29. Kapitel
Als sie den Franklin Delano Roosevelt Drive verließen, fing es an zu regnen. Ein leichter Dunstschleier legte sich über den Boden. Der Hummer rumpelte durch die ruhigen Straßen, und seine Passagiere waren ebenfalls schweigsam. De Mona saß neben Jackson auf der zweiten Bank und dachte über die Geschehnisse dieser Nacht nach. Seit der Dreizack in ihr Leben getreten war, starben Menschen: ihr Vater, Akbar, Angelo und möglicherweise auch Gabriel. Sie fühlte sich mies, weil sie ihm dieses Ding gebracht hatte, statt es einfach nur im tiefsten Loch zu vergraben, das sie schaufeln konnte. Das hätte zwar ihren Vater nicht zurückgebracht, aber möglicherweise das Leben all der anderen Leute gerettet. De Mona schwor, dass sie alles tun würde, um ihnen zu helfen, diesen Dreizack zu finden und dann dafür zu sorgen, dass er zerstört würde.
Redfeather saß alleine in der letzten Bank und betrachtete Finnious und den Leichnam von Bruder Angelo. Der Hohe Bruder ähnelte mehr einer mumifizierten Leiche als dem intelligenten und machtvollen Menschen, mit dem Redfeather noch vor wenigen Stunden gesprochen hatte. Nachdem die Essenz aus ihm gewichen war, hatte sich Angelos Körper dem natürlichen Alterungsprozess beugen müssen. Das junge Gespenst wirkte erschüttert und warf dem Leichnam ab und zu einen traurigen Blick zu. Finnious war es gelungen, seinen Körper so solide zu halten, dass er nicht aus dem Hummer fiel, aber er wirkte immer noch beinahe transparent. Und in der Mitte seiner geisterhaften Gestalt brannte ein winziger Funke.
Die anderen waren immer noch verwirrt von dem, was zwischen dem Hohen Bruder und dem Geist vorgefallen war, aber nur Redfeather hatte eine Ahnung, worum es bei diesem Austausch gegangen war. Dass jetzt das Gespenst im Besitz der Essenz des Ordens war, bedeutete nichts Gutes für ihre gegenwärtige Situation oder den Orden des Allerheiligsten.
»Ich hasse Regen«, erklärte De Mona und starrte in Gedanken versunken aus dem Fenster.
Jackson zuckte mit den Schultern. »Es könnte schlimmer sein; wir könnten zum Beispiel alle tot sein.«
»Das stimmt.« Sie lächelte. »Dabei fällt mir ein, dass wir bisher noch nicht dazu gekommen sind, euch dafür zu danken, dass ihr uns gerettet habt. Woher wusstet ihr überhaupt, was da los war?«
»Weil wir euch gefolgt sind«, sagte Morgan, der hinter dem Steuer saß. Er warf einen Blick in den Rückspiegel und bemerkte den Argwohn in De Monas Augen. »Wir haben den Aufstand der Schleimschädel in dieser Stadt seit etwa einer Woche beobachtet, um herauszufinden, was sie vorhatten. Diejenigen, die ihr in der Nähe des College abgeschlachtet habt, haben uns zu euch geführt.«
»Zuerst wussten wir nicht, auf welcher Seite ihr steht, deshalb haben wir bis zu diesem Angriff auf das Mietshaus nicht eingegriffen«, fügte Jackson hinzu. »Was hatten diese Kreaturen mit euch vor?« De Mona sah ihn nicht an. Jackson beugte sich vor, damit sie sehen konnte, dass er es ernst meinte. »Spiel jetzt nicht die Schüchterne, Schwester; man hat uns da drin beinahe den Hintern aufgerissen, also ist es wohl nur fair, wenn du uns den Grund dafür verrätst.«
»Sie haben nach meinem Enkel und dem widerlichen Ding gesucht, das versucht, seine Seele zu beherrschen, der Nimrod«, erklärte Redfeather gereizt.
