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»Was stehen Sie denn dauernd stramm vor mir, Mister Formann? Das macht mich noch ganz nervös! Was ist denn los mit Ihnen?« fragte drei Tage später der riesige Neger in der farbenprächtigen Uniform mit den ungeheuer vielen Ordensspangen auf der linken und der rechten Brust (der hat noch mehr als ich, dachte Jakob).
Dieser riesige Neger hatte gleich zur Begrüßung gesagt: »Mein Name ist Gamba M’Gamba. Ich bin Feldmarschall der ruhmreichen karanianischen Armee und Chef der Militärregierung. Sie dürfen mich mit ›Exzellenz‹ anreden!«
Drei Tage hatte kein Mensch mit Jakob und seinem Freund Jaschke gesprochen, drei Tage hatte sich kein Mensch sehen lassen. Essen wurde ihnen durch die Schiebetür eines Speisenaufzugs serviert. Das Gegenteil mußten sie auf dem Fußboden erledigen. Es war gerade so weit gewesen, daß der Jaschke Selbstmordabsichten geäußert hatte, als ungeheuerlich bewaffnete und grimmig dreinschauende schwarze Soldaten erschienen waren und die Freunde abholten.
Auch die Soldaten sprachen kein einziges Wort. In einem amerikanischen Jeep, eskortiert von zwei anderen Jeeps voller schwarzer Krieger, rasten sie mit Jakob und Jaschke durch Wüste, Staub und Hitze zu einem Militärlager, das mit Stacheldraht eingezäunt war.
Jakob bewunderte, was er sah. Er sah im Camp amerikanische Fahrzeuge, sowjetische Waffen, britische Uniformen und ein Jaschkesches Fertighaus, vollgefüllt mit französischem Rotwein und davor ein Doppelposten unter Gewehr. Hier haben, sinnierte unser Freund, während sein Jeep auf kreischenden Pneus um immer neue Fertighäuser Nieskyer Bauart bog, also die Großen dieser Erde Wirtschaftshilfe für ein Krisen- und Elendsgebiet geleistet. Auch ich habe mein Scherflein dazu beigetragen, kann man wohl sagen!
Jakob war indessen nicht lange deprimiert. Was denn, dachte er sogleich, die Großen haben noch viel mehr Wirtschaftshilfe geleistet und sind dabei auch auf die Schnauze gefallen! So was soll man eben – üb immer Treu und Redlichkeit – nicht machen, es geht sicherlich ins Auge, bis an dein kühles Grab … Pfui Teufel, daran will ich gar nicht denken, ich will hier wieder raus mit allen meinen Leuten, also weiche ich keinen Fingerbreit mehr und so weiter und krieche diesen verrückt gewordenen Militärs in Afrika (denen in Europa und Amerika und Rußland bin ich schon!) immer rein in den Arsch.
Das war denn auch der Grund, warum unser Freund stramm, die Hände an der Hosennaht (gelernt ist gelernt!), immer weiter vor dem Schreibtisch des glänzend-schwarzen Feldmarschalls Gamba M’Gamba mit der bunten Ordensgalerie stehen blieb, obwohl dieser ihn schon mehrfach aufgefordert hatte, sich zu setzen, und bereits ganz nervös war.
»Exzellenz«, antwortete Jakob Formann, »es gebietet mir die Ehrfurcht, daß ich stehen bleiben muß.«
»Wissen Sie, daß Sie ein weißes Schwein sind?« fragte der Chef der Militärregierung.
