6

»Die Regierung hätte mir sofort das nötige Geld gegeben, Mister Formann«, sagte der Premierminister der Republik Karania in Zentralafrika zu Jakob. Er sprach ein vorzügliches Englisch. »Mister Arnusch hat jedoch einen Vorschlag gemacht, der mir vorteilhafter erscheint.«

Der fette Arnusch Franzl, der mit Jakob und dem Premierminister der Republik Karania am Nachmittag des 10. Mai 1961 im kostbar, um nicht zu sagen luxuriös, eingerichteten Wohnzimmer seines Bonner Domizils saß, nickte und nahm die Havanna-Zigarre aus dem Mund. »Ungemein viel vorteilhafter, Exzellenz, das können Sie mir wahrhaftig glauben! Ich habe mich in Ihre Lage versetzt. Das tue ich immer. Immer so tun, als wäre man der andere mit seinen Sorgen und Nöten. Sie sind eben unabhängig geworden. Es fehlt Ihnen einfach an allem. Wir Deutsche können uns da aus eigener leidvoller Erfahrung gut hineindenken. Uns haben andere geholfen. Es ist nur Christenpflicht, daß wir jetzt anderen – Ihnen zum Beispiel! – helfen. Wo es Stärkere gibt, stehe ich immer auf seiten der Schwächeren.«

»Mister Formann, ich beglückwünsche Sie zu diesem Mitarbeiter«, sagte Seine Exzellenz Ora N’Bomba.

»Danke, Exzellenz«, antwortete Jakob artig. »Ja, Mister Arnusch ist ein wunderbarer Mensch.« Er lächelte den Franzl an. Der Franzl lächelte zurück. Seit einem Jahr führte er die Finanzverwaltung aller Unternehmen Jakobs von Bonn aus, wo Jakob ihm dieses Haus gekauft und eingerichtet hatte. Das Haus lag unmittelbar beim Diplomatenviertel. Ohne den Arnusch Franzl wäre ich verloren, dachte Jakob, noch immer ein wenig erschüttert von dem Abschiedsgespräch mit BAMBI in Rostow am Don. Er fuhr sich seither sehr oft durch die Haare. Zu seiner Erleichterung fielen selten ein paar aus, und noch seltener ein paar graue. Ich bin doch noch immer in Hochform, dachte er, jetzt ist es doch erst richtig losgegangen! Natürlich, minus vierzig Grad – das ist eben ein anderer Menschenschlag. Die Exzellenz da, die könnte auch nicht bei vierzig minus. Aber vielleicht bei vierzig plus? Diese unverbildeten, unverbrauchten Naturvölker wie die Afrikaner oder die Russen, die haben es einfach besser.

Jakob riß sich zusammen, griff nach der Hasenpfote in der Hosentasche und sprach weiter: »Gleich, als bekannt wurde, Exzellenz, daß Sie nach Bonn kommen, hat sich mein Generalbevollmächtigter mit mir unterhalten. Wenn wir beide etwas hassen, dann ist es Ungerechtigkeit!«

»Genau wie wir. Sie sprechen mir aus der Seele, Mister Formann«, sprach Seine Exzellenz Ora N’Bomba. »Wie hatten wir unter Ungerechtigkeit zu leiden, solange unser Land eine Kolonie gewesen ist! Schulen gab es nicht, Lesen und Schreiben lehrte man uns nicht! Wir sollten in Abhängigkeit und Hilflosigkeit gehalten werden, damit wir ganz leicht zu unterdrücken waren. Und unsere Bodenschätze, das gute Kupfer, nahmen die Weißen uns einfach weg!«

»Eine Schande!« rief Jakob empört.

»Eine Schande, jawohl!« sagte N’Bomba. »Unter den Weißen waren die sozialen Unterschiede gegen den Sozialismus! Jetzt, da wir frei sind, ist der Sozialismus gegen die sozialen Unterschiede!«

»Da sehen Sie es.« Jakob wiegte das Haupt. »Genau, was ich meine! Wenn Sie die Entwicklungshilfe-Millionen für die Fertighäuser von der deutschen Regierung genommen hätten, wären Sie wiederum gezwungen gewesen, die Häuser von einer deutschen Firma herstellen zu lassen, die im Kampf mit anderen Firmen auf diesem Gebiet liegt und das billigste Gebot gemacht hätte. Folge: Soziale Ungerechtigkeit in der Bundesrepublik! Wir, mein Generalbevollmächtigter und ich, haben uns sofort gesagt: Nein, Exzellenz müssen die Millionen von uns bekommen! Wir geben Exzellenz einen Experten und Facharbeiter, die werden die Fabriken zur Herstellung solcher Häuser in Karania bauen. Und das, was die Fabriken kosten, finanzieren wir vor, und Sie zahlen es uns zurück. Ganz einfach. Und wenn die Fabriken fertig sind, können Ihre Landsleute sie übernehmen und selber weiterproduzieren! Nur vierzig Prozent Kapazität der Fabriken behalten wir uns vor. Und die Fertighäuser, die ich baue, sind nun mal die anerkannt besten! Weiß Gott, was für einen Mist Sie sonst gekriegt hätten!«

»Die Dankbarkeit meines Volkes ist Ihnen für alle Zeit gewiß, meine Herren«, sprach der Premier ergriffen.

