4

Olav spürte, wie ihm der Atem stockte, als der Wikinger seinen Laden betrat. Es gab keinen Zweifel, er war der Mann, von dem Zarabeth gesprochen hatte. Sie hatte gelogen. Der Mann war kraftvoll gebaut, hochmütig, begehrenswert. Er sah aus wie einer, der das bekam, was er haben wollte. Er war ein stolzer Hundesohn.

Und sie wollte diesen Mann haben. Nicht ihren Stiefvater. Sie würde mit ihm fortgehen, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Zorn stieg in ihm auf. Zarabeth war genau wie ihre hurenhafte Mutter Mara, die wegen eines hübschen Männergesichts und falscher Versprechungen alles hinter sich gelassen hatte. Sie hatte wahrscheinlich jedes verlogene Wort aus dem Mund dieses Mannes geglaubt. Ja, sie war genau wie Mara, diese Schlampe, die ihn getäuscht und dazu verführt hatte, sie zur Frau zu nehmen. Er würde nicht zulassen, daß Zarabeth ihn verließ, nicht wie Mara damals. Er holte tief Luft, straffte die Schultern und hoffte, seine Gedanken seien ihm nicht zu deutlich ins Gesicht geschrieben. Dieser Mann war sein Feind, vor dem er sich hüten mußte. Es lag ihm fern, ihn zu unterschätzen. Er legte das Fell, das er gerade prüfte, auf den Stapel zurück und trat vor, um den Wikinger höflich zu begrüßen. Sie tauschten ihre Namen aus.

Magnus fixierte Olav den Eitlen. Ein gutaussehender Mann, trotz seiner Jahre. Er trug Beinkleider aus feiner Wolle und ein hellblaues, weiches Wollwams. Der Ledergürtel war mit Bernstein und Gagat besetzt. An der rechten Hand trug er drei Silberringe und einen schweren Goldring an der linken. Um das rechte Handgelenk lagen drei Armbänder aus feinem Silber, ebenfalls mit Bernstein besetzt. Er war bei weitem besser gekleidet als seine Stieftochter, dachte Magnus, und die Muskeln seiner Kiefer spannten sich. Trotz Olavs kostbarer Kleidung, dem Zurschaustellen seines Reichtums, wölbte sich sein Bauch unter dem Wams, was der breite Gürtel nicht verbergen konnte, und seine Wangen unter dem grau melierten Bart hingen schlaff. Dennoch, er war beinahe so groß wie Magnus und wirkte kräftig für seine Jahre. Magnus konnte ihn vom ersten Augenblick an nicht leiden. Er verlor keine Zeit und sagte ohne Einleitung: »Ich komme aus zwei Gründen, Olav. Der erste und wichtigste: Ich möchte deine Stieftochter Zarabeth heiraten. Der zweite: Ich möchte mit dir Handel treiben. Ich bringe schöne Biber-und Otterfelle aus dem Gravaktal in Norwegen. Ich habe außerdem Elfenbein von Walroßzähnen, Hirschgeweihe und Federn für Kissen, die ich von den Lappen getauscht habe, die hoch im Norden leben. Wenn wir handelseinig werden, möchte ich in Silber bezahlt werden.«

»Das ist verständlich«, sagte Olav, einen Augenblick benommen von dem Gedanken an die Vogelfedern. König Guthrum wünschte dringend Federkissen für sich und seine junge Gefährtin, und niemand konnte seinen Wunsch nach den richtigen Federn erfüllen. Der Mann, der dem König die erwünschten Federn brachte, würde sich damit zweifellos die Gunst des Königs von Danelagh erwerben. Der junge Mann stand vor ihm — hochmütig und stolz und sehr selbstbewußt. Ja, Olavs erster Eindruck bestätigte sich. Ein Mann von vorbildlicher Statur: hager, stark, erstaunlich gutaussehend, wie die meisten Norweger, mit kräftig blondem Haar und strahlend blauen Augen. Er war glatt rasiert und seine Kieferpartie war ausgeprägt und eigensinnig. Sein Kinn wies eine senkrechte Falte in der Mitte auf. Ein Zeichen des Satans, behaupteten manche der hinterwäldlerischen Sachsen und bekreuzigten sich. Olav hatte den dringenden Wunsch, ihn zu töten und ihm seine Federn zu stehlen. Doch er sagte höflich: »Ich werde gern Handel mit dir treiben, Magnus Haraldsson, wenn deine Waren von guter Beschaffenheit sind. Jetzt, da du mir deinen Namen nennst, fällt mir ein, daß andere Händler von dir gesprochen haben. Dein Name wird hoch geachtet.«