Morgan sah ihn aufmerksam im Rückspiegel an. »Ich dachte immer, das wäre nur ein Mythos«, warf er über die Schulter zurück.
»Mythen bringen normalerweise keine Leute um«, erwiderte De Mona.
Jackson spielte mit einem seiner Messer. »Das kommt ganz darauf an, wen man fragt.«
»Nein, mein Freund, das hier ist real. Es ist real und schwirrt jetzt irgendwo in New York City herum«, erklärte Redfeather.
»Hast du das verstanden, Jonas?«, sagte Morgan in sein Headset.
»Ja, und ich suche auch bereits in der Datenbank danach«, kam die von statischem Rauschen untermalte Antwort.
»Wer zum Teufel ist Jonas?«, wollte De Mona wissen.
»Ein Freund.« Jackson machte sich nicht die Mühe, sich weiter zu erklären. Sie wussten immer noch nicht, wie weit sie der Dämonin und ihrem sterblichen Begleiter trauen konnten.
»Wo wir gerade dabei sind, Informationen auszutauschen: Wie lauten eure Geschichten?« Sie sah von Morgan zu Jackson.
»Ich war ein Opfer des Ghettos«, scherzte Jackson.
Morgan antwortete ernster. »Wie ihr wurden wir auf die eine oder andere Weise von den Armeen der Hölle berührt. Jackson«, er deutete mit einem Nicken auf seinen Gefährten, »wurde übel zugerichtet und dem Tod überlassen. Aber diese kleinen, miesen Mistkerle, die dafür verantwortlich waren, weilen nicht länger unter uns.«
De Mona beugte sich vor und legte die Arme auf die Rückenlehne der Vordersitze. Morgans Augen zuckten nervös, also beugte sie sich noch weiter vor. »Und du? Was ist deine Geschichte?«
»Ich habe keine«, antwortete er und versuchte, sich auf die Straße zu konzentrieren. Er umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß wurden.
»Blödsinn.« De Mona witterte seinen salzigen Geruch. »Selbst wenn du nicht diesen schicken Hammer hättest, würde ich einen von meiner Art erkennen.«
»Ich bin keiner von deiner Art, Mädchen. Von meiner Art gibt es niemanden mehr; dafür hat der Krieg gesorgt.« Seine Stimme klang belegt.
»Morgans Leute waren Nachfahren der Elementarwesen«, antwortete Jackson für seinen Freund. »Als die Neun Lords beschlossen, sich zu erheben, wandten sie sich hilfesuchend an die Elementarwesen. Einige schlossen sich ihnen an; diejenigen, die sich weigerten, wurden gejagt und vernichtet.«
»Cassie war die Letzte von uns«, spann Morgan den Faden der Geschichte weiter. »Meine süße kleine Cassie, die in ihrem ganzen Leben keiner Seele was zuleide getan hat. Sie wurde wie Vieh niedergemetzelt, unmittelbar vor ihrer Mutter. Ich lag hilflos da, während meine Familie für das Blut in meinen Adern und dieses Ding, das ich in Besitz hatte, bestraft wurde.« Er hob den Hammer hoch und wog ihn in der Hand. »Er war im Besitz meiner Familie, seit er erschaffen wurde, ein Geschenk für unsere Dienste und Treue. Die Armee der Finsternis suchte danach, und ich habe ihnen den Hammer gegeben, immer und immer wieder.« Er erinnerte sich an das blutige Gemetzel, das er im Namen seiner Familie angerichtet hatte.
»Tut mir leid«, sagte De Mona, die sich schämte, ihn gefragt zu haben.
»Das ist nicht deine Schuld, Kind. Während des Mordes an meiner Familie waren keine Valkrin anwesend, und die Kreaturen, die dafür verantwortlich waren … ich möchte ihnen nicht einmal die Ehre antun, ihre verfluchten Namen laut auszusprechen. Ich hatte gedacht, diese Kreaturen zu töten würde mir helfen, die Leere zu füllen, die meine Frau und mein Kind hinterlassen haben, aber das hat es nicht. Es hat mich einfach nur noch wütender gemacht. Deshalb mache ich weiter und schicke alle, denen ich begegne, zurück in die Grube.«
»Dann haben Ihre Vorfahren während der Belagerung ebenfalls gekämpft?«, erkundigte sich Redfeather.
