13

Kyros’ Hände zitterten noch immer, als er sein Haus betrat. Er konnte nicht glauben, was er heute Abend gesehen hatte. Was er gehört hatte. Marco war tot.

Ias war am Leben.

Und er war es all die Jahrhunderte gewesen.

Wut und Kummer lagen im Wettstreit mit Erleichterung und Freude. Er war so durcheinander, dass er nicht wusste, was er denken oder empfinden sollte. Ein Teil von ihm hätte seinen alten Freund am liebsten in die Arme geschlossen.

Sie hatten sich nähergestanden als Brüder. Zwischen ihnen bestand eine ganz besondere Verbindung, wie sie nur sehr selten vorkam. Es war ein festes Band, das daher rührte, dass sie einst ihr Leben in die Hände des anderen gelegt hatten. Ein Band, das unzerstörbar war und für immer existieren würde.

Wie oft hatten sie Seite an Seite gekämpft? Während der endlosen Märsche und Schlachten gehungert? Wenn einer verwundet zu Boden gefallen war, hatte der andere das Schwert gezückt und ihn mit aller Kraft gegen die Angreifer verteidigt, bis die Schlacht zu Ende war und er seine Wunden versorgt hatte.

Rücken an Rücken hatten sie zahllose Kämpfe bestritten, sorgsam darauf bedacht, dass keinem von ihnen etwas passierte.

Er stand tiefer in Ias’ Schuld, als er jemals durch Geld oder Taten aufwiegen könnte. Dieser Teil von ihm war außer sich vor Freude darüber, dass Ias noch am Leben war.

Doch der andere Teil fühlte sich hintergangen, verletzt und zutiefst gekränkt. Wie hatte Ias überleben und ihm nichts davon sagen können? Wie?

Und warum hatte Acheron nie etwas verlauten lassen? Er wusste doch besser als jeder andere, wie sehr ihm Ias’ Tod zugesetzt hatte. Anfangs hatte er gedroht, unter der Last seines Verlustes zu zerbrechen. Er hatte sich verantwortlich gefühlt. Hätte er Ias von den Umtrieben seiner Frau erzählt, hätte sein Freund niemals den tragischen Fehler begangen zu glauben, sie liebe ihn von ganzem Herzen. Doch er hatte gewusst, dass diese Erkenntnis Ias zerstört hätte, schließlich hatte er Liora mehr geliebt als alles andere auf der Welt.

Selbst sein eigenes Leben war verwirkt gewesen, weil er geschwiegen hatte. Er war beim Versuch gestorben, Ias vor Lycantes, Lioras Liebhaber, zu beschützen, der ihn getötet hatte.

Wieso habe ich es ihm nicht gesagt?

Jahrhundertelang hatte er wie Atlas Schuld auf seinen Schultern getragen und unter den gewaltigen Gewissensbissen gelitten. In den neuntausend Jahren hatte es kaum eine Nacht gegeben, in der er nicht von Schuldgefühlen heimgesucht worden war.

Wann immer ein Dark Hunter auf die Möglichkeit zu sprechen gekommen war, frei zu sein, indem ein geliebter Mensch das Medaillon mit seiner Seele in die Hand nehmen musste, ehe er sie ihm zurückgeben konnte, hatte er an seinen Freund gedacht.

Und damit nicht genug. Ias war derjenige, dem all die Dark Hunter die Möglichkeit verdankten, ihren Pakt mit Artemis rückgängig zu machen und in die Sterblichkeit zurückzukehren. Ohne ihn hätte weder Acheron noch Artemis oder wer auch immer ihre Existenz ersonnen hatte, den Dark Huntern die Möglichkeit gewährt, ihre Seelen zurückzubekommen und frei zu sein. Niemals.

Doch trotz allem wusste Kyros eines ganz genau – Ias würde ihn niemals belügen. So etwas sah ihm nicht ähnlich. Er war stets ein Ehrenmann gewesen.

Doch war dieser Ias noch derselbe Mann wie der Sterbliche, den er gekannt hatte?

