Thriller

Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski

Piper München Zürich

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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

4. Auflage 2009

ISBN 978-3-492-95010-7

© Daniel A. Wells 2009

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe:

© Piper Verlag GmbH, München 2009

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München  www.guter-punkt.despan>

Umschlagabbildung: Anke Koopmann  Guter Punktspan>

Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Für Rob, der mir die beste Anregung gab,

die ein kleiner Bruder überhaupt geben kann:

Er wurde vor mir veröffentlicht.

Ein Paar gezackter Scheren hätte ich sein sollen

Und über den schweigenden Meeresgrund huschen.

T. S. Eliot

Liebeslied des J. Alfred Prufrock

Mrs Anderson war tot.

Nits Spektakuläres, es war das Alter – sie ging eines Abends zu Be und stand am nästen Morgen

nit mehr auf. In den Nariten hieß es, sie sei friedli eingeslafen und würdevoll gestorben, was

im Prinzip wohl sogar zutri, aber die drei Tage, die vergingen, bis jemand merkte, dass sie son eine

Weile nit mehr aufgetaut war, nahmen ihren sterblien Überresten jeglie Würde. Sließli

saute Mrs Andersons Toter vorbei und fand die Leie, die milerweile stank wie ein überfahrenes

Tier. Das Slimmste war dabei nit einmal die Verwesung, sondern die Tatsae, dass es volle drei

Tage dauerte, bis jemand fragte: »Sag mal, wo stet eigentli die alte Dame, die da unten am Kanal

wohnt?« Das ist nicht besonders würdevoll.

Aber friedlich? Ganz sicher. Wie der Gerichtsmediziner erklärte, starb sie am 30. August im Schlaf, also

zwei Tage, bevor der Dämon Jeb Jolley die Eingeweide herausriss und ihn in einer Pfütze hinter dem

Wassalon liegen ließ. Damals wussten wir es no nit, aber Mrs Anderson sollte für ses Monate

der letzte Mens im Clayton County bleiben, der auf natürlie Weise gestorben war. Die anderen holte

der Dämon.

Na ja, die meisten jedenfalls. Alle bis auf einen.

Am Sonnabend, dem 2. September, bekamen wir Mrs Andersons Leie herein, nadem der

Geritsmediziner mit ihr fertig war – das heißt, i sollte wohl besser sagen, dass meine Muer und

Tante Margaret die Leie bekamen, nit i. Den beiden gehört das Bestaungsunternehmen. I bin

erst fünfzehn. Den Tag über hae i mi in der Stadt herumgetrieben und der Polizei zugesehen,

während sie das Chaos bei Jebs Leie aufgeräumt hae. Kurz vor Sonnenuntergang kehrte i zurü

und slüpe dur den Hintereingang ins Haus, denn i befürtete, dass meine Muer vorn im Büro

saß. Ich wollte ihr wirklich nicht begegnen.

Hinten in der Leienhalle war niemand außer mir und Mrs Andersons Leie. Sie lag, in Tüer

gehüllt, ganz still auf dem Tis und ro na verfaultem Fleis und Insektenspray. Der große

Ventilator, der si klappernd über mir drehte, half nit viel. I wus mir im Wasbeen leise die

Hände und fragte mi, wie viel Zeit mir no blieb. Dann berührte i vorsitig die Tote. Alte Haut

hae i am liebsten – sie war troen und runzlig und fühlte si an wie Pergament. Der

Geritsmediziner hae si keine große Mühe gegeben, Mrs Anderson zu säubern, was wahrseinli

daran lag, dass er mit Jeb so viel Arbeit hae, aber der Geru verriet mir, dass er wenigstens daran

gedat hae, die Insekten zu verniten. Na drei Tagen spätsommerlier Hitze hae es

wahrscheinlich eine ganze Menge von dem Viehzeug gegeben.

Jemand öffnete die Eingangstür der Leienhalle und trat ein, grün gekleidet wie ein Chirurg mit

Mundsutz. I zute zusammen, weil i date, es sei meine Muer, do die Frau warf mir nur

einen kurzen Blick zu und ging zu einem Vorratsschrank.

»Hallo, John«, sagte sie, während sie ein paar sterile Tüer zusammensute. Es war nit meine

Muer, sondern ihre Swester Margaret. Sie waren Zwillinge, und wenn sie Masken trugen, konnte i

sie kaum auseinanderhalten. Margarets Stimme klang ein wenig lebhaer und energiser. Vielleit lag

es daran, dass sie nie geheiratet hatte.

»Hallo, Margaret.« Ich zog mich einen Schritt zurück.

»Ron wird immer fauler.« Sie nahm eine Sprühflase mit einem Desinfektionsmiel in die Hand. »Er

hat sie nit einmal gesäubert, sondern einfa nur auf natürlien Tod befunden und sie

hierherbefördert. Mrs Anderson verdient wirkli etwas Besseres.« Dann wandte sie si an mi.

»Willst du einfach nur herumstehen, oder hilfst du mir?«

»Entschuldige.«

»Wasch dich vorher.«

Bereitwillig krempelte ich mir die Ärmel hoch und kehrte zum Waschbecken zurück.

»Ehrli«, fuhr sie fort, »i weiß gar nit, was sie da drüben im Büro des Geritsmediziners

überhaupt maen. Die haben ja nit gerade viel zu tun – wir halten uns mit dem Bestaungsinstitut

gerade eben über Wasser.«

»Jeb Jolley ist tot«, beritete i, während i mir die Hände abtronete. »Sie haben ihn heute

Morgen hinter dem Waschsalon gefunden.«

»Den Automeaniker?«, fragte Margaret nit mehr ganz so munter. »Das ist ja furtbar. Er war

jünger als ich. Was ist passiert?«

»Ermordet.« I nahm mir einen Mundsutz und eine Sürze vom Wandhaken. Der Dämon hae

ihn erwist, aber das wusste i no nit. Erst drei Monate später erfuhr i, dass es überhaupt einen

Dämon gab. Damals im August – es kommt mir jetzt vor, als sei das eine Ewigkeit her – hae no

niemand eine Vorstellung von den Sreen, die uns bevorstanden. »Sie daten, es sei vielleit ein

streunender Hund gewesen«, erzählte i Margaret. »Aber die Därme lagen neben ihm auf einem

Haufen.«

»Das ist ja furchtbar«, wiederholte Margaret.

»Da braust du dir keine Sorgen um das Gesä zu maen. Zwei Leien an einem Woenende,

das ist doch ein guter Schnitt.«

»Ma darüber keine Witze, John.« Sie sah mi streng an. »Der Tod ist eine traurige Angelegenheit,

auch wenn er uns hilft, die Hypothek abzutragen. Bist du so weit?«

»Ja.«

»Streck mal ihren Arm aus.«

I zog den reten Arm der Toten gerade und hielt ihn fest. Die Totenstarre mat eine Leie so

steif, dass man die Gliedmaßen kaum no bewegen kann, hält jedo nur etwa anderthalb Tage an. Die

Frau war allerdings son lange tot, und die Muskeln haen si wieder entspannt. Ihre Haut war

wäsern und das Fleis darunter wei wie Kuenteig. Margaret sprühte den Arm mit

Desinfektionsmittel ein und wischte ihn sacht mit einem Tuch ab.

Selbst wenn der Geritsmediziner seine Arbeit ordentli mat und die Leien säubert, wasen

wir sie no einmal gründli ab, bevor wir anfangen. Das Einbalsamieren ist ein langwieriger Prozess

und erfordert große Genauigkeit. Außerdem braucht man dazu eine saubere Grundlage.

»Es stinkt ganz schön«, sagte ich.

»Sie.«

»Sie stinkt ganz sön«, korrigierte i mi. Muer und Margaret beharrten unerbili darauf, dass

wir mit den Toten respektvoll umgingen. I hingegen hielt das für sinnlos. Ein Toter war keine Person

mehr, sondern nur ein lebloser Körper. Ein Ding.

»Ja, sie riet«, stimmte mir Margaret zu. »Die arme Frau. Häe man sie do nur früher gefunden.«

Sie blite zum Ventilator ho, der si langsam über uns drehte. »Hoffen wir, dass uns heute Abend

der Motor nit im Sti lässt.« Das sagte sie immer vor dem Einbalsamieren, es war fast wie ein

ritueller Gesang. Über uns quietschte unbeirrt der große Quirl.

»Das Bein«, sagte sie. I trat zum Fußende und zog das Bein gerade, damit Margaret es einsprühen

konnte. »Dreh di um.« I hielt das Bein fest und starrte die Wand an, während Margaret das Tu

hob und die Obersenkel wus. »Ein Gutes hat es ja«, fuhr sie fort. »I könnte ween, dass heute

oder morgen jede Witwe im County Besu bekommt. Jeder, der von Mrs Andersons Tod erfährt, will

sehen, wie es seiner eigenen Mutter geht. Das andere Bein.«

Um ein Haar häe i erwidert, dass dann vermutli au jeder, der von Jebs Tod erfuhr,

schnurstracks seinen Automechaniker aufsuchen müsste, aber Margaret mochte solche Scherze nicht.

Wir arbeiteten am Körper, vom Bein zum Arm, vom Arm zum Rumpf, vom Rumpf zum Kopf, bis die

ganze Leie abgesrubbt und desinfiziert war. Im Raum ro es na Tod und Seife. Endli warf

Margaret die Lappen in den Wäschekorb und holte die Sachen zum Einbalsamieren.

Son als kleiner Junge, bevor Dad abgehauen war, hae i meiner Muer in der Leienhalle

geholfen. Meine erste Aufgabe war die Reinigung der Kapelle gewesen. Alte Programmhee

einsammeln, Asenbeer leeren, den Fußboden saugen und andere Hilfsarbeiten verriten, die ein

Sesjähriger ohne Aufsit übernehmen konnte. Als i größer wurde, bekam i größere Auräge,

aber erst mit zehn dure i bei den wirkli coolen Saen wie dem Einbalsamieren mitmaen. Das

Einbalsamieren war … i weiß gar nit, wie i es besreiben soll. Es war, als spielte i mit einer

Riesenpuppe, die i ankleiden, baden und öffnen musste, um zu sehen, was im Innern stete. Einmal,

als i at war, beobatete i Muer dabei. I linste dur eine Tür, weil i das große Geheimnis

wissen wollte. Vermutli erkannte sie meine Beweggründe nit, als i in der folgenden Woe

meinen Teddy aufschnitt.

Margaret gab mir einen Baumwolltupfer, den i festhielt, während sie der Toten kleine Waebäuse

unter die Augenlider sob. Die Augäpfel fielen bereits in si zusammen und srumpen, weil sie

Flüssigkeit verloren. Die Wae hielt die Lider in der ritigen Lage für die Auahrung. So blieben die

Augenlider au geslossen, aber Margaret legte sierheitshalber immer no etwas Creme auf, um

die Feuchtigkeit zu halten und die Lider zu verkleben.

»Jetzt die Nadelpistole, John«, sagte sie. I legte die Wae weg und holte die Pistole vom Metalltis

an der Wand. Es war eine lange Metallröhre mit zwei Ösen für die Finger an der Seite, einer Spritze nit

unähnlich.

»Darf ich das dieses Mal machen?«

»Klar.« Sie zog die Oberlippe und die Wange der Toten zurück. »Genau hier.«

I setzte das Gerät san auf das Zahnfleis und presste eine kleine Nadel in den Knoen. Die Zähne

waren groß und gelb. Eine weitere Nadel kam in den Unterkiefer, dana spannten wir zwisen den

Stien einen Draht, der den Mund geslossen hielt. Zuletzt smierte Margaret etwas Creme auf ein

kleines Plastikpolster, das ähnli wie der Frutkeil einer Orange geformt war, und sob es in den

Mund, damit alles an Ort und Stelle blieb.

Nadem wir das Gesit behandelt haen, legten wir die Tote sorgfältig zuret, streten die Beine

und überkreuzten die Arme in der klassisen Haltung auf der Brust. Sobald das Formaldehyd in die

Muskeln eindringt, wird der Körper steif und sperrig. Deshalb muss man zuerst das Gesit behandeln,

denn die Angehörigen sollen keine entstellte Leiche ansehen müssen.

»Halt den Kopf fest«, sagte Margaret, und i legte gehorsam links und rets die Hände an die

Släfen der Toten, damit nits waelte. Margaret tastete unterdessen ein wenig über dem reten

Schlüsselbein umher, dann brachte sie der Toten am Halsansatz einen langen, nicht sehr tiefen Schnitt bei.

Wenn man Tote aufsneidet, fließt praktis kein Blut, denn sobald das Herz nit mehr slägt, fällt

der Dru ab, und das Blut sammelt si im Rüen der Toten. Da diese Leie länger als gewöhnli

herumgelegen hae, war ihr Oberkörper slaff und leer, während der Rüen verfärbt war wie ein

riesiger blauer Fle. Margaret fuhr mit einem kleinen Metallhaken in den Sni, zog zwei große Venen

heraus – nein, eigentli waren es eine Arterie und eine Vene – und legte mit Fäden Slingen darum.

Die Blutgefäße waren purpurn und gla, zwei elastise dunkle Slaufen, die si ein paar Zentimeter

aus dem Körper ziehen ließen und ansließend wieder hineinglien. Dana drehte Margaret si um

und bereitete die Pumpe vor.

Den meisten Mensen ist nit bewusst, wie viele versiedene Chemikalien zum Einbalsamieren

nötig sind, und wenn man sie einmal zu sehen bekommt, dann fallen vor allem die bunten Farben auf.

Jede Flase – das Formaldehyd, die gerinnungshemmenden Zusätze, die Ätzmiel und die anderen

Saen – hat eine eigene Farbe, die manmal sogar an Frutsa erinnert. Insgesamt ist die Reihe der

Flüssigkeiten bunt wie ein Bonbonladen. Margaret wählte die Chemikalien sorgfältig aus, als däte sie

über die Zutaten für eine Suppe na. Nit jeder Körper braute jede Chemikalie, und es war ebenso

sehr eine Kunst wie eine Wissensa, für jede Leie das ritige Rezept zu finden. Während sie si

damit besäigte, ließ i den Kopf los und nahm das Skalpell zur Hand. I dure nit immer die

Einsnie vornehmen, aber wenn i es tat, während Muer und Margaret nit hinsauten, bekam

ich eigentlich nie Ärger. Außerdem war ich ganz gut darin, was für mich sprach.

Margaret würde die freigelegte Arterie benutzen, um den Chemiecotail, den sie gerade ansetzte, in

den Körper zu pumpen. So konnten wir die alten Körperflüssigkeiten wie Blut und Wasser aus der

ebenfalls freigelegten Vene herauspressen und dur einen Slau zum Ablauf im Boden leiten.

Manmal wunderte i mi, dass letzten Endes alles im Abwasserkanal landete, aber ehrli gesagt,

wo sonst? Unser Abfall ist nit slimmer als alles andere da unten. I hielt die Arterie ruhig und

sni sie langsam auf, ohne sie völlig zu durtrennen. Als das Lo groß genug war, sob i eine

die Metallkanüle hinein. Die Arterie fühlte si wie ein dünner Gummislau an und war von

kleinen Muskeln und Kapillaren überzogen. Dana legte i die Metallröhre vorsitig auf die Brust der

Toten und mate einen ähnlien Einsni in die Vene. Dieses Mal brate i jedo einen Ansluss

an, der mit einem dursitigen Plastikslau verbunden war. Der Slau slängelte si bis zum

Abfluss im Fußboden. Zuletzt zog i die Fäden an, die Margaret um die Blutgefäße gelegt hae, um sie

abzubinden.

