28. KAPITEL
Steve war erstaunt, dass der bloße Anblick von Julia, die neben ihm lag und schlief, ihn immer noch erregte, obwohl sie sich die halbe Nacht durch geliebt hatten. Er wusste, dass nicht viel erforderlich war, um sie zu wecken, also ließ er einen Finger zwischen ihren Brüsten umherwandern, und lächelte, als er sah, dass sie sich regte.
Sie öffnete ein Auge und lächelte. “Schon wieder?”
“Überzeug mich vom Gegenteil.”
Er drehte sie bereits zu sich herüber, als das Telefon klingelte. Als er es ignorierte, rüttelte Julia ihn sanft. “Steve, dein Telefon.”
“Lass es klingeln.” Er nahm eine Brustwarze in den Mund.
Julia seufzte und schloss die Augen. “Es könnte Tim sein.”
Er ließ seinen Kopf auf ihren Oberkörper sinken. “Der Kerl hat immer ein lausiges Timing.”
Steve griff nach dem Nachttisch und nahm das Handy. “Ja?”
“Was ist denn los mit dir?” fragte Malloy fast fünftausend Kilometer entfernt. “Du hörst dich an wie nach dem New-York-Marathon.”
Steve zwinkerte Julia zu, die reagierte, indem sie sich in seine Arme kuschelte. “Nichts so Lahmes, das kann ich dir versichern.” Er hielt das Telefon ans andere Ohr und legte einen Arm um Julia. “Was hast du herausgefunden?”
“Einiges. Meinen Quellen zufolge ist – oder besser gesagt: war – Ian McDermott ein bekannter und wohlhabender Bootsbauer. Vor dreizehn Jahren hat er sein Geschäft verkauft und sich nach Point Cobra zurückgezogen, so etwa fünfzehn Kilometer nördlich von Monterey. Da züchtet er seitdem Orchideen.”
“Irgendeine Verbindung zu Gleic Éire?”
“Wir haben nichts gefunden, aber meine Leute suchen noch. Allem Anschein nach ist der Mann okay, ein aufrechter Bürger und so weiter und so fort.”
Steve wickelte eine blonde Locke um seinen Finger. “Höre ich da einen Zweifel?”
“Ach, du kennst mich doch. Mir gefällt das nicht, wenn sich alles hübsch zusammenfügt. Aber wie gesagt, wir forschen noch nach. In ein paar Tagen sollte ich mehr wissen.”
“Was ist mit dem Neffen?”
“Der Neffe”, sagte Malloy mit unüberhörbarer Befriedigung, “hat eine ziemlich bemerkenswerte Vergangenheit.”
Steve hörte auf, mit Julias Haaren zu spielen. “Was heißt das?”
“Er ist der Polizei bekannt. Überwiegend Einbruchsdiebstahl und Diebstahl, alles vor seinem sechzehnten Lebensjahr. Sein Onkel hat ihn immer wieder vor dem Jugendgericht bewahrt, indem er den Opfern das Diebesgut zurückgegeben und eine saftige Entschädigung gezahlt hat. Vor sieben Jahren wurde er erneut festgenommen, aber die Anklage wurde kurz darauf fallen gelassen.”
“Wieso das?”
“Die Frau, die er angeblich beraubt hatte, eine saudi-arabische Prinzessin, erklärte, ihre Rubinhalskette befinde sich immer noch in ihrem Safe unter einem großen Berg Bargeld.”
“Glück für Ben. Sonst noch was?”
“Nichts. Seitdem scheint er sich benommen zu haben.”
“Danke, Tim. Wir bleiben in Kontakt.”
Nachdem er aufgelegt hatte, sah Julia ihn an. “Und? Was hat er gesagt?”
“Später.” Er bewegte seinen Mund wieder auf Julias Busen zu. “Wo waren wir stehen geblieben?”
