Dreizehn

Bridget Sawchuck hält es für sicherer, Howard Talliman an einem öffentlichen Ort zu treffen, wenn sie schon gezwungen ist, ihre Lage mit dem engsten Freund und wichtigsten Berater ihres Mannes zu besprechen. Vielleicht widersteht er ja im Beisein von Zeugen der Versuchung, sie auf der Stelle zu erwürgen. Hundertprozentig sicher ist sie sich allerdings nicht, dass sie das vor dem Schlimmsten bewahren wird. Sie lädt ihn zum Mittagessen in das Union Square Café ein und reserviert einen Tisch für dreizehn Uhr.

Talliman war schon Morris Sawchucks bester Freund gewesen, als Gott noch ein Kind war. Sie waren zusammen in Harvard, betranken sich zusammen, arbeiteten zusammen als Rechtsanwälte, machten zusammen Urlaub und wurden auf einer gemeinsamen Japanreise zwei Jahre nach Geraldines Tod wahrscheinlich sogar zusammen vernascht. Ohne selbst je in Erscheinung zu treten, betätigte Howard sich schon sehr früh als Drahtzieher politischer Kampagnen – ob für republikanische oder demokratische Kandidaten, spielte keine Rolle. Was zählte, war der Erfolg. Ein Hockeyspieler soll von den Rangers an die Bruins verhökert werden? Kein Problem, werden eben seine früheren Teamkollegen gnadenlos in den Dreck gezogen. Talliman war in der Lage, für jedermann die passende Strategie zu entwickeln, Hauptsache, der Preis stimmte. Eine eigene Kandidatur hat er nie angestrebt. Er ist klein und schmerbäuchig und behauptet von sich, die erotische Ausstrahlung eines Gartenzwerges zu besitzen, doch er ist ein Meister des politischen Spiels und weiß, wie man anderen zum Sieg verhilft.

»Du kannst so weit hinaufkommen, wie du willst«, hatte Howard schon vor über zehn Jahren gesagt. »Dein einziges Limit ist dein eigener Ehrgeiz. Wenn er groß genug ist, dann bringt er dich bis an die Spitze. Aber du musst einen Schritt nach dem anderen tun. Knallharter Staatsanwalt, Justizminister – du ziehst eine Spur und schaust, wohin sie dich führt. Und sie wird dich bis ganz nach oben führen, bis zum Gipfel. Darauf kannst du deinen Arsch verwetten.«

Howard Talliman mixt den Drink, und Morris trinkt ihn.

Die Schinderei hat sich gelohnt. Daran besteht kein Zweifel. Morris ist zweifellos auf dem Weg ins Gouverneursamt. Und, verflucht noch mal, wer weiß, wohin er es von dort aus noch schafft?

So stolz Howard darauf ist, aus seinem besten Freund einen Politstar gemacht zu haben, seinen größten Triumph sieht er darin, für Morris eine neue Frau gefunden zu haben. Ein schönes junges Geschöpf, das bei seinen Siegesreden an seiner Seite stehen wird.

Er ist Bridget zum ersten Mal in der PR-Firma begegnet, die er für einen anderen Klienten unter Vertrag genommen hatte, einen Berufungsrichter, der sich in größter Bedrängnis befand, weil sein Sohn im Sommerhaus des Vaters in New Hampshire ein Crystal-Meth-Labor betrieben hatte und deshalb verhaftet worden war. Als Howard sie erblickte, wusste er, sie würde an Morris’ Seite bei jeder Wahlkampfveranstaltung im Staat New York ein Bild der Vollkommenheit abgeben. Sie war sexy, eine Kombination aus Michelle Obama und Jackie O. Groß und elegant, langer Hals, hübsche Figur, aber nicht zu viel Oberweite. Perfekte Haltung.

Howard, das wird Bridget in diesem Augenblick bewusst, hat Morris und sie verkuppelt, ohne dass einer von ihnen es mitbekommen hätte. Er brachte sie ins Spiel, indem er sie mit der Organisation der Wohltätigkeitsveranstaltung für diesen Baseballplatz betraute. Das führte sie und Morris zur selben Zeit an denselben Ort. Howard machte sie miteinander bekannt und flüsterte jedem der beiden ins Ohr, der jeweils andere sei an ihm interessiert.

Howard, Macchiavelli und Amor in Personalunion. Doch es war nicht nur Kuppelei. Noch vor Ablauf einer Woche räkelte sich Bridget auf dem Rücksitz von Sawchucks Stretchlimousine, den Kopf eines Gouverneursanwärters zwischen den Beinen.