»Was tust du da?«

Kyros sah auf und erblickte Stryker, der im Türrahmen zu seinem Arbeitszimmer stand, das er gerade betreten wollte. Mit einer Lässigkeit, die er nicht empfand, schob er sich an ihm vorbei und setzte sich in seinen burgunderroten Lederdrehstuhl hinter seinen mit Schnitzereien verzierten Mahagonischreibtisch. »Ich denke nach.«

»Worüber?«

Er bedachte den Daimon mit einem tödlichen Blick. »Wusstest du, dass Acherons Zerstörer einst mein bester Freund war?«

Stryker hielt inne, als die Worte auf ihn niederprasselten. Darauf war er nicht gefasst gewesen. Stattdessen hatte er sich immer gefragt, woher Alexion gekommen sein mochte.

Aber jeder wusste, dass Acheron nicht gerade redselig war und ihm irgendetwas erzählte – und schon gar nichts, von dem er ahnte, dass Stryker es eines Tages gegen ihn verwenden könnte. Das war das Dumme mit den Feinden. Sie bekamen einfach die Zähne nicht auseinander.

Also war auch Alexion einst ein Mensch gewesen … Und er hatte Kyros gekannt …

Gut. Das würde ihm helfen.

»Bestimmt fühlst du dich verraten«, sagte er mit wohl kalkuliertem Mitgefühl. »Hat er etwas gesagt?«

»Er sagte, er sei gekommen, um mich vor dir zu beschützen.«

Stryker bemühte sich um eine neutrale Miene. Er musste mit größter Umsicht vorgehen, wenn er die Gefahr abwenden wollte, die all seine Pläne zu zerstören drohte.

»Interessant.«

Also hatte Alexion vor, seinen alten Freund, Strykers Schachfigur, vor dem Tod zu bewahren. Das könnte sich als überaus praktisch erweisen. Alexion würde es sich gewiss zweimal überlegen, ehe er seinen Freund zu einer Existenz als Shade verdammte, was Stryker hervorragend gegen ihn verwenden konnte. Alexion würde wohl kaum den Mann töten, zu dessen Rettung er gekommen war.

Oh ja, das waren allerdings gute Nachrichten. »Dir ist klar, dass er lügt, oder?«

Kyros schüttelte den Kopf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich denke nicht.«

»Nein?«, fragte Stryker, trat einen Schritt vor, schob den schwarzen ledernen Bleistiftbehälter beiseite und setzte sich auf die Schreibtischkante. »Benutz deinen Verstand, Kyros. Er behauptet, er sei dein Freund, aber wo, bitte schön, war er all die Jahrhunderte?«

»Er sagte, er hätte nicht mit mir in Kontakt treten können.«

»Konnte nicht oder wollte nicht?«

Kyros musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Sag einfach, was du zu sagen hast, Stryker. Ich bin nicht in Stimmung für diesen Unsinn.«

»Gut«, sagte Stryker und beugte sich vor, um Kyros in die Augen zu blicken. »Ich sage dir Folgendes: Wenn er wirklich dein Freund ist, wo war er dann die ganze Zeit, während du in der Pampa herumgehangen hast? Wie oft hast du Acheron gebeten, dich von Mississippi in eine Großstadt zu versetzen, wo ein bisschen mehr läuft als alle Jubeljahre eine Grillparty? Und wie oft hat er deine Bitte ignoriert?«

Kyros wandte den Blick ab. »Ash hatte seine Gründe.«

Dieser erbärmliche Narr. Er hatte keine Ahnung, mit wem er es zu tun hatte, wenn Acheron oder er selbst vor ihm stand.

»Ach ja?«, bohrte Stryker weiter. »Oder war es vielleicht dein Freund, der deine Bitte abgelehnt hat? Denk darüber nach, Kyros. Acheron ist ein sehr beschäftigter Mann, der nicht die Zeit hat, Tausende Dark Hunter im Auge zu behalten, die er erschaffen hat, um sie zu zerstören. Wen würde er wohl dafür an seine Seite holen, was glaubst du?«

Stryker ließ ihm keine Zeit für eine Antwort. Er wollte nicht, dass Kyros einen logischen Gedanken fasste, ehe er Zweifel in ihm gesät hatte. »Seine rechte Hand, das ist doch klar. Denjenigen, von dem er sicher sein kann, dass er all seine Befehle ausführt.«

