Falsch angepasstes Lithium

Es gibt auch noch andere Schwierigkeiten, das Verhalten des Universums mit der Theorie in Übereinstimmung zu bringen. Eine taucht zum Beispiel bei der Menge des Elements Lithium auf, das in der Ursuppe entstand. Wie viele andere Elemente hat auch das Lithium zwei «Aromen» oder Isotope. Wenn Sie sich noch an die Tafel des Periodensystems in der Schule erinnern, lassen sich die chemischen Elemente anhand zweier Zahlen identifizieren, der Kernladungszahl und des Atomgewichts. Die Kernladungszahl gibt die Zahl der Protonen im Kern an und die der Elektronen, die um das Atom kreisen (sie stimmen überein). Das Atomgewicht nennt Ihnen die Zahl der anwesenden schweren Kernteilchen (Protonen und Neutronen).

Als erstmals deutlich wurde, was das Atomgewicht war, glaubte man, diese Vorstellung sei furchtbar falsch, weil es ein Maß für die Anzahl der Teilchen war, und während es für bestimmte Atome ziemlich unkompliziert ist, scheint der Wert für andere keinen Sinn zu machen. So hat zum Beispiel Stickstoff die Kernladungszahl 7 und ein Atomgewicht von etwas mehr als 14. Daher lässt sich leicht sagen, es befinden sich 7 Protonen und 7 Neutronen in seinem Kern. Chlor jedoch hat die Kernladungszahl 17 und ein Atomgewicht von 35,45. Es scheint daher 18,5 Neutronen zu haben, was einfach nicht stimmen kann.

Die Lösung für dieses Problem ist die Erkenntnis, dass Atome mit unterschiedlich vielen Neutronen im Kern auftreten. Im Fall des Chlors gibt es stabile Versionen mit sowohl 18 als auch 20 Neutronen. Da es mehr mit 18 als mit 20 gibt, liegt der Durchschnitt bei ungefähr 18,5. Diese unterschiedlichen Versionen werden Isotope genannt. Auch Lithium tritt in zwei stabilen Versionen auf. Lithium-6 mit drei und Lithium-7 mit vier Neutronen.

In Übereinstimmung mit der konventionellen Urknalltheorie entstand eine Menge Lithium im Universum, bevor sich die Sterne bildeten, obwohl ein gewisser Anteil, wie beim Helium, in den Sternen produziert wird. Allerdings ist erst kürzlich ein Riesenproblem aufgetreten. Die Theorie stimmt nämlich nicht mit den Beobachtungen überein. Im frühen Universum scheint es nur ein Drittel der Menge von Lithium-7, die die Theorie vorhersagt, gegeben zu haben, während eintausendmal mehr Lithium-6 vorhanden war, als man vermutet hatte.

Wie bei allen Messungen, die bis zu den ganz frühen Tagen zurückreichen, müssen wir uns auf indirekte Beobachtungen und Berechnungen verlassen. Die eigentlichen Werte werden aus der Beobachtung sehr früher Sterne abgeleitet. Wenn wir so weit wie möglich ins ferne Universum hinausschauen und die spektroskopische Analyse anwenden, ist es möglich, eine Vorstellung zu bekommen, wie das Mengenverhältnis der verschiedenen Elemente zueinander in den sehr frühen Sternen war. Ohne eine Chance, in den Sternen selbst zusammengebraut worden zu sein, sollte diese Bilanz einen ungefähren Eindruck davon liefern, wie das Universum aussah, als sich die Sterne bildeten.

Um die Voraussagen der Theorie zu bestätigen, benötigt man etwas raffiniertere Messungen und muss sich dabei, wie so oft, auf die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung verlassen. Falls die Urknalltheorie die richtigen Vorhersagen zur Entstehung von Helium, Lithium und Beryllium macht, würden die produzierten Mengen vom Verhältnis der Teilchen, also der Neutronen und Protonen in der ursprünglichen Mischung (kollektiv Baryonen genannt), zur Anzahl der Photonen abhängen. Dieses Verhältnis lässt sich von kleinen Temperaturschwankungen im Bild der vom WMAP-Satelliten aufgenommenen kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung ableiten. Als das Verhältnis ausgerechnet und in die Formel eingesetzt wurde, ergaben sich zwar gute Ergebnisse für Helium, aber die Werte für Lithium waren, wie schon gesagt, völlig indiskutabel.

Ein möglicher Grund für die Diskrepanz mag darin begründet liegen, dass die Sterne nicht unbedingt das tun, was wir von ihnen erwarten. So ist es zum Beispiel möglich, dass diese alten Sterne, die man beobachtete, um Daten über die Lithiumniveaus zu gewinnen, in Wirklichkeit die Lithiumniveaus reduzierten, was sich vorteilhaft auf die Lithium-7-Zahlen auswirkte, aber nicht unbedingt hilfreich für die Lithium-6-Werte war. Andere behaupten, die augenblickliche Detailauflösung bei der Spektralanalyse reiche nicht für die Art von Genauigkeit aus, die für Lithium-6-Niveaus in den alten Sternen verlangt wird. Mit einer derart schwachen Quelle sei es einfach zu schwierig, die Isotope klar voneinander zu unterscheiden.

Wenn jedoch die Werte falsch sind – und dieser Meinung sind viele Astrophysiker –, dann kann mit den Vorhersagen über die im Urknall produzierten Elemente etwas nicht stimmen. Die größten Bemühungen werden augenblicklich wohl in den Vorschlag investiert, die vorherrschenden Teilchenreaktionen in der Urknallsuppe seien wesentlich komplexer gewesen als vermutet und dass Teilchen daran beteiligt gewesen sein könnten, die wir normalerweise im heutigen Zustand des Universums nicht sehen können. Sollte dies zutreffen, ließen sich womöglich solche Teilchen bei den Experimenten mit dem neuen Großen Hadronen-Speicherring im CERN entdecken. Andere Forscher sind jedoch kühn genug, eine andere Interpretation in Erwägung zu ziehen. Sie liefe darauf hinaus, dass die Urknalltheorie schlicht und ergreifend falsch wäre.

Vor dem Urknall
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