41

Natürlich war es noch zu früh.

»Man kommt nicht zu früh«, sagte die Contessa. »Zu spät ja, aber nicht zu früh. Das ist nicht fein. Wir müssen noch ein bißchen herumfahren, Otto. Zuerst zur Midi-Plage.« Claudia kannte sich hier aus. Sie sprachen alle Englisch miteinander, ganz blödsinnig, denn sie alle konnten deutsch. Mit Französisch war das so eine Sache. Jakob sprach es jetzt halbwegs, Claudia natürlich fließend, BAMBI kein Wort, Otto etwa so gut wie Jakob. Claudia hatte gesagt, daß hier unten jeder zweite Englisch verstehe und spreche. Ja, und was macht man mit jedem ersten?

Otto hatte den Mittelpunkt des Ortes, die Place Clemenceau, erreicht und bog nun, wie Claudia ihn geheißen hatte, zur Midi-Plage nach links ab. Rot färbte die sinkende Sonne das Meer. (Genauso rot wie den Don bei Rostow, dachte Jakob. Bei Rostow tut sie das freilich mit viel mehr Berechtigung! Wagner kann ich nur folgen, solange er von Meyerbeer beeinflußt ist.)

»Immer noch zu früh«, sagte Claudia. »Otto, fahren Sie jetzt zum kleinen Hafen und zur Kirche.«

»Jawohl, Frau Gräfin.«

Schließlich war es an der Zeit. Die Halbinsel bevölkerte sich mit Rolls-Royces, Bentleys, Cadillacs. Und ich mit meinem Mercedes, dachte Jakob voll Bitterkeit. In der Erde würde ich am liebsten versinken.

»So, Otto, nun können wir«, sagte Claudia. (Sie waren am Badestrand Anse de la Scalette angekommen. Die Straße folgte ihm eine Weile, dann führte sie in Kurven zur Spitze der Halbinsel. Da oben sah Jakob einen alten Wachtturm, eine Kapelle, einen Friedhof und eine riesige Statue.)

»Die Statue ist aus Bronze, die Madonna von Galbusieri«, gab Claudia bekannt, die seinen Blicken gefolgt war.

Verflucht, Galbusieri, dachte Jakob. Nie gehört. Da geht kein Sabbern. Nix. Hoffentlich kommt nicht die Rede auf diesen Galsowieso.

Zu seiner Überraschung hielt Otto plötzlich.

»Was ist los?«

»Wir sind da, Jakob.«

»Das gehört schon Sir Alexander?«

»Das gehört schon Sir Alexander«, sagte Claudia, kühl bis ans Herz hinan. »Rund um die ganze Inselspitze. Habe ich dir doch gesagt, Jakob. Ein ungeheurer Besitz, du wirst sehen.«

Otto war ausgestiegen, öffnete die vordere und die hintere Wagentür und war den Herrschaften beim Aussteigen behilflich.

Jakob hatte weiche Knie.

Er stand auf einem Parkplatz, der so groß war wie ein halbes Fußballfeld. Weißer Schotter. Ein Wagen nach dem andern kam angeglitten. Hielt. Chauffeure oder Diener rissen Schläge auf. Jakob sah gebannt, was da so alles aus den Wagen quoll – Herren mit Silberhaar oder ganz ohne, Damen sehr jung, sehr alt, allesamt unirdisch kostbar gekleidet, mit so viel Schmuck behängt, daß es Jakob schwindlig wurde. Zum Glück sind meine Sachen von ›Cartier‹ auch nicht ohne, dachte er. Mies … so mies sind viele von den Weibern! Je mieser, um so mehr Klunker. Donnerwetter, aber da gibt es ja auch einen Haufen junge Dinger, bei deren Anblick wird dir gleich freundlich in der Hose, da muß ich an den idiotischen Dr. Watkins und meine angebliche Sexualschwäche denken! Junge, Junge, sind das Puppen! Ganz Hollywood. Aber nicht auf Tinnef, sondern echt.

Jakob sah, daß sehr viele der Ankommenden einander kannten, sich umarmten, auf beide Wangen küßten. Tja, und ich gehöre jetzt auch dazu, sinnierte er benommen. Wer hätte das gedacht vor zehn Jahren, als ich noch Civilian Guard am Fliegerhorst Hörsching war, ein armer Hund in einer gefärbten Ami-Uniform und mit durchgelatschten Schuhen! Als ich noch bei der Pröschl-Bäuerin lebte mit dem Hasen …

Dem Hasen! durchschoß es ihn siedend heiß.

