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Schon vor über dreißig Jahren hatte Napoleon Louisiana an die Vereinigten Staaten verkauft und mit dem Erlös seine Feldzüge finanziert. Die Bewohner dieses Staates hatten sich jedoch noch nicht damit abgefunden, Amerikaner zu sein. New Orleans betete seine französischen Wurzeln an, und das französische Viertel mit seinen bunten Häusern, der europäischen Musik, die aus allen Ecken ertönte, und den bittersüßen Aromen seiner mediterranen Gerichte war das Herzstück der Stadt.
Gleichwohl würde David nicht lange genug bleiben, um auch das intensive Nachtleben zu genießen. Sein Zwischenhalt galt nur seinen Geschäften, und er musste seine Reise fortsetzen, sobald er seine Angelegenheiten geregelt hatte.
Die Kutsche bog in die Chartres Street ein. Zur Linken erschien das Gebäude des Cabildo, das während der spanischen Herrschaft als Regierungssitz gedient hatte und in dem jetzt das Rathaus untergebracht war. Dann erblickte David die Kathedrale St. Louis mit ihren drei Türmen und schließlich das Presbyterium, dessen Frontgiebel mit amerikanischen Symbolen verziert war, die das alte spanische Wappen ersetzt hatten. Jeder Hinweis auf die Kolonialzeit war beseitigt worden. Hinter dem Andrew-Jackson-Platz konnte David zwischen den unendlichen Reihen der Raddampfer und Schiffe, die über mehrere Meilen an beiden Ufern des Flusses angelegt hatten, das dunkle Wasser des Mississippi erkennen. Von hier aus wurde jedes Jahr eine halbe Million Ballen Baumwolle verschifft. Der geringere Teil davon ging flussaufwärts in die Nordstaaten, wo die Baumwolle weiterverarbeitet wurde. Der größte Teil wurde jedoch nach England gebracht, um die unersättliche Nachfrage der größten textilverarbeitenden Industrie nach Rohmaterial zu befriedigen.
Aber in Louisiana wurde nicht nur mit Baumwolle gehandelt. Jahrelang war der größte Teil der Sklaven, die aus Afrika hergebracht wurden, hier entladen und danach in den Straßen von New Orleans verkauft worden. Und trotz des internationalen Verbots war der Handel mit afrikanischen Sklaven auch heute noch eines der einträglichsten Geschäfte der Stadt.
Als die Kutsche das alte Ursulinenkloster mit seinen steilen, von Gauben gesäumten Dächern und den hohen Schornsteinen im französischen Kolonialstil erreichte, machte David die ersten abendlichen Passanten auf dem Bürgersteig aus.
Sie bogen in die Esplanade Avenue ein, deren zwei Baumreihen ein durchgehendes Schattendach warfen. Wenn es einen Ort gab, an dem sich die kreolische Aristokratie versammelte, dachte David, dann war es ohne Zweifel hier.
Es schien, als wollte jede der prächtigen Villen, die die Allee säumten, mit einer noch schöneren Fassade und einem noch gepflegteren Garten die Konkurrentin neben ihr ausstechen. Hier eine weiße Villa im reinsten neoklassizistischen Stil mit hohen Marmorsäulen, dort ein Anwesen, das im nüchternen, aber ebenso luxuriösen Queen-Anne-Stil gehalten war. Es gab auch Villen in lichtdurchfluteter italienischer Bauart. Welchen Stil man auch immer bevorzugte, die Esplanade Avenue diente dazu, den Reichtum ihrer Anwohner zur Schau zu stellen.
Schließlich zeigte ein schmiedeeisernes Gitter mit weitgeöffneten Toren das Ende der befahrbaren Strecke an. Es gab in diesem Teil der Allee nur noch zwei Villen, eine auf jeder Seite. Zweifellos war eine von ihnen der Wohnsitz der Familie Lacroix.
Der Kutscher lenkte die Pferde durch einen mit Efeu bewachsenen Torbogen. Jetzt konnte David das Anwesen sehen. Auf einer leichten Erhebung, von der aus es scheinbar die ganze Straße beherrschte, lag das beeindruckendste Herrenhaus, das er je gesehen hatte.
