Einsame Entscheidungen:
Der Konzernlenker (1973–1983)

»MAJESTÄT, HABEN SIE DAS SPIEL GESEHEN?«:
BEITZ’ COUP IM IRAN (
1974/1976)

Die beiden Herren sind in den besten Jahren, und sie tun das, was in diesen Tagen viele Millionen Menschen rund um die Welt machen. Sie reden über Fußball. Genauer: Über die soeben beendete Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland und das dramatische Finale im Münchner Olympiastadion. Elfmeter für Holland, 1:0; Ausgleich ebenfalls per Elfer durch Paul Breitner, und dann die 43. Minute, kurz vor der Halbzeitpause: Der kleine Bayernstürmer Gerd Müller täuscht die Abwehr der Niederländer mit einer seiner unnachahmlichen, blitzschnellen Körperdrehungen, Flachschuss: 2:1 – und dabei bleibt es bis zum Schlusspfiff. Knapp war der Sieg schon, da sind sich die zwei einig, recht knapp sogar, wenn auch verdient. Eine halbe Stunde fachsimpeln so Reza Pahlevi, Schah von Persien, und Berthold Beitz, Vorsitzender des Aufsichtsrats von Krupp aus dem fernen Ruhrgebiet. Dann kommen sie zum Geschäft.

Beitz und der Schah sitzen im kaiserlichen Palast zu Teheran, allein und ohne einen Tross von Experten und Ratgebern. »Wir konnten sehr gut miteinander«, erinnert sich Beitz. Jedenfalls hat er das Gespräch mit der bemerkenswerten Frage eröffnet: »Majestät, haben Sie das Spiel gesehen?« Er glaubt bis heute, dass die siegreiche Nationalelf von München seinem Land wie auch seinem großen Deal mit den Iranern sehr von Nutzen gewesen ist. »Ich bin überzeugt, dass der deutsche Sieg auch wirtschaftliche Auswirkungen gehabt hat – er stand für die Tüchtigkeit, das Können Deutschlands. Hätten wir 0:3 verloren, hätten wir ganz anders dagestanden. Oft haben solche Kleinigkeiten eine große symbolische Wirkung.«

Persien, das hat ihm der Schah zugesagt, wird mit 25,04 Prozent der Anteile bei den Krupp-Hüttenwerken einsteigen; und das ist, wie sich zeigen wird, erst der Anfang. Mit einem Schlag ist Krupp einige hundert Millionen Mark reicher, sind so alle Finanzprobleme des noch immer unterkapitalisierten Konzerns gelöst. Die Zukunft mag noch manche Probleme für den Riesen von der Ruhr bereithalten. Aber jetzt, denkt sich Berthold Beitz, als er den Palast verlässt und ins Teheraner Hilton-Hotel zurückgefahren wird, jetzt soll die Zukunft ruhig kommen.

Wie schon nach dem China-Besuch unterrichtet Beitz auch nach dieser Reise als Erstes Willy Brandt, der inzwischen wegen der Guillaume-Affäre zurückgetreten ist. Beitz lädt Brandt auf sein Jagdhaus in der Eifel ein, wo er ihm bei einem langen Waldspaziergang von seinem Besuch am Pfauenthron und von dem Geldstrom aus Persien berichtet. Brandt ist voller Lob: »Das ist das erste Mal, daß ich davon höre, daß Ölgelder sinnvoll angelegt werden.«

In der Tat kommt der Deal vor dem Hintergrund einer sich jäh verändernden außenpolitischen Lage zustande. Bis 1973 war Öl, der Treibstoff der westlichen Industrien, billig zu haben. Dann aber, am höchsten jüdischen Feiertag Yom Kippur, überfallen die Armeen Syriens und Ägyptens, hochgerüstet mit modernstem sowjetischem Material, ihren Erzfeind Israel und stoßen weit in die 1967 besetzten Gebiete auf dem Golan und dem Sinai vor. Der jüdische Staat entscheidet auch diesen Krieg am Ende militärisch für sich, den vorerst letzten, in dem es um seine schiere Existenz geht. Doch als Reaktion auf die massive US-Hilfe für Israel entdecken die arabischen Staaten eine neue Waffe, die sie effektiver zu gebrauchen wissen als SAM-Luftabwehrraketen und T-72-Panzer: Öl. Schlagartig wird der westlichen Welt klar, wie abhängig sie von den Lieferungen aus dem Nahen Osten ist. Die Importe verteuern sich um ein Mehrfaches.

In dieser Situation nimmt der Iran aus westlicher Sicht eine Schlüsselstellung ein: muslimisch zwar, aber nicht arabisch, von der Pahlewi-Dynastie prowestlich regiert und Erbe der alten persischen Hochkultur, die schon Griechen und Römern ebenbürtig gewesen ist. »Solange wir Öl anbieten können, bekommen es die westlichen Staaten und Japan von uns«, verkündet der Herrscher auf dem Pfauenthron. Der Iran präsentiert sich als verlässlicher Freund und Partner des Westens – allerdings zu seinen Konditionen: In nur zehn Jahren, so der Schah, werde sein Land dank der Ölmilliarden »auf europäischem Standard angekommen sein«. Diese »weiße Revolution« soll das Kaiserreich in die erste Reihe der entwickelten Nationen erheben – auch dank westlicher Industrie. Und als eine von deren allerersten Adressen gilt Krupp.

