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Natürlich nicht gleich.
Immerhin plauderte man zuerst fast eine Stunde, bevor zu Tisch gebeten wurde. Immerhin huschten eine Stunde lächelnde Kellner mit Silbertabletts vorbei. Immerhin, immerhin.
In dieser einen Stunde machte Jakob die Bekanntschaft von Politikern, Militärs, Wissenschaftlern, Künstlern, Wirtschaftlern und Mitgliedern der ganzganzganz hohen High Society. Und er machte eine Stunde lang Konversation à la Pawlow (Sabbern).
Unmöglich, alle seine Repliken, seine Axiome, seine Bedingten Reflexe wiederzugeben!
Apropos Axiom: Das ist ein unmittelbar einleuchtender, nicht mehr zu beweisender Grundsatz – haben Sie vielleicht gedacht, Jakob weiß nicht, was ein Axiom ist?
Hier eine (ganz) kurze Auswahl dessen, was er, nach Eigenerziehung, zusammensabberte:
»Atombombe? Ich bitte Sie, Exzellenz! Die Menschheit wird nicht durch die Atombombe untergehen. Nein, nein, die große Gefahr, die ich sehe, ist der Untergang der Menschheit durch die Maschine. Natürlich wäre es schwachsinnig, sich nach der Welt der Postkutschen und Petroleumlampen zurückzusehnen – aber ich behaupte: Das Bedürfnis der Massen nach Auto, Kühlschrank und Fernsehapparat ist gefährlicher als die Bedrohung durch die Kobaltbombe.«
Und: »Wissen Sie, verehrter Professor, Jaspers hat mir schon immer mehr gegeben als Jung.«
Und: »Lassen Sie mir mein ›Warten auf Godot‹! Ob das nun der Bauer im nächsten Dorf ist, auf den die beiden warten, weil er ihnen Brot und Lohn geben könnte, oder wer immer – aber nicht Gott, Teuerste, nicht Gott! Das bleibt belanglos! Das sinnentleerte Dasein wird zur Analyse der menschlichen Seele und ihrer Beziehungen zum Kosmos überhaupt – ausgehend von der Leere, vom Ende, vom Nichts und, weitergehend, in die Hoffnung, in den Glauben an nichts!« (Ausnahmefall: nicht ein Bedingter Reflex, sondern schlicht und einfach auswendig gelernt, aus einer Kritik.)
Und: »Krebsheilung? Allein eine Sache der perfekten Organisation! In zwanzig Jahren werden achtzig Prozent der Kranken geheilt werden können. Voraussetzung: Omnipotentes Spezialistentum an einem Punkt gebündelt! Ach, darf ich Ihnen die Adresse meines Großklinikums in Berlin geben, ja, ja, ich betätige mich auch auf diesem Gebiet, zufällig habe ich eine Karte bei mir …«
Und: »Gewiß, gewiß, ein Genie, dieser Picasso. Verehrungswürdig. Nur seine Rosa Periode ist mir einfach unerträglich.«
Und: »Koexistenz? Ich werde Ihnen sagen, was Koexistenz ist, Your Royal Highness: Sie geben mir Ihre Uhr, und ich sage Ihnen, wie spät es ist!« Und: »Marcel Proust, lieber Freund. Marcel Proust, ›Auf der Suche nach der verlorenen Zeit!‹ Ich sage nur: Die Bibel der Literatur. Die Bibel! Mehr sage ich nicht.«
Und weiter und weiter gesabbert. Alles hübsch vorher einstudiert. A, B, C, D, E, F … mir kann keiner mehr!
»Monsieur Formann … Monsieur Formann … Ich bitte vielmals um Vergebung, wenn ich zu stören wage, aber wir haben ein Ferngespräch für Sie aus Tokio, ganz dringend …«
Na, funktioniert das? Und wie das funktioniert!
Können wir ruhig noch einen Schluck …
Ein verflucht großer Mann, dieser Pawlow, Iwan Petrowitsch!