»Das sieht gut aus«, lobte mi Margaret, als sie die Pumpe auf dem Gestell zum Tis sob. Der

Apparat war auf Rädern montiert, damit er zur Seite gefahren werden konnte und nit störte. Jetzt aber

bekam er den Ehrenplatz mien im Raum, als Margaret den Slau mit der Kanüle verband, die i in

die Arterie eingeführt hae. Sie prüe kurz die Versiegelung, nite anerkennend und kippte die erste

Chemikalie – ein hell orangefarbenes Miel, um die Blutgerinnsel aufzulösen – oben in den Behälter der

Pumpe. Dann drüte sie auf einen Knopf, und die Pumpe erwate polternd zum Leben. Sie klapperte

wie ein eter Herzmuskel. Margaret beobatete sie genau und verstellte dabei einige Knöpfe, die

Dru und Geswindigkeit regelten. Ras stieg der Dru im Körper der Toten an, und bald darauf

verschwand dunkles dickes Blut im Abfluss.

»Wie geht’s in der Schule?« Margaret zog einen Gummihandschuh aus und kratzte sich am Kopf.

»Bin ja erst seit zwei Tagen da«, entgegnete ich. »In der ersten Woche passiert nicht viel.«

»Immerhin, es ist deine erste Woe auf der Highsool«, wandte sie ein. »Das muss do ziemli

aufregend sein.«

»Nein, eigentlich nicht«, antwortete ich.

Das Antigerinnungsmiel war fast dur, und nun goss Margaret einen hellblauen Festiger in die

Pumpe, damit die Blutgefäße bereit waren, das Formaldehyd aufzunehmen. »Hast du son neue

Freunde gefunden?«

»Ja«, erwiderte ich. »Im Sommer ist eine komplette Schule neu in die Stadt gekommen, deshalb hänge

i wunderbarerweise nit mehr mit den Leuten herum, die i son aus dem Kindergarten kenne, und

natürlich wollen sie sich alle mit dem verrückten Jungen anfreunden. Das ist wirklich klasse.«

»Du solltest dich nicht über dich selbst lustig machen.«

»Eigentlich habe ich mich eher über dich lustig gemacht.«

»Das solltest du au nit tun.« Margaret grinste leit. Sie holte weitere Chemikalien, die sie in den

Behälter kippte. Da die beiden vorbereitenden Miel inzwisen den Körper durspülten, miste sie

nun die eigentlie Einbalsamierungsflüssigkeit. Sie sollte die Feutigkeit halten und das Wasser wei

maen, damit das Gewebe nit answoll. Sie enthielt Konservierungsstoffe und keimtötende Miel,

damit der Körper in einem ansehnlien Zustand blieb (so gut das in diesem Stadium überhaupt no

mögli war), außerdem Färbemiel, die der Toten eine rosige, natürlie Hautfarbe verliehen. Der

Slüssel zu alledem ist natürli das Formaldehyd, ein starkes Gi, das alles im Körper abtötet, die

Muskeln härtet, die Organe konserviert und das eigentlie »Einbalsamieren« erledigt. Margaret gab

also einen ordentlien Suss Formaldehyd hinein, worauf ein sweres grünes Parfüm folgte, um den

steenden Geru zu überdeen. Im Behälter der Pumpe swappte jetzt eine knallbunte Pampe wie in

den Saautomaten einer Tankstelle. Margaret sloss den Deel und seute mi hinaus. Der

Ventilator war nit stark genug, um mit so starken Formaldehyddämpfen fertig zu werden. Inzwisen

war es völlig dunkel geworden, und die Stadt war still. I setzte mi auf die Hintertreppe, während

Margaret sich an die Wand lehnte und durch die offene Tür beobachtete, ob auch nichts schiefging.

»Hast du denn schon Hausaufgaben bekommen?«, fragte sie.

»I muss übers Woenende die Einführungen meiner Sulbüer lesen, wie es alle braven Süler

tun, und in Geschichte soll ich einen Aufsatz schreiben.«

Margaret musterte mi prüfend und gab si große Mühe, gelassen zu bleiben. Do sie presste die

Lippen zusammen und blinzelte nervös. I kannte sie son lange und wusste, dass sie si wegen

irgendetwas Sorgen machte.

»Welches Thema?«, fragte sie.

Ich ließ mir nichts anmerken. »Wichtige Gestalten der amerikanischen Geschichte.«

»Das wären dann beispielsweise George Washington oder Lincoln?«

»Ich hab den Aufsatz schon geschrieben.«

»Das ist gut«, sagte sie, aber es kam nit von Herzen. Sie swieg kurz, do dann gab sie jeglie

Zurühaltung auf. »Muss i raten, oder erzählst du mir freiwillig, über welen deiner Psyopathen

du geschrieben hast?«

»Sie sind nicht meine Psychopathen.«

»John …«

»Dennis Rader«, murmelte i und blite zur Straße. »Sie haben ihn erst vor ein paar Jahren

geschnappt. Deshalb fand ich es nett, weil es noch halbwegs aktuell ist.«

»John, Dennis Rader ist der BTK-Killer. Er ist ein Mörder. Du solltest große Gestalten besreiben,

keinen …«

»Der Lehrer wollte, dass wir uns mit bedeutenden Gestalten besäigen, nit mit großen

Staatsmännern. Also gelten au Verbreer«, erwiderte i. »Er nannte sogar John Wilkes Booth als

Beispiel.«

»Zwischen einem politischen Attentäter und einem Serienkiller besteht ein großer Unterschied.«

»I weiß«, antwortete i und sah sie wieder an. »Deshalb habe i ja über den Mörder

geschrieben.«

»Du bist wirkli ein kluger Junge«, sagte Margaret. »Das meine i ernst. Wahrseinli bist du der

einzige Süler, der mit seinem Aufsatz son fertig ist. Aber du kannst do nit … es ist nit normal,

John. Ich hatte wirklich gehofft, du würdest diese Besessenheit für Mörder irgendwann mal ablegen.«

»Keine einfachen Mörder«, widersprach ich. »Serienmörder.«

»Das unterseidet di vom Rest der Mensheit. Wir sehen da nämli keinen Untersied.« Damit

ging sie wieder hinein, um die Galle und das Gi und alle anderen Körperflüssigkeiten abzusaugen, bis

die Leiche sauber und rein war. Ich dagegen blieb draußen, starrte zum Himmel und wartete.

Ich wusste nicht worauf.

Wir bekamen Jeb Jolleys Leie weder an diesem no in den folgenden paar Tagen herein. Die ganze

Woe verbrate i in atemloser Erwartung und eilte jeden Namiag na Hause, um zu sehen, ob

sie son eingetroffen war. Es fühlte si an wie Weihnaten. Der Geritsmediziner hielt die Leie

allerdings länger fest als gewöhnli, um eine volle Autopsie durzuführen. Das bedeutete, dass er den

Toten aufsni und untersute, wie und wann er gestorben war und wer ihn umgebrat hae. Der

Clayton Daily brate jeden Tag etwas über den Todesfall und bestätigte sließli sogar, dass die

Polizei wegen Mordes ermielte. Ihrem ersten Eindru zufolge hae ein wildes Tier Jeb getötet, do es

gab anseinend mehrere Hinweise, na denen auf eine vorsätzlie Tat zu sließen war. Weler Art

diese Hinweise waren, verriet man natürli nit. Das war das sensationellste Ereignis, das es in meinem

ganzen Leben im Clayton County gegeben hatte.

Am Donnerstag bekamen wir unsere Gesitsaufsätze zurü. I hae die volle Punktzahl, und am

Rand stand: »Interessante Wahl!« Maxwell, der Typ, mit dem i o zusammen war, bekam zwei Punkte

Abzug wegen des geringen Umfangs und zwei weitere wegen sleter Retsreibung. Er hae nur

eine halbe Seite über Albert Einstein eingereicht und den Namen jedes Mal anders geschrieben.

»Über Einstein gibt es ja au nit viel zu sagen«, verteidigte si Max, als wir in der Cafeteria der

Sule in einer Ee saßen. »Er hat e = mc2 und die Atombombe entdet, und das war’s au son. I

bin froh, dass ich überhaupt eine halbe Seite zusammenbekommen habe.«

Eigentli konnte i Max nit besonders gut leiden, und das war fast das Normalste an mir, weil

au sonst niemand Max mote. Er war klein und ziemli di, trug eine Brille, benutzte einen

Inhalator und hatte jede Menge Kleidungsstücke aus zweiter Hand im Schrank. Außerdem war er vorlaut

und nervig und redete im Bruson der Überzeugung mit Vorliebe über Dinge, von denen er nits

verstand. Anders ausgedrüt, verhielt er si wie die Sulrowdys, ohne aber deren Körperkra oder

Charisma zu besitzen. Das alles passte mir gut, weil er obendrein eine Eigensa besaß, die i bei

Sulfreunden ganz besonders sätzte – er redete gern, und es war ihm egal, ob i ihm zuhörte oder

nit. Das war ein Teil meines Plans, möglist unauffällig zu bleiben. Allein waren wir ein verrüter

Junge, der mit si selbst redete, und ein anderer verrüter Junge, der mit überhaupt niemandem spra.

Zusammen waren wir zwei verrüte Jungs, die beinahe so etwas wie einen Dialog führten. Es war nit

viel, aber dadurch wirkten wir ein wenig normaler. Zweimal falsch ergibt einmal richtig.

Die Clayton Highsool war alt und fiel auseinander wie alles andere in der Stadt. Mit Bussen wurden

die Kinder aus dem ganzen County herkutsiert, sätzungsweise ein Driel der Süler kam von

Farmen und aus Orten jenseits der Stadtgrenze. Einigen Mitsülern war i no nie begegnet, weil es

mane der weit draußen lebenden Familien vorzogen, ihre Kinder daheim zu unterriten, bis diese die

Highsool besuen konnten, aber die meisten kannte i son aus dem Kindergarten. Na Clayton

kamen keine neuen Leute. Fremde fuhren auf dem Interstate vorbei und warfen einen flütigen Bli

auf die Stadt. Sie lag neben dem Highway und vergammelte wie ein totes Tier.

»Über wen hast du geschrieben?«, wollte Max wissen.

»Was?« Ich hatte gar nicht zugehört.

»I habe gefragt, über wen du deinen Aufsatz gesrieben hast«, wiederholte er. »I tippe auf John

Wayne.«

»Warum sollte ich mich für John Wayne entscheiden?«

»Weil du nach ihm benannt bist.«

Er hae ret – mein voller Name lautet John Wayne Cleaver. Meine Swester heißt Lauren Bacall

Cleaver. Mein Vater war ein großer Fan dieser alten Filme.

»Wenn man na jemandem benannt ist, heißt das nit, dass er au interessant ist«, widerspra i,

während i das Gedränge beobatete. »Warum hast du nit etwas über Maxwell House

geschrieben?«

»Ist das ein Mann?«, fragte Max. »Ich dachte, das sei eine Kaffeemarke.«

»Ich habe über Dennis Rader geschrieben. Er war der BTK-Killer.«

»Was ist das denn?«

»Bind, torture, kill – fesseln, foltern, töten«, erklärte i ihm. »Dennis Rader hat alle Briefe, die er an

die Medien schickte, mit BTK unterschrieben.«

»Das ist krank, Mann«, erwiderte Max. »Wie viele hat er denn umgebrat?« Anseinend fand er es

doch nicht so widerlich.

»Etwa zehn«, sagte ich. »Die Polizei ist noch nicht sicher.«

»Nur zehn? Das ist do gar nits. Du könntest son mehr als zehn töten, wenn du bloß eine Bank

ausraubst. Der Kerl, den du letztes Jahr in deinem Projekt behandelt hast, war viel besser.«

»Es kommt nit darauf an, wie viele Mensen jemand umbringt«, widerspra i, »und es ist au

nicht cool. Es ist falsch.«

»Warum redest du dann die ganze Zeit über solche Leute?«, wollte Max wissen.

»Weil false Saen interessant sind.« I war kaum no bei der Sae. Vor allem date i

darüber na, wie cool es wäre, eine Leie zu bekommen, an der man eine Autopsie vorgenommen

hatte.

»Du bist verrüt, Mann«, sagte Max und biss wieder in sein Sandwi. »Mehr kann i dazu nit

sagen. Eines Tages wirst du einen Haufen Leute umbringen. Wahrseinli sogar mehr als zehn, weil du

so ein Streber bist, und dann komme i ins Fernsehen und werde gefragt, ob i das son vorher

geahnt habe, und ich antworte: ›Und ob, ja, dieser Kerl war echt bekloppt.‹«

»Dann muss ich wohl dich zuerst umbringen«, entgegnete ich.

»Nee Idee.« Max late und züte seinen Inhalator. »I bin so ungefähr dein einziger Freund auf

der Welt. Du kannst mi nit umbringen.« Er verpasste si eine Prise und stete die Spraydose

wieder in die Tase. »Außerdem war mein Dad in der Army, und du bist ein dürrer Emo. Das möte

ich mal sehen, wie du das probierst.«

»Jeffrey Dahmer«, warf ich ein. Wieder hatte ich nur mit halbem Ohr zugehört.

»Was?«

»Mein Projekt im letzten Jahr hat si um Jeffrey Dahmer gedreht. Er war ein Kannibale, der mehrere

Köpfe im Kühlschrank aufbewahrte.«

»Jetzt erinnere i mi.« Max’ Bli verdüsterte si. »I habe von deinen Postern Albträume

bekommen. Das war krass.«

»Albträume sind gar nichts«, gab ich zurück. »Die Poster hat mir übrigens ein Therapeut geschenkt.«

I war son lange von Serienmördern fasziniert – um nit zu sagen besessen – gewesen. Aber erst

mein Aufsatz über Jeffrey Dahmer in der letzten Woe auf der Mielsule hae meine Muer und

meine Lehrer veranlasst, si Sorgen zu maen und mir eine erapie zu verordnen. Mein erapeut

war Dr. Ben Neblin, den i den ganzen Sommer über an jedem Miwomorgen aufgesut hae. Wir

haen über vieles geredet, etwa darüber, dass mein Vater nit mehr bei uns lebte und wie eine Leie

aussah oder wie sön ein Feuer war, aber meist haen si unsere Gespräe um Serienmörder gedreht.

Er hae zugegeben, dass ihm das ema nit behagte. Sein Unbehagen hae mi aber nit aualten

können. Meine Muer bezahlte die erapie, und i hae sonst kaum jemanden zum Reden, also

musste Neblin herhalten.

Mit Beginn des Suljahrs im Herbst haen wir die Sitzungen auf den Donnerstagnamiag verlegt.

Sobald meine letzte Stunde vorbei war, lud i mir den Rusa mit den viel zu vielen sweren

Büern auf und strampelte die ses Blos zu seinem Büro. Auf halbem Weg bog i jedo am alten

eater ab und slug einen Umweg ein. Der Wassalon war nur zwei Blos entfernt, und i wollte

an der Stelle vorbeifahren, wo Jeb getötet worden war.

Das Absperrband der Polizei war endli verswunden, und der Wassalon war geöffnet, aber leer.