Ach was, dachte er sofort trotzig. Du solltest mich jetzt sehen, Hase, mich und meine beiden Schönen, hier bei der Welt zu Gast, und du mit deinem Kleiderladen und deinem Strizzi, diesem Schmierenkomödianten. Na ja, du hast ja nicht mir mir kommen wollen, damals in Düsseldorf. Warst böse auf mich. Hast meine Liebe nicht haben wollen. Wer nicht will, der hat schon.

Gott, was ich mich wegen dem Mercedes geniere!

Jakob war sofort mit seinen Begleiterinnen von dem Wagen fortgeeilt, so weit es ging. Da stand der Mercedes nun, erbärmlich hineingequetscht zwischen zwei Rolls-Royces. Dabei habe ich auch zwei solche, dachte Jakob, und der Schmerz ließ seine Lider flattern. Was denn, zwei Rolls? Auch eine ›Superconstellation‹ habe ich und zwei ›Learstars‹! In einer ›Learstar‹ hätte ich kommen müssen, da ist Platz für vierzehn Gäste, bequem. Das wäre standesgemäß gewesen. Nur daß man auf so einem verfluchten Autoparkplatz nicht landen kann. Zum Kotzen. Man hat und hat und kann’s nicht zeigen! Reden darf man auch nicht darüber, sonst glauben die hier, ich bin ein Neureicher, der nur angibt.

Leger, Jakob, vornehm, Jakob, lässig, Jakob!

Okay.

Gehen wir also leger, vornehm und lässig auf das geöffnete Tor zum Park, meine Schönen und ich, als Gleiche unter Gleichen. (Ich habe dafür gesorgt, daß mich im Laufe des Abends ein paar Leute anrufen werden, weil es ganz dringend ist – aus Tokio und Washington und aus Belgrad und … und …)

Jakob schritt, rechts eine Beauty, links eine Beauty, in den Park hinein. Er schritt zwölf Minuten.

Wirklich und wahrhaftig zwölf Minuten.

Was für ein Park, lieber Gott!

Der weiße Kiesweg, auf dem vor und hinter Jakob und seinen zwei Hübschen nun sehr viele andere Gäste wandelten, war zu beiden Seiten gesäumt mit riesigen Palmen, Kiefern, Eukalyptus-, Zitronen- und Orangenbäumen. Im letzten Tageslicht sah Jakob mächtige Blumenbeete, kunstvoll angelegt, sah er Rosen, Mimosen, Oleander. Sah er Marmorstatuen, Marmorbänke, Pavillons und helle Lichtungen, auf denen weiße Gartenmöbel standen. Doch nicht nur phantastische Bäume säumten den langen Weg. Da stand auch eine nicht zu zählende Schar von Dienern. Reglos. Schwarze Hosen, weiße Jacketts, weiße Fliegen, weiße Handschuhe.

Ungeheuer nonchalant paradierte eine große Anzahl von Herren, die alle aussahen wie erstklassige Ringer. Sie trugen erstklassige Smokings. Nur unter den Achseln waren sie seltsam ausgebeult. Schulterhalfter! Pistolen! durchzuckte es Jakob. Donnerwetter, und so eine Masse! Leibwächter hat Sir Alexander also für sich und seine Gäste, Gorillas! Mit denen möchte nicht mal ich mich anlegen, und ich bin doch weiß Gott kein Schwächling.

Der Kiesweg machte eine Biegung, Jakob sah plötzlich das Meer. Rund um das Cap lagen sieben Polizeiboote. Ab und zu blinkten sie einander Lichtsignale zu. Jakob erschauerte. Das alles gab es! Na ja, bei dem Schmuck, der sich hier versammelte … Und dann auch noch die Herren mit den Sprechfunkgeräten, da im Hintergrund, dezent verteilt! Ich, ich würde ja so was ablehnen. Niemals Leibwächter für mich! Aber für meine Gäste! Jakob überlegte: Sir Alexander ist gewiß auch kein Feigling, der kann sich gewiß auch selbst verteidigen. Das alles hier geschieht nur zum Heil und Segen seiner Gäste. Dann muß ich mir so was natürlich auch zulegen, so eine Gorilla-Truppe – für meine Gäste!

Wieder eine Biegung des Wegs. Und da verschlug es Jakob derart den Atem, daß er nach Luft schnappte. Da stand das Haus, Sir Alexanders Haus. Marmor, Marmor, Marmor, Säulen, Säulen, Säulen. Angestrahlt von im Gras verborgenen Scheinwerfern. Eine monströse Terrasse. Seitenflügel, niedriger, aber so lang, daß sie sich in der Dunkelheit des Parks verloren.