»Vielleicht, oder vielleicht hat auch einer meiner betrunkenen Urahnen den Hammer gestohlen. Die Geschichte meines Volkes hat sich im Laufe der Zeit so verzerrt, dass sie kaum jemand genau wiedergeben kann. Ich weiß nur, dass es immer die Aufgabe des ältesten Sohnes war, den Hammer zu behüten.«
Redfeather strich sich nachdenklich über den Bart, als sich langsam eine Theorie in seinem Kopf herauskristallisierte. »Dass der Nimrod und der Hammer mitten während eines Dämonenaufstands in derselben Stadt auftauchen, ist ein zu günstiges Zusammentreffen, als dass es einfach nur ein Zufall sein könnte.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Alterchen?«, fragte Jackson.
»Eine Zusammenkunft«, erwiderte Redfeather. Dann zog er ein Blatt Papier aus der Tasche und entfaltete es. Er hatte es vor seinem ersten Besuch im Allerheiligsten eingesteckt. »Hier steht, dass vor der ersten Belagerung eine Zusammenkunft einberufen wurde. Die Kardinäle wurden in alle Provinzen der Welt entsandt, um all jene um sich zu scharen, die reinen Herzens waren. Sie wurden anschließend die Ritter.«
»Mann, diesen Blödsinn kaufe ich Ihnen nicht ab. Ich habe nie irgendjemand anderen gerettet als mich selbst, und mein Herz ist alles andere als rein«, sagte Jackson.
»Verbessern Sie mich, wenn ich mich irre, aber haben die Ritter nicht gegen die Dämonen gekämpft und nicht mit ihnen?«, warf De Mona ein.
»Das stimmt nicht.« Redfeather überflog das Papier, bevor er das Blatt umdrehte und auf der anderen Seite weiterlas. »Die Ghelgath kamen, die Werwesen und sogar einige der Elementarwesen.«
»Wir sind keine Dämonen«, erklärte Morgan trotzig.
»Aber Sie sind auch nicht menschlich, mein Freund. Dass diese Waffen so lange Zeit voneinander getrennt gewesen sind, um jetzt als Folge eines Dämonenaufstandes zusammenzukommen … das passt einfach zu perfekt, als dass wir es ignorieren könnten.«
»Gut, sagen wir mal, wir sind diese mythischen Krieger der Vergangenheit, wo ist denn dann dieser große General, der unsere Macht vereinen wird?«, fragte De Mona. »Ich meine das nicht respektlos, aber Gabriel kommt mir nicht gerade wie ein Held vor.«
»Selbst in den unscheinbarsten Typen verbirgt sich oft ein kleiner Held.« Morgan klopfte Jackson auf die Schulter.
»Das Allerheiligste«, flüsterte Fin auf der Rückbank. Er kniete immer noch neben Bruder Angelo, schien jedoch allmählich an Substanz zu gewinnen. Direkt vor ihnen lag das Allerheiligste.
Das Gebäude sah noch genauso aus wie zu dem Zeitpunkt, als sie es verlassen hatten, aber es schien seinen Glanz zu verlieren. Es regnete jetzt stärker, und die Eingangsstufen verschwanden fast im Dunst. Vor dem Gebäude standen Angehörige der Inquisition. Die Brüder trugen Rüstungen und automatische Waffen. Lydia stand in der Tür und flüsterte einem Mann etwas ins Ohr, der eine Priesterrobe trug. Er sah kaum älter aus als Gabriel, und seine Miene wirkte besorgt.
»Ich nehme den Leichnam«, bot Morgan an, nachdem er angehalten hatte.
