27. KAPITEL
Dunkle Wolken begannen sich zusammenzuziehen, als Steve und Julia die schöne, am Strand gelegene Stadt Santa Barbara erreichten, die nicht ganz 400 Kilometer südlich von Monterey lag.
Das College war ein ausladendes rosafarbenes Stuckgebäude mit Blick auf den Ozean und auf Palmenbäume, die sich sanft im Wind wiegten. Da das laufende Semester gerade erst zu Ende gegangen war, wirkte der Parkplatz so gut wie verlassen. Auch Platz 117 war frei.
Eine Putzkolonne beschrieb ihnen den Weg zu einem Zimmer am Ende eines langen Flures, wo eine hübsche Sekretärin mit Namen Sophie Mathers an ihrem Schreibtisch saß, auf dem sich Aktenstapel türmten.
Steve nahm Julias Hand und lächelte der plötzlich sehr aufmerksamen Brünetten zu. “Guten Morgen, Miss Mathers”, sagte er freundlich. “Mein Name ist Steve Reyes, und das ist meine Schwester Anita Delgado.”
Julia warf ihm einen irritierten Blick zu, den er aber ignorierte. “Ihr Ehemann ist vor sechs Monaten untergetaucht”, fuhr er fort. “Wir vermuten, dass er das Santa Barbara College besucht, möglicherweise unter einem anderen Namen.”
Die Brünette sah Julia ein wenig mitfühlend an. “Sollten Sie das nicht mit der Polizei besprechen, Miss Delgado?”
Bevor sich Julia eine glaubwürdige Antwort ausdenken konnte, sagte Steve entschuldigend: “Ah … ich fürchte, meine Schwester spricht nicht Englisch.”
“Oh.” Sophie Mathers schien nichts dagegen zu haben, ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf Steve zu richten. “Ich würde Ihnen gerne helfen, Mr. Reyes, aber ich glaube, das geht nicht. Wir mischen uns nicht in …”, sie sah wieder kurz zu Julia, “… häusliche Meinungsverschiedenheiten ein.”
Steve ließ Julias Hand los, stützte seine Hände auf den Schreibtisch der Sekretärin und beugte sich so weit vor, dass er kaum mehr als zehn Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt war. Julia dachte leicht verärgert, dass er bei der Nummer, die er gerade abzog, viel zu dick auftrug. Aber es wirkte.
“Um ehrlich zu sein, Miss Mathers”, sagte er mit gedämpfter Stimme, “meine Schwester möchte die Polizei nicht hineinziehen und auch nichts machen, was für das College unangenehm sein könnte. Und sie will ganz bestimmt keinen Streit. Sie möchte nur mit ihrem Mann reden.”
Miss Mathers nickte verstehend. “Und wie kann ich Ihnen helfen?”
“Eine Adresse wäre hilfreich.”
“Der Unterricht endete vor zwei Tagen, Mr. Reyes. Die meisten Studenten sind nach Hause gefahren.”
“Das ist mir bewusst.” Wieder lächelte er sie an.
Die Sekretärin zögerte. “Wir wollen wirklich keinen Ärger.”
“Den wird es auch nicht geben.” Steve legte wie ein großer Bruder seinen Arm um Julia und drückte sie an sich. “Anita ist ein liebes und friedliches Mädchen. Sie möchte nur mit ihm reden. Wenn ihre Ehe gerettet werden kann, gut, wenn nicht …”, er zuckte kurz resigniert mit den Schultern, “… dann lebt sie ihr Leben weiter.”
Er grinste Julia an, die ihn wie auf ein Stichwort hin hoffnungsvoll, aber nichts sagend anlächelte.
Miss Mathers wandte sich ihrem Computer zu und betätigte eine Taste. “Na gut. Wie lautet der Name?”
“Antonio Delgado”, sagte Steve.
Die junge Frau sah auf den Bildschirm und stoppte bei D, las die Liste durch, um dann wie erwartet den Kopf zu schütteln. “Unter dem Namen ist bei uns niemand geführt.”
“Können Sie über die Parkerlaubnis weiterkommen?” fragte Steve mit süßlichem Tonfall. “Er hat die Nummer 117.”
“Eins-eins-sieben. Mal sehen.” Wieder bediente die Sekretärin eine Taste, wartete auf die richtige Anzeige und begann wieder zu suchen. “Da habe ich einen Ben Rosenthal.”