Auf der Woge der Großen, Schönen und Reichen, die nun auch ihn und seine Begleiterinnen trug, wurde Jakob hochgeschwemmt bis zur Terrasse. Plötzlich standen Sir Alexander und Lady Jane vor ihm, er ein braungebrannter, breitschultriger Riese mit blitzenden blauen Augen, sie eine herbe Schönheit mit silbern gefärbtem Haar.

»Mister Formann«, sprach der Gastgeber in bestem King’s English, »wie freue ich mich!«

»Sie wissen, wer ich …« Jakob stoppte gerade noch rechtzeitig. Natürlich weiß der. Er hat genug Bilder von mir gesehen. Und außerdem steht so ein Ausgebeulter halb hinter ihm und flüstert ihm dauernd was ins Ohr, wahrscheinlich die Namen der Leute, die da ankommen!

»Die Freude ist ganz auf meiner …« Jetzt kam der ganze Quatsch. Achtgeben! Wie hat die Edle mir das beigebracht? Zuerst der Lady die Hand küssen. Nicht den Rücken zu tief krümmen, sie muß mit der Hand etwas hochkommen. Sie kommt. Sie lächelt. Angedeuteter Handkuß. Kurzer, markiger Händedruck mit Sir Alexander. Darf ich bekanntmachen … Jetzt die zwei Mädchen. Ja, so ist es richtig. BAMBI benimmt sich wie eine Fürstin!

Und gar erst Claudia. Die küßt die Lady und den Sir und wird wiedergeküßt.

Alex … Jane … Claudia.

Natürlich, die kennen sich. Claudia hat das ja auch nur deshalb einfädeln können. Die hat so was schon hundertmal, tausendmal mitgemacht. Für die ist das ein Honiglecken. Ein kleines Scherzwort. Ein kleines Lachen. Und schon geht es weiter, denn neue Große, Berühmte, Gewaltige drängen nach.

Wollen wir uns das einen Moment anschauen, bevor wir uns zwanglos, ganz zwanglos über die Terrasse auf die von Flutlicht übergossenen englischen Rasenflächen begeben, wo schon viele Erlauchte herumstehen, plaudernd, rauchend, trinkend, denn Rudel von Dienern (weiße Jacke, weiße Handschuhe, alle!) eilen mit Silbertabletts voller Gläser herum und offerieren, was das Herz begehrt. Dazu – großer Gott, jetzt sehe ich es erst! – in der Ecke einer erhöhten Tanzfläche, die in wechselnden Farben angestrahlt wird, eine Kapelle – mindestens ein Dutzend Mann, mit Flügel und allem –, die leise und unaufdringlich sanfte Musik spielt.

Was ist das?

›Donau, so blau, so blau‹ ist das. Phantastisch. Und was für Namen … … Prince et Princesse di Carano … Le Grand-Duc de Cottalény … Son Excellence, le Ministre d’Etat José de Santis et Madame … Monsieur le Président Directeur Général de la … Seine Exzellenz, der Außerordentliche und Bevollmächtigte Minister … Son Altesse … La Marquise de … Le Consul Général de … Comte et Comtesse de … Seine Durchlaucht … Franzosen … Engländer … Tunesier … Scheichs aus Arabien … deutsche Edelleute, bestimmt direkt von jenem Friedrich Lobesam abstammend … Präsidenten der größten amerikanischen Banken, der größten französischen Banken … die größten Nobelpreisträger für Literatur … die größten Filmstars … die größten Maler … die größten Komponisten … die größten Dirigenten … DIE GRÖSSTEN! Ein Diener trat an Jakob und seine schönen Begleiterinnen heran, das Silbertablett voll herrlicher Gläser. Die Damen akzeptierten Champagner. Jakob brauchte etwas Kräftigeres. Whisky!

Na was denn, ich werde doch noch einen Whisky vertragen! Schließlich bin ich ja auch weltberühmt. Können wir ruhig einen Schluck trinken, einen großen, bevor das Sich-Vorstellen und das mit Recht so beliebte, ach so zwanglose Cocktail-Geplauder beginnt.

Jakob trank sein Glas aus. Vom nächsten Diener, der vorüberkam, nahm er ein zweites. Und damit – wir kennen seine dramatische Beziehung zum Alkohol! – war er bereits rettungslos verloren.

Hurra, wir leben noch
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