Das Goldlöckchen-Universum
Diejenigen, die bis heute einer göttlichen Schöpfung das Wort reden, dürften sich aufgrund eines bestimmten Charakteristikums des beobachteten Universums in ihrem Glauben bestärkt fühlen – war doch das Eintreffen einer ganzen Reihe außergewöhnlicher Umstände vonnöten, um unsere Existenz überhaupt zu ermöglichen.
Betrachten wir zunächst die grundlegenden Parameter des Universums. Wenngleich einige der Konstanten, die die Funktionsweise des Universums beschreiben, in beträchtlichem Maße verändert werden könnten, ohne katastrophale Folgen heraufzubeschwören (wie etwa die Lichtgeschwindigkeit), sind andere derart fein aufeinander abgestimmt, dass bereits geringfügigste Modifizierungen ausreichten, um die Existenz von Leben, wie wir es kennen, unmöglich zu machen. So könnte man zum Beispiel die auf Materie wirkenden Kräfte – von der starken Kernkraft bis zur Gravitationskraft – nicht allzu sehr verändern, bis keine stabilen Umweltbedingungen mehr gegeben wären.
Oder wären etwa Neutronen – die Teilchen im Atomkern, die keine elektrische Ladung aufweisen – nicht einmal um ein Prozent leichter, führte dies dazu, dass Protonen – die anderen Bestandteile des Atomkerns – jeweils in ein Neutron und ein Positron zerfielen, was die Bildung von herkömmlichen Atomen unmöglich machte. Es gäbe überhaupt keine Materie. Und kleinste Veränderungen eines als Quantenfluktuation bezeichneten Phänomens (mit dem wir uns später noch eingehend beschäftigen werden) bedeuteten, dass die Bildung von Galaxien ein Ding der Unmöglichkeit geblieben wäre.
Werfen wir nun einen Blick auf die Rahmenbedingungen, die die Erde selbst bietet. Unser Planet befindet sich in einem schmalen Bereich, in dem die Existenz von Leben, wie wir es kennen, möglich ist. Läge die Erde ein bisschen näher an der Sonne, wäre sie zu heiß, um die Entstehung von Leben zuzulassen; und läge sie umgekehrt etwas weiter von der Sonne entfernt, wäre sie für die Entstehung von Lebensformen zu kalt. Selbst auf ihrer heutigen Umlaufbahn wäre Mutter Erde zu kalt für die Existenz menschlichen Lebens, gäbe es da nicht den Treibhauseffekt. Wir sind mit dem Treibhauseffekt bestens vertraut, wird ihm doch in der Regel der Schwarze Peter für die globale Erwärmung zugeschoben; es ist auch zweifellos richtig, dass eine Zunahme von Treibhausgasen negative Auswirkungen hat, aber existierte überhaupt kein Treibhauseffekt, wäre es auf der Erde äußerst ungemütlich.
Der Treibhauseffekt verhindert, dass ein Teil der Energie, die die Erde von der Sonne bezieht, zurück ins All reflektiert wird. In der Atmosphäre enthaltene Gase wie Wasserdampf, Kohlendioxid und Methan erweisen sich für Sonnenlicht als durchlässig, wenn jedoch die daraus resultierende Hitze von der Erde ins All entweichen will, wird sie von diesen Gasen teilweise absorbiert und zurück zur Erde abgestrahlt. Gäbe es keinen Treibhauseffekt, betrüge die Durchschnittstemperatur auf der Erde –18 Grad Celsius und läge somit ungefähr 33 Grad Celsius (oder 60 Grad Fahrenheit) unter dem derzeitigen Mittelwert.
Ebenso dürfte die Erde nicht viel kleiner sein, um über ausreichend Sauerstoff für die Entwicklung von Leben zu verfügen. Hätten wir nicht unseren ungewöhnlich großen Mond, der als riesiges Gyroskop fungiert und uns stabilisiert, wären die klimatischen Bedingungen auf der Erde niemals stabil genug gewesen, um Leben entstehen zu lassen. All dies scheint sich zu einem Dasein zu summieren, das so sorgfältig ausbalanciert ist, dass sich die Frage aufdrängt, wie dies vonstattengegangen sein könnte.
Der Frage auf den Grund zu gehen, warum die Erde diese Feinabstimmung aufweist, die die Existenz von Leben ermöglicht, stellte eine gewisse Herausforderung dar. So wies zum Beispiel Fred Adams von der University of Michigan in Ann Arbor anhand eines ausgesprochen simplen Modells der Sternentstehung nach, dass ungefähr ein Viertel aller möglichen Universen über Energiequellen verfügt, die die Entstehung von Leben zu fördern imstande wären. Was jedoch nicht bedeutet, dass in diesen Universen auch alle anderen Parameter gegeben wären, die Voraussetzung für die Entstehung von Leben sind.
Wir leben in einer derart perfekten Ökosphäre – nicht zu heiß und nicht zu kalt, sondern wohltemperiert –, dass es für viele von uns längst zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, in einem maßgeschneiderten Universum beheimatet zu sein, dessen Umweltbedingungen scheinbar eigens an den Bedürfnissen des Menschen ausgerichtet wurden. Dies stellt zweifellos die Sichtweise christlicher Kreationisten dar, die glauben, die in der Genesis verzeichnete Schöpfungsgeschichte sei die einzig wahre. Den Schöpfungsakt von den genau aufeinander abgestimmten Umweltbedingungen abzuleiten, die die Entwicklung intelligenten Lebens erst ermöglichen, wird als «starkes anthropisches Prinzip» bezeichnet. Dieses besagt, dass die fundamentalen Parameter unserer Existenz in einer Weise gestaltet sind, die nur den Schluss zulässt, dass es hinter den Kulissen unseres Daseins irgendeine übergeordnete Macht geben muss, die die Fäden zieht.
Diese Theorie stößt selbst unter den Wissenschaftlern auf recht wenig Gegenliebe, die mit dem schwachen anthropischen Prinzip konform gehen, das einfach besagt: «Es gibt uns, folglich müssen die fundamentalen Parameter unserer Existenz dergestalt beschaffen sein, dass unser Dasein möglich ist, wären wir doch andernfalls nicht hier und somit in der Lage, diese zu beobachten.» Darin liegt eine unbestreitbare Logik, auch wenn das schwache anthropische Prinzip in Wirklichkeit einen Zirkelschluss darstellt. Realistisch gesehen ist es als wissenschaftliche Theorie unbrauchbar, lässt es sich doch auf die Kernaussage reduzieren: «Wir müssen zu existieren in der Lage sein, weil es uns gibt.»
Begnügen wir uns vorerst mit der Erkenntnis, dass unser Drang, den Dingen auf den Grund zu gehen, und unser kausalitätsgesteuertes Denken im Laufe der Geschichte eine Vielzahl unterschiedlichster Mythen hervorgebracht haben – von denen einige eine beängstigende Komplexität aufweisen –, um die Entstehung des Universums zu erklären. Daneben wartet die Wissenschaft mit ihren Erklärungen auf; bevor wir jedoch die Brücke schlagen von den kosmologischen Mythen zu den wissenschaftlich fundierten Erklärungen, sollten wir den Gegenstand unserer Betrachtungen genau kennen und wissen, was das Universum eigentlich ist.