Jedes der drei Stockwerke verfügte über zehn Fenster. In der Fassade aus rötlichem Backstein waren in regelmäßigen Abständen klassische Skulpturen aus weißem Marmor eingelassen. Vier Säulen mit griechischen Kapitellen wachten über den Vorhof.
Nachdem die Kutsche ihren Weg durch einen blühenden Garten fortgesetzt hatte, hielt sie schließlich vor der breiten Treppe zum Hauptportal. Noch bevor David sich erheben konnte, öffnete schon ein Sklave in einer grünen, mit goldenem Atlas besetzten Livree den Wagen. David überreichte ihm seine Karte und folgte ihm ins Haus.
Als sie im Salon angekommen waren, murmelte der farbige Mann etwas, das klang wie eine Aufforderung, Platz zu nehmen. Dann verschwand er wieder. David schlug die Rockschöße der neuen Anzugjacke zurück und setzte sich auf einen mit bedruckter Seide bezogenen Sessel.
Der rötliche Glanz der Mahagonidielen wurde von den Fasern der orientalisch gemusterten Teppiche gedämpft. An der Stirnseite des Salons führten in Blei gefasste Glastüren auf eine große Terrasse voller Bougainvilleen. Hinter der steinernen Balustrade und dem gepflegten Rasen konnte David die ruhigen, blauen Wasser des Lake Pontchartrain erkennen. Er war tief in der Betrachtung der Landschaft versunken, als ihn plötzlich eine melodische Stimme mit unverwechselbar französischem Akzent begrüßte: «Monsieur Parrish!»
David stand auf.
«Mr. Lacroix?»
Ein kleiner dicker Mann mit gutmütigem Gesicht lächelte ihn an. «So ist es.»
«Sehr erfreut.» David nickte höflich und wollte seinem Gastgeber die Hand schütteln. Doch Monsieur Lacroix beachtete die ausgestreckte Hand seines Gegenübers gar nicht, sondern schloss ihn gleich in seine kräftigen kurzen Arme.
«Ich habe erstaunliche Dinge von Ihnen gehört!», rief er aus und drückte David mit einem solchen Ungestüm, dass er ihn beinahe vom Boden hochhob. «Es freut mich, Sie endlich kennenzulernen.» Lachend klopfte er David auf den Rücken.
«Zu freundlich», antwortete dieser peinlich berührt.
«Werden Sie uns für längere Zeit beehren?»
«Leider fürchte ich, dass es nur ein paar Tage sind. Ich war schon seit Monaten nicht mehr auf meiner Plantage und muss vor der Baumwollernte zurück sein.»
«Ah, die Pflicht …», murmelte Lacroix verständnisvoll und nickte. «Und Ihre Koffer?»
«Bitte?»
«Ihr Gepäck? Haben Sie denn kein Gepäck mitgebracht?»
«Aber … aber natürlich», stotterte David angesichts der unerwarteten Wendung, die das Gespräch nahm, «es ist im Hotel.»
Mit weitaufgerissenen Augen sah Gaston Lacroix seinen Besucher an.
«Mon Dieu! In einem Hotel!», rief er entsetzt und legte in übertriebener Manier die Hände an die Wangen. «Auf gar keinen Fall wird ein junger Mann wie Sie, ein Held unserer Nation, in einem jämmerlichen Hotel unterkommen. Ohne Bequemlichkeit, ohne Komfort. Niemals! Noch heute werden Sie in mein Haus umziehen.»
«Ich versichere Ihnen, dass ich perfekt untergebracht bin.»
«An einem solchen Ort kann es Ihnen unmöglich gutgehen!» Sofort blickte Gaston Lacroix sich suchend um, als hätte er gerade etwas verloren. «Martin! … Wo steckt bloß dieser –»
Noch bevor Monsieur Lacroix seinen Satz beenden konnte, stand der Sklave, der David hereingeführt hatte, schon neben seinem Herrn. «Ah, da bist du ja! Schick jemanden zum … Verzeihung», wandte er sich nun David zu. «Wie, sagten Sie gleich, heißt das Hotel?»
