschen unerträglich!«
Aber Fentos Roon ließ sich nicht beirren und blies
noch so lange weiter, wie es sein Atemvorrat zuließ. »Sicher ist
sicher«, meinte er dann und atmete tief durch. Die Flöte sah aus,
als wäre sie aus einem Knochen gefertigt. »Ich hab sie wegen der
verfluchten Dunkelheit nicht gleich in meiner Gürteltasche finden
können, sonst hätte ich die Bande schon früher verjagt.«
»Na, da sind wir aber froh, dass du doch noch
fündig geworden bist«, spöttelte Torbas.
»Könnte jemand von euch so freundlich sein, mit
seinem Handlicht auf den Boden zu leuchten«, bat der Zweite
Greifenreiter Centros Bals. »Mir ist nämlich was heruntergefallen,
als ich nach der Flöte in meiner Tasche kramte.« Er steckte sie
zurück in seine Gürteltasche, in der ein paar Münzen klimperten.
»So gut bezahlt mich auch der berühmte Nordfahrer nicht, dass ich
es mir leisten könnte, Silbergeld in der Steinwüste zu
verstreuen.«
Torbas seufzte. »Na gut, wir sind ja jetzt weit
genug von Felsenburg entfernt.« Er hielt Schattenstich nach wie vor
in der Rechten, denn noch traute er dem Frieden nicht, zumal ein
paar der Fledermenschen noch als dunkle Schatten in einiger
Entfernung auf den Felsen ringsum zu sehen waren, wo sie hockten,
als würden sie das weitere Geschehen abwarten und auf die
Möglichkeit zu einem Angriff lauern.
In seiner Linken ließ Torbas ein Licht aufscheinen,
das allerdings nur verhältnismäßig schwach schimmerte, kaum heller
als eine einfache Wachskerze.
Er ließ den Lichtkegel über den Boden wandern, und
Fentos Roon sammelte ein halbes Dutzend Münzen ein, die er verloren
hatte.
»Wir sollten die Fledermenschen nicht
unterschätzen«, mahnte Gorian, nachdem die drei ihren Weg
schließlich fortsetzten und in das zerklüftete Gebiet eindrangen.
»Die Magie, die sie zur Verstärkung ihrer Angriffe einsetzen, ist
sehr einfach, aber effektiv.«
»Jetzt ist mir auch klar, wie sie es schaffen,
einen Wildgreifen zur Strecke zu bringen.« Torbas wandte sich an
Fentos Roon. »Hast du eine Erklärung dafür, dass sie uns
angegriffen haben?«
Der Zweite Greifenreiter des Nordfahrers Centros
Bal schüttelte den Kopf. »Seit König Song Mol die Feuerdämonen
entfesselt hat, sind sie Menschen gegenüber eigentlich
ausgesprochen scheu.«
»Und trotzdem trägst du diese Flöte bei dir?«,
hielt Torbas dem entgegen.
»Jedes Mitglied der Greifenreitergilde ist
verpflichtet, so eine Flöte auf Flügen über das Gebiet der
Fledermenschen bei sich zu tragen. Aber dieses Gesetz ist uralt,
und angeblich stammt es noch von König Song Mol selbst. Dass
Fledermenschen einen Greifenreiter wirklich attackieren, geschieht
vielleicht ein- oder zweimal in einem Menschenleben, dafür fürchten
sie einfach zu sehr die Rache des Königs.«
»Offenbar tun sie das nicht mehr«, meinte
Torbas.
»Oder sie fürchten etwas anderes noch viel mehr«,
vermutete Gorian.
Beide Ordensschüler trugen inzwischen ihre
Schwerter wieder auf dem Rücken, denn die Hände brauchten sie fürs
Klettern. Immer öfter kamen auch wieder die Seilschlangen zum
Einsatz.
Hier und dort waren auf den umliegenden Felsen
einzelne Fledermenschen zu sehen, und hin und wieder stob einer der
Geflügelten auf, wenn ihm die Menschen zu nahe kamen. Meistens aber
hielten sie sich in den ausgedehnten Schattenzonen verborgen, und
wenn sie sich nicht gerade bewegten oder ihre zirpenden Laute von
sich gaben, waren sie kaum zu entdecken und eins mit der
Finsternis, die sie umgab.