Er schnalzte mit der Zunge. »Verdammt, Alexion kann sogar einen Teil der Kräfte meines Bruders kontrollieren. Einige von uns glauben, dein Freund Alexion sei Acherons Blutsbruder. Und dir ist auch klar, dass dein so genannter Freund verantwortlich für dein Einsatzgebiet ist. Er ist derjenige, der der Meinung war, du hättest es nicht verdient, mehr Menschen um dich zu haben. Und selbst wenn er nicht derjenige ist, der die Entscheidungen trifft, hätte ein solcher Freund doch unter Garantie schon längst die Möglichkeit gehabt, Acheron dazu zu bringen, seine Meinung zu ändern und dich zu retten. Oder etwa nicht?«

Er sah die Unsicherheit in Kyros’ Augen und kämpfte gegen das siegessichere Lächeln an, das sich auf seinen Zügen auszubreiten drohte.

»Die beiden versuchen, dich für dumm zu verkaufen, Kyros. Denk nach. Bestimmt lachen sie sich hinter deinem Rücken ins Fäustchen, und zwar genau in dieser Sekunde. Alle beide. Alexion ist hier, um dich und alle anderen zu töten, und nicht, um dich zu retten. Wenn er dich wirklich retten wollte, hätte er dir schon längst ein Revier in einer anständigen Großstadt zugewiesen. Aber das hat er nicht getan, stimmt’s?«

Stryker bemühte sich um eine mitfühlende Miene. »Vertrau mir, wenn er zu Acheron zurückkehrt, wird kein einziger Dark Hunter in dieser Gegend mehr am Leben sein, es sei denn, es gelingt dir, Alexion vorher zu töten.«

Stryker glitt von Kyros’ Schreibtisch und beugte sich vor. »Du hast doch bereits eine Kostprobe seiner Arbeit bekommen. Lag Marco nicht genau dort, wo ich es dir gesagt habe?«

»Ja.«

Sehr gut. Seine Daimons hatten seine Befehle also befolgt. »Und war er nicht genau auf die Weise getötet worden, wie ich gesagt habe?«

»Ja.«

»Und war Alexion nicht dort?«

Kyros nickte. »Alles, was du vorhergesehen hast, ist eingetreten.«

»Wer belügt dich dann?«

»Sie«, antwortete Kyros automatisch.

»Genau.« Schließlich gestattete Stryker sich ein Lächeln. »Sie lügen, und was werden wir dagegen unternehmen?«

Kyros starrte ihm finster ins Gesicht. »Ich werde ihn töten.«

Danger sah Alexions niedergeschlagene Miene, als er sich gegenüber von ihr an den kleinen runden Tisch setzte. Für einen Mann, der behauptete, keinerlei Emotionen zu haben, zeigte er sich erstaunlich gefühlvoll.

Er hatte darauf bestanden, dass sie nicht zurück in ihr Haus fuhren, wo der Dämon sie möglicherweise finden (oder sogar noch auf sie warten) könnte. Stattdessen hatten sie sich ein Hotelzimmer in der Stadt gemietet.

Offen gestanden war Danger deswegen ein klein wenig nervös. Sie hielt sich nicht gern außerhalb ihrer eigenen vier Wände auf. Wenn das Zimmermädchen morgen früh hereinkam und die Sonne ins Zimmer drang …

Alexion würde nicht in einer goldenen Staubwolke explodieren, sie hingegen schon. Doch Alexion versprach ihr hoch und heilig, er werde darauf achten, dass ihr nichts passierte.

Das ist dann schätzungsweise der Test.

Wenn sie diesen Tag überstand, sagte er die Wahrheit. Wenn nicht … tja, dann wäre sie echt sauer.

Und tot.

In der Zwischenzeit waren sie allein in ihrem kleinen Hotelzimmer. Und offen gesagt sah Alexion ziemlich erschöpft aus. Die Begegnung mit Kyros hatte ihn offenbar ziemlich mitgenommen; so sehr, dass er sein Essen kaum angerührt hatte.

»Er kommt bestimmt wieder«, meinte sie und zog ihre Stiefel und Strümpfe aus.