Magnus nickte nur. »Nun möchte ich den Brautpreis für Zarabeth wissen.«

Olav wünschte, er hielte einen Dolch in der Hand. Er wünschte, er könnte den unverschämten Kerl mit seinen bloßen Händen erwürgen. In diesem Augenblick kümmerte er sich nicht um die verfluchten Vogelfedern, er hatte nur das innige Verlangen, diesen Kerl zu töten. Doch er hatte keine Waffe, noch besaß er die Kraft, den Wikinger mit bloßen Händen zu erwürgen. Er spielte um Zeit. »Zarabeth ist meine einzige Tochter, und obgleich mein Blut nicht in ihr fließt, ist sie mir sehr ans Herz gewachsen, und ich halte große Stücke auf sie. Ich achte sie so hoch, daß ich ihr freie Wahl lasse, sich ihren Lebensgefährten zu wählen. Was den Brautpreis betrifft, übersteigt er das, was die meisten Männer bezahlen können, denn sie ist nicht nur mir wertvoll, sie soll auch von dem Mann hochgeschätzt werden, der sie mir wegzunehmen wünscht.«

»Wie hoch ist ihr Brautpreis?«

Olav hob eine dichte, blonde Augenbraue. »Zunächst, Magnus Haraldsson, soll sie mir bestätigen, daß sie dich heiraten möchte. Ich werde keinen Brautpreis nennen, bevor ich nicht weiß, daß sie ernste Absichten hat.«

»Zarabeth will mich haben, zweifle nicht daran. Ich lüge nicht. Wie hoch ist ihr Brautpreis?«

Olav wußte genau, daß der Brautpreis für einen Wikinger wenig Bedeutung hatte. Wenn ihm der Preis zu hoch war, würde er die Frau einfach rauben, ohne Vorwarnung und ohne großes Aufheben. Olav schüttelte den Kopf. Er wollte nicht riskieren, daß der Wikinger Zarabeth entführen und mit ihr nach Norwegen segeln würde. »Nicht so eilig, Magnus Haraldsson. Zuerst muß ich mit meiner Stieftochter sprechen. Wenn sie mir sagt, daß sie dich will — ohne deine Gegenwart, um ihr deinen Willen aufzuzwingen oder sie zu beeinflussen —, so können wir über den Brautpreis sprechen.«

Magnus wurde ungeduldig wegen der Hinhaltetaktik des alten Mannes, vermutete allerdings, daß ein anderer Vater sich nicht anders verhalten würde. Ein Mann, der seine jüngere Schwester Ingunn heiraten wollte, würde bei seinem Vater ebenfalls auf Vorbehalte stoßen. Doch Ingunn hatte vor einigen Jahren beschlossen, nicht zu heiraten und stattdessen bei Magnus zu leben und ihm den Haushalt zu führen. Er erinnerte sich schwach an die Gespräche zwischen seinem Vater und Dallas Vater, wie beide Männer sich aufgeplustert und mit den Tugenden ihrer jeweiligen Sprößlinge geprahlt und die Mängel verschwiegen hatten. An die Gefühle der jungen Leute dachte dabei keiner der Männer, daran erinnerte Magnus sich noch genau.