Den Kontakt zum Hof des Schahs hat Beitz schon im Mai 1973 geknüpft, mit Hilfe des deutschen Botschafters Georg von Lilienfeld. Der vornehme Diplomat, alter baltischer Adel, hat das Vertrauen des Schahs, reitet gelegentlich sogar mit dem Herrscher aus und fädelt bei einer Iran-Reise deutscher Industrieller 1973 einen ersten Kontakt ein, einschließlich einer Begegnung mit dem Schah. »Die dabei geführten Gespräche waren sehr interessant und lassen auf verstärkte deutsche Aktivität im Iran hoffen«, schreibt Beitz danach an Lilienfeld. Zurück in Deutschland, entwirft Beitz, nach einem Blick auf die Bilanzen und einem Gespräch mit seinem Hausbankier Jürgen Ponto von der Dresdner Bank, den großen Masterplan vom persischen Geld: »Ich habe bei der Grundsatzentscheidung sonst niemanden gefragt, nicht in der Firma, nicht bei den Banken.«

Beitz schreibt an Reza Pahlevi persönlich, er sei höchst beeindruckt von den Aufbauleistungen im Lande, und verspricht dank Krupp’scher Spitzentechnik »interessante Lösungen für sehr große Projekte«; die Möglichkeit einer Beteiligung erwähnt er vorerst, wie er intern vermerkt, »bewußt nicht«. Nebenbei lässt er die Krupp’schen Archivare Nachforschungen anstellen, ob sich nicht Anknüpfungspunkte zwischen Essen und Teheran finden lassen.

Und tatsächlich: 1973 ist es genau 100 Jahre her, dass seine kaiserliche Majestät Nasir ad Din Schah von Persien das Deutsche Reich besucht und die Krupp’sche Gussstahlfabrik in Augenschein genommen hat. Das Ganze taugt aber leider nur begrenzt dazu, eine Tradition der Zusammenarbeit herzuleiten. Zumindest lässt sich das aus einem Brief an die Firmenleitung schließen, in dem ein Krupp-Beamter namens Hagemann 1873 sauertöpfisch seine Erleichterung zum Ausdruck bringt, dass »der Schah mit seinem Gefolge, welches nicht gerade den angenehmsten Eindruck machte, glücklicherweise nur einige Stunden auf dem Etablissement zubrachte«. Dies mag mit einem interkulturellen Missverständnis zu tun gehabt haben, das sich in der Fabrik zutrug. O. E. Richter, der »Chef der Kanonen und Mechanischen Werkstätten«, erläuterte dem Beherrscher der Gläubigen gerade die Vorzüge von Präzisionsgeschützen, als er »in dem ungeheuren Getriebe der Fabrik seine [des Schahs; J. K.] Aufmerksamkeit auf einen entgegenkommenden Wagen lenken wollte«. Dabei berührte er den Schah leicht an der Schulter: »Als aber seine Begleiter dies sahen, legten sie die Hand an die Dolche und machten Anstalten, sich auf Richter zu stürzen, weil er freventlich gewagt hatte, die geheiligte Person des Schah zu berühren.« Nichtsdestoweniger bestellte Nasir ad Din Schah seinerzeit 18 solide Krupp-Kanonen, Kaliber 9.

Beitz hat durchaus andere Größenordnungen im Sinn. Lilienfeld teilt er nach umfangreichen Vorbereitungen mit: »Lassen Sie den Ball rollen.« Im September 1974 fliegt er an der Spitze einer kleinen Krupp-Delegation, zu der auch der Vorstandsvorsitzende Mommsen zählt, erneut nach Teheran. Nach einem Mittagessen bei Ministerpräsident Amir Abbas Hoveyda geht es weiter in den Golestan-Palast, den »Ort der Rosen«, eine der Residenzen des Schah-in-schah, wie der Herrscher auf Persisch genannt wird. Der Palast mit seinen Gärten, hellen Räumen und filigranen Säulen hat etwas Märchenhaftes und scheint Welten entfernt von der Gegenwart des unruhigen Landes, der großen Mehrheit der Analphabeten, der arbeitslosen Jugend und dem heimlichen Flüstern in den staatlich überwachten Koranschulen. Ebenfalls 1974, im Jahr des Vertragsabschlusses mit Krupp, besucht der ARD-Journalist Peter Scholl-Latour die Stadt Mesched, eine Hochburg der islamischen Fundamentalisten. Ihn überkommen in den Basaren und Moscheen Vorahnungen, welche Kraft der Unzufriedenheit da heranwächst. »In Mesched gingen die Frauen fast alle tief verschleiert. Hier wehte nicht die weiße Fahne der vom Schah verordneten weißen Revolution. Im ersten Frühlingswind, der von der nahen afghanischen Grenze herüberwehte, entfalteten sich zahllose schwarze Wimpel und Fahnen, düstere Symbole der unstillbaren schiitischen Trauer und ihrer geheimen Verheißung.« Scholl-Latour, der 1975 zum ZDF wechselt, ist bei der deutschen Wirtschaftsgemeinde in Teheran wegen seiner pessimistischen Prognosen alles andere als ein gern gesehener Gast; auch beim Teheraner Krupp-Büro schätzt man ihn als »Schah-Feind« nicht. Am »Ort der Rosen« jedenfalls widmet sich die deutsche Delegation einer ausführlichen Palastbesichtigung, während Reza Pahlevi und Berthold Beitz erst über das Münchner Finale und dann über die Beteiligung des Iran an den Krupp’schen Hüttenwerken reden. »Wir sprachen«, so Beitz, »noch eine halbe Stunde über das Geschäft, und dann sagte der Schah, so machen wir das, Herr Beitz.« Exakt 25,04 Prozent der Anteile an der Fried. Krupp Hüttenwerke AG werden auf die National Iranian Steel Industries übertragen. Beitz’ Plan ist aufgegangen.