»Jawohl, Exzellenz, melde gehorsamst, ich weiß«, sprach Jakob und fügte sicherheitshalber hinzu: »Und von dem Karl Jaschke weiß ich es auch, und er weiß es auch, daß er ein weißes Schwein ist.«
»Weißes Schwein Formann, setzen Sie sich augenblicklich!« sagte der hochdekorierte Negerfeldmarschall. »Das ist ein Befehl, verstanden?«
»Jawoll, Exzellenz, melde gehorsamst, habe verstanden, das ist ein Be …«
Weiter kam Jakob nicht, denn zwei noch riesenhaftere (wenn auch nicht so wunderschön geschmückte) andere Neger, die mit schußbereiten Maschinenpistolen (Made in Czechoslovakian Socialistic Republic – Jakob sah’s auf den ersten Blick) den Chef der Militärregierung bewachten, hatten ihn bereits hochgehoben, über einen Sessel gehalten und fallen gelassen. Es tat verdammt weh.
Ihr verfluchten Hunde, dachte Jakob und sagte freundlich: »Ich danke auch herzlich, meine Herren!«
In gepflegter englischer Sprache erklärte nunmehr der Feldmarschall Gamba M’Gamba: »So, Sie sitzen. Gut. Ruhen Sie sich noch ein wenig aus. Nach drei Uhr nachmittags werden Sie für immer Zeit haben, sich auszuruhen.« Der Herr Feldmarschall mußte über seine Worte herzlich lachen. Die beiden Herren mit den Maschinenpistolen mußten auch lachen.
»Wieso nach drei Uhr nachmittags, Exzellenz?« forschte Jakob. »Sie sprechen übrigens ein phantastisches Englisch!« fügte er schmeichelnd hinzu.
»Ich habe in Oxford studiert.«
»Ah, Oxford«, sagte Jakob und dachte: Dieser N’Bomba ist auch in Oxford erzogen worden. Ich bin nicht in Oxford erzogen worden. Mir scheint, ich irre ab. Er räusperte sich. »Wieso ab drei Uhr nachmittags, Eure Eminenz … äh, Eure Exzellenz …«
»Weil Sie heute nachmittag um drei Uhr standrechtlich erschossen werden«, antwortete der Feldmarschall, der noch vor Lachen gluckste. »Und dieser Kerl, den Sie uns geschickt haben, dieser Jak …«
»Jaschke, Eure Exzellenz, Karl Jaschke«, stellte der sich vor, indem er sich mühsam hochrappelte. Jaschke war bereits fix und fertig.
»Und dieser Karl Jaschke – setzen! – auch. Und alle Ihre Fachkräfte auch. Unsere Revolution will Blut, braucht Blut, muß Blut haben!«
»Ja, muß sie?« fragte Jakob. Wieder eine Spätzündung. »Erschossen? Ich? Der Jaschke? Die Arbeiter?« Jakob sprang wieder auf. Schweiß brach ihm aus, die Narbe an der Schläfe zuckte, er griff nach der Hasenpfote in seiner Hosentasche.
»Hand weg!« knurrte einer der MP-Gorillas.
»Alle, jawohl«, sagte Gamba M’Gamba. »Mit Ihnen fangen wir an. Dann kommen jeden Tag andere dran, die wir hier als Geiseln festhalten.«
»Aber warum, Exzellenz?«
»Setzen, habe ich gesagt! Weil Sie und alle die anderen sich in verbrecherischer Weise an dem ruhmreichen karanianischen Volk bereichern wollten!« (Wieso ruhmreich? überlegte Jakob angestrengt. Bloß, weil sie uns jetzt zusammenknallen? Und was für andere? Ach, natürlich haben da auch andere Entwicklungshilfe geleistet. Schön vertrottelt. Also nie im Leben rühr’ ich auch nur noch einen Finger für Entwicklungshilfe. Obwohl, natürlich, die Exzellenz hat ganz recht, meinen Rebbach habe ich ja wirklich machen wollen mit dem ruhmreichen karanianischen Volk. Genauso wie die andern vermutlich.)