Sie sah zu Steve, als der Julia einen unauffälligen Stoß in die Rippen versetzte. Julia zuckte zusammen und begann eifrig zu nicken, da sie annahm, dass sie improvisieren sollte. “Si, es possible”, sagte sie und hoffte, dass es nach einem einigermaßen guten Spanisch klang. “Antonio tio … se llama Benito. Benito Delgado.”
“Antonios Onkel heißt Benito”, übersetzte Steve. “Könnte sein, dass wir ihn gefunden haben.”
Die Sekretärin notierte die Adresse auf einem Zettel, den sie von einem pinkfarbenen Block auf ihrem Schreibtisch abgerissen hatte. “Er wohnt außerhalb des Campus”, sagte sie und reichte Steve den Zettel. “Das ist ganz einfach zu finden. Die Chapala Street ist nicht weit entfernt. Sie biegen an der Ampel links ab, und dann gleich noch mal links.”
“Danke, Miss Mathers, Sie haben uns sehr geholfen.”
Die junge Frau errötete. “Freut mich, dass ich Ihnen behilflich sein konnte.” Sie sah zu Julia und erinnerte sich daran, dass sie ja kein Englisch sprach, blickte dann wieder Steve an. “Ich hoffe, dass Ihre Schwester ihren Mann findet.”
“Ich auch.” Steve steckte die Notiz in die Hosentasche, nahm Julia an der Hand und zog sie hinter sich aus dem Büro.
Nachdem sie im Flur standen, riss Julia ihre Hand los. “Anita Delgado?” fragte sie.
Steve lachte leise. “Was denn? Gefällt dir der Name nicht?”
“Das hat damit nichts zu tun. Aber wie konntest du mir so etwas antun? Ich war völlig ahnungslos.”
“Du warst fantastisch. Wo hast du Spanisch gelernt?”
“Ach, hör auf. Das war schrecklich, und das weißt du. Ich kann es nicht fassen, dass sie mir das abgenommen hat. Du hättest mich wenigstens warnen können.”
“Wie denn? Ich hatte doch keine Ahnung, was ich sagen würde, als wir ins Büro von Miss Mathers gingen.” Er öffnete eine Glastür und ließ Julia vorgehen.
“Du hast dir diese lächerliche Geschichte vom verschwundenen Ehemann in dem Moment ausgedacht?” fragte Julia ungläubig.
“Was soll ich sagen? Ich bin halt der impulsive Typ. Und darf ich dich daran erinnern, dass uns diese lächerliche Geschichte die Information eingebracht hat, die wir haben wollten?”
“Kein Wunder”, sagte sie naserümpfend. “Du hast das Mädchen ja förmlich unter deinem Charme begraben. Mich wundert, dass sie nicht noch freiwillig für dich nach Ben Rosenthal suchen wollte.”
“In meiner Branche heißt das, eine Gelegenheit beim Schopf packen.”
Julia rümpfte wieder die Nase. “Ich nenne es abstoßend.”
Steves Tonfall wurde amüsiert. “Eifersüchtig, Sweetheart?”
Julia verdrehte die Augen. “Ich habe nicht einen Funken Eifersucht im Leib. Und nenn mich nicht Sweetheart.”
Als sie den Landrover erreicht hatten, machte er die Beifahrertür auf. “Darf ich dich denn Anita nennen?”
Weil sein Humor so unwiderstehlich war, musste sie einfach lachen. “Okay, du hast gewonnen. Unser Auftritt da drinnen war nützlich. Und lustig.”
“Und er hat dir Spaß gemacht.”
“Einem Teil von mir hat er Spaß gemacht”, gestand sie ein. Sie wartete, bis auch er eingestiegen war, dann fragte sie: “Ich bin trotzdem etwas irritiert. Was sagst du diesem Ben Rosenthal, wenn wir ihn gefunden haben? Wir wissen nicht, ob er in die 'Hacienda' eingebrochen ist. Wir wissen nur, dass Jimmy einen Wagen gesehen hat, der ihm möglicherweise gehört.”
Steve steckte den Schlüssel ins Zündschloss. “Das hängt davon ab, wie abweisend er sich verhält. Wir werden einfach sehen, was sich ergibt.”
Julia konnte sich einen letzten Seitenhieb nicht verkneifen. “Wirst du ihm auch schöne Augen machen?”