»Wir werden Ihnen also das Geld geben, und nicht die Regierung! Wieviel brauchen Sie? Erlegen Sie sich keinen Zwang auf! Achtzig Millionen? Hundert?«

Man einigte sich auf neunzig Millionen.

»Sie sprechen phantastisch Englisch, Exzellenz«, sagte Jakob schmeichlerisch, nachdem alle Verträge unterzeichnet waren.

»Ich habe in Oxford studiert, Mister Formann«, gab der Premier bekannt. »Mein Vater war Elfenbeinhändler. Sie wissen, die Stoßzähne der Elefanten …« Jakob und Franzl nickten. »Im übrigen: Ihre Spezialisten können mit einer Maschine der KARANIAN AIRLINES nach Afrika, in meine Heimat kommen!«

»Sie haben schon eine eigene Luftfahrtgesellschaft, Exzellenz? Donnerwetter!« staunte Jakob. »Wie viele Maschinen sind denn im Einsatz?«

»Eine«, erwiderte der Premier freundlich. »Meine. Ich habe sie sofort gekauft, als ich die ersten Entwicklungsmillionen von Ihrer Regierung erhielt.«

»Sehr klug und weitsichtig, Exzellenz. Mehr Maschinen werden natürlich folgen!«

»Natürlich, Mister Formann. Sobald die nächste Millionenrate der Bundesregierung fällig ist. Und vor allem dann, wenn ich Kaiser von Karania geworden bin!«

Da konnten die Herren Formann und Arnusch nur stumm schlucken.

Mit tiefen Verneigungen und innigen Händedrücken verabschiedeten die beiden den schwarzen Anwärter auf den Kaiserthron von Karania schließlich. Sie begleiteten ihn bis auf die Straße hinaus. Hier stand ein nagelneuer großer Mercedes hinter dem Bentley des Arnusch Franzl. Ein weißer Chauffeur in Livree riß mit tiefer Verneigung, die Kappe in der Hand, den Schlag für den Neger auf.

»Schicker Wagen«, sagte Jakob.

»Nicht wahr? Den habe ich von der allerersten Rate der Bundesregierung gekauft. Ich meine: Als Staatschef …«

»… müssen Sie einen solchen Wagen haben, das ist nur selbstverständlich«, beeilte sich Jakob zu sagen. Danach kam der Arnusch Franzl zu Wort: »Und ein deutscher Chauffeur ist auch unerläßlich. Guten Tag, lieber Herr …«

»Stößlgasser«, sagte der riesige Chauffeur mit rauhen Urlauten. Sie schüttelten ihm beide die Hand, der Jakob und der Franzl. Schließlich waren sie soziale Sozialisten, und alle Menschen sind gleich, wenn auch manche gleicher sind als die andern.

»Ich habe eine Reise durch das schöne Bayernland gemacht«, erklärte der Premier. »Ludwig der Zweite! Hohenschwanstein! All diese herrlichen Schlösser! Diese Kultiviertheit! Das werden wir jetzt sehr bald auch in Karania haben! Kaiserschlösser …« Exzellenz blickten träumerisch in die Ferne. »In Ruhpolding – ein märchenhafter Ort, ach ja, in Ruhpolding habe ich Mister Stößlgasser gefunden. Wir sind schon sehr gute Freunde geworden!« Der Premier schlug dem Bayern auf die Schulter. »Mister Stößlgasser kommt mit nach Karania, natürlich.«

»Natürlich«, echoten der Jakob und der Franzl.

»Wie der Mercedes! Der wird verschifft! Mister Stößlgasser fliegt mit mir. Als Premier muß ich doch einen Weißen als Chauffeur haben, nicht wahr? … Als Hofchauffeur …«

Die Herren Formann und Arnusch beeilten sich, dem Premier zu versichern, daß das sogar unerläßlich sei – ein Attribut höchster Würde und zugleich ein Zeichen absoluter Freiheit und Unabhängigkeit von fremden Ländern (insbesondere solchen mit weißer Bevölkerung).

Sie winkten dem Wagen lange nach, dann gingen sie in die Villa zurück. »Gott sei Dank«, sagte Jakob.