»Weil Sie«, donnerte der Feldmarschall weiter, »Fremdgeld in unser heiliges Vaterland gepumpt haben, um uns weiter ausbeuten zu können – wie die Weißen vor Ihnen!«
»Entschuldigen Sie, Exzellenz, davon kann keine Rede sein! Der Herr Premierminister N’Bomba ist zu uns nach Bonn gekommen und hat um Geld gebeten, und wir haben es ihm gegeben, um dem ruhmreichen Volk von Karania zu helfen und …«
»Schweigen Sie!« Die Faust des Militärregierungschefs krachte auf den Tisch. Jakob hüpfte ein wenig durch die Erschütterung des Bodens. »N’Bomba war ein Schakal, eine Hyäne, ein Verbrecher! N’Bomba hat mit dem Schicksal des karanianischen Volkes gespielt wie mit einem Ball! Er hat Geld geliehen und damit in unvorstellbarem Luxus gelebt! Wem gehörten die drei Maschinen der KARANIAN AIRLINES? Wem gehörten die zahlreichen Schlösser und Landsitze, die er sich mit dem Geld der Entwicklungshilfe bauen ließ? Sie haben ja selber in einem solchen Palast drei Tage zugebracht, Mister Formann. Ich frage Sie: Stinkt das nicht zum Himmel?«
Ja, also wenn ich an das Palastzimmer denke, wo sie uns drei Tage lang nicht rausgelassen haben und wo wir alle unsere Geschäfte auf Smyrna-Teppichen haben erledigen müssen, dann will ich dir recht geben, dachte Jakob und sagte: »Exzellenz, wie konnten wir denn ahnen, daß dieser N’Bomba …«
»Der seinen Tod tausendfach verdient hat!« donnerte der Feldmarschall.
»… der wo seinen Tod tausendfach verdient hat, weil er so mit den ihm anvertrauten Geldern …«
»Tun Sie nicht so scheinheilig, Mister Formann! Wer hat sich denn vierzig Prozent der Produktionskapazität an Fertigbauhäusern ausbedungen, na?«
»Ja, natürlich, wenn Sie es so sehen …«
»Natürlich sehe ich es so! Sie haben gemeinsame Sache gemacht mit dem Verräter N’Bomba! Wie alle anderen, die ihm Geld gegeben haben, auch!«
»Nein, nicht ›auch‹! Wir haben doch weiter Fertigbauhäuser für das arme Afrika bauen wollen, hier in Karania!« protestierte Jaschke. »Wir haben geglaubt, das ist gerecht so!«
»Der Glaube, Mister Jaschke, ist nicht der Anfang, sondern das Ende von allem Wissen, wie einer Ihrer großen Dichter gesagt hat.«
»Welcher denn?« interessierte sich Jakob.
»Johann Wolfgang von Goethe! Das kannten Sie nicht? Unfaß … na, egal! Um drei sind Sie ohnehin tot …« Wann sagt der Kerl endlich: »Wenn nicht«, überlegte Jakob, da sagte der Kerl schon: »… wenn Sie nicht augenblicklich eine Erklärung abgeben, und zwar schriftlich, daß die Fertighausfabriken dem karanianischen Volke gehören, daß Sie nichts mehr damit zu tun haben, also auch keinen Anteil an der Produktion, und wenn Sie nicht erklären, keinerlei Forderungen mehr an die Regierung von Karania zu stellen …« Der eine MP-Gorilla sagte dem Feldmarschall etwas ins Ohr. »… ach ja, und ferner, daß Sie mit größter Höflichkeit und bestens behandelt worden sind!«