In der Rüwand gab es nur ein einziges Fenster: klein, vergiert und gelb getönt. Vermutli die

Toilee. Den Platz hinter dem Gebäude konnte man von der Straße aus nit einsehen. Deshalb, so hieß

es in der Zeitung, gestalteten si die polizeilien Ermilungen swierig. Niemand hae den Angriff

gesehen oder gehört. Man nahm allerdings an, dass er um zehn Uhr abends stagefunden hae, als die

meisten Bars no geöffnet gewesen waren. Wahrseinli war Jeb auf dem Heimweg na dem

Besu in einem Lokal umgekommen. I renete damit, auf dem Asphalt mit Kreide gezeinete

Umrisse vorzufinden – einmal den Körper und dann den Haufen Innereien daneben. Do man hae den

ganzen Berei mit einem Hodrureiniger behandelt, und das Blut und der Kies waren restlos

verschwunden.

I lehnte mein Fahrrad an die Wand und ging gebüt langsam hin und her, um zu erkunden, ob es

no irgendwele Spuren gab. Der Asphalt lag im Saen, war kühl und, nadem die losen Steinen

weggespült waren, beinahe spiegelgla. Sogar einen Teil der Mauer hae man gesrubbt. Mit etwas

Phantasie konnte i mir leit vorstellen, wo die Leie gelegen hae. I kniete nieder, und als i den

Boden betratete, entdete i hier und dort ein paar purpurne Fleen, wo si das geronnene Blut

am Stein festgeklammert und dem Wasser widerstanden hatte.

Bald dana fand i au einen dunklen Kles, ungefähr so groß wie meine Hand, aber dunkler und

zäher als Blut. I kratzte mit dem Fingernagel darüber und stieß auf etwas, das si anfühlte wie feiger

Ruß, als häe jemand einen Holzkohlengrill nit ordentli gesäubert. I wiste mir die Finger an der

Hose ab und richtete mich auf.

Es war seltsam, an der Stelle zu stehen, wo jemand gestorben war. Auf der Straße fuhren langsam die

Autos vorbei, das Brummen war wegen der Mauern und der Entfernung etwas gedämp. I überlegte

mir, was hier gesehen war – woher Jeb gekommen war, wohin er gewollt und warum er diesen

Hinterhof als Abkürzung benutzt hae, wo er gestanden hae, als der Killer ihn angegriffen hae.

Vielleicht hatte er gefürchtet, zu spät zu einer Verabredung zu kommen, und war durch den Hof gelaufen,

um Zeit zu sparen, oder er war betrunken gewesen, hae gefährli geswankt und nit mehr genau

gewusst, wo er war. Vor meinem inneren Auge sah i sein rotes Gesit. Grinsend, weil er nits vom

lauernden Tod ahnte.

Au den Angreifer stellte i mir vor und überlegte – nur einen Moment lang –, wo i mi

verstet häe, wenn i hier jemanden häe töten wollen. Auf dem Hof gab es selbst am Tag viel

Saen. Der Zaun, die Mauern und der Boden bildeten seltsame Winkel. Vielleit hae der Mörder

hinter einem Zementklotz gewartet oder hinter einem Telefonmast gehockt. Ich stellte mir vor, wie er im

Dunkeln gelauert und mit sarfen Augen den betrunken stolpernden und wehrlosen Jeb beobatet

hatte.

War er hungrig gewesen? Oder zornig? Die ständig weselnden eorien der Polizei warfen nur no

mehr Fragen auf. Weler Angreifer konnte so brutal und do so überlegt zuslagen, dass die Hinweise

sowohl auf einen Menschen als auch auf ein Tier deuteten? Ich dachte an spitze Krallen und schimmernde

Zähne, die im Mondlit einen Körper so brutal zerfetzten, dass das Blut in hohem Bogen an die Wand

dahinter spritzte. Einen Teil der Wand hae man bis fast zum Da abgewasen. Ein Beleg für die

Wildheit des Angriffs.

I trieb mi no eine Weile herum und nahm nit ohne Suldgefühle alles begierig in mi auf.

Dr. Neblin würde na dem Grund meiner Verspätung fragen und mit mir simpfen, wenn i ihm

sagte, wo i gewesen war, aber darüber mate i mir keine Sorgen. Dadur, dass i hergekommen

war, hae i an den Grundlagen von etwas Größerem und Tieferem gekratzt und kleine Stüe aus

einer Mauer geslagen, die i nit durbreen dure. Hinter dieser Mauer lauerte ein Monster, und

i hae die Barriere extrastark gebaut, um es im Zaum zu halten. Jetzt regte und rete es si und

träumte unruhige Träume. Anseinend war nun ein neues Monster in der Stadt – würde es dur seine

Gegenwart dasjenige wecken, das ich versteckt hielt?

Zeit zu gehen. I kehrte zu meinem Fahrrad zurü und fuhr die letzten paar Blos bis zu Neblins

Praxis.

»Heute habe i eine meiner Regeln gebroen«, beritete i, während i dur das Rollo zur

Straße hinausblite. Wie in einer unordentlien Parade fuhren glänzende Autos vorbei. I spürte Dr.

Neblins aufmerksamen Blick im Nacken.

»Eine deiner eigenen Regeln?«, fragte er. Seine Stimme klang gleimütig und ruhig. Er war einer der

ruhigsten Mensen, die i je kennengelernt hae, aber andererseits war i meist mit Mom, Margaret

und Lauren zusammen. Seine Gelassenheit war einer der Gründe, warum ich ihn freiwillig aufsuchte.

»Ich habe Regeln«, sagte ich, »damit ich nichts … Falsches tue.«

»Kannst du ein Beispiel nennen?«

»Meinen Sie für die Dinge, die ich nicht falsch machen will, oder für meine Regeln?«

»Mich würde beides interessieren, aber du kannst beginnen, wo du willst.«

»Dann beginnen wir lieber mit den Dingen, die i vermeiden will«, entsied i. »Die Regeln sind ja

unverständlich, wenn Sie darüber nichts wissen.«

»In Ordnung.« I drehte mi wieder zu ihm um. Er war klein, weitgehend kahl und trug eine kleine

Brille mit runden Gläsern und einem dünnen swarzen Gestell. Immer lag ein Notizblo vor ihm, und

gelegentli srieb er etwas auf, wenn wir uns unterhielten. Das mate mi nervös, aber i dure

seine Notizen jederzeit sehen, wenn i wollte. Er srieb nie etwas wie »Was für ein Irrer« oder »Der

Burse ist verrüt«, sondern einfa nur Kleinigkeiten, die ihm halfen, si an unsere Gespräe zu

erinnern. I bin sier, dass er irgendwo au ein Bu hae, in dem »Was für ein Irrer« stand, aber das

hielt er unter Versluss. Falls er vorher keins besessen hae, war er na den ersten Sitzungen mit mir

sicher auf diese Idee gekommen.

»I glaube«, sagte i und beobatete sein Gesit genau, »das Sisal will, dass i ein

Serienkiller werde.«

Er zog eine Augenbraue hoch, nichts weiter. Ich sagte ja schon, dass er sehr ruhig war.

»Tja«, erwiderte er. »Offensitli bist du von Serienmördern fasziniert. Du hast vermutli mehr

über sie gelesen als jeder andere in der Stadt, mi selbst eingeslossen. Willst du denn wirkli ein

Serienkiller werden?«

»Natürli nit«, antwortete i. »I will ganz sier vermeiden, ein Serienkiller zu werden. I

weiß nur nicht, wie günstig meine Aussichten sind.«

»Also versust du unter anderem zu vermeiden – was denn? Haufenweise Mensen umzubringen?«

Er beäugte mi mit einem verslagenen Ausdru, was bedeutete, dass er einen Serz mate. Wenn

wir über swierige Dinge spraen, gab er o sarkastise Bemerkungen zum Besten. I glaube, das

war seine Art, mit seinen Ängsten umzugehen. Einmal, na meiner Silderung, wie i Sit um

Sit ein totes Erdhörnen seziert hae, waren sogar drei Serze naeinander gekommen, und er

hae beinahe gekiert. »Wenn du eine so witige Regel gebroen hast«, fuhr er nun fort, »dann muss

ich die Polizei einschalten, ob du nun mein Patient bist oder nicht.«

Die Gesetze über die Vertraulikeit zwisen Arzt und Patient hae er mir in einer unserer ersten

Sitzungen erklärt, als wir über Brandstiung gesproen haen. Wenn er der Ansit war, i häe ein

Verbreen begangen oder plante, eines zu begehen, oder wenn er glaubte, i sei eine reale Gefahr für

andere Mensen, dann war er na dem Gesetz verpflitet, die Behörden einzusalten. Außerdem

erlaubte ihm das Gesetz, alles, was i sagte, mit meiner Muer zu bespreen, ob er nun einen guten

Grund dazu hae oder nit. Im Sommer haen die beiden zahlreie Diskussionen geführt, und

anschließend hatte mir meine Mutter das Leben zur Hölle gemacht.

»Die Handlungen, die i vermeiden will, liegen ein paar Stufen niedriger als ein Mord«, sagte i.

»Serienkiller sind in gewisser Weise praktis immer die Sklaven ihrer eigenen Zwänge. Sie töten, weil

sie töten müssen, sie können si nit beherrsen. Da i nit bis zu diesem Punkt kommen will, habe

i Regeln für kleinere Dinge aufgestellt – etwa die, dass i keinen Mensen allzu lange beobaten

darf. Wenn i es do mal tue, dann bemühe i mi, den Betreffenden eine ganze Woe lang nit zu

beachten und nicht einmal mehr über ihn nachzudenken.«

»Demna hast du Regeln aufgestellt, die di an untergeordneten Verhaltensweisen von

Serienmördern hindern sollen«, sagte Neblin, »weil du den großen Taten so fern wie mögli bleiben

willst.«

»Genau.«

»Es ist interessant«, sagte er, »dass du das Wort Zwänge benutzt hast. Das klammert die Frage der

Verantwortung aus.«

»Aber ich rede doch über Verantwortung«, wandte ich ein. »Ich versuche ja, mich daran zu hindern.«

»Das ist ritig«, stimmte er zu, »und das ist bewundernswert. Andererseits hast du dieses Gesprä

mit der Bemerkung eingeleitet, das Sisal wolle di zu einem Serienmörder maen. Wenn du dir

sagst, es sei deine Bestimmung, ein Serienmörder zu werden, weist du dann nit der Verantwortung

aus, indem du dem Schicksal die Schuld gibst?«

»I sagte Sisal, weil es hier um mehr als eigenartige Verhaltensweisen geht«, erklärte i. »Es

gibt einige Aspekte in meinem Leben, die i nit kontrollieren kann und die si nur dur das

Schicksal erklären lassen.«

»Was denn zum Beispiel?«

»I trage den Namen eines Serienmörders«, sagte i. »John Wayne Gacy tötete in Chicago

dreiunddreißig Menschen und begrub die meisten unter seinem Haus.«

»Deine Eltern haben di nit na John Wayne Gacy benannt«, widerspra Neblin. »Ob du es

glaubst oder nicht, ich habe deine Mutter danach gefragt.«

»Wirklich?«

»I bin klüger, als man vermuten sollte«, sagte er. »Du musst au bedenken, dass eine einzige

zufällige Verbindung zu einem Serienmörder noch kein Schicksal formt.«

»Mein Vater hieß Sam«, fuhr i fort. »Damit bin i der Sohn des Sam – so nannte si der

Serienmörder in New York, der behauptete, ein Hund habe ihn veranlasst, die Menschen zu töten.«

»Damit hast du zwei zufällige Verbindungen zu Serienmördern«, antwortete er. »I muss zugeben,

dass dies ein wenig seltsam ist, vermag jedoch immer noch keine kosmische Verschwörung gegen dich zu

erkennen.«

»Mein Naname lautet Cleaver«, fuhr i fort. »I bin ein Hamesser. Wie viele Mensen kennen

Sie, die nach zwei Serienmördern und einer Mordwaffe benannt sind?«

Dr. Neblin rutste auf seinem Stuhl hin und her und tippte mit dem Sti auf das Notizpapier. Das

bedeutete, dass er angestrengt nadate. »John«, sagte er na einer Weile, »i wüsste gern, wele

Dinge di besonders ängstigen. Deshalb möte i zurüspringen und etwas betraten, das du vorhin

gesagt hast. Könntest du mir einige deiner Regeln beschreiben?«

»Über das Beobaten anderer Mensen habe i son etwas gesagt«, antwortete i. »Das ist eine

witige Regel. I beobate gern andere Mensen, aber i weiß, dass i mi zu sehr für sie

interessieren könnte, wenn i sie zu lange beobate – i könnte beginnen, ihnen zu folgen,

herausfinden, wohin sie gehen, mit wem sie reden und was in ihnen vorgeht. Vor ein paar Jahren wurde

mir bewusst, dass i ein Mäden auf der Sule regelret besaet habe – i bin ihr praktis

überallhin gefolgt. So etwas kann viel zu snell zu weit gehen, und deshalb habe i eine Regel

aufgestellt: Wenn ich jemanden zu lange beobachte, beachte ich ihn eine ganze Woche lang nicht.«

Neblin nite, unterbra mi aber nit. I war froh, dass er nit na dem Namen der

Mitsülerin fragte, denn i hae das Gefühl, bereits meine Regeln zu breen, wenn i nur über sie

sprach.

»Außerdem habe i eine Regel in Bezug auf Tiere«, fuhr i fort. »Sie erinnern si do an das

Erdhörnchen?«

Neblin läelte gequält. »I son, das Erdhörnen vermutli nit.« Seine nervösen Witze wurden

immer schlechter.

»Das war nit das einzige Mal«, sagte i. »Mein Dad hat früher im Garten Fallen für Erdhörnen

und Maulwürfe und so weiter aufgestellt, und es war meine Aufgabe, die Fallen jeden Morgen zu

überprüfen und mit einer Saufel alle Tiere zu erslagen, die no nit tot waren. Mit sieben habe i

angefangen, sie aufzusneiden, weil i wissen wollte, wie sie innen aussahen, aber damit habe i

aufgehört, als i mi für Serienmörder zu interessieren begann. Haben Sie son einmal von

Macdonalds Triade gehört?«

»Die drei Merkmale, die bei fünfundneunzig Prozent aller Serienmörder aureten«, erwiderte Dr.

Neblin. »Bettnässen, Pyromanie und Tierquälerei. Ich muss zugeben, dass alle drei auf dich zutreffen.«

»Das fand i mit at heraus«, fuhr i fort. »Was mir aber wirkli unter die Haut ging, war nit

die Tatsae, dass Tierquälerei ein Vorbote für gewalätiges Verhalten gegenüber Mensen sein könnte,

sondern vielmehr, dass i es bis dahin überhaupt nit für fals gehalten hae. I hae Tiere getötet

und zerlegt und dabei ungefähr die gleien Gefühle gehabt wie ein Kind, das mit Legosteinen spielt.

Irgendwie waren die Tiere für mi keine Lebewesen, sondern nur Spielzeuge gewesen, die i eben

benutzt hatte. Gegenstände und keine Geschöpfe.«

»Warum hast du damit aufgehört, obwohl du gar nit das Gefühl haest, dass es fals war?«, wollte

Dr. Neblin wissen.

»An diesem Punkt wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass i anders bin als die anderen«, erklärte

i. »I hae die ganze Zeit etwas getan, ohne mir etwas dabei zu denken, und auf einmal fand i

heraus, dass alle anderen Mensen es für abseuli hielten. Da wurde mir klar, dass i mi ändern

musste, und deshalb stellte ich Regeln auf. Die erste lautete: Quäl keine Tiere.«

»Töte sie nicht?«

»Tu ihnen überhaupt nits«, ergänzte i. »I wollte kein Haustier haben, i wollte auf der Straße

keine Hunde streieln und nit einmal ein Haus betreten, in dem ein Tier gehalten wird. I vermeide

jede Situation, die mich verleiten könnte, etwas Verbotenes zu tun.«

Neblin betrachtete mich eine Weile. »Gibt es noch weitere Regeln?«, fragte er.