«Das Royal Omini.»
«Du hast es gehört. Jemand soll das Gepäck von Monsieur Parrish holen. Solange er in New Orleans bleibt, wird er unser Gast sein.»
David versuchte zu protestieren, aber Gaston Lacroix unterbrach ihn mit einer energischen Handbewegung. «Bitte erklären Sie sich einverstanden.» Dabei sah Lacroix seinem Gast mit Bestimmtheit in die Augen.
David war überrascht, einen so intensiven Glanz in den kleinen und tiefliegenden Augen zu entdecken. Sein Gastgeber würde es als eine persönliche Beleidigung ansehen, wenn David seine Einladung ausschlüge.
David Parrish tat selten etwas, was er nicht wirklich wollte. Aber hinter Lacroix’ so freundlichem, scheinbar sorglosem Blick entdeckte er eine Zielstrebigkeit und Durchsetzungskraft, die ihn verstehen ließ, warum dieser Mann einer der reichsten und mächtigsten Männer der Stadt geworden war. Fast bereute er es, nicht auf direktem Wege nach Norfolk gereist zu sein, das nur wenige Tagesreisen von seinem Zuhause entfernt war. Stattdessen war er nun hier und musste mit diesem unberechenbaren Franzosen zurechtkommen.
Also fügte David sich den Umständen und sagte freundlich: «Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Einladung anzunehmen!»
«Wunderbar! Dann zeige ich Ihnen jetzt Deux Chemins», verkündete Lacroix stolz wie ein Pfau. Mit einem zufriedenen Lächeln legte er seine Hand auf die Schulter seines Gastes und führte ihn in den Garten. Wieder bereitete die Berührung David Unbehagen.
***
Etwa um halb sechs wachte Katherine auf. In der Nacht zuvor hatte sie aufgrund der Hitze kein Auge zugetan, aber nach der ausgiebigen Mittagsruhe fühlte sie sich jetzt wie neugeboren. Heute Abend empfingen sie Gäste auf Deux Chemins, und die Soiree würde sicher bis in die frühen Morgenstunden andauern. Auf keinen Fall wollte sie mit müdem Gesicht und Augenringen herumlaufen. Katherine reckte sich und verließ mit einem wohligen Seufzer das Bett. Ein paar Stunden Schlaf hatten Wunder bewirkt.
Als kurz darauf Molly das Zimmer betrat, stand Katherine am Fenster und blickte verstohlen in den Garten, um die beiden Männer zu beobachten, die dort spazieren gingen.
«Katty, was tust du? Sie werden dich sehen», rief die junge Frau erschrocken.
Ohne vom Fenster zurückzutreten und ohne den geringsten Anflug von Schamgefühl, wies Katherine die Eingetretene mit einer Handbewegung an, still zu sein und näher zu kommen.
«Weißt du, wer das ist?»
Hinter den dichten Vorhängen aus grünem Samt betrachtete Molly aufmerksam Katherines Vater und den jungen Unbekannten, der neben ihm ging.
«Ich habe ihn noch nie gesehen.»
«Sieht er nicht gut aus!»
Trotz der Entfernung musste Molly anerkennen, dass der Herr außerordentlich vornehm wirkte. Master Lacroix war nicht sonderlich groß, er war sogar fast genauso breit wie hoch, aber sein Begleiter überragte ihn praktisch um einen ganzen Kopf.
In diesem Moment drehten die beiden Männer sich plötzlich zum Haus um, sodass Molly und Katherine sich schnell auf den Boden werfen mussten, um nicht entdeckt zu werden.
«Oh nein, bestimmt haben sie uns gesehen», rief Katherine vergnügt und riss in gespieltem Schrecken die Augen auf. Beide Frauen fingen an zu lachen, wie sie da so auf dem Boden lagen. Aber die Neugierde war stärker als die Vernunft, und Katherine richtete sich wieder auf, um erneut aus dem Fenster zu spähen.
Inzwischen hatte ihr Vater offensichtlich jedes Interesse an der Fassade verloren und entfernte sich mit seinem Gast weiter vom Anwesen.