»Nein, die Brüder kümmern sich um ihn. Das ist ihr Recht«, widersprach Fin und glitt aus dem Fahrzeug. Er hatte kaum seine Füße auf den Bürgersteig gesetzt, als Lydia auch schon neben ihm stand.
»Oh, Fin, was hast du dir dabei gedacht, einfach wegzulaufen?« Sie strich mit den Händen über seinen Körper und sein Gesicht, um herauszufinden, ob er verletzt worden war. Dann wurde ihr Gesicht schlaff, und sie schob ihn auf Armeslänge von sich. Obwohl sie sein Strahlen nicht sehen konnte, spürte sie die Macht, die seine Arme hinaufkroch. »Was ist mit dir passiert?«
Fin lächelte sie schwächlich an. »Er hat mich gebeten, darauf aufzupassen, Lydia. Ich wollte es nicht, aber ich musste es ihm versprechen.« Dann brach er in ihren Armen zusammen.
»Fin?« Sie schüttelte ihn, aber er reagierte nicht. »Was ist mit ihm passiert?«
»Ich fürchte, es ist der Funke.« Redfeather trat zu ihr. »Kurz bevor er starb, hat Bruder Angelo Finnious etwas übergeben, und wenn ich mich nicht irre, trägt er jetzt die Essenz dieses großen Hauses in sich.«
»Wollen Sie damit sagen, dass der Hohe Bruder den Funken einem Geist anvertraut hat? Diese seelenlose Kreatur kann ihn nicht einmal tragen«, mischte sich der Mann in der Priesterrobe ein, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob Fin ihn hören konnte oder nicht.
Lydias Kopf bewegte sich nach rechts und links, als sie versuchte, ihre Ersatzfamilie wahrzunehmen. »Wo sind Angelo und Akbar?«
»Wir haben sie in der Schlacht verloren«, antwortete Morgan.
»Wer sind Sie? Was ist mit unseren Leuten geschehen?«, fragte der braunhaarige Mann in der Priesterrobe.
»Es ist wie dieser Mann hier gesagt hat.« Jackson trat zu ihnen. »Wir haben sie bei dem Kampf verloren.« Es gefiel ihm nicht, wie der Priester sie behandelte, und er machte auch keinen Hehl daraus. »Wir können das alles erklären, sobald wir die Straße verlassen haben. Da draußen laufen immer noch einige Kreaturen herum, die scharf darauf sind, das zu Ende zu führen, was sie angefangen haben, also hören Sie auf, Mist zu reden, und lassen Sie uns rein.«
Wut flammte im Blick des Priesters auf. Er zog ein kurzes Schwert aus dem Gürtel und baute sich vor Jackson auf. »Wie können Sie es wagen, so mit einem Bruder des Ordens zu reden? Dafür könnte ich Sie bestrafen lassen!«
»Wenn Sie das Messer nicht sofort wegstecken, werden Sie gar nichts tun, außer bluten.« De Mona stellte sich neben Jackson. Ihre Klauen waren noch nicht ausgefahren, aber sie war jederzeit bereit. Sie wechselte einen kurzen Blick mit Jackson. »Wir haben heute Nacht eine Menge durchgemacht, vermutlich mehr, als die meisten Leute in einem ganzen Leben ertragen könnten.« Sie warf einen Blick zum Hummer, wo die Inquisitoren Angelos Leiche ausluden. »Es ist schon genug Blut vergossen worden.«
»Bitte, Bruder David«, sagte Lydia, als einer der Inquisitoren ihr Fins schlaffen Körper abnahm.
Bruder David betrachtete den müden Haufen einen Moment lang, bevor er sie aufforderte, ihm zu folgen. »Wir reden drinnen weiter.« Er stürmte die Stufen hinauf, dicht gefolgt von den anderen. Sie waren alle so mit Bruder Angelos Tod und der Verwandlung von Finnious beschäftigt, dass keiner zu bemerken schien, dass sich der Dunst zu Nebel verdichtet hatte.