»Wann immer i den Wuns verspüre, jemandem wehzutun«, sagte i, »mae i ihm ein

Kompliment. Wenn mir jemand wirkli auf die Nerven geht, bis i ihn so sehr hasse, dass i ihn

umbringen könnte, dann sage i etwas Nees und setze mein strahlendstes Läeln auf. Das zwingt

mi, freundlie Gedanken und keine bösen zu haben, und meistens verswinden die bösen Gedanken

dann wie von selbst.«

Wieder überlegte Neblin eine Weile, ehe er antwortete. »Liest du deshalb so viel über Serienkiller?«,

fragte er. »Weil du nit wie andere Mensen zwisen Ritig und Fals unterseiden kannst, willst

du herausfinden, was du vermeiden musst?«

Ich nickte. »Es ist natürlich auch ziemlich cool, so was zu lesen.«

Er machte sich Notizen.

»Welche Regel hast du heute gebrochen?«, fragte er.

»Ich bin zu der Stelle gegangen, wo Jeb Jolleys Leiche gefunden wurde«, erwiderte ich.

»I habe mi son gewundert, dass du ihn nit längst erwähnt hast«, sagte er. »Gibt es au eine

Regel, den Tatorten von Gewaltverbrechen fernzubleiben?«

»Eigentli nit. Deshalb konnte i au vor mir retfertigen, mir den Tatort anzusehen. I habe

keine bestimmte Regel gebrochen, aber ich habe gegen ihren Geist verstoßen.«

»Warum bist du hingegangen?«

»Weil dort jemand getötet wurde«, sagte ich. »Ich … ich musste es einfach sehen.«

»Warst du ein Sklave deiner Zwänge?«, fragte er.

»Das sollten Sie aber nicht gegen mich verwenden.«

»Mir bleibt nichts anderes übrig«, erwiderte Neblin. »Ich bin Therapeut.«

»In der Leienhalle sehe i ständig Tote«, fuhr i fort. »Das ist aber ganz in Ordnung. Mom und

Margaret arbeiten son seit Jahren dort und sind au keine Serienmörderinnen. I sehe eine Menge

lebendige und tote Mensen, war aber no nie Zeuge, wie ein lebendiger Mens si in einen Toten

verwandelte. Ich bin … neugierig.«

»Bietet dir der Sauplatz eines Verbreens die Möglikeit, dem Verbreen nahezukommen, ohne

es selbst zu begehen?«

»Ja«, gab ich zu.

»Hör mal, John.« Neblin beugte si vor. »Du zeigst, wie i zugeben muss, einige Aspekte des

Verhaltens eines Serienmörders. Sogar mehr, als i je bei einem Mensen beobatet habe. Dabei

darfst du jedo nit vergessen, dass diese Aspekte ledigli Hinweise darauf sind, was passieren

könnte, aber keine Vorhersage erlauben, dass es au passieren wird. Fünfundneunzig Prozent der

Serienmörder maen ins Be, legen Feuer und quälen Tiere, aber das heißt nit, dass fünfundneunzig

Prozent aller Kinder, die dies tun, zwangsläufig Serienmörder werden. Du hast immer die Möglikeit,

dein Sisal frei zu wählen, und du bist derjenige, der entseidet. Niemand sonst. Die Tatsae, dass

du dir Regeln aufgestellt hast und sie gewissenha befolgst, sagt viel über di und deinen Charakter aus.

Du bist ein guter Mensch, John.«

»I bin ein guter Mens, weil i weiß, wie gute Mensen si verhalten, und weil i sie kopiere«,

antwortete ich.

»Wenn du so gründli bist, wie du behauptest«, erklärte Neblin, »wird niemand jemals einen

Unterschied bemerken.«

»Aber wenn i mal nit gründli genug bin?« I blite aus dem Fenster. »Wer weiß, was dann

geschieht?«

Mom und i aßen in unserer Wohnung über der Leienhalle sweigend zu Abend. Die

Pizzasatel und der Fernseher ersetzten das Gemeinsasgefühl und die Gespräe einer eten

Beziehung. Gerade liefen die Simpsons. Es war Samstagabend, und wir haen Jebs Leie immer no

nit bekommen. Wenn die Polizei ihn no lange behielt, konnten wir ihn überhaupt nit mehr

einbalsamieren, sondern mussten ihn in einen Beutel stecken und sofort den Sargdeckel auflegen.

Mom und i waren uns nie einig, wele Pizza wir nehmen sollten, deshalb ließen wir sie immer in

der Mie teilen. Auf meiner Seite gab es Salami und Pilze, auf ihrer Peperoni. Sogar die Simpsons waren

ein Kompromiss. Da jeder Kanalwesel zu einem Streit geführt häe, ließen wir den Apparat einfa

laufen.

In der ersten Werbepause legte Mom die Hand auf die Fernbedienung, was gewöhnli bedeutete,

dass sie den Ton abschalten und über irgendetwas reden wollte – was wiederum zur Folge hätte, dass wir

uns streiten würden. Sie legte den Finger auf den Stumm-Knopf, ohne zu drüen. Wenn sie so lange

zögerte, ehe sie anfing, wollte sie vermutli über etwas wirkli Übles spreen. Dann aber zog sie die

Hand zurück, nahm sich ein Stück Pizza und biss ab.

So verfolgten wir angespannt den nästen Absni der Sendung, während wir son wussten, was

kommen würde, und unsere Angriffe planten. I spielte mit dem Gedanken, aufzustehen und mi unter

der Deung des Zeientrifilms zu verdrüen, aber damit häe i sie nur gequält. So kaute i

langsam und schaute wie betäubt zu, während Homer kreischend auf dem Bildschirm herumraste.

Dann kam die näste Werbeunterbreung, und dieses Mal verharrte der Finger meiner Muer nur

kurz über dem Knopf, ehe sie ihn drückte. Sie kaute, schluckte hinunter und legte los.

»Ich habe heute mit Dr. Neblin gesprochen«, begann sie.

Ich hatte mir schon gedacht, dass es damit zu tun hatte.

»Er meinte … also, er hat mir einiges höst Interessantes erzählt.« Sie blite unverwandt zum

Fernseher, zur Wand und zur Dee. Überallhin, nur nit in meine Ritung. »Mötest du mir etwas

sagen?«

»Danke, dass du mi zum erapeuten sist, und es tut mir leid, dass i überhaupt einen

Therapeuten brauche?«

»Sei nit so snippis, John. Vor uns liegen große Swierigkeiten, und i würde gern einen

großen Teil davon bewältigen, ehe wir schnippisch werden.«

I holte tief Lu und blite zum Fernseher. Die Simpsons liefen wieder, ohne Ton genauso hektis

wie sonst. »Was hat er denn gesagt?«

»Er meinte, dass du …« Jetzt blite sie mi an, das swarze Haar zurügekämmt, die grünen

Augen voller Sorgen. Sie war fast vierzig, ihrer Ansit na no ret jung, do an Abenden wie

diesem, wenn wir uns im fahlen Sein des Fernsehapparats strien, kam sie mir verhärmt und verlebt

vor. »Er sagte, du denkst darüber na, jemanden zu töten.« Sie häe mi nit ansehen sollen. Sie

häe mir nit so etwas sagen sollen, ohne von Gefühlen überwältigt zu werden. Wenigstens wurde sie

rot, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Das ist komis«, erwiderte i. »Das habe i nit gesagt. Bist du sier, dass er si ganz genau so

ausgedrückt hat?«

»Auf die Worte kommt es hier nit an«, beharrte sie. »Es ist kein Serz, John, es ist bierer Ernst.

Die … ich weiß nicht. Soll das wirklich so für uns enden? Du bist alles, was ich noch habe, John.«

»Tatsäli sagte i ihm, dass i strikte Regeln befolge, um dafür zu sorgen, dass i nits Falses

tue. I date, darüber könntest du di freuen, aber stadessen giest du mi an. Deshalb braue i

die Therapie.«

»Wie kann i über einen Sohn glüli sein, der Regeln braut, damit er niemanden umbringt?«,

gab sie zurü. »I bin au nit glüli darüber, dass mir ein Psyologe erklärt, mein Sohn sei ein

Soziopath. Ich bin nicht glücklich, wenn …«

»Sagte er, i sei ein Soziopath?« Das fand i irgendwie cool. I hae es immer vermutet, aber es

war nett, eine offizielle Diagnose zu bekommen.

»Antisoziale Persönlikeitsstörung«, bekräigte sie mit erhobener Stimme. »I hab’s

nachgeschlagen. Es ist eine Psychose.« Sie wandte sich ab. »Mein Sohn ist psychotisch.«

»APS wird vor allem als Mangel an Empathie definiert«, widerspra i. Au i hae es ein paar

Monate zuvor nageslagen. Empathie erlaubt den Mensen, Gefühle zu erkennen, wie die Ohren

Geräuse wahrnehmen. Ohne Empathie ist man emotional taub. »Es bedeutet, dass i keine

emotionale Verbindung zu anderen Mensen herstelle. I habe mi son gefragt, wann er darauf

herumhackt.«

»Woher weißt du das überhaupt?«, fragte sie. »Himmel, du bist erst fünfzehn, du solltest … i weiß

auch nicht. Mädchen anmachen oder Videospiele spielen.«

»Willst du einem Soziopathen raten, Mädchen anzumachen?«

»I sage dir, dass du kein Soziopath sein sollst«, erwiderte sie. »Nur weil du die ganze Zeit Trübsal

bläst, musst du no lange keine seelise Störung haben. Du bist einfa nur in der Pubertät, aber kein

Psyotiker. Tatsae ist do, dass dir ein Arzt nit einfa eine Entsuldigung für das Leben

sreiben kann. Du lebst in der gleien Welt wie alle anderen Mensen und hast genau wie alle

anderen eine Menge mit dieser Welt zu tun.«

Es war eine großartige Vorstellung und sierli sehr nützli, offiziell als Soziopath zu gelten.

Beispielsweise gab es dann keine nervigen Gruppenprojekte in der Schule mehr.

»I glaube, das ist alles meine Suld«, sagte sie. »I habe di in die Leienhalle gesleppt, als du

no klein warst, und dort hast du einen Saden fürs Leben bekommen. Was habe i mir nur dabei

gedacht?«

»Es liegt nit an der Leienhalle.« I sträubte mi heig gegen diesen Gedanken – das dure sie

mir nit wegnehmen. »Wie lange arbeitest du mit Margaret son dort? Ihr habt no niemanden

umgebracht.«

»Wir sind auch nicht psychotisch.«

»Jetzt verdrehst du alles«, erwiderte ich. »Erst behauptest du, die Leichenhalle habe mir einen Schaden

fürs Leben zugefügt, und jetzt sagst du, den Saden häe i nur erlien, weil i sowieso son einen

hatte. Wenn du so argumentierst, kann ich nicht gewinnen, ganz egal, was ich tue.«

»Du kannst eine ganze Menge tun, John. Das weißt du genau. Hör zum Beispiel auf, Aufsätze über

Serienmörder zu schreiben. Margaret erzählte mir, dass du es schon wieder getan hast.«

Margaret, du kleines Miststü. »I habe dafür die volle Punktzahl bekommen«, wandte i ein. »Der

Lehrer fand es gut.«

»Es nützt nichts, wenn du in etwas gut bist, in dem du nicht gut sein solltest«, erwiderte Mom.

»Das war im Gesitsunterrit«, wandte i ein. »Serienmörder sind ein Teil der Gesite,

ebenso wie Kriege, Rassismus und Völkermord. Irgendwie habe i es wohl versäumt, mi für den Kurs

Bitte nur lustige Geschichten einzutragen.«

»Wenn ich doch nur den Grund wüsste!«, seufzte sie.

»Den Grund wofür?«

»Warum du so von Serienmördern besessen bist.«

»Jeder hat irgendein Hobby.«

»John, das ist nicht witzig.«

»Weißt du, wer John Wayne Gacy ist?«, fragte ich.

»I weiß es«, antwortete sie und hob abwehrend die Hände. »Dank Dr. Neblin weiß i es. Häe i

dir bei alles in der Welt doch nur einen anderen Namen gegeben.«

»John Wayne Gacy war der erste Serienmörder, von dem i erfuhr«, sagte i. »Als i at war,

entdeckte ich meinen Namen neben dem Bild eines Clowns in einer Zeitschrift.«

»I habe di gerade eben gebeten, deine Besessenheit von Serienmördern abzulegen«, wehrte sie

ab. »Warum reden wir jetzt schon wieder darüber?«

»Weil du den Grund wissen wolltest«, erwiderte i. »I versue gerade, es dir zu erklären. I habe

das Bild gesehen und date, es sei ein Film über Clowns mit dem Sauspieler John Wayne. Dad hat mir

ja immer seine Cowboyfilme gezeigt. Dann stellte si aber heraus, dass John Wayne Gacy ein

Serienmörder war, der sich auf Partys als Clown verkleidete.«

»Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst«, sagte Mom.

Gern häe i ihr erklärt, was i meinte. Soziopathie bedeutet nit nur, emotional taub zu sein,

sondern man ist in dieser Hinsit au stumm. I kam mir vor wie die Figuren im Fernsehen, die

winkten und srien, aber es war kein Wort zu verstehen. Mom und i spraen offenbar völlig

verschiedene Sprachen, und es gab keine Kommunikation.

»Denk an die Cowboyfilme«, sagte i, na einem Strohhalm greifend. »Es ist immer das Gleie –

ein Cowboy mit weißem Hut reitet herum und ersießt Cowboys mit swarzen Hüten. Du erkennst

sofort, wer gut und wer böse ist, und weißt genau, was geschehen wird.«

»Und?«

»Wenn ein Cowboy jemanden tötet, zust du nit einmal zusammen, weil es jeden Tag gesieht.

Wenn aber ein Clown jemanden tötet, dann ist das neu, weil du es no nie gesehen hast. Du datest, er

sei einer von den Guten, do auf einmal tut er etwas Srelies, mit dem die normalen menslien

Gefühle überfordert sind, und dann dreht er si um und tut wieder etwas Gutes. Das ist faszinierend,

Mom. Es ist nicht verrückt, davon besessen zu sein. Es ist verrückt, wenn man es nicht ist.«

Mom starrte mich an.

»Dann sind Serienmörder so etwas wie Filmhelden?«, fragte sie.

»Das habe i nit behauptet«, entgegnete i. »Sie sind krank und verrüt und begehen

srelie Taten. I glaube aber nit, dass es automatis krank und verrüt ist, wenn man mehr

über sie erfahren will.«

»Es ist ein großer Unterschied, ob du etwas über sie erfahren willst oder glaubst, du könntest einer von

ihnen werden«, wandte Mom ein. »I mae dir keinen Vorwurf – i bin nit die beste Muer, und

Go weiß, dein Vater war no slimmer. Dr. Neblin sagt, du stellst für di selbst Regeln auf, damit du

unter keinen schlechten Einfluss gerätst.«

»Ja«, bestätigte ich. Endlich hörte sie zu und sah das Gute und nicht immer nur das Schlechte.