Gorian und Torbas setzten schließlich auch ihre
Handlichter ein, damit niemand von ihnen in eine der vielen
Erdspalten stürzte. Von Felsenburg aus waren sie nicht mehr zu
sehen, da Anhöhen und Felsen sie umgaben. Allenfalls würde ein
Posten auf den Wehrgängen das Aufflackern eines Lichtschimmers
zwischen den Felsen ausmachen, denn während das schwarze Gestein,
das die Ebene um Felsenburg umgab, alles Licht zu verschlucken
schien, setzte sich der mittelgryphländische Bergrücken aus
unterschiedlichen Gesteinsarten zusammen.
»Manche davon ähneln Halbedelsteinen«, erklärte
Fentos Roon, darauf von Torbas angesprochen. »Wenn das Licht der
Sonne oder des Mondes auf sie trifft, kommt es zu den
eigenartigsten Lichterscheinungen. Die Wachen auf Felsenburg werden
sich also über eure Handlichter nicht wundern, weil sie die Steine
und das Mondlicht dafür verantwortlich machen.«
»Ich spüre eine gewaltige fremdartige Magie, die
alles hier zu durchdringen scheint«, eröffnete Gorian seinen
Gefährten. »Sie wird stärker, je weiter wir in die Berge
vordringen.
Ich spreche nicht von der simplen Fledermenschen-Magie. Diese ist
anders, stärker.«
»Von Magie verstehe ich nichts«, erwiderte Fentos
Roon.
»Aber du weißt über dieses Land Bescheid. Hast du
irgendeine Ahnung, was die Ursache dieser Kraft sein könnte?«
»Nein. Hör mal, ich bin Greifenreiter, kein
Bergwanderer, auch wenn das im Moment so aussehen mag. Ich bin
schon tausendmal über das Fledermenschenland hinweggeflogen, aber
niemals hier gelandet, nur hin und wieder mal in Felsenburg und auf
ein paar Residenzburgen einzelner Greifenreiter, die hier
leben.«
»Haben die vielleicht irgendetwas darüber
erzählt?«
»Die interessieren sich nur für Magie, wenn sie
jemand einsetzt, um ihnen die Geschäfte zu verderben. Ansonsten
verlassen sie sich lieber auf ihre Greifen.«
Sie bewegten sich an bodenlosen Abgründen entlang.
Wenn ein Stein ins Rutschen geriet, schlug er erst nach langem Fall
irgendwo unten auf, und so war zu erahnen, wie tief diese
Erdspalten waren.
Fentos Roon hielt Gorian und Torbas dazu an, ihren
jeweiligen Seilschlangen selbst die notwendigen Anweisungen zu
geben, was auch immer besser klappte, und so sicherten die Tiere
ihre Träger zuverlässig beim Klettern oder zogen sie steile
Felswände empor, an denen sie zuvor scheinbar mühelos
emporgeglitten waren. Gorian lernte schnell, dass man sich bei den
Befehlen an die Seilschlangen besser zurückhielt, denn je mehr man
sich beschränkte, desto genauer schienen sie die Absichten ihrer
Herren zu verstehen.
Er versuchte auch mehrmals, mit seinen magischen
Sinnen zu den Gedanken seiner Seilschlange vorzudringen, die ihm
auf so überraschend effektive Weise beim Klettern half,
doch seine geistigen Fühler griffen jedes Mal ins Leere, als wäre
da nichts, nicht einmal ein einzelner Gedanke und nicht der Hauch
von Magie. Der Geist der Seilschlange musste derart fremdartig
sein, dass er sich selbst einem Schüler in allen fünf
Ordenshäusern, dem man ja bereits zumindest in einem die
Meisterschaft angeboten hatte, nicht im Mindesten erschloss.
So konzentrierte er sich wieder darauf, eine
Verbindung mit Ar-Don herzustellen, doch seit ihn der Gargoyle mit
einem so intensiven Gedanken bedrängt hatte, dass er schon glaubte,
von seiner Seilschlange erwürgt zu werden, war von Ar-Don nichts
mehr zu spüren, und er empfing nicht einmal mehr die chaotischen
Bilder und Empfindungen.
Hingegen gab es in den Felsen feinste Spuren, die
belegten, dass er hier gewesen war. Magische Spuren, die Gorian
niemandem hätte beschreiben können, die er aber so deutlich
erkannte wie ein Raubtier die Witterung seiner Beute.
Er musste auf jede Kleinigkeit in der Umgebung
achten.
