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12.

In dem großen, schlicht eingerichteten Saal hielten sich mindestens drei Dutzend Menschen auf. Es war ein buntes Gemisch von Männern und Frauen in Festtagsgewändern, Einheimischen und den Gesandten anderer Völker, die an ihrer ungewohnten Kleidung, der Hautfarbe oder ihren fremd klingenden Akzenten zu erkennen waren. Sie alle waren beladen mit Geschenken für Seine Exzellenz Mahmud ibn Subuktakin, den Emir von Gazna. Die meisten der Männer und Frauen mussten dabei wesentlich tiefer in ihre Taschen gegriffen haben, als sie es sich eigentlich leisten konnten. Einige von ihnen würden sicherlich eine Zeit lang hungern müssen. Allerdings kam jeder der Anwesenden mit einem Anliegen oder einer Bitte hierher. Und da war es sicherlich nicht schlecht, der Gnade und dem Wohlwollen des Herrschers durch eine besonders großzügige Gabe auf die Sprünge zu helfen. Beatrice machte keine Ausnahme. Sie hatte ebenso wie Malek einen Teppich bei sich, der für Subuktakin bestimmt war. Bestechung - eines der ältesten politischen Mittel und zu allen Zeiten und in allen Kulturen gleichermaßen wirksam.

Beatrice klammerte sich an ihrem zusammengerollten Teppich fest und betrachtete einen Mann, der sich auf einem der Sitzpolster ausgestreckt hatte. Seine Kleidung war staubig und zerknittert, er machte einen atemlosen, erschöpften Eindruck - offensichtlich ein Bote, gerade zurück von einer langen Reise. Er war der Einzige, dem die Wartezeit höchst willkommen zu sein schien, denn eingewickelt in seinen langen Reisemantel schlief er so tief, dass sogar sein Schnarchen zu hören war. Die meisten anderen Wartenden standen unschlüssig herum oder gingen unruhig auf und ab und unterhielten sich nur in gedämpftem Flüsterton - die Luft schien vor Spannung und Nervosität zu knistern. Trotzdem war Beatrice der festen Überzeugung, dass niemand hier im Saal aufgeregter war als sie.

In der Nacht, als Malek ihr seinen Vorschlag unterbreitet hatte, hatte sie voller Begeisterung zugestimmt. Es war ein exzellenter Plan, gut durchdacht und sicherlich die einzige Möglichkeit, mehr über Michelle und Ali al-Hussein herauszufinden. Dieser Meinung war sie wenigstens noch in der Nacht gewesen. Und auch Yasmina, die als einziger Mensch außer Malek noch von dem Plan wusste, war dieser Meinung gewesen. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Ihr Blut rauschte in den Ohren, ihre Hände zitterten, und ihre Zunge ließ sich kaum noch vom Gaumen lösen, als ob sie dort mit Alleskleber befestigt worden wäre. Sie hatte so wenig Speichel im Mund, dass es in ihrem Hals und ihren Bronchien kratzte und sie sich unentwegt räuspern musste.

»Malek«, flüsterte sie. Ihre Stimme bebte in einem Anfall von Panik. Und dann wurde aus dem Kratzen in ihrem Hals ein trockener, quälender Reizhusten, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Wie sollte sie so vor den Emir treten? Sie würde kein Wort hervorbringen können. »Das wird niemals funktionieren. Vielleicht sollten wir doch lieber ...«

»Aber warum denn nicht?«, fragte Malek erstaunt zurück. »Sieh dich doch um. Wir fallen überhaupt nicht auf.«

Unruhig schaute Beatrice sich um. Tatsächlich starrte niemand sie an. Alle Anwesenden waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Aber da ... In einer Ecke stand eine tief verschleierte Frau, die sie plötzlich ansah. Doch im selben Moment senkte sie auch schon ihren Blick. Vermutlich irrten die Augen der Frau ebenso ziellos im Raum umher wie ihre eigenen, verzweifelt auf der Suche nach einer Ablenkung von der steigenden Nervosität. Dass sich ihre Blicke begegnet waren, war ein Zufall. Nichts anderes. Oder etwa doch nicht?