»I will dir helfen«, sagte sie. »Deshalb gibt es jetzt eine neue Regel: Du hilfst nit mehr in der

Leichenhalle.«

»Was?«

»Es ist nicht der richtige Aufenthaltsort für einen Jungen«, erklärte sie. »Du hättest niemals dort helfen

dürfen.«

»Aber ich …« Aber was? Was hätte ich einwenden können, ohne sie noch heftiger zu schockieren? ›Ich

braue die Leienhalle, weil i dort gefahrlos mit Toten in Berührung komme. Weil i zusehen kann,

wie die Körper si wie Blüten öffnen und zu mir spreen und mir erzählen, was sie wissen‹? Dann

hätte sie mich aus dem Haus geworfen.

Bevor i etwas sagen konnte, slug Moms Handy an. Es war eine bleerne elektronise Version

der Ouvertüre aus William Tell. Diesen Klingelton hae Mom für das Büro des Geritsmediziners

reserviert. Ein gesälier Anruf. Es gab nur einen Grund, weshalb der Geritsmediziner um 22.30

Uhr am Sonnabend anrief, und wir kannten ihn beide. Seufzend wühlte sie in ihrer Handtase na dem

Handy.

»Hallo, Ron«, meldete sie si. Pause. »Nein, son gut, wir waren sowieso gerade fertig.« Pause. »Ja,

das wissen wir. Wir haben damit gerenet.« Pause. »I bin in einer Minute unten, also ist mir egal,

wann Sie kommen können. Nein, kein Problem. Wir wussten ja beide über die Arbeitszeiten Beseid, als

wir uns für diesen Beruf entschieden.« Pause. »Ja, gut, und bis nachher dann.«

Mit einem Seufzer schaltete sie das Handy ab. »Du weißt vermutlich, worum es ging«, sagte sie.

»Die Polizei ist mit Jebs sterblichen Überresten fertig.«

»Sie bringen ihn in einer Viertelstunde«, sagte sie. »I muss jetzt runter. I … wir setzen diese

Diskussion später fort. Es tut mir alles sreli leid, John. Es häe so ein gemütlies Abendessen

werden können.«

Ich blickte zum Fernseher. Homer würgte gerade Bart.

»I will dir helfen«, sagte i. »Es ist son na zehn. Du bist die ganze Nat auf, wenn du es allein

machst.«

»Margaret hilft mir«, erwiderte sie.

»Dann dauert es fünf sta at Stunden – das ist immer no zu lange. Wenn i helfe, sind wir in drei

Stunden fertig.« I spra ruhig und gelassen. Sie dure mir nit alles wegnehmen, aber sie sollte au

nicht merken, wie wichtig es mir war.

»Der Tote ist in einem denkbar sleten Zustand, John. Er wurde zerfetzt. Es dauert lange, ihn

wieder zusammenzuflicken. Das ist kein angenehmer Anblick, und du bist ein Psychopath.«

»Autsch, Mom.«

Sie nahm ihre Handtase. »Entweder es mat dir was aus, dann solltest du nit mitkommen, oder

es macht dir nichts aus. Und das zeigt dann nur, dass ich dich niemals hätte mitnehmen dürfen.«

»Soll ich wirklich hier allein bleiben?«

»Du findest schon eine sinnvolle Beschäftigung«, wiegelte sie ab.

»Wir setzen einen Leinam wieder zusammen«, erwiderte i. »Gibt es etwas Konstruktiveres?« I

zute zusammen – swarzer Humor war sier nit hilfrei. Es war ein Reflex gewesen, mit dem i

wie Dr. Neblin die Spannung hatte abbauen wollen.

»Außerdem gefällt es mir nit, wenn du Witze über den Tod reißt«, sagte sie. »Bestaer haben

ständig mit dem Tod zu tun, er umgibt uns jede Minute des Tages. Dieser innige Kontakt kann dazu

führen, dass man die Atung verliert. I habe es bei mir selbst beobatet, und das stört mi. Wäre dir

der Tod nicht so vertraut, dann ginge es dir besser.«

»Mir geht es gut, Mom«, widerspra i. Was konnte i no sagen, um sie zu überzeugen? »Dabei

weißt du do genau, dass du Hilfe braust, und außerdem willst du mi nit allein lassen.« Au

wenn i keine Empathie besaß, meine Muer hae sie, und damit konnte i mi gegen sie zur Wehr

setzen. Wo die Logik versagte, retteten mich meine Schuldgefühle.

Sie seufzte und sloss fest die Augen, um irgendetwas auszublenden, das i nit einmal erahnen

konnte. »Na schön. Aber zuerst essen wir die Pizza auf.«

Meine Swester Lauren hae uns ses Jahre vorher verlassen, zwei Jahre na Dad. Sie war erst

siebzehn gewesen, und Go allein weiß, was sie alles erlebt hae, während sie fort war. Jedenfalls gab es

dana im Haus erhebli weniger Gezeter, was i gut fand. Die Sreiereien, zu denen es dana

immer no kam, riteten si nun aber leider stets gegen mi. Vor ungefähr ses Monaten war

Lauren na Clayton zurügekehrt. Sie war von wer weiß woher per Anhalter gekommen und hae

Mom reuevoll na einem Job gefragt. Die beiden spraen immer no nit viel miteinander, und

Lauren besute uns nie und lud uns au nit zu si na Hause ein. Immerhin arbeitete sie seitdem

als Empfangsdame im Bestattungsunternehmen und kam recht gut mit Margaret zurecht.

Mit Margaret kamen wir eigentli alle gut zuret. Sie war die Gummiisolierung, die verhinderte,

dass unsere Familie Funken schlug und einen Kurzschluss erlitt.

Mom rief Margaret an, während wir unsere Pizza aufaßen, und Margaret rief anseinend Lauren an,

denn beide waren son da, als wir endli na unten in die Leienhalle kamen. Margaret trug ihre

Arbeitskleidung, während Lauren si für den Samstagabend in der Stadt aufgedonnert hae. I fragte

mich, ob wir sie bei irgendetwas gestört hatten.

»Hi, John«, begrüßte mi Lauren. Hinter dem gediegenen Empfangstis im Büro wirkte sie ziemli

deplatziert. Sie trug eine glänzende swarze Plastikjae über einem grellen Tanktop, die Haare wallten

im Stil der Atzigerjahre wie eine Kaskade herab. Vielleit fand in irgendeinem Klub eine Oldienat

statt.

»Hi, Lauren«, antwortete ich.

»Sind das die Dokumente?« Mom spähte ihr über die Schulter.

»Ich bin fast fertig«, bestätigte Lauren, und Mom ging nach hinten.

»Ist er schon da?«, fragte ich.

»Sie haben ihn gerade abgeladen.« Meine Swester bläerte ein letztes Mal dur den Papierstapel.

»Er ist schon hinten bei Margaret.«

Ich wollte gehen.

»Kommst du klar?«, fragte sie. I wollte unbedingt den Toten sehen, drehte mi aber no einmal

zu ihr um.

»Geht so. Und du?«

»I lebe nit bei Mom«, antwortete sie. Wir swiegen einen Moment lang. »Hast du was von Dad

gehört?«

»Nicht mehr seit Mai«, sagte ich. »Und du?«

»Nit mehr seit Weihnaten.« Sweigen. »Die ersten beiden Jahre hat er mir im Februar no

Valentinskarten geschickt.«

»Wusste er denn, wo du warst?«

»I hab ihn manmal um Geld gebeten.« Sie legte den Sti beiseite und stand auf. Ihr Ro passte

zur Jae, glänzendes swarzes Plastik. Mom hasste es vermutli, und genau deshalb hae si Lauren

offenbar diese Klamoen gekau. Sie stapelte die Papiere akkurat, und dann gingen wir zusammen na

hinten.

Auf dem Tis lag ein hellblauer Leiensa. Beinahe wäre i losgerannt und häe den

Reißversluss geöffnet. Lauren gab Mom die Dokumente, und Mom saute kurz hinein, untersrieb

ein paar Blätter und überreichte den ganzen Stoß dem Gerichtsmediziner.

»Danke, Ron. Gute Nacht.«

»Tut mir leid, dass i eu das so spät am Abend zumuten muss«, sagte er. Er spra mit Mom,

starrte dabei aber Lauren an. Er war groß und hatte sich die schwarzen Haare glatt zurückgekämmt.

»Kein Problem«, beruhigte Mom ihn. Ron klemmte si die Papiere unter den Arm und ging dur

den Hinterausgang hinaus.

»Jetzt braut ihr mi ja nit mehr«, sagte Lauren. Sie läelte Margaret und mi an und

verabsiedete si mit einem höflien Nien von Mom. »Viel Spaß no.« Sie ging zum vorderen

Büro, und dann hörte ich, wie sie die Vordertür zudrückte und von außen abschloss.

Die Spannung brate mi fast um, aber i wagte kein einziges Wort zu sagen. Mom hae mi nur

widerwillig mitgenommen, und wäre i ihr allzu begierig vorgekommen, häe sie mi vermutli

gleich wieder hinausgeworfen.

Mom warf einen Bli zu Margaret hinüber. Wenn sie Zeit haen, si zuretzumaen, waren die

beiden einander nit mehr sonderli ähnli, aber auf diese Weise aufgeseut, in sliter

Arbeitskleidung und ohne Make-up, konnte man sie kaum auseinanderhalten. »Lasst uns anfangen.«

Margaret saltete den Ventilator ein. »Hoffentli lässt uns das Ding nit ausgerenet heute Nat

im Stich.«

Wir legten die Sürzen an und srubbten den Raum, dann öffnete Mom den Leiensa. Für Mrs

Anderson haen sie nit viel getan, aber Jeb Jolley haen Ron und die Geritsmediziner des

Bundesstaats so o untersut und gewasen, dass er stark na Desinfektionsmieln ro. Als wir die

Leie aus dem Sa rollten und auf dem Tis zuretlegten, wallte mit etwas Verspätung au der

Verwesungsgestank heraus. Der Tote hatte einen riesigen, wie ein Y geformten Einschnitt von Schulter zu

Sulter, der bis zur Mie des Brustkorbs reite. Bei einer gewöhnlien Autopsie wäre der Sni bis

hinab zum Sri vorgenommen worden, do hier verlor er si irgendwo unterhalb der Rippen, weil

es dort nur no Trümmer von Knoen und Risse gab. Die Ränder der Öffnung waren runzlig und

teilweise vernäht, aber große Teile der Haut fehlten. Aus dem Lo im Bau ragte die Ee eines

Plastikbeutels hervor.

I date sofort an Ja the Ripper, einen der ersten amtli beurkundeten Serienmörder. Er hae

seine Opfer meist so sehr verstümmelt, dass man sie kaum noch erkennen konnte.

Hae ein Serienmörder Jeb Jolley angegriffen? Das war gut mögli, aber wele Art von

Serienmörder wäre es dann gewesen? Das FBI untersied zwisen organisierten und nit

organisierten Tätern. Ein organisierter Mörder war jemand wie Ted Bundy – höfli, armant und

intelligent. Er plante seine Taten genau und vertuste sie hinterher so gut wie mögli. Ein nit

organisierter Mörder war jemand wie der Sohn des Sam, der gegen übermätige Zwänge ankämpe,

um jäh und brutal zu töten, sobald die Dämonen die Oberhand gewannen. Er hae si selbst Mr

Monster genannt. Wer hatte Jeb getötet, der Raffinierte oder das Ungeheuer?

Seufzend verwarf i diese Gedanken. I war son immer von Serienmördern besessen gewesen,

und dies war nit das erste Mal, dass i darauf brannte, in meiner Heimatstadt einen zu entdeen. I

musste mi auf die Leie selbst konzentrieren und sie so nehmen, wie sie war, sta mir irgendetwas

einzureden.

Margaret klappte den Bauraum auf, und darin kam ein großer Plastikbeutel mit den meisten inneren

Organen zum Vorsein. Die Organe wurden im Verlauf einer Autopsie meist ohnehin entfernt. In Jebs

Fall waren sie allerdings bereits während seines Todes oder son kurz davor herausgerissen worden.

Margaret stellte den Beutel auf einen Rollwagen und fuhr damit zum Tis an der Wand, um si dort

um die Organe zu kümmern. Sie waren voller Galle und anderem Müll, mit dem die

Einbalsamierungsflüssigkeit nit zuretkäme. Deshalb musste alles herausgesaugt werden. Bei einer

normalen Einbalsamierung maten wir das erst, nadem wir das Formaldehyd hineingepumpt haen.

Das Söne bei einer Autopsieleie war, dass man gleizeitig einbalsamieren und an den Organen

arbeiten konnte. Mom und Margaret arbeiteten son so viele Jahre zusammen, dass sie si gesmeidig

bewegten und kaum redeten.

»Du hilfst mir, John«, sagte Mom, während sie na dem Desinfektionsmiel griff. Sie war viel zu

perfektionistis, um auf das Wasen eines Toten zu verziten, bevor sie ihn einbalsamierte. Selbst

wenn er so sauber war wie dieser. Die Körperhöhle war groß und leer, Herz und Lungen waren

allerdings no größtenteils intakt, und Jebs Bau sah aus wie ein luleerer blutiger Ballon. Mom wus

zuerst den Bauch und bedeckte ihn dann mit einem Laken.

Auf einmal kam mir ein Gedanke. Die Organe haen am Tatort auf einem Haufen gelegen. Nur

wenige Mörder blieben na der Tat no länger am Tatort. Mit Ausnahme von Serienkillern. Manmal

setzten sie die Leie in Positur, entstellten sie oder spielten mit ihr wie mit einer Puppe. Das nannte man

die Ritualisierung des Tötens, und so etwas war auch mit Jebs inneren Organen geschehen.

Vielleit war es do ein Serienkiller gewesen. I süelte den Kopf, um den Gedanken zu

vertreiben, und hielt den Toten fest, während Mom ihn mit Desinfektionsmittel einsprühte.

Jeb war kein kleiner Mann gewesen, und jetzt, mit einer zähen Flüssigkeit gefüllt, waren seine

Gliedmaßen no dier und swerer als zu Lebzeiten. Als i mit einem Finger seinen Fuß eindrüte,

hielt sich die Delle mehrere Sekunden lang und glättete sich nur langsam wie bei einem Marshmallow.

»Hör auf zu spielen«, ermahnte mi Mom. Wir wusen den Toten und nahmen dann das Laken von

seiner Bauhöhle. Sein Inneres war mit Fe gesprenkelt. Von seinem Kreislauf war no genug übrig,

um die Pumpe einzusetzen, aber er hae au eine Menge offener Wunden und Les, dur die

Flüssigkeit und Druck verloren gehen würden. Diese Löcher mussten wir zuerst verschließen.

»Hol mir Bindfaden«, verlangte Mom. »Ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter lange Stüe.« I zog

die Plastikhandsuhe aus und warf sie in den Müll, dann sni i die Fäden zuret. Mom griff in die

Bauhöhle und sute na den großen Arterien, und immer wenn sie eine gefunden hae, reite i

ihr ein Stü Bindfaden, und sie versnürte das Blutgefäß. Während wir damit besäigt waren,

saltete Margaret die Saugpumpe ein und entfernte naeinander den ganzen Abfall aus den Organen.

Sie benutzte dazu einen Trokar. Das ist im Grunde nur eine Hohlnadel mit einem Skalpell am Ende. Sie

stieß das Gerät nacheinander in die Organe und saugte den Dreck heraus.