Die Feinabstimmung überlässt der Regent seinem Ministerpräsidenten. Viele Stunden lang sitzt Beitz mit Hoveyda in einer Hilton-Suite, der Iraner hat die Schuhe nach Landessitte abgestreift. Das heißt nicht, dass er es sich bequem gemacht hätte – er verhandelt hart. Als Beitz, leicht ermattet und hungrig, einen Restaurantbesuch vorschlägt, lässt Hoveyda einfach Kaviar auffahren. Danach wird weiter um den Wechselkurs gefeilscht, nach dem Irans Anteile an Krupp zu berechnen sind. »Wir konnten uns einfach nicht einigen. Schließlich habe ich gesagt, Herr Ministerpräsident, bald werde ich schlafen gehen müssen; morgen früh fliege ich nach Hause. Aber Hoveyda sagte: Nein, bleiben Sie, wir reden weiter. Und so haben wir uns doch noch auf einen guten Kurs geeinigt.« Es ist nun eine halbe Stunde vor Mitternacht. Hoveyda sagt zu Beitz: »So, nun muss ich seine Majestät anrufen. Er will bis zwölf Uhr wissen, ob wir uns geeinigt haben.«

Die ganze Aktion ist, wie man bei Krupp respektvoll sagt, »ein typischer Beitz«: ein Alleingang, aus dem Bauchgefühl und dem intuitiven Gefühl für das Mögliche entstanden, dem Mut zum raschen, entschlossenen Handeln, und das, wie so oft, auf der einfachen zwischenmenschlichen Ebene. Höchstwahrscheinlich hat genau das den Deal möglich gemacht. Für den Schah, der in der uralten Welt des persischen Hofzeremoniells selten jemanden trifft, der ihm auf Augenhöhe begegnet, ist der Mann aus Essen ein ungewohnter Partner: selbstbewusst, ohne respektlos zu sein, jemand, der einfach mit ihm spricht, wie zwei Männer eben, die etwas zu bereden haben. Auf diese Weise hat Beitz mit Lilienfelds Hilfe die gesamte Hofkamarilla umgangen, die den Herrscher sonst von der Welt abschirmt. Im Übrigen versprechen sich beide Männer von der Vereinbarung erheblichen Gewinn: Beitz das rettende persische Geld, der Schah Zugang zu High-Tech und Know-How einer weltberühmten Firma für seine weiße Revolution.

Wie gut der Deutsche beraten war, das Geschäft unter vier Augen und nicht auf dem herkömmlichen Wege durch die undurchschaubare Bürokratie des Palastes zu machen, wird ihm sehr schnell deutlich. Er befindet sich noch im Hilton-Hotel, so erinnert er sich, da suchen ihn »elegante und sehr teuer gekleidete Leute« auf. »Sie sagten, sie kämen von der Zwillingsschwester des Schahs und würden nun dafür sorgen, dass wir auch viele Regierungsaufträge bekommen – aber sie wollten fünf Prozent Beteiligung dafür.« Beitz ist wenig erfreut von diesem unverhohlenen Versuch der Vetternwirtschaft. Bei seiner nächsten Begegnung mit dem Schah berichtet er diesem von den Besuchern: »›Und was sagen Sie nun dazu, Majestät?‹ Und er sagte nur: ›No, Mr. Beitz.‹«

In Deutschland erwarten Beitz viel Beifall, anerkennende Pressekommentare, Jubel im Unternehmen. Jürgen Ponto bringt die allgemeine Zustimmung auf den Punkt: »Dolle Kiste.« Otto Graf Lambsdorff, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, spricht von einem »guten Schritt zur Lösung des Problems der Re-Investition von Öl-Dollars«. Beitz selbst sagt wohlgelaunt: »Da ist Musik drin.« Und er ist selbst heute noch nachtragend genug, den Neid alter Gegner wie Thyssen-Boss Sohl zu genießen: »Der Sohl hat sich wirklich geärgert.«

Nach dem ersten Beifall wird der Heimkehrer mit einer moralischen Frage konfrontiert: Haben er und das Unternehmen sich mit einem nahöstlichen Potentaten gemeingemacht? Mitglieder von Amnesty International werfen Beitz vor: »Die Antwort auf kritische Meinungsäußerung in Persien ist Folter und Gefängnis.« Das Bild Persiens unter dem Schah ist in der Bundesrepublik auf verwirrende Weise reich an Facetten. Die bunten Blätter erfreuen sich an echtem und erfundenem Hofklatsch über ein veritables Kaiserhaus und die schöne Herrscherin Farah Diba, der Beitz bei einem Empfang in Teheran einen formvollendeten Handkuss gibt. Für linke Kritiker ist der Iran dagegen das ideale Feindbild: eine Diktatur, hochgerüstet von den USA und der Nato, beherrscht mit Hilfe eines berüchtigten Geheimdienstes namens Savak, durch Folter und Mord gegen die Opposition, die im Exil von Gruppen wie den marxistischen Volksmudschaheddin dominiert zu sein scheint. Unvergessen ist der Besuch des Kaiserpaars in Berlin 1967, als die »Jubelperser«, prügelnde Provokateure aus dem Iran, gesteuert vom Savak, auf Demonstranten eindroschen und der Polizist Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, ein brutaler Akt der Gewalt, der einen Märtyrer der 68er-Revolte schuf. In der davon sehr fernen Welt der Realpolitik wiederum gilt der Schah, wie schon erwähnt, als einer von wenigen stabilen Faktoren in einer Krisenregion, von der die Energieversorgung des Westens abhängt, sowie als Gegengewicht zu der wachsenden Macht des Islam und vor allem natürlich zu dem Einfluss der UdSSR, die von jeher einen Zugang zu den warmen Meeren des Südens sucht.

Keine dieser Sichtweisen wird für sich genommen den Zuständen im Lande gerecht. Beitz lässt für den Iran gelten, was ihm zuvor für den Ostblock galt: Der Handel ist ein Wegbereiter, und Wandel durch Annäherung, das Motto der Brandt’schen Ostpolitik, ist allemal effizienter als Konfrontation. Es ist dies eine sehr persönliche Moral, die sich von den linken Zeitströmungen so unabhängig hält wie 15 Jahre zuvor vom konservativen Blockdenken. Andererseits: Dass rückwärtige, repressive Regime sich durch die Annäherung, durch das Vorbild Europas zum Besseren wandeln, ist 1974 durchaus offizielle – und langfristig sehr erfolgreiche – Politik der EG, die sich in der ersten Hälfte der siebziger Jahre ganz ähnliche Fragen in Bezug auf die rechten Diktaturen Griechenlands, Spaniens und Portugals stellen muss.