»Also, das ist doch eine glatte Erpress …«, begann der Jaschke, aber Jakob hielt ihm schleunigst den Mund zu und lächelte den Lametta-Feldmarschall Gamba M’Gamba gewinnend an. »Kleiner Scherz, Exzellenz. Natürlich können Sie jederzeit eine solche Erklärung von uns bekommen. Stand uns doch nach nichts anderem der Sinn, als den Völkern der Dritten Welt zu helfen.« (Da bin ich also mächtig auf den Arsch gefallen. Neunzig Millionen im Eimer! Das kommt davon, Jakob, mein Lieber, siehst du, wenn man ein unredliches Geschäft machen will. Wer hat es sich ausgedacht? Der Arnusch Franzl, der Haderlump! Daß der ein Haderlump ist, habe ich aber schon immer gewußt. Außerdem: Habe ich nicht sofort jubelnd mitgemacht und dem Franzl fünfundsiebzig Millionen Schilling zur Gründung einer Bank in Wien geschenkt für seine Idee? Klar unterschreibe ich, bevor ich mich erschießen lasse um drei Uhr nachmittags. Ich möchte sagen, es gibt nichts, was ich nicht unterschreiben würde, damit sie mich nicht erschießen um drei Uhr nachmittags! Das Geschäft hier können wir also vergessen. Ich muß mehr aufpassen! Viele solche Geschäfte kann ich mir nicht leisten …)
»Es steht«, sagte indessen der Feldmarschall, »natürlich keinem, der hierher Geld verschoben hat, anderes im Sinn, als den Völkern der Dritten Welt zu helfen. Die Herren unterschreiben alle, bloß damit sie wieder rauskommen. Die Herren, die die Straßen und Schulen finanziert haben, den Regierungspalast, das Gefängnis, die Eisenbahnlinien, die neuen Kupfergruben und so weiter und so weiter … Nun, und weil ich große Achtung vor Ihrer Intelligenz habe – wenn auch nicht vor Ihrem Charakter, Mister Formann –, habe ich die entsprechenden Dokumente bereits schreiben lassen. Hier wären sie. Wenn Sie das einmal durchlesen wollten!«
Feldmarschall Gamba M’Gamba gab einem seiner MP-Bullen einige Blätter Papier, der gab sie weiter an Jakob und Karl Jaschke. Die beiden lasen. Ach, dachte Jakob, was wird da schon drinstehen? Daß sie uns – na also! – hier behandelt haben wie im HÔTEL DE PARIS in Monte Carlo; daß wir Staatsgäste gewesen sind, die dem großen und stolzen Volk von Karania einen Besuch abgestattet haben, um zu sehen, wie hier der demokratische Fortschritt beim Bau der von uns geschenkten Fertighausfabriken blüht und gedeiht; und daß wir dankbar sind für die Freundschaft des großen, ruhmreichen Volkes von Karania, das sich selbst hundertprozentig im Besitz seiner Produktionsmittel befindet und unabhängig von jedem Ausländer ist und stets bleiben wird.
Was tut man nicht alles, um nicht erschossen zu werden?
Jakob unterschrieb eilends. Jaschke unterschrieb eilends. Es werden wohl, dachte Jakob, alle Herren, die in diesem Sauland Geld investiert haben, eilends unterschrieben haben oder noch unterschreiben. Neger müßte man sein!
Kaum hatte Feldmarschall Gamba M’Gamba die signierten Dokumente wieder in Händen, da verwandelte er sich jählings in einen völlig anderen Menschen: Er bat Jakob und Jaschke, doch ein Bad zu nehmen, sich zu rasieren, sich die Haare schneiden und waschen zu lassen und ihm dann die Ehre zu geben, sie zu einem bescheidenen Imbiß einzuladen.
Der bescheidene Imbiß bestand aus acht Gängen und wurde in einem Lokal der Hauptstadt eingenommen, mit dem verglichen, ach, dachte Jakob verträumt, die ›Sheherazade‹ in Paris ein Dreck gewesen ist. Schwarze Herren, vollendete Kavaliere, ganz in Weiß, mit weißen Handschuhen, servierten. (Und zu Jakobs grenzenloser Beruhigung gab es persischen Kaviar die Hülle und die Fülle, jedoch keine Austern. Was angesichts der geographischen Lage Karanias und der Temperaturen dort ja eigentlich auch nicht zu erwarten gewesen war.)