Er lächelte sie an. “Es gibt im Moment nur einen Menschen, dem ich schöne Augen machen will”, sagte er und nahm ihr Gesicht in seine Hand. “Und das bist du.”
Sein Geschmack, als er sie küsste, war berauschend genug, um Julia vergessen zu lassen, dass sie auf einem Parkplatz standen. Mit geschlossenen Augen verlor sie sich in der puren Lust, seine Lippen auf ihren zu fühlen. Erst als ein paar junge Mädchen in sehr kurzen Röcken kichernd am Landrover vorbeigingen, löste sie sich von Steve. “Warum besuchen wir nicht erst mal Benito und schmusen später?” schlug sie vor.
“Hmmm, klingt gut – das mit dem Schmusen, meine ich.” Er ließ sie los, winkte den Mädchen zu, die noch immer tuschelten, startete den Wagen und fuhr rückwärts aus der Parklücke.
Sie fanden die Tür zum Apartment B2 offen stehend vor. In der Wohnung war eine hübsche junge Frau mit roten Haaren damit beschäftigt, Haushaltsgegenstände aus der Küche zur Tür zu tragen. Zwei übervolle Koffer, ein CD-Player und ein Fernseher standen dort schon bereit, als sollten sie für die Zeit der Sommerferien mit nach Hause genommen werden.
Julia klopfte vorsichtig an die Tür. “Guten Morgen.”
Die Rothaarige wirbelte herum. “Also sowas! Was zum Teufel wollen Sie denn hier?” Sie sah aus, als würde sie sie jeden Moment anspringen wollen.
Erschrocken sah Julia zu Steve.
Die Fäuste in die Hüften gestemmt, machte die Rothaarige nicht den Anschein, dass sie auch eine freundlichere Seite zeigen würde, während sie von Julia zu Steve blickte. “Was ist los mit Ihnen? Sind Sie taub?”
Steve schob Julia beschützend hinter sich. “Wir suchen Ben Rosenthal. Man hat uns gesagt …”
Die junge Frau ließ ihn gar nicht erst ausreden. Sie nahm ein gerahmtes Foto und warf es gegen die Wand, wobei sie Steves Kopf nur um Zentimeter verfehlte. “Da”, sagte sie. “Jetzt haben Sie ihn gefunden.”
Die Aktion schien sie ein wenig zu besänftigen und sie wirkte plötzlich sehr umgänglich. “Ich suche diesen Schweinehund selbst”, sagte sie. “Wenn Sie ihn finden, dann überlassen Sie ihn mir, haben Sie verstanden?”
Steve blickte auf die Scherben zu seinen Füßen. “Ich nehme an, er … ähm … hat Sie sitzen lassen?”
“Wie eine Schlange hat er sich davongemacht, während ich meine Prüfungen abgelegt habe”, spuckte sie die Worte förmlich aus. “Kein Lebewohl, kein 'Bis dann', kein 'War nett, dich kennen gelernt zu haben'. Nichts, kein Wort, nada. Er hat alles mitgenommen, was ihm gehörte, und mir hat er die Rechnungen überlassen.” Sie versetzte dem Sessel gleich neben ihr einen kräftigen Fußtritt. “Dieser Mistkerl.”
Julia spürte, dass weibliches Mitgefühl für die Rothaarige vielleicht genau das Richtige war, und machte einen Schritt nach vorn. “Männer können solche Schweine sein”, sagte sie.
Anstatt zu antworten, nahm die junge Frau eine große Tasche vom Esstisch und brachte sie zur Tür, wobei sie Julia leicht anrempelte, ohne sich zu entschuldigen.
Mit einem Blick auf Steve zuckte Julia mit den Schultern und bedeutete ihm, die weitere Unterhaltung zu führen. Er war wesentlich besser im Improvisieren als sie.
Steve räusperte sich. “Wissen Sie, wohin er abgereist ist?” fragte er.
Die junge Frau sah ihn an, als wäre er soeben vom Mond auf die Erde gekommen. “Er hat mich sitzen lassen, Mister. Verstehen Sie? Er hat sich aus dem Staub gemacht. Warum sollte er da wohl eine Adresse hinterlassen, wo ich ihn finden kann? Damit ich vorbeikommen und ihm sein falsches Herz aus dem Leib reißen kann?”
Beiläufig begann Steve, durch das Zimmer zu gehen, prüfende Blicke in leere Regale zu werfen und Schubladen zu öffnen.