Sie hatten ein Felsplateau erreicht, von dem aus
man bei Tag sicherlich eine gute Aussicht über das umliegende Land
hatte. In der Nacht aber waren ringsum nur Schatten auszumachen und
Lichtreflexe, hervorgerufen vom Mond- und Sternenlicht, das von
besonderen Gesteinsarten gespiegelt wurde.
Gorian blieb stehen, schloss die Augen und
versuchte die Bilder erneut in sich wachzurufen, die er mit den
Gedanken Ar-Dons empfangen hatte.
Und auf einmal spürte er wieder etwas, wenn auch
nur für einen kurzen Moment. Da war eine Empfindung von Schmerz,
Schwäche und unendlicher Furcht.
Er öffnete die Augen und blickte auf den vom
Mondlicht beschienenen felsigen Boden zu seinen Füßen. Feine
Sprünge
im Gestein bildeten eine Struktur, die an einen sich
verzweigenden, durch das Land mäandernden Fluss oder einen Blitz
erinnerten.
Auf einmal wusste Gorian, dass auch Ar-Don
diesen Riss im Stein gesehen hatte, und zwar vor nicht allzu langer
Zeit.
»Er war hier«, murmelte er. »Genau hier …«
Torbas enthielt sich eines Kommentars, und Fentos
Roon flüsterte gerade seiner Seilschlange ein paar beruhigende
Zischlaute zu, und zwar in eine Vertiefung ungefähr eine Armspanne
vom Seilschlangenende entfernt. Offenbar befand sich dort das, was
man bei einem anderen Geschöpf als Ohr bezeichnet hätte.
Gorian sah einen Schatten auf der anderen Seite der
abgrundtiefen Schlucht, die das Felsplateau begrenzte. Es handelte
sich um eine gezackte Felsformation.
Er trat an den Rand des Felsplateaus und blickte in
die undurchdringliche Schwärze des Abgrunds. »Genau hier muss er
sein«, behauptete er und leuchtete mit dem magischen Handlicht
hinab. Aber der Schein verlor sich in der Finsternis.
Ein paar unterarmlange pelzige und sechsfüßige
Kreaturen mit peitschenartigen Schwänzen krabbelten über die
senkrecht in die Tiefe führenden Felswände, so als würden sie sich
über eine waagerechte Fläche bewegen. Wenn Gorians Handlicht sie
traf, huschten sie davon und verbargen sich in kleinen Spalten und
Ritzen, wobei sie ein lautes Fiepen ausstießen.
»Sieht nicht gerade einladend aus«, meinte Torbas.
»Sag bloß, dein Gargoyle-Freund steckt in diesem Dreckloch
fest.«
»Er ist dort, das weiß ich«, gab Gorian sehr ernst
zurück. Und dann empfing er ganz kurz einen Gedanken, der aus einem
einzigen Bild bestand: Es war wieder ein Blick aus
der Tiefe einer Schlucht hoch in den nächtlichen
Sternenhimmel.
Aber diesmal war der Umriss einer Gestalt zu sehen,
die am Felsrand stand und hinabsah. Eine Gestalt, deren rechte Hand
ein blendendes Licht ausstrahlte.
Gorian sah niemand anderen als sich selbst.
In diesem Moment raste ein Speer von der
gegenüberliegenden Seite der Schlucht direkt auf Gorian zu. Diesmal
warnte ihn keine Vorahnung, er hatte sich zu sehr auf Ar-Dons
Gedanken konzentriert, und so konnte er nicht mehr rechtzeitig
reagieren.
Doch Torbas riss ihn gerade noch rechtzeitig
zurück, und der Speer, mit magisch verstärkter Kraft geschleudert,
sauste haarscharf an Gorian vorbei.
Doch der Speer änderte abrupt seine Bahn, jedem
Naturgesetz Hohn sprechend – und fuhr Fentos Roon mitten in die
Brust!
Die Obsidian-Spitze durchbohrte Fentos Roons Leib
und trat im Rücken wieder aus. Ein keuchender Laut drang noch über
die Lippen des Zweiten Greifenreiters, dann sackte er zu
Boden.
Weitere Speere wurden von der gegenüberliegenden
Seite der Schlucht herübergeschleudert. Dutzende von
Fledermenschen-Kriegern waren dort herangeschlichen und sahen nun
den Augenblick für einen Angriff für gekommen.