Er lächelte in der Erinnerung und sagte: »Sehr wohl, Olav. Ich werde morgen wiederkommen, nachdem du mit ihr gesprochen hast.« Magnus ging ohne ein weiteres Wort und ohne sich noch einmal umzudrehen. Olavs Finger krümmten sich um einen nicht vorhandenen Dolch. Gleichzeitig kribbelte es ihm in den Fingern nach den Vogelfedern. Er hätte gerne gesehen, wie der Dolch zwischen den Schulterblättern des Wikingers stak, vibrierend von der Wucht seines Wurfes. Und er hätte gerne gesehen, wie König Gunthrams Haupt auf weichen Kissen ruhten, gefüllt mit den von Olav gelieferten weichen Federn — und sich selbst hätte er gern als noch reicheren Mann gesehen. Er hätte den Wikinger nicht gehen lassen dürfen, denn er zweifelte, daß er am nächsten Morgen seine Federn an ihn verkaufen würde. Andere würden ihm sagen, wie kostbar sie waren.

Olav ging nicht direkt zu Zarabeth, um mit ihr zu sprechen, denn er würde sie möglicherweise töten, so groß war sein Zorn, sein Gefühl, betrogen worden zu sein.

Was war zu tun?

Sie gehörte ihm und würde bei ihm bleiben, daran gab es keinen Zweifel. Aber dieser Wikinger, dieser Magnus Haraldsson war ein Mann, der mit Vorsicht zu genießen war, denn er war keineswegs der Sohn eines einfachen Händlers, den man so ohne weiteres an der Nase herumführen oder mit Ausreden abspeisen konnte. Er war ein Mann von Entschlossenheit und Macht. Olav ging seiner Arbeit nach, verhandelte mit anderen Händlern, führte seine Waren möglichen Käufern vor und ging aus den meisten Verhandlungen als Sieger hervor, denn er verstand sich glänzend aufs Verhandeln, war von schnellem Verstand und vermochte seine Taktik rasch zu wechseln. Er wartete bis zum Nachtmahl.

Als er vom Laden nach hinten in den Wohnbereich ging, sah er Zarabeth mit gerötetem Gesicht vor dem

Herd stehen. Ihre Augen glänzten. Er spürte, wie sein Geschlecht sich verhärtete. Sie war noch schöner als ihre Mutter. In der Wärme kräuselten sich ein paar leuchtendrote Locken um ihr Gesicht und ihre Stirn. Er wollte sie haben, doch er war nicht dumm und wußte, daß er warten mußte. Ihr zuzusehen, bereitete ihm fast körperliche Schmerzen.

Sie beugte sich vor und rührte ein würzigduftendes Gericht in einem schweren Eisentopf um. Dann holte sie mit einer Holzschaufel einen frischen Laib Brot aus der Asche und schlug ihn in ein grobes Wolltuch ein, um ihn warm zu halten.

Er wartete, bis sie ihm das Essen vorgesetzt hatte, wartete, bis sie neben dem Idiotenkind stand, und dann sagte er mit großer Ruhe in der Stimme: »Heute war ein Wikinger namens Magnus Haraldsson bei mir. Er möchte mit mir Handel treiben.«

Sie hob den Kopf, Erbsen kullerten von ihrem Löffel. »Handel?« fragte sie verständnislos, ein wenig bleicher geworden. »Er wollte mit dir über Handel sprechen?«

»Ja. Anscheinend hat er Federn, fremdländische Federn, die er dem Volk der Lappen geraubt hat. König Guthrum braucht Federn für Kissen. Vielleicht hast du davon gehört . . .«

»Federn? Ihr habt über Federn geredet?«

»Ja, und noch so allerlei.« Sie beugte sich vor, ihre Lippen leicht geöffnet. »Erbesitzt auch Otter- und Biberfelle.«

Sie starrte ihn an, weiß im Gesicht und stumm. Er lächelte beglückt, nahm einen Löffel von dem Rindfleisch-Eintopf. Dann sagte er beiläufig: »Ach, er erwähnte auch, daß er dich heiraten möchte.«

Sie lehnte sich zurück und atmete erleichtert auf. »Was hast du ihm gesagt?«

»Ich sagte ihm, es sei deine Entscheidung.«

»Aha.«

»Ich sagte ihm, daß ich mit ihm erst dann über einen Brautpreis sprechen werde, wenn du mir versichert hast, daß du ihn heiraten möchtest. Ist das dein Wunsch, Zarabeth?«