Ein äußerst vergnügliches Intermezzo, wenngleich sie sich genau genommen nicht immer ausschließlich zu einem Ufer hingezogen fühlte. Doch einerlei. Die Aussicht auf das Leben, das sie erwartete, wenn sie mit jemandem wie Morris Sawchuck in den Hafen der Ehe einlief, war doch wohl Anreiz genug, künftig dem anderen Ufer zu entsagen.

Ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte. Doch zu dieser Erkenntnis kam sie erst, als Morris und sie bereits verheiratet waren.

Nicht dass Allison die Erste gewesen wäre, mit der sie dann doch wieder verbotenes Terrain betreten hatte. Allerdings war sie die Erste, mit der sie dort länger verweilte. Für Bridget war es nichts Ernstes, und für Allison anscheinend auch nicht. Bridget hatte nicht ihren richtigen Namen benutzt – auch dafür gesorgt, dass ihre Begleiterin ihren Pass nie zu Gesicht bekam – und ging niemals ohne ihre überdimensionale Sonnenbrille und einen Sonnenhut mit Allison unter die Leute. Dabei gab es nur wenige Menschen, die Bridget erkannten, wenn sie ohne ihren Mann unterwegs war, der wiederum selten unerkannt blieb und oft auch um ein Autogramm gebeten wurde. Nicht dass Männer und auch Frauen keine Notiz von ihr genommen hätten. Doch wenn sie Aufmerksamkeit erregte, dann lag das nicht daran, wer sie war, sondern ausschließlich daran, was sie war – nämlich hinreißend schön.

Und nun steckt Bridget in Schwierigkeiten.

Sie wirft einen Blick in die Speisekarte, und als sie wieder hochsieht, steht er da.

»Bridget«, sagt er, beugt sich zu ihr und deutet einen Kuss auf ihre Wange an. »Du siehst zum Anbeißen aus, wie immer. Ein richtiger Augenschmaus.«

»Du siehst auch gut aus.«

»Ich bitte dich. Als ich an der Bar vorbeiging, hörte ich jemand flüstern, er hätte gerade Danny DeVito gesehen.«

Bridget lacht verlegen. Howard setzt sich auf einen Stuhl ihr gegenüber. Sie sieht es ihm an. Er weiß, dass etwas im Busch ist. Er wäre nicht da, wo er jetzt ist, besäße er nicht die Fähigkeit, andere zu durchschauen.

Sie jedoch hat er nicht ganz durchschaut. Jedenfalls nicht bei ihrer ersten Begegnung. Hätte er sie nämlich durchschaut, nun, dann säßen sie jetzt wohl nicht hier.

»Ich nehme an, dass wir was zu trinken brauchen werden«, sagt er. »Was möchtest du?«

»Hm, eine Weißweinschorle«, antwortet sie.

Howards Augenbrauen schnellen in die Höhe. »Dann kann es ja nicht ganz so schlimm sein, oder? Weinschorle? So was trinkst du, wenn deine Times eine Viertelstunde zu spät vor der Tür liegt.« Er dreht sich auf seinem Stuhl um und macht einen vorbeigehenden Kellner auf sich aufmerksam. »Eine Weißweinschorle für die Dame. Einen Scotch pur für mich. Also, was hast du auf dem Herzen, Bridget? Ich gehe mal davon aus, dass du mich nicht hergebeten hast, um ein Verhältnis mit mir anzufangen. Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass in meinem Terminkalender noch eins Platz hätte.« Howard war nie verheiratet, und sollte er so etwas wie ein Liebesleben haben – abgesehen von seiner Liebe für politische Intrigen –, hat jedenfalls niemand etwas davon mitbekommen.

Allerdings hat jeder so seine Geheimnisse.

Bridget schluckt. »Du weißt, ich würde nie wissentlich etwas tun, um Morris in Schwierigkeiten zu bringen.«

»Meine Güte«, sagt Howard.

»Ich würde ihn nie in Verlegenheit bringen. Niemals.«

Howard betrachtet sie. »Also, mal sehen …« Er sieht sie prüfend an, als versuche er zu erraten, wie viel Morris sich ihre Diamantohrringe hat kosten lassen. Hätte er auf zwanzigtausend getippt, hätte er richtig gelegen, doch es war nicht diese Frage, die ihn beschäftigte. Es war die Frage, in welche Kalamitäten Bridget sich gebracht hatte.

»Entweder geht’s um Geld oder um Sex«, sagte er. »Oder um beides. Was anderes gibt’s eigentlich gar nicht. Egal, was du getan hast, es wird auf das eine oder das andere hinauslaufen.«

»Es geht um beides«, sagt sie.