Einmal, erzählt Beitz, habe ihn ein Vorstandsmitglied von Siemens attackiert: Er, Beitz, habe einen Despoten als Partner zu Krupp geholt, das sei unmoralisch. Beitz erwidert: »Hören Sie mal, wissen Sie eigentlich, wie viele Gesetzesbrecher, Nutten und Zuhälter Sie unter Ihren Aktionären haben? Die ihr Geld bei Ihnen anlegen? Das wissen Sie nicht, und ich weiß wenigstens, wen ich als Partner habe.«

In den ersten zwei Jahren nach dem Vertragsabschluss entwickelt sich das Iran-Geschäft selbst allerdings nicht so wie erhofft. Zwar soll der Schah seinem Hofstaat gern predigen: »Bei Krupp gibt es nichts, was es nicht gibt.« Doch über kleinere Aufträge wie den Bau einer Entsalzungsanlage für Meerwasser gehen die Iraner zunächst nicht hinaus. In der deutschen Wirtschaftsgemeinde mutmaßt man, Krupp werde von den Iranern bewusst kurz gehalten, damit sie außer in die Hüttenwerke auch in die Holding selbst kommen. Dies mag so sein, ist aber keineswegs Beitz’ größte Sorge. Mitte der siebziger Jahre trifft die Stahlkrise den Konzern nämlich erneut mit voller Wucht; fast alle Firmenteile schreiben rote Zahlen.

Vorerst ist das Reich des Schahs also nur an den Hüttenwerken beteiligt, nicht am Mutterkonzern selbst, der seit den Tagen des Gründervaters Alfred Krupp meist nur einem einzelnen Besitzer gehört hat. Doch das soll sich nun ändern – mit dem Ziel, den Konzern zukunftsfest zu machen. Wieder reist Beitz, der um die iranischen Begehrlichkeiten bezüglich einer Firmenbeteiligung weiß, nach Teheran. Auf dem Krupp-Stand der Internationalen Handelsmesse 1976 in Teheran trifft er den Schah. Der Konzern zeigt sich von seiner besten Seite: Hochöfen, Raffinerien, das Modell eines Supertankers aus den Werften der firmeneigenen AG Weser; Krupp also, wie der Schah und die iranische Regierung es sich vorstellen, ein High-Tech-Unternehmen, das echte deutsche Wertarbeit herstellt. Im Teheraner Finanzministerium unterschreiben Beitz und Wirtschaftsminister Huschang Ansari den Vertrag: Die Perser erhalten nun 25,01 Prozent der Anteile an der Fried. Krupp GmbH. Alles in allem fließen dem Konzern ab 1974 rund 1,3 Milliarden D-Mark zu – seinerzeit eine gewaltige Summe. »Wir hatten«, erklärt Berthold Beitz im Rückblick, »einen neuen Partner und viel Geld, und wir waren vollkommen schuldenfrei.« Wem hätte es genützt, wenn der Konzern pleite gegangen oder erneut in den Würgegriff der Banken geraten wäre? Letzteres ist nach den traumatischen Erfahrungen von 1967 Beitz’ größte Furcht. »Die Banken wollten uns damals das Genick brechen. Aber sie haben nicht gewusst, dass der Beitz so schlau war, nach Persien zu fahren und mit dem Schah zu reden.« Die Iran-Manöver von 1974 und 1976 haben Krupp denn auch in der Tat zunächst einmal von den Banken unabhängig gemacht. Keine Schulden, keine Zinsen, keine Abhängigkeiten von den Geldmenschen. Der Preis dafür, so Beitz, sei nicht zu hoch gewesen. »Es ist mir nicht leicht gefallen, nach 165 Jahren einer hundertprozentigen Eigentümerschaft den Konzern zu öffnen«, sagt er schon nach seiner Heimkehr 1976 in Essen. »Aber über uns haben wir jetzt einen Baldachin.«

Beitz weiß, dass der Kaufpreis, den er ausgehandelt hat, mehr als gut war. Ein Jahr später sagt er im Gespräch mit Golo Mann: »Herr Mann, eine Aktie mit dem Nennwert von 525 Prozent an den Schah zu verkaufen, das ist so, als ob Sie den Eskimos eine Million Kühlschränke verkaufen würden. Das war ein Kunststück.« Der Schah habe »den Namen, die Idee« erstanden, den Namen und die Idee Krupp, und das war ihm viel Geld wert. »Und diese großen Bankiers hier haben alle damit gerechnet, dass wir 220, 230 bekommen. Und als ich ihnen erzählte, das ist verkauft worden, haben sie gesagt, na ja, wenn wir ganz hoch greifen, waren es vielleicht 300.«

Bald darauf aber, 1978, wankt die Herrschaft des Kaisers bereits, ein Jahr später ist sie am Ende. Sie weicht der Islamischen Revolution unter dem Ayatollah Chomeini. Reza Pahlevi flüchtet aus dem Land. Viele Vertreter westlicher Firmen in Teheran hatten gehofft, die Panzer des Schahs würden die Aufrührer von der Straße jagen. Stattdessen, schreibt Scholl-Latour, »hißte selbst die Kaiserliche Garde, der Stolz des Schah, die Unsterblichen, wie er sie nannte, die weiße Fahne, als ein wirrer Haufen von kaum bewaffneten Fedayin gegen ihre Kaserne losstürmte«.