Steve und Julia brauchten fast zwei Stunden, um die Information zu bekommen, nach der sie suchten. Mit Bens Foto hatten sie sich daran gemacht, die zahlreichen Hotels und Gasthäuser in und um Monterey aufzusuchen, um dann ihre Suche auf Pacific Grove, Carmel und Sand City auszudehnen.
Elf Häuser hatten sie schon überprüft, als die Empfangsdame im “Hidden Oak Inn” in Sand City sich an Ben erinnerte. “Er hat für die komplette Woche bar bezahlt”, sagte sie, während sie auf den Computermonitor sah. “Er ist aber nur drei Nächte geblieben.”
“Wann hat er eingecheckt?” fragte Steve.
“Am 15. Juni nachmittags.”
“Hat er jemanden angerufen?”
Wieder blickte sie auf den Monitor. “Nein.”
“Wurde er angerufen?”
Sie schüttelte den Kopf.
“Tja”, sagte Steve, während er und Julia das abgelegene Gasthaus verließen. “Wir wissen, dass Ben Rosenthal zur Zeit des Einbruchs in der Gegend war.”
“Ich verstehe das nicht. Warum hat er nicht bei seinem Onkel gewohnt?”
Steve grinste sie schief an. “Warum fragen wir ihn nicht persönlich?”
Von einer unerklärlichen Unruhe erfasst, füllte McDermott dunkle, schwere Erde in einen Blumentopf und überlegte, dass seinen angegriffenen Nerven mit einem ausgiebigen, heißen Bad besser gedient gewesen wäre.
Der Anruf von Steve Reyes und dessen Bitte, sich mit ihm über Ben zu unterhalten, hatte ihn schwer getroffen. Wie hatte der Reporter Ben aufspüren können? Und welche Art von Information wollte er von ihm bekommen?
Das waren Fragen, von denen Reyes versprochen hatte, sie ihm zu beantworten, wenn sie sich trafen, vorausgesetzt, McDermott war damit einverstanden.
Als ob ich eine andere Wahl gehabt hätte, dachte er und warf eine Hand voll Erde auf die Arbeitsplatte. Hätte er ihn abgewiesen, mit welcher Entschuldigung auch immer, dann wäre das höchst verdächtig gewesen. Und das konnte er sich nicht leisten.
Er wartete, bis seine Verärgerung nachgelassen hatte. Was ihm noch fehlte, war, dass Steve Reyes seine Besorgnis wahrnahm. Es war unbedingt notwendig, dass er bis zum Eintreffen von Reyes und Julia Bradshaw seine Gefühle wieder völlig unter Kontrolle hatte.
Als er sich endlich etwas ruhiger fühlte, ging er hinüber zur Wand, wo er den Handstaubsauger montiert hatte, und begann, die Unordnung zu beseitigen, die er selbst gemacht hatte.
Auch wenn ihm Steves Bitte um ein Gespräch offensichtlich Sorgen bereitet hatte, lud Ian McDermott ihn und Julia dennoch in sein Haus in Point Cobra ein.
Die luxuriöse Villa im mediterranen Stil lag hoch in einem majestätischen fünf Hektar großen Hügelgebiet und wurde im Osten von den Gabiland Mountains, im Westen vom Pazifik und im Süden von einem dichten Zypressenhain umgeben, der gleich hinter dem Gewächshaus begann.
Ein höflicher, aber ausdrucksloser Butler in weißem Jackett und schwarzer Hose öffnete die Tür. Die Sandalen, die der kleine Mann trug, gaben kein Geräusch von sich, während er Julia und Steve zum Gewächshaus führte, wo Ian McDermott auf sie wartete.
Auf dem Weg dorthin bemerkte Steves geübtes Auge auf dem vom Regen aufgeweichten Boden zwei Paar Reifenspuren, die von der Vorderseite des Hauses bis zu den Garagen führte. Eine dritte Spur verlief weiter in südlicher Richtung in den Zypressenhain.
“Ah, Mrs. Bradshaw”, sagte Ian McDermott, als sie eintraten. “Und Mr. Reyes. Bitte, kommen Sie doch herein.”
