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»Jakob Formann mein Name, Fräulein. Ich bin Punkt siebzehn Uhr mit dem Herrn Staatssekretär Bredendorff verabredet. Es ist Punkt siebzehn Uhr.«
»Tut mir leid, Herr Formann, der Herr S-taatssekretär Bredendorff mußte schon fort! Seine Maschine ging früher!«
»Hören Sie, er hat mich eigens für heute herbestellt! Das ist doch eine Sauerei, das kann man mit mir nicht machen, das …«
»Beruhigen Sie sich, Herr Formann, ich bitte, beruhigen Sie sich. Der Herr S-taatssekretär hat einen Persönlichen Referenten. Der ist über alles informiert. Der erwartet Sie. Der wird mit Ihnen reden.«
»Na schön, wo ist er?«
»Im Moment hat er gerade Besuch. Bitte gedulden Sie sich ein wenig, Herr Formann.«
»Hören Sie, ich war um Punkt siebzehn Uhr …«
»Ja, ja, gewiß, Herr Formann. Aber Sie können sich bes-timmt vors-tellen, daß der Herr Persönliche Referent vor Arbeit kaum aus den Augen zu schauen vermag, jetzt, da der Herr S-taatssekretär nach Amerika geflogen ist.«
»Also schön, liebes Fräulein, ich warte …«
Jakob wartete eine halbe Stunde in einem eleganten Vorraum. Er blätterte in einer Gazette. In dieser ersten halben Stunde bildete er sich. Er las eine Würdigung des Dichters Bertolt Brecht, der im August dieses Jahres gestorben war, sowie Kritiken der Bücher ›Die Wurzeln des Himmels‹ von Romain Gary (da geht es um einen Mann, der will die Ausrottung der Elefanten in Afrika verhindern, ich muß unbedingt auf eine Safari, meinen Elefanten schießen! dachte Jakob), sowie ›Die Dämonen‹ von Heimito von Doderer (eine Hymne, diese Besprechung, ein wirklicher Dichter, na ja, ein Wiener natürlich!) und des Theaterstücks ›Blick zurück im Zorn‹ von John Osborne. (Ich weiß nicht, ich kann nicht im Zorn zurückblicken, er kann es offenbar, dachte Jakob.)
In der zweiten halben Stunde las er Kinoprogramme. Angelaufen waren ›Baby Doll‹, ›Der Hauptmann von Köpenick‹ (mit dem Heinz Rühmann, den sehe ich so gerne!), ›Ich denke oft an Piroschka‹ (und ich an den Hasen, ach, verloren, verloren, die wird jetzt die Frau eines Filmschönlings! Was soll mir Glück, was soll mir Geld, wozu hetze ich mich überhaupt ab wie ein Irrer und hocke jetzt da? Für die Edle vielleicht? Einsam ist der Mensch, allein, ausgesetzt dem Leben, der hat doch ganz recht, dieser Dings, dieser Osborne, und ich blicke auch zurück im Zorn! Jetzt warte ich eine Stunde, jetzt reicht’s mir!).
Jakob ging in das Zimmer der Sekretärin des Persönlichen Referenten. Hier lief leise ein Radio, Jakob hörte einen Schmalztenor: »Arrivederci, Roma …«.
Der Schlager des Jahres.
»Hören Sie, liebe Dame, ich warte jetzt …«
»Es tut mir leid, Herr Formann, aber der Herr Persönliche Referent hat noch etwas ganz Dringliches zu erledigen …«
»Dann soll man mich nicht um siebzehn Uhr bestellen!« lärmte Jakob. »Ich habe meine Zeit nicht gestohlen! Das ist ein Skandal!«
»Whatever will be, will be …«
Ein anderer Schlager des Jahres.
Eine dick gepolsterte Tür ging auf.
»Was ist ein Skandal? Wer schreit denn hier so herum?« fragte gereizt ein Hüne von Mann, tadellos gekleidet, mit unmutig hochgezogenen Augenbrauen.
»Also, das ist doch nicht wahr«, sagte Jakob entgeistert. Pfote, wo bist du? »Was ist nicht wahr, Herr Formann?« fragte der tadellos gekleidete Hüne. Er war ein alter Bekannter von Jakob. Es war der ehemalige Wehrwirtschaftsführer Herr von Herresheim, den Jakob mit seinen Saufkumpanen und blonden Buben aus der NIBELUNGENTREUE am Tegernsee vertrieben hatte.
»… the future’s not our’s to see, que serra, serra …«