Er sah sie an. »Ich wünschte, ich hätte Ihren Optimismus und Ihr Vertrauen.«

»Dann vertrauen Sie auf Acheron. Das sagen Sie mir doch schon die ganze Zeit. Hätte er Sie hergeschickt, wenn er gewusst hätte, dass Sie scheitern?«

»Ja«, sagte er mit einer Mischung aus Resignation und merkwürdiger Entschlossenheit.

Seine Antwort erstaunte sie. »Nein, hätte er nicht. Das wäre grausam.«

»Stimmt«, bestätigte er. »Er hätte es getan. Manchmal muss man scheitern, um Erfolg zu haben, sagt er immer. Ob wir wollen oder nicht, im Universum herrscht eine bestimmte Ordnung. Manchmal ist sie schwer zu verstehen und sehr oft schwer zu akzeptieren, aber sie existiert. Scheitern gehört zum Leben, und niemand kann bei allem, was er tut, immer nur Erfolg haben.«

Sie schnaubte verächtlich. »Das ist übel.«

Er nickte. »Aber das Scheitern ist der Preis, den wir für unseren freien Willen zahlen.«

»Vielleicht wären wir ohne ihn besser dran.«

Er lachte auf. »Das findet Acheron auch meistens. Er hasst den freien Willen, würde sich ihm aber nie in den Weg stellen.«

»Wie auch?«

Wieder schwieg Alexion.

Sie spürte seine Ruhelosigkeit, obwohl er scheinbar gelassen auf seinem Stuhl saß. Sie hatte bereits zweimal etwas gegessen, er nicht. Er hatte nur gemeint, er sei nicht hungrig. Doch wenn man bedachte, dass er nichts schmecken konnte, war es nicht weiter verwunderlich.

»Wollen Sie sich nicht hinlegen?«

Er stieß den Atem aus. »Ich komme später nach.«

»Alexion …«

»Es geht mir gut, Danger. Wirklich.«

Nein, das stimmte nicht. Sie brauchte keine sfora, um das zu sehen.

Sie stand auf und trat neben ihn. »Es geht Ihnen überhaupt nicht gut.«

Er sah zu ihr auf. Die Schönheit seiner Augen, in denen sich die Qual so unübersehbar spiegelte, berührte sie zutiefst. »Nein, tut es nicht.«

Mit diesem Eingeständnis hatte sie nicht gerechnet.

»Ich bin derjenige, der Acherons E-Mails überwacht«, sagte er leise. »Ich bin in Katoteros, wenn sein Handy pausenlos klingelt, weil jeder mit ihm reden will, Tag und Nacht. Es gibt Phasen, in denen ihn das regelrecht in den Wahnsinn treibt. Aber ich beneide ihn um dieses Chaos. Um diese ›menschlichen‹ Kontakte. Ich glaube, das ist der Grund, weshalb er sich in meiner Gegenwart nie darüber beschwert. Er weiß, dass ich einen Mord begehen würde, um das zu haben.«

Die tiefe Traurigkeit in diesen leuchtenden grünen Augen bohrte sich schmerzhaft in ihr Herz.

»Mein Leben ist so endlos«, fuhr er mit einer Stimme fort, die das wahre Ausmaß seines Kummers widerspiegelte. »Abgesehen von Acheron und Simi ist der Kontakt zu den Shades alles, was ich habe. Kontakt mit Verdammten, die mich schreiend um Hilfe anbetteln, weil ich eines der wenigen Geschöpfe bin, das sie hören kann. Aber die, die auf der Insel Padesios leben, wollen nichts mit mir zu tun haben, sondern meiden mich, wann immer ich ihnen begegne.«

»Welche Insel?«

Er seufzte. »Das ist eine Region in Katoteros, wo Acheron die Shades in einer Art Paradies leben lässt. Ihre Existenz ist begrenzt, so wie meine, aber sie leiden nicht. Nicht wie die anderen. Obwohl ich finde, die Gewissheit, niemals mehr menschlich sein zu können, ist Strafe genug. Ich schätze, das ist der Grund, weshalb sie mich hassen. Ich habe wenigstens so etwas wie eine menschliche Gestalt. Sie nicht, und sie werden auch nie wieder eine haben.«