Während die beiden Ordensschüler darum bemüht
waren, die magisch verstärkten Speerwürfe mit Sternenklinge und
Schattenstich abzuwehren, kroch auf einmal ein Heer der
lichtscheuen Sechsfußratten aus der Schlucht. Wie ein Teppich aus
grauem Fell schoben sie sich über den Rand der Erdspalte, zunächst
Hunderte, dann Tausende, die dicht
gedrängt aus der Tiefe krabbelten und die Nachtluft mit ihrem
schrillen Pfeifen erfüllten.
Schon hatten die ersten den Körper des toten Fentos
Roon erreicht, und bald war sein Leichnam über und über von grauen
Pelzen bedeckt. Manche der Tiere liefen auch Gorian und Torbas
zwischen den Füßen umher. Quietschend wichen sie aus, wenn nach
ihnen getreten wurde. Aber sie griffen die beiden Ordensschüler
nicht an, ihr Interesse galt allein dem Toten, dessen Körper sie
mit sich schleiften. Von den pelzigen Aasfressern vollkommen
bedeckt, bewegte sich der Leichnam auf den Rand der Schlucht zu,
dann stürzten sich die Sechsfußratten mit ihrer Beute hinab in den
Erdspalt.
Ein paar erschreckend lange Augenblicke später war
ein dumpfer Aufschlag zu hören. Entweder machte den Sechsfußratten
ein Aufprall selbst aus größter Höhe nichts aus, oder sie opferten
sich bereitwillig für die Nahrungsbeschaffung ihrer
Artgenossen.
Voller Wut wehrte Gorian weitere Speerwürfe mit dem
Schwert ab. Auch Torbas kämpfte tapfer, doch eine der
Obsidian-Spitzen ritzte ihn am Arm. Die Speere waren magisch so
beeinflusst, dass ihre Flugbahnen selbst mit den erstaunlichen
Fähigkeiten eines Schwertmeisters nur schwerlich vorauszuahnen
waren.
Torbas nahm einen der Speere vom Boden auf und
schleuderte ihn zurück, wobei er erst eine kurze magische Formel
murmelte und dann einen Kraftschrei ausstieß. Der Speer flog über
die Schlucht, drehte sich jedoch auf halbem Weg und kehrte mit
einer Wucht zurück, dass Torbas ihn nur mit einem heftigen
Schwertschlag abzulenken vermochte, wobei ein grünlicher Blitz aus
Schattenstich zuckte.
Während Gorian mit einer Hand Sternenklinge hielt
und
mit dem Schwert einen weiteren Speerwurf abwehrte, riss er Rächer
aus dem Gürtel und schleuderte auch ihn mit einem Kraftschrei zur
gegenüberliegenden Seite der Schlucht. Schrille Schreie gellten
durch die Nacht. Nur schattenhaft zu erkennende Fledermenschen
stoben davon. Manche stürzten, offenbar von Rächer getroffen, zu
Boden.
Die Waffe aus Sternenmetall wirbelte durch die Luft
und kehrte sicher in Gorians ausgestreckte Hand zurück.
Fledermenschen-Blut troff von der Klinge, und ein Chor angstvoll
zirpender Stimmen erhob sich. Ein letzter Speer wurde geworfen,
allerdings nicht mehr mit der gleichen magischen Kraft wie zuvor,
sodass ihn Torbas mit Leichtigkeit abwehren konnte.
Danach herrschte eine geradezu unheilvolle Stille.
Gorian und Torbas lauschten angestrengt und ließen die Blicke
suchend durch die Nacht schweifen. Aber die Gefahr schien zunächst
vorbei.
»Alle Achtung, in deiner Hand ist dieser Dolch eine
furchtbare Waffe«, stellte Torbas fest.
»Eine, die niemand unterschätzen sollte«,
bestätigte Gorian finster und dachte an den bedauernswerten Fentos
Roon.
Torbas nahm einen der Obsidian-Speere vom Boden auf
und warf ihn in die Tiefe. Aber anstatt dass man wenig später einen
Aufprall hörte, tauchte der Speer wieder empor und raste auf Torbas
zu. Die Klinge seines Schwertes prallte Funken sprühend gegen die
Obsidian-Spitze, und der Speer glitt zur Seite.
»Teuflische Waffen haben diese Fledermenschen«,
knurrte Torbas.