»Ein wunderschönes Restaurant haben Sie hier, Exzellenz«, sagte Jakob. Gamba M’Gamba nickte verträumt.
»Einer Ihrer Landsleute.«
»Was, einer meiner Landsleute?«
»Hat es gebaut. Er hat noch vier andere solche Restaurants in Karania gebaut. Und jetzt hat er sie – genau wie Sie Ihre Fertighausfabriken – dem großen, ruhmreichen karanianischen Volk zum Geschenk gemacht.«
»Hut ab«, sagte Jakob. Also haben sie den auch erwischt, dachte er.
»Früher, unter dem verbrecherischen Regime des räudigen Hundes Ora N’Bomba«, erläuterte der Feldmarschall und Chef der Militärregierung, »haben in diesen Lokalen nur die Huren und Speichellecker des Schurken und seine Bonzen prassen dürfen. Jetzt, nachdem wir das Vaterland befreit haben, kann in unserer Demokratie jedermann aus dem Volk hier essen, soviel und so reichlich er will!«
»Entschuldigen Sie tausendmal, Exzellenz«, sagte Jakob. »Aber ist das nicht ein wenig unrealistisch?«
»Unrealistisch, wieso?« grollte Gamba M’Gamba.
»Na ja«, sagte Jakob freundlich, »ich könnt’ mir halt vorstellen, daß das Essen und Trinken hier herinnen ganz schön teuer ist und daß also so ein Wasserträger oder Ziegelschupfer oder Melonenverkäufer nicht genug Geld hat, in diesen schönen Lokalen zu essen, soviel und so reichlich er will.«
»Das ist eine vollkommen andere Sache«, sagte der Befreier des vorher so unterdrückten Volkes von Karania böse. »Schweigen Sie, weißes Schwein! Wissen Sie, was Sie sind? Ich habe es gleich gewußt! Ein Demagoge, das sind Sie!« (Was ist ein Demagoge, was hat, um Gottes willen, ein Demagoge mit Demokratie zu tun? grübelte Jakob verwirrt. Diese dämliche Edle hat mir aber auch gar nichts beigebracht.) »Sie wollen sich über Minderheiten lustig machen!«
»Das wollen wir auf keinen Fall!« beeilte sich Jaschke zu versichern.
»Und auf gar keinen Fall wollen wir uns über Mehrheiten lustig machen«, sagte Jakob eifrig.
»Bei uns«, erklärte der Feldmarschall, »sind jetzt alle Menschen gleich, verstanden?«
»Jawoll, Exzellenz, melde gehorsamst, wir haben verstanden«, antwortete Jakob zuvorkommend.
Nach dem bescheidenen Imbiß wollte es sich Seine Exzellenz nicht nehmen lassen, Jakob, Jaschke und alle Arbeiter der Fertighausfabriken zum Flughafen zu bringen und mit einer Maschine der KARANIAN AIRLINES bis Damaskus fliegen zu lassen, wo Jakobs Jet wartete. Unser Freund erlitt einen heftigen Schreck, als er aus dem Lokal hinaus in die glühende Sonne trat.
Vor dem Lokal stand ein großer Mercedes. Diesen Mercedes kannte Jakob. Den hatte er schon einmal vor der Villa des Arnusch Franzl zu Bonn am Rhein stehen sehen! Da hatte der Mercedes noch dem inzwischen erschossenen Premierminister Ora N’Bomba gehört. Der Chauffeur war ein Weißer in einer Phantasieuniform.
»Jessas, der Herr Stößlgasser!« rief Jakob, schlug die Hände zusammen und betrachtete ergriffen den stämmigen Bayern, der, die Mütze in der Hand, die Schlagtüren geöffnet hatte. »Das ist aber gelungen! Daß wir uns hier wiedersehen! Darf ich bekannt machen? Mein Mitarbeiter, Herr Jaschke – Herr Stößlgasser aus … aus …«
»Aus Ruhpolding, Herr Formann«, sagte der stämmige Bayer mit kehligen Urlauten und schüttelte Hände. Seine Exzellenz lächelte sanft.