Am 11. Februar 1979 erhält Beitz die Nachricht, der Schah sei soeben gestürzt worden. Eine Weile macht man sich ernste Sorgen im Konzern: Zwar ist die letzte Rate aus Persien noch bei Krupp eingegangen, aber dafür übernehmen nun die neuen Machthaber die Sperrminorität von 25,01 Prozent der Anteile. Was werden sie damit anfangen? Zum allgemeinen Erstaunen setzen sie ihr Engagement bei Krupp fort, als sei nichts geschehen. Als Vertreter im Aufsichtsrat entsendet Teheran später Mohammed Mehdi Navab-Motlagh, den ersten Botschafter der Revolutionsregierung in Bonn. Er hat in Deutschland Examen gemacht, »ein tüchtiger, hochbegabter, guter Mann«, sagt Beitz. Pressionen wird es erst später geben – seitens der Bush-Administration, die den Iran nach dem 11. September 2001 als Terrorstaat einstuft. Konzerne mit größeren iranischen Anteilen laufen nun Gefahr, in den USA keine staatlichen Aufträge mehr zu erhalten. Krupp, inzwischen mit Thyssen fusioniert, ist daher 2003 gezwungen, durch teure Ankäufe Teheraner Aktien die Beteiligung des Gottesstaats auf unter fünf Prozent zu senken. Zwei Jahre später kauft die Krupp-Stiftung diese Aktien auf, als Beitz ihren Anteil am Gesamtkonzern energisch ausbaut.

DAS HAUPT DES UNGEHEUERS:
IMMER NEUE VORSTÄNDE

Das persische Geld wird in jedem Fall zu einer Art Überlebensversicherung für Krupp. Trotzdem kommt der Konzern nicht in ruhiges Fahrwasser. Beitz und Mommsen, die auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit zurückblicken, beginnen sich aneinander zu reiben, auch wenn der Aufsichtsratschef gern erklärt, entsprechende Gerüchte seien »wie das Ungeheuer von Loch Ness, es taucht jedes Jahr wieder in den Zeitungen auf«. Beitz, von jeher auf unbedingte Krupp-Treue bedacht, verübelt seinem Vorstand die zahlreichen Mandate in anderen Unternehmen; außerdem rivalisieren die beiden, meist unausgesprochen, wem die größeren Verdienste im Ostgeschäft und beim Iran-Deal zukommen. 1975 scheidet Mommsen, der das Rentenalter erreicht hat, aber gern weitergemacht hätte, schließlich aus, unzufrieden mit seiner Rolle als zweiter Mann und nicht ohne Beitz hinterherzurufen: »Die Anregung, in den Iran zu gehen und den Schah in Anspruch zu nehmen, stammt von mir.« Das steht indes in bemerkenswertem Widerspruch zu einem früheren Spiegel-Interview, in dem er das Gegenteil behauptet hat: »Die Idee stammt von Herrn Beitz.« Dessen Wunschkandidat für die Nachfolge Mommens, Alfred Herrhausen, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, scheint zunächst nicht abgeneigt, bleibt dann aber doch beim Frankfurter Geldhaus. Und einmal mehr ist ein Vorstandschef nicht gerade im besten Einvernehmen von Beitz geschieden. Das Ungeheuer, das Beitz so spöttisch zitiert hat, scheint doch lebendiger zu sein, als ihm lieb ist.

Der Nächste ist, mit Beginn des Jahres 1976, der altgediente Krupp-Manager Heinz Petry, bis dahin im Vorstand für den Anlagenbau zuständig. Er bleibt vier Jahre. Krupp schreibt rote Zahlen, die ungelösten Strukturprobleme sind immer noch dieselben wie beim Abschied Vogelsangs. Ohne das iranische Geld wäre der Konzern jetzt nicht weit vom Ende entfernt. 1977 sind in Deutschland noch 210 000 Stahlarbeiter beschäftigt, aber jeder dritte ist in Kurzarbeit. Die Stahlkrise mit ihren weltweiten Überkapazitäten und Subventionen hält die Branche in Atem. Dennoch scheitert Petrys Versuch, mit Thyssen, Klöckner und Salzgitter einen mächtigen Firmenverbund zu schaffen. Weiterhin leidet jede der Traditionsfirmen für sich allein.

Erfreulicher als die Lage daheim ist für Beitz noch immer das Wohlwollen, das er in Osteuropa genießt. Im November 1977 reist er mit Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner einmal mehr nach Polen. Schmidt ist der erste Regierungschef aus Westdeutschland, der die Gedenkstätte Auschwitz besucht.

Am 26. September 1978 wird Berthold Beitz 65 Jahre alt. Das Berufsleben der meisten Menschen geht in diesem Alter zu Ende. Nicht so bei Beitz, wie die Frankfurter Rundschau anmerkt: »Berthold Beitz, sonnengebräunt und athletisch wie stets … denkt nicht daran, seinen Platz zu räumen. Vielmehr schwingt er sein hartes Zepter weiter über den Konzern.« Daran ändert auch nichts, dass er 1980 einmal bekennt: »Ich will mich künftig auch mal zurücklehnen können.« Da ist der insgesamt glücklos agierende Petry gerade durch einen weiteren Kruppianer ersetzt worden, Wilhelm Scheider, 52 Jahre alt, Pommer wie Beitz und seit 1973 bei Krupp. Er übernimmt das Steuer eines Konzerns, der 12,8 Milliarden Euro Umsatz macht, aber weiterhin Probleme bei Stahl und Werften hat und in einer Erfolgsbranche, dem Anlagenbau, mörderischer Konkurrenz ausgesetzt ist. Und noch immer wacht die graue Eminenz vom Hügel über das Treiben der Firmenleitung – auch wenn Scheider tapfer behauptet: »Ich sehe da keine Probleme. Die Geschäfte macht der Vorstand.« Aber das haben schon andere vor ihm gesagt.