»Es ist ihre Magie, vor der wir uns in Acht nehmen
müssen.«
»Ja, und jetzt haben wir nicht mal mehr Fentos
Roons
Flöte, um uns diese Biester vom Leib zu halten«, murrte Torbas,
der noch einmal einen Blick in das schwarze Nichts warf, das sich
unter ihnen auftat. »Armer Kerl. So ein Schicksal wünsche ich nicht
mal meinem ärgsten Feind.«
»Wir müssen dort hinunter«, entschied Gorian.
Torbas seufzte. »Ich habe dir zugesagt, dass du auf
mich zählen kannst. Und das war nicht einfach nur so dahingesagt.
Ich folge dir auch in dieses Rattenloch, in der Hoffnung, dass ich
nicht ebenso ende wie Fentos Roon.«
»Danke.«
»Davon abgesehen haben wir wohl allenfalls zusammen
eine Aussicht, lebend nach Felsenburg zurückzukehren, wenn ich die
Situation hier richtig beurteile.«
»Dann lass uns keine Zeit verlieren«, forderte
Gorian. Er stieß das Schwert zurück in seine Rückenscheide, nahm
die Seilschlange von der Schulter und ließ sie in die Tiefe
gleiten, wozu ein einziger gezischelter Befehl ausreichte.
Wenig später ließen sich Gorian und Torbas in die
Tiefe hinab. Es herrschte eine feuchte Kühle, die alles zu
durchdringen schien, und Gorian fühlte sich an eine modrige
Totengruft erinnert.
Während die Seilschlangen die beiden Ordensschüler
in den scheinbar bodenlosen dunklen Schlund trugen, ließ Gorian den
Schein seines Handlichts kreisen, um sich umzuschauen. Überall
krochen Sechsfußratten über die Wände. Ihre Augen schienen sehr
empfindlich, was nicht verwunderlich war, da sie sich in der
Dunkelheit der Erdspalte orientieren mussten. Wenn der Schein der
Handlichter sie erwischte, ließen sie sich zumeist einfach in die
Finsternis fallen. Ein Sturz aus dieser Höhe schien ihnen
tatsächlich nichts auszumachen.
Die Schlucht wurde mit zunehmender Tiefe schmaler.
Spinnengetier von der Größe einer menschlichen Hand wob Gespinste,
die im Lichtschein seltsam schimmerten, und hin und wieder sah
Gorian auch eine Sechsfußratte, die sich darin verfangen hatte und
sich nicht mehr befreien konnte.
»Mich wundert, dass hier unten keine Fledermenschen
mehr zu finden sind«, äußerte Torbas, nachdem sie eine Weile
geschwiegen und sich umgesehen hatten.
»Sie haben sich anscheinend alle davongemacht«,
meinte Gorian, wohl wissend, dass dies nicht die Antwort war, die
sich Torbas erhofft hatte. Aber den Grund, warum keines dieser
Wesen mehr in dieser Erdspalte anzutreffen war, kannte auch er
nicht.
Endlich erreichten sie den Grund, doch zunächst
leuchteten Gorian und Torbas den Boden so gut wie möglich ab, bevor
sie mit den Füßen aufsetzten.
»Und wohin jetzt?«, fragte Torbas.
»Folge mir einfach.«
»Du bist dir immer noch sicher, dass wir hier am
richtigen Ort sind?«
»Ar-Don befindet sich ganz in der Nähe.« Gorian gab
seiner Seilschlange einen wispernden Befehl, und sie wickelte sich
wieder wie eine Schärpe um seinen Oberkörper. Dann ging er ein paar
Schritte voran, während er mit seinem Handlicht auf den Boden vor
sich leuchtete.
Torbas nahm Schattenstich in die rechte Hand und
folgte ihm.
Wenig später fiel der Schein von Gorians Handlicht
auf eine Ansammlung von Knochen. Dazwischen lagen ein paar
Silbermünzen, ein Dolch mit gekrümmter Klinge und eine metallene
Gürtelschnalle.
Die sterblichen Überreste von Fentos Roon. Die
Sechsfußratten hatten selbst die Kleidung und das Leder seines
Gürtels vertilgt.
»Beim Verborgenen Gott!«, stieß Torbas hervor.