»Daß Sie noch leben!« staunte Jakob.
»Warum soll ich denn nicht mehr leben, Herr Formann?«
»Ich meine nur … Entschuldigen Sie, das war taktlos … Aber weil Sie doch der Chauffeur von diesem … diesem …«
»Dieser Verrätersau Ora N’Bomba, meinen Herr Formann?«
»Ja, von dem sind Sie doch Chauffeur gewesen! Und ihn hat man als Feind des Volkes erschossen.«
»Vollkommen gerechterweise«, sagte der Bayer. »Das ist ein sehr böser Mensch gewesen.«
»Sehr böser Mensch gewesen«, echote Jakob. »Und … Sie selber … Sie sind dabei nicht zu Schaden gekommen …«
»In keiner Weise! Seine Exzellenz, der Herr Feldmarschall, hat mich gleich gefragt, ob ich jetzt sein Fahrer sein will. Ja, hab’ ich gesagt. No, und jetzt bin ich’s und fühl’ mich sauwohl.«
»Sau … und Sie haben kein Heimweh? Ich meine: Sie möchten nicht zurück in das schöne Ruhpolding?« erkundigte sich Jakob.
»Nicht ums Verrecken, Herr Formann.« Stößlgasser schüttelte den Quadratschädel. »Mir gefällt es hier. Hier hab’ ich meine Freiheit. Die Landschaft … die herrliche Natur … das gesunde Klima … der soziale Fortschritt! Also, ich bin ein ganz anderer Mensch, seit ich in Karania bin, Herr Formann!«
»Und niemand tut Ihnen was?«
»Was soll mir denn einer tun? Ich bin der beste Fahrer, den wo sie haben in Karania! Hier bin ich mein eigener Herr! In Ruhpolding, da hab’ ich mich totschuften müssen und den Deppen machen mit Seppelhosen und Gamsbart und Schuhplatteln und Jodeln für die saubläden Preißn. Das hier ist eine uralte Kulturnation, Herr Formann. Also, für mich gibt es nichts anderes mehr!«
»Die Zeit drängt«, mahnte Seine Exzellenz sanft.
»Entschuldigen Sie, wir kennen uns nämlich und haben …«
»Ich verstehe auch Deutsch, Mister Formann. Bitte, steigen Sie ein. Sie gleichfalls, Mister Jaschke. Wir fahren zum Flughafen, lieber Mister Stößlgasser.«
»Is’ scho’ recht«, sagte dieser.
»Ihre Fabriken liegen übrigens an der Straße zum Airport«, sagte der Feldmarschall. »Sie werden sie sehen können.«
Jakob kam fast der herrliche Kaviar aus dem Kaiserreich Iran hoch, aber er nickte erfreut.
Die Straße zum Flughafen war ganz neu. (Entwicklungshilfe, dachte Jakob. Da sind auch ein paar Idioten, wie ich einer bin, am Werk gewesen.) Die Straße lief ein Stück durch heißen Wüstensand. Dann sah Jakob sie – seine Fertighausfabriken! Sechs Stück hatte der Jaschke da hingebaut, eine neben der anderen. Und da ratterte und klopfte es, da wurde gebaut, daß es eine Lust war.
