Teil V: Komplexe Systeme
Nach der Behandlung des Wasserstoffatoms hört die Quantenmechanik endgültig damit auf, »einfach« zu sein, was aber nicht bedeutet, dass man über komplexere Systeme keine Aussagen machen kann.
Wenn man es mit mehr als zwei Teilchen oder gar einer Vielzahl von Teilchen zu tun hat, dann ist es unmöglich, exakte Lösungen zu bestimmen, da die Physik und damit vor allem auch die Mathematik beliebig kompliziert wird. Allerdings gibt es verschiedene Möglichkeiten, um auch weiterhin wichtige Erkenntnisse zu gewinnen. Man betrachtet in diesem Fall Systeme nur unter bestimmten Aspekten und verzichtet auf den Versuch, exakte, vollständige Lösungen zur Beschreibung zu finden. Eine Möglichkeit besteht beispielsweise darin, Teilchen in folgende Gruppen zu unterteilen:
Unterscheidbare Teilchen
Identische (ununterscheidbare) Teilchen
Wenn man ein Viel-Teilchen-System aus unterscheidbaren Teilchen betrachtet, stellt sich
zunächst die Frage nach der Wechselwirkung zwischen diesen
Teilchen. Kann man diese vernachlässigen, so bedeutet das, dass man
ein System aus N wechselwirkungsfreien
Teilchen untersucht. In diesem Fall ist die Wellenfunktion das
Produkt aus den N
Einteilchen-Wellenfunktionen, der zugehörige Energieeigenwert ist
die Summe aus den Einteilchen-Energien.
Betrachtet man dagegen identische, d. h. ununterscheidbare Teilchen, so ist die Situation komplizierter. In diesem Fall kann man das Viel-Teilchen-System mithilfe des Permutations- oder Austauchoperators Pij untersuchen, der die Teilchen i und j miteinander vertauscht. Da zweimaliges Anwenden zum Ausgangszustand zurückführt, gilt Pij2 = 1; somit hat der Austauschoperator Pij die möglichen Eigenwerte +1 und –1, wenn eine Wellenfunktion eine Eigenfunktion von Pij ist. Bei der weiteren Untersuchung zeigt sich, dass es zwei Arten von Eigenfunktionen des Austauschoperators gibt:
Die Wellenfunktion ψ ist symmetrisch bei Teilchenaustausch; das bedeutet:
.
Die Wellenfunktion ψ ist antisymmetrisch bei Teilchenaustausch; das bedeutet:
.
Dieser Symmetriecharakter eines Systems in eine
Erhaltungsgröße. Das bedeutet, dass ein
Viel-Teilchen-System bei Teilchenaustausch in jedem Fall entweder
symmetrisch oder antisymmetrisch ist und diese Eigenschaft auch
immer beibehält.
Ob ein System identischer Teilchen symmetrisch oder antisymmetrisch ist, hängt von der Natur der Teilchen ab. Wie Wolfgang Pauli zeigen konnte, besteht ein Zusammenhang zwischen Spin und Symmetriecharakter:
Teilchen mit halbzahligem Spin haben antisymmetrische
Wellenfunktionen; sie heißen Fermionen.
Teilchen mit ganzzahligem Spin haben symmetrische
Wellenfunktionen; sie heißen Bosonen.
Das ist von großer Bedeutung für die gesamte
Quantenphysik und führt schließlich zum Pauli-Prinzip, das am Ende
von Kapitel 11 erläutert wird. Wie Sie sehen, bietet die
Quantenmechanik erheblich mehr als die Lösung der
Schrödinger-Gleichung!
Völlig andere Ansätze machen die Störungs- und die Streutheorie. Die Störungstheorie beschäftigt sich mit der Frage, was passiert, wenn ein Teilchen ein zusätzliches Potential erfährt, etwa ein elektrisches oder magnetisches Feld. Dieses muss natürlich im Hamilton-Operator berücksichtigt werden, so dass die Schrödinger-Gleichung in den meisten Fällen unlösbar ist. In der Störungstheorie geht man davon aus, dass die durch das zusätzliche Feld hervorgerufene Änderung der Energieeigenwerte nur klein ist, und versucht, die genauen Werte durch ein iteratives Verfahren anzunähern.
Die Streutheorie betrachtet schließlich zwei Teilchen, die sich aufeinander zu bewegen, wechselwirken und sich dann wieder voneinander entfernen. Ziel der Streutheorie ist es vorauszusagen, in welche Richtung sich die Teilchen nach der Wechselwirkung fortbewegen.