«Also Molly, ich glaube, heute ist ein perfekter Tag für einen Gartenspaziergang», verkündete Katherine, zog ihre Freundin hoch und zupfte verspielt an ihrem Nachthemd aus gelber Seide. «Meinst du nicht?»
«Oh ja, ich glaube, dazu hätte ich auch Lust», gab Molly schelmisch zurück.
***
Das Grundstück dehnte sich fast bis zum Lake Pontchartrain aus, und obwohl David den Horizont angestrengt absuchte, konnte er keine einzige Baumwollpflanze in der gepflegten Gartenlandschaft entdecken.
«Die Plantagen befinden sich flussaufwärts, etwa eine Tagesreise mit dem Boot», erklärte Monsieur Lacroix dem jungen Mann, als hätte er dessen Gedanken erraten.
David kannte niemanden, der es sich erlauben konnte, eine so große Fläche nur für Spaziergänge zu nutzen. Das Gebiet schien mindestens so groß zu sein wie seine Plantage in Virginia. Welcher Mann war so reich, dass er auf derartige Weise Land verschwenden konnte?
Beglückt nahm Gaston Lacroix die Überraschung auf dem Gesicht seines Gastes wahr.
«Deux Chemins ist für uns ein Ort des Rückzugs.»
Der Spaziergang über das Anwesen dauerte nun bereits eine gute Stunde. Sie entfernten sich nie mehr als hundert Meter vom Haupthaus, aber alle Bäume und Blumen und jede im Garten aufgestellte Statue boten dem Gastgeber einen willkommenen Anlass, stehen zu bleiben und eine Anekdote aus der Familiengeschichte zu erzählen.
Auf Deux Chemins gab es also tatsächlich keine Baumwollfelder. Es hatte sie nie gegeben. Die Hauptplantage lag eine Tagesreise flussaufwärts, zusätzlich besaß Lacroix an anderen Orten des Bundesstaates noch drei weitere Pflanzungen von geringerer Ausdehnung. Die kleinste davon war so groß wie Davids Plantage. Seit sein Großvater Arnaud Lacroix die ersten fünfzig Morgen Sumpfland erworben und dort mit nur fünf Sklaven die erste Pflanzung angelegt hatte, war die Plantagenwirtschaft noch immer eine der Haupteinnahmequellen der Familie, obwohl Gastons Geschäfte sich inzwischen auch auf andere Bereiche ausdehnten.
Er betrieb Sägewerke, Bauunternehmen, Casinos, Handelshäuser, Schiffe … Aber wenn es etwas gab, das den rundlichen Mann reich gemacht hatte, dann war es der Schmuggel. Er hatte sich die veränderten Umstände zunutze gemacht, die der Verkauf Louisianas an die Vereinigten Staaten mit sich gebracht hatte. Tief in den Laderäumen der Schiffe verborgen, wurden die verschiedensten Luxusgüter aus Europa und dem Rest der Welt von Lacroix’ Flotte importiert. Er umging die hohen Zölle, die von der Bundesregierung verhängt worden waren, um den Handel mit Produkten aus den Nordstaaten zu begünstigen. Natürlich hütete David sich, irgendeinen Kommentar darüber zu machen. Schließlich waren es gerade Monsieur Lacroix’ illegale Geschäfte, die ihn hierhergeführt hatten.
Als die beiden Spaziergänger wieder ins Haus zurückkehrten, begaben sie sich in die Bibliothek, einen großen und geräumigen Raum im unteren Teil des Gebäudes. In Leder gebundene Bücher mit Goldschnitt standen geordnet auf Regalen, die bis zur Decke reichten. Das übrige Mobiliar bestand aus einem Schreibtisch und zwei breiten Armsesseln. Dort nahmen die Männer Platz.
David ließ sein Bein ausgestreckt. Nach wie vor konnte er das Knie nur schwer beugen, und die Verletzung hatte ihm den Spaziergang übel genommen.
«Ich habe gelesen, dass es ein harter Kampf war», sagte Lacroix mit einem Blick auf das Bein seines Gastes.
