Von LIGO zu LISA
LIGO ist auf zwei Orte verteilt: Hanford im US-Bundesstaat Washington und Livingston, Lousiana, die rund 3000 Kilometer voneinander entfernt sind. Diese Differenz gibt den Forschern die Möglichkeit, den Ursprung einer Quelle von Gravitationswellen zu entdecken, weil diese mit geringem Zeitunterschied an den beiden Orten ankommen sollten. Jeder Detektor hat ein Interferometer (einer hat sogar zwei). Es ist ein Paar Röhren in L-Form mit einer Schenkellänge von jeweils vier Kilometern. Die Luft ist aus den Röhren herausgesaugt worden, und Laserstrahlen gehen durch sie hindurch.
Falls eine Gravitationswelle auftaucht, sollte sie die Laserstrahlen geringfügig bewegen. Um diesen Vorgang zu verstärken, werden die Strahlen 75-mal hin- und hergeschickt, bevor sie sich begegnen. Weil die beiden Strahlen im rechten Winkel zueinander stehen, sollten sie eine leicht unterschiedliche Verlagerung spüren. Und das heißt, die Phase (die Stufe des Vorankommens der Welle oder eine Messung des Photonenzustands) wird sich geringfügig verschieben in Relation zu der anderen.
So weit, so gut. Aber dabei tauchen ernste Probleme auf. Zunächst ist es fast unmöglich, die Apparate von äußeren Schwingungen zu isolieren. Sie sind nicht einsatzfähig, wenn sich etwas Wuchtiges in der Nähe bewegt. Sie werden sogar von Meereswellen beeinflusst, die sich am Strand brechen. Deshalb ist es äußerst schwierig, eine Verschiebung auszumachen, die definitiv von Gravitationswellen ausgelöst wurde. Noch schwieriger ist es, sie einem Ereignis zuzuordnen, das so eindeutig, aber richtungslos ist wie der Urknall.
LIGO nahm 2002 den Betrieb auf, zehn Jahre nach Beginn des Projekts. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Buches lässt sich als einziges Ergebnis vorweisen, dass einige dramatische Ereignisse im Universum offenbar nichts mit Gravitationswellen zu tun haben. Das LIGO-Team ist darüber nicht allzu entsetzt. Es betrachtet LIGO lediglich als einen Anfang. Das Projekt ist nicht wirklich empfindlich genug, um das Gravitationsecho des Urknalls zu finden, aber man hofft, «LIGOs Sohn» konstruieren zu können. Er soll Advanced LIGO (Fortgeschrittener LIGO) genannt werden. Eine noch anspruchsvollere Weiterentwicklung mit viel größerer Empfindlichkeit wird die im Weltraum stationierte LISA sein (Laser Interferometer Space Antenna).
LISAs größter Vorteil, falls sie denn jemals gebaut werden sollte, werden ihre viel größeren Laserlaufstrecken sein, nämlich fünf Millionen Kilometer. Außerdem wird sie von den Schwingungen, an denen jeder erdgestützte Apparat leidet, abgeschirmt sein. Allerdings kamen Zweifel an dieser Konstruktion auf, als 1993 das Teilchenbeschleuniger-Projekt Superconducting Super Collider abgesagt wurde. Dieses riesige Vorhaben in Texas befand sich bereits im Bau, als der Stecker gezogen wurde.
Bis jetzt ist dem Advanced LIGO dieses Schicksal erspart geblieben, obwohl das Projekt unter erheblichen Verzögerungen leidet. 2005 rechnete man damit, dass LIGO II (wie es damals genannt wurde) 2007 fertiggestellt sein würde, aber aktuelle Schätzungen stellen es bis mindestens 2013 zurück. LISA ist derzeit nur ein Vorschlag für ein gemeinsames Unternehmen der NASA und der Europäischen Weltraumorganisation. Hoffte man 2005 auf einen Start im Jahr 2010, so ist der frühestmögliche Termin inzwischen auf 2018 verschoben worden. Möglicherweise ist eine solche Forschung aus wissenschaftlicher Perspektive viel wertvoller als ein Programm für bemannte Raumfahrt, allerdings ist Letzteres publikumswirksamer für die NASA, und deshalb wird auch der größte Teil des Budgets hierfür veranschlagt werden.
Um jedoch fair gegenüber den Bewilligern der finanziellen Mittel zu sein, sollte noch einmal betont werden, dass LIGO die Gravitationswellen erst noch entdecken muss. Es ist möglich, dass das gesamte Konzept fehlerhaft ist und dass jede künftige Investition sinnlos wäre, aber ohne LISAs Empfindlichkeit werden wir es wahrscheinlich nie erfahren. Sollte LISA die Schockwellen vom Anfang des Universums aufspüren, müsste es gelingen, zwischen dem vom Urknall plus Inflation erwarteten Ergebnis und dem andersartigen Nachbeben unterschiedlicher Theorien, die wir bald kennenlernen werden, zu unterscheiden.
Es fällt schwer, keine gemischten Gefühle gegenüber einem Projekt wie LISA zu haben. Erst einmal könnte überhaupt nichts dabei herauskommen. Falls es auch dem Fortgeschrittenen LIGO mit der zehnfachen Empfindlichkeit des ursprünglichen LIGO nicht gelingen sollte, Gravitationswellen aufzuspüren, könnte die Zeit gekommen sein, die Theorie neu zu überdenken, obwohl es sich schon lohnen würde, für eine absolute Bestätigung auf die Empfindlichkeit von LISA zurückgreifen zu können. Sollten wir tatsächlich eine Ausbreitung von Gravitationswellen erkennen, die bis zum Anfang des Universums zurückzuverfolgen sind (eine hundertprozentige Sicherheit wird es kaum geben), müssen wir diese Daten immer noch interpretieren, doch im Prinzip würden sie einige Hinweise darauf geben, wie das Universum begann. Da spielen natürlich eine Menge Wenn und Aber mit, aber hier eröffnet sich die Möglichkeit, eine Disziplin, die größtenteils auf Spekulationen beruht, ein wenig besser zu verstehen.
Welche Ergebnisse LIGO und LISA auch immer in Zukunft liefern werden, derzeit wird der Urknall von den meisten Kosmologen anerkannt. Bevor wir uns also anderen Theorien zuwenden, die uns eine bessere Antwort auf die Frage «Was war davor?» liefern, wollen wir vorübergehend annehmen, dass die Theorie stimmt, damit wir uns darüber im Klaren sein können, wie sich die Zeit zum Urknall verhält. Dann könnten wir verstehen, warum es bei der populärsten Version der Theorie das Konzept «Vor dem Urknall» einfach nicht gibt.