»Aber die Frau dort drüben, die hat ...«

»Unsinn, du bildest dir nur etwas ein«, sagte Malek energisch. »Es läuft alles nach Plan.« Er legte ihr aufmunternd eine Hand auf den Arm, aber sein Gesicht blieb ernst. »Kopf hoch. Denke immer daran, weshalb du das tust. Denke an deine Tochter - und die Gefahr, in der sie schwebt.«

Beatrice hustete, versuchte zu schlucken, irgendwie einen Tropfen Feuchtigkeit in ihre kratzende, ausgedörrte Kehle zu bringen und nickte. Sie versuchte sogar zu lächeln. Vermutlich sah sie dabei wesentlich tapferer aus, als sie sich zurzeit fühlte. Dann wanderte ihr Blick wieder zu dem Boten. Der Mann schlief immer noch. Die Nachricht für den Herrscher musste dringend sein, wenn er sich noch nicht einmal die Zeit genommen hatte, sich seiner schmutzigen Kleidung zu entledigen. Ob er einer jener Boten war, die nach Michelle suchen sollten? Ausgeschlossen war es nicht. Falls er sie oder eine Spur von ihr gefunden hatte, dann musste sie es erfahren. Und dafür gab es nur einen Weg. Unwillkürlich straffte sie die Schultern und hob das Kinn. Malek hatte Recht, sie musste das hier durchstehen. Für Michelle.

In diesem Augenblick trat ein Diener zu ihnen.

»Verehrter Malek al-Said ibn Tariq«, sagte er und verneigte sich leicht. »Unser edler Herrscher, Mahmud ibn Subuktakin, Flerr von Gazna und Beschützer der Gläubigen, erweist Euch die Gnade, Euch jetzt zu empfangen.«

Malek nickte. Beatrice fühlte, wie ihr Herzschlag für einen Moment aussetzte. Trotz ihrer vor kaum einer Sekunde ge- fassten Vorsätze wurden ihre Knie weich, und der Boden gab unter ihr nach, als bestünde er aus einem besonders weichen Schaumstoff. Zuletzt hatte sie sich so gefühlt, als sie zum ersten Mal allein für eine große Operation verantwortlich war, und das war schon etliche Jahre her. Im Nachtdienst war ein Mann mit einem Magendurchbruch eingeliefert worden. Alle anderen erfahrenen Kollegen - inklusive Oberarzt und Chef- waren mit zwei Schwerstverletzten beschäftigt gewesen. Als der Patient dann auch noch begonnen hatte, im Schwall Blut zu spucken, hatte sie nicht mehr auf die anderen warten können. Mit weichen, zittrigen Knien war sie in den OP gewankt. Trotzdem hatte sie es damals geschafft, ihre Angst zu überwinden, und die erforderliche Magenteilresektion allein durchgeführt. Mit Erfolg, der Patient hatte überlebt. Jetzt war die Sachlage natürlich eine andere. Doch die Konsequenz war ähnlich - sie war Michelles einzige Chance. Und wenn sie es einmal fertig gebracht hatte, ihre Angst und Nervosität zu besiegen, so sollte sie es jetzt auch können. Erst recht für ihre Tochter.

Beatrice straffte erneut die Schultern, hob ihr Kinn und nickte Malek zu. Dann folgten sie gemeinsam dem Diener durch die große Doppeltür in den angrenzenden Saal.

Der Thronsaal war in seiner Ausstattung kaum weniger schlicht als der Wartesaal, aus dem sie gerade kamen. Nur vereinzelte, wenn auch ohne Zweifel sehr kostbare Teppiche bedeckten den Boden. Die Wände wurden von schönen, in allen erdenklichen Farben glasierten Kacheln geschmückt, auf denen in goldenen Buchstaben Worte standen, von denen Beatrice nur vermuten konnte, dass es sich um Zitate aus dem .Koran handelte. Beim Anblick dieser Schriftzeichen erlitt Beatrice eine erneute Panikattacke. Selbst wenn Maleks Plan gelingen sollte und Subuktakin sie tatsächlich an seinem Hof aufnahm, würden diese Schriftzeichen sie früher oder später in Verlegenheit bringen. Irgendwann würde man nämlich von ihr verlangen, etwas vorzulesen. Und dann würde man merken, dass sie die arabische Schrift gar nicht lesen konnte. Was sollte sie dann tun? Wie sollte sie sich da herausreden?

Warte es doch erst einmal ab!, versuchte ihre innere Stimme sie zu beruhigen. Wenn es so weit ist, wird dir schon etwas einfallen. Dir ist bislang immer etwas eingefallen.

Allerdings hatte sie sich nie zuvor in ein derart großes Wagnis gestürzt. Es gab so viele Dinge, die schief gehen konnten, so unendlich viele Fallstricke.

Die gab es auch, als du Nuh II. das Nasenbein gebrochen hast, widersprach energisch ihre innere Stimme.