»Und wieso gibt ihnen Acheron keine?«

»Aus demselben Grund, weshalb er mich nur auf die Erde schickt, wenn es unbedingt sein muss. Es ist grausam, beinahe menschlich zu sein und zu wissen, dass man es nie wieder sein wird. Es reißt nur alte Wunden auf.«

Die Qual, die er erdulden musste, berührte sie zutiefst. Er sah so allein, so verloren aus – Regungen, die sie nur zu gut kannte. Sie hatte sie in den vergangenen zweihundert Jahren oft genug selbst erfahren und konnte nur ahnen, wie es sein musste, neuntausend Jahre lang immer wieder davon heimgesucht zu werden.

Sie legte ihre Hand auf seine stoppelige Wange, die sich unter ihren Fingern rau anfühlte. Die Berührung jagte ihr einen Schauder durch den Arm.

Er schloss die Augen und holte tief Luft, als wolle er den Duft ihrer Haut in seine Lunge saugen, das Gefühl ihrer Berührung genießen.

Seine Einsamkeit berührte einen Teil in ihrem Innern, von dem sie nicht gewusst hatte, dass er existierte. Einen Teil ihres Selbst, der genauso war wie er. Für immer allein.

Mit hämmerndem Herzen beugte sie sich vor und legte ihre Lippen auf seinen Mund.

Alexion war nicht auf ihren Kuss gefasst gewesen. Er wünschte, er könnte sie tatsächlich schmecken. Erfahren, wie sich ihr Atem mit seinem vermischte, während ihre Zunge seine Mundhöhle erforschte.

Abrupt erwachte sein Körper zum Leben, während die Sehnsucht in ihm aufstieg, sie nackt an sich zu spüren. Er vertiefte seinen Kuss, ehe er sich von ihr löste und sie ansah. »Bitte, tu mir das nicht an, Danger. Es ist grausam. Schließlich weißt du genau, wie lange ich schon keine Frau mehr hatte.«

Für einen Moment spürte er ihren heftigen Atem an seiner Wange, ehe sie die Arme hob und sich die Bluse über den Kopf streifte.

Beim Anblick des schwarzen Spitzen-BHs, der ihre festen Brüste kaum verhüllte, drohte sein Herzschlag auszusetzen. Er sah ihre rosigen Brustwarzen, die sich ihm entgegenreckten, gierig nach der Berührung seines Mundes.

Noch nie hatte er etwas Schöneres gesehen.

Danger wusste, dass sie das nicht tun sollte, doch sie konnte sich nicht länger beherrschen. Wie er hatte auch sie viel zu lange auf Sex verzichten müssen. Doch was noch viel wichtiger war – sie spürte diese seltsame Verbindung, die zwischen ihnen bestand. Ob es verkehrt war oder nicht, sie wollte es. In diesem Moment. Und sie brauchte ihn ebenso wie er.

Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihre Brust.

Er sog scharf den Atem ein, ehe er seine Finger unter den Spitzenstoff schob. Die Haut an seinen Fingern fühlte sich ein wenig rau an, doch seine Berührung war sanft wie ein Federstrich, als er behutsam ihr weiches Fleisch zu kneten begann.

Sie richtete sich etwas auf, um seinen feurigen Kuss zu erwidern, während sie ihm den schwarzen Rollkragenpullover über den Kopf zog. Jeder Zentimeter seiner nackten Haut war makellos. Keine Narbe, kein Makel zerstörte die Perfektion seines männlichen Körpers. Das Einzige, was sie entdecken konnte, war eine seltsame Tätowierung auf seiner linken Schulter – eine gelbe, von drei weißen Blitzen durchzuckte Sonne. Behutsam strich sie mit dem Finger darüber und fragte sich, was diese Buchstaben, die sie noch nie vorher gesehen hatte, in seiner Mitte bedeuten mochten.

»Was ist das?«, fragte sie.

»Nur ein Tattoo«, antwortete er mit erstickter Stimme. »Am Morgen nach meiner Verwandlung war es da.«

Er nahm seine Hand fort, damit sie ihn ausziehen konnte.

Danger kletterte förmlich auf seinen Schoß, um ihre Lippen hungrig auf seinen Mund zu pressen.