»Verstehe«, sagt Howard. »Und wie schlimm ist es?«

Bridget senkt den Blick auf ihren Schoß, dann sieht sie wieder Howard an. »Schlimm.« Sie wappnet sich. »Ich werde erpresst, Howard.«

»Dann ist das also der Teil mit dem Geld. Und was der Erpresser gegen dich in der Hand hat, das ist der Teil mit dem Sex. Es sei denn, ich bin total auf dem Holzweg, und du hast jemand umgebracht.«

»Ich habe niemanden umgebracht.«

»Ja, dann«, sagt Howard, als die Getränke vor ihnen auf den Tisch gestellt werden, »haben wir ja einen Grund zu feiern. Ich habe allerdings auch schon Leute erlebt, die nach einer Verurteilung wegen Mord wieder auf die Beine gekommen sind.«

Er trinkt einen Schluck von seinem Scotch und wartet, bis der Kellner sich entfernt hat. Bis zu einem gewissen Punkt, so vermutet Bridget, genießt Howard die Situation wahrscheinlich sogar, denn er lebt auf, wenn es Probleme zu lösen gilt. Aber wenn er sie tatsächlich genießt, denkt Bridget, dann nicht mehr lange.

»Und es gibt keine Fotos, die dich beim Koitus mit einem Ziegenbock zeigen, oder so?«

»Nein.«

»Na, alles andere sollte im Handumdrehen erledigt sein. Heraus damit.«

»Ich hatte eine Affäre.«

Howard nickt weise, als habe er damit bereits gerechnet. »Wir reden hier von etwas, das nicht allzu lange zurückliegt, das geschah, als du und Morris schon den heiligen Bund der Ehe eingegangen wart?«

»Ja.«

»Ist sie vorbei? Diese Affäre?«

»Ja.«

»Kenne ich ihn?«

Bridget antwortet nicht gleich. »Nein.«

Howard legt den Kopf ein wenig schief. »Dieses Zögern ist besorgniserregend, Bridget. Es bedeutet, dass ich ihn vielleicht kenne, und dass du lügst, oder dass du die Wahrheit sagst, sie aber bewusst verschleierst. Mal sehen, ob ich errate, was von beiden zutrifft.« Sein Blick bohrt sich in ihren. »Ich glaube, Letzteres.«

Bridget schweigt. Aus einer gewissen Distanz betrachtet, die Bridget im Moment allerdings fehlt, bietet Howard einen ungewöhnlichen Anblick.

Er lässt seinen Blick noch kurz auf ihr ruhen, dann fragt er: »Wer ist sie?«

Er ist wirklich unglaublich. »Sie heißt Allison Fitch.«

Howards Lider flattern. Ein Zeichen, dass er seine geistige Datenbank durchforstet. »Du hast recht, ich kenne sie nicht.« Er trinkt wieder von seinem Scotch. »Weißt du, Bridget, nachdem ich dich und Morris zusammengebracht und dich diskret gefragt habe, ob es in deiner Vergangenheit etwas gäbe, das dich kompromittieren könnte, wäre es nicht unsportlich von dir gewesen zu erwähnen, dass du eine Leckschwester bist.«

Bridget sitzt stocksteif da und sagt kein Wort.

»Hast du diese Allison Fitch davon in Kenntnis gesetzt, dass du die Frau eines angehenden Gouverneurs und jetzigen Justizministers bist?«

»Nein. Ich habe ihr auch einen ganz anderen Namen genannt. Aber sie hat mich im Fernsehen gesehen, in den Nachrichten, bei einer Veranstaltung mit Morris, den Rest konnte sie sich zusammenreimen.« Bridget liefert ihm die Kurzversion der Geschichte. Wo sie einander kennengelernt und wie oft sie sich getroffen hatten. Die gemeinsame Reise.

Howard lächelt säuerlich. »Gerade eben erwähnte ich Fotos von dir mit einem Ziegenbock. Was ist mit dieser Frau? Gibt es da Fotos? Versteckte Kamera oder was in der Art? Wenn ich’s mir recht überlege, wäre ein Ziegenbock politisch vielleicht doch weniger schädlich gewesen.«

Bridgets Augen werden schmal. »Machst du dir Sorgen wegen des erpresserischen Potenzials oder hättest du gern ein paar Abzüge?«

»Dann gibt es also welche?«

»Ich glaube nicht. Allison hat jedenfalls nichts davon gesagt. Ich wüsste auch nicht, warum sie mich hätte filmen sollen. Damals wusste sie ja noch nicht, wer mein Mann ist.«