Ihr Gastgeber war kleiner, als Steve sich vorgestellt hatte, doch was ihm an Größe fehlte, machte er mit Muskeln wieder wett. Der Gedanke, dass McDermott der Angreifer hätte sein können, war schnell wieder verschwunden. Der Eindringling war kräftig gebaut gewesen, aber auch viel größer.
“Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn wir uns hier unterhalten, oder?” fragte McDermott, während er eine ausholende Geste machte. “Eine meiner Pflanzen hat sich ein Virus zugezogen, und ich möchte sicher sein, dass sich die Erkrankung nicht auf die anderen überträgt.”
“Kein Problem”, erwiderte Steve. “Es ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. McDermott, dass wir herkommen durften.” Er betrachtete die Fülle von Pflanzen, allesamt Orchideen, und wünschte sich, sie hätten sich woanders getroffen. In der extrem feuchten Umgebung war der widerliche Geruch fast übelkeiterregend.
McDermotts Blick ruhte eine Weile auf Julia, bevor er sich wieder Steve zuwandte. “Sie haben am Telefon gesagt, dass Sie meinen Neffen suchen. Darf ich fragen, warum?”
“Nach unseren Informationen könnte er etwas wissen über einen Angriff auf Mrs. Bradshaw vor wenigen Tagen.”
Perplex sah McDermott zu Julia. “Informationen welcher Art denn?”
“Bens Wagen ist in der Straße gesehen worden, in der ich wohne. Vor dem Einbruch hat er zwei volle Tage dort gestanden”, sagte Julia. “Danach ist er verschwunden.” Während McDermott sie weiter ansah, fragte sie: “Sie haben doch von dem Einbruch gehört, oder? Und dass ich mit einer Waffe bedroht wurde?”
“Davon habe ich gehört. Das tut mir auch sehr Leid.” Er schüttelte den Kopf, als könne er nicht den Zusammenhang erkennen, auf den sie hinauswollte. “Und Sie denken, Ben … er soll bei Ihnen eingebrochen und Sie bedroht haben? Wollen Sie das etwa sagen?”
“Wir werfen ihm nichts vor”, mischte sich Steve ein. “Aber sein Wagen wurde auf der Via del Rey gesehen.” Er versuchte, so harmlos wie möglich zu klingen. “Darum würden wir gerne mit ihm sprechen und seine Version hören. Vielleicht hat er etwas oder jemanden bemerkt.”
“Ich verstehe.” McDermotts klare blaue Augen ruhten nun wieder auf Steve, bevor sie sich auf die Pflanze richteten, mit der er sich zuvor beschäftigt hatte. “Sind Sie sicher, dass es Bens Wagen war, den Sie gesehen haben?”
“Wir haben den Wagen nicht gesehen”, erwiderte Steve, “sondern ein Nachbar.” Er lehnte sich lässig gegen die Arbeitsplatte und beobachtete McDermott, der die Unterseite eines Blatts untersuchte. “Wir haben ihn dank eines Parkaufklebers bis zum Santa Barbara College zurückverfolgt”, erklärte er. “Die Verwaltung hat uns Bens Adresse auf dem Campus gegeben, und von seiner Freundin haben wir erfahren, dass er vorzeitig und mit unbekanntem Ziel abgereist war.”
McDermott ging zur nächsten Pflanze weiter und wiederholte bei jedem Blatt die Untersuchung. “Er könnte seinen Wagen auch einem Freund geliehen haben. Das macht er oft, müssen Sie wissen.”
“Aus dem Grund habe ich in verschiedenen Hotels in und um Monterey nachgefragt und erfahren, dass er am Nachmittag des 15. Juni ein Zimmer im Hidden Oak Inn in Sand City genommen hatte und nach dem 18. Juni nicht mehr gesehen wurde, obwohl er für eine komplette Woche im Voraus bezahlt hat. Bar.”