«So ist es», antwortete David und legte instinktiv seine Hand auf den Schenkel. «Die Mexikaner konnten nichts tun. Wahrheit und Gerechtigkeit waren auf unserer Seite.»
«Die Siedler stehen tief in Ihrer Schuld», bemerkte Lacroix nachdenklich.
Trotz seiner Worte war Gaston Lacroix davon überzeugt, dass die amerikanischen Siedler Texas gestohlen hatten. Und es erstaunte ihn, mit welcher Leichtigkeit die Sieger immer wieder vergaßen, was ihnen nicht in den Kram passte. Der junge Leutnant bildete da wohl keine Ausnahme. Schließlich hatte Texas zu Mexiko gehört, seit die Spanier die Neue Welt entdeckt und erobert hatten. Die mehrheitlich amerikanischen Siedler, die seinem Gast zufolge Wahrheit und Gerechtigkeit auf ihrer Seite hatten, hatten schlicht die mexikanischen Gesetze gebrochen, die ihnen verboten, sich auf diesem Territorium anzusiedeln. Und das mit dem stillschweigenden Einverständnis der Regierung in Washington. Ohne sich darum zu scheren, dass das Land ihnen nicht gehörte, hatten sie Häuser und ganze Dörfer gebaut. Und plötzlich schrien selbst die Menschen, die die mexikanische Staatsbürgerschaft schon angenommen hatten, gemeinsam mit den anderen nach Sezession. Es war also nur allzu verständlich, dass sich die Mexikaner angesichts der Verletzung ihrer Hoheitsrechte und deren Tolerierung durch die amerikanische Regierung gezwungen sahen zu handeln. Die Belagerung von Alamo war für niemanden eine Überraschung gewesen, servierte der amerikanischen Regierung allerdings auf dem Silbertablett den perfekten Vorwand, endlich einzugreifen und sich dieses Land anzueignen, auf das sie schon seit Jahren ein Auge geworfen hatte.
Nichts in seinem Gesichtsausdruck verriet Gaston Lacroix’ wahre Gedanken. Dass er seine jetzige Position erreicht hatte, lag an seiner Fähigkeit, seine Schlachten mit Bedacht zu wählen. Und diese würde er niemals gewinnen.
Nachdem Martin ihnen einen Cognac serviert hatte, ließ der Sklave sie wieder allein.
«Sie möchten also ein Exemplar erwerben?», fragte Lacroix ohne Umschweife und sprach damit endlich die Angelegenheit an, die David hergeführt hatte.
«So ist es, Mr. Lacroix. Und ich habe gehört, dass Sie die Besten besitzen.»
«Nun, so sagt man», bekannte er geschmeichelt und nahm einen Schluck von seinem Cognac. «Was suchen Sie denn genau?»
«Ein junges und kräftiges Exemplar.»
Als würde Lacroix diese Worte abwägen, strich er sich über das rundliche Kinn. «Männlich?»
David nickte.
«Parrish …» Nachdenklich spielte Lacroix mit seinem Glas. «Ein englischer Name, nicht wahr?»
Schon zum zweiten Mal an diesem Nachmittag wurde David von der plötzlichen Wendung, die das Gespräch nahm, überrascht. Was konnte sein Familienname bloß mit diesem Geschäft zu tun haben?
«Lord Albert Parrish war mein Großvater.»
«Ah, Lord Albert», rief Lacroix mit freudigem Interesse aus, als er den Namen eines der Männer vernahm, die zum Sieg des Unabhängigkeitskrieges beigetragen hatten.
«Kannten Sie ihn?», fragte David.
«Nein, ich hatte leider nicht das Vergnügen, aber ich weiß, dass er auf seinen Titel verzichtet hat, um sich dem Freiheitskampf anschließen zu können.»