1981 spricht Beitz einmal über Boryslaw, und sein Gesprächspartner hat die Gräuel der Besatzung selbst erlebt: Papst Johannes Paul II., das polnische Oberhaupt der katholischen Christenheit. In einem Fernsehfilm des WDR heißt es über die Audienz für das Ehepaar Beitz im Vatikan: »Das Gemeinsame zwischen dem protestantischen Ehepaar Beitz und Karol Wojtyla, dem polnischen Widerstandskämpfer von 1939: ihre Zivilcourage während der Nazi-Besatzungszeit in Polen.« Beitz sagt den Reportern: »Er war sehr interessiert an der Zeit, die wir in Polen verbracht haben.«

Die Kontakte nach Osten bleiben intensiv. Auf der Villa Hügel wird 1981 ein deutsch-polnischer Vertrag zur Gründung eines Forschungszentrums für Kohleveredelung unterschrieben, ein von der Stiftung finanziertes Großprojekt. Im selben Jahr empfängt Beitz zu Hause den sowjetischen Vize-Ministerpräsidenten Leonid Kostandow, mit dabei ist Max Grundig; die Deutschen planen ein neues Ostgeschäft, Grundig möchte in der UdSSR Videorecorder bauen lassen. Die WDR-Fernsehleute, die Beitz noch immer begleiten, verfolgen das Gespräch fasziniert: »Der äußere Rahmen wirkt so, als ob man sich gerade zufällig getroffen hätte. In Wirklichkeit steckt hinter dem improvisierten Charme von Beitz geplantes Kalkül. Gemeinsam mit den Blumen kommen die Angebotsmappen auf den Tisch.«

26. September 1983, ein strahlender Herbsttag. Eine lange Schlange festlich gekleideter Menschen zieht sich vom Vorplatz der Villa Hügel durch die große Halle mit den Ölgemälden der Krupp’schen Ahnen bis in die Bibliothek. Dort warten Else und Berthold Beitz. Der Jubilar, der seinen 70. Geburtstag feiert, trägt eine dunkelrote Rose im Knopfloch und nimmt die Huldigungen der 500 Gäste entgegen. Unter ihnen sind FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, der mit dem Helikopter einfliegt, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau und der sowjetische Botschafter Wladimir Semjonow. Max Grundig und Ludwig Poullain sind da, auch Aenne Burda und Paul Kuhn, der mit seiner Combo im Gartensaal Jazzstücke spielt, wie sein Freund Beitz sie liebt. Kein Hauch von Abschied oder Nostalgie liegt auf diesem Fest. Berthold Beitz kennt keinen Ruhestand. Krupp ist und bleibt seine Lebensaufgabe.

»ZU MÜDE DIESEM GEGENSTAND GEGENÜBER«:
GOLO MANN UND BERTHOLD BEITZ

»Was möchten Sie sein?«

Jemand, der glücklicher ist als ich.

»Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?«

Tiefe Unzufriedenheit mit meinen Arbeiten, so wie sie in den letzten acht Jahren waren.

Zwei Antworten, die der berühmte Historiker Golo Mann, Sohn des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann, 1980 im »Fragebogen« des Magazins der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gibt. Der Autor der Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts (1958) und der monumentalen Wallenstein-Biographie (1971), geboren 1909, ist Mitte der siebziger Jahre in einer Schaffenskrise. Wallenstein, das ist große historische Erzählkunst, bildgewaltig, analytisch scharf und psychologisch klug, das schiere Gegenteil der verkrampften Theorieschriften, die zur selben Zeit in der Geschichtswissenschaft modisch werden. Doch – was nun? Große Projekte nimmt Golo Mann sich vor, Biographien – Bismarck, Cicero, Eichendorff –, und verwirft sie resigniert wieder. Es sei, schreibt Manns Biograph Tilmann Lahme, »symptomatisch für die Lebensphase, dass Golo Mann schließlich nicht von sich aus eine Entscheidung traf, sondern sich zu einer solchen bestimmen ließ«. Nicht über den Begründer des Deutschen Reiches von 1871, nicht über den römischen Rhetor und Cäsar-Gegner, nicht über den Genius der deutschen Romantiker wird er schreiben, sondern über Alfried Krupp von Bohlen und Halbach.

Dazu hat ihn Berthold Beitz bewogen, der ihn im Frühjahr 1974 mit Charme, Beredsamkeit und einem üppigen Honorar von 120 000 Mark im Jahr dazu überredet, zum zehnten Todestag des letzten Krupp 1977 dessen Leben aufzuschreiben. Ahnungsvoll notiert Golo Mann: »Das sollte ich wohl nicht tuen. Sollte.« Aber er tut es doch. Und das Projekt wird ihn nicht aus der Melancholie der späten Jahre hinausführen, sondern nur noch tiefer hinein.

Beide jüngere Biographen Manns, Tilmann Lahme und Urs Bitterli, schildern das traurige Geschick des Werks und seines Autors ausführlich: Die Entschlussschwäche wird Golo Mann auch nach seiner Zusage nicht los. Lange unternimmt er gar nichts, der ursprüngliche Abgabetermin verstreicht, erst 1977 führt Golo Mann erste Interviews, die ausführlichsten mit Beitz, dem er im April desselben Jahres versichert: »Ich werde jetzt anfangen zu schreiben, ich bin dieses Vorbereitungsstadiums schon lange überdrüssig.« Beitz beginnt in der Folge höflich zu mahnen. Erst 1981 schickt Golo Mann 134 Manuskriptseiten nach Essen, noch immer verdrossen über sein Werk, das nur bis zum Zeiten Weltkrieg und damit nicht über die jungen Jahre Alfrieds hinaus gediehen ist.

Am 8. Juli 1981 treffen sich Beitz und Mann dann in Essen, wo der Industrielle dem Gelehrten zu dessen schmerzlicher Überraschung eröffnet: Es sei vielleicht besser, gegen eine Abfindung von 150 000 Mark auf die Veröffentlichung zu verzichten. Entschieden ist es noch nicht, das Kuratorium muss noch tagen, von dem freilich nicht zu erwarten ist, dass es sich gegen Beitz stellt. Alfrieds Bruder Berthold, der das Manuskript in einer einzigen Nacht durchgeschaut hatte (grimmig notiert Mann: »So recht aufnahmefähig und zum genauen Lesen lustig war er ganz offenbar nicht«), hat tags zuvor an Beitz geschrieben: »Ich gebe Ihnen recht: Ich würde es auch nicht für gut halten, das Buch zu veröffentlichen! Das bedaure ich sehr, habe mich mit ihm angefreundet und freue mich auf jedes Gespräch mit ihm … Ich will und darf nicht zensieren, weil ich zu familiennah bin.« Zu nah an der für die Familie gewiss schmerzlichen Schilderung der persönlichen Verhältnisse Alfried Krupps, etwa »der Details des ersten Ehescheidungsprozesses«, wie Mann eine Woche später an Beitz schreibt, um hinzuzufügen: »Selbstverständlich wäre ich da und dort zu Kürzungen oder Retouchen bereit gewesen, wenn sie nur nicht das für eine Biographie Unabdingbare betrafen; ich bin ja kein unvernünftiger oder zu Kompromissen ungeneigter Mensch.« Die Ablehnung durch Beitz erscheint ihm als »Kurzschluß-Entscheidung«.