In der Brusthöhle ließ Mom eine Vene und eine Arterie offen, damit sie die Pumpe und den Abfluss

ansließen konnte. Es war nit nötig, die Sulter aufzusneiden, wenn der Killer für uns son den

Brustraum freigelegt hae. Dieses Mal kam als Erstes ein Gerinnungsmiel in die Pumpe, das langsam

dur den Körper siern und alle restlien Löer versließen sollte. Dabei trope aus winzigen

Adern, die zu klein waren, um sie von Hand zu versließen, einiges in die Bauhöhle, aber das hörte

bald auf, sobald das Gerinnungsmittel wirkte und den Körper versiegelte.

Während wir warteten, betratete i die Risse im Bau. Sie konnten duraus von einem Tier

herrühren, und auf der linken Seite entdete i etwas wie die Abdrüe von Krallen – vier

unregelmäßige Schlitze im Abstand von etwa zwei Zentimetern, die an der Seite dreißig Zentimeter weit

in Ritung Bau verliefen. Das waren natürli die Spuren des Dämons, aber das war uns damals no

nit bekannt. Wie häen wir es au wissen sollen? Damals ahnte niemand, dass Dämonen tatsäli

existieren. I legte die Hand darauf und sätzte, dass das Wesen, das dem Toten diese Risse zugeführt

hae, erhebli größere Pranken besaß als i. Mom beobatete mi mit gerunzelter Stirn und wollte

anscheinend gerade etwas sagen, als Margaret verärgert knurrte.

»Verdammt, Ron!«, rief Margaret. Sie hae ohnehin nit viel für den Geritsmediziner übrig. I

achtete nicht auf sie und betrachtete wieder die Abdrücke der Krallen.

»Was ist los?« Mom trat an die Seite ihrer Schwester.

»Da fehlt eine Niere«, sagte Margaret, was sofort meine Aufmerksamkeit erregte. Serienkiller

bewahrten o Andenken an ihre Opfer auf, und Körperteile gehörten zu den liebsten

Erinnerungsstüen. »Zweimal habe i den Beutel dursut«, simpe Margaret. »Ron sollte do

in der Lage sein, uns sämtliche Organe zu schicken.«

»Vielleit war sie von vornherein nit da«, wandte i ein. Die beiden sahen mi groß an, und i

ging lässig darüber hinweg. »Vielleicht hat der Mörder sie mitgenommen.«

Mom runzelte die Stirn. »Das ist …«

»Das ist gut mögli«, unterbra i sie. Aber wie konnte i den Zusammenhang erklären, ohne

Serienkiller zu erwähnen? »Du hast do die großen Krallenabdrüe gesehen, Mom. Wenn ein Tier die

Eingeweide zerfetzt hat, dann liegt es do nahe, dass es au etwas gefressen hat, wenn es son einmal

dabei war.« Das klang einleutend, aber i wusste, dass es kein Tier gewesen war. Einige Snie

waren viel zu präzise gesetzt, und der Haufen der Eingeweide war viel zu ordentli gewesen. Vielleit

ein Serienkiller, der zusammen mit seinem Hund auf die Jagd ging?

»I sehe mal in der Akte na.« Mom pellte si die Handsuhe ab und warf sie in den Müll, dann

ging sie na vorn. Margaret wühlte unterdessen no einmal im Beutel herum, gab es aber

kopfschüttelnd wieder auf. Die Niere war einfach nicht da. Ich konnte kaum noch an mich halten.

Mom kehrte mit einer Kopie der Papiere zurü, die Lauren dem Geritsmediziner gegeben hae.

»Unter Bemerkungen heißt es hier: ›Linke Niere fehlt.‹ Kein Wort, dass sie das Organ als Beweismiel

oder für weitere Tests behalten haben. Es fehlt einfa. Vielleit hat man ihm früher son mal eine

Niere entfernt oder so.«

Margaret hob die verbliebene Niere ho und deutete auf die durtrennte Ader, die zur zweiten

Niere geführt hatte. »Der Schnitt ist frisch«, wandte sie ein. »Keine Narben.«

»Darauf häe Lauren uns ruhig vorher aufmerksam maen können.« Erbost legte Mom die Papiere

weg und zupfte ein neues Paar Plastikhandschuhe aus der Schachtel. »Der werde ich was erzählen.«

Dann maten si Mom und Margaret wieder an die Arbeit. Nur i stand still, von einem plötzlien

Energiesub fast überwältigt und zuglei gelähmt. Das war kein gewöhnlier Mord, und es war au

kein wildes Tier gewesen.

Jeb Jolley war das Opfer eines Serienkillers geworden.

Vielleit war der Täter aus einer anderen Stadt gekommen, vielleit war dies au sein erstes Opfer

gewesen, aber auf jeden Fall hae ein Serienmörder zugeslagen. Die Anzeien waren überdeutli.

Das Opfer war wehrlos gewesen und hae in unserem Ort weder Feinde no enge Freunde oder

Verwandte gehabt. Seine Bekannten aus der Bar haen ausgesagt, er sei an jenem Abend friedli und

fröhli gewesen, es habe keine Prügelei und keinen Streit gegeben. Also sied ein Verbreen aus

Leidenschaft oder unter Alkoholeinfluss aus. Ein Unbekannter, vom Zwang getrieben, einen Menschen zu

töten, hae hinter dem Wassalon gelauert, und Jeb war eher zufällig zum Opfer geworden. Er hae

sich einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten.

Die Zeitungen und der Tatort selbst haen eine verwirrende Gesite über blinde Wut und einen

simplen Vorgang erzählt – die ziellose Gewalt eines Tiers war ruhigem und rationalem Verhalten

gewien. Der Mörder hae den Körper zerfetzt und dann in aller Ruhe die Innereien

aufeinandergehäuft, um ein ganz bestimmtes Organ mitzunehmen.

Jeb Jolleys Tod war ein Fall wie aus dem Lehrbu. Ein nit organisierter Mörder, der blindlings

zuslug und dann am Tatort blieb, wo er weder Mitleid no Mitgefühl zeigte, während er die Tötung

ritualisierte. Er legte den Körper zurecht, nahm ein Souvenir mit und ließ die Leiche offen zurück.

Kein Wunder, dass die Polizei die gestohlene Niere nit erwähnt hae. Wenn herauskam, dass ein

Serienmörder Körperteile stahl, dann würden die Mensen in Panik geraten. Sie fühlten si sowieso

nicht mehr sicher; dabei hatte es bisher nur einen einzigen Todesfall gegeben.

Bei diesem einen Mord würde es natürli nit bleiben, denn genau das war ja das witigste

Merkmal der Serienmörder: Sie hörten mit dem Morden nicht mehr auf.

Es war Anfang Oktober – Zeit für die Laubfeuer. Der Herbst war meine liebste Jahreszeit, aber nit

etwa wegen der Sule, der Herbstgemüse oder anderer weltlier Dinge, sondern weil die Bürger des

Clayton County ihr Laub harkten und verbrannten. In der frisen Herbstlu stiegen die Flammen ho

empor. In unserem kleinen Hof gab es keine Bäume, aber das alte Ehepaar auf der anderen Straßenseite

hae viele Eien und Ahornbäume auf seinem Grundstü und andererseits keine Kinder und

Enkelkinder, die si darum kümmern konnten. Im Sommer mähte i den Leuten für fünf Dollar die

Woe die Wiese, im Winter saufelte i für einen Beer heiße Sokolade den Snee aus der

Zufahrt, und im Herbst harkte i ihr Laub, weil es mir so großen Spaß mate, die Bläer brennen zu

sehen.

Ein Feuer ist kurzlebig und vergängli – der Inbegriff der Flütigkeit. Es brit plötzli aus und

erwat tosend zum Leben, wenn Hitze zum Brennstoff kommt und ihn entzündet. Hungrig tanzen die

Flammen, während ringsum alles swarz wird und vergeht. Sobald es nits mehr zum Verzehren

findet, verswindet das Feuer und lässt nits zurü außer Ase und unverbrauten Brennstoff –

Holzstüe, Bläer und Papierfetzen, die zu verunreinigt sind, um zu verbrennen. Nit würdig, si am

Tanz des Feuers zu beteiligen.

Mir kommt es so vor, als hinterließe ein Laubfeuer überhaupt nits – denn die Ase ist ja kein Teil

der Flamme, sondern nur der Rest des Brennstoffs. Das Feuer verwandelt die Dinge. Es nimmt ihnen die

Energie und nutzt sie, um si selbst zu stärken. Das Feuer ersa nits Neues, es ist einfa nur, was

es ist. Wenn andere Dinge zerstört werden müssen, damit das Feuer existieren kann, dann ist es dem

Feuer nur ret. Soweit es das Feuer angeht, sind diese anderen Dinge ja genau dazu da. Wenn sie

verswunden sind, swindet au das Feuer. Dana findet man zwar no seine Spuren, aber nits

mehr vom Feuer selbst – kein Lit, keine Wärme, keine winzigen roten Brustüe, die aus den

Flammen gesprungen sind. Es verswindet wieder dorthin, woher es gekommen ist, und selbst wenn es

fühlen oder si erinnern könnte, erführen wir nie, was es für uns empfindet und ob es si an uns

erinnert.

Manmal, wenn i in das hellblaue Herz einer tanzenden Flamme blie, frage i, ob sie mi

wiedererkennt. »Wir sind uns son einmal begegnet. Wir sind alte Freunde. Vergiss mi nit, wenn

ich fort bin.«

Mr Crowley, der alte Mann, dessen Laub i verbrannte, saß gern auf der Veranda und ließ »die Welt

vorbeiziehen«, wie er es nannte. Wenn i sein Grundstü harkte, während er draußen saß, erzählte er

mir manmal von früher. Er hae fast sein ganzes Leben lang als Ingenieur bei den Stadtwerken

gearbeitet, bis er im letzten Jahr krank geworden war und in Rente gehen musste. Er war au son

ziemli alt. Heute slenderte er langsam heraus und legte unter Smerzen sein Bein auf einen Hoer,

als er saß.

»Guten Tag, John«, sagte er. »Guten Tag.« Er war ein alter, aber großer Mann, stark und mit breiten

Schultern. Seine Gesundheit ließ nach, aber schwächlich war er keineswegs.

»Hi, Mister Crowley.«

»Du kannst das ruhig liegen lassen.« Er deutete auf die mit Bläern bestreute Wiese. »Es wird no

reichlich Laub fallen, und wenn du es verschiebst, musst du nur einmal aufräumen.«

»Aber so habe ich länger etwas davon«, erwiderte ich, und er nickte zufrieden.

»Das ist wahr, John, das ist wahr.«

I harkte no eine Weile und zog die Bläer mit glaen, ruhigen Strien zusammen. Der zweite

Grund dafür, dass i mir an diesem Namiag sein Grundstü vornahm, war natürli der, dass der

Serienmörder seit einem Monat nit mehr zugeslagen hae. Die Spannung mate mi nervös, und

i musste unbedingt etwas verbrennen. Bisher hae i mit niemandem über meinen Verdat

gesproen, dass es si um einen Serienmörder handelte, denn wer häe mir son geglaubt? I war

bekanntermaßen von Serienmördern besessen, und natürli musste für mi au in diesem Fall ein

Serienmörder im Spiel sein. Das mate mir nits aus. Es spielt keine Rolle, was die anderen denken,

wenn man recht hat.

»He, John, komm do mal hier rüber.« Mr Crowley winkte mi zu seinem Stuhl. Angesits der

Störung schnitt ich eine Grimasse, beruhigte mich aber sofort wieder und ging zu ihm. Reden war normal

– das maen normale Leute öer. I braute darin etwas Übung. »Verstehst du was von Handys?«,

fragte er und zeigte mir seins.

»Ein bisschen«, sagte ich.

»Ich will meiner Frau einen Kuss schicken.«

»Sie wollen ihr einen Kuss schicken?«

»Kay und i haben die Apparate gestern bekommen.« Er futelte ungesit mit seinem Handy

herum. »Damit können wir angebli Fotos aufnehmen und uns gegenseitig sien. Jetzt will i Kay

einen Kuss schicken.«

»Sie wollen ihr ein Foto von si sien, auf dem Sie die Lippen spitzen?« Manmal verstand i

die Leute einfa nit. Wenn Mr Crowley über die Liebe spra, dann kam es mir immer vor, als

benutze er eine Fremdsprache. Ich hatte keine Ahnung, was er meinte.

»Das klingt, als hättest du das schon mal gemacht.« Mit zittriger Hand reichte er mir das Handy. »Zeig

mir doch, wie es funktioniert.«

Der Knopf für die Kamera war deutli besriet, also führte i es ihm vor, und er mate ein

verwaeltes Foto von seinen Lippen. Dann zeigte i ihm, wie er das Foto versien konnte, und

begab mich wieder an die Arbeit.

Die Vorstellung, i sei ein Soziopath, war mir nit neu. Mir war son lange klar, dass i mi

kaum auf andere Mensen einließ. I verstand sie nit, sie verstanden mi nit, und die emotionale

Sprae, die sie spraen, würde i wohl nie lernen. Eine antisoziale Persönlikeitsstörung dure

offiziell erst diagnostiziert werden, wenn man atzehn war. Vorher hieß es Verhaltensstörung, aber wir

wollen ehrli sein: Eine Verhaltensstörung ist ledigli eine nee Umsreibung für Eltern, die Kinder

mit einer antisozialen Persönlikeitsstörung haben. I sah keinen Grund, mi vor den Tatsaen zu

drücken. Ich war ein Soziopath, und es war besser, mich umgehend damit abzufinden.

I harkte den Haufen Bläer neben dem Haus in eine große Feuergrube. Im Sommer benutzten die

Crowleys die Grube für Lagerfeuer und zum Grillen. Dazu luden sie regelmäßig die ganze Nabarsa

ein. I nahm die Einladungen immer an, beatete allerdings die Mensen nit und kümmerte mi

aussließli um das Feuer. Wenn das Feuer eine Droge war, dann war Mr Crowley mein witigster

Dealer.

»Johnny!«, rief Mr Crowley von der Veranda herüber. »Sie hat einen Kuss zurügesit. Komm

nur und sieh es dir an!« I läelte und bemühte mi sehr, Gefühle zu zeigen, die i nit hae. I

wollte ein ganz normaler Junge sein.

Wenn man keine emotionale Bindung zu anderen Mensen herstellen kann, dann fühlt man si

zwangsläufig abgesondert und nit dazugehörig, als beobate man die Mensheit wie ein

distanzierter, unwillkommener Gast aus einer fremden Ferne. So fühlte i mi son seit Jahren, und es

hae son lange vor meinen Sitzungen mit Dr. Neblin und lange vor Mr Crowleys läerlien

Liebesbotsaen begonnen. Die Leute eilten umher, erledigten ihre kleinen Jobs, ernährten ihre kleinen

Familien und srien ihre bedeutungslosen Gefühle in die Welt hinaus, und i sah von der Außenlinie zu

und verstand das alles nit. Das bringt mane Soziopathen dazu, si überlegen zu fühlen, als wäre die

ganze Menschheit nur eine Herde von Tieren, die man jagen und niederstrecken kann. Andere empfinden

eine heiße, eifersütige Wut, weil sie unbedingt haben wollen, was ihnen verwehrt bleibt. I fühlte

mich nur einsam wie ein Blatt, das kilometerweit neben dem riesigen allgemeinen Haufen liegt.