“Hey, was soll denn das geben?” fragte die Rothaarige gereizt.
“Ich will nur sehen, ob Ben irgendetwas zurückgelassen hat.”
“Kein Stück. Ich habe schon alles durchsucht. Der Bastard ist mit Sack und Pack verschwunden.”
Julia stieß Steve an und gab ihm das Foto, das sie vom Boden aufgehoben hatte. Es zeigte die Rothaarige in einer deutlich besseren Laune am Arm eines sonnengebräunten, gut aussehenden Mannes. Er trug keinen Bart.
Steve hielt das Foto hoch. “Ist er das?”
Die Frau runzelte die Stirn und wurde sofort misstrauisch. “Ich dachte, Sie kennen ihn.”
“Nicht persönlich. Er schuldet einem Freund von mir Geld.”
Sie verschränkte die Arme vor ihrem schmalen Oberkörper und sah von Steve zu Julia. “Sind Sie Geldeintreiber oder so was?”
“Das könnte man so sagen”, erwiderte Steve.
“Gut, wenn Sie ihn finden sollten, dann haben Sie meine Erlaubnis, ihm die Beine zu brechen oder Nadeln unter die Fingernägel zu jagen oder irgendwas anderes, was Sie mit zahlungsunwilligen Kunden machen. Aber vergessen Sie im Eifer des Gefechts nicht, mir gehört er zuerst.”
Julia unterdrückte ein Lächeln und sah sich im Zimmer um. Von dem einen Foto abgesehen, hatte Ben Rosenthal nichts in dem Apartment zurückgelassen, was ihm gehört hatte. “Können Sie uns irgendetwas über ihn erzählen?” fragte sie. “Wo …”
“Er ist ein dreckiger, elender, hinterhältiger, verlogener Hurensohn. Genügt das?”
Nach dem leisen Lachen zu urteilen, das Julia hinter ihrem Rücken hörte, vergnügte sich Steve außerordentlich gut. “Ich meine, hatte er Familie? Freunde? Ein Lieblingslokal?”
“Seine Eltern sind tot.” Die junge Frau betrachtete eine Bratpfanne und kam zu dem Schluss, dass es sich nicht lohnte, sie mitzunehmen. Also warf sie sie in den Abfalleimer. “Er hat nicht über sich gesprochen.” Allmählich beruhigte sie sich wieder und atmete zwischen jedem Satz tief durch. “Er hat einen Onkel, aber über den hat er auch nicht gesprochen. Jedenfalls muss der Typ steinreich sein, weil Ben mit dem Geld nur so um sich geworfen hat.”
Julia und Steve sahen sich an. “Wissen Sie, wie sein Onkel heißt?” fragte Steve.
“Ian McDermott. Aber der hat von Ben seit den Osterferien nichts mehr gehört oder gesehen.”
Mit den Händen in den Taschen lehnte sich Steve gegen den Esstisch. “Sie haben nicht zufällig die Adresse von Mr. McDermott?” Er holte einige Geldscheine aus der Hosentasche, zog eine 100-Dollar-Note heraus und legte sie auf den Tisch. “Eine kleine Geste der Dankbarkeit”, sagte er.
Die Frau blickte auf das Geld, nahm es aber nicht an sich. “Ich habe nur diese Telefonnummer.”
“Das genügt.”
“Die habe ich mir von der Telefonrechnung abgeschrieben”, erklärte sie, während sie in einer alten ramponierten Handtasche herumsuchte. “Nicht mal Ben weiß, dass ich sie notiert habe.”
Sie reichte Steve ein kleines Adressbuch, das sie beim Buchstaben M aufgeschlagen hatte. Steve notierte die Nummer auf einer Visitenkarte. “Was dagegen, wenn ich das Foto behalte?” fragte er.
“Mit Vergnügen. Ich hätte es sowieso in den Müll geworfen.”
Vorsichtig nahm Steve das Foto aus dem Rahmen und warf den Überrest in den Abfalleimer, während er das Bild in seine Brusttasche steckte.
“Ich habe das übrigens ernst gemeint, dass ich Ben zuerst in die Finger bekommen will.” Die junge Frau nahm den Hunderter, faltete ihn und steckte ihn in ihre Lederhandtasche. Aus dem Adressenverzeichnis zog sie eine Visitenkarte. “Da halte ich mich den Sommer über auf. Rufen Sie mich an, wenn sie ihn gefunden haben.”