Die Leidenschaft ihres Kusses entlockte ihm ein tiefes Grollen, während er spürte, wie er hart wurde. Sein Atem mischte sich mit ihrem, als sie mit ihren warmen Händen über seinen nackten Rücken strich. Er griff um sie herum und öffnete den Verschluss ihres BHs. Die schwarze Spitze löste sich von ihrer Haut und gab ihre kleinen, festen Brüste frei, die sich neckend an seiner entblößten Brust rieben.

Das Gefühl ihrer aufgerichteten Brustwarzen auf seiner Haut brachte ihn schier um den Verstand. Noch nie hatte er eine Frau so sehr begehrt.

Sie ließ ihre Lippen über seine Wange bis zum Ohr wandern. Alexion stieß einen leisen Fluch aus. Goldene Sterne schienen vor seinen Augen zu explodieren, als sie mit der Zunge die empfindsame Haut liebkoste. Unfähig, die Berührung noch einen Augenblick länger zu ertragen, stand er auf.

Sie schlang ihre Beine um seine Taille, während er sie zum Bett trug. Er brauchte diese Frau mehr als alles andere auf der Welt, auch wenn er nicht wusste, warum es so wichtig für ihn war, sie zu besitzen. Doch das war es, und hätte jemand in diesem Moment versucht, ihn daran zu hindern, hätte er es wohl nicht überlebt.

Eilig riss er die Decken beiseite, ehe er sie auf die Matratze sinken ließ. Mit hämmerndem Herzen zog er den Reißverschluss ihrer Jeans auf, um die pure Schönheit ihres Körpers genießen zu können.

Danger stöhnte, als Alexion seine Hand in ihr Höschen schob, um sie dort zu berühren, wo sie ihn bereits sehnsüchtig erwartete. Zischend sog sie den Atem ein, wölbte sich ihm entgegen und spreizte die Beine, damit er mit seiner Zärtlichkeit den bittersüßen Schmerz linderte. Während seine Hand sie weiter liebkoste, löste er sich ein Stück von ihr, um sie zu betrachten.

Seine Augen waren dunkel vor Leidenschaft. Und voller Staunen. Ein seltsam grünes Flackern flammte in ihnen auf, als er ihr mit einer ungestümen Bewegung Jeans und Höschen herunterzog und zu Boden warf. Ehe sie sich rühren konnte, war er bereits wieder zwischen ihren gespreizten Beinen. Sein heißer Atem brannte sich in die weiche Haut ihrer Schenkel, während seine Hand sich wieder der Süße ihres Fleischs widmete.

Vage registrierte sie, wie er seine Hand zurückzog und Sekunden später sein Mund ihre Stelle einnahm. Ein ekstatischer Schrei löste sich aus ihrer Kehle, während sich ihre Hände in den goldenen Strähnen seines langen Haars vergruben. Er ließ sich alle Zeit der Welt. Kein Mann hatte ihr je das Gefühl gegeben, so begehrt zu werden, so sehr gebraucht, und sie verstand. Voll und ganz.

Gedanken und Gefühle wirbelten durcheinander, als sich seine Zunge tief und voller Leidenschaft in ihr versenkte. Und als sie kam, hätte sie geschworen, dass Myriaden von Sternen vor ihren Augen explodierten.

Alexion schloss die Augen, als er sie erschaudern spürte. Nichts liebte er mehr, als den Körper einer Frau zu reizen und sich an ihrer Lust zu erfreuen. Und Danger war die wunderbarste Frau, die ihm je begegnet war. Er legte die Stirn an ihren Schenkel, während das Verlangen nach ihr noch immer durch seinen Körper pulsierte.

Er wollte nicht, dass es jemals wieder aufhörte, sondern war fest entschlossen, sie so lange zu spüren, wie er nur konnte. Etwas an ihr schien ihn tief in seinem Innern zu berühren und gab ihm das Gefühl, wieder lebendig zu sein.

Es ergab zwar keinerlei Sinn, doch in ihrer Gegenwart war es, als könne er mit einem Mal wieder fühlen. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten waren so etwas wie menschliche Regungen in ihm. Durch sie konnte er wieder etwas empfinden, auch wenn er es nicht wollte.