Im selben Brief macht Golo Mann Beitz den Vorschlag, er werde das Manuskript entweder überarbeiten oder auf einen längeren Essay konzentrieren: »Diesen Versuch würde ich ganz auf mein eigenes Risiko machen.« So verbleibt man schließlich.

Es ist dann auch nicht Beitz, sondern Golo Mann selbst, der das Projekt endgültig abbricht, ein Umstand, der meist übersehen wird. Der Historiker schreibt am 18. November 1981: »Nach vier Monaten habe ich Distanz zu der ganzen betrübten Angelegenheit und sehe sie nun anders … Es hat keinen Sinn mehr; weder das Buch zu Ende zu führen, noch auch es zu einem viel kürzeren Essay zu kondensieren. Auch das vollendete Buch würde nicht Ihren Beifall finden, und selbst angesichts eines zusammenfassenden Essays bin ich nun zu unsicher, als daß ich noch einmal ein paar Monate Arbeit darin zu investieren Lust hätte, übrigens auch ganz einfach zu müde diesem Gegenstand gegenüber, der mich so überlange beschäftigt hat. Ich muß zum Heil meiner Seele und meiner Schriftstellerei jetzt was ganz anderes tun.« Beitz schreibt ihm zurück: »Ich verstehe Ihre tiefe Enttäuschung und akzeptiere Ihre Entscheidung. So wird also keine Veröffentlichung erfolgen.«

Als Mann das Werk fertig schreiben sollte, hat er sich gesträubt. Nun ist er die Bürde los – und scheint sie sogleich zu vermissen. Zornig schreibt er an Beitz: »Natürlich tut es mir leid um Ihre betrogenen Hoffnungen, wie um all den Aufwand, die generöse häufige Gastfreundschaft in Bredeney … All dies wiegt jedoch leicht, verglichen mit dem Schaden, der mir selber entstand und der im buchstäblichen Sinne des Wortes ›unbezahlbar‹ ist.« Außerdem weist er die Verantwortung für das Scheitern des Projekts weit von sich: »Übrigens kann ich mir auch bei strenger Selbstprüfung keine Schuld beimessen, soweit Schuld das Buch selber beträfe. Ich kann keine schlechten Bücher schreiben, und schlecht war auch dieses Buch nicht, oder wäre es nicht geworden.«

Golo Mann beginnt schon hier eine Begründung zu formulieren, die sich in späteren Jahren immer mehr verfestigen wird: Beitz habe das Buch gekippt, weil es Alfried Krupp zu kritisch geschildert habe. Im Dezember 1981 wendet er sich erneut an Beitz: »Die Art, in der Sie an Ihrem verstorbenen Chef hängen, ist mir immer tief sympathisch gewesen, und am Ende konnte ich ihm in Ihrem Sinne niemals gerecht werden.«

Zwei Jahre später äußert sich Mann in einem Brief an einen Bekannten dann so: »Es sollte ein Auftragsbuch werden, aber so geschah es nicht, weil der fertige Teil Herrn Beitz nicht gefiel. Übrigens nicht aus politischen Gründen: es war nur so, daß ich aus dem letzten Krupp, der nicht bös, aber eine ziemliche Null war, den Helden nicht machen konnte, den er, in eigentlich rührender Vasallentreue, aus ihm machen wollte.« Das hört sich, nach außen hin, ja nicht unplausibel an: Der mächtige Industrielle bestellt eine Biographie seines Freundes und früheren Chefs; der Historiker schreibt nach bestem Wissen und Gewissen einen Text; dem Auftraggeber ist das Ergebnis nicht lobhudelnd genug.

Doch ganz so einfach liegen die Dinge nicht.

Gewiss war Beitz die Schilderung persönlicher Details aus Alfried Krupps Privatleben auch zu intim. Aber darüber hätte man reden können. Im Juli 1981 liegen der Abgabetermin immerhin schon vier Jahre und der Auftrag sieben Jahre zurück, ohne dass die Biographie über das Fragmentstadium hinausgekommen wäre. Es fehlt Beitz der Glaube, dass der Autor das Werk, an dem er so sichtbar leidet, in absehbarer Zeit abschließen würde. Sodann hat Mann seine völlige Fremdheit gegenüber der Welt der Industriellen nicht überwinden können. Gewichtiger jedoch ist etwas anderes, wie Beitz heute zur Begründung seiner Entscheidung gegen das Buch sagt: »Es gab ein langes Hin und Her, aber eines wurde immer deutlicher: Golo Mann wollte eine Geschichte über Krupp schreiben, über die Firma, über Alfrieds Vater Gustav. Es war nicht in erster Linie Alfrieds Geschichte, die in dem Manuskript stand.«