»Auch das alles gehört jetzt dem Volk von Karania«, sagte der Feldmarschall. »Erhebt es Ihnen nicht das Herz, wenn Sie diese Fabriken sehen, Mister Formann?«
»Es erhebt mein Herz, Exzellenz, wenn ich Ihre Fabriken sehe«, sagte Jakob. Danach versagte ihm die Stimme vor Kummer und Leid. Er bemerkte, daß der Jaschke die Augen geschlossen hielt, bis die Fabriken außer Sicht waren. Dem geht das auch mächtig nahe, dachte Jakob, belebte sich etwas und sagte: »Also bekommt das ruhmreiche karanianische Volk jetzt endlich schöne Häuser!«
»Im Moment noch nicht«, erwiderte Seine Exzellenz Feldmarschall Gamba M’Gamba freundlich. »Im Moment exportieren wir alle Fertighäuser in Krisengebiete und in die verelendeten benachbarten Staaten. Aber die Zeit wird kommen …«
»Jajaja, ganz bestimmt wird die Zeit kommen, Exzellenz«, unterbrach ihn Jakob und dachte: Es ist also überall auf der Welt dasselbe …
Auf dem modernen Flughafen von Karania herrschte reges Treiben. Drei Maschinen der KARANIAN AIRLINES standen vor dem Tower. Jakob sah viele Passagiere der unterschiedlichsten Nationalitäten – lauter Fachleute, die nach dem Militärputsch als Geiseln festgenommen worden waren und jetzt, da das befreite Karania sich ebenso demokratisch wie hundertprozentig in den Besitz seiner Produktionsmittel gesetzt hatte, ausgeflogen wurden.
Jubelnd wurde Jakob von seinen Mitarbeitern begrüßt. Sie bildeten gleichsam eine Euphorie-Kommune – wie einer der Herren es ausdrückte: »Scheißegal, wem hier jetzt was gehört – Hauptsache, wir kommen nach Hause!«
Mit größter Höflichkeit wurden sie dann alle zu den Flugzeugen geleitet. Der Feldmarschall schüttelte Jakob und Jaschke die Hand, sah ihnen fest in die Augen und sagte: »Bona causa triumphat! Oder, um es Ihnen, lieber Mister Formann, der Sie so schlecht Latein können, wie mein Geheimdienst mir mitteilte, zu übersetzen: ›Zuletzt siegt immer die gute Sache!‹«
»Das haben Sie sehr schön gesagt, Exzellenz«, antwortete Jakob artig und verneigte sich tief. Wollen mal sehen, wie lange es dauert, bis du bei der nächsten Revolution erschossen wirst, dachte er. Dem Stößlgasser, dem wird nichts passieren. Gute Fahrer erschießt man nicht. Gute Fahrer werden immer gebraucht.
Dann flogen sie.
Jakob saß an seinem Fenster, Jaschke neben ihm. Lange sprachen sie kein Wort. Nach einer Stunde ging der Pilot mit seiner Maschine tiefer, denn er hatte ein Rudel Elefanten ausgemacht und wollte seinen Gästen etwas bieten. Die Elefanten stürmten vor dem lautlos über die Steppe jagenden Schatten der Maschine davon.
Jakob seufzte tief.
»Was hast du denn, Jakob?« fragte Jaschke.
»Ach, weißt du, Karl«, sagte dieser. »Mir ist gerade was eingefallen.«
»Und zwar was, Jakob?«
»Vor Jahren, da habe ich einmal in einer Zeitung eine Kritik über ein Buch gelesen, das hat geheißen – warte, ich habe ein Gedächtnis wie ein Elefant – ›Die Wurzeln des Himmels‹ hat es geheißen, was sagst du jetzt?«
»Donnerwetter, schon toll, dein Gedächtnis.«
»Nicht wahr?«
»Ja, und?«
»Und was? Ach so! Und in diesem Buch hat einer über Afrika und Elefanten geschrieben … Da hast du es, die Gedankenverbindung!«
»Sehr schön. Und?«
»Und was noch? Ach ja! Damals habe ich mir fest vorgenommen, daß ich auch einmal nach Afrika fliege und meinen Elefanten schieße auf einer Safari.« Jakob sah still zu den lieben Tieren hinab. »Aber«, sagte er versonnen, »jetzt möcht’ ich das eigentlich gar nicht mehr. Nein, nein, ich glaub’, ich werd’ nie im Leben freiwillig auf eine Safari nach Afrika gehen!«