Julia sah auf die Karte. Die Rothaarige hieß Kelly Sanders und kam aus Scottsdale, Arizona.
“Werd ich machen”, versprach Steve.
Ohne dass sich an ihrem Gesichtsausdruck etwas änderte, deutete sie auf den Berg Sachen an der Tür. “Da ich bei Ihnen beiden jetzt was gut habe, können Sie mir helfen, den Krempel zu meinem Auto zu bringen.”
“Mit Vergnügen.” Steve zwinkerte Julia zu und nahm den Fernseher. “Sagen Sie nur, wo es langgeht.”
Hinter ihm warf sich Julia eine Tasche über die Schulter und folgte ihm.
Zehn Minuten später war alles in Kelly Sanders' kleinem blauen Camry verstaut, in dem es enger war als in einer Dose Ölsardinen. Sie rangierte aus der Lücke, hupte einmal und fuhr ab.
“Interessantes Mädchen.” Julia sah zu, wie der Camry in der Ferne verschwand.
Steve lachte. “Der möchte ich nicht in die Quere kommen.”
Julias Augen blitzten auf. “Das ist nicht witzig, Steve. Ben hat sich ihr gegenüber mies verhalten. Jede Frau würde so reagieren wie sie.”
“Hmm.” Er nahm ihre Hand und gab ihr einen Kuss auf die Innenfläche, der sofort besänftigend wirkte. “Erinnere mich daran, dass ich dir nicht in die Quere komme.”
Der Wind hatte wieder zu wehen begonnen und erfüllte die Luft mit dem Aroma von Orangenblüten der Bäume, die in ihrer Nähe standen. “Was machen wir jetzt?” fragte Julia, als sie zurück zum Landrover gingen.
Steve holte bereits sein Mobiltelefon aus der Tasche. “Das ist eine einfache Übung. Wir rufen Tim in New York an und warten, was er über Ian McDermott und Ben Rosenthal in Erfahrung bringen kann.”
“Kann er das?”
Er tippte die Nummer seines Verlegers ein und wartete. “Du darfst nie die Macht einer Großstadtzeitung unterschätzen.” Tims Sekretärin meldete sich und stellte ihn durch. “Und während wir warten, können wir zu einem dieser kleinen Cabanas fahren, die wir auf dem Hinweg gesehen haben, und vielleicht am Strand picknicken. Wie klingt das?”
Sie lächelte. “Sehr romantisch.”
Zum Cabana gehörten eine überdachte Terrasse, ein Jacuzzi und ein kleiner privater Strandabschnitt. Julia saß auf dem Badetuch, das Steve auf den warmen Sand gelegt hatte, und sah erfreut zu, wie er kleine Behälter aus einem Picknickkorb nahm.
“Wann hast du denn dafür Zeit gefunden?”
“Habe ich nicht. Ich habe mit der Dame am Empfang gesprochen und sie gebeten, den besten Catering-Service der Stadt anzurufen. Alles Weitere hat sie erledigt.”
Er begann, die Deckel zu öffnen. “Wir haben Paté de Campagne”, sagte er in nahezu fehlerfreiem Französisch. “Einen Gurkensalat mit Minze, kalten Lachs in Sauce Ravigote, gegrillte Zucchini, ein frisch gebackenes Baguette und als krönenden Abschluss Erdbeeren Benedictine.”
Sie lachte erstaunt. “Das ist mein Lieblingsnachtisch. Es gibt nichts Leckereres.”
“Ich weiß. Penny hat es mir verraten.”
“Du hast Penny angerufen?”
Er drehte den Korkenzieher in die Flasche Sancerre und begann zu ziehen. “Wenn man jemanden beeindrucken will, muss man alle Register ziehen.”
“Das hat noch niemand für mich getan.”
Der Korken kam mit einem leisen Knall heraus. “Dann bin ich sehr froh, dass ich der Erste bin.” Er nahm eine große und sehr reife Erdbeere und ließ Julia davon abbeißen, um dann den Saft aus ihrem Mundwinkel zu lecken. “Ich liebe es, wenn du lächelst”, sagte er.
Wieder lachte sie. “Wenn du so weitermachst, werde ich noch viel öfter lächeln.”
“Daran könnte ich mich gewöhnen.”