Als sich McDermott zu ihm umsah, hatte Steve das Gefühl, in den Augen des Mannes eine Spur von Bewunderung zu erkennen, war sich aber nicht sicher.
“Sie sind recht findig, Mr. Reyes”, sagte er, während er sich aufrichtete. “Und offensichtlich auch sehr gründlich. Aber ich bin fast sicher, dass man sich im Hidden Oak Inn geirrt hat. Erstens würde Ben nicht in diese Gegend kommen, ohne es mich wissen zu lassen. Zweitens hat er keinen Grund, irgendwo einzubrechen. Seine Eltern haben ihm ein ansehnliches Vermögen hinterlassen …”
“Er wollte kein Geld”, unterbrach ihn Julia.
“Nicht?” Er hob eine Augenbraue. “Was wollte er dann?”
“Eine Kassette.” Steve beugte sich über eine Blüte, als würde er an ihr riechen wollen. “Eine Audiokassette, die Mrs. Bradshaws Exmann hinterlassen hat. Er drohte sogar, sie umzubringen, wenn sie ihm nicht sagen würde, wo das Band versteckt ist.”
Bei diesen Worten vergaß McDermott seine Pflanzen und sah recht betroffen aus. “Das muss ein Irrtum sein, Mr. Reyes. Warum sollte Ben eine Kassette haben wollen?”
Es konnte nicht schaden, allmählich etwas direkter zur Sache zu kommen. “Hat sich Ihr Neffe jemals mit Ihnen über die Nordirlandpolitik unterhalten, Mr. McDermott?”
“Nordirlandpolitik?” Diesmal stand McDermott ein echter Schock ins Gesicht geschrieben. “Großer Gott, wollen Sie unterstellen, dass mein Neffe in irgendeiner Weise mit irischen Terroristen in Verbindung steht?”
“Um genau zu sein, mit Gleic Éire”, sagte Steve.
“Gleic Éire?” McDermott schien Schwierigkeiten zu haben, den Namen auszusprechen. “Ist das nicht diese Gruppe, über die im Moment jeder redet?”
Steve nickte und sah ihn lange und eindringlich an. Entweder sprach der Kerl die Wahrheit, oder er war ein verdammt guter Schauspieler. Er beschloss, noch ein wenig stärker nachzubohren. “Ich möchte offen sein, Mr. McDermott. Bevor wir hergekommen sind, habe ich mir erlaubt, Bens Vergangenheit zu durchleuchten. Wenn ich das richtig sehe, ist er früher auch schon in Schwierigkeiten geraten, während seiner Zeit im Internat.”
McDermott seufzte bedauernd. “Darauf ist keiner von uns stolz, Mr. Reyes. Außerdem ist das lange her.”
“Aber die Anklagen lauteten doch auf Einbruch und Diebstahl, nicht wahr?” hakte Steve nach. “Und das gleich zweimal. Und beide Male ist es Ihnen gelungen, das Ganze zu vertuschen, indem Sie das Diebesgut zurückgegeben und den Opfern eine großzügige Entschädigung gezahlt haben.”
McDermott nickte traurig. “Ich gebe zu, dass ich eingeschritten bin.” Mit einem Blick zu Julia, als könne nur sie ihn verstehen, fügte er hinzu: “Das ist doch das, was Eltern machen, nicht wahr? Sie helfen und beschützen ihre Kinder. Und ich kann Ihnen versichern”, fügte er hinzu und wandte sich wieder Steve zu. “Ben ist für mich wie ein eigener Sohn.”
“Manchmal”, bemerkte Steve, “richten wir mehr Schaden an, als wir helfen, wenn wir unsere Kinder beschützen, anstatt sie zu disziplinieren.”
Die Bemerkung bewirkte bei McDermott ein zynisches Lächeln. “Haben Sie Kinder, Mr. Reyes?”
Es war dumm, wusste Steve, aber er hatte das sonderbare Gefühl, dass McDermott bereits die Antwort auf seine eigene Frage kannte. “Nein.”