Sie schwieg, zwei senkrechte Falten bildeten sich auf ihrer Stirn. »Ich kenne ihn erst seit zwei Tagen, Olav. Aber ich habe das Gefühl, als würde ich ihn sehr viel länger kennen. Es mag seltsam klingen, aber er scheint ein guter Mann zu sein, ein starker Mann, und er wird mir ein guter Ehemann sein.«

»Du redest wie über die Vorzüge eines neuen Umhangs. Er ist ein Mann, Zarabeth, der ohne Zweifel grausam und hart ist, der sich nimmt, was er will, egal was er tun muß, um es zu bekommen.« Seine Stimme war laut geworden. »Du närrisches Frauenzimmer, kennst du diese Sorte nicht? Bist du so berauscht, daß du seine Gewalttätigkeit nicht siehst, seine Rücksichtslosigkeit?«

Zarabeth spürte, wie Lotti sich neben ihr versteifte, aus Angst vor dem grimmigen Gesicht des Vaters. Sie wandte sich dem Kind zu und sprach leise auf die Kleine ein. »Nein, Liebes, er meint nicht dich. Hier iß von dem Kohl, er ist süß und schmackhaft.« Zarabeth schnitt den Kohl in kleine Stücke und gab Lotti einen Löffel davon in die Hand. Als Lotti sich beruhigt hatte, langsam und versonnen kaute, wandte Zarabeth sich wieder ihrem Stiefvater zu.

»Du bist von dieser Sorte, Olav. Zumindest war es dein Vater.«

»Ja, vielleicht, aber ich benutze in meinem Leben meinen Verstand, nicht Schwert und Streitaxt. Ich plündere nicht an König Alfreds Küsten und töte seine Untertanen nicht oder mache sie zu meinen Sklaven.«

»Das hättest du wohl gern getan.«

Olav beäugte sie scharf, doch ihre Stimme blieb gleichmütig, ihr Gesicht ohne Ausdruck. »Mag sein, aber darum geht es nicht. Sag mir, daß du warten möchtest, Zarabeth. Du kennst diesen Mann nicht, diesen Magnus Haraldsson. Womöglich ist er ein Räuber, ein Wilder, ein Berserker.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist er nicht.«

»Was ist er dann, dein Wikinger, den du seit zwei ganzen Tagen kennst?«

Sein Sarkasmus traf sie nicht wirklich. Er war einfach um sie besorgt, weiter nichts. Aber damals war er nicht um Lotti oder um ihre Mutter besorgt, die schöne Mara. Immer wieder hatte er geschworen, vor Zarabeth und allen anderen, er habe die schöne Mara nicht getötet. Aber man hatte sie neben ihrem toten Liebhaber gefunden, mit eingeschlagenem Schädel und blutverklebtem Haar. Zarabeth verdrängte die Erinnerung. Seit dem Tod ihrer Mutter vor drei Jahren war sie Olavs Mündel. Er hatte sie nicht allzu oft ausgescholten, hatte aber auch seiner eigenen kleinen Tochter wenig Zuneigung entgegengebracht. »Er ist ein guter Mensch«, antwortete sie jetzt, »und er wird mir ein guter Ehemann sein. Er sagte, daß ich ihn auf seinen Handelsreisen begleiten darf, wenn er fremde Städte besucht wie Miklagard und Kiew.«

Olav spürte den Groll, der in seinen Eingeweiden rumorte. Er sah, wie der Wikinger auf Zarabeth lag und sie nahm, wie Zarabeth ihn in sich aufnahm, ihn anlächelte und vor Lust stöhnte. Sie hatte gesagt, wie freundlich der Wikinger war. Welch ein Hohn. Der Kerl wollte sie nur verführen. Olav wandte sich ab, bis er die Fassung wiedererlangt hatte. Und als er sich ihr erneut zuwandte, zeigte sein Gesicht milde Besorgnis. Er hatte gelernt, heftige Gefühle vor ihr zu verbergen, denn Zarabeth war unvorhersehbar, und er wußte nicht, wie sie reagieren würde, wenn er sie so behandelte, wie ihm zumute war. Im letzten Jahr hatte er begriffen, daß sie sich von anderen Frauen unterschied. Sie war auf mancherlei Art erwachsen geworden, das spürte er in ihrer Rede, wie frei sie ihre Meinung auch im Beisein von Männern äußerte. Dafür hätte er sie schlagen müssen, doch Olav scheute sich, sie zu schlagen. Sie führte ihm den Haushalt, webte und nähte, kochte und putzte, sie erledigte alle Pflichten, wie es einer Frau anstand. Aber es war etwas an ihr, etwas