Während aus den Lautsprechern leise R&B-Musik erklang, aßen und lachten sie. Eine Zeit lang konnte Julia sogar vergessen, dass irgendwo da draußen ein Killer unterwegs war und ihr vielleicht auflauerte.
Sie machten sich gerade über die Erdbeeren her, als sie aus der Ferne Donner grollen hörten.
“Willst du nach drinnen gehen, bevor wir völlig durchnässt sind?” fragte Steve.
Julia schüttelte den Kopf und sah hinaus aufs Meer. “Lass uns noch eine Weile warten. Hier draußen ist es so schön. Außerdem beobachte ich gerne den Ozean, wenn ein Unwetter heranzieht. Eine wütende See wirkt auf mich irgendwie erschreckend und anziehend zugleich.”
“Stimmt.” Steve starrte auf die Weite des Meeres vor ihnen. “Darum habe ich mich entschlossen, auf dem Wasser zu leben. Ich fühle mich auch so davon angezogen.”
Sie nippte an ihrem Wein. “Fehlt dir New York denn gar nicht?”
Er sah fort. “Nein.” Bevor sie weitere Fragen stellen konnte, zuckte über ihnen ein Blitz über den Himmel, direkt gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donner. Julia fuhr zusammen. Im gleichen Moment fielen die ersten dicken Regentropfen vom Himmel und schlugen winzige Krater in den Sand.
“Oh, oh.” Steve stand auf und zog Julia hoch. “Jetzt müssen wir rennen.”
Schnell warfen sie die Reste ihres Festmahls in den Picknickkorb, packten das Badetuch und liefen los. Fast gleichzeitig setzte ein Wolkenbruch ein.
Als sie die Terrasse erreicht hatten, ließ Julia das Badetuch auf den Boden fallen, lehnte sich gegen die Wand, während sie lachte und nach Luft schnappte. “Eine Sekunde länger, und wir hätten zurück schwimmen müssen.”
Während sich Steve zu ihr umdrehte, betrachtete Julia ihn und genoss die Art, wie sein weißes Baumwollhemd nass an seinem Körper klebte. Durch den voll gesogenen Stoff konnte sie seine Haut und die dunklen Brusthaare sehen.
Er war ein Mann, und er strahlte Leidenschaft aus, und sie wollte ihn, jetzt und hier. Als sich ihre Blicke trafen, erkannte sie in seinen Augen das gleiche Verlangen. Sie musste nur auf ihn zugehen, um zu sehen, dass aus Verlangen ungezügelte Leidenschaft wurde.
Sie berührte sein nasses Gesicht, ihre Finger wanderten über seine Wangen, seine Lippen, sein Kinn.
“Denkst du, was ich denke?” fragte er mit rauer Stimme.
“Hmm, kommt drauf an, was du denkst.”
“Ich denke daran, wie sehr ich mit dir schlafen möchte.”
Vom Wein übermütig geworden, fasste sie sein Hemd und zog ihn an sich. “Und worauf wartest du dann noch?”
Bevor er antworten konnte, drückte sie ihren Mund auf seinen. Ihr Kopf drehte sich ein wenig, als sie ihre Finger in seine Schultern und ihre Nägel durch den Stoff hindurch ins Fleisch bohrte. “Ich will dich auch”, flüsterte sie ihm zu. “Merkst du das nicht?” Lachend öffnete sie seinen Gürtel, zog den Reißverschluss nach unten und schob seine Jeans über seine schlanken Hüften.
Er reagierte prompt, indem er ihr Kleid hochschob und ihre feuchten Schenkel liebkoste. “Du machst mich verrückt, Julia.”
Sie griff ihm ins Haar. “Ich mag es, wenn ich Männer verrückt mache.”
Als würde er ihr Verlangen spüren, ließ Steve seine Hände unter ihren Po gleiten und hob sie hoch, während sie ihre Beine um ihn legte.
Diesmal bestimmte sie das Tempo, presste ihren Körper gegen seinen, forderte ihn und rief seinen Namen, während sie sich an seinen Schultern festklammerte.
Und dann fühlte sie es, eine Hitze, die so intensiv war, so explosiv, dass sie sie vom Kopf bis zu den Zehenspitzen durchzuckte und ihr die Sicht nahm. Den Kopf an seine Schulter gepresst, schrie sie seinen Namen noch ein weiteres Mal, dann verharrte sie entkräftet in ihrer Position, während sie darauf wartete, dass die Erregung abebbte und sie wieder normal atmen konnte.