Ja, doch das war etwas anderes. Damals in Buchara hatte sie im Affekt gehandelt. Sie hatte gar keine Zeit zum Nachdenken gehabt. Aber hier ... Beatrice schnappte mühsam nach Luft. Schon spürte sie das leichte Kribbeln in den Fingerspitzen, das typische erste Anzeichen für eine Hyperventilation. Sie mahnte sich zur Ruhe und zwang sich, einen Augenblick lang die Luft anzuhalten. Hier direkt vor seinen Augen zusammenzubrechen würde bei Subuktakin auf keinen Fall den Eindruck hinterlassen, den sie eigentlich erwecken wollte. Da vorne, in etwa zwanzig Meter Entfernung, stand der Thron. Dort musste sie hin. Das konnte doch nicht so schwer sein, es waren schließlich nur zwanzig Meter. Aber ihre Füße schienen mit jedem Schritt schwerer zu werden, und eine unsichtbare Macht zog sie unerbittlich zurück zur Tür, zurück zum rettenden Ausgang, zurück in die Freiheit. Nur weg von hier! Aber es war bereits zu spät.

»Kommt schon!«, rief eine scharfe, ungeduldige Stimme. »Ich gestatte euch, euch zu nähern.«

Malek gab ihr einen freundschaftlichen Stoß in den Rücken und schob sie vorwärts. Gemeinsam durchquerten sie den Saal, bis sie etwa drei Meter vom Thron entfernt stehen blieben. Bevor sie sich tief verneigten, warf Beatrice einen kurzen Blick auf den Herrscher. Subuktakin war ein hagerer Mann mit einer scharf gebogenen Nase, die aussah wie ein Geierschnabel. Er trug makellose weiße Kleidung wie ein Mekkapilger und saß steif und reglos auf seinem Thron. Nur seine tief liegenden, dunklen, unablässig umherwandernden Augen verrieten, dass er ein Wesen aus Fleisch und Blut war und keine Marmorstatue. Sein langer gepflegter grau melierter Bart reichte ihm bis zur Brust. Beatrice wusste zwar nicht, ob es im Koran genaue Maßangaben für die Länge männlicher Bärte gab, doch sollte es sie geben, so war sie sicher, dass dieser Bart die geforderte Länge nicht um einen einzigen Millimeter über- oder unterschritt. Subuktakin machte eher den Eindruck eines Geistlichen denn eines Herrschers, ein Asket, der allen fleischlichen Genüssen entsagt hatte. Mit Nuh II., dem genussfreudigen Emir von Buchara mit seinem ausschweifenden Lebenswandel, ließ er sich auf gar keinen Fall vergleichen.

»Seid gegrüßt, Mahmud ibn Subuktakin, edler Herrscher und Beschützer der Gläubigen von Gazna. Allah sei gepriesen und möge Euch ein erfülltes und gesundes Leben schenken, reich an Jahren, Glück und Zufriedenheit.« Malek verneigte sich noch tiefer. »Ich danke Euch für die Gnade, mich zu empfangen, Euren untertänigen Diener Malek al-Said ibn Tariq, und biete Euch diesen Teppich zum Geschenk und als Beweis der Hochachtung meines Vaters, Eures untertänigen Dieners, an.«

Malek rollte vor dem Thron einen wunderschönen Teppich aus.

»Ich weiß dieses Geschenk zu schätzen, Malek al-Said.

Richte auch deinem Vater meinen Dank aus, Allah möge ihn segnen«, erwiderte der Herrscher und verzog seine schmalen Lippen zu einem dünnen, freudlosen Lächeln. »Doch du kommst heute nicht allein?«

Malek erhob sich und lächelte ebenfalls, während sich Beatrice noch tiefer verneigte, sodass ihre Stirn beinahe den Boden berührte.

»In der Tat, o Herr und Beschützer der Gläubigen von Gazna, ich habe einen Freund mitgebracht. Das ist Saddin al- Assim ibn Assim, ein hochgeschätzter Freund unserer Familie. Er hat eine weite Reise auf sich genommen, um Euch seine Dienste als Arzt anzubieten.«

»Eure Worte sind freundlich, Malek al-Said, doch soll dein Gast für sich selbst sprechen«, hörte Beatrice Subuktakin sagen. »Erhebe dich und schaue mich an, damit ich dir ins Gesicht sehen kann.«

Und in deine Seele, fügte sie in Gedanken hinzu. Ihr Herz klopfte wie ein Dampfhammer, und sie hätte Wetten darauf abschließen mögen, dass sie in diesem Augenblick alles andere als eine gesunde Gesichtsfarbe hatte. Dennoch schaffte sie es, ihren Kopf zu heben und den Blick des Emirs zu erwidern.