Sorgfältig sob i von unten Zunder in den Bläerhaufen und riss ein Streiholz an. Die Flammen

fanden sofort Nahrung, wusen und zogen die Lu an. Glei darauf toste das Feuer, und über dem

Haufen tanzten böse Flammen.

Was blieb, wenn die Flammen ausgebrannt waren?

In dieser Nacht schlug der Killer wieder zu.

I erfuhr es beim Frühstü aus dem Fernsehen. Der erste Todesfall hae, abgesehen von den

grässlien Einzelheiten, nur wenig Aufsehen erregt, aber der zweite – so blutig wie der erste und an

einem belebteren Ort – hae die Aufmerksamkeit eines Reporters aus der Stadt erregt, der sein

Kamerateam mitgebrat hae. Sehr zur Empörung des Sheriffs ging man live auf Sendung und

verbreitete die unscharfen, verwackelten Bilder eines zerfetzten Körpers im ganzen Bundesstaat.

Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Es war ein Serienkiller. Meine Muer kam, das Gesit halb mit

Make-up bedet, aus dem Nebenzimmer herüber. I sah sie an, und sie erwiderte meinen Bli. Keiner

von uns sagte ein Wort.

»Hier ist Ted Rask live aus Clayton, einer sonst so friedlien Stadt, die heute zum Sauplatz eines

wirkli grässlien Verbreens wurde – und es ist son das zweite in weniger als einem Monat. Dies

ist ein Exklusivberit für Five Live News. I stehe hier mit Sheriff Meier. Sheriff, erklären Sie mir do

bitte, was wir über das Opfer wissen.«

Unter seinem breiten grauen Snurrbart sni Sheriff Meier eine Grimasse und starrte den Reporter

böse an. Rask war für seine Sensationsberite bekannt, und die finstere Miene des Sheriffs zeigte

deutlich, was dieser davon hielt.

»Zu diesem Zeitpunkt möten wir die Angehörigen des Opfers keinen unnötigen Belastungen

aussetzen«, erklärte der Sheriff. »Wir wollen bei den Einwohnern des County au keine unnötigen

Ängste ween und bien alle, ruhig zu bleiben und über den Vorfall keine Gerüte oder

Fehlinformationen in Umlauf zu bringen.«

Damit war er der Frage des Reporters komple ausgewien. Wenigstens gab er si nit kampflos

geschlagen.

»Wissen Sie denn schon, wer das Opfer ist?«, bohrte der Reporter nach.

»Er hae einen Ausweis bei si, aber zu diesem Zeitpunkt geben wir no keine weiteren

Informationen frei.«

»Und der Mörder?«, fragte der Reporter. »Haben Sie schon irgendwelche Hinweise auf den Täter?«

»Diese Information können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht freigeben.«

»Glauben Sie denn, dass es eine Verbindung zwisen den beiden Ereignissen gibt, die si so kurz

nacheinander zugetragen haben und die einander so ähnlich sind?«

Der Sheriff sloss kurz die Augen, es war ein stummes Seufzen, und ließ si einen Moment Zeit, ehe

er antwortete. »Zu diesem Zeitpunkt können wir, um unsere Ermilungen nit zu gefährden, nits

über die Natur dieses Falls sagen. Wie i son zuvor erklärte, bien wir alle Mitbürger um Diskretion

und Ruhe, damit keine unzutreffenden Gerüchte über den Vorfall in Umlauf kommen.«

»Vielen Dank, Sheriff«, sagte der Reporter, den die Kamera jetzt wieder in Nahaufnahme zeigte.

»Falls Sie gerade erst eingesaltet haben – wir sind im Clayton County, wo soeben ein Mörder

zugeslagen hat, möglierweise sogar son zum zweiten Mal. Er hinterließ eine Leie und versetzte

die Stadt in Angst und Schrecken.«

»Dieser dumme Ted Rask!«, simpe Mom, während sie zum Kühlsrank ging. »Das Letzte, was

diese Stadt braucht, ist eine Panik wegen eines Massenmörders.«

Massenmord und Serienmord sind zwei völlig versiedene Dinge, aber i wollte in diesem Moment

keine Diskussion darüber vom Zaun brechen.

»I glaube, das Letzte, was wir brauen, sind die Morde«, erwiderte i vorsitig. »Panik wegen

der Morde wäre das Zweitletzte.«

»In einer Kleinstadt wie dieser ist eine Panik fast genauso slimm oder sogar no slimmer.« Sie

goss si ein Glas Mil ein. »Die Leute bekommen Angst und ziehen weg oder hoen abends hinter

verslossenen Türen zu Hause, und dann geht es den Gesäen slet, und die Spannungen nehmen

zu.« Sie trank einen Schluck. »Es genügt schon ein engstirniger Mensch, der einen Sündenbock sucht, und

schon schlägt die Panik in Selbstjustiz um.«

»Die Leie können wir Ihnen nit zeigen«, erklärte Rask im Fernsehen, »denn sie bietet einen

grässlien, unerträglien Anbli, und die Polizei lässt uns nit nahe genug heran, do wir wissen

einige Einzelheiten. Anseinend gibt es keine Zeugen der Mordtat selbst. Einige, die das Opfer aus

näster Nähe gesehen haben, beriten aber, dieser Tatort sei viel blutiger als der letzte. Falls es si um

denselben Mörder handelt, so geht er womögli zunehmend grausamer vor, was als böses Vorzeien

für die Ereignisse zu deuten wäre, die noch auf uns zukommen mögen.«

»I kann einfa nit glauben, dass er so was von si geben darf.« Wütend versränkte Mom die

Arme vor der Brust. »Ich schreibe heute noch einen Brief an den Sender.«

»Neben der Leie fand man einen Ölfle oder etwas Ähnlies auf dem Boden«, fuhr Rask fort. »Er

könnte vom unditen Motor eines Flutfahrzeugs stammen. Wir informieren Sie, sobald wir mehr

wissen. Hier ist Ted Rask mit einem Exklusivberit für Live Five News. Mien in Amerika geht der Tod

um.«

I date an den Fle, den i hinter dem Wassalon gefunden hae. Swarz und ölig wie uralter

Dre war er gewesen. Ob der Ölfle neben dem neuen Opfer aus dem gleien Material bestanden

hae? In dieser Gesite gab es viele im Dunkel liegende Tatsaen, und i war entslossen, sie alle

ans Licht zu bringen.

»Bei psyologisen Profilen lautet die witigste Frage nit, was der Täter getan hat«, sagte i

und starrte Max an, der sein Essen verdrüte. »Die Frage ist vielmehr, was der Killer getan hat, obwohl

er es nicht tun musste.«

»Mann«, antwortete Max, »ich glaube, es ist ein Werwolf.«

»Das ist kein Werwolf«, widersprach ich.

»Du hast do heute die Nariten gesehen, wo es hieß, der Killer habe die Intelligenz eines

Menschen und die Wildheit eines Tiers. Was sollte es sonst sein?«

»Es gibt keine Werwölfe.«

»Erzähl das mal Jeb Jolley und dem Toten an der Ausfallstraße«, nuselte Max. Er biss ab und spra

mit vollem Mund weiter. »Irgendetwas hat sie total zerfetzt, und das war kein freundlier

Serienmörder.«

»Die Legenden über Werwölfe sind wahrseinli erst dur Serienmörder entstanden«, widerspra

i. »Das Gleie gilt für Vampire. In Wahrheit sind es Mensen, die andere Mensen jagen und töten,

und das klingt do sehr na einem Serienmörder. Früher verstand die Polizei no nit so viel von

Psychologie, deshalb erfand man irgendein verrücktes Monster, um die Ereignisse zu erklären.«

»Woher weißt du solche Sachen?«

»Von crimelibrary.com«, erwiderte i. »Aber i versue dir gerade etwas zu erklären. Wenn du

verstehen willst, was in einem Serienmörder vorgeht, dann musst du fragen: Was hat er getan, das er

nicht tun musste?«

»Warum willst du einen Serienmörder verstehen?«

»Was?«, erwiderte i. »Warum nit? Na gut, hör zu, wir müssen herausfinden, warum er das tut,

was er tut.«

»Nein, müssen wir nit«, wehrte Max ab. »Dazu ist die Polizei da. Wir sind auf der Highsool und

müssen herausfinden, welche Farbe Marcis Büstenhalter hat.«

Warum gab ich mich überhaupt mit diesem Burschen ab?

»Stell es dir folgendermaßen vor«, fuhr i fort. »Nehmen wir an, du bist ein großer Fan von … von

was eigentlich?«

»Marci Jensen«, wiederholte er. »Außerdem von Halo, Green Lantern und …«

»Green Lantern«, überlegte i. »Comic-Hee. Du magst Comics. Nehmen wir mal an, ein neuer

Comic-Autor kommt in die Stadt.«

»Cool«, grinste Max.

»Ja«, stimmte i zu. »Er arbeitet an einem neuen He, und du willst herausfinden, worum es geht.

Wäre das cool?«

»Ich sagte doch gerade, dass es cool ist.«

»Du denkst die ganze Zeit darüber na und versust, dir vorzustellen, was er mat, und du

vergleichst deine Theorien mit den Theorien anderer Leute und hast Spaß dabei.«

»Klar.«

»So ist das für mi«, erklärte i. »Ein neuer Serienmörder ist wie ein neuer Autor, der an einem

neuen Projekt arbeitet. Er treibt si direkt vor unserer Nase in der Stadt herum, und i will

herausfinden, was in ihm vorgeht.«

»Du bist verrückt, Mann«, sagte Max. »Du bist wirklich völlig plemplem.«

»Mein Therapeut findet, dass ich mich ganz gut mache«, widersprach ich.

»Von mir aus. Was ist nun deine große Frage?«

»Was tut der Killer, obwohl er es nicht tun muss?«

»Woher wissen wir, was er tun muss?«

»Er muss alles tun, was tenis nötig ist, um jemanden umzubringen«, erklärte i. »Wenn er

jemanden töten will, könnte er ihn erschießen. Das wäre die einfachste Methode.«

»Aber er zerfleischt ihn.«

»Das wäre dann der erste Punkt: Er nähert si dem Opfer persönli und grei es im Nahkampf an.«

I züte ein Notizbu und srieb es auf. »Das bedeutet vermutli, dass er es aus der Nähe sehen

will.«

»Und warum?«

»Das weiß ich nicht. Was sonst noch?«

»Er grei seine Opfer nats im Dunkeln an«, fuhr Max fort. Allmähli fand er Gefallen daran. »Er

packt sie, wenn niemand in der Nähe ist.«

»Das gehört vermutli zu den Dingen, die er tun muss«, sagte i. »Besonders wenn er sie persönli

angreifen will. Er will ja nicht erwischt werden.«

»Kommt das also nicht auf unsere Liste?«

»I nehme an, niemand, der jemanden tötet, will dabei gesehen werden, also ist das kein besonderes

Merkmal.«

»Schreib’s einfach auf«, beharrte Max. »Auf der Liste müssen ja nicht immer nur deine Ideen stehen.«

»In Ordnung.« I notierte es. »Wir haben jetzt: Er will nit gesehen werden. Niemand soll erfahren,

wer er ist.«

»Oder was er ist.«

»Oder was er ist«, stimmte ich zu. »Meinetwegen. Also weiter.«

»Er reißt seinen Opfern die Därme aus dem Bau«, fuhr Max fort, »und stapelt sie daneben auf. Das

ist ziemlich cool. Wir könnten ihn den Darmstapler nennen.«

»Warum stapelt er die Eingeweide auf?«, fragte i. Ein Mäden, das gerade an unserem Tis

vorbeiging, warf uns einen eigenartigen Bli zu, und i spra leise weiter. »Vielleit lässt er si mit

seinen Opfern Zeit und genießt das Töten.«

»Glaubst du, er nimmt ihnen die Därme raus, solange sie noch leben?«, fragte Max.

»Das halte i für ausgeslossen«, erwiderte i. »I meine, vielleit will er den Mord dana no

genießen. Es gibt da ein berühmtes Zitat von Ted Bundy …«

»Von wem?«

»Ted Bundy«, sagte i. »Er hat in den Siebzigerjahren im ganzen Land etwa dreißig Mensen

getötet. Seinetwegen wurde der Begriff Serienkiller geprägt.«

»Du weißt wirklich ziemlich verrücktes Zeug, John.«

»Egal. Jedenfalls sagte er vor seiner Hinritung in einem Interview, wenn du genug Zeit häest, dann

könnte das Opfer jede gewünschte Identität für dich annehmen.«

Max schwieg einen Moment lang.

»Ich weiß nicht, ob ich weiter darüber reden will«, gab er schließlich zu.

»Was soll das heißen? Gerade eben hat es dir noch nichts ausgemacht.«

»Da haben wir über herausgenommene Därme geredet«, erklärte er. »Das ist krass, aber nit

beängstigend. Was du jetzt sagst, ist schon ziemlich abgefahren.«

»Dabei haben wir gerade erst angefangen«, fuhr i fort. »Es geht eben erst los. Wenn es das Profil

eines Serienkillers werden soll, dann muss es ziemlich abgefahren sein.«

»Es mat mi jedenfalls nervös, klar?«, wehrte Max ab. »I weiß au nit. I muss mal aufs

Klo.« Damit stand er auf, ließ jedo sein Essen stehen. Wenigstens wollte er nit ganz verswinden.

Es hätte mir aber nichts ausgemacht.

Warum konnte i eigentli nit mal mit irgendjemandem eine normale Unterhaltung führen? Über

etwas, worüber ich gern reden wollte? War ich wirklich so daneben?

Ja, das war ich wohl.

Außerhalb der Stadt, ein paar Meilen von unserem Haus entfernt, gab es einen See. Eigentli hieß er

Clayton Lake, was nit weiter überrast, weil in unserem County praktis alles Clayton hieß, aber i

nannte ihn lieber den Freak Lake. Er war ungefähr eine Meile breit und mehrere Meilen lang, hae aber

keinen Jathafen oder so etwas. Die Ufer waren sumpfig, und jeden Sommer war das Wasser voller

Algen, weshalb dort au niemand baden ging. In ein oder zwei Monaten würde er zufrieren, und dann

würden die Leute dort eislaufen oder eisfischen, aber das war es auch schon. In allen anderen Jahreszeiten

gab es keinen Grund, sich dort aufzuhalten. Der See war schlichtweg nutzlos.

Das hatte ich jedenfalls gedacht, bevor ich die Freaks gefunden hatte.

Ehrli gesagt weiß i nit, ob es wirkli Freaks waren, aber i musste annehmen, dass mit ihnen

etwas nit stimmte. I hae sie son ein Jahr zuvor entdet, als i es nit mehr ertragen konnte,

auch nur eine weitere Minute mit meiner Mutter daheim zu verbringen. Ich war aufs Fahrrad gesprungen

und einfa die Straße entlanggestrampelt. Der See war nit mein Ziel gewesen, sondern i war

blindlings losgefahren, und zufällig hae er an meiner Stree gelegen. Unterwegs war i an einem

Auto vorbeigekommen, das am Straßenrand geparkt hatte. Ein Mann hatte darin gesessen. Dann war mir

ein weiteres Auto aufgefallen, einen Kilometer weiter ein leerer Tru – keine Spur vom Fahrer. Wieder

hundert Meter weiter hae eine Frau an ihrem Auto gelehnt und nits Bestimmtes betratet und mit

niemandem geredet. Sie hatte nur dagestanden und sich angelehnt.