»Wenn es einen Ort der Verdammnis gibt, dann muss er aussehen wie
dieser hier!«
»Möge Fentos Roons Seele trotzdem Frieden
finden.«
»Centros Bal wird über diesen Verlust alles andere
als erbaut sein«, murmelte Torbas. »Wir können nur hoffen, dass er
immer noch bereit ist, uns zu den Inseln der Caladran zu
fliegen.«
»Das wird er.«
»Optimist. Und denk auch mal an Thondaril, was wir
von dem zu hören kriegen.« Torbas stocherte mit der Spitze
Schattenstichs in den Knochen herum, dann bückte er sich und hob
die Knochenflöte auf, mit der Fentos Roon die Fledermenschen
vertrieben hatte. »Das hier sichert uns vielleicht den
Rückweg.«
In diesem Moment begannen sich die Knochen zu
bewegen. Sie zitterten, und Gorian und Torbas spürten das Zittern
auch unter ihren Füßen. Ein dumpfer Laut erklang, der so tief war,
dass Gorian das Gefühl hatte, jemand drückte ihm heftig in den
Magen, und er fühlte sich an die Rufe der gewaltigen Leviathane
erinnert, in deren Körpern Morygor einen Großteil seiner
Kriegshorden über das Eis transportieren ließ. Und doch war dieses
Geräusch etwas völlig anderes.
Es war die schlummernde Kraft in der Tiefe, wurde
ihm fröstelnd klar. Jene Magie, die in der ganzen Umgebung so
allgegenwärtig war wie das Meeresrauschen an der Küste.
War diese Kraft die Ursache dafür, dass keine
Fledermenschen in dieser Schlucht zu finden waren?
Gorian und Torbas standen einige Augenblicke wie
erstarrt, dann endete das Zittern, und der Ton aus der Tiefe des
Erdinneren brach ab.
»Das hört sich ganz so an, als sollten wir es den
Fledermenschen gleichtun und so schnell wie möglich von hier
verschwinden!«, meinte Torbas.
Wie zur Bestätigung seiner Worte bildete sich auf
dem steinigen Boden plötzlich eine glühende Linie, die den
ansonsten vollkommen lichtlosen Bereich am Grund der Schlucht mit
rötlichem Schimmer füllte. Es sah aus, als würde das Gestein
schmelzen. Allerdings war es offenbar ein kaltes Feuer, das dort in
der Tiefe brannte und sich den Weg nach oben zu bahnen
versuchte.
Gorian und Torbas sprangen erschrocken zur Seite,
als sich der Riss wie eine rote Feuerschlange durch das Gestein zog
und sich dann immer mehr verzweigte und zu einem Geflecht wurde,
das an pulsierende Blutgefäße erinnerte. Erneut erklang das dumpfe,
tiefe Geräusch, lauter diesmal, und zum ersten Mal war die magische
Macht, die in diesen Bergen alles zu durchdringen schien, mehr als
nur ein Rauschen im Hintergrund.
Gorian überkamen Bilder, Eindrücke, Empfindungen,
die vollkommen fremdartig waren und seine magischen Sinne
regelrecht überfluteten. Einen Kampfschrei ausstoßend versuchte er
sich dagegen abzuschirmen. Er taumelte, stützte sich an der kalten
Felswand ab. Die aderförmigen Verzweigungen hatten inzwischen auch
diese erreicht, rankten daran empor wie Efeu, und überall krabbelte
lichtscheues Getier aus Spalten und kleinen Höhlen, Sechsfußratten
und gut handgroße Asseln. Quiekend und pfeifend und völlig außer
sich wuselten sie durcheinander, stießen einander an, verbissen
sich in kurzen, heftigen Kämpfen ineinander und
huschten dann davon, wobei die meisten der Sechsfußratten
senkrecht die Wände emporschnellten, was für ihre Art keinerlei
Schwierigkeit darstellte.
Auch die handgroßen Asseln versuchten, dem Geflecht
aus pulsierendem Rot zu entgehen, das sie offensichtlich aus ihren
schmalen Höhlengängen vertrieben hatte, denn hier und dort
schimmerte es rötlich aus den Löchern in den Felswänden hervor,
während das Brummen der tiefen Töne aus dem Erdinneren immer
durchdringender wurde.
Gleichzeitig empfand Gorian eine Art geistigen
Druck, und unwillkürlich berührte er mit Daumen und Zeigefinger der
linken Hand seine Schläfe. Torbas schien es ähnlich zu
ergehen.
»Das sind die Feuerdämonen!«, rief Gorian.