»Was für Beweise hat sie dann? Eine mögliche Strategie wäre, das Ganze auszusitzen. Es wird unschön, aber wir mauern, dementieren, deuten an, die Gegner deines Mannes hätten die ganze Geschichte inszeniert. Währenddessen schnüffeln wir in ihrer Vergangenheit herum, suchen nach etwas, das ihre Glaubwürdigkeit ruiniert, und glaub mir, wir finden was, und wenn wir’s erfinden müssen. Die Presse hat was, mit dem sie sich eine Weile verlustieren kann. Dann wird’s langweilig, und wir machen weiter, als wäre nichts geschehen. Wenn’s keine Beweise gibt, brauche ich nur ein bisschen rumzutelefonieren und schon ist eine polizeiliche Ermittlung im Gange, und ehe du dich versiehst, hat sie eine Klage wegen räuberischer Erpressung am Hals. Wir machen’s wie dieser Talkshow-Mensch, wie heißt der gleich wieder, der mit den Zähnen, der von diesem Typ erpresst wurde, der drohte, wenn er nicht zahlt, würde er in die Welt hinausposaunen, dass er mit der Hälfte seiner Mitarbeiter im Bett war. Er hat die Polizei eingeschaltet, die haben dem Typ eine Falle gestellt, und schon saß er im Knast. Der Unterschied ist, dass du abstreitest, diese Frau überhaupt zu kennen. Vielleicht seid ihr euch zufällig mal irgendwo über den Weg gelaufen, im Urlaub, bei einer Veranstaltung, aber du hast keine Ahnung, wer sie ist. Wenn wir mit ihr fertig sind, wird kein Mensch ihr mehr was glauben, selbst wenn sie sagt, wenn’s regnet, wird’s nass.«

»Wir haben gesimst«, sagt Bridget.

»Sag das noch mal?«

»Fotos gibt es keine, aber SMS. Anrufe und SMS.«

»Und was steht in diesen SMS, Bridget? Welcher Art sind diese SMS?«

»Sie sind … schlüpfrig ist wahrscheinlich das richtige Wort.«

»Und die Verfasserin dieser Meldungen, bist das du, oder sind die alle von Ms. Fitch?«

»Halb und halb, würde ich sagen.«

Howard fährt sich mit der Zunge über die Zähne. »Wie viel will sie, und was beabsichtigt sie zu tun, wenn du ihre Forderungen nicht erfüllst?«

»Einhunderttausend. Oder sie geht damit an die Öffentlichkeit. Zu dem, der ihr am meisten zahlt.«

»Aha. Nicht sehr phantasievoll, die gute Frau.«

»Wie bitte?«

»Ich an ihrer Stelle hätte mindestens eine Million gefordert. Und woher wollen wir wissen, dass sie das Geld nicht nimmt und ihre Geschichte trotzdem verkauft?«

»Sie hat gesagt, das würde sie nicht tun.«

Howard lehnt sich zurück und breitet die Arme aus. »Na, dann ist ja alles bestens!«

»Ich weiß, was du denkst. Dass sie immer wieder mit neuen Forderungen kommen wird.«

»Ich halte das für sehr wahrscheinlich, Bridget. Aber mit der richtigen Portion Überzeugungskraft gibt sie sich vielleicht mit einer einmaligen, annehmbaren Summe zufrieden. Erklärt sich bereit zu verschwinden, und wir hören nie wieder etwas von ihr.«

Bridget seufzt. »Ich wusste, dass du weißt, wie man mit so was umgeht. Du bist einfach so … so souverän und gelassen bei solchen Dingen.«

»Brandbekämpfung, meine Liebe. Wir werden doch nicht zulassen, dass aus einem weggeworfenen Streichholz ein Waldbrand wird.«

»Howard, ich möchte nicht, dass Morris davon erfährt. Ich meine, Morris und ich waren sehr offen miteinander, was unsere … Eigenheiten betrifft, aber er hat nicht die leiseste Ahnung, dass ich seit unserer Hochzeit mit jemand anderem zusammen war. Du wirst es ihm doch nicht erzählen, oder?«

Er schüttelt den Kopf und greift nach ihrer Hand. »Was hätte das für einen Zweck? Ich habe euch beide viel zu gern, um so was zu tun. Du hast eine herrliche Zukunft vor dir, wenn du lernst, deine … Impulse zu zügeln.«

»Es war ein Ausrutscher«, sagt sie. »Es wird nie wieder vorkommen.«

»Selbstverständlich nicht«, sagt er, noch immer ihre Hand tätschelnd, »denn ich werde nicht – ich wiederhole: nicht – zulassen, dass jemand Morris’ Bestimmung in die Quere kommt, auch du nicht. Sollte sich so ein Vorfall also wiederholen, werde ich dich persönlich mit deinem eigenen BH strangulieren, dich in Stücke hacken und an die Eichhörnchen im Central Park verfüttern. Und ich werde einen Weg finden, das Ganze einem Konkurrenten deines Mannes in die Schuhe zu schieben. Haben wir uns verstanden?«

Bridget nickt. »Absolut.«