Was haen alle diese Leute dort zu suen? Der See war kein großartiger Anbli, und es war nits

los hier. Zuerst hae i an illegale Tätigkeiten gedat – ein Drogenumslagplatz, geheime

Liebesaffären, Mörder entsorgten ihre Leien –, aber das traf alles nit zu. Möglierweise waren sie

aus dem gleichen Grund dort wie ich. Sie suchten vor irgendetwas das Weite. Sie waren Freaks.

Seitdem fuhr i zum Freak Lake, wenn i allein sein wollte, und das kam immer öer vor. Die

Freaks waren da, manmal ein paar andere, manmal dieselben. Wie eine weggeworfene Perlenkee

reihten sie si an der Uferstraße auf. I redete nie mit ihnen – wir passten nirgendwohin. Also wäre die

Vorstellung, wir würden zueinanderpassen, dumm gewesen. Wir kamen einfa her, blieben eine Weile,

dachten nach und fuhren wieder weg.

Na Max’ eigenartigem Ausbru in der Miagspause wi er mir für den Rest des Tages aus. So

fuhr i na der Sule zum Freak Lake, um nazudenken. Die Bläer waren son längst nit mehr

orangefarben, sondern eher braun, und das Gras am Straßenrand war spröde und tot.

»Was hat der Killer getan, das er nit tun musste?«, überlegte i laut, als i an einem von der

Sonne gewärmten Fle anhielt und mein Fahrrad in den Staub sinken ließ. In der Nähe standen zwar

einige Autos, aber niemand war nahe genug, um mi zu hören. Wir Freaks respektierten unsere

Privatsphäre. »Bei der ersten Leie hat er eine Niere gestohlen, aber was fehlte bei der zweiten?« Die

Polizei sagte nits dazu, aber wir würden den Toten bald in die Leienhalle bekommen. I hob einen

Stein auf und warf ihn ins Wasser.

Das näste Auto stand ein paar hundert Meter entfernt. Es war weiß und alt, und der Fahrer starrte

aufs Wasser.

»Bist du der Mörder?«, fragte i leise. An diesem Tag waren fünf oder ses Leute da, die in großen

Abständen an der Straße standen. Wie lange würde es no dauern, bis si Moms Prophezeiung

bewahrheiten würde und die Einwohner der Stadt si gegenseitig die Suld gäben? Die Mensen

fürteten alles, was anders war, und derjenige, der si am meisten von allen anderen untersied,

würde in der Hexenjagd das große Los ziehen. Würde es einer der Freaks sein, die an den See flüteten?

Was würden sie mit ihm anstellen?

Alle wussten, dass ich ein Freak war. Würden sie mir die Schuld geben?

At Tage später bekamen wir die zweite Leie herein. Mom und i haen uns ein bissen über

meine Soziopathie unterhalten, und i hae mir in der Sule Mühe gegeben, um sie von der Fährte

abzubringen – sie sollte lieber über meine guten Eigensaen sta über meine verstörenden

Charakterzüge nadenken. Anseinend hae es funktioniert, denn als i na der Sule in die

Leienhalle kam und sah, dass sie am zweiten Opfer arbeitete, sagte Mom kein Wort, als i mir

Schürze und Mundschutz nahm und ihr und Margaret half.

»Was fehlt hier?«, fragte i, während i für Mom die Flasen hielt, damit sie Formaldehyd in die

Pumpe füllen konnte. Margaret hae nur ein paar Organe auf dem Tis liegen, die sie mit dem Trokar

durbohrte und leer saugte. I nahm an, der Rest sei son im Bauraum. Mom hae die Leie mit

einem Tuch abgedeckt, und ich wollte nicht darunterschauen, solange sie direkt neben mir stand.

»Was?«, fragte sie, während sie goss und die Markierungen am Behälter der Pumpe im Auge behielt.

»Beim letzten Mal fehlte eine Niere«, sagte ich. »Welches Organ ist es dieses Mal?«

»Die Organe sind alle da«, erwiderte sie laend. »Lass mal Ron in Ruhe – er wird do nit jedes

Mal etwas verlieren. I habe aber mit deiner Swester über die Dokumente gesproen. Sie muss

wirkli genauer lesen und es mir sagen, wenn sie etwas Ungewöhnlies findet. Manmal weiß i

nicht, was ich mit dem Mädchen anfangen soll.«

»Aber … bist du sier?«, fragte i. Der Mörder hae ganz bestimmt etwas mitgenommen.

»Vielleit war es die Gallenblase, und Ron nahm an, der Kerl habe sie si son entfernen lassen, und

achtete nicht weiter darauf.«

»John, Ron und die Polizei – und das FBI, wie i hinzufügen muss – haben diese Leie mehr als eine

Woe lang untersut. Geritsmediziner haben mit größter Sorgfalt na allem Möglien geforst,

das ihnen helfen könnte, den Geisteskranken zu finden. Falls er ein Organ entnommen häe, wäre es

ihnen nicht entgangen.«

»Er ist undit.« I deutete auf die linke Sulter des Toten, wo eine hellblaue Chemikalie

heraussickerte und zusammen mit geronnenem Blut das Laken verfärbte.

»I date, i häe alle Löer gestop.« Sie sraubte die Flase mit dem Formaldehyd zu und

reite sie mir. Dann zog sie das Laken zurü, um die Sulter und den di verbundenen Armstumpf

freizulegen, an dessen Ende blauer und purpurner Sleim herausquoll. Der Arm fehlte. »Mist«, sagte sie

und eilte, um weiteres Verbandszeug zu holen.

»Sein Arm fehlt?« I starrte meine Muer an. »I habe gefragt, was fehlt, und du hast seinen Arm

nicht erwähnt?«

»Was?«, fragte Margaret.

»Der Killer hat den Arm mitgenommen.« I trat näher an die Leie heran und zog das Laken

zurü. Der Bau war wie beim ersten Opfer aufgerissen, aber es war dieses Mal nit ganz so slimm.

Die Snie waren kleiner, und es waren nit so viele. Der Tote – dem Anhänger na hieß er Dave

Bird und war Farmer gewesen – war nit ausgeweidet. »Dieses Mal hat er die Organe nit

herausgenommen und aufgestapelt.«

»Was tust du da?« Mom riss mir unwirs das Laken aus der Hand und bedete den Toten wieder.

»Etwas mehr Respekt, bitte!«

I redete zu viel und wusste es au, aber i konnte nit mehr auören. Es war, als häe jemand

meinen Schädel geöffnet, und jetzt purzelten alle Gedanken einfach heraus.

»I date, er häe etwas mit den Organen gemat«, sagte i, »aber er hat wohl nur na

irgendetwas gesucht. Er hat sie nicht angeordnet oder mit ihnen gespielt oder …«

»John Wayne Cleaver!«, rief Mom empört. »Was, um alles in der Welt, redest du da?«

»Das ändert das ganze Profil.« I häe gern geswiegen, aber mein Mund bewegte si wie von

selbst weiter. Diese Entdeung war einfa zu aufregend. »Es geht nit darum, was er mit den Toten

mat, sondern darum, was er ihnen nimmt. Als er die ganzen Organe herausnahm, ging es ihm einfa

nur darum, eine Niere zu finden. Es war gar kein Todesritual …«

»Ein Todesritual?«, fragte Mom. Margaret legte den Trokar weg und sah mi an. Ihr Bli

durbohrte mi förmli, und mir dämmerte, dass i Ärger bekommen würde. I hae son viel zu

viel gesagt. »Würdest du das bitte erklären?«

Jetzt musste i es herunterspielen, aber i hae mi son viel zu tief hineingerien. »I wollte

damit nur sagen, dass der Mörder nicht mit den Leichen gespielt hat. Das ist doch gut, oder?«

»Du warst aufgeregt«, warf Mom mir vor. »Du bist vor Aufregung knallrot angelaufen, als du den

aufgerissenen Körper des Toten gesehen hast.«

»Aber …«

»I habe es dir angesehen, John. I glaube nit, dass i so etwas son einmal beobatet habe,

und es hing mit dem Toten zusammen … Ein eter Mens mit einer Familie und einem ritigen Leben

wird ermordet, und du kannst nicht genug davon bekommen.«

»Nein, das ist es nicht …«

»Raus«, sagte Mom, und es klang schrecklich endgültig.

»Was?«

»Raus«, wiederholte sie. »Du darfst diesen Raum nicht mehr betreten.«

»Das kannst du doch nicht machen!«, protestierte ich.

»I bin die Inhaberin und deine Muer«, sagte sie, »und du regst di viel zu sehr darüber auf. Es

gefällt mir nicht, wie du dich verhältst und was du sagst.«

»Aber …«

»I häe es son längst tun sollen«, sagte sie und stemmte eine Hand in die Hüe. »Du darfst die

hinteren Räume nit mehr betreten. Au Margaret lässt di nit mehr hinein, und i sage Lauren

Beseid. Es wird Zeit, dass du dir ein paar normale Hobbys zulegst und ritige Freunde findest. I will

keine Widerworte hören.«

»Mom!«

»Keine Widerworte!«, rief sie. »Raus.«

Am liebsten häe i sie geslagen. Oder die Wände, die Arbeitsfläen und den toten Farmer auf

dem Tis. I häe am liebsten den Trokar genommen und Mom in das dumme Gesit gerammt und

ihr das Gehirn herausgesaugt …

Nein.

Beruhige dich.

I sloss die Augen. Viel zu viele Regeln hae i son gebroen. So dure i nit denken. I

dure mi nit von dieser Wut übermannen lassen. Also sloss i die Augen und legte Handsuhe

und Mundschutz ab.

»Es tut mir leid«, sagte i. »I … i konnte nit einfa hinausgehen und nie zurükommen. I

musste mich wehren, und …«

Nein. Beruhige dich.

»Es tut mir leid«, sagte i no einmal. Dann zog i die Sürze aus und ging zur Hintertür hinaus.

Damit konnte ich mich später noch beschäftigen. Im Augenblick waren die Regeln viel wichtiger.

Das Monster musste eingesperrt bleiben.

I hasste Halloween. Es war alles so albern – niemand fürtete si wirkli, alle liefen mit falsem

Blut oder Gummimessern herum und trugen Kostüme, die nit einmal unheimli waren. Halloween

sollte die Nat sein, in der die bösen Geister auf der Erde umgehen und Druiden Kinder in

Weidenkäfigen verbrennen. Was hatte das damit zu tun, sich wie Spiderman zu verkleiden?

Son mit at Jahren hae i das Interesse an Halloween verloren. Ungefähr zu dieser Zeit hae i

au eine Menge über Serienmörder gelernt. Das bedeutet nit, dass i auörte, mi zu verkleiden,

sondern nur dass i mir meine Kostüme nit mehr selbst aussute. Meine Muer wählte jedes Jahr

etwas für mi aus, i trug es, ohne groß darauf zu aten, und vergaß die ganze Angelegenheit bis zum

folgenden Jahr. Im vierten Suljahr hae sie mi in einem Kleid losgesit, und das häe i fast

nit überlebt. Irgendwann musste i ihr von Ed Gein erzählen, den seine Muer als kleines Kind meist

wie ein Mädchen angezogen hatte. Als Erwachsener hatte er dann Frauen umgebracht und aus ihrer Haut

Kleider genäht.

Man häe meinen sollen, dass Halloween in diesem Jahr ziemli cool würde – sließli haen wir

einen eten Dämon mit Reißzähnen und Krallen und so weiter in der Stadt. Das häe do etwas in

Gang setzen sollen. Aber wir wussten es ja no nit, und bisher hae er erst zwei Mensen

umgebrat. Sta im Keller zu hoen und um Erlösung zu beten, strömten wir zu Halloween in die

Turnhalle der Highsool und taten so, als häen wir Spaß am Tanzabend. I weiß no nit einmal

genau, was von alledem am schlimmsten war.

Die Tanzabende in der Junior High waren son übel genug gewesen, und Mom hae mi

gezwungen, sie alle zu besuen. Da si dies au auf der Highsool nit änderte, hoe i, dass

wenigstens die Tanzveranstaltungen besser würden, aber das war nit der Fall. Der Halloween-Tanz

war besonders dumm. Es war die Gelegenheit für alle linkisen, tollpatsigen, unreifen Mutanten, si

kostümiert in der Highsool zu versammeln und an den Wänden herumzustehen, während bunte

Liter blinkten und der stellvertretende Sulleiter über die Lautspreeranlage der Sule uralte Songs

abspielte. Wie immer zwang Mom mi hinzugehen, damit i »endli ein paar ritige Freunde« fand,

erlaubte es mir aber als Geste des guten Willens, mir mein Kostüm selbst auszusuen. Weil i wusste,

dass sie sauer werden würde, ging ich als Clown.

Max gab vor, irgendeiner Spezialeinheit anzugehören. Er trug die Tarnjae seines Vaters und hae

si einen zähen braunen Kleister ins Gesit gesmiert. Außerdem hae er ein Plastikgewehr dabei,

obwohl in der Sule ein strenges Waffenverbot galt. Der Suldirektor nahm es ihm natürli am

Eingang ab.

»Das ist ein Mist«, flute Max, während er wütend die Faust hob und den Direktor quer dur die

Turnhalle böse anstarrte. »I werde mir die Knarre zurüholen, Sweinebae, garantiert. Glaubst du,

er rückt sie wieder raus?«

»Hast du mich gerade Schweinebacke genannt?«, fragte ich.

»Mann, i swöre dir, i kriege meine Kanone zurü, und er wird es nit mal merken. Mein Dad

hat mir ein paar nette Tricks gezeigt – er wird nicht einmal mitbekommen, dass ich da war.«

»Du trägst die false Tarnkleidung«, warnte i ihn. Wir haen unsere gewohnte Stellung bezogen,

drüten uns in einer Ee herum, und i beobatete die Gäste, die zwisen der Getränkeausgabe und

den Wänden hin und her liefen.

»Mein Dad hat die Jacke im Irak bekommen«, erklärte Max. »Echter kann’s gar nicht sein.«

»Das wäre erst ritig et, wenn Mister Layton deine Kanone im Irak versteen würde«, erwiderte

i. »Aber wir sind auf einem Sulfest im Mileren Westen. Wenn du nit auffallen willst, solltest du

di als Unfallopfer verkleiden. Davon haben wir heute Abend eine ganze Menge. Oder ma dir ein

falses Einsusslo auf die Stirn.« Billige Verstümmelungen standen bei mindestens der Häle der

Jungen offenbar ho im Kurs. Man sollte do meinen, dass zwei grässlie Morde in der Stadt die

Leute etwas empfindsamer gemat häen, aber so sind sie eben. Wenigstens war kein ausgeweideter

Automechaniker dabei.

»Das wäre ne.« Max betratete eine Susswunde aus Plastik, die gerade vorbeikam. »Das werde

i morgen Abend bei Süßes oder Saures probieren – die Leute sollen si vor Angst in die Hose

machen.«

»Willst du wirkli Süßes oder Saures spielen?«, late jemand. Es war Rob Anders, der si uns mit

ein paar Freunden näherte. Sie verfolgten mi son seit dem drien Suljahr. »Zwei Babys spielen

Süßes oder Saures – das ist doch was für kleine Kinder!« Feixend gingen sie vorbei.

»I ma das nur wegen meiner kleinen Swester«, knurrte Max und starrte ihnen Löer in den

Rüen. »I hol mir meine Knarre. Mit einer Knarre sieht das Kostüm einfa besser aus.« Er stakste

zum Eingang und ließ mich allein im Halbdunkel stehen. Ich beschloss, mir etwas zu trinken zu holen.