“Aber Sie. Ich habe in der Zeitung gelesen, daß Sie einen Sohn haben.” Wieder fixierte McDermott Julia. “Darum können Sie das auch verstehen.” Er nahm ein Handtuch von der Arbeitsplatte und begann, seine Finger einen nach dem anderen langsam abzuwischen. “Ich will nicht gutheißen, was Ben in der Schule gemacht hat”, sagte er ruhig. “Aber es gibt eine Erklärung, wenn auch keine Rechtfertigung für sein Verhalten. Seine Eltern starben, als er vierzehn Jahre alt war, wissen Sie. Und bis dahin hatte der Junge jegliche Disziplin ausschließlich von Kindermädchen erfahren, die sich, krass ausgedrückt, einen Dreck darum scherten. Nach dem Tod von Lizzie kam Ben zu mir. Ich versuchte, ihm Werte zu vermitteln, aber …” Er schüttelte den Kopf und ließ den Satz unvollendet.
Während McDermotts Monolog hatte Steve aus dem Fenster gesehen. Diese dritte Reifenspur machte ihn misstrauisch. Es sah fast so aus, als hätte man einen Wagen in den Hain gefahren. Es sei denn, McDermott hatte dort aus irgendeinem Grund ein Boot abgestellt.
Seine Augen richteten sich wieder auf McDermott. “Ich habe gehört, dass Sie Bootsbauer sind, Mr. McDermott.”
Der plötzliche Themawechsel schien ihren Gastgeber nicht zu stören. “Das war ich”, berichtigte McDermott ihn. “Ich habe vor Jahren mein Geschäft verkauft, damit ich mehr Zeit mit meinen Orchideen verbringen kann.” Er lächelte. “Sind Sie ein Bootsfreund, Mr. Reyes?”
Da war es wieder, dieses seltsame Gefühl, dass der Mann mit ihm spielte. “Sehr sogar. Ich lebe auf einem Hausboot.”
Sofort war McDermotts Interesse geweckt. “Was haben Sie für ein Boot? Ein Gibson? Oder eine Sunstar?” Er sah Steve anerkennend an. “Sie sehen mir nach dem Sunstar-Typ aus.”
“Ich habe eine Kingscraft.”
“Ah, ein exzellentes Boot. Wo liegt es?”
“In Florida.” Steve widerstand der Versuchung, wieder aus dem Fenster zu sehen. “Und Sie? Wo ist Ihre beeindruckende Flotte?”
“Nirgends. Ich habe meine letzte Sea Ray vor einigen Jahren verkauft, als mir klar wurde, dass ich nicht mehr die Zeit hatte, um sie zu genießen.”
Der Verdacht, dass zwischen diesen Bäumen ein Wagen versteckt worden sein könnte, wurde mit jeder Minute stärker. “Kommen wir noch einmal zurück zu Ihrem Neffen”, sagte er beiläufig. “Ich hatte gehofft, Sie könnten uns sagen, wo er zu finden ist.”
“Ich fürchte, ich habe nicht die leiseste Ahnung. Wie ich gestern schon seiner Freundin erklärt habe, hat er sich bei mir seit Ostern nicht mehr gemeldet.”
“Kommt er denn im Sommer nicht nach Hause?” fragte Julia verwundert.
McDermott reagierte mit einem bedauernden Seufzer. “Kaum noch. So wie sein Vater ist Ben ein ziemlicher Abenteurer. Er reist gerne als Rucksacktourist durch Europa, erforscht entlegene Inseln, reist in den Himalaja zum Bergsteigen.”
“Und er ruft nie an?”
“Nur, wenn er etwas braucht.” Das nachsichtige Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück. “So sind Kinder nun mal, vermute ich.”
Er ließ das Handtuch auf die Arbeitsplatte fallen und sah auf seine Uhr, um unmissverständlich zu signalisieren, dass dieser Besuch beendet war. “Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen”, sagte er bedauernd. “Und wenn es nur darum gehen würde zu beweisen, dass mein Neffe mit dem Einbruch nichts zu tun hat.”