Wildes und Unbändiges, wie an diesem gottverfluchten Wikinger.

Sie wurde ihn verlassen, wenn ihr danach war, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Sie kannte keine Zugehörigkeit, wie eine Frau sie empfinden sollte in einer unsicheren Welt, in der neben dem Leben der blutige Tod lauerte durch gesetzlose Wegelagerer, plündernde Wikinger oder rauhe Naturgewalten. Er vermutete außerdem, daß sie ihn verlassen würde, wenn er Lotti etwas zuleide tat. Daher übersah er das Kind geflissentlich, redete nicht mit ihr, um Zarabeth nicht zu verärgern. Schließlich sagte er, an einem Kanten frischen Brot kauend: »Und wenn ich dir sagte, dieser Magnus Haraldsson ist ein Abtrünniger, ein Barbar, ein Pirat, der Händler beraubt, die durch das Baltische Meer segeln?«

Zarabeth sah ihn lächelnd an. Stumm. »Nun gut, er ist also kein Abtrünniger und kein Pirat.« Olav goß sich Bier in das schöne, rauchblaue Glas aus dem Rheingau. »Aber er könnte Schlimmeres sein, Zarabeth.« Er trank langsam, blickte Zarabeth über den Rand des Glases an, um ihre Reaktion zu beobachten. Doch sie zeigte nur ihr überlegenes Lächeln. Er mußte scharf nachdenken, um seine Argumente zu ordnen. Er wollte Zarabeth nicht verlieren.

»Ich bitte dich, heute abend oder morgen keine Entscheidung zu fällen. Du bist kein leichtfertiges Mädchen, das in wenigen Augenblicken über sein Leben entscheidet. Ich bitte dich zu warten, verbringe etwas mehr Zeit mit diesem Mann, um ihn besser kennenzulernen und um dich zu vergewissern, daß er der Richtige für dich ist.« Er wollte sie auch bitten, diesem Mann nicht ihre Jungfräulichkeit zu geben, fand aber nicht die richtigen Worte.

Zarabeth blickte ihn an. So viel Verständnis hatte sie nicht von ihm erwartet. Sie hatte sich auf Streit eingestellt. Ihr wurde warm ums Herz. »Ich danke dir, Olav«, sagte sie. »Ich werde deine Worte beherzigen und meine Entscheidung erst zum Ende dieser Woche treffen.«

Er nickte zufrieden. Dadurch blieben ihm drei Tage

Zeit, um zu beschließen, was zu tun war, um diesen räuberischen Hundesohn daran zu hindern, sie ihm wegzunehmen. In diesem Augenblick stieß Lotti ihre Holzschale mit Ziegenmilch um. Die Milch ergoß sich über den Tisch und bespritzte seinen Wollärmel, bevor er seinen Arm wegnehmen konnte. Sein Gesicht lief vor Wut rot an über das ungeschickte schwachsinnige Geschöpf, aber er schaffte es, seinen Mund zu halten.

Zarabeth tätschelte beruhigend Lottis kleine Hand und erhob sich. »Ich mach es sauber, Olav.« Sie rieb den Ärmel mit einem Lappen trocken. Doch die Milch würde gewiß Flecken auf dem edlen blaßblauen Wolltuch hinterlassen. Er war töricht, sich an Werktagen so fein herauszuputzen, dachte sie, während sie den Fleck trockenrieb.