»Du denkst, die alten Geschichten dieses Landes
sind wahr?«
»Es scheint so!«
»Dann haben sich die Fledermenschen ihretwegen aus
dem Staub gemacht und nicht etwa, weil sie den Angriff von Morygors
Horden vorausahnten und sich davor in Sicherheit bringen
wollten.«
»Beides hat irgendwie miteinander zu tun!«, war
Gorian überzeugt.
»Wie kommst du darauf?«
»Ich kann es nicht sagen. Ich spüre es nur
einfach.«
»Ich weiß ja, dass du auch die Ausbildung im Haus
der Seher begonnen hast«, entgegnete Torbas, »dennoch erstaunt es
mich, dass du in der kurzen Zeit schon so viel gelernt haben
willst.« Selbst in dieser mehr als bedrohlichen Situation schwang
deutlicher Spott in Torbas’ Worten mit. »Aber bei so einem
Wunderkind wie dir kann man natürlich nie wissen.«
Die gesamte sich wie ein Schlauch durch den Fels
ziehende Schlucht wurde vom Schimmern des pulsierenden roten
Glutgeflechts erhellt. Das tiefe Brummen, das alles erzittern ließ,
wandelte sich in ein Stampfen, dessen Rhythmus an einen Herzschlag
erinnerte.
Ganz schwach erreichte Gorian ein Gedanke von
Ar-Don.
»Hilf …«
Und dann sah Gorian den Gargoyle. Er hing in
Augenhöhe an der Felswand, gehalten von einer Seilschlange, eines
jener wilden Exemplare, von denen Fentos Roon erzählt hatte.
Sie hielt sich mit ihren Enden am Fels fest und
berührte dabei zwei Knotenpunkte des rot schimmernden
Adergeflechts, das den Stein durchzog. Der Gargoyle war derart
eingeschnürt, dass er sich nicht bewegen konnte. Unter ihm auf dem
Boden hatte sich grauer Staub aufgehäuft, Körpersubstanz, die
Ar-Don bei seinen erfolglosen Befreiungsversuchen verloren
hatte.
»Hilf mir …«
»Ich bin da, Ar-Don. Was soll ich tun?«,
fragte Gorian mit einem Gedanken jene Kreatur, die einst versucht
hatte, ihn zu töten, bevor sie ihm schließlich das Leben gerettet
hatte. Die Kreatur, mit der er auf eine eigenartige, paradoxe und
offenbar sehr schicksalhafte Weise verbunden war, und das so sehr,
dass er nicht gezögert hatte, sie an diesem Höllengrund zu suchen.
»Ar-Don, was soll ich tun?«, wiederholte er seine Frage laut.
Ar-Don hob den Kopf leicht an. Seine Augen glühten
in dem gleichen Rot wie das Adergeflecht, das den Fels
durchzog.
Wieso veränderte der Gargoyle nicht einfach seine
Form, um dem erdrückenden Griff der Seilschlange zu entkommen?
Gorian zog Rächer aus der Gürtelscheide. Magie, dachte er. Die
Antwort auf die Frage konnte nur ein magischer Bann oder etwas
Vergleichbares sein.
Ein Schwall sehr schwacher und völlig ungeordneter
Gedanken erreichte ihn wieder. Er konnte nicht darauf hoffen, dass
ihm Ar-Don irgendetwas erklärte, dafür war der Gargoyle zu sehr
geschwächt, ob nun durch die Seilschlange oder durch die Magie, die
ihm die Fähigkeit zur Gestaltwandlung nahm. Vielleicht, überlegte
Gorian, lag es auch an den Feuerdämonen, die unaufhaltsam an die
Oberfläche drängten.
Kurz entschlossen stieß Gorian einen Kraftschrei
aus und wollte den Körper der Seilschlange mit dem Dolch in zwei
Hälften trennen. Doch kaum berührte Rächer das Tier, wurde Gorian
von einer ungeheuren Kraft zurückgeschleudert, sodass er mit dem
Rücken gegen die gegenüberliegende Steinwand schlug. Plötzlich
griffen rot glühende Lichtadern aus dem Gestein hinter ihm und
umfassten ihn, umfingen wie zuckende Blitze seinen Körper.
Der Dolch aus Sternenmetall hatte sich seiner Hand
entwunden und bohrte sich in den Steinkörper des Gargoyles, drang
zischend und quälend langsam in ihn ein, während Ar-Don ein lautes
Fauchen ausstieß, das schließlich in ein jämmerliches,
schmerzerfülltes Stöhnen überging.