Ohne große Eile brachte McDermott sie aus dem Gewächshaus.
“Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas von Ben hören?” fragte Steve. “Ich wohne in der 'Hacienda'.”
“Ganz sicher. Auf Wiedersehen, Mr. Reyes.” Er drehte sich um zu Julia und verbeugte sich. “Mrs. Bradshaw.”
“Auf Wiedersehen, Mr. McDermott. Und vielen Dank.”
Mit den Händen auf dem Rücken verschränkt stand ihr Gastgeber in der Einfahrt und sah zu, wie sie abfuhren.
“Der arme Mann”, sagte Julia, als sie sich anschnallte. “Das muss ja schrecklich sein, wenn plötzlich zwei wildfremde Menschen vor ihm stehen und erzählen, dass sein Neffe in irgendwelche furchtbaren Machenschaften verwickelt sein könnte.”
Steve warf ihr einen flüchtigen Blick zu. “Der Kerl tut dir Leid?”
“Ein bisschen schon.”
“Warum?”
“Weil er seinen Neffen offensichtlich sehr liebt. Und er hat Recht. Ich verstehe, warum Eltern ihr Kind beschützen wollen.”
“Der Mann ist ein Lügner.”
“Und du bist ja so was von misstrauisch.” Julia streckte ihre Beine aus. “Hast du nicht gemerkt, dass der Mann unter diesem kühlen Äußeren von der Furcht geplagt wird, Ben könnte tatsächlich in die 'Hacienda' eingebrochen sein?”
Steve rollte mit den Augen. “Mann, er hat dir einen ganzen Haufen Lügen aufgetischt. Ich kann es nicht fassen, dass du so leichtgläubig bist.”
Beleidigt sah sie ihn an. “Warum bin ich leichtgläubig?”
“Weil der Mann lügt. Er versteckt Ben, Julia.”
“Wie kommst du denn darauf?”
“Nur so ein Gefühl.” Er wurde langsamer, damit ein Bussard, der vom Kadaver eines toten Vogels gefressen hatte, rechtzeitig wegfliegen konnte. “Und dann diese verdammten Reifenspuren.”
“Ich kann dir nicht folgen. Welche Reifenspuren?”
Steve lenkte den Wagen durch zwei aufeinander folgende scharfe Kurven. “Es gibt Reifenspuren, die zu den Garagen und zurück führen. Aber eine dritte Reifenspur verschwindet im Wald hinter dem Gewächshaus. Darum habe ich gefragt, ob er ein Boot hat. Ich dachte, er hätte es im Hain untergestellt, damit es nicht der Sonne ausgesetzt ist.”
“Und weil er kein Boot hat, meinst du, dass Bens Wagen dort steht?”
“Da bin ich sicher. Und ich bin genauso sicher, dass der Junge auf die eine oder andere Weise mit Gleic Éire in Verbindung zu bringen ist. Ich bin mir nur nicht sicher, in welcher Form.”
Julia betrachtete Steves Profil, das sie mittlerweile so gut kannte. Was hatte es mit dieser Gruppe bloß auf sich, dass sie so sehr an ihm zehrte? Ging es nur darum, gute Arbeit zu leisten? Das brennende Verlangen, den Fall zu lösen, den sonst niemand klären konnte? Als sie ihn jetzt so betrachtete, hatte seine Besessenheit mit Gleic Éire etwas … Persönliches.
“Wirst du Hammond davon erzählen?” fragte sie und erwartete fast, dass er verneinte, dass er die Sache auf eigene Faust lösen wollte. Aber er versetzte sie in Erstaunen.
“Da kannst du Gift drauf nehmen. Was wir über Ben herausgefunden haben, und dazu diese Reifenspuren …, das sollte für einen Durchsuchungsbefehl ausreichen.”
“Und wenn nicht?”