Olav blickte auf ihren gebeugten Kopf, das volle dunkelrote Haar und ihre glatte weiße Haut, ihre langen schlanken Finger. Maras Haut war gegen Ende nicht mehr so glatt und weich gewesen. Im Lampenschein war Zarabeths rotes Haar weniger leuchtend, glich mehr dem dunklen Laub der Rotbuchen im Herbst. Er hätte gern sein Gesicht darin vergraben. Er atmete ihren Duft ein.

Ihr Geruch reichte, um sein Geschlecht steif zu machen. Ihre Nähe brachte ihn halb um den Verstand. Er hob den Blick und sah, wie Lotti ihn anstarrte, ihr kleines Gesicht ernst, ihre großen Augen voller Angst.

Die kleine Närrin verstand nichts von fleischlicher Lust. Wovor hatte sie Angst? Seit damals hatte er sie nie wieder angerührt. Zarabeth richtete sich auf.

»Es wird keinen Fleck geben«, meinte sie. Er konnte den Anblick ihrer prallen Brüste kaum ertragen. Er mußte sie nehmen, konnte nicht mehr lange warten. Sobald der Wikinger fort war, würde er ihr das klar machen.

Er schaute zu Lotti hinüber und wußte plötzlich, was zu tun war. Seit langem ahnte er, daß Lotti sein einziges Machtmittel gegen Zarabeth war, hatte sich das nur nicht wirklich eingestanden. Nun wußte er, daß er das Kind für seine Pläne einsetzen würde, ohne Zögern.

Es klopfte an der Ladentür, und Olav sprang auf die Füße. »Ich weiß nicht, wer zu so später Stunde noch bei uns hereinschaut. Hol noch etwas Bier.« Mit diesen Worten hob er das schwere Fell hoch, das den Wohnbereich vom Laden trennte.

Lotti gab einen lallenden Laut von sich. Zarabeth fuhr zu ihr herum. Das kleine Mädchen hatte sich die Faust in den Mund gesteckt. Ihre Augen — von tiefer goldbrauner Farbe — waren vor Angst weit aufgerissen. Ihr rötlichbraunes Haar war zu Zöpfen geflochten und als Kranz um ihren kleinen Kopf gewunden. Ihre Gesichtsfarbe war hell, und um die Nase hatte sie lustige Sommersprossen.

Zarabeth ging in die Hocke neben der Schwester und sprach mit klarer, deutlicher Betonung. »Hab keine Angst, Lotti. Dein Vater wird dir niemals wehtun, das schwöre ich. Du gehörst mir, und ich werde dich immer beschützen. Verstehst du das, Liebes?«

Das Kind sah sie an, und die Angst wich aus ihrem Gesicht. Sie tätschelte lächelnd Zarabeths Hand. Das uneingeschränkte Vertrauen im Gesicht des Kindes zog ihr das Herz zusammen. Lotti hatte blindes Vertrauen zu ihr. Doch Zarabeth war nur eine Frau, konnte nicht mit Waffen umgehen, um sich oder Lotti zu verteidigen. Was auch kommen mochte, sie würde nie zulassen, daß Lotti ein Leid geschah. Sie stand langsam auf und klopfte den Staub von den Knien.

Olav kam zurück, gefolgt von seinem Sohn Keith. Ein Mann, kleiner als sein Vater, mit dunklem Haar und dunklen Augen, bleicher Hautfarbe und einem dichten Bart, auf den er über die Maßen stolz war. Er hatte die Angewohnheit, seine Finger ständig durch den krausen Bart zu streichen. Keith war das Abbild seiner Mutter, wie Olav mit einem spöttischen Unterton zu bemerken pflegte. Er war stattlich gebaut und nicht gerade häßlich, obwohl er seit einem Beinbruch, den er als Junge erlitten hatte, leicht hinkte. Von der Schläfe zog sich eine dünne Narbe über die Wange, die ihn jedoch nicht entstellte. Er war nicht dumm, vermochte aber den Erfolg seines Vaters als Händler nicht zu erreichen. Er hatte nicht sein Talent, was Olav sich allerdings nicht eingestehen wollte. Er war leicht beeinflußbar, seufzte Olav gerne kopfschüttelnd. Dabei war er meist derjenige, der ihn beeinflußte. Zugegeben, Keith ließ sich leicht beschwatzen, vom Gerber, vom Schmied, vom Goldschmied — die Liste war endlos.