Schweigend sah er sie an. Seine Augen drangen durch sie hindurch, tastend und suchend wie die Nebelleuchten eines Seenotrettungskreuzers bei Nacht und schlechter Sicht. Und sie hatte nur einen einzigen Gedanken: Hoffentlich durchschaut er mich nicht!

»Deine Augen sind blau«, sagte Subuktakin schließlich, nachdem eine halbe Ewigkeit verstrichen war. Es klang, als hätte er etwas herausgefunden, was vor ihm noch niemand bemerkt hatte.

»Ja, Herr«, erwiderte Beatrice und versuchte so unterwürfig und bescheiden wie möglich zu klingen. Sie musste diese

Prüfung bestehen. Unter allen Umständen. Für Michelle. »Ein Vermächtnis meines Großvaters.«

Das war noch nicht einmal eine Lüge.

Subuktakin hob eine Augenbraue. »Du bist fremd in Gazna. Du hast einen ungewöhnlich klingenden Akzent«, fuhr er fort. »Woher kommst du?«

»Meine Heimat ist Granada, Herr. Ich bin erst vor zwei Tagen mit einer Karawane in Gazna angekommen.«

»Oh, ein Gast aus dem fernen El-Andalus? Weshalb hast du diese weite Reise auf dich genommen?«

Hatte Malek das nicht bereits erklärt? Was sollte dieses Katz-und-Maus-Spiel? Hatte Subuktakin sie etwa doch durchschaut?

Beatrice nahm ihren ganzen Mut zusammen.

»Meine Familie und die des Teppichhändlers Mahmud von Gazna stehen seit vielen Jahren in enger Verbindung. In jedem Brief war von Euch die Rede, Herr, von Eurer Weisheit und Weitsicht, die Euch veranlasst, Gelehrte aller Wissenschaften an Eurem Hof zu versammeln. Nun endlich, nach Beendigung meiner Ausbildung, kam ich in der Hoffnung nach Gazna, Euch meine Dienste anbieten zu dürfen, Herr.« Malek stieß ihr unmerklich einen Zeigefinger in die Rippen und deutete auf den Teppich. Obwohl sie ihn immer noch fest zusammengerollt unter den Arm geklemmt hatte, hätte sie ihn in der Aufregung fast vergessen. Offensichtlich war jetzt der geeignete Zeitpunkt gekommen, dem Willen des Herrschers mit dem richtigen »Argument« auf die Sprünge zu helfen. »Ich habe Euch dies hier mitgebracht, als Zeichen meiner Verehrung und Hochachtung vor der Größe und Weitsicht Eures Geistes.«

Sie entrollte den Teppich - und hielt im selben Augenblick vor Staunen den Atem an. Vor ihr lag ein Gebetsteppich, nur wenig größer als eine herkömmliche Fußmatte, und trotzdem war es ohne Zweifel der schönste und wertvollste Teppich, den Beatrice jemals zu Gesicht bekommen hatte. Er war nicht aus Wolle, sondern aus Seide geknüpft, die im Licht der Öllampen sanft schimmerte und glänzte. Die Farben des wunderschönen Musters waren so rein und klar, als wären sie nicht von Menschenhand hergestellt worden. Über die Knotenzahl konnte sie nur vage Vermutungen anstellen, aber sie musste extrem hoch sein. Beatrice schätzte den Wert dieses Teppichs auf mindestens fünfhunderttausend Euro. Auch Subuktakin konnte sich seiner Schönheit nicht entziehen. Der Herrscher erhob sich von seinem Thron, trat näher und befühlte den Teppich. Ein Leuchten huschte über sein Gesicht. Vielleicht sah er sich schon bei der nächsten Gebetszeit auf diesem Teppich knien und Richtung Mekka verneigen.

Subuktakin nahm wieder auf seinem Thron Platz. Und obwohl er nachdenklich die Stirn runzelte, sah er schon viel freundlicher aus als zuvor. Offensichtlich war das Argument gut gewesen.

»Du bist Arzt?«

»Ja, Herr, ich wurde an der Universität von Cordoba in der Heilkunde ausgebildet.«

»Wie war noch dein Name?«

»Saddin al-Assim ibn Assim, Herr«, antwortete Beatrice und bat Saddin um Verzeihung für die Verwendung seines Vornamens. Doch in der Nacht hatte sie keinen besseren Namen gefunden. Anfangs hatte sie sich Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina nennen wollen, doch dann war ihr wieder eingefallen, dass Ali zu dieser Zeit noch lebte. Vielleicht kannte ihn hier am Hof von Gazna sogar jemand, und sie hatte diese Idee gleich wieder verworfen.