»Gott sei Dank, was?«

»Gott sei Dank hat Gott es uns erlaubt, diesen armen Menschen zu helfen. Ich hatte bereits eine beginnende Neurose … Das Elend in den frei und unabhängig werdenden Staaten der Dritten Welt ließ mir keine Ruhe mehr und hätte mich gar bald zum Wahnsinn getrieben.«

»Mein Armer«, sagte der Arnusch Franzl. »Jetzt aber ist alles wieder gut, ja?«

»Ja, Franzl«, sagte Jakob. »Dank dir! Du weißt nicht, was diese Transaktion, die du da zustande gebracht hast, für mich bedeutet!«

»Ach doch, ich weiß es schon.« Der Arnusch Franzl grunzte. »Das wird das größte Geschäft unseres Lebens!«

»Das allergrößte! Deine Idee war einfach genial mit den afrikanischen Fabriken für unsere Fertighäuser. Und jetzt rufst du sofort den Jaschke an und sagst ihm, er muß runterfliegen nach Karania, schnellstens, mit seinen besten Leuten.«

»Natürlich«, sagte der Franzl. »Und damit machen wir den Anfang von einem Riesenrebbach!«

»Dank deiner Genialität, Franzl! Denn, wie du gleich am Anfang gesagt hast: Wenn der Schwarze das Geld von Bonn nimmt, dann kann er die Fertighäuser auch von Jäger und Hampel kaufen, den miesen Vögeln.« Jäger & Hampel war eine Firma, die ebenfalls Fertighäuser fabrizierte und so zum natürlichen (und durchaus nicht ungefährlichen) Konkurrenten für Jakob geworden war. »Aber in den Fabriken, die der Jaschke dem Kaiserneger da hinbaut, da kann man bloß unsere Häuser herstellen! Und vierzig Prozent der Kapazität bleiben uns! Damit können wir ganz Afrika mit Fertighäusern beliefern! Mensch, Franzl, was da Geld reinkommen wird, ajajaj!«

»Natürlich werden Jäger und Hampel jetzt sagen, wir haben einen Beschiß gemacht. Aber das soll uns nicht bekümmern«, sagte der Franzl salbungsvoll. »Wir können es beruhigt überhören und diese Säue still verachten, denn wir wissen, daß wir nur Gutes für arme Menschen tun.«

»Franzl, du bist wirklich mein bester Freund!« rief Jakob bewegt aus. »Ich muß dir endlich einmal zeigen, wie dankbar ich dir bin für alles, was du für mich tust!«

»Ach, hör schon auf …« Der dicke Arnusch Franzl zierte sich. »Ist doch selbstverständlich, mein Bester!«

»Gar nicht selbstverständlich! Ich will dir auch einmal eine Freude machen. Hast du einen Wunsch? Na! Sag schon! Ist erfüllt, der Wunsch, was immer es ist!«

»Weißt du, ich hätte gern … Nein, das geht nicht …« Der Franzl machte auf verschämt.

»Bei Jakob Formann geht alles! Was hättest du also gern? Raus damit!«

»Du zwingst mich, es zu sagen …!«

»Ich zwinge dich, na klar, mein Lieber! Also, was hättest du gerne?«

»Eine Bank«, sagte der Arnusch Franzl.

»Eine was?«

»Du weißt doch, daß ich mich mein Leben lang für Geld interessiert habe. Eine ganz kleine Bank nur. Nicht hier in Deutschland. Für meine Geschäfte. In Wien am besten.«

»Und das sagst du Esel mir erst jetzt?« regte Jakob sich auf.

»Tja, siehst du, mein Guter, um so eine Bank, auch eine ganz kleine, zu eröffnen, brauche ich natürlich Geld. Und ich wollte doch nicht dich, meinen besten Freund, um Geld …«

»Halt den Mund! Wieviel Geld brauchst du für die kleine Bank in Wien?« Jakob war tief gerührt ob solcher Bescheidenheit seines großen Mentors.

»Ja, hm, also …«

»Wenn du es mir nicht sagst, feuere ich dich!«

»Um Gottes willen, das ist ja Erpressung, mein Bester! Also gut, du zwingst mich: Wenn ich so fünfzig Millionen Schilling hätte, dann könnte ich meine kleine Bank in Wien aufmachen.«

»Fünfzig Millionen Schilling?« hauchte Jakob.

»Da haben wir’s! Ich hab’ gewußt, daß ich nicht davon reden soll. Jetzt bist du erschrocken, stimmt’s?«

»Ja.«

»Siehst du!«

»Aber nur über die Höhe der Summe, Franzl! Was kannst du schon mit fünfzig Millionen Schilling anfangen! Fünfundsiebzig ist das mindeste! Halt den Mund! Kein Wort! Bist du mein bester Freund oder bist du es nicht?« Jakob hatte schon nach dem Telefonhörer gegriffen, um eine seiner Banken anzurufen und die Sache in die Wege zu leiten. Der fette Arnusch Franzl stand ganz still, die Händchen über dem mächtigen Bauch gefaltet, und betrachtete Jakob ernst.

Hurra, wir leben noch
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