Er war zweiundzwanzig, verheiratet mit einer Frau, die in seiner Gegenwart die Unterwürfige spielte und ein scharfzüngiger Drachen war, wenn er den Rücken kehrte. Er hatte Zarabeth kaum Beachtung geschenkt, als Olav sie und Mara nach York brachte und ihr weder Zuneigung noch Ablehnung entgegengebracht. Doch in den letzten Monaten hatte er sich verändert. Er besuchte seinen Vater häufiger, oft ohne Toki, und Zarabeth war aufgefallen, wie er sie anstarrte, während er sich den Bart strich und vorgab, der endlosen Flut guter Ratschläge des Vaters zuzuhören. Sie hütete sich, je mit ihm allein in einem Raum zu sein.

Sie nickte ihm ohne große Freundlichkeit einen Willkommensgruß zu, und Keith starrte sie wieder glutäugig an.

»Wo ist deine Frau?« fragte Olav beiläufig.

»Toki ist im Haus, wo sie hingehört. Sie hat ihren weiblichen Fluch und behauptet zu leiden.« Keith hob die Schultern und blickte auf den Krug mit Bier. »Du hast sie mir ausgesucht, du kennst sie gut genug. Sie hat viel von ihrer Mutter. Ich bin wohl der einzige, dem sie die sanfte Seite ihres Wesens zeigt.«

Zarabeth hätte am liebsten laut aufgelacht bei Keiths Beschreibung des Wesens seiner Frau. Olav überhörte den jammernden Ton und die Bitterkeit in den Worten seines Sohnes. Bei allen Göttern, er kannte Tokis Mutter, eine Frau, bei deren Anblick das Geschlecht eines jeden Mannes in sich zusammenschrumpfte. In Gedanken immer noch bei dem verfluchten Wikinger, sagte er zerstreut: »Ausgezeichnet. Möchtest du einen Krug Bier?«

Keith nickte und setzte sich an den Tisch. Zu Zarabeth gewandt, meinte er: »Geht es dir gut, Schwester?«

Sie nickte und schenkte ihm Bier ein.

»Und die Kleine?«

»Lotti geht es auch gut.«

Olav hob die Schultern und warf seinem Sohn einen mißmutigen Blick zu. »Sie ist gräßlich, aber was kann ich tun? Grade hat sie mir Milch über den Ärmel geschüttet.«

»Du hättest sie aus der Stadt bringen und ihrem Schicksal überlassen sollen«, sagte Keith in völligem Gleichmut. »Toki hätte es getan.«

Zarabeth richtete sich langsam auf. »Zähme deine grausamen Worte, Bruder, oder du wirst es bereuen.«

Keith breitete die Hände aus. »Beruhige dich, Zarabeth. Toki würde so etwas tun, ich aber nicht.« Dann zog er die Stirn in Falten, als denke er angestrengt nach. »Nein, das stimmt nicht. Im Grunde ist Toki sanftmütig und herzensgut. Und sie ist sehr kinderlieb. Sie würde niemandem weh tun, schon gar nicht einem Kind, auch nicht einem Kind wie Lotti.«

Er war ein Schwächling und hatte keine Augen im Kopf, dachte Zarabeth. Sie konnte sich denken, wie sehr Toki ihn unter der Knute hatte. Sie wandte sich Olav zu, der nun sagte: »Quäle den armen Jungen nicht, Zarabeth, und sprich keine leeren Drohungen aus.« Lachend fügte er hinzu: »Was würdest du ihm denn antun, wenn er dich erzürnt? Schlägst du ihn mit dem Kochlöffel? Erstichst du ihn mit dem Messer? Vielleicht stürzt du dich schreiend auf ihn und reißt ihm die Haare vom Kopf?«

»Nein. Ich habe gedankenlos gesprochen. Mein Bruder ist ein guter Mensch.«

Sie wünschte, sie hätte ihren Mund gehalten und den Männern keinen Grund gegeben, sich über sie lustig zu machen. Lächelnd meinte sie: »Wenn er wirklich böse wäre, würde ich einen Trunk in sein Bier träufeln, der aus seinen Eingeweiden stinkendes Wasser macht.«

Keith sah sie an, dann starrte er auf seinen fast leeren Bierkrug.