Er taxierte sein Gegenüber. Davids Art zu reden, das hochmütige Benehmen und das militärische Auftreten, all das bestätigte Gaston Lacroix’ ersten Eindruck. Er hatte einen typischen Südstaatengentleman vor sich. Natürlich hatte er vor ihrem Treffen alle notwendigen Erkundigungen eingezogen. So wusste er zwar, dass David aus der Schlacht von San Jacinto als Held hervorgegangen war, musste aber trotzdem noch herausfinden, ob man ihm trauen konnte. Ohne Zweifel besaß der junge Mann ein komfortables Vermögen, wie Lacroix von seinen Kontaktmännern in der Bank von Louisiana erfahren hatte. Außerdem stieg nicht jeder im luxuriösesten und teuersten Hotel der Stadt ab. Lacroix war sich sicher, dass dieser schneidige junge Mann ein paar Jahre in einer Militärakademie verbracht hatte. In den Südstaaten taten das die meisten Söhne der Pflanzer englischer Herkunft. Auch wenn er selbst es für eine ausgemachte Dummheit hielt. Er war als Franzose geboren und würde als Franzose sterben, man konnte ihm tausendmal sagen, dass er jetzt Amerikaner war. Und das änderte sich auch nicht, nur weil Napoleon sie verraten und das Land, für dessen Eroberung so viel französisches Blut geflossen war, verkauft hatte, um an Geld für seine endlosen Kriege zu kommen. Lacroix’ Söhne hatten beide nicht in der Armee gedient. Sie sollten ihr Leben nicht im Kampf für ein Land verlieren, das er nicht als das seine betrachtete. Stattdessen hatten beide an den besten Universitäten des Nordens studiert und waren fähige Anwälte geworden.
«Ein Exemplar also. Männlich», wiederholte Lacroix gedankenverloren.
Vorsichtig nickte David. Schon wieder hatte das Gespräch eine Wende von hundertachtzig Grad genommen.
«Das wird kein Problem sein», erklärte Lacroix. «Aber Sie sind doch sicher nicht den weiten Weg aus Virginia gekommen, um etwas zu erwerben, das Sie auch in Savannah oder selbst in Richmond bekommen könnten – wenn auch gewiss nicht in der gleichen Qualität …»
Gerade als David den wahren Grund seines Besuchs verraten wollte, wurde die Tür der Bibliothek geöffnet. Für einen Moment glaubte er, dass der Cognac ihm einen bösen Streich spielte und ihm eine Erscheinung vorgaukelte. In einem wunderschönen hellen Kleid mit großen gelben Blumen, das mahagonifarbene Haar so aufgesteckt, dass große Korkenzieherlocken in das samtweiche Gesicht fielen, betrat eine anmutige Frau den Raum.
«Oh, pardon!» Überrascht sah die junge Dame den Unbekannten an und legte eine Hand an ihre Lippen.
David erhob sich, als hätte eine Sprungfeder ihn von seinem Sitz katapultiert. Doch es verschlug ihm die Sprache.
«Es tut mir leid, Papa! Ich wusste nicht, dass du Besuch hast.»
Gaston Lacroix lächelte. Er wusste ganz genau, dass jedes Detail dieses Auftritts sorgfältig geplant war.
«Monsieur Parrish, ich darf Ihnen meine Tochter Katherine vorstellen.»
Zarter Jasminduft erfüllte die Luft. David atmete ihn tief ein und hoffte dabei inständig, dass sein neuer Anzug jede Spur des Mückenmittels überdeckte.
«Miss Lacroix, es ist mir eine große Freude, Sie kennenzulernen.» Mit einer leichten Verbeugung begrüßte David die junge Frau und führte ihre behandschuhte Hand an seine Lippen.
«Sehr erfreut, Monsieur Parrish. Werden Sie länger bleiben?»
Für eine Sekunde war David wie gelähmt, verzaubert von ihrem Blick, aber diese verwirrenden honigfarbenen Augen erwarteten eine Antwort.
«Monsieur Parrish kommt aus Virginia, Katherine», warf Lacroix ein. «Und ich fürchte, dass er nur für ein paar Tage unser Gast sein kann. Er muss sich um seine Angelegenheiten kümmern.»
«Sie logieren also auf Deux Chemins?»
Lacroix zweifelte nicht im Geringsten daran, dass seine Tochter zu diesem Zeitpunkt sogar bereits wusste, in welchem Zimmer der arglose Gentleman untergebracht war.