Was Mann geschrieben hat, geht tatsächlich zu einem nicht geringen Teil am Thema vorbei, nämlich an der Person Alfried Krupp. Viel lohnender erscheint dem Historiker die übermächtige Gestalt des Vaters, des Firmenpatriarchen Gustav Krupp: »Der Chef der Firma … erwies sich in den [auf die Niederlage 1918; J. K.] folgenden Jahren als überlegt, tapfer und zäh. … Der Abschied von der Monarchie und allem, was zu ihr gehörte, muß ihm fürchterlich schwergefallen sein; aber wir hören, wir lesen keine Klage.« Das ist der Stoff, aus dem Menschen sind, die Golo Mann faszinieren, stark in ihrem Willen, ihrem Wirken, ihren Widersprüchen. Alfried ist dagegen ein unglücklicher, unter dem Druck der zwanghaften Erziehung zu Krupp’scher Größer früh in sich zurückgezogener Junge, dessen kindliches Elend Mann anschaulich beschreibt: »Sonntags wurden die Söhne nicht später geweckt als wochentags, sondern früher, um den Tag mit Reitunterricht zu beginnen. Sie haßten aber das Reiten, weil man sie dazu zwang … Am meisten haßte es Alfried, er bekam Nesselfieber davon.« Alfried stand im Schatten des Vaters ebenso wie in dessen Bann, wie Golo Mann von alten Kruppianern erfuhr: »Noch der Student wurde blaß, wenn ein Diener ihm mitteilte, Herr von Bohlen wünsche ihn zu sprechen.«

Über Schuld und Verstrickung der Familie Krupp und vor allem Gustav Krupps unter dem NS-Regime schreibt Mann klare Worte: »Er und sein Haus machten mit, freiwillig und freudig, machten intensiver mit, als sie gemußt hätten.« Gemessen am Vater, verblasst Alfried Krupp, der doch nach 1945 vieles besser gemacht hat als jener, für Golo Mann, wie erwähnt, zur »ziemlichen Null«. Ihm fehlt daher jede Zuneigung zum Objekt seiner Biographie; er schreibt über einen Fremden, über »eine Persönlichkeit, die mich nicht eigentlich ansprach und mit der ich mich in keiner Weise identifizieren konnte«. Spekulativ, aber interessant wäre die Frage, ob Golo Mann hier womöglich unterbewusst die Tristesse der eigenen Kindheit unter einem dominanten, übergroßen, ja den Sohn missachtenden Vater aufarbeitet. Ob er nicht sein eigenes Unglück in jenem des jungen Krupp wiedererkennt und mit umso heftigerer Abwehr reagiert. Über sich selbst hat er einmal geschrieben: »Golo Mann wurde als Sohn geboren; mochte es nicht, konnte es nicht ändern.«

Das Buch jedenfalls beschreibt einen Menschen, den der Autor im Grunde dieses Buches nicht für würdig erachtet. Erst so wird verständlich, warum sich Berthold Beitz an dem Manuskript stößt. Das alles erfasst die Ursachen für das Scheitern des Buches jedenfalls differenzierter als die schlichte Behauptung, Beitz habe »sich wohl doch so etwas wie eine ›Kaiser-Geburtstagsrede‹ erhofft«. Es war gewiss schwer für Golo Mann, es ihm recht zu machen.

Die Affäre verrät somit etwas über Berthold Beitz, über einen Wesenszug an ihm, den viele nicht vermuten, die seine charismatische, kraftvolle Seite erleben – nämlich Misstrauen und vor allem Verletzbarkeit. Auf öffentliche Kritik reagiert er mitunter mit einer Schärfe und Härte, die erstaunen mag; und das gilt nicht allein für Kritik an ihm, sondern auch an Alfried Krupp, dessen Erbe er bis an sein Lebensende verwalten will.

Dafür gibt es noch andere Beispiele. 1962 streitet Beitz mit dem Verleger Ernst Rowohlt über Rolf Hochhuths Manuskript für sein Theaterstück Der Stellvertreter, das bald erscheinen soll und unter anderem die Tätigkeit von Krupp-Vertretern in Auschwitz behandelt. Der Publizist Fritz J. Raddatz, damals zweiter Mann im Verlag, wird später behaupten: »Es war keine fragende Intervention, es war der knallharte Versuch, die Publikation zu unterbinden.« Freilich weiß Raddatz nicht zu berichten, womit der Anrufer denn gedroht habe. Beitz bestreitet heute entschieden, unzulässigen Druck auf Rowohlt ausgeübt zu haben. Dafür wäre er auch viel zu klug. Er hat Rowohlt aber wohl mit Klagen für den Fall gedroht, dass Alfried Krupps Rolle im Dritten Reich falsch dargestellt würde.

Sogar mit Johannes Rau gerät Beitz einmal im Kuratorium der Stiftung aneinander. Da hat 1996 gerade Willy Brandts Witwe Brigitte Seebacher-Brandt einen Aufsatz veröffentlicht, in dem sie Beitz unter Zuhilfenahme einiger Küchenpsychologie vorwirft, er sei das Musterbeispiel eines »geliehenen Ichs«, der aufgrund einer schwachen Persönlichkeit in die Identität Stärkerer, in diesem Falle der Familie Krupp, schlüpfe. Der Artikel ist der Rede eigentlich nicht wert, aber Beitz tobt: »Das ist absurd. Was heißt denn hier geliehen. Frau Seebacher-Brandt will doch nur provozieren und diffamieren, damit sie im Gespräch bleibt.« Er ist, nach der Schilderung eines Insiders, so verletzt, dass er Rau zur Rede stellt, warum der Ministerpräsident ihm, dem verdienten Förderer Nordrhein-Westfalens, nicht öffentlich beistehe. Rau reagiert verärgert ob der jähen Vorwürfe des Freundes wegen eines Vorgangs, mit dem er gar nichts zu tun hat: »Wenn das so ist, kann ich auch wieder gehen.« Beitz, begütigend: »Ach, Sie wissen doch, wie ich bin.« Rau: »Ich bin auch so, wie ich bin.«

Souverän ist das alles nicht. Es bedeutet aber auch nicht einfach die Unfähigkeit der Macht, andere Wahrnehmungen zu dulden. Hinter Beitz’ heftigen Abwehrreaktionen verbirgt sich der Wunsch eines Menschen, der schlimme Dinge gesehen hat – schlimmere, als sich viele andere vorstellen können –, die Kontrolle zu behalten, Verletzungen zu vermeiden oder auch nur das, was zu Verletzungen führen könnte. Insofern trifft auch auf ihn zu, was Golo Mann über die Familie Krupp schreibt: »Immer bleibt menschliche Wirklichkeit komplexer, als schlichte Thesen sein können.«