»Nein, Keith, ich habe nichts hineingetan. Diesmal nicht.

Hüte in Zukunft deine Zunge. Denn Lotti bekommt jedes Wort mit. Ich möchte nicht, daß man ihr wehtut.«

Keith warf ihr einen mitleidigen Blick zu, den sie nicht bemerkte. Sie räumte den Tisch ab und wusch das Geschirr. Sie hatte keine Angst vor ihm, fühlte sich seltsamerweise sogar zu seinem Schutz berufen. Er hatte Toki nicht verdient, und Zarabeth hielt es für einen Fehler, ihm die Ehe mit dieser Frau aufzudrängen.

Plötzlich schnitt Keiths Stimme scharf wie ein Messer durch die Stille: »Ich hörte von der schwatzhaften Frau des Zimmermanns, daß Zarabeth heute morgen einen Wikinger auf dem Marktplatz vor dem Brunnen geküßt hat.«

Tiefes Schweigen senkte sich über den Raum. Olavs Lippen wurden zu einem schmalen Strich, die Sehnen an seinem Hals traten hervor, und seine Wangen wurden von flammendem Rot überzogen. Keith nickte unsicher in Zarabeths Richtung. »Aha. Es ist also wahr. Ich wollte es nicht glauben, da man dich als kühles Mädchen kennt, Zarabeth, eine Frau, die sich nichts aus schönem Schmuck oder aus Männern macht. Dieser Wikinger ist ein Jarl, wie ich höre, also ein Edelmann. Sein Vater ist ein Anführer und ein mächtiger Herzog. Er ist reich und besitzt große Ländereien in Norwegen.«

»Ja, es ist wahr«, sagte Zarabeth.

»Hast du deine Beine für ihn breit gemacht?«

Zarabeth staunte über Keiths streitsüchtigen Ton, und noch erstaunter war sie über seine Worte. Sie paßten nicht zu ihm. Sie spürte einen Stich, verscheuchte die Furcht aber schnell. Es war Eifersucht, die aus seiner Stimme sprach. Sie blickte zu dem Regal an der Wand, auf dem eine Reihe bedeckter Gefäße stand. »Ich frage mich, wie stark ich dein Tränklein mischen soll, Keith.«

»Also gut, du hast dich nicht von ihm besteigen lassen. Was willst du von ihm?«

Olav sagte unvermittelt: »Schluß mit diesem Wikinger. Er will Zarabeth heiraten, aber sie hat sich noch nicht entschieden, ob sie ihn haben möchte. In drei Tagen wird sie ihm eine Antwort geben.«

Tatsächlich, dachte Zarabeth, während Olav redete, habe ich mich bereits entschieden. Die drei Tage waren ein Zugeständnis an ihn. Seltsamerweise wurde ihr das eben in diesem Moment klar.

Sie hob den Kopf und sah, wie Keith sie gierig mit Blicken verschlang. »Irgend einen Mann muß ich wohl heiraten«, sagte sie kühl. »Magnus Haraldsson scheint eine gute Wahl zu sein.«

»Gehst du mit ihm nach Norwegen?«

»Falls sie ihn heiratet«, antwortete sein Vater mit gefurchter Stirn. »Wir werden sehen. Noch ist nichts entschieden. Gar nichts.«

Zarabeth schwieg. Sie wollte Magnus sehen. Sie verrichtete ihre Hausarbeit, badete Lotti und steckte sie unter die warme Wolldecke in ihrem Kastenbett. Olav und Keith tranken schweigend. Sie stellte einen vollen Krug Bier neben den Stiefvater, nahm ihren Wollumhang vom Haken und legte ihn sich um die Schultern. »Ich mache einen kurzen Spaziergang«, sagte sie und war gegangen, ehe einer der Männer Einspruch erheben konnte.

Im Schatten der Mitternachtssonne
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