»Also, Saddin al-Assim aus El-Andalus, eigentlich steht bereits eine ausreichende Anzahl von Ärzten in meinen

Diensten. Warum also sollte ich deiner Bemühungen bedürfen?«

Beatrice musste ein Lächeln unterdrücken. Sie war unendlich erleichtert. Jetzt war es nichts anderes mehr als ein Einstellungsgespräch, eine Situation, die sie kannte und mit der sie fertig werden konnte. Damals hatte Dr. Mainhofer fast die gleichen Fragen gestellt wie jetzt der Emir von Gazna. Damals hatte sie ihren Mut und ihr Selbstbewusstsein zusammengenommen - und die ersehnte Stelle in der Chirurgie erhalten. Und sie hatte nicht vor, es diesmal anders zu machen. Sie hob ihr Kinn.

»Allah hat mir in Seiner unendlichen Güte ausgezeichnete Lehrer und eine schnelle Auffassungsgabe geschenkt«, sagte sie und rief sich alles in Erinnerung, was sie über den Emir von Gazna wusste. »Seit frühester Jugend habe ich die Heilkunst studiert, ich habe ihr mein Leben gewidmet. An Eurem Hofe zu dienen, hier in Gazna meine Studien fortsetzen zu dürfen und dabei noch mehr zu lernen, zur Ehre Allahs und zum Wohle der Gläubigen, wäre mein größter Wunsch und würde die Krönung meines Lebens bedeuten.«

Beatrice verneigte sich und hoffte, dass sie nicht zu dick aufgetragen hatte.

»Wenn du ein ebenso geschickter Arzt wie Redner bist, Saddin al-Assim, so wärst du in der Tat eine Bereicherung für Gazna.« Ein kurzes, kaum sichtbares Lächeln huschte über das Gesicht des Herrschers. »Also gut, ich gestatte dir, dich an meinem Hof unter Beweis zu stellen. Ich gebe dir einen Monat Zeit. Sofern ich mit deinen Diensten zufrieden bin, darfst du dich fortan als Mitglied meines Hofstaats betrachten. Wenn nicht, werde ich dafür sorgen, dass du die nächstbeste Karawane begleitest, die von Gazna in Richtung deiner Heimat aufbricht.«

»Jawohl, Herr«, sagte Beatrice und verneigte sich tief. Malek war ein Schatz. Was hatte sie taxiert? Fünfhunderttausend Euro? Dieser kleine Teppich war unbezahlbar. Ein Monat war genau die Zeit, die sie brauchte. Wenn sie bis dahin nichts über Michelle herausgefunden hatte, musste sie ohnehin woanders ihre Suche fortsetzen. »Ich danke Euch, dass Ihr mir die Gelegenheit gebt, Euch zu dienen.«

»Melde dich sofort bei meinem Schreiber, und lasse dich zu Abu Rayhan Muhamad ibn Ahmad al-Biruni führen. Er wird dich in die Gepflogenheiten am Hof einweisen und dir deine Aufgaben nennen.«

»Danke, Herr, für Eure Güte und ...«

»Schluss jetzt«, unterbrach Subuktakin Beatrice unwirsch. »Ich habe noch viel zu tun. Weitere Gläubige warten darauf, von mir angehört zu werden.«

Malek und Beatrice verneigten sich und gingen rückwärts unter vielen Verbeugungen zur Tür.

Im Wartesaal stieß Malek Beatrice lächelnd in die Seite.

»Siehst du, es ist alles nach Plan gelaufen«, sagte er. »Du bist jetzt Arzt am Hofe unseres Herrschers!«

»Ja, das hat geklappt!«, erwiderte Beatrice.

Ihr Blick glitt über die Wartenden hinweg. Es waren noch mehr geworden. Und immer noch wanderten sie ziellos auf und ab, mit ineinander verkrampften Händen und angespannten, bleichen Gesichtern. Sie selbst hingegen fühlte sich seltsam leicht und schwerelos. So mussten es die Astronauten empfunden haben, als sie zum ersten Mal den Mond betreten hatten. Doch da fiel ihr Blick auf den Boten. Er lag immer noch zusammengerollt in seiner Ecke und schlief. Und obwohl sie nicht wusste, welche Nachricht er dem Emir bringen wollte, war dieser Mann ein Symbol für Beatrice. Eine Mahnung, zu jeder Zeit auch an unvorhergesehene Nachrichten und Ereignisse zu denken. Sie musste aufpassen, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren.

»Ich bin jetzt Arzt am Hofe des Emirs. Aber ich fürchte, damit fangen die Schwierigkeiten erst an.«