Torbas hieb mit Schattenstich auf die Seilschlange
ein, trennte mit blitzschnellen Schlägen ihre beiden Enden ab, mit
denen sie an der Felswand haftete, und der Gargoyle fiel mitsamt
der ihn nach wie vor umfassenden Seilschlange genau in den Haufen
aus grauem Staub. Ein greller Lichtflor umgab ihn auf einmal und
blendete Torbas, dann zerfiel Ar-Don in mehrere Einzelteile.
Die an ihren beiden Enden verstümmelte Seilschlange
jedoch sprang empor, geradewegs auf Torbas zu. Zwei Hiebe mit dem
Schwert zerteilten sie, aber die einzelnen Stücke, offenbar von der
Magie der Feuerdämonen erfüllt, umwickelten ihn und rangen ihn
nieder.
Gorian hatte in der Zwischenzeit einen Kraftzauber
angewandt, in den er alles an Magie gelegt hatte, was er
aufzubringen vermochte, und sich damit aus der Umfesselung der
Feuerdämonen befreit. Deren Macht ließ ihn schaudern, dabei spürte
er, dass sie nur ein kleiner Bruchteil dessen war, was in der Tiefe
noch schlummerte.
Er riss sein Schwert aus der Rückenscheide, stieß
einen Kraftschrei aus und lenkte den Rest seiner magischen Energie
in die Klinge, die daraufhin bläulich aufleuchtete.
Torbas lag hilflos am Boden. Die einzelnen Teile
der Seilschlange hatten ihn umfasst, und der Feuerdämon, der sie
erfüllte, entzog ihm sämtliche Kräfte. Schattenstich war ihm aus
der Hand entglitten, während er wie eine zuckende Marionette
wirkte, an deren Fäden ein Kind zupfte.
Gorian führte einen derart exakten Schwerthieb aus,
wie es nur einem ausgebildeten Schwertmeister möglich war. Die
Spitze von Sternenklinge ritzte durch eines der Teilstücke des
Seilschlangenleibes, und die in ihm gefangene Magie entlud sich.
Das Seilschlangenstück wurde schwarz und zerbröselte innerhalb
weniger Herzschläge zu ascheartigem Staub.
Weitere Hiebe, mit ebensolcher Präzision geführt,
trafen auch die anderen Stücke der zerteilten Seilschlange, ohne
dass Torbas auch nur einen Kratzer abbekam, und auch sie
zerfielen.
Torbas blieb zunächst zitternd am Boden liegen,
murmelte eine Stärkungsformel, dann erhob er sich, schüttelte dabei
die Asche von sich und griff wieder nach Schattenstich.
»Du bist besser im Umgang mit dem Schwert, als
manche Übungskämpfe zwischen uns zwischenzeitlich vermuten ließen«,
keuchte er, und ein schwaches Lächeln spielte kurz um seine Lippen,
während er Gorian einen dankbaren Blick zuwarf. In dem roten Licht,
das die Schlucht ausfüllte, war deutlich zu sehen, dass seine Augen
vollkommen schwarz geworden waren. Er versuchte, alle Kräfte in
sich zu sammeln, die er noch irgendwoher aus den Untiefen seines
Geistes mobilisieren konnte. Er würde sie brauchen, so viel schien
sicher.
»Alles in Ordnung?«, fragte Gorian knapp.
»Es geht schon. So schlimm wie du nach deinem Kampf
am Speerstein von Orxanor bin ich jedenfalls nicht dran.« Torbas
atmete tief durch. »Aber es war verflucht knapp.«
»Ja, das war es.«
Torbas deutete auf den Haufen Staub, in dem die
Bruchstücke des Gargoyles halb eingesunken waren. »Ich schlage vor,
du kümmerst dich um deinen Freund.«
Gorian streckte die linke Hand aus, und aus dem
Aschehaufen schnellte Rächer hervor und auf ihn zu. Im nächsten
Moment schlossen sich seine Finger um den Griff des Dolchs.
Ein Gedanke erreichte ihn.
»Ar-Don ist frei! Und mit ihm die Mächte des
Chaos!«
Dann hallte ein schauderhaftes Gelächter in Gorians
Kopf wider, während sich das abgebrochene Steinmaul des Gargoyles
öffnete und ein Fauchen ausstieß.