«So ist es, Miss Lacroix.» David räusperte sich. «Ihr Vater besaß die Freundlichkeit, mich einzuladen.»
Katherine lächelte. «Dann werden wir ja Gelegenheit haben, uns beim Dinner wieder zu sehen, Monsieur Parrish. Ich ziehe mich jetzt besser zurück, um Sie nicht weiter zu stören.»
David war noch immer wie versteinert und fand nicht einmal ein passendes Abschiedswort.
Katherine deutete einen Knicks an, wandte sich ihrem Vater zu und gab ihm liebevoll einen Kuss auf die Stirn. «Wir sehen uns beim Essen, Papa.»
«Du sahst vorhin am Fenster sehr hübsch aus», flüsterte Lacroix seiner Tochter schnell noch auf Französisch zu.
Verschmitzt zwinkerte Katherine ihm zu und verließ die Bibliothek.
Selbst nachdem sie schon längst verschwunden war, starrte David noch immer die Tür an. Fast meinte er, gerade eine Halluzination gehabt zu haben.
«Verzeihen Sie die Störung, Monsieur Parrish, aber Sie wissen ja, Töchter sind unsere größte Schwäche.» Lacroix nahm noch einen Schluck Cognac. «Seit dem Tag ihrer Geburt habe ich ihr nichts abschlagen können. Geht es Ihnen nicht genauso?»
«Ich … ich habe keine Kinder. Ich bin nicht verheiratet», antwortete David schon etwas gefasster.
Lächelnd rieb Lacroix sich die Hände, aber David war zu sehr in sich gekehrt, um die Veränderung im Gesicht seines Gastgebers wahrzunehmen.
«Zurück zu den Angelegenheiten, über die wir eben sprachen …»
Für einen Moment hatte David den eigentlichen Grund seines Aufenthalts in New Orleans vollkommen vergessen.
«… Sie sagten, dass Sie ein junges und kräftiges Exemplar suchen.»
«So ist es.»
«Etwas Bestimmtes?»
David versuchte, die junge Frau aus seinem Kopf zu verbannen und sich auf sein Anliegen zu konzentrieren. «Nun, ich habe gehört, dass Sie mich vielleicht beraten könnten, wo man einen Mandinka bekommt.»
Lacroix kniff die Augen zusammen und blickte sein Gegenüber verschlagen an. Endlich lagen die Karten auf dem Tisch.
«Ein Mandinka.» Lacroix schüttelte langsam den Kopf. «Wissen Sie, dass es kaum noch reine Mandinka gibt?», sagte er und dachte an die hochgeschätzten Sklaven, die aus der afrikanischen Region des Niger stammten. «Seit vor ein paar Jahren die Einfuhr von Sklaven aus Afrika verboten wurde, ist es sehr schwierig, an ein Exemplar zu kommen. Kaum einer der jetzigen Besitzer möchte sie abgeben.»
«Man hat mich jedoch informiert, dass Sie vielleicht Bekannte haben, die trotz allem einen verkaufen würden.»
So höflich, wie es nur irgend möglich war, wollte David seinem Gastgeber zu verstehen geben, dass er über dessen illegalen Sklavenhandel Bescheid wusste.
«Es tut mir leid, aber ich weiß von niemandem.» Lacroix schüttelte erneut den Kopf.
«Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin», entschuldigte David sich und stand auf, entschlossen, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
Lacroix amüsierte die übereilte Reaktion seines Gastes. Wie hatte es ein Volk mit so wenig Feingefühl nur geschafft, die Welt zu erobern?
«Nicht so schnell, mein junger Freund. Ich sagte, dass ich von niemandem weiß. Was aber nicht heißt, dass ich mich nicht umhören kann. In vier Tagen vielleicht, höchstens einer Woche …»
David setzte sich wieder. Noch vor wenigen Minuten hätte ihn die Aussicht, seinen Aufenthalt in New Orleans auf eine Woche ausdehnen zu müssen, verärgert. Aber nach der Begegnung mit Lacroix’ wunderschöner Tochter war alles anders.