Ihre schwarzen Augen bohrten sich in ihn, als sie sich mit der Geschmeidigkeit einer hungrigen Löwin aufrichtete und eine aufreizende Pose auf dem Bett einnahm – so aufreizend, wie er sie noch nie zuvor bei einer Frau gesehen hatte.

»Was hast du …«

Er bekam keine Gelegenheit, seine Frage zu stellen, denn im nächsten Moment hatte sie ihn auf den Rücken gestoßen und an seiner Hose zu nesteln begonnen. Widerstandslos ließ Alexion sie gewähren und sog scharf den Atem ein, als sie ihn befreit hatte und behutsam die Hand um ihn legte. Es war so lange her, seit ihn das letzte Mal eine Frau auf diese Weise berührt hatte …

Danger hielt inne, um ihm ins Gesicht zu blicken. Sie hatte noch nie einen Mann gesehen, dem allein diese winzige Berührung einer Frau solche Lust bereitet hatte. Das allein sagte ihr, wie einsam Alexion sein musste. Es war beinahe ein Verbrechen, einen Mann auf diese Art und Weise einzusperren.

Er legte die Hände um ihr Gesicht und küsste sie mit einer leidenschaftlichen Tiefe, die ihr verriet, wie viel sie ihm bedeutete. Wie wichtig es ihm war, sie zu spüren.

Etwas geschah in ihrem Innern. Sie spürte, wie sich eine Zärtlichkeit in ihr ausbreitete, von der sie nicht geglaubt hatte, sie je empfinden zu können.

Er hob sie hoch und setzte sie auf sich. Danger biss sich auf die Lippe, als sie seine Größe in sich spürte. Sie beugte sich nach vorn, um sich mit den Händen auf seiner Brust abzustützen, ehe sie ihn langsam und rhythmisch zu reiten begann.

Alexion wölbte sich ihr entgegen, um noch tiefer in die warme, feuchte Hitze ihres Körpers eindringen zu können, während er nach ihrer Hand griff und sie küsste. Es war einzigartig. Das Gefühl ihres Körpers, die Wärme ihrer Haut. Er legte die Hand an seine Wange und genoss ihre Weichheit, ihren köstlichen Duft.

Die Leidenschaft, mit der er ihr Liebesspiel genoss, erstaunte ihn selbst. Ihr drahtiger, athletischer Körper bewegte sich mit unglaublicher Sinnlichkeit und schien jede Faser seines Körpers zu entzünden.

Als der Höhepunkt mit der Gewalt eines Feuerballs über ihn kam, warf er den Kopf in den Nacken und stieß ein tiefes Stöhnen aus.

Danger spürte, wie ihr bei Alexions Anblick die Tränen in die Augen schossen. Es war fast, als würde er von der Wucht seines Höhepunkts entzweigerissen. Und als er ihr in die Augen sah, war es um sie geschehen.

Wieder legte er die Hände um ihr Gesicht, zog sie zu sich herab und küsste sie auf die zärtlichste, süßeste Weise, die sie je erlebt hatte. Er sagte nichts, doch das brauchte er auch nicht. Die Dankbarkeit und die Bewunderung in seinem Blick waren genug.

Lächelnd löste sie sich von ihm und ließ sich neben ihn sinken, noch immer mit seinem Duft in ihrer Nase. Sie genoss die Intimität, nackt und eng umschlungen mit ihm auf dem Bett zu liegen. Ihr Kopf ruhte auf seinem Bizeps, während sein Atem ihren Hals kitzelte.

»Danke, Danger«, flüsterte er.

Sie rollte sich herum, um ihm im fahlen Licht der Morgendämmerung ins Gesicht zu sehen. Seit ihrer Verwandlung hatte sie keine ganze Nacht mit einem Mann verbracht. Umso seltsamer fühlte es sich nun, nach all den Jahrhunderten, an.

Alexion verströmte eine entspannte Friedfertigkeit, die sie bislang nicht an ihm erlebt hatte.

