Der auffallend schwarze Himmel

Andere Wissenschaftler jener Zeit machten ein noch gravierenderes Problem aus, das sich aus einem unendlich großen, gleichmäßig strukturierten Universum ergab: Wo sind all die Sterne geblieben? Halten wir in einer dunklen Nacht – ohne die von den Straßen der Großstadt herrührende Lichtverschmutzung – nach ihnen Ausschau, bietet sich uns in erster Linie ein Bild der Finsternis. Ein Himmelsgewölbe aus schwarzem Samt, das über uns aufgespannt und von Tausenden funkelnden Lichtpunkten durchsetzt ist. Der größte Teil des Nachthimmels ist schwarz. Hätte das Universum keine Grenzen und die Sterne wären gleichmäßig verteilt, müssten wir jedoch immer einen Stern sehen – egal in welche Richtung wir schauten. Der Nachthimmel wäre nicht vornehmlich schwarz, sondern ein einheitlich leuchtendes Sternenmeer, da das Licht dieser unzähligen Sterne frontal auf unsere Erde fällt.

Es ist schwer zu sagen, wer dieses Problem zuerst erkannte, bedurfte es im Gegensatz zu Bentleys Paradoxon doch nicht Newtons Gravitationsgesetzen, um es als solches auszumachen. Allem Anschein nach fand es sowohl bei Kepler als auch bei Halley erstmals Erwähnung, wird heute jedoch als «Olbers’sches Paradoxon» bezeichnet – nach einer Beobachtung des im 19. Jahrhundert lebenden deutschen Astronomen Heinrich Wilhelm Olbers, die von seinem Kollegen Johann Bode veröffentlicht wurde. Der 1758 in Arbergen bei Bremen geborene Olbers war eigentlich Doktor der Medizin, blieb jedoch als Astronom – die Astronomie war seine große Passion – in Erinnerung.

Wie eine ganze Reihe anderer astronomischer Paradoxa (wie etwa die Frage, warum Sterne funkeln oder warum der Mond wesentlich größer erscheint, als er tatsächlich ist, vor allem wenn er sich in Horizontnähe befindet) war auch das Olbers’sche dazu angetan, weiter Verwirrung zu stiften, obwohl das Problem offiziell längst als gelöst galt. Noch im Jahr 1987 ergab eine Untersuchung, dass 70 Prozent aller Lehrbücher eine falsche Erklärung für das Phänomen eines überwiegend schwarzen Nachthimmels lieferten. Was nicht weiter überrascht, ist es doch ein Leichtes, eine Vielzahl plausibler Erklärungen für diesen Effekt zu finden.

Olbers selbst führte Staub in großen Mengen als Erklärung an. Er argumentierte, das Weltall sei voller Staub, und dieser Staub reduziere die Lichtintensität mit zunehmendem Abstand zur Erde in dramatischer Weise, weshalb der überwiegende Teil des Sternenlichts (und somit die von all diesen Sternen freigesetzte Wärme) die Erde nie erreiche. Keine schlechte Argumentation, wenngleich Skeptiker seitdem immer wieder zu bedenken gaben, dass sich in diesem Fall der Staub selbst erhitzen und schließlich ohne fremdes Zutun Leuchtkraft entwickeln würde.

Andere führten ins Feld, dass es sich um eine Rotverschiebung handelt, einen Effekt, mit dem wir uns im weiteren Verlauf dieses Buches noch eingehender beschäftigen werden. Die Rotverschiebung ähnelt dem sogenannten «Dopplereffekt», der eine Tonhöhenänderung eines Signaltons bewirkt, wenn sich dessen Quelle bewegt (bestes Beispiel hierfür ist das Martinshorn eines Polizeiwagens). Je weiter sich ein Beobachter in einem – wie wir heute zu wissen glauben – expandierenden Universum von uns entfernt, desto schneller bewegen sich die Sterne im Verhältnis zu uns. Entfernt sich eine Lichtquelle von uns, ist sie rotverschoben: Das Licht bewegt sich in den unteren Bereichen des elektromagnetischen Spektrums, ist also energieärmer. Mit der Art der Bewegung, wie wir sie in fernen Galaxien beobachten, verschiebt sich ein Großteil des Lichts aus dem sichtbaren Spektrum, und aus diesem Grund sind diese weit entfernten Lichtquellen nicht imstande, die Dunkelheit zu durchbrechen.

Dieser Rotverschiebungseffekt existiert zweifellos, ist jedoch nicht der Hauptgrund dafür, dass wir kein Olbers’sches Paradoxon erhalten. Heute wissen wir, dass die Lichtgeschwindigkeit endlich ist, und können – vorausgesetzt, das Universum hat ein bestimmtes Alter – nur das Licht sehen, das nicht länger unterwegs als das Universum alt ist. Also selbst in einem unendlich großen Universum gelangen wir – sofern die Entstehung des Universums auf einen bestimmten Zeitpunkt datiert werden kann – irgendwann an einen Punkt, an dem wir nichts sehen, wenn wir ins Weltall schauen, da das Licht bis dato nicht in der Lage war, bis hierher vorzudringen. Diese heute weithin anerkannte Lösung wurde zuerst von dem Schriftsteller Edgar Allan Poe in seinem Werk «Heureka und die Gedichte in Prosa» ins Feld geführt, einer Abhandlung über «das materielle und spirituelle Universum», die auf einem Vortrag über Kosmographie basiert, den er 1848 in New York hielt.

Paradoxerweise bediente sich Poe nicht dieser Erklärung, um das Olbers’sche Paradoxon zu widerlegen, sondern um zu verstehen zu geben, dass das Universum nicht unendlich groß ist. Existierten die Sterne für immer und ewig, behauptet Poe, hätten wir eine gleichmäßige Lichtintensität. Da dies nicht der Fall ist, könne dies seiner Meinung nach nur so zu erklären sein, dass der Großteil des Lichts aufgrund der gigantischen Dimensionen des Universums uns noch nicht zu erreichen imstande war. «Dies mag durchaus so sein», meint Poe. «Wer wollte das ernsthaft bestreiten? Ich behaupte lediglich, dass wir nicht den geringsten Grund für die Annahme haben, dass dies so ist.»

Auch wenn viele Leute im Laufe der Jahre mutmaßten, das Universum sei unendlich groß, galt seine Ausdehnung lange Zeit dennoch als begrenzt. Es ist nicht weiter überraschend, dass dies Verwirrung stiftete, schließlich sind wir nicht in der Lage, einfach ein Maßband zur Hand zu nehmen und draußen im Weltall exakte Messungen anzustellen. Wir müssen Mittel und Wege finden, um die Größe des Universums zu ermitteln, ohne zwangsläufig Ausflüge ins All unternehmen zu müssen.

Vor dem Urknall
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