Steve bog auf den Highway ein. “Dann durchsuche ich den Zypressenhain alleine.”
Von seiner Terrasse aus hatte McDermott freie Sicht auf die gewundene Zufahrtsstraße. Er stand da und sah zu, wie der Landrover durch den unfruchtbaren Canyon fuhr.
Es begeisterte ihn, dass er endlich Steve Reyes von Angesicht zu Angesicht gegenübergetreten war, auch wenn ihm nun klar war, dass er den Reporter ganz massiv unterschätzt hatte. Obwohl er sieben Jahre lang nicht mehr für eine Zeitung gearbeitet hatte, hatte dieser Mann nichts verlernt. Allerdings machte das nicht wirklich einen Unterschied. Reyes' Besuch war kein Grund zur Beunruhigung gewesen. Auch wenn der unerschrockene Reporter mit seinen Vermutungen zur Polizei gehen sollte, würde nichts geschehen. Reyes hatte nichts in der Hand, um ihn mit dem Einbruch in Verbindung zu bringen. Und da Ben jetzt nicht mehr im Spiel war, würde nicht einmal ein Reporter vom Kaliber eines Steve Reyes die Wahrheit ans Licht bringen können.
Dass er Ben hatte töten müssen, war eine unerfreuliche Notwendigkeit gewesen. Einen ganz kurzen Augenblick lang hatte er mit dem Gedanken gespielt, ihn stattdessen auf irgendeine abgelegene Insel in der Karibik zu schicken. Der Junge gehörte schließlich zur Familie. Aber McDermott hasste offene Enden, vor allem, wenn es um etwas so Flatterhaftes wie Ben ging.
Zum Glück war es kein Problem gewesen, die Leiche zu beseitigen. Nachdem er Eanu losgeschickt hatte, um Besorgungen zu machen, hatte er zwei alte rostige Anker an dem Toten befestigt und ihn in ein Laken gewickelt. Das Anstrengendste war gewesen, ihn bis zum Rand der Klippe zu schleppen, von wo aus er ihn in die tosende See gestürzt hatte.
Da das Gebiet für seine starken und unberechenbaren Strömungen berüchtigt war, kam nie ein Boot in die Nähe von Point Cobra. So musste er sich keine Sorgen machen, dass neugierige Fischer den Toten entdeckten. Wenn es nicht schon längst geschehen war, dann würde Bens Körper in allernächster Zeit von hungrigen Fischen verspeist worden sein.
Der Wagen sollte ebenfalls kein Problem sein. Im Augenblick war er im Hain sicher versteckt. In ein oder zwei Tagen würde er anfangen, ihn in seine Einzelteile zu zerlegen und diese entweder zu verbrennen oder zu vergraben.
Das einzige potenzielle Problem war Eanu. Der treue Butler, der seit dreizehn Jahren in seinen Diensten stand, hatte im Laufe der Jahre eine enge Beziehung zu Ben entwickelt. Während er sonst ruhig und bescheiden war, hatte er doch nicht so schnell glauben wollen, dass Ben spontan abgereist war, ohne sich zu verabschieden.
McDermott dachte eine Weile nach. Vielleicht sollte er sich in ein bis zwei Wochen gegenüber Eanu lautstark Sorgen darüber machen, wo Ben abgeblieben sein mochte. Vielleicht würde er sogar die Polizei anrufen und seiner Besorgnis Ausdruck geben. Das war vielleicht ein riskanter Zug, aber der Herausforderung würde er sich stellen. Außerdem würde es später von ihm ablenken, wenn irgendjemand ein Verbrechen vermutete.
Im Augenblick war das fehlende Audioband die einzige wirkliche Gefahr. Die Suche nach dem verdammten Ding war so von Missgeschicken begleitet, dass er sich zu fragen begann, ob es überhaupt existierte.
Eine Minute später war der Landrover verschwunden. Zufrieden darüber, dass Reyes ihn nicht wieder belästigen würde, kehrte McDermott zurück ins Gewächshaus.