»Gern geschehen«, erwiderte sie, griff nach seiner Hand und hob sie an die Lippen. »Du warst unglaublich.«

»Na ja, die lassen mich schließlich nicht allzu oft raus.«

Sie lachte und strich mit dem Finger über seine aufgerichtete Brustwarze. »Ich glaube fast, bin froh darüber.«

Er küsste sie zärtlich, ehe er sie auf die Matratze zurückdrückte. »Du solltest jetzt erst einmal eine anständige Mütze voll Schlaf nehmen.«

Sie zog die Nase kraus. »Das wird nicht einfach werden. Ich habe seit Jahrhunderten nicht mehr in einem anderen Haus geschlafen als in meinem eigenen. Außerdem bin ich nicht sicher, ob das Tageslicht nicht durch die Vorhänge dringt. Das macht mich ein bisschen nervös.«

Er schlang die Arme um sie und zog sie an sich. »Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert.«

Wärme durchströmte sie. »Das ist ein schöner Gedanke. Aber deine Kräfte in allen Ehren – ich fürchte, im Zweifelsfall würde Apollo wohl gewinnen.«

Es wurde schlagartig stockdunkel im Zimmer. Kein Lichtstrahl drang herein. »Schlaf, Danger. Ich lasse nicht zu, dass dir etwas geschieht. Das verspreche ich.«

Das war das Netteste, was je jemand für sie getan hatte. Das Gefühl der Zärtlichkeit in ihr war so überwältigend, dass ihr die Tränen kamen. Sie wandte den Kopf und küsste seinen Arm, ehe sie sich an ihn kuschelte.

Sie schlief ein und fühlte seine Hand, die ihr behutsam übers Haar strich, hörte seine Stimme, die ihr leise Worte in einer Sprache ins Ohr flüsterte, die sie nicht verstand.

Alexion spürte, wie sie sich entspannte. Bei der Erinnerung, wie sie ihn geliebt hatte, spielte ein zärtliches Lächeln um seine Lippen.

Es war einzigartig gewesen. Seine Lippen waren noch wund von ihren Vampirzähnen, und er hätte es nicht anders haben wollen. Doch mit dem Gefühl tiefer Befriedigung kam auch das Wissen, dass der Moment ihrer Begegnung sehr flüchtig gewesen war – nicht mehr als ein kurzer Wimpernschlag.

Er würde sich immer an sie erinnern, sie hingegen würde ihn vollständig vergessen, sobald er sie verlassen hatte.

Das war Acherons Befehl. Kein Dark Hunter durfte sich je daran erinnern, ihm begegnet zu sein. Aus diesem Grund wurde bei all jenen, die mit ihm zu tun gehabt hatten, die Erinnerung gelöscht.

Ihr Leben würde weitergehen wie bisher. Ohne ihn. Bisher hatte ihm das nie etwas ausgemacht, doch nun …

Heute wollte er mehr.

Das Streben nach mehr ist die Wurzel allen Übels. Dieses Streben hat mehr Leben zerstört, als es hervorgebracht hat.

Er wusste, dass dies Acherons Worte waren, und er hätte schwören können, dass sein Boss sich wieder einmal in seine Gedanken geschlichen hatte.

»Wo bist du, Ash?«, flüsterte er. »Ich könnte deinen Rat wirklich gut gebrauchen.«

Doch es war sinnlos. Nichts von dem, was Acheron ihm sagen könnte, würde er in diesem Moment hören wollen. Es gab keinen Ausweg. Er besaß weder einen Körper noch eine Seele. Damit hatte er im wahrsten Sinne des Wortes nichts, was er ihr hätte geben können. Niemals.

Weder ihr noch irgendeiner anderen Frau.

Alles hat seinen Preis. Nichts ist umsonst. Und der Preis, den er dafür zahlte, nicht verdammt worden zu sein, war, die Ewigkeit in unabänderlicher Einsamkeit verbringen zu müssen.

Wenigstens bleibt mir dieser Moment.

Dafür war er dankbar. Und er würde ihn niemals bereuen. Unter keinen Umständen.

Alexion spannte sich an, als er wahrnahm, dass die sfora erneut auf ihn gerichtet war.

»Wenn du das bist, Stryker, mach einfach, was du willst.«

Wüsste er es nicht besser, hätte er geschworen, eine Stimme in seinem Kopf zu hören. »Genau das habe ich auch